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Dschumana

Djoumane

Übersetzt von Arthur Schurig

Nachgelassenes Werk. Erstdruck im Moniteur Universel vom 12. Juli 1873. In Buchform in den Dernières Nouvelles, 1873. Erste deutsche Übertragung.


Am 21. Mai 18** rückten wir wieder ein in Telémsan. Der Streifzug hatte Erfolg gehabt. Wir brachten Rinder, Schafe, Kamele, Gefangene und Geiseln mit.

Siebenunddreißig Tage Krieg oder vielmehr Treibjagd ohne Ende hatten unsre Pferde ausgezehrt und abgetrieben; aber immer noch hatten sie Leben und Feuer im Auge. Keins hatte Satteldruck. Unsre Leute waren von der Sonne bronzebraun gebrannt; sie hatten lange Haare, schmutziges Lederzeug, zerfetzte Röcke. In ihren Gesichtern leuchtete jene Sorglosigkeit vor Ungemach und Gefahr, die den echten Soldaten kennzeichnet. Jeder Sachverständige hätte unsre Reitenden Jäger der schmucksten neu eingekleideten Schwadron vorgezogen.

Seit dem frühen Morgen weilten meine Gedanken bei allen den kleinen Glückseligkeiten, die meiner harrten. Wie wollte ich in meinem eisernen Feldbette dachsen, nach siebenunddreißig Nächten unter meiner Wachstuchzeltbahn! Das Mittagsmahl auf einem Stuhle; frisches Brot und Salz nach Belieben … Weiterhin fragte ich mich: Wird Fräulein Concha eine Granat- oder eine Jasminblüte im Haar tragen? Hat sie den beim Abmarsch geleisteten Schwur gehalten? Ach, treu oder treulos, sie durfte auf die Fülle von Zärtlichkeit rechnen, die man aus der Wüste mitbringt. In der ganzen Schwadron gab es keinen, der nicht seine Pläne für den Abend gehabt hätte …

Der Oberst empfing uns väterlich und sagte sogar, er wäre mit uns zufrieden. Dann aber nahm er unsern Schwadronschef beiseite und hielt ihm in gedämpftem Ton eine fünf Minuten lange Rede, die, nach beider Mienen zu urteilen, wohl nicht besonders erbaulich war.

Wir betrachteten die Bewegungen der Schnurrbartspitzen des Kommandeurs; sie stiegen bis zu den Augenbrauen hoch, während die unsres Rittmeisters, erbärmlich aus der Form gekommen, zur Brust herabhingen. Ein junger Jäger (ich tat, als verstünde ich ihn nicht) behauptete, die Nase unsres Herrn Chefs verlängere sich zusehends. Unsre Nasen taten reichlich dasselbe, als er, vom Oberst entlassen, vor der Front stand und uns anknurrte: Die Pferde füttern! Wir bleiben marschbereit. Bei Sonnenuntergang wird wieder ausgerückt. Die Herren Offiziere sind zum Mittagessen zum Herrn Oberst befohlen. Punkt fünf Uhr. Feldanzug. Nach dem Kaffee an die Pferde … Wollen Sie noch mehr, meine Herren?

Uns hütend, Unzufriedenheit zu verraten, griffen wir stumm an unsre Tschakos; insgeheim wünschten wir den Rittmeister wie den Kommandeur zu allen Teufeln.

Es war uns wenig Zeit vergönnt, ein paar Vorbereitungen zu treffen. Ich zog mich eilig um, und wie ich fertig war, setzte ich mich nicht einmal in meinen behaglichen Ledersessel, aus Furcht, darin einzuschlafen.

Schlag fünf trat ich beim Oberst ein. Er bewohnte ein großes maurisches Haus, dessen Patio (Hof) von Menschen wimmelte, Franzosen und Eingeborenen, geschart um einen aus Süden gekommenen Trupp Pilger oder Gaukler.

