Koloman Mikszáth
Der Zauberkaftan
Koloman Mikszáth

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Fünftes Kapitel.

In großer Gala erschienen unsere Freunde, den Säbel an der Seite. Herr Michael Lestyák zeigte sich als ein fescher, hübscher Jüngling. Er hielt die Ansprache, er beschrieb die traurigen Zustände in Kecskemét so treu, so schön, daß die vier hinter ihm stehenden Senatoren in Thränen ausbrachen. (Herr Imecs wurde bereits gestern nach Hause gesendet.) Die Rede gipfelte nach vielen Stilblüten darin, daß die Kecskeméter dem Allgewaltigen mit dem Ersuchen zu Füßen fallen, dieser möge ihnen einen ständig in Kecskemét wohnenden Pascha bewilligen oder einen anderen Würdenträger, wenn er auch nur so groß wäre, wie ein kleiner Finger, der sie fortab vor den Plünderern bewahre. Blos das Faktum, daß ein Mann des erhabenen Sultans in Kecskemét ist, rettet den Frieden und die Existenz der Stadt. Nach einer rhetorischen Wendung malte er es sodann schwungvoll aus, welch herrliches Leben der Pascha dort führen würde; sie werden ihm ein Steinhaus bauen, werden ihn schätzen und achten, werden ihn bedienen, aus ihrer Hand werde er den süßen Honig essen können und so weiter.

Nun übersetzte der Dolmetsch des Ofner Pascha Nazur Bey die Rede dem Sultan, der dieselbe mit apathischem Gesichte und sehr gelangweilt zu Ende hörte. Im übrigen war dieser ein ganz sympathischer Herr; etwa vierzig Jahre alt. Hie und da nickte er dazu mit dem Kopfe.

Ibrahim Pascha, der Ofner General, stand neben dem Sultan mit verschränkten Armen und lauerte mit blutunterlaufenen Augen, wie wenn er sagen würde: »Die Rede haben wir nun gehört, nun lasset uns die Argumente sehen.« Diese folgten sofort.

Gabriel Poroßnoki trat hervor, öffnete das apfelgrüne seidene Futteral, das er vor sich hinhielt, er entnahm demselben die prächtig gearbeitete goldene Peitsche und den Fokos, dann legte er sie auf den Schemel zu Füßen des Sultans. »Wir legen zu deinen Füßen, erhabener Herr, die Waffen Kecskeméts.«

Der Sultan bückte sich, hob die Peitsche auf und betrachtete dieselbe eine Zeitlang. Dann wechselte er mit Ibrahim einige leise Worte.

Unterdessen hatte der Herr Senator Inokai gerade seine Kehle gewetzt und leierte dann mit ehrerbietigem Krächzen folgendermaßen: »Deinen heldenhaften Soldaten haben wir einen kleinen Braten gebracht, größter der Sultane, sei so gnädig und betrachte denselben durch das Fenster.«

Bey Nazur verdolmetschte auch dies mechanisch, worauf sich der Sultan unwillig vom Sopha erhob, um zum Fenster zu treten, von wo aus die prächtigen Rinder und Fohlen zu sehen waren, zu denen Herr Franz Kriston den Prolog gestammelt. All' dies interessierte den mächtigen Herrn des Orients nicht besonders, müde ließ er sich wieder auf das Sopha fallen. ... Jetzt öffnete sich die Thür des Saales und ein kühlender Windhauch schlich sich ein. Vielleicht hatte dies das Knistern der vier Weiberröcke verursacht. Die Kecskeméter Mädchen traten ein, frisch und lieblich.

Der Sultan sprang erregt empor. Christophus Agoston stellte sich in die Mitte des Zimmers, einem Schuljungen gleich und mit Gesten, als ob er einen Strauß in den Händen hielte, den er dem Papa überreicht, deklamierte er verschämt: »Wir brachten auch ein klein wenig Blumen, gnädigster Herr.«

Der Sultan verstand gewiß nicht die ungarischen Worte, jedoch er geruhte jetzt auch ohne jedes weitere Hinzuthun zu lächeln. Dann rief er fröhlich dem Ofner Pascha zu: »Einen Schleier über sie, schnell, Ibrahim,« (dies wollte in orientalischer Sprache so viel heißen: »Befleckt sie nicht einen Augenblick länger mit Euren wollüstigen Blicken.«)

Während der Pascha hinausstürzte, um Verfügungen zu treffen, teilte der Sultan in langen gedehnten Worten etwas dem Dolmetsch mit.

