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Der Mann, der die Sirenen gesehen hat

Es gibt wirklich einen Mann, der die Sirenen gesehen hat. Er wohnt jetzt in Zéilah. Er ist Kaufmann und kauft Kaffee von den aus Abessinien zurückkehrenden Karawanen, den er mit alten Maria-Theresientalern, mit den leeren Hülsen von Kartätschenpatronen oder auch mit ausgedienten Gewehren bezahlt, die dazu dienen sollen, die Europäer tot zu schießen. Aber vor Jahren war er Wächter eines Leuchtturmes auf der Insel Farsan, die im Roten Meere liegt. Und zu jener Zeit war es, als er die Sirenen gesehen hat.

Dieser Mann ist seiner fünf Sinne vollkommen mächtig, und ich versichere, daß ich ihn für durchaus vernünftig und zuverlässig halte. Allerdings ist sein Französisch mit der Zeit ein ziemlich mangelhaftes geworden; das kommt daher, weil er kaum mehr Gelegenheit hat, es zu üben, da er mit den Eingeborenen immer nur Arabisch spricht oder auch jene eigentümlichen Dialekte der Abessinier und der Bergbewohner. Außerdem hat er die Gewohnheit – wenn er wirklich einmal einwilligt, sein wunderbares Abenteuer zu erzählen –, sich häufig zu unterbrechen und lange Pausen zu machen, Pausen, die manchmal so lang und ermüdend sind, daß man ungeduldig wird und fortgeht, ohne das Ende seiner Geschichte abzuwarten.

Es geschieht dies vielleicht hauptsächlich dann, wenn sein Geist sich das Bild der Sirenen am lebendigsten wieder vorstellt … vielleicht auch noch aus andern Gründen. Zu jener Zeit, als er dies seltsame Abenteuer erlebte, hat er ganze Tage damit verbracht, mit den Sirenen auf den Felsen oder in ausgetrockneten Wasserlachen umherzuliegen, zu schlafen und zu träumen. Aber obwohl er damals eines beinahe vollkommenen Glückes genoß, weiß er doch nur wenig davon zu erzählen und tut es nur ungern und zögernd – sei es nur, weil, obwohl sein Herz durchaus befriedigt war, sein Leben doch völlig tatenlos verstrich, sei es, daß er Geheimnisse hat, gewisse Dinge erlebte, von denen er nicht reden mag – aus Scham – oder vielleicht auch aus Furcht, daß man seinen Worten keinen Glauben schenken möchte. Möglicherweise ist er auch von einem eifersüchtigen Mißtrauen erfüllt – er will nicht den Ort verraten, wo er die Sirenen gesehen, damit kein andrer ihn erfahren und aufsuchen könne. Ich werde versuchen, seine Erzählung möglichst genau und mit seinen eigenen Worten wiederzugeben. Schade nur, daß ich nicht auch ein Bild dieses Mannes zeigen kann; er hat seltsam klare, unergründlich tiefe und in feuchtem Glanz schimmernde Augen. – Augen, die an das Meer erinnern, auf dem er zu Hause war.

Er erzählte:

Sie wissen nicht, was es bedeutet, Leuchtturmwächter auf der Insel Farsan zu sein. Es gibt kaum ein tückischeres und gefährlicheres Wasser, wie das des Roten Meeres. Man sollte es für sehr tief halten, aber das ist ein Irrtum. Es gibt nur in der Mitte eine tiefe Fahrrinne, die für die Schiffe passierbar ist, und die ist ziemlich schmal. Alles andere ist mit Korallenriffen erfüllt oder mit erloschenen Vulkanen besetzt, die den Weg versperren und deren einziger Nutzen darin besteht, daß sie den Seeleuten als Merkzeichen dienen. Die großen Schiffe sind in fortwährender Gefahr, auf diese Riffe und Vulkane aufzurennen. Dem Schmetterling gleich, der dem Lichte zustrebt, läßt der Steuermann daher keinen Augenblick das Feuer des ihm den richtigen Weg weisenden Leuchtturmes außer Auge. So ziehen eins nach dem andern diese großen Schiffe ihre Bahn und ihre Zwillingspropeller drehn sich unablässig in dem von der Sonne erwärmten Wasser, darin es wimmelt von Lebewesen allerlei Art, von Quallen, Seesternen und Algen. Aber wenn der Morgen graut und die Spitze des das Ende dieser gefährlichen Durchfahrt verkündenden Felsens vor dem Auge des Steuermanns erscheint, oder auch wenn ihm in der Nacht der aus der Wüste kommende trockne, heiße Wind und die vom Lande her leuchtenden Feuer Kunde davon bringt, dann gibt er dem Steuerrade einen kleinen Ruck und das Schiff macht sich davon, so rasch wie nur möglich; es ist beinahe, als wolle es den Leuchtturm verhöhnen und ihm zurufen: »Du bist es? Nun ja, wir wissen es – aber jetzt, wo wir auf dem richtigen Wege sind, interessiert uns dein Anblick nun nicht weiter. Also: Lebewohl!« So undankbar sind diese großen Schiffe.