Ein Greis, häßlich wie ein Affe, halbnackt, in zerrissenem Burnus, mit schokoladenbrauner Haut, über und über tätowiert, mit krausem und so buschigem Haar, daß man von weitem hätte glauben können, er trüge eine Bärenmütze, mit weißem, struppigem Barte, leitete die Vorstellung. Es hieß, er sei ein großer Heiliger und ein großer Zauberer. Vor ihm vollführte eine Musikbande (zwei Flötenbläser und drei Tamburinschläger) einen Höllenlärm, würdig des Stücks, das man spielte. Der Kerl behauptete, er habe von einem weltberühmten Marabut (Priester) jedwede Macht über Geister und wilde Tiere empfangen. Nach einer kleinen Ansprache an den Herrn Oberst und das verehrliche Publikum begann er eine Art Gebet oder Beschwörung mit Musikbegleitung, während seine Akteure unter seiner Direktion tanzten, sprangen, sich auf einem Beine drehten und sich mit derben Fauststößen die Brust schlugen.

Die Bläser und Trommler verstärkten immerzu das Tempo. Als Müdigkeit und Taumel die Leute um ihr bißchen Verstand gebracht, entnahm der Zauberer einigen um ihn stehenden Körben Skorpione und Schlangen und warf sie, nachdem er gezeigt hatte, daß sie voll am Leben waren, seinen Possenreißern zu. Wie die Hunde über einen Knochen fielen sie über das Viehzeug her und malträtierten es nach Noten.

Von hoher Galerie herab schauten wir uns das wunderliche Schauspiel an. Offenbar bot es uns der Oberst, um uns auf das Mahl ordentlich vorzubereiten. Ich für meine Person wandte meine Augen von den Schelmen ab, die mir widerlich waren, und ergötzte mich am Anblick eines hübschen dreizehn- oder vierzehnjährigen Mädchens, das sich durch die Menge drängte, um der Gaukelei näher zu kommen.

Sie hatte wunderschöne Augen; das Haar fiel ihr auf die Schultern, in dünnen Zöpfen, an den Enden kleine Silbermünzen, die sie durch anmutige Kopfbewegungen klirren ließ. Sie trug gewähltere Kleider als zumeist die Töchter des Landes: auf dem Kopf ein golddurchwirktes Seidentuch, ein gesticktes Samtmieder und kurze blaue Atlashosen, die ihre silberberingten Beine nackt ließen; überm Gesicht keinen Schleier. War sie Jüdin? Götzendienerin? Oder gehörte sie zu einer der heimatlosen Horden, die unverwirrt von frommen Vorurteilen sind?

Während ich jeder ihrer Bewegungen mit seltsamer Neugier folgte, hatte sie sich in die erste Reihe der Zuschauer durchgedrängt. Wie sie noch weiter vor wollte in die Gruppe der rasenden Gaukler, da strauchelte sie über einen schmalen, länglichen Korb, der zugedeckt war. Fast im selben Augenblick stießen der Zauberer und das Mädchen gräßliche Schreie aus. Der gaffende Kreis prallte entsetzt zurück.

Eine riesige Schlange war dem Korbe entschlüpft. Die Kleine hatte sie mit dem Fuße getreten; im Nu hatte sie sich um ihr Bein geringelt. Ich sah ein paar Blutstropfen unter dem Ringe an ihrem Knöchel hervorrinnen. Heulend und mit den Zähnen fletschend fiel sie rücklings hin. Weißer Schaum triefte von ihren Lippen, während sie sich im Staube wand.

Rasch, lieber Doktor! rief ich unserm Stabsarzt zu. Um Gottes willen, helfen Sie dem armen Dinge! Gemütsmensch Sie! erwiderte der Arzt. Merken Sie nicht, daß alles das auf dem Programm steht? Übrigens, mein Handwerk ist Arme und Beine absäbeln. Kleine Mädchen, die von Schlangen gebissen werden, behandelt mein Kollege dort!

Derweil war der alte Zauberer herbeigeeilt, um sich zunächst des Reptils zu bemächtigen.

Dschumana, Dschumana! sagte er im Tone freundschaftlichen Tadels zu ihm.