»Se. Majestät der Sultan, dessen Schatten Allah beschirme, sagt Euch, Ihr Ungläubigen, daß er Eure Wünsche berücksichtigen wird. Verhaltet Euch bis dahin ruhig und wartet draußen.« Der Dolmetsch winkte und damit war die Deputation entlassen.

Als aber Herr Agoston die gute Laune des Sultans sah, glaubte er die Zeit gekommen, irgend eine ewig denkwürdige That zu vollführen; er zog daher die hinausgehenden Vorsteher bei ihren Mantelflügeln zurück und sprach zu dem Dolmetsch: »Mächtiger Dolmetsch, rechte Hand deines Herrn, vermittle noch eine Bitte!«

Der Großvezier, die anwesenden Paschas und Ulemas betrachteten den Tollkühnen betroffen, und nicht weniger überrascht waren die Kecskeméter Herren, aber der Sultan, an die Blumen Kecskeméts denkend, lächelte noch immer, und wenn der Sultan lächelt, scheint die Sonne, die Gräser wachsen, die Steine spielen Harfe und alles ist in Ordnung.

»Nun, was wollt Ihr noch?« rief der Stellvertreter Ibrahim Paschas, Hassan, aus. »Sagt es schnell, denn es warten noch viele Deputationen draußen.«

»Gerade das ist es,« fuhr Christoph Agoston ermutigt fort, »wir sahen draußen die Nagy-Köröser Deputation und wir bitten Se. Majestät ganz ergebenst, daß er ihr nichts gewähre, was sie auch verlangen möge.«

Der Vertreter des Sultans lachte und interpretierte selbst dem Beherrscher der Gläubigen diese zweite Bitte.

Auch der Beherrscher der Gläubigen lachte über den sonderbaren Wunsch (so etwas kam ihm in der Praxis noch nicht vor) und frug lebhaft, was der Grund davon sei.

Lestyák gab die Antwort: »Nagy-Körös und Kecskemét sind so mit einander wie Mekka und Medina, wie Hund und Katze.«

Der Sultan geriet in eine prächtige Laune, der Dolmetsch interpretierte gleichfalls mit freudestrahlendem Gesicht die Antwort des Herrschers: »Freut Euch! Der gnädige Padischah wird Eure erste Bitte genau überlegen, die zweite vollführen.«

Damit gingen die Kecskeméter in den Hof hinaus, den auf den Einlaß wartenden Köröser Nachbarn »guten Morgen« wünschend.

Nach einigen Minuten schlich sich der Vertraute des Sultans zu ihnen und vertröstete die Senatoren, ihnen auf die Schulter klopfend: »Ihr seid glückliche Spitzbuben! Ihr habt den Sultan ganz gewonnen und ihn erheitert. Kein Zweifel, alles wird geschehen.« Er rieb sich zufrieden die Hände. Es waren ihm nachträglich hundert Dukaten versprochen worden, wenn in Kecskemét eine türkische Behörde installiert wird.

Unter großen Hoffnungen schritten sie draußen auf und ab, die Rede des Oberrichters lobend und das Auftreten Agostons. Herr Agoston selbst war ganz entzückt. »Nicht wahr, daß ich etwas wert bin? Da giebt es doch Verstand, Gevatter?«

Nach ungefähr anderthalb Stunden kam der türkische Vertrauensmann wieder zurück. Zornig schlenkerte er mit der Hand, sein Gesicht war rot vor Grimm wie Paprika. »Nun, Schweine,« schrie er von weitem, »Ihr habt Euer Glück mit Füßen getreten!«

Die wackeren Herren sahen ihn versteinert an. »Was ist geschehen, um Gotteswillen?«

»Das ist geschehen, Ihr Esel, daß die Nagy-Köröser Deputation, die Entfernung der Ofner und Szolnoker Paschas beklagend, als Sitz einer zu errichtenden türkischen Obrigkeit Kecskemét wünschte.«

»Wir aber« ... stotterte Josef Inokai.

»Ihr aber ließet den Sultan versprechen, daß er den Wunsch der Nagy-Köröser, welcher es auch sei, nicht erfüllen werde. Erstarret!«

Damit drehte er ihnen den Rücken, nachdem er zuvor einige Male türkisch vor sie hinspie.

