Koloman Mikszáth
Der Zauberkaftan
Koloman Mikszáth

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Sechstes Kapitel.

Pintyö stellte die geladenen Böller auf dem Marktplatze auf; hier und dort wurden Transparente errichtet: »Willkommen!« »Vivat!« und dergleichen mehr. Der glänzend beredte Paul Fekete büffelte gerade an einer Rede, welche also begann: »Wer kennt nicht den Ruf des weisen und achtungswerten Seneca?« (Selbstverständlich kannte ihn jedermann, denn Herr Paul Fekete lebte von den Aussprüchen dieses achtungswerten und weisen Mannes.)

Die Zigeuner des Bürüs strichen die Fiedelbogen mit Kolophonium, kurz, es wurden große Vorbereitungen getroffen, und man hätte vielleicht sogar die großen Glocken geläutet, wenn Herr Poroßnoki nicht bei Czegléd, von seinem richtigen Verstande geleitet, Pali, den schmucken Csikós, auf ein Roß gesetzt und ihm aufgetragen hätte, daheim zu sagen, daß man keine Komödien inszenieren solle, da zur Lustigkeit keine Ursache vorhanden sei.

Der Herold rief große Verstimmung hervor, brummig und ärgerlich sah man gegen Abend aus den Fenstern und hinter den Zäunen den Einzug der Vorsteher mit an. Kein einziges »Eljen« war zu hören, nur die Hunde bellten hinter den Wagen her. Allein es war ja auch besser so, wozu die Schmach noch mästen, da sie ohnedies groß genug war!..

Noch am selben Abende erhielten die Ofner Ereignisse Flügel, man erfuhr, wie die Köröser Kecskemét, das heißt, wie Kecskemét sich selbst »abgekocht« hatte und wie ihnen der Sultan als Entgegnung auf die vielen kostbaren Geschenke und Schätze einen Kaftan hingeworfen.

Schmach und Schande!

Allein wie konnten sie den Mangel an Schamgefühl haben und den Kaftan auch nach Hause bringen? Am nächsten Tage sammelten sich große Mengen vor dem Stadthause; die angeseheneren Bürger gingen in den Saal hinauf, um hier aus amtlichem Munde das Ergebnis der Reise zu vernehmen. So war es nämlich Sitte nach jeder großen Expedition.

Das gewöhnlichere Volk, Weiber und Bursche spektakulirten draußen, schrieen und suchten in unmöglichen Tönen eine Melodie zu dem Verse, der soeben herrenlos auf den Lippen des Pöbels geboren worden war:

»Kecskemét, magst glücklich sein,
Kaisers Kaftan ist ja dein!«

Einige des Weges kommende Großköröser Fuhrleute steigerten noch die Gereiztheit. Tüchtig in ihre Pferde einhauend, schrieen sie der Menge höhnisch zu:

»Hält der Kaftan auch warm?«

Und fürwahr, er heizte den Senatoren dort oben tüchtig ein. Finster saßen sie in ihren Stühlen. Einige, so Herr Inokai, ganz weichherzig und verzagt, nur auf dem schönen Antlitze des Oberrichters leuchteten noch Mut und Trotz.

Poroßnoki malte die Ereignisse der Reise in einer schön komponierten Rede, und er begann mit dem Herrgott, der Kecskemét so häufig heimsucht, daß man ihn bereits als einen hier zuständigen Einwohner betrachten konnte. Sie waren in gutem Glauben vorgegangen (der Herrgott ist Zeuge!) und sie konnten nichts dafür, daß der Plan in Trümmer ging.

Was wahr ist, ist nun einmal wahr, die Auslagen waren ungeheuer, aber sie hatten gedacht: Wer wagt, gewinnt!

Anfangs hörte man fein ruhig zu und die hübsche Rede würde vielleicht gar den Magistrat gerettet haben, hätte nicht bei den Details, wo Poroßnoki mit großem Pathos sagte: »Und wir erschienen am Mittwoch vor Sr. Majestät dem türkischen Kaiser, der in königlichem Ornate da saß,« hätte, wie gesagt, hierbei Gáspár Permete nicht dazwischen gerufen: »Eine Pfeife hatte er nicht im Munde?«

Eine unbändige Heiterkeit malte sich auf allen Gesichtern und von da ab folgte ein ungewaschener Zwischenruf dem anderen. Die Autorität sank und kaum hatte der erste Funke im Stroh verfangen, als auch schon alles aufloderte.