Die Schlange rollte sich auf, ließ ihre Beute und begann davonzukriechen. Rasch ergriff der Zauberer sie beim Schwanz. Sie mit ausgestrecktem Arme haltend, drehte er sich um sich selber und zeigte das Tier, das sich zischend wand. Bekanntlich ist eine Schlange, die man am Schwanze hält, hilflos. Sie vermag sich höchstens bis zu einem Drittel ihrer Länge aufzurichten und kann folglich nicht in die Hand beißen, die sie gepackt hat.

Nach einer Minute ward die Schlange wieder in ihren Korb gesteckt und der Deckel fest zugemacht. Der Zauberer trat zu der Kleinen, die immerfort schrie und zappelte. Er streute ihr eine Fingerspitze weißes Pulver, das er aus seinem Gürtel nahm, auf die Wunde; dann murmelte er dem Mädchen eine Beschwörung ins Ohr, deren Wirkung nicht auf sich warten ließ. Die Zuckungen hörten auf; die Kleine wischte sich den Mund ab, hob ihr Seidentuch auf, schüttelte den Staub daraus, band es wieder um den Kopf und erhob sich. Alsbald sah man sie fortgehen. Eine Weile darauf war sie oben auf unsrer Galerie, um Geld einzusammeln. Wir legten ihr auf Stirn und Schultern reichliche Fünfziger. Damit war die Vorführung zu Ende. Wir gingen zur Tafel.

Ich hatte tüchtigen Hunger und war gerade im Begriff, einem prächtigen Aal à la tatare die letzten Ehren zu erweisen, als unser Stabsarzt, dessen Tischnachbar ich war, mir zuflüsterte, er erkenne die Schlange von vorhin wieder. Es war mir unmöglich, auch nur ein Stück davon hinunterzubringen.

Nachdem sich der Doktor über mein Vorurteil weidlich lustig gemacht hatte, übernahm er mein Stück Aal und versicherte mir sodann, die Schlange schmecke köstlich.

Die Gaukler, die wir eben gesehen haben, sagte er zu mir, sind Kenner. Sie hausen mit ihren Schlangen in Höhlen wie Troglodyten. Und hübsche Töchter haben sie. Beweis: die Kleine in den blauen Hosen. Es sind gerissene Leute. Ich werde mich mit ihrem Scheich bekannt machen.

Während des Essens vernahmen wir, aus welchem Anlaß wir wieder ins Feld rücken sollten. Der vom Major R*** heftig bedrängte Sidi-Lala suchte nach den marokkanischen Bergen durchzubrechen. Es gab zwei Wege dahin, einen südlich von Telémsan, über die Mulaia, die man an einer einzigen Stelle durchwaten kann; das steile Ufer macht sie im übrigen unüberschreitbar. Der andre Weg geht nördlich unsers Standorts durch die Ebene. Ihn sollte das Gros unsres Regiments unter Führung des Obersten verlegen.

Unsre Schwadron hatte den Auftrag, Sidi-Lala am Überschreiten des Flusses zu hindern, falls er es versuchte. Es war wenig wahrscheinlich.

Die Mulaia fließt zwischen zwei Felsenmauern. An einem einzigen Punkte, an einer Art engen Bresche, kann man zu Pferd hinüber. Die Stelle ist mir wohlbekannt, und ich begreife nicht, daß man dort noch kein Blockhaus angelegt hat. Kurz und gut, der Oberst hatte alle Aussicht, dem Feinde zu begegnen, während wir für den alten Fritzen auszurücken hatten.

Ehe noch das Mahl zu Ende war, traf eine Patrouille ein mit der Meldung vom Major R***, der Feind habe sich festgesetzt und zeige Kampflust. Er werde ihn angreifen und weiter abdrängen.

In welcher Richtung würde Sidi-Lala zu entkommen suchen? Das war ungewiß. Man mußte ihm auf beiden Wegen entgegentreten. Außer Betracht blieb ein Drittes; er konnte sich in die Wüste werfen, wo seine Leute und sein Vieh früher oder später dem Untergang durch Hunger und Durst verfallen waren.