Es ist gewiß kein sehr lustiger Beruf, Wächter eines Leuchtturms zu sein. Selbst wenn man annehmen wollte, daß es in der Hölle Leuchttürme gibt und daß man die Ärmsten aller Verdammten zur Strafe ihrer Sünden als Wärter derselben einsetzen würde, so glaube ich nicht, daß sie schlimmer daran sein könnten, als wie die armen Teufel, denen die Ausgabe obliegt, die roten Feuer des Roten Meeres zu unterhalten. Einmal in jedem Monat kam ein Wasserschiff, um mir süßes Wasser und Vorräte zu bringen. Wenn dann die Matrosen zu mir auf meine Felsen kamen, war ich ganz außer mir, sprang umher und lachte wie ein Wilder:

»Menschen, Menschen! Wie seltsam sie aussehen, diese Menschen!«

Dann fuhren sie wieder fort und ich blieb mit meinem Gehilfen zurück; es war dies ein Danakil, ein ganz unfähiger, ungebildeter Mensch, der nicht drei Worte Englisch sprach.

Es wuchs auf meinem Felsen kein Grashalm, nicht einmal ein wenig Moos, es gab da nichts, nichts als verhärtete Asche und Bimsstein, der mit grünen und roten Lavaadern durchsetzt war. Der Schritt meiner Füße verursachte einen hohlen Klang auf dem ausgebrannten Boden, und dabei war dieser von Zeit zu Zeit so heiß, daß ich öfters zu dem Kommandanten des Wasserschiffes sagte: »Wenn nur nicht eines Tages der Vulkan wieder lebendig wird!« Der aber meinte: »Dummer Kerl, es ist ja doch nur die Sonne, die so glühend heiß auf diesen Felsboden scheint. Der Vulkan ist erloschen, ist längst ganz und vollständig erloschen.« Aber der Danakil gab mir dann ein Zeichen, die Unterhaltung abzubrechen: alle Danakile sind nämlich sehr abergläubisch und glauben, daß es die Ereignisse herbeizieht, wenn man von ihnen redet; auch er hatte große Furcht vor einem Ausbruch des Vulkans.

Eines Abends – kurz nachdem das Wasserschiff uns verlassen hatte – war es mir plötzlich, als ob ganz unerwarteterweise die Luft von einem seltsamen, mir jedoch wohlbekannten Dufte erfüllt sei, es war jener durchdringende Chlorgeruch, der den großen Waschanstalten eigentümlich ist. Mir war, als sähe ich vor mir die hohen, mit Linnen gefüllten Waschfässer und die über das weiße Seifenwasser geneigten Frauen, deren mit Schweiß bedeckten Brüste aus dem offenen Mieder hervorleuchteten und die emsig das Waschholz schwangen. Ich hing dieser Halluzination nach und sie machte mir Vergnügen. Der Danakil jedoch, der bei dem Wachtfeuer die Wache hielt, kam plötzlich auf mich zu und erfaßte meine Hand mit dem Ausdruck höchsten Schreckens. Ich öffnete das kleine Fenster meines Zimmers, aber nur, um sofort zurückzutaumeln, da von draußen ein ganz überwältigender Chlorgeruch hereindrang. Die ganze Insel rauchte. Aus allen Ritzen und Öffnungen des Felsens strömten zu Hunderten diese verpesteten Dampfsäulen empor. Sie glitten hervor aus dem Innern der Erde, bald dünn wie das Rauchwölkchen einer brennenden Zigarette, bald wie der dicke, dem Schlote eines Schiffes entsteigende Qualm. Ich eilte die Treppe hinab, völlig nackt und lief auf eine dieser Rauchsäulen zu, der die tödlichen Dämpfe entstiegen. Aber der Danakil hielt mich zurück, schüttelte den Kopf und sagte:

»Das Wasser! Das kochende Wasser! Es wird alles verschlingen!«

Ich setzte meinen Fuß auf den Boden und zog ihn schnell wieder zurück. Das kleine Inselchen, auf dem der Leuchtturm stand, barst unter der Gewalt des Ausbruches der unterirdischen, kochenden Quellen, die giftige Dünste ausspien. Es zerging wie ein in Wasser fallendes Stück Zucker, es löste sich auf in Schlamm, in stinkenden Schmutz, in Felsbrocken, die von den zusammenbrechenden Abhängen herabrollten, in mit giftigen Gasen gefüllte Blasen, die explodierten. Dann begann der Leuchtturm zu schwanken, einem Baume gleich, dessen Stamm die Axt durchhauen hat, und er brach zusammen, wie ein zerknicktes Schwefelholz.

»In das Meer, so schnell wie möglich ins Meer!« rief ich dem Danikil zu.

Ich verbrannte meine Füße in dem alles überschwemmenden glühenden Schlamm und ich fühlte die Verletzungen der Flammen auf meiner Haut. – Aber es waren schwarze Flammen, ich erinnere mich nicht, in dieser Schreckensnacht auch nur einen Funken gesehen zu haben.

Aber es gelang mir doch endlich, das Meer zu erreichen, das gastliche Meer, dessen ruhige Frische und köstlich belebende Wellen mich mütterlich empfingen und auf ihrem Rücken davontrugen. Der Danakil? Ich habe ihn niemals wiedergesehen.

Es war, als ich – ich weiß nicht nach wie langer Zeit – endlich meine Besinnung wieder erlangte, daß ich zuerst die Sirenen sah. Ich befand mich auf einem andern, viel südlicher gelegenen Inselchen, auf das sie mich zweifellos gebracht hatten, als sie mich bewußtlos auf den Wogen treibend aufgefunden hatten. Ich ruhte mit dem Kopfe auf einem von Seetang hergerichteten Kissen und ich erinnere mich, daß ich mich anfänglich vor diesen sich um mich bewegenden übernatürlich großen, bräunlich und wassertriefenden Gestalten fürchtete. Ich hielt sie für Seelöwen oder Seekühe und glaubte, daß ich durch Zufall auf einen von ihnen bewohnten Strand geraten sei. Aber als ich den Arm ausstreckte, bemerkte ich, daß bei dem leichten, durch meine Bewegung verursachten Geräusche sich ein von sehr langem, tiefschwarzem Haar umrahmtes menschliches Antlitz über mich neigte, dessen Augen einen wunderbar schmachtenden und zärtlichen Ausdruck hatten. Es waren Augen, die liebevoller auf mir ruhten, wie es je zuvor die Augen einer Frau getan. Und diese Augen sprachen zu mir. Ich muß bemerken, daß, solange ich bei den Sirenen lebte, ich immer verstanden habe, was in ihrem Innern vorging, und zwar nicht allein durch den sprechenden Ausdruck ihres Blickes, sondern auch durch die Einwirkung einer geheimnisvollen, ihrem ganzen Körper entströmenden Ausdunstung. Auch sie verstanden mich, wenn auch weniger gut. Es kam dies wohl daher, weil ich logisch zu denken und Vernunftschlüsse zu ziehen gewohnt war, während sie keine Vernunft kennen, sondern nur in Gefühlen leben; freilich waren ihre Gefühle ebenso verschieden, so zart und fein nuanciert wie meine Logik! Ich nenne sie die »Sirenen«, wie man auch »die Schwalben, die Möwen, die Gazellen« sagt. Indessen gibt es Sirenen männlichen und weiblichen Geschlechtes und sie sind fortpflanzungsfähig. Die erste Sirene, die ich gesehen, war weiblichen Geschlechtes. Als ich wieder zum Leben erwachte, dachte ich, immer noch in halbem Delirium: »Ich lebe, ich lebe! Wird man mir ein Leid antun, nun, da ich kaum zum Leben erwacht bin?« Und ich verstand sofort, daß dieses Wesen, das sich über mich neigte – ein Tier, eine Fee, eine eigentümliche Abart des Menschen – mir ohne Worte Antwort auf meine Frage gab: »Du brauchst dich nicht zu ängstigen, bei uns bist du sicher.« Ich fühlte ihren Atem aus meiner Stirn und empfand die kosende Berührung ihres seidenweichen Frauenbusens, der sich an meine Brust lehnte. Erst später entdeckte ich, daß meine Freundin nur Armstümpfe hatte, die in Flossen endeten und daß zwei ähnlich gebildete Stümpfe die Stelle der Beine vertraten. Sie fühlte sich nur dann vollkommen glücklich und ihrer Kraft bewußt, wenn sie sich in ihrem Elemente, dem Wasser, tummeln konnte. Sie schwamm und plätscherte ausgelassen darin umher mit der Fröhlichkeit eines jungen Füllens, das sich auf der Weide austobt.