Man hätte die Betroffenheit sehen sollen. Lestyák nagte den Schnurrbart, der ehrliche Poroßnoki schimpfte, Kriston bekam Nasenbluten vor Schreck, der alte Inokai begann zu schluchzen, während Herr Agoston direkt zu den Wagen ging, welche an der Donau standen, sich in den einen hineinlegte und mit der BundaUngarischer Pelz. zudeckte, weil ihn ein solches Fieber schüttelte, daß es, gleichmäßig verteilt, für hundert Schnupfen ausgereicht hätte.

»Jetzt könnten wir nach Hause gehen,« unterbrach Kriston die traurige Ruhe.

»Wir warten den Beschluß des Sultans ab,« meinte der Oberrichter.

Es mag Vesperzeit gewesen sein, als der Kaimakam des Sultans in Begleitung des Dolmetsch sie abholen kam. Er geleitete sie in einen Saal und übergab ihnen einen Kaftan, indem er durch den Mund des Dolmetsch sagte: »Das schickt Euch Se. Majestät der Padischah. Ihr werdet gewiß einen guten Gebrauch davon machen!«

Die Senatoren blickten traurig auf das dunkelgrüne Sammetkleidungsstück, welches mit goldenen Schnüren und Bändern geschmückt war und erstaunt schienen die Kecskeméter einander zu fragen: »Also nur so viel?«

Herr Poroßnoki gab seiner Unzufriedenheit auch in Worten Ausdruck: »Mehr ließ Se. Majestät nicht sagen?«

»Mehr nicht,« erwiderte der Kaimakam mit großem Phlegma. »Der Sultan war Euch gut gesinnt, aber er mußte sein Wort einlösen. Ihr selbst habt es doch gewünscht.«

»Könnte man nicht noch einmal zu ihm gelangen?«

»Das geht nicht.«

»Donnerwetter! Wir sind schön daran! Es wird zu Hause eine Freude geben.«

»Wenn dem so ist,« sagte der Oberrichter kalt, »dann fassen Sie diesen Kaftan an, Herr Kriston.«

Franz Kriston ergriff sehr zornig und unehrerbietig den mit einer Bärenhaut wattierten Mantel, so daß das eine Ende desselben die Erde kehrte, und schleppte ihn mit großem Lärm dem Oberrichter nach. Als er zu den Wagen gelangte, warf er ihn in eine Ecke wie einen Fetzen.

Herr Agoston war bereits verschwunden; der eine Kutscher konnte über ihn nur so viel Aufklärung geben, daß er sich im Wagen nach Waitzen führen ließ, wo er eine verheiratete Tochter hatte, er sprach wenig, denn seine Zähne klapperten sehr, aber so viel sagte er doch, daß er Kecskemét nie wieder sehen werde. Als man die Pferde gefüttert und getränkt hatte und die Unserigen sich auf den Heimweg begaben, dunkelte es bereits, der Rauch der Schornsteine vermischte sich mit dem Nebel, die Frösche quakten häßlich in den Pester Sümpfen (auf dem jetzigen Kettenbrückenplatze), die Priester schrien unausstehlich von den Ofner Minarets, während aus der Pester alten Burg die Eulen geisterhaft hervorhuschten. Nur weit, in irgend einem Dörfchen erklang eine weinerliche christliche Glocke. Der Nebel war rötlich-weiß, wie frisch gemolkene Milch, halb durchsichtig, so daß man spöttisch lachende kämpfende Drachen, gepanzerte Wundertiere, Gespenster in Laken hervorscheinen sah. Am Himmelsgewölbe breitete sich eine einzige dunkelblaue Wolke schwerfällig aus.

Als sie die Pester Häuser verlassen hatten und mit schwerer Not aus dem Sumpfe jenseits des Hatvaner Thores herauskamen, wo der Wagen Kristons beinahe in einer Linnenbleiche stecken geblieben wäre, rückte die Wolke mit einem Male fort und verschlang plötzlich den Mond, wie wenn ein großer Silberthaler in einem blauen Strumpf versinkt. Es ward etwas finsterer; eine feierliche, melancholische Stille kam über die schlafende Natur. Nur die Wagen knisterten in ihren Achsen und hie und da wurde ein Hahnenruf in den Pester Tanyen laut. Die Pferde zogen ungern weiter, die Kutscher fluchten und die Senatoren saßen in tiefe Gedanken versunken wortlos neben einander, nur zuweilen einige Worte austauschend. Und doch hätten sie auch ihre Gedanken austauschen können, denn diese waren die gleichen. Wenn der eine sagte: »Wie sollen wir zu Hause das große Nichts übergeben?« antwortete der andere, nachdem er in die Nacht hinein gestarrt hatte: »Ich wäre jetzt lieber ein Schäferhund, als ein Kecskeméter Senator.« Der dritte hob sein gebeugtes Haupt und setzte seufzend hinzu: »Für hundert Ochsen und fünfzig Pferde einen grünen Mantel – das ist ein guter Markt.« Damit wurden sie wieder schweigsam und starrten neuerdings in den weißen Nebel, aus welchem sich jene bizarren Gestalten abhoben. Mit einem Male trat aus einer dieser Nebelsäulen ein Gespenst hervor. Augenscheinlicher, wahrer als die anderen, es stellte sich den Pferden entgegen ... und sein Schatten bewegte sich auf der Straße. Die Pferde der Voranziehenden stutzten. Der Kutscher blickte auf. Ein weiche weibliche Stimme erklang: »Bleiben Sie stehen!«

Der katholische Inokai machte das Zeichen des Kreuzes: »Alle guten Geister loben den Herrn!«

»Wer bist du?« fragte Kriston.

»Ich bin die Czinna, das Zigeunermädchen. Nehmt mich schnell in den Wagen.«

Anfangs erschrak nur Inokai, aber jetzt waren Kriston und Poroßnoki zu Tode erschrocken. Sogar der auf dem anderen Wagen befindliche Oberrichter verschmähte es nicht herabzuspringen. »Wie kommst du hierher, du Krähe?«

»Ich bin davon gelaufen!« antwortete Czinna kurz.

»Gerade das ist's, warum bist du geflohen?«

»Weil ich mich langweilte.«

»Du Hundeleber!« schrie Kriston und kratzte sich den Kopf. »Weißt du, daß man uns alle deineswegen hängt? Wirst du dich gleich zurückpacken! Was sollen wir thun? Was sollen wir thun?«

»Man muß sie zurückgeleiten,« meinte auch Poroßnoki.

Die glänzende Fläche des Mondes trat jetzt hervor und beleuchtete das schöne Mädchen. Ihr prächtiges Gewand war ganz beschmutzt, ihre Stiefel waren kothig, der Rock im Sumpfe durchnäßt, durch welchen sie watete.

»Ich will nicht zurückgehen,« murrte sie trotzig und ihre weißen Zähne leuchteten, denn sie klapperten ein wenig. Fröstelnd knöpfte sie ihren Überwurf zu.

»Du mußt zurückgehen,« sagte der Oberrichter, »wir spielen mit unseren Köpfen.«

Das Mädchen zuckte zusammen, richtete ihre schönen, großen Augen auf den Oberrichter, aber mit einem so wunderbaren Blicke, daß der Oberrichter ausrief: »Komm' also, setze dich zu mir in den Wagen. Ich werde dich nach Hause führen.«

»Herr Oberrichter! Herr Oberrichter!« warnte Poroßnoki melancholisch. »Was thun Sie?«

»Auf meine Verantwortung!«

» Juventus ventus,« murrte Inokai.

Die Augen Czinnas blitzten wieder, es lag darin die Wärme der Hundetreue. Dann sprang sie zum Oberrichter mit einem leichten Schwunge wie eine Wildkatze.

Die Wagen setzten sich wieder in Bewegung.

»Du frierst,« sagte Lestyák, ihrem Atemzuge lauschend. Dann zog er den kaiserlichen Mantel hervor und breitete ihn über ihre Knie. Er betastete mit seiner Handfläche ihre Stirn, sie war ein wenig heiß, aber wie glatt, wie süß anzufühlen! Das Blut des Oberrichters begann zu sieden.