Man vereinbarte etliche Signale, um einander die Bewegung des Gegners mitzuteilen. Drei Kanonenschüsse in Telémsan sollten uns anzeigen, daß Sidi-Lala in der Ebene erscheine; Raketen unserseits sollten Verstärkung rufen. Aller Voraussicht nach konnte der Feind nicht vor Tagesanbruch auftauchen.

In völligem Dunkel saßen wir auf. Ich führte die Spitze. Ich fühlte mich müde; ich fror, zog den Mantel an und schlug den Kragen hoch. Ich steckte die Steigbügel durch, ließ meine Stute ruhig ausschreiten und hörte zerstreut auf die Unterhaltung des Vizewachtmeisters Wagner, der mir die Geschichte seiner Liebe erzählte, die bedauerlicherweise damit endete, daß die Treulose ihm nicht nur sein Herz, sondern obendrein eine silberne Uhr und ein Paar neue Socken gemaust hatte. Ich kannte die Historie längst; sie kam mir langweiliger denn je vor.

Unterwegs ging der Mond auf. Der Himmel war klar; vom Boden aber stieg leichter weißer Dampf auf, der an der Erde hinkroch und sie wie mit Baumwollflocken bedeckte. Auf diesen weißen Grund warf das Mondlicht lange Schatten; alle Gegenstände bekamen phantastische Formen. Bald glaubte ich arabische Vedetten zu erblicken; beim Heranreiten fand ich blühende Tamarinden. Bald parierte ich mein Pferd, weil ich Kanonenschüsse zu hören wähnte. Wagner erklärte, es seien Hufschläge.

Wir kamen an der Furt an; der Rittmeister traf seine Anordnungen. Der Ort war wie geschaffen zur Verteidigung. Unsre Schwadron hätte eine Brigade aufhalten können. Drüben auf dem andern Gestade herrschte Totenruhe.

Wir hatten schon ziemlich lange gelauert, da hörten wir den Galopp eines Pferdes, und alsbald erschien ein Araber auf einem prachtvollen Schimmel, und kam gerade auf uns zugeritten. An seinem Strohhute wehten Straußenfedern, und an seinem gestickten Sattel, an der eine mit Korallen und goldnen Blumen geschmückte Gebira hing, erkannte man, daß er Häuptling war. Unser Wegeführer sagte, es sei Sidi-Lala in Person. Es war ein schöner junger Mann, schlank und kräftig; sein Pferd beherrschte er wunderbar. Galoppierend warf er seine lange Flinte hoch in die Luft und fing sie wieder auf, wobei er uns wer weiß was für verächtliche Worte zurief.

Die Zeiten des Rittertums sind vorbei. Mein Vizewachtmeister griff nach einem Karabiner, um dem Marabut eins aufzubrennen, wie er meinte. Ich hielt ihn ab, und damit nicht gesagt werden könne, die Franzosen hätten einem Araber die Aufforderung zum Kampf im freien Felde abgelehnt, bat ich den Rittmeister, die Furt zu durchreiten und mit Sidi einen kleinen Waffengang riskieren zu dürfen.

Ich erhielt die Erlaubnis und ritt sofort durch den Fluß, während der feindliche Häuptling in kurzem Galopp zurücksprengte, um Anlauf zu gewinnen. Wie er mich auf seinem Ufer sah, raste er, mit angelegter Flinte, auf mich los.

Achtung! rief mir Wagner herüber.

Vor Flintenschüssen eines Reiters habe ich keine Angst weiter, und nach der Fantasia, die er uns vorgeritten hatte, konnte Sidi-Lalas Gewehr gar nicht schußbereit sein. In der Tat, drei Schritt vor mir drückte er ab, aber der Schuß ging nicht los. Blitzschnell warf mein Gegner sein Tier herum, und anstatt daß ich ihm meinen Säbel in die Rippen rannte, erwischte ich nur seinen flatternden Burnus.

Ich setzte ihm nach, jagte ihn mehr und mehr nach rechts ab und trieb ihn, wohl oder übel, gegen die steile Böschung am Fluß. Vergebens bemühte er einen Haken zu schlagen. Ich drängte ihn immer weiter ab.

Nach einigen Minuten, in rasender Karriere, sah ich, wie sein Pferd urplