Max Messer
Wiener Bummelgeschichten
Max Messer

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Resi.

»Resi, Du bist heute unausstehlich . . . . Gieb nur einmal Ruh' damit oder ich geh' fort.«

»Geh', ich mag Dich nicht mehr. So grauslich zu sein!« Sie sah auf den Boden und deckte den verwirrten Blick mit den langen Wimpern ihrer Augen.

Jetzt wurde Edi wüthend. »Aber Resi, hör' mal auf mit den Dummheiten. Wenn ich einmal geh', dann siehst Du mich nicht mehr.

»Von mir aus – –«

»Nein!« – er sprang vom Sessel auf: »Adieu! So gieb mir wenigstens nochmals Deine Hand.« Er sah sie wirklich bös an. Sie war jetzt etwas blässer. Nach einer kleinen 56 Pause streckte sie ihm die Hand nachlässig, weich, ohne eine Muskel in ihr zu spannen, hin, den Blick noch immer auf den Boden geheftet. Wie er die lässige Hand spürte, eine Secunde lang, war's ihm da, als sollte er sie küssen und dann sie umarmen und um Verzeihung bitten. Aber nur eine Secunde lang währte die Schwäche. Man muss doch Mann sein und auch seine Ehre haben . . .

Was die Weiber eigentlich glauben . . . Wir lebten nur ihretwegen. Ja, natürlich, das kommt davon . . . . .

Draußen vor der Thür blieb Edi stehen und lauschte. Wird sie ihn zurückrufen? – Er vernahm nichts, dann hörte er ein leises Geräusch. Was war das? Wenn sie hinauskäme und ihn so sähe! – Die Scham gab ihm Energie, und er lief, immer mehrere Stufen auf einmal nehmend, die Stiege hinab.

Vor dem Hausthor hielt er noch einmal an. War das Geräusch, vor dem er davongelaufen, nicht doch ein unterdrücktes Schluchzen gewesen? Eh! zu dumm. Die! So ein Rappelköpfl – Aber diesmal geb' ich nicht nach, nahm er sich fest vor. Und all der Starrsinn und das Beleidigtsein – warum denn? Weil 57 er sie zweimal nach einander beim Rendezvous hat aufsitzen lassen. Das kann einem doch passieren. Das sind doch keine Gründe . . . Man ist Mann und hat zu thun und den Kopf voll Sorgen und kann sich auch einmal verspäten. Noch dazu war's das erste Mal seit ihrer so langen Bekanntschaft. Das erste Mal seit sechs Monaten.

Sechs Monate? Wirklich so lang schon hat das gedauert? Er zählte nach. Ja, es stimmte. Merkwürdig, so lang hatte er's außer mit seiner Mizzi noch nie mit einer ausgehalten. Oder doch? Fritzi, Lini, Gusti, Roserl? Nein, so lang hat's noch mit keiner gehalten. Ja, dafür ist's auch die Resi, so ein Mädel! Ah – ist's ja nicht mehr.

Alles Täuschung und Einbildung. Abscheulich ist sie. Nicht anschauen wird er sie mehr . . . Aus, aus und noch einmal aus! Morgen kriegt sie den Ring zurück. – – Er schlug dabei mit dem Stock auf das Gitter des Stadtparkes, an dem er jetzt hinschritt.

– – Wirklich nicht übel! Woher die Mädels die Einbildung nehmen? Man wär' wirklich nur dazu da, ihnen den Hof zu machen und zu schmeicheln und jeden Abend um 58 sieben Uhr beim Wetterhäuschen zum Rendezvous zu kommen. Dass man, zwei Stunden weit, oben am Alsergrund wohnt und sich den Tag über geschunden hat im Bureau und manchmal sich auch müd' zu sein erlaubt oder anderwärts Ulk sucht, das geht die nichts an! – – Freilich, das kommt daher, dass man die Würde, seine Manneswürde vergisst und nicht genug stolz thut, sondern immer bewundert und schmeichelt, als ob . . .

Er war am Schwarzenbergplatz. Er zog die Uhr: Punkt fünf. Der ganze, schöne Tag verschandelt. Er wurde wirklich wüthend. Die Passanten spürten es, er wich niemandem aus und ertheilte so Püffe nach rechts und links.

Vor dem Springbrunnen blieb Edi stehen. Der Strahl der großen Fontaine drehte sich mit dem Wind und netzte ihn. Er musste lachen. Wie möchte das die Resi freuen, wenn sie jetzt hier wäre, mit ihm, das kleine, tolle Mädel. Die möchte ihn jetzt so lange um den Teich ziehen, bis sie beide waschelnass wären. Dann möchte sie ihm »Schneckerpatzerl« machen, und das Lachen! Dies helle, stäubende, glitzernde Lachen von ihr! –

59 Aber das ist ja alles aus und aus. – Er ärgerte sich, dass er doch immer an sie denken musste . . . Sie war ja doch ein abscheuliches Mädel . . .

Uebrigens muss man jetzt eine Jause nehmen, sprach er zu sich weiter, nicht einmal aufgewartet hatte sie ihm zum Abschied! Zum erstenmal, dass er von ihr gieng, ohne sein feines Stück Sachertorte bekommen zu haben.

Er blickte aus nach einem Gasthaus. Da schob sich die Karlskirche vor seine Augen, die ihre Riesenkuppel in das tiefe Blau des Himmels hob. – –

Er bleibt stehen und vergisst auf einen Moment Durst und Resi.

So eine Kuppel braucht sich nicht zu ärgern und steht da und lässt sich gelassen, ohne je böse zu werden, angucken.

Er suchte sich den Zustand auszumalen, wo man keinen Durst hat und keine Sehnsucht nach der Resi. – –

Schon wieder ertappt über der Resi!

»Jetzt aber zum letzten Male, ich mag sie nicht mehr. Wie Du mir, so ich Dir,« stampfte er sich zu und wandte sich fort. Er 60 gieng über die Elisabethbrücke, drüben war ein Restaurant.

»Sie wünschen, Herr Doctor?«

»Krügel Pils'ner und eine Virginia.«

Er blies den Rauch langsam durch die Zähne, schaute die neue Nummer der »Caricaturen« aufmerksam durch und schlürfte tief und nachdenklich aus dem Glas. Dann starrte er hinaus. Eine hastende Menge, gleichgiltige Gesichter. – Da plötzlich! – Was war das? »Zahlen, Kellner, zahlen!! schnell!« Er stolperte so rasch als möglich hinaus. Das Bier lag ihm schwer in den Füßen.

Am End' treff' ich sie nicht mehr. Wäre das ein verfluchtes Pech! Rasch, rascher! trieb er sich an. Ah, dort in den Naschmarkt ist sie eingebogen. Er sieht den blonden Kopf zwischen den Obstständern. Wie ansprechen, wie, wie, wie? – – Jetzt hat er sie erreicht. Er dämpft seine hastigen Bewegungen. »Entschuldigen Sie, Fräulein, dass ich, dass ich total athemlos bin. –Würden Sie gestatten, nämlich gestatten, dass –«

Ja, ja. Er sollte nur ruhiger sein, die Leute lachten sie doch aus. Sie habe nicht 61 lange Zeit, sich begleiten zu lassen. Sie müsse nachhause.

»Ja, aber bis zum Hause darf ich,« bat er schon ruhigeren Athems. – Bald plauderten sie lustig. »Also in der Margarethenstraße wohnen Sie? Dann wären Sie ja schon gleich zuhause und mein Glück so schnell vorbei. Das geht doch nicht. Liebes Fräulein Poldi, liebes Fräulein, noch ein bissel, so eine Viertelstunde haben Sie gewiss Zeit zum Spazierengehen. Das gehört zur Gesundheit. Und ich werd' Ihnen aus Dankbarkeit dafür was recht Schönes erzählen, zum Lachen was. Aber noch eins, wenn ich Sie recht schön bitt' drum. Ja?«

»Aber was denn?«

»Das sag' ich nicht. Versprechen Sie mir's erst.«

Er kann mich doch nicht da auf der Straße küssen wollen, denkt sie. »Also gut, ja?«

Er hängt sich in sie ein. Ihr Sträuben nützt nichts. Daran hatte sie aber gar nicht gedacht.

»Also horchen Sie, einmal, wie ich g'rad' – – –«

62 Da reißt sie sich los: »Um Gotteswillen, dort kommt mein Papa, gehen Sie, gehen Sie! Adieu!« »Küss' die Hand.« Darauf antwortet sie nichts mehr. Er blickt ihr nach, und er sieht ihn noch: ein kleiner, dicker Herr mit grauem Kaiserbart, spießerlich behäbig. –

Noch immer steht er da und schaut. Dann machte er ein paar Schritte vom Trottoir auf die Straße, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Ja, dort links, dorten der Cylinder, der Kaiserbart und daneben die blonden Haare.

»Auf! O! O! – –«

Ein lautes Fluchen. Er springt zur Seite, dabei fällt ihm der Hut in den Staub. Ein paar derbe Schimpfworte und der Wagen rattert weiter. »Wenn der Kerl nicht noch im letzten Moment die Zügel anreißt und ich nicht noch im letzten Moment zur Seite springe, läg' ich jetzt da, hin oder – –« sagt Edi zu einem Passanten, der stehen geblieben war und jetzt lächelnd fortgieng.

Noch blass vor Schrecken und Erregung, geht er zum Wachmann, der an der Ecke steht und theilt ihm mit, was ihm beinahe geschehen. »Sie müssen den Kerl wegen 63 Schnellfahrens arretieren. Das ist ja lebensgefährlich. Unerhört, dass so was geduldet wird.«

»Ja, wissen Sie die Nummer von ihm oder wissen Sie, wie er heißt?«

»Adieu!« – –

– Frozzeln will mich der auch noch . . . und alles wegen der Resi. Der werd' ich's aber heut' noch geben. Den ganzen Tag verdorben. Blamagen und Lebensgefahr! – – Aber nein, der geb' ich überhaupt nichts mehr . . . Das Mädel stürzt einen ja rein ins Unglück. Man kann die Folgen gar nicht ausdenken. – Mit diesen Gedanken schritt er hinauf, dann in die Pilgramgasse. Wie er zur Brücke kommt, sieht er drei Mädel eingehängt, eine große in der Mitte, zwei kleinere an der Seite. Das heitert ihn auf. Er bleibt ein paar Minuten hart hinter ihnen. Die Kleine rechts muss schon etwas gemerkt haben. Sie tupft nämlich mit dem Arm die in der Mitte und lacht. Darauf dreht die in der Mitte ein ganz klein wenig den Kopf zurück. Diesen Moment benutzt Edi und tritt vor. »Sind Sie nicht Schwestern, meine Fräulein?« Er fixiert sie dabei fest, die beiden links werden blass, nur der Kleinen rechts scheint 64 das Abenteuer großen Spass zu machen. Und richtig öffnet die ihr rothes Mäulchen und mit hellem Backfischton: »O nein!«

»Aber Minna, das schickt sich nicht« – die in der Mitte.

»O, wir bitten sehr,« – die links.

»Nicht wahr, Fräulein Minna, das schickt sich schon,« benützt Edi die vorlaute Antwort. – »Was so ein liebes, kleines Fräulein sagt, schickt sich immer. Sie werden mir doch nicht böse sein, wenn ich Sie ein Stück begleite, auch wenn Sie nicht Schwestern sind.« Die kleine Minna war lustig und begann zu plauschen. Und Paula, die Mittlere, machte gute Miene – Kathi, die ganz Linke, machte sich bei der ersten Gelegenheit von dem Arm der spröden Paula los und trippelte auf die andere Seite, so dass die zwischen Minna und Kathi ging.

Sie erzählte, dass sie Freundinnen seien: das heißt, Minna erzählte es, Kathi lächelte dazu und Paula machte ein böses, sprödes Gesicht dazu. Vor einem Hausthor in der Windmühlgasse blieben sie stehen; da sei die Stickschule, die sie gemeinsam besuchten. –

Im Thor schwätzen sie noch lustig.

65 Endlich fragt Edi sie, ob er sie wiedersehen könnte.

Paula zuckt tief verletzt die Achseln und senkt den Blick. Kathi kichert ein bisschen verlegen. Minna aber lacht ihm lieb in die Augen, und wie sie den Mund öffnen will und reden, drückt er ihr einen langen, festen Kuss auf die Lippen. Kathi und Paula laufen weg, die Stiegen hinauf: »Aber so was!« Nur Minna bleibt. »Schlechter Mensch!« meint sie; ihre weißen Wangen werden hochroth. Er macht ein komisches Gesicht und kniet vor ihr nieder: »Bitte um Verzeihung, gnädigstes Fräulein!« »Schlechter Mensch!« lacht sie. – »Nur noch einen!« – – »Aber jetzt muss ich gehen.« – Er drückt sie an sich. »Ich geb' Sie nur unter der Bedingung frei, dass Sie mir auch einen Kuss schenken. Also, schnell, sonst fang' ich an.« Verschämt und ganz wirr vor Erregung küsst sie ihn leicht und reißt sich los. In einer Secunde ist sie in dem schwarzen Hintergrund verschwunden. Edi steht da – – Und das Wiedersehen? Er schlug sich vor die Stirne. Weil er so losstürmt auf alles! Zum Küssen wär' doch später Zeit gewesen . . . Er schreibt sich die Lehre tief in sein Gehirn. Bevor man 66 das Rendezvous verabredet, darf man nicht küssen. – – –

Müde schritt er durch die Neubaugasse in den siebenten Bezirk. Minna, Kathi, Poldi, – Resi, Resi, – das sauste so durch seinen Kopf. »Und das war ein süßes Dingl, die Minna, fast noch süßer als – –« Er war so müde und dabei doch so erregt. Und das Bild von einem lieben Gesicht tanzte unbestimmt vor seinen Augen. Er konnte nichts Sicheres, keine feste Contour davon erfassen. Bald sah's aus wie die Minna und dann war's doch die Resi. Und es kam ihm plötzlich vor, als hätte er seine Resi schon jahrelang nicht gesehen . . . Er bekam so Sehnsucht. – – Jetzt gieng er über die Lerchenfelderstraße, schon in den achten Bezirk. Es war Abend. Die Glieder schmerzten ihn vor Müdigkeit. Die Sonne war im Niedersinken. Wie er die steile Gasse hinab schritt, leuchtete die Spitze des Kahlenberges über den Dächern. Und die Häuser auf ihm, die Türkenkirche, das Hotel, glänzten und funkelten und hoben sich auf dem dunklen Waldgrund, wie die Zinnen einer kleinen Stadt, vom glühenden Horizont ab.

67 Nach ein paar Minuten verschwand das schöne Bild. Von ferne rauschte das Gerassel und Geklingel der Alserstraße des neunten Bezirkes. Die Laternen wurden angezündet. Er stand vor seinem Haus. – Was jetzt thun, hinaufgehen? Sich ausschlafen und die Resi Resi sein lassen. Die verdient das doch wirklich nicht, sich um sie so todtzuhetzen. Nur muthig brechen mit ihr – brechen! – –

Er stand noch immer unschlüssig beim Thor.

– – »Aber wenn ich ihr morgen von meiner Reise durch ganz Wien und meinen Abenteuern auf ihr erzähle, glaubt sie mir das gar nicht, und sie soll doch wenigstens sehen, was sie an mir angerichtet hat . . . Von hier zum Wetterhäuschen dauert's noch eine gute Stunde. Das bring' ich nicht mehr zusammen. Du fall' ich ja auf offener Straße nieder.« – – Er springt in eine Tramway. – Gott sei dank, noch ein Platz, dort neben den zwei Fräulein. – Er sitzt eine Viertelstunde apathisch, die Augen gesenkt.

Der erste Gedanke, nachdem er sich von seinen Strapazen ein bisschen erholt hatte, war: »Das erste Mal in Deinem Leben, dass Du neben zwei Fräulein eine Viertelstunde lang 68 gesessen, ohne sie anzusprechen. Er bereute seine Lethargie, sah aber ein, dass es jetzt zu spät war. – Aber ansehen darf man sie sich. Hübsche Gesichter. Er lächelte sie sehr vergnügt an. Da standen sie beide auf. Bravo, dachte er und streckte sich bequem auf der leeren Bank.

Beim Schottenthor steigt er aus. Er ist zwar ein bisschen ausgeruht. In den Beinen hat er aber durch das lange Sitzen ein Gefühl, als ob in jedem Muskel eine Kugel säße. Allmählich verliert sich das. Er geht quer durch die innere Stadt, dem Stadtpark zu. –

Vielleicht ist die Resi doch dort? Kann ja alles sein. Er war zu müde, um sich etwas fest zu wünschen. Er stolperte langsam über die »Freiung«. Immer mühsamer, – man musste ihn für einen Schwerkranken halten. Da packt ihn jemand von rückwärts beim Arm. »Ja, wie gehst Du herum, was ist denn Dir passiert? Und Jesus, wie schau'st denn aus? Ganz grün! Na hörst – –«

»Siehst, Resi, jetzt sollt ich Dich eigentlich nicht ansehen. Alles Du schuld. Um ganz Wien bin ich herumgelaufen, vor lauter Aerger über Dich, weil Du ein garstiges, böses Mädel 69 bist, und überfahren bin ich auch beinah' worden.« – –

»Aber häng' Dich ein und geh' schön langsam, armer Kerl! Sei wieder gut. Ich hab's ja nicht so ernst g'meint. So. Und jetzt erzähl' mir, was hast denn heute alles getrieben?« – –

Resi hielt den Schirm vor, den sie »wegen des Windes« aufgespannt hatte. Edi verstand das und küsste sie zur Einleitung seiner Bummelgeschichte. – – 70

 


 


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