»Sie haben das herrliche Geld dem Teufel in den Rachen geworfen! Kleider mit Karfunkelsteinen haben sie jenen Personen nähen lassen! Amtliche Gelegenheitsmacher! Eine Peitsche mit Edelsteinen haben Sie mitgenommen! Das Geld wurde hirnlos verschleudert. Sie haben uns zum Kinderspott gemacht! Ich komme gerade von draußen und da schreien die Köröser auf dem Platze: >Hält der Kaftan auch warm?< Eine solche Schmach unserer Stadt!... Darauf mögen Sie antworten!«

Der riesig gebaute Josef Berkes sprang auf und mit hervorquellenden Augen, brüllender Stimme und drohender Faust wütete er:

»Danken Sie ab! Packen Sie sich vom grünen Tische!«

Und unheildrohend, aus hundert Kehlen durchbrauste den Saal ein Schrei, welcher daherfuhr wie der Orkan durch Baumgeäste.

»Danken Sie ab!«

Die aufgeregten Bürger drängten sich in einem stets enger werdenden Ring um den grünen Tisch. Lestyák warf seinen Stuhl um, knöpfte von seiner Weste das Stadtsiegel los, welches dort an einer Kette hing und warf dasselbe mit der Kette zu Boden, so daß es bis in die äußerste Ecke des Saales kollerte.

»Da habt Ihr es! Ich brauch's nicht!« und er eilte zur Thür.

Allein Blasius Putnoki stellte sich ihm entgegen.

»Oho! Nicht so, Gevatter! Du bleibst. Ich klage dich vor Gott und Menschen an, daß du mit den Feinden der Stadt unter einer Decke gespielt, daß du die Schätze unserer heiligen Mutterkirche verkauft hast. Du bist der Gefangene der Stadt!«

»Auf wessen Anordnung?« fragte stolz und kalt Lestyák.

Putnoki war betroffen, wie wenn man ihm die Zunge abgeschnitten hätte, Lestyák hingegen entfernte sich, die Saalthür hinter sich zuschlagend. Der Reihe nach standen jetzt die anderen Senatoren auf, sich dem allgemeinen Willen unterwerfend. Sie legten ihr Amt nieder. In dem entstandenen Chaos brach sich Herr Josef Berkes Bahn bis zum Präsidentenstuhle.

»Ich beantrage, daß, bis nach reiflicher Überlegung ein neuer Beamtenkörper gewählt wird, die Angelegenheiten der Stadt eine aus drei Mitgliedern bestehende Kommission führe. Ein katholischer, ein kalvinischer und ein lutheranischer Mitbürger.«

»So ist's!« schrie die Menge.

Sofort rief man alle drei aus, die Herren Samuel Holeczy, Balázs Putnoki und Josef Berkes. Das Triumvirat ging, als sich die Menge zerstreute, in das benachbarte Zimmer, um zu beraten und sein erster Beschluß war die Gefangennahme des jungen Lestyák.

Der alte Lestyák weinte und schrie, als man den Stolz seines Herzens, seinen Max ins Gefängnis führte. Zuerst griff er zum Bügeleisen und wollte die Haiducken totschlagen. Als man ihm das Bügeleisen aus der Hand riß, brachte er aus der Bibel geeignete Sätze zur Anwendung, welche er wie Donnerkeile an die Köpfe Gyuri Pintyös und Pista Muskas warf.

»Man muß die Sache nicht so arg aufnehmen, lieber Vater,« sagte ein wenig zornig der Ex-Oberrichter, »auch das dauert nicht ewig.«

»Sie werden das noch bitter bereuen!« rief der Alte, seine Fäuste wie ein Theaterheld ballend. »Wehe dir, Kecskemét, wie Sodom und Gomora wehe ward.«

»Uns kann das Glück noch lächeln,« tröstete Max.

