Koloman Mikszáth
Der Zauberkaftan
Koloman Mikszáth

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Achtes Kapitel.

Max Lestyák war Herr über Leben und Tod, und damit sein Ansehen noch wachse, sandte ihm der König den Adel mit dem Prädikate »Von Kecskemét«. Ein Ritter mit einem Kaftan bekleidet, stand auf dem Wappen in silbernem Felde. In der anderen Hälfte des Schildes war auf drei goldenen Kissen ein sich bäumender Fuchs. (Se. Majestät hat dies gut ausgedacht.) Nur noch eines fehlte zur vollen Glückseligkeit: die Hochzeit mit Czinna.

Und auch dieser stand nichts mehr im Wege. Der alte Lestyák hatte sich mit dem Gedanken schon lange befreundet, das kleine Ding wußte ihm alles zu Gefallen zu thun, und wenn sie ihm das Kinn kraute, glaubte er sich ins Himmelreich versetzt. Sie wurde aber auch immer schöner, sie bekam runde Formen und ihr Gesicht war wie der Pfirsich, dessen Blutfarbe selbst die zarte Hülle durchschlägt. Niemand kam ihr gleich in Kumanien. Sie wurde der Liebling, die Vertraute des Alten, er nannte sie »Tochter«, »Schwiegertochter« und redete nun selbst seinem Sohn zu, sich zu beeilen, da er bei Gott sie sonst selbst heirate. Max tobte vor Ungeduld, wenn das kleinste Hindernis sich offenbarte; wenn aber kein Hindernis war, nahm er die Sache leicht.

Der erste Termin war für den Tag angesetzt, wo er den Ferman des Ofner Pascha erwirkt, denn ohne diesen geht es denn doch nicht, obgleich der Vogel auch dann sein Haus baut, wenn er auch befürchtet, daß grausame Hände es zerstören. Der Ferman kam selbst: er war auf die Sohlen Putnokis geschrieben. Es ist gewiß, daß der Pascha das Mädchen wohl nie mehr behelligt.

»Nun könnt Ihr schon Hochzeit halten!« redete ihnen der Alte zu.

»Warten wir noch, bis das Haar der Czinna wieder gewachsen ist,« antwortete Max. »Auf kurzen Haaren würde sich der Kranz übel ausnehmen.«

Im Laufe eines Jahres wuchs ihr auch das Haar und wie herrlich! Eines Abends löste sie es während des süßen Geflüsters los, denn jetzt trug sie es wie die Damen als Kranz um ihren Kopf gewunden und band die beiden Hände ihres Max mit zwei dicken Flechten fest, wie man die der Häftlinge zu binden pflegt.

»Ein gefesselter Oberrichter,« lachte sie mutwillig.

Max verstand den Wink.

»Wahrlich, die Zeit der Hochzeit wäre schon da, ich erwarte sie schon lange, aber wenn wir uns die Sache überlegen, schadet es nichts, wenn du noch etwas lernst, ich aber will noch vorerst so viel verdienen, um die Frau eines Oberrichters ernähren zu können.«

Der Oberrichter nämlich ließ den hochgelehrten Herrn Molitoriß zum Unterricht der Czinna ins Haus kommen; kaum war aber ein halbes Jahr vergangen, so meinte der würdige Herr:

»Was ich wußte, weiß sie schon.«

Max Lestyák hatte etwas Geld zusammengescharrt, jedoch gerade zu dieser Zeit kam der Adelsbrief. Das Glückskind fing an auf großem Fuß zu leben; die Adeligen der Umgebung schlossen Kameradschaft mit ihm, sie kamen zu ihm zu Besuch und er erwiderte denselben. Czinna vernachlässigte er. Ein Adeliger kann doch nicht immer girren, er macht sich ja lächerlich. Das elende Pergament hatte ihn wie umgewandelt, wie wenn sein Blut wirklich blaublütiger geworden wäre, wurde er noch launenhafter.

Man sprach allüberall, daß er eine Beniczky heiraten solle, dann würde aus ihm ein Obergespan gemacht werden in irgend einem Komitate Emerich Tökölys, das noch in des Kaisers Händen ist. Doch dies alles ist nur Geklatsch! Die Kecskeméter fabrizieren denselben, seitdem ihr Oberrichter so groß wurde, daß Kecskemét neben ihm klein erscheint.

Ach, wie blutete das Herz Czinnas. Auf der kleinen Holzbank unter dem Birnbaum, wo sie an schönen Sommerabenden so oft flüsterten, wo Czinna so glücklich war, saß Max jetzt selten, oft blieb er Wochen hindurch in den Kastellen, und wenn er auch kam und ihr einige schöne Worte sagte, der Schluß war immer:

»Gieb nur auf deine Worte acht, Czinna, mein Täubchen, sprich nie von jenem Tage, du weißt ja, welchen ich meine, sage nie, daß du dort warst ... vor Olaj Beg, denn sonst bin ich verloren.«

Czinna war es, als wenn man ihr ein Messer ins Herz stieße. Es tauchte in ihr der Verdacht auf, daß sich Max vor ihr fürchte, aber sie nicht liebe; er kettet sie mit dem Brautring nur deswegen an sich, daß er sich ihres Schweigens versichere. Von Tag zu Tag wurde sie trauriger, die roten Rosen verschwanden vom Gesichte, in den Augen fehlte der entzückende Glanz, eine sanfte Melancholie war an seine Stelle getreten.

Schön war sie trotzdem. Der alte Lestyák erschrak; er glaubte, daß sie krank sei, er hatte auch den Grund ihrer Krankheit herausgefunden.

»Kränke dich nicht, trauere nicht, meine kleine Resedablüte. Er liebt dich und glaube mir, wenn ich es sage, er möchte dich auch schon morgen zum Traualtare führen, wenn er nur Geld hätte. Was er aber hat, verspielt er mit den Fáys und Beniczkys. Ich kenne ihn, den Max, er ist voller Dummheiten, aber sein Herz ist gut. Freilich könntet ihr auch bei mir leben, wenn auch ärmlich, du weißt aber, wie verrückt er ist, wenn er den Herrn spielen will; er ißt nicht einmal die Erdbeeren, wenn er sie nicht auf einem silbernen Teller bekommt. Und gerade jetzt leidet er an dieser Krankheit. Lassen wir ihn, bis er seinen Wappenfuchs satt bekommt. Entweder der Fuchs frißt ihn oder er den Fuchs. Im allgemeinen fressen diese Wappentiere sehr viel, meine liebe Czinna.«

Czinna seufzte bei solchen Reden; das schöne Wort war kein Balsam auf ihre Wunde.

»Seufze nicht, lächle doch ein wenig, wie ehedem. Wenn ich reden dürfte, könnte ich dir wohl etwas sagen, daß du Lust zum Tanzen bekämst.«

Geheimnisvoll zwinkerte er mit den Augen und murmelnd mahnte er sich: »Pst, laß deinem Mund nicht freien Lauf, Alter!«

Was dieses geheimnisvolle Ding sein mochte, konnte sich Czinna nicht recht vorstellen. Alles in allem war ihr bloß ein Umstand aufgefallen. Seit einigen Tagen kamen zwei Herren zu Lestyák; spät am Abend kamen sie, lange flüsterten sie mit einander, indem sie sich in die Hinterstube einsperrten, nie erwähnte aber der Alte, was sie wollten, sondern schweigend und zugeknöpft ging er unter den Seinigen herum.

Endlich eines Abends nahm er den Kopf Czinnas in die Hände und wühlte in ihrem dichten schwarzen Haar herum. Es war dies eine seiner Lieblingsbeschäftigungen.

»Freue dich, Czinnchen, freue dich! – Dein Tag ist gekommen, nun wird auch die Hochzeit stattfinden, ich lasse dir eine Ausstattung machen, daß die Fáyschen Fräulein grün vor Neid werden. Lache doch, Czinna, du hast ja so viel Geld, daß deine kleinen Kinder, wenn du welche haben wirst (du mußt deswegen nicht erröten, was schämst du dich meiner Enkelkinder) mit Goldstücken spielen werden.«

Der Alte nahm einen Haufen Gold aus seinen Taschen und ließ diesen vor Czinna funkeln.

»Woher nahmen Sie diesen großen Schatz?« fragte erstaunt das Mädchen.

»Was ist dies mit dem übrigen gemessen? Horch auf, mein Kind, ich will dir alles erzählen. Für dich thue ich dies, was ich thue, einerseits, weil ich weiß, daß Max dich ohne Geld nicht heiraten kann. Einerseits, sage ich, dann spielt auch meine Eitelkeit mit hinein. Ich will ein Kleid hinterlassen, daß die Schneider auch nach tausend Jahren erzählen sollen: >Es lebte ein Mann, Namens Mathias Lestyák, der machte dieses Kleidungsstück.<«

»Ich ahne nicht einmal, wovon die Rede ist.«

Der Alte fuhr flüsternd fort:

»Zwei fremde Herren kamen zu mir, du kanntest sie ja schon, ein kleiner Dicker und ein Goliath. Sie kamen in Vertretung einer Stadt, den Namen derselben verschwiegen sie auch vor mir. Ich fragte sie nicht, es ist mir ja gleichgiltig, welche es ist. Sie suchten mich, wie gesagt, auf und sagten: >Meister, Schneider der Schneider, unter allen Schneidern der größte! Wir suchten dich auf, um dich reich und unsterblich zu machen.< >Was wollt ihr?< >Nähe uns einen Kaftan, gleich jenem der Stadt Kecskemét, er soll aber dem anderen vollkommen ähnlich sein, wie zwei Eier oder zwei Weizenkörner einander gleichen; bist du dies im stande?<

>Meine Nadel näht alles,< antwortete ich, >was mein Auge erblickt.<«

Czinna zog sich fröstelnd zum alten Schneider hin ...

»Und worin kamen Sie überein?«

»Wir wurden handeleins. Nach vielem Hin- und Widerreden bestimmten wir, daß sie fünftausend Goldstücke zahlen, fünfhundert gaben sie mir im voraus, alles wird dir gehören, mein Kind.«

»Können Sie ihn aber auch so nähen?«

»Ich?« Und seine Augen flammten. »Geh' du Närrin! Wofür hältst du mich denn? Es wird eine Prachtarbeit sein, wenn ich es dir sage.«

»Wird aber kein Unglück geschehen?« fragte das Mädchen furchtsam.

Der Alte lachte.

»Was könnte denn passieren? Die andere Stadt wird nun auch einen Kaftan haben, dies ist das Ganze. Und dann, daß der Türke, der jetzt vielleicht zweihundert Städte plündert, gezwungen sein wird, sich mit hundertneunundneunzig zu begnügen. Hungers wird er deswegen nicht sterben.«

»Richtig, richtig,« meinte Czinna zerstreut.

»Du, mein Kind, giebst mir den Schlüssel und davon braucht niemand etwas zu wissen: ich will mir dann den Kaftan besehen, ihn genau prüfen und studieren; alsdann fertige ich rasch wie der Wind ein getreues Ebenbild desselben an und nachher soll es eine Hochzeit geben, wie sie wohl noch nicht erlebt wurde. Hei, wie sollen deine zarten Füßchen im Brautreigen hüpfen.«

Solchermaßen wurde alles aufs Genaueste ausgeklügelt: was für ein Brautkleid es geben, wie der Kranz und das Schuhwerk beschaffen sein werden, wie sie dem Max viertausend von den fünftausend Dukaten geben wollen: »Da, nimm, und wirf deinem Weibe nicht vor, daß es dir nichts mitgebracht habe.« Daraufhin werde er fragen: »Wo habt ihr das her?« Sie aber werden antworten: »Wir haben es gefunden auf der löcherigen Brücke.« Und zuletzt, da wollen sie ein Erbschaftsmärchen ersinnen und damit bricht eine Zeit ewiger Glückseligkeit für alle an.