Ich glaube, daß die Sirenen sich noch viel mehr über mich wunderten, wie ich mich über sie. Mein Widerwille, mich von rohen Fischen zu nähren, die sie für mich herbeischleppten, während ich keinen Einspruch gegen Austern und andere Muscheltiere erhob, deren Fleisch doch ebenso roh wie das der Fische ist, erschien ihnen lächerlich. Ebenso konnten sie einfach nicht verstehen, daß ich mich weigerte, Meerwasser zu trinken. Aber sie führten mich zu einer unter den Felsenklippen entspringenden Quelle, und als ich mir dort mit der hohlen Hand Wasser schöpfte, um meinen Durst zu stillen, erregte diese Art des Trinkens ihre höchste Bewunderung – überhaupt wurden sie nicht müde, meine Hände zu bewundern. Ich machte ihnen Halsketten von Muscheln, von Korallen und Perlmuttern, und Kränze von Meertang, die gelb wie Gold aussahen. Und die Sirenenmännchen, die außerordentlich groß und kräftig waren, die einen Schnurrbart und ein kriegerisches Aussehen hatten und oft genug mit Narben bedeckt waren, trugen diese Schmuckgegenstände mit demselben Stolz wie die Sirenenweibchen. Manchmal wenn sie alle geschmückt waren, arrangierten sie mir zu Ehren einen Ball. Ach, es war ein unvergeßlich phantastischer Anblick, den diese sich in den grünen Wogen wiegenden seltsam schönen Geschöpfe dem Auge boten! Ihr glattes schwarzes Haar hing bis tief auf den kräftigen Rücken herab, und der Busen der Sirenenweibchen erbebte in wollüstigem Schauder, wenn sie mich in ihren Armen trugen, um mit mir den wilden Reigen zu schlingen. Denn sie zogen mich hinein in den Wirbel ihres tollen Tanzes. Anfangs hatte ich Angst, ich schrie, aber sie hielten mich fest und wiegten mich in ihren Armen, sorgsam wie eine Mutter ihr Kind, so daß ich mich bald ganz sicher fühlte und mich einem schwindelnden Glücksgefühl hingab.

Eines Abends sangen sie.

Ich hatte bis dahin ihre Stimme noch nicht vernommen, wir hatten uns nur in jener stummen Sprache der Augen unterhalten, deren ich schon Erwähnung getan. Auch jetzt war ihr Gesang ein Lied ohne Worte, aber es sagte mehr als menschliche Laute je ausdrücken können. Ich verstand den Sinn ihres Klageliedes so gut, als ob ich den geschriebenen Text von einem Papier abläse. In getragenen, hellen, weit über das Meer ziehenden Tönen erklang das Klagelied der Sirenenweibchen, das von den Männchen mit feierlich tiefen Baßnoten begleitet wurde. Sie sangen von dem ehrwürdigen Alter des Geschlechtes der Sirenen und von seinem Verfall. Denn das Geschlecht der Sirenen gehört zu den ältesten aller Lebewesen. In jener dunkeln Urzeit, da das Meer den ganzen Erdball bedeckte, da hat die Natur den ersten Versuch gemacht, aus der Wasserflut des Ozeans heraus ein Wesen zu schaffen, das aufgehört hatte, ganz Tier zu sein, dessen Organismus beides, Gehirn und Herz, besaß. Dann ist das Festland aus den Fluten emporgestiegen und hat die Wogen des Meeres zurückgedrängt und allmählich hat die Natur diesen ersten Versuch, ein menschenähnliches in dem Meere lebendes Geschlecht zu bilden, völlig vergessen. Die Sirenen blieben in dem feuchten Elemente unvollkommene Lebewesen, die sich im Laufe der Jahrhunderte nicht weiter, sondern vielleicht sogar zurückentwickelten. Und die Sirenen sind sich ihres Verfalles vollkommen bewußt, es erfüllt sie mit namenloser Trauer. Wir Menschen leiden ewig darunter, nicht ganz Gott ähnlich zu sein, die Sirenen aber leiden schmerzlich, weil sie den Menschen zwar ähnlich sind, aber doch keine menschliche Intelligenz, keine vollkommen menschliche Gestalt besitzen können.

Die Sirenen schienen bestimmt, Königinnen des Meeres zu werden, dort zu herrschen, so wie die Menschen über Felder, Wälder und Berge herrschen. Aber die Natur hat es vergessen, sie zu vervollkommnen und die Haifische werden bald die letzten der Sirenen aufgefressen haben. In früheren Zeiten, so erzählt man sich, sind die Sirenen den Schiffen gefolgt, haben die Matrosen durch ihre Reize verlockt und sie dann herab in die Tiefe und in den nassen Tod gezogen. Zweifellos ist dies aus Eifersucht auf die größere Vollkommenheit der Menschen geschehen. Jetzt aber ist das Geschlecht der Sirenen im Aussterben begriffen. Es gibt nur noch wenige Stämme dieser seltsamen Geschöpfe, und zwar im Roten Meere und an der andern Seite der Erde im malaiischen Archipel. Weit davon entfernt, mich ertränken zu wollen, haben meine Sirenen mir das Leben gerettet, nur um die melancholische Freude zu genießen, einmal einen Menschen ganz in der Nähe zu sehen, ein Exemplar jener bevorzugten Art, der der Zufall oder vielmehr das geheimnisvolle Walten einer höheren Macht die Herrschaft über die Erde verlieh, während dieselbe Macht die Demütigung und den Untergang der Sirenen unabwendlich beschlossen hat.

Die Sirenen sind sich ihres fatalen Geschickes vollständig bewußt, aber sie haben darum sich doch ihre große Sanftmut und Güte und selbst ihre Kraft zu bewahren gewußt, sobald es gilt, gegen die Ungeheuer der Tiefe zu kämpfen. Dazu ist ihnen verliehen, wie ein Trost für ein so herbes Los, tiefer wie die Menschen die Schönheit der Natur zu genießen und in sich aufzunehmen, die Schönheit des Himmels, der Luft und des Wassers, die Schönheit der geheimnisvollen Rhythmen des in ihren Adern auf und ab steigenden Blutes. In allem andern aber sind sie Tiere.