»Glück?« Und der Alte begann wieder zu schluchzen, wie ein altes Weib. »Auch das Glück ist eine Göttin, ein Weib wie die anderen. Sie läuft immer neuen Männern nach. Mit dem sie einmal ein Liebesverhältnis hatte und ihn verließ, zu dem kehrt sie nicht wieder zurück.«

Dann erfaßte er wieder verzweiflungsvoll mit den Bewegungen eines Wahnsinnigen die Scheere und begann einen neuen Dolman, den er eben fertig gestellt hatte, in Stücke zu zerschneiden, indem er heiser röchelte:

»Verdirb, Hund! Die Welt soll ein Ende haben.«

Die Welt nahm zwar kein Ende, nur der Dolman und auch den armen Max schleppte man in den dumpfen Kerker des Stadthauses. Er lief ihm nach, aber bei der Thoreinfahrt wankten seine alten Beine und er konnte erst an der Thürschwelle rufen:

»Fürchte nichts, lieber Sohn, ich werde dich von dort erlösen, deine Freiheit erringen.«

Nun, fürwahr, das war auch damals keine große Sache! Man ging einfach zum Ofner Pascha, einen kleinen Befehl zu erwirken, daß man ihn sofort frei lasse. Wenn das Herz des Ofner Pascha nicht zu erweichen war, ging man zum Szolnoker Pascha, auch dessen Befehl ist giltig. Nehmen wir an, daß der Szolnoker Pascha gleichfalls in schlechter Laune war, dann ist es ratsam, den Kalgaer Sultan aufzusuchen, oder nach Fülek zum Vicegespan zu wandern, ja im schlimmsten Falle kann auch Herr Csuda die Freilassung anordnen, wenn es nicht das Einfachste ist, sich an den hochgebornen Herrn Stefan Koháry nach Szécsény zu wenden. Alle diese wohledlen Herrschaften befehlen in Kecskemét.

Gerade kam ein Wanderbursche zur rechten Zeit, der sich anbot, er war ein hübscher, Vertrauen erweckender Bursche.

Jetzt kann Herr Lestyák zuversichtlich seine Reisetasche umhängen und die obige Namensliste dazu, der Bursche hingegen giebt auf das Haus acht, übernimmt die Bestellungen und hält die ungeduldigen Kundschaften mit Worten hin, die Magd Erzsike hingegen kocht für ihn und sucht ihn auszuforschen.

»Aber dann mein Sohn Laczi? – nicht wahr du heißt Laczi? – treibe keinen Mutwillen mit dem Mädchen, ich warne dich, denn das ist mein Patenkind.«

So ging der Alte fort und blieb lange aus, erst im späten Winter kehrte er zurück.

Das Bein der heurigen Martinsgans weissagte einen strengen Winter und es war in der That so. Die kämpfenden Parteien standen viel Elend aus. Von den Kriegern des Herrn Thököly erfroren hundert bis zu Weihnachten. Wegen des vorjährigen schlechten Jahres waren auch die Lebensmittel knapp, die Soldaten froren nicht nur, sondern hungerten auch dabei, kein Wunder, daß ihr Auftreten zuweilen grausam war.

An jenem Abend, an welchem der alte Lestyák mit dem Ferman des Ofner Pascha nach Hause kam, zog mit ihm zugleich ein Trupp des übel beleumundeten Kalgaer Sultans vor die Stadt, unter der Führung Olaj Begs, mit sehr vielen in Sklavenketten geschlagenen Frauen und Männern und er sandte mit einem Reiter den Befehl an das Triumvirat:

»Ungläubige Hunde! Wenn ihr morgen Vormittag nicht acht Wagen Brot, vierzig Ochsen, zwanzig Wagen Holz und viertausendfünfhundert Gulden schickt, werde ich sie nachmittags selbst mit meinen Soldaten holen und von den Köpfen der Kecskeméter Regierung zwei abschneiden, denn ein Richter hat an einem Kopfe genug. Versteht mich gut!«

Im Stadthause entstand großer Schrecken. Die Haiducken liefen in voller Eile von Haus zu Haus, daß man dem mächtigen Olaj Beg Brot backe, daß man Holz zusammenscharre, aber am schwersten war es, das Geld herbeizuschaffen, denn die Lade der Stadt stand leer. Einen solchen Aderlaß erträgt man jetzt nicht.

Mit verstörten Gesichtern fand sie Michael Lestyák, als er mit Unterwürfigkeit hereinhumpelte.

»Nun, was wollen Sie?« frug Putnoki rauh ...