Czinna ward heiter, lachte, klatschte sogar in die Händchen, so unbändig gefiel ihr das Zukunftsbild, das ihr von Lestyák vorgegaukelt worden. Andern Tags erschloß sich dem alten Schneider dank dem Schlüssel Czinnas der Eisenschrank im Stadthause: er besichtigte nochmals genau den Kaftan und ging sodann nach Szegedin, um bei den vornehmen türkischen Kaufherren, die dort lebten, alles Zubehör, so den feinen dunkelgrünen Sammet, die Schnüre und den Bärenpelz für das Futter einzukaufen. Und so wie das alles gekauft war, ging er mit der Fieberhast des Schöpfungsdranges an sein Werk.

Das war aber keine geringe Aufgabe. Alle Abende holte er heimlich unter seinem Oberkleide den Kaftan, um diesen am Morgen auf die gleiche Weise an seinen Platz zurückzuschmuggeln. In die Stube des Oberrichters hatte er freien Zutritt; darum fiel es auch niemandem auf, daß er so oft kam und ging. Vielleicht hatte ihn der Oberrichter nach etwas gesandt?

Vom Abend bis zum frühen Morgen arbeitete er, eingeschlossen in seiner hintersten Stube, mit der Inspiration und der Leidenschaft eines Künstlers. Zuweilen erweckte er Czinna aus ihrem nächtigen Schlafe, um ihr die einzelnen Stücke zu zeigen, die allmählich die Formen des herrlichen Originals anzunehmen begannen. Seine Augen flammten, seine Stirn glühte, seine Nüstern bebten und die Stimme zitterte vor freudigem Hochmut:

»Schau, hier diese Ärmel, den Kragen, schau!«

Und erst als nach vierzehn Tagen die Kaftankopie bis zum letzten Stiche fertig ward, da füllte sich ihm das Herz mit süßen Empfindungen:

»Kann es ein herrlicheres Werk auf der weiten Erde geben?«

Es war eben Nachtzeit. Die Hähne krähten. Der Schneider blickte zum Fenster hinaus. Für Mitternacht hatte er seine Leute hinbestellt und die lauerten jetzt in der Umgebung, bis er den Kaftan fertigstellen würde. Der Hofhund Bodri fing an, das Gekrähe mit seinem Gekläffe zu beantworten: Aha, der wittert Menschen. Und in der That, sie kamen. Der Schneider ließ sie ein.

»Blicket hin!«

Ein Ausruf der Bewunderung entrang sich ihren Lippen. Auf dem Bett lagen zwei goldige Kaftans ausgebreitet, und die waren einander so gleich, wie zwei Eier oder zwei Weizenkörner.

»Und was meint ihr dazu?« fragte der Meister.

Der Eine sprach:

»Fürwahr, du bist der Schneider aller Schneider, der größte Schneider aller Zeiten.«

Der Andere sprach nichts, sondern griff nach seinem großen Gürtel und goß einen Haufen Goldstücke mitten auf den Tisch.

»Es sind genau 4500 Stück. Zähle sie nach, Meister, so du mir nicht glauben willst.«

»Der Teufel mag's zählen! Nicht für Geld, sondern um des Ruhmes willen habe ich gearbeitet.«

»Welchen sollen wir mitnehmen?« fragte der Goliath, auf die beiden Kaftans weisend. »Welcher ist der unsere?«

Lestyák stand zaudernd am Bette. Er dachte bei sich:

»Soll ich ihnen m e i n Werk geben? Und es niemals, niemals wiedersehen? Sie entführen es dann, weiß Gott wohin, und nie wieder werde ich seine Schicksale erfahren. Und dann erfaßt mich eine quälende Sorge, was aus ihm geworden sei? Ich sehe den Türken nicht, der sich davor zur Erde beugt, vor meinem Werke, um es zu küssen, mein Werk! Nein, nein! Der Erfolg kann nicht ausbleiben. Das Werk ist vollkommen. Ich will es immerdar vor meinen Augen haben, mich berauschen an seiner Herrlichkeit!«

»Ei, warum bezeichnet Ihr uns nicht endlich den neuen?« polterte der Goliath ungeduldig.

»Und Ihr, warum steift Ihr Euch just auf den neuen?«

»Weil ich weiß, daß Ihr mir den bestimmt habt.«

Lestyák sprang verletzt auf.

»Nein, nein,« stammelte er heiser ... »Und justament sollt Ihr den alten wegtragen, den alten, den echten. Der neue ... der soll den Kecskemétern bleiben.«

Der Goliath nahm das Kleid und barg es hurtig unter seinem Mantel. Die Thür ging auf und fiel gleich wieder ins Schloß. Die beiden Gestalten entschwanden in der nächtigen Dunkelheit.

Der Alte ging zu Bette, aber kein erquickender Schlaf wollte über ihn kommen. Ihn quälten böse Traumgesichter. Die Dukaten, die er allesamt in einen Korb gefegt und unter das Bett gestellt hatte, fingen an auf dünnen Spinnenfüßen die Wand emporzuklettern: »Heda, ihr Spinnen, husch hinab vom Gemäuer!« Ein Goldstück sprang ihm auf die Brust und tanzte dort einen tollen Reigen. »Ei, na warte doch, dich soll ich bald haben.« Er haschte nach der Münze, doch es war unmöglich, sie zu fangen, obgleich ihre kalten Füße ihn stachen und ihn schaudern machten, als ob sie Stecknadeln mit Eisspitzen wären, daß ihm die Zähne zu klappern begannen.

Dann schien es ihm wieder, daß ein kichernder Satan das teuflische Gold ergreift, es in einem Kessel schmilzt und dann in sein Ohr gießt, die heiße Flüssigkeit durchläuft seine Adern und sprengt seine Schläfe. Und während sein Blut heftig kocht, rufen ihm entsetzliche Stimmen zu: »Lestyák, was hast du gethan, ach was hast du gethan!«

Er sprang auf, kleidete sich an, drückte seinen Kopf an die Fenstertafel und erwartete den Morgen. Er fühlte eine große Beklommenheit, traute es sich aber selbst nicht einzugestehen. Ah! Es ist ja alles in Ordnung. Die Sache ist sicher, ganz sicher. Er trug den Kaftan in die große Eisentruhe des Stadthauses, dann ging er in die Schlafkammer von Czinna, um ihr den Schlüssel zu übergeben, wobei er ihr ins Ohr flüsterte:

»Alles ist gut, mein Herz, dort unter dem Bette wiehern schon die Goldfüchse. Wir haben etwas, was wir vor den Hochzeitswagen spannen.«

Vergebens strengte er sich an, ruhig zu sein; sein verstörtes Gesicht widersprach dieser Ruhe. Er konnte nirgends seinen Platz finden.

Wie die betäubte Fliege taumelte er hin und her, bis er endlich bei seinem Sohn eintrat, wo er schon den Haiducken Pintyö mit einem Briefe vorfand.

Der Oberrichter sah sehr gut aus, sein Gesicht glänzte vor Lebenslust. Gerade jetzt war er mit dem Ankleiden fertig geworden.

Auch der Anzug war ganz anders, als ehedem, ganz für einen Edelmann passend; statt des Dolmans ein Attila mit geschlitzten Ärmeln, im Schlitz mit weichselroten Seideneinsätzen.

»Guten Morgen, mein Vater! Was giebt es Neues?«

»Ich wollte dich um etwas ersuchen.«

»Dem Kecskeméter Oberrichter befiehlt nur ein Mann in ganz Kecskemét.«

»Meinst du mich?«

»Sie haben es erraten. Nun, was befehlen Sie?«

»Eine Kleinigkeit, blos eine Laune. Wenn demnächst eine feindliche Truppe nach Kecskemét kommt, möchte ich derselben im Kaftan entgegengehen.«

»Ei Teufel! Kein schlechter Spaß. Er kommt auch mir gelegen, denn ich hätte heute ohnehin einen anderen senden müssen.«

»Ist etwas los?« frug der Schneider hastig.