Ich muß jetzt noch einen besonders eigentümlichen Umstand erwähnen. Da sie eben Tiere sind, leben Männchen und Weibchen außerhalb der Brunstzeit vollständig keusch miteinander, wie die Kinder. Sie paaren sich zwar, verkehren aber wie Geschwister zusammen, je zwei und zwei spielen und fischen miteinander oder tauchen auch hinab in die köstlichen Gärten des Meeres, um sich an der Pracht der Muscheln, der Korallen und der zwischendurch gleitenden leuchtenden Fische zu erfreuen. Meine Freundin hatte mich zu ihrem Gefährten erwählt, und wenn sie mich über die Wogen dahinführte, während meine Arme ihre Schultern umschlangen, dann genoß ich eines Glückes, das so rein und vollkommen war, wie ich es nie vorher bei einer Frau genossen hatte. Ihr ganzer Körper bebte unter der Berührung meiner Hand, aber wenn ich mehr von ihr verlangte, verstand sie mich nicht. Ich vertröstete mich damit, daß sich das ändern würde, sobald die Zeit der Liebe gekommen sein würde. Ich sagte mir:

»Dann wird sie mich lieben, wie man auf der Erde liebt.«

Ich irrte mich. Als die Brunstzeit endlich kam, trennten sich die bisher so eng verbundenen Paare. Ich denke nicht gern an jene Tage zurück, mir graut davor. Mir graut davor, weil ich damals viel gelitten habe. Denn die von der Liebessehnsucht ergriffenen Sirenenweibchen waren nur noch Tiere, die Männchen aber waren toll gewordene Bestien. Sie wählten nicht mehr. Jede gehörte allen, alle jedem an. Ich sah, wie sie in den schäumenden Wogen aufeinander losstürmten, um sich in wilder, geiler Lust zu umarmen. Ich sah, wie die scharfen, gekrümmten Zähne der Männchen – niemals derselben Männchen – sich in den Nacken meiner Freundin eingruben, sah ihre Augen, ihre braunen, sanften Augen, deren liebkosender zärtlicher Blick mir so teuer war; sie bemerkte mich nicht einmal. Ich existierte nicht mehr für sie.

Als endlich diese schreckliche Brunstzeit vorüberging und die aufgeregten Sirenen sich allmählich beruhigten, schwamm sie mir entgegen. Ihre Augen sagten: »Was hast du?« »Weiche von mir«, antwortete ich. Sie schien völlig fassungslos zu sein, und mit ihrem ganzen Körper, mit all ihren erstaunten Sinnen fragte sie mich um die Ursache meines Hasses. Sie erklärte mir, daß es ihr einfach Bedürfnis sei, zu gewissen Zeiten mit all diesen Männchen zu verkehren, sie bedürfe eben aller. Den einen wegen seiner Kraft, den andern wegen seiner Klugheit und die jungen, die ganz jungen, ihrer Frische und ihres Mutes wegen. Und das muß auch wirklich wohl so gewesen sein. Ich aber verbarg mich trauernd zwischen den Felsen.

»Ach,« sagte sie endlich weinend, »du bist eben ein Mensch und ich bin eine Sirene! Du wolltest mich ganz besitzen, während ich keinem ganz angehören kann. Du beanspruchst mich für dich allein, während ich nicht mir angehöre, sondern dem Gott meines Geschlechtes Gehorsam schulde. Wir haben Unrecht getan, daß wir dich bei uns behalten haben … Oh, mein Freund, nur einmal noch lege deine Hand auf meine Schulter.«

Ich gehorchte und nun durchschnitten wir das Meer viel schneller, als dies je vorher geschehen. Wir schwammen eine ganze Nacht und einen halben Tag und erreichten endlich ein flaches Ufer, über dem sich ein steiler, von Adlern umkreister Berg erhob.

»Hier« sagte sie« »wirst du Menschen finden, die dir gleich sind und Frauen, so wie du sie dir wünschest. Lebe wohl!«

Aber ehe sie mich ganz und für immer verlassen, habe ich dennoch kennengelernt, was die Liebe einer Sirene bedeutet. Der Sand ward heiß unter unsern Körpern und die Farbe des Himmels spiegelte sich in ihren Augen. Immer noch spüre ich den salzigen Geschmack ihres Mundes auf meinen Lippen und ich werde ihn nie verlieren. Wer weiß, vielleicht wird sie eines Tages zu mir zurückkehren! Oder ich werde zu ihr gehen …

Das ist das Abenteuer des Elias Whitney, der, wie ich schon erzählte, jetzt Kaffeegeschäfte mit den Karawanen macht.


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