»Ich kam wegen des Sohnes, mein großer guter Herr.«

»Wegen des Sohnes?«

»Nun wegen meines Sohnes. Ich werde den Armen nach Hause bringen.«

»Wenn wir ihn freilassen.«

»Freilich, freilich,« sagte der Alte stolz, und breitete vor Herrn Putnoki den Brief Ibrahim Paschas aus. »Übrigens wie Euer Gnaden wollen.«

Der Triumvir gab klein bei, als er den Brief des Pascha überflogen hatte; er griff sich sogar an den Hals vor Schrecken, denn der gute Ofner Ibrahim klopfte aus seinem Schreibrohr niemals die Tinte aus, ohne eine kleine Gemütlichkeit in die ernsten Zeilen zu mischen. Auch jetzt standen dort die wenigen Worte: »Ich sehe, daß Euer Hals Euch stark juckt.«

»Das ist etwas anderes,« sagte der Triumvir sich duckend. »Wir gehorchen dem Befehle. Jetzt aber ist es schon spät Abend, auch ist der Kerkermeister nicht hier. Wir werden unseren Bruder morgen früh schon herauslassen.«

Der Schneider ging nach Hause, aber die Morgendämmerung fand ihn schon vor dem Thore des Stadthauses. Es war ein häßliches Wetter, ein großer Nebel ballte sich zusammen und auch der Schnee fiel still herab. Die Stadtherren kamen früh genug herein, besonders Putnoki, der über Nacht einen guten Gedanken gefaßt hatte und sich beeilte, ihn seinen Kollegen mitzuteilen.

»Es wird nicht gut sein, wenn Lestyák auf freien Fuß gesetzt wird. Sein Schädel ist mit viel Verstand und viel Spitzbüberei gefüttert.«

»Ein harter Schädel, das ist wahr, aber mit dem Sandschak Pascha können wir doch nicht Finger ziehen.«

»Das glaube ich auch nicht. Wir lassen ihn frei, ich schicke ihn aber an einen solchen Ort, von welchem er nicht wieder zurückkehrt. Überlassen Sie das nur mir!«

Die Gassen bevölkerten sich ungewöhnlich früh. Die Bewohner beförderten teils in Karren, teils in Schiebkarren ihre Sachen auf die naheliegenden Tanyen.

Das Erscheinen Olaj Begs am Horizont malte Schrecken auf die Gesichter. Denn der wackere Olaj Beg war thatsächlich kein solcher Kleinigkeitskrämer wie Herr Csuda oder Derwisch Beg, welche sich mit dem Raub eines Pfaffen oder eines schönen Mädchens begnügten. Der verständige Olaj Beg arbeitete en gros. Er kam selten, aber wenn er kam, trieb er eine ganze Gasse in Gefangenschaft, samt Frauen, Kindern, Sack und Pack, samt Pferden, Rindern, nichts zurücklassend, als die Schweine, welche unreine Tiere sind und mit dem heiligen Koran in Widerspruch stehen. Ein solcher Mensch war Olaj Beg, das muß man ihm lassen.

Bei der Nachricht von seinen Forderungen kamen die einflußreichsten Männer schon zeitlich morgens einzeln in das Rathaus; der eine brachte ein wenig Geld, der andere kam, um Brot und Holz anzubieten. Die schlechte Nachricht ist ein guter Wecker.

Viele murrten, als Herr Putnoki den Befehl gab, den jungen Lestyák aus dem Kerker vorzuführen. Er erschien ein wenig blaß, trug aber den Kopf hoch.

»Max Lestyák,« sagte der Triumvir feierlich, »Sie sind frei!«

Ein unzufriedenes Murren entstand im Saale.

»Der Ofner Vezir ist Ihr Patron,« bemerkte der Vorige satirisch.

Lestyák erwiderte nichts. Er machte eine nervöse Bewegung, als ob er gehen wollte.

»Nicht dort ist Ofen. Warten Sie noch! Der Ofner Pascha ist nicht der römische Papst, mein Herr Ex-Oberrichter, er kann Schlösser ausbrechen und schließen, aber nicht Sünden vergeben. Diese müssen Sie abbüßen.«

Eine peinliche Ruhe trat ein, man erwartete das Folgende mit zurückgehaltenem Atem.

»An unseren Grenzen steht der grausame Olaj Beg, dort jenseits des Teiches Csalános. Er hat der Stadt einen großen Tribut auferlegt, welchen man ihm bis heute Mittag übersenden müßte, aber es ist unmöglich. Wissen Sie also, Lestyák, wozu wir Sie jetzt verurteilen?«

»Sie werden es schon sagen, wenn Sie wollen.«

Balázs Putnoki fuhr mit boshaftem Lachen fort:

»Sie haben den berühmten Mantel gebracht, sehen wir nun, was Sie mit demselben anzufangen wissen. Sie werden ihn anziehen und in ihm zum Beg gehen.«

Das Herz des jungen Mannes zog sich zusammen. Das kam unerwartet. Seine Füße wankten fast. Aber rasch gewann er wieder Kraft. Wie zu sich selbst sagte er: »Ich darf nicht erschrecken, ich darf es nicht ...« Sein Herz schlug stark, seine Stimme wurde tonlos; aber die Farbe des Gleichmuts lagerte auf seinem Gesicht.

»Und was soll ich dem Beg sagen?«

»Sagen Sie ihm, daß er sich mit der Hälfte des Tributs begnüge und auch damit zwei Tage warte, bis wir ihn zusammengebracht haben. Oder aber, zum Teufel, bieten Sie ihm den Kaftan an, welcher fünfzig Pferde, hundert Ochsen und ungefähr viertausend Dukaten repräsentirt. Er wird zufrieden sein. Hehehe! und was noch zurückkommt, das bringen Sie in die städtische Kasse. Hahaha!«

»Der wird mich ja sofort rädern lassen oder in Ketten schlagen.«

Putnoki zuckte die Achseln.

»Das ist Ihr Malheur.«

»So?« rief Lestyák bitter aus. »Verurteilen Sie mich wirklich dazu?«

Mit einem Blicke sah er die Triumvirn, die grauhaarigen Greise der Stadt, der Reihe nach an. Diese nickten mit dem Kopfe zum Zeichen, daß das Urteil gerecht sei. Man muß an den Vergeudern des öffentlichen Vermögens ein abschreckendes Exempel statuieren.

»Führen Sie mich lieber in den Kerker zurück,« sagte er selbstvergessen, bereute es aber sofort.

»Wovor fürchten Sie sich denn eigentlich so sehr?« klügelte bissig der Triumvir, »den Kaftan werden Sie ja tragen.«

Ein großes Gelächter entstand bei diesen Worten und das Blut schoß Lestyák ins Gesicht.

»Ich pflege mich nicht zu fürchten,« sagte er stolz. »Wann soll ich gehen?«

»Noch Vormittag, sobald ich die Anordnungen getroffen habe. Wollen Sie bis dahin nicht beichten?«

»Nein.«

Der alte Schneider verkündete es verzweifelt der ganzen Stadt, welch' unerhörtes Unrecht es sei, seinen Sohn in den Rachen des Tartaren-Haufens zu schicken. Das ist ein Todesurteil ohne Verhör und Verteidigung!

»Denkt daran, wie sehr ihr ihn vor drei Monaten liebtet. Macht einen Aufruhr, ergreift Hacken, Eisengabeln, kommt, ich führe euch an, damit ihr das >dreiblätterige Kleeblatt< abmäht.« (Das war der Spottname des Triumvirates.)

Keine Hand rührte sich; Wurzeln haben ja nur die lebenden Bäume ... höchstens in den mit Rosmarin und Muskaten geschmückten Fenstern ward ein braunes oder blondes Mädchenantlitz traurig und ein tiefer Seufzer brach sich vielleicht durch die Blätter der Blumen: »Armer Max Lestyák!« Dann blieben diese schönen Gesichter auch weiterhin auf der Lauer.

»Wann kommt er? Wie gern möchte ich ihn im Kaftan sehen. Wie lange zögert er.«

Man sattelte sein Pferd im Hofe des Stadthauses. Leicht schwang er sich in den Sattel, obwohl ihm der grüne Seidenmantel bis zu den Fersen reichte. Er pfiff sogar, als er den linken Fuß in den Steigbügel setzte. Auch zwei Trabanten setzten sich zu Pferde, und hielten mit gezogenen Säbeln an seiner Seite Wache.

Sie hielten aus dem rückwärtigen Thor ihren Auszug, damit die angesammelten Neugierigen nicht schreien und lachen sollten. Das war aber eine Sache zum Weinen! Die Triumvirn sahen zum Fenster hinaus, so lange sie wegen des immer dichter werdenden Nebels sehen konnten. Herr Putnoki rieb sich vergnügt die Hände.

»Nun, der wird das Kecskeméter Horn auch nicht mehr hören!« (Denn es war üblich, die Mittagszeit durch Hornrufe vom Turm Sankt Nikolaus zu kennzeichnen.) Dann wandte er sich lebhaft den versammelten Bürgern zu: »Jetzt aber beeilen wir uns, den Tribut auf Wagen zu laden, damit Olaj Beg, wenn er sich erzürnt gegen die Stadt kehrt, die Sendung schon unterwegs finde.«

Die Trabanten begleiteten Lestyák nur bis ans Ende der Stadt, wie dies bei den Verbannten zu geschehen pflegt. So stand es im Befehl. Es wäre auch schade um die Trabanten gewesen, diese Leute bis ins feindliche Lager zu senden, wo ihrer sicherer Tod harrte.

Vielleicht geht Lestyák gar nicht weit, vielleicht schlägt er sich irgendwo seitwärts in die Büsche, die Welt ist ja weit und hat vier Ecken – nun, so mag er es immerhin thun, wenn er nur nicht länger hier lästig fällt.

Aber da kam man just an den Rechten. Während er fürbaß über die endlose Schneedecke dahinritt, dachte er bei sich:

»Ich zieh von dannen; ich muß es wohl. Denn wenn ich bleibe, bin ich für immer tot. Geh' ich aber fort, so kann es noch geschehen, daß sie mich zurückrufen. Olaj Beg ist ein kluger Mensch; einen Toten kann er zu nichts nützen, ein Lebender aber ist ihm stets eine Ware, zumal er mit Sklaven handelt. Schlimmenfalls schleppt er mich in die Gefangenschaft. Das kann man immerhin wagen.«

Mit dem herabhängenden Flügel seines Mantels hieb er dem Gaule eins auf den Rücken, wodurch die arme Mähre einigermaßen angespornt wurde. Das Roß hatte schöne Karriere gemacht. Gestern noch drehte es sich in der städtischen Tretmühle und heute sitzt ein Ritter in seinem Sattel. (Gut genug für die Tartaren, spekulierten die Triumvirn.)

»Ich werde auf den Richtplatz geschleppt!« murmelte der Reisende, und das Blut kochte ihm vor Ingrimm.

Er ballte die Faust.

»Ei, könnt' ich nur je wieder heimkehren!«

Dann gab er dem Gaul einen derben Stoß, der wohl den Triumvirn zugedacht war, den aber das Tier ergebungsvoll erduldete. Es erhob sich ein schärferer Wind. Vom Csalános-Teiche her klang ein fernes Surren und Getöse: der Lärm des Tartaren-Kriegslagers.

Trabe zu, Mähre, trabe zu!

Er kam an einer tragbaren aus Schilf geflochtenen Mauer vorüber, wo die Herden zu überwintern pflegten, die aber nur gegen den Wind Schutz bot. Lestyák mußte daran vorbeireiten. Vom Pferde herab sah er, daß ein Mann mit breitem, schwarzem Hut, in einen Mantel gehüllt dort stehe: vielleicht hatte er sich vor dem Schneewehen dahin geflüchtet. Der Mann kam näher und sprach:

»Stehen Sie mir doch auf ein Wort, Herr Lestyák.«

Lestyák blickte gar nicht hin und antwortete mürrisch:

»Ihr wisset das Wort nicht, das mich zum Stehen brächte!«

»Ich bin es – Czinna.«

Es gab also doch ein Wort, auf welches er stillestand, ja, vom Pferde sprang.

»Unglücksmädchen, wie kommst du hierher? Ei, was du für ein hübscher Junge bist.« Und dabei lächelte er matt und traurig.