»Eine Truppe des Großveziers Kara Mustafa lagert unweit seit Mitternacht. Sie gehen von Belgrad nach Kékkö und haben um Proviant hereingeschickt. Gerade ihren Brief brachte Pintyö.«

»Prächtig!« rief der Schneider begeistert aus. »Ich gehe ihnen entgegen.«

»Sehr gut. Pintyö, lassen Sie für meinen Vater ein Pferd satteln.«

»Welches? Den Büßke?«

»Der Ráró wird vielleicht besser sein, er ist frommer. Heute könnte ich nicht gehen, wir halten Gericht. Denken Sie, mein Vater, der Kläger ist niemand Geringerer als der Kalgaer Tartaren-Sultan. Einige Kecskeméter Burschen haben eine Schafherde weggetrieben und die vier Wache habenden Tartaren weidlich geprügelt. Einer von ihnen starb sogar.«

»Die verkehrte Welt!«

»Das Schönste an der Sache ist,« – fuhr der Oberrichter fort – »der Nimbus der Stadt Kecskemét zwingt den Kalgaer Sultan dazu, nach unseren Gesetzen das Recht zu beanspruchen, anstatt Genugthuung zu nehmen nach seiner Laune. Auch dies hat nur der Kaftan verursacht. Aber halt, beinahe hätte ich es vergessen, warten Sie nur, Pintyö. Vor allem gehen Sie auf den Marktplatz und holen Sie vier zu Richtern passende Personen, es können unter ihnen auch Türken sein, wenn es sich gerade so trifft.«

Es war der erste Markttag (denn seitdem der Kaftan da ist, hat Kecskemét auch seine Märkte zurückerlangt), der alte Pintyö guckte in die Hütten, lief den gutgekleideten Leuten nach und wenn er eine angesehene Person erwischen konnte, leierte er die Formel her:

»Im Namen des wohledlen Herrn Max Lestyák, Oberrichter der Stadt Kecskemét! Es sei Euch, mein guter Herr, die Ehre gegeben und möge es Euch nicht zu Lasten sein in unserem bescheidenen Gemeindehaus, um dort weise und gerecht Recht zu sprechen über unsere Völker. Ungehorsam zu sein, wäre nicht angeraten.«

Bald hatte er den gelehrten Paul Börcsök aus Szegedin, den geistvollen Franz Balogh aus Szentes engagiert, er fand den letzteren in der LaczikonyhaVolksküche. schon beim sechsten Glas. (Jedoch auch so wird er gut sein.) Dann zitierte er den Czegléder Lebzelter Stefan Torda und weil der Oberrichter auch von Türken sprach, nahm er den langbärtigen Mollah Cselebit aus Ofen mit, der Astrachen verkaufte und der jene Städte, wo man den Kadi mit Stricken fängt, in des Teufels Umarmung wünschte. So seinen Auftrag verrichtend, ging er in den Stall des Stadthauses, putzte, kämmte den Ráró, fütterte ihn mit etwas Hafer, dann legte er ihm den Sattel auf und ließ zu den Lestyáks hinübersagen, daß der alte Herr kommen möge.

Der alte Lestyák eilte mit leichten Schritten aufs Stadthaus, wo das Gericht schon versammelt war, der Oberrichter hatte noch zwei Senatoren hinzugesellt, den Gabriel Poroßnoki und Agoston Kristof, er selbst führte als Siebenter den Vorsitz. Als er seinen Vater erblickte, sandte er Pintyö mit dem Stadtsiegel zu Czinna um den Schlüssel, dann nahm er den Kaftan aus der Eisentruhe und zwei Senatoren halfen dem alten Herrn, ihn anzuziehen. Dies war die amtliche Zeremonie.

»Gehen Sie, Vater, in Gottes Namen.«

Draußen setzte dieser seine Füße in den Steigbügel, er warf sich in die Brust, den Kopf nach rückwärts lehnend, wie ein echter Ritter. Die fremden Marktgäste liefen neugierig hin, um den Vater des mächtigen Oberrichters zu sehen, auf dessen dünnem Körper der weltberühmte Mantel saß. Die Kecskeméter Bürger lüfteten lächelnd die Hüte, die Kinder schrieen:

»Vivat, Vivat, Lestyák bácsi!«Etwa »Onkel Lestyák!«

Einige flüsterten neidisch:

»Glücklicher Vater, glücklicher Mensch!«

Und wahrlich, jetzt war er glücklich. Mit ganzer Lunge atmete er die balsamische Luft ein. Der Ráró tanzte stolz unter ihm. Von den kleinen Gärten vor den Häusern lachten ihn die Jasmine und Lilien an, aus dem eigenen Fenster winkte ihm Czinna mit einem weißen Tuche. Seine Unruhe verschwand, er war weder müde, noch aufgeregt. Die Furcht des Soldaten vor der Schlacht weicht in der Schlacht. Und er war jetzt dort im Feuer, er glaubte den Ton der Trompeten zu hören: »Vorwärts, auf zum Triumph!«

Während nun seine Gestalt im Staube des Weges verschwand, saßen die Senatoren und der Oberrichter ruhig beisammen, hörten den Thatbestand von der Forttreibung der Schafherde an, so auch die langweiligen Vorträge der Zeugen und Kläger. Nicht selten mengte sich ein Gähnen der edlen Herren in das wüste Gespräch.

Daß vor der Stadt ein hungeriger Feind stand, alterierte die Herren wenig. Schneckenblut! Der Feind ist jetzt eine laufende Angelegenheit, wie etwa wenn man ein Marktweib zur Ordnung weisen muß. Hierzu bedarf es eines Mannes und eines Stockes, dazu eines Mannes und eines Kaftans.

Nur der Oberrichter bewegte sich unruhig in seinem Sessel, seitdem im Saal in Vertretung des Kalgaer Sultans Olaj Beg erschien, mit seinem Falkenblicke die Richter musternd, und frug, welcher von ihnen der berühmte Oberrichter Max Lestyák sei – worauf Agoston mit seinem Ellbogen zur Tischspitze wies ...

»Das ist nicht möglich,« murmelte Olaj Beg kopfschüttelnd.

»Und doch bin ich Max Lestyák,« meinte der Oberrichter mit tonloser Stimme.

Der große Beg murrte verdrießlich:

»Entweder flimmerte es vor meinen Augen, als wir vor dritthalb Jahren in meinem Lager zusammen trafen, oder es wurde der Kopf Euer Hochedlen seitdem vertauscht.«

»Ja, man wird älter, es ist alles umsonst.«

»Im übrigen habe ich Euch einen Brief gebracht. Den Brief hat der Kalgaer Sultan geschrieben, mit honigsüßer Feder:

›Mein lieber Sohn, tapferer Max Lestyák!

Bestrafe, ich bitte dich, die bösen Wölfe, denn wenn du kein abschreckendes Beispiel schaffst, so glaube mir, stehlen deine Leute mir noch den Turban vom Kopfe. Ich würde es gern sehen, wenn du mir einen Korb Köpfe senden würdest (die Räuber langen auch für zwei). Schon lange habe ich mich an abgeschnittenen Kecskeméter Köpfen nicht ergötzt. Meinen Abgesandten Olaj Beg, der Euch die nötigen Aufklärungen geben wird, haltet hoch in Ehren.

Ich bleibe dein mächtiger Herr und Freund, der

Krimer Vizekhan (Kalgaer Sultan)›.«

Lestyák überflog den Brief zerstreut, verwirrt, dann schob er ihn den Richtern hin, damit diese sehen sollen, wie heikel die Potentaten mit dem Kecskeméter Oberrichter umgehen.

Unterdessen bemerkte er, bis über die Ohren rot werdend, den forschenden Blick Olaj Begs, der immer auf ihm ruhte. Er saß auf Nadeln unter unangenehmen Gefühlen; hierzu gesellte sich die Stunden andauernde Flut der Geständnisse, der Dunst des Saales. Ein Schwindel überkam ihn und gerade wollte er den Vorsitz an Poroßnoki abgeben, als draußen ein Entsetzensschrei laut wurde und sich durch die Gassen wälzte, immer näher und näher kommend, die Fenster erschütternd.

Die Richter liefen entsetzt zum Fenster und taumelten totenbleich zurück. Der Ráró lief wild gegen das Stadthaus, auf ihm saß niedergebunden der alte Lestyák mit dem Kaftan – aber ohne Kopf. Aus dem Rumpfe tropfte das Blut. Das Pferd und der Kaftan waren mit Blut bedeckt.


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