»Ach, es giebt nur einen glücklichen Menschen,« seufzte unterdessen auf dem ersten Wagen Inokai, »Herrn Christoph Agoston, der seinen Kopf an einen sicheren Ort gelegt hat, nach Waitzen.«

»Ach, es giebt nur einen glücklichen Menschen,« seufzte im letzten Wagen der junge Ochsenhirt vor dem alten Roßhirt: »Unseren Oberrichter, Herrn Lestyák, denn dieser kostet die roten Lippen des Zigeunermädchens und mißt mit dem Arm ihren schönen schlanken Leib.«

»Sag' mir Czinna,« fragte der Oberrichter, »wie bist du entflohen?«

»Ich bestimmte den alten Türken, welcher an der Thüre wachte, einzuschlafen und er schlief ein.«

»Wie konntest du mit ihm türkisch sprechen?«

»Ich nahm mein Halsband vom Halse und gab es ihm.«

»Und die anderen?«

»Auch diese habe ich angeeifert, aber sie wollten nicht kommen. Hier zu Hause hätten sie sich im Tagelohn verdingen müssen, dort gab es ein prächtiges Mittagmahl, Braten, dreierlei geschmackvolle Fruchtgattungen. Auch MamaligaKuchen aus Maismehl. gab es vielleicht dort. Das Nachtmahl wartete ich nicht mehr ab.«

»Aber du gingst doch gut gelaunt mit uns.«

»Ich freute mich über die Kleider.«

»Und du hast sie schon satt?«

»Ich verabscheue sie und sehne mich nach meinen Lumpen.«

»Ei, ei,« sagte der Oberrichter traurig, »du kannst noch viel Leid über Kecskemét bringen! Man wird dich suchen, Czinna!«

Sie schmiegte sich furchtsam an den Oberrichter und ihr ganzer Körper zitterte wie Espenlaub.

»Fürchte nichts, ich werde dich nicht verlassen, wenn ich es einmal aussprach. Was ich sage, das ist gesagt.«

Das Mädchen beugte sich über die Hand Lestyáks, küßte sie und weinte.

Nervös, fast rauh erfaßte der junge Mann ihren Kopf, um ihn von seiner Hand wegzuziehen und brummte ärgerlich: »Ich bin kein Bischof.« Als er den Kopf des Mädchens aber erhob, floß mit einem Male die Welt vor ihm zusammen, sie drehte sich im Kreise, die Sterne sprangen vor seinen Augen umher, der Wagen schien umzufallen und er drückte ganz selbstvergessen das schöne Haupt an seine Brust. Plötzlich gereute es ihn ... und er ließ es wieder los.

»Nun, nun ... was zum Teufel machst du, Czinna? Mach' keine Dummheiten und küsse mir die Hand nicht, denn sonst werde ich deinen Zopf an den Wagen binden, damit du deinen Kopf nicht bewegen kannst. Wie du den Menschen in Verwirrung bringst!«

Er erfaßte scherzend ihr dichtes, weiches Haargeflecht.

»Nun, soll ich es an den Wagen binden?«

»Wie Euer Gnaden wollen,« sagte das Mädchen sanft, ruhig.

»Ich binde es nicht an, fürchte nichts. Ich denke an etwas anderes.«

Lange Zeit schwiegen sie. Lestyák rieb sich oft mit der Hand die Stirne.

»Ich denke daran«, sagte er endlich flüsternd, »daß man deinen Zopf bis zum Grund abschneiden müsse.«

Czinna richtete ihre Augen verwundert auf ihn, diese glänzten selbst im Finstern.

»Neige dich näher zu mir, Czinna, damit der Kutscher nicht hört, was ich sage. Schmiege dein Ohr an mein Gesicht an. Noch näher. Fürchte nichts, ich werde Dich nicht küssen.«

»Was liegt mir daran, küssen Sie mich.«

»Dein Haar muß abgeschnitten werden.«

»Was liegt mir daran, schneiden Sie's ab.«

»Dann mußt du vom Wagen steigen ...«

Das Mädchen machte eine unruhige Bewegung.

»Denn man wird dich suchen und ich habe nicht genug Macht, um dich zu schützen. Wer weiß übrigens, was mit mir geschieht. Ein schlimmes Schicksal steht mir bevor. Du mußt also absteigen, das ist gewiß.«

»Aber warum?«

»Weil der Sultan oder der Ofner Pascha mächtiger ist, als der Kecskeméter Richter. Wenn ich mächtiger wäre als sie, dann würdest du jetzt bei mir bleiben und kein Haar würde dir gekrümmt werden.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Du wirst mich bald verstehen. In dieser Kiste befindet sich ein Männeranzug, ich habe ihn jetzt für mich in Ofen gekauft. Wenn du vom Wagen springst, wirst du dich irgendwo als Bursch verkleiden; ich lege dir auch ein paar Dukaten in die Tasche. Du wirst ein hübscher Junge sein, was glaubst du? Der Teufel selbst wird die einstige Czinna nicht erkennen.«

Czinna seufzte und fing an zu weinen.

»Schön langsam, nach Verlauf von Tagen wirst du nach Kecskemét zurückkehren, womöglich auf anderen Wegen und bei meinem Vater als wandernder Schneidergeselle, der Arbeit sucht, einkehren.«

Czinna wischte sich die Thränen ab und lachte laut auf.

»Es wird gut sein, es wird wirklich gut sein! Wenigstens kann ich Sie täglich sehen.«

»Wiehere nicht wie das kleine Füllen ... Das ist ein ernster Zustand. Wenn der Alte sich weigern sollte dich anzunehmen, so wirst du ihm diesen Ring zeigen, zum Zeichen dessen, daß ich es wünsche.«

»Aber Sie werden ja zu Hause sein und können es auch mündlich sagen.«

»Was weiß ich, wo ich sein werde,« antwortete er mürrisch und zog einen Opalring vom Finger, ihn Czinna übergebend.

Nach kurzer Pause fügte er hinzu: »Wenn er dich aber ohne Ring aufnimmt, so zeige denselben nicht; mein Vater soll nicht ahnen, niemand darf es wissen, wen die Männerkleidung bedeckt. Ich wünsche es so.«

»Dann wird es auch so sein,« sagte Czinna.

»Und jetzt gehen wir an die Arbeit. Du mußt abspringen, so lange es noch dunkel ist.«

In der Lade befand sich eine große Scheere, mit welcher man die Mähnen der Füllen zu ordnen pflegte. Als sie der Oberrichter hervorzog, zitterte seine Hand, wie erst, als er die prächtigen Zöpfe erfaßte, um dieselben zu vernichten.

»Ich habe keinen Mut.« Und matt ließ er die Scheere fallen.

»Was bedauern Sie dabei?« zürnte das Mädchen, die Scheere erfassend. Das scharfe Eisen knisterte und der Haarwald war abgeschnitten. Das Mädchen lächelte mit kronenlosem Kopfe. Dann flocht es aus den Zöpfen die schweren Brokatbänder los, während Michael die Männerkleidung aus der Kiste nahm.

»Wenn du dich umgekleidet hast, merke gut auf, wirst du an das Ufer der Theiß gehen, wo du sie am nächsten erreichst und wirst dein abgelegtes Kleid neben einen Weidenbusch legen, wie es die einen Selbstmord begehenden Mädchen zu thun pflegen, welche ihre Kleider dort zurücklassen und nur ihren Schmerz mitnehmen ...«

»Alles wird so sein ... alles.«

»Hoho! Wehe! Wehe!« erscholl es in diesem Momente vom Wagen des Kriston.

»Was ist geschehen?« rief der Oberrichter hinüber.

»Wir sind in irgend einen Morast gesunken.« Das war in der That kein Wunder. Damals waren die Komitate noch Jungfrauen bezüglich des Straßenbaues. Die Klage, daß man Kot auf Kot häufe und dies Landstraße nenne, hatte damals noch keine Berechtigung, denn man häufte überhaupt gar nichts. Die Ansicht war vorherrschend, »daß die Wagen die Straße selbst machen.« Wo eine Radspur ist, dort sind schon Menschen passiert und wenn sie schon passierten, »dann können auch wir dort wandeln.«

Mit einem Male endete die Radspur und der Wagen saß bis zur Achse im Moraste drin, welcher beim Mondschein einer grünseidenen Wiese glich. Dieses Alföld, welches Petöfi ein offenes Buch nennt, ist eine tolle Gegend. Bei Tage zeigt es mit seiner Fata Morgana das Land als Wasser, des Nachts das Wasser als Land. (Wann soll der Mensch ihm glauben?)

Der Kutscher fluchte, schlug das Pferd, daß die Stränge beinahe rissen, er wußte aber eigentlich nicht, welche Richtung er wählen sollte, wo ein Ausweg sei. Der andere Wagen versuchte in anderer Richtung sein Glück. Auch dieser geriet in den Morast.

»Wir werden hier zu Grunde gehen! Wer kennt den Weg?«

Alle sprangen von den Wagen und begannen zu beraten.

»So viel ist gewiß, daß wir uns bei den >Höllenteichen< befinden,« sagte Herr Poroßnoki. »Es muß irgendwo ein Durchgang sein. Ich habe oft von den Fuhrleuten gehört, daß man zwischen den Seen zum rechten Wege gelangen könne.«

»Aber wo? Wir werden so lange suchen, bis wir versinken.«

»Man muß den alten Marczi aufwecken, der hat schon oft Ochsen nach Pest getrieben, auch in der Zeit des regnerischen Herbstes. Wie, wenn er den Weg kennt? Du, kleiner Pferdejunge, dort im letzten Wagen, wecke deinen Bruder Márton auf.«

Der schlanke Pali brauchte nicht mehr Worte, er schüttelte den schlafenden Alten aus Leibeskräften.

»Nun, was giebts? Was schüttelst du mich, du Frechling?«

»Mit Respekt zu melden, alter Verwandter, wißt ihr den Weg nach Kecskemét?«

»Ich glaube,« antwortete der kurz angebundene Ochsenhirt.

»Wir befinden uns hier bei den >Höllenteichen<. Die ersten zwei Wagen stecken schon im Sumpfe. Blicken Sie um sich, wo wir einen Ausweg finden.«

Marczi sah zum Himmel empor und betrachtete sehr aufmerksam das erhabene Gewölbe mit seinen Milliarden funkelnder Sterne.

»Steigen Sie nicht hinunter, um den Platz zu sehen?«

»Was soll ich daran sehen?« fuhr er mürrisch auf. »Der eine Sumpf ist wie der andere.«

Und wieder maß er aufmerksam das Himmelsgewölbe. Mit einem Male richtete er sich im Wagen auf und rief zum Wagen Kristons hinüber: »Siehst du, mein lieber Sohn, diesseits des großen Bären die zwei kleinen Sterne, der eine ist sehr blaß, hellweiß, der andere feuriger, aber kleiner, sie befinden sich gerade einander gegenüber?«

»Ich sehe, Marczi Bácsi.«Onkel oder dem Sinne nach, Gevatter.

»Nun, lenke den Wagen gegen die Seite der beiden Sterne, mein Lieber. Dort ist der Weg.«

Damit legte er sich wieder mit gutem Gewissen nieder, wie jemand, der alles ins Reine gebracht hat.

Die Herren kletterten gleichfalls aus dem knietiefen Wasser auf die Wagen, allein bis der Oberrichter zu dem seinigen zurückgelangt war, befand sich Czinna nicht mehr dort. Unbemerkt war sie während der eingetretenen Verwirrung verschwunden, nur der große aufgelöste Zopf dunkelte aus dem Innern des Wagens hervor. Max nahm seufzend die herrlichen Haare in die Faust, dann begann er die Fäden in kleinen Büscheln in den Sumpf zu streuen. Die schwarzen Fäden sanken leise nieder, der Wind trug sie, so daß es schien, als flögen sie hinweg; das grünliche Wasser spielte mit ihnen und schlang sie um die Wasserlilien, um das Schilf und die buntkelchigen Erbsenblüten ... Nachdem man endlich in Sicherheit war, da hielt des Oberrichters Hand nur noch einen Faden, den er um seinen Ring wand.

»Hoho!« rief er laut und dröhnend. »Wohin ist mein Mädchen geraten? Auf welchem Wagen ist sie?«

Von überall kam die Antwort: »Hier ist sie nicht! Hier auch nicht.«

»Gott sei Dank!« flüsterten die Senatoren erleichtert auf, »daß sie nun durchgegangen ist, die kleine Kröte!«

Mit den Abenteuern hatte es nun ein Ende. Jetzt gelangte man ohne Zwischenfall von den Tanyen zu Dörfern und von Dörfern zu Tanyen. Nur hier und dort verwischte sich der Weg, allein das that nichts, war doch Marczi da, der ihnen, so oft man ihn weckte, jederzeit den richtigen Pfad wies.

»Fahrt nur geradeaus auf den blinkenden kleinen Stern zu, der dort neben dem kleinen Bären steht ...«

Er war zu Hause unter den glänzenden Planeten des Himmelszeltes. Die Erde ist unergründlich, der Himmel dagegen mit seinem blauen Felde ist allezeit unveränderlich. Von dort herab maß er denn auch den Weg von Pest bis zur edlen Stadt Kecskemét. Er wußte da so genau Bescheid, er sah den Weg so klar, daß auf demselben vor seinen Augen förmlich Staub aufwirbelte .....


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