»Es ist gut, daß Sie vom Pferde gestiegen sind, denn ich will es ohnedies besteigen. Kommen Sie doch hierher, hinter die Mauer, aber gleich und lassen Sie mich den Kaftan umlegen.«

»Bist du wahnsinnig?«

»Ich habe alles bedacht, als ich daheim hörte, wohin man Sie schickt. Wenn Sie dahingehen, so tötet man Sie, oder schleppt Sie in die Sklaverei, nicht?«

»Du sagst es, Czinna!... Aber es ist ganz wundersam, daß du hier bist.«

Er blickte sie verwirrt an und schien sich an ihr nicht sattsehen zu können.

»Wenn man Sie tötet, dann giebt es kaum mehr ein Auferstehen.«

»Na, das ist wohl wahr.«

»Keine Späße jetzt! Sie sind ein schrecklicher Mensch! Schleppt man Sie aber weg, so wird Sie gewiß niemand auslösen. Die Senatoren würden es auch verhindern.«

Max biß sich in die Lippen.

»Wenn aber ich hingehe und mich als Lestyák ausgebe und sie mich umbringen wollen, werden sie bemerken, daß ich eine Frau bin und den Frauen thun die Tartaren nichts zu Leide, dann können Sie mich auslösen; wenn sie mich aber nur gefangen mitnehmen, dann können Sie mich um so eher als Lestyák auslösen. Geben Sie also schnell den Mantel her.«

Und während sie noch dies mit einschmeichelnder, süßer Stimme sagte, hatte sie auch schon den Mantel herabgezogen.

Max Lestyák widersetzte sich:

»Nein, nein! Wo denkst du hin?«

Die Argumentation von Czinna hatte ihre Wirkung trotzdem nicht verfehlt.

»Es ist schon möglich, daß es so ist;« und er rieb sich die Stirne. »Ich löse dich aus, natürlich löse ich dich aus. Du sagst ja, du wärest mir noch ein Leben schuldig. Schweige, man muß das nicht so nehmen. Klügele nicht, Mädchen. Warte ein wenig. Ich weiß selbst nicht, was wir machen sollen.«

Das Mädchen aber blieb nicht stehen; sie hatte den Mantel bereits um ihre schlanke Gestalt geworfen, im nächsten Augenblick schwang sie sich auf das Pferd. Einen Augenblick später hatte sie bereits der Nebel verschlungen, Lestyák lief ihr wütend nach.

»Bleibe stehen!« schrie er mit donnernder Stimme. »Ich laß' dich nicht fort. Ich befehle dir, stehen zu bleiben!«

Er konnte schon reden, der Gute. Ein schwacher Augenblick und der Fehler war begangen. Ein Augenblick der Schwäche ist der Kern des Sturzes großer Männer. Das Mädchen ging und blieb erst beim Tartaren-Lager stehen.

»Führet mich vor den Feldherrn. Ich bin Max Lestyák, der Kecskeméter Abgesandte.«

»Steige vom Pferde, guter Mann, ich führe dich hin –« meinte ein untersetzter Tartare mit gutem ungarischen Accent. »Ein schlechtes Pferd gaben dir die Kecskeméter Richter. Da kommt eben unser Herr, Beg Olaj, Allah beglänze lange seinen Bart.«

Wahrhaftig, da erschien er, der mächtige Beg Olaj, auf seinem schönen Rappen hielt er eben Revue über seine Truppen.

»Der Kecskeméter Gesandte ist hier, mächtiger Beg!« meldete der untersetzte Junge.

Der Beg betrachtete den Gesandten und dessen Mantel sehr aufmerksam, dann sprach er sanft:

»Wende dich um, braver Junge, wenn ich dich mit der Bitte nicht belästige.«

Czinna drehte sich um.

Beg Olaj warf nun von rückwärts einen Blick auf den Mantel. Dann sprang er vom Pferde, warf sich vor Czinna zur Erde und küßte den Saum des Mantels dreimal. Czinna staunte ihn an mit ihren großen schwarzen Augen, sie glaubte zu träumen.

»Allah ist groß und Mohamed sein Prophet. Was befiehlst du, Abgesandter der Stadt Kecskemét?«

Demütig und gebückt stand er vor ihr. Czinna zögerte ein wenig, dann aber sagte sie mit herber Stimme:

»Verlasset die Markung der Stadt Kecskemét sofort!«

Olaj Beg hob seine schläfrigen Schafaugen gegen den Himmel, dann wendete er sich zu den Truppen und schrie laut:

»Wir ziehen ab! Sattelt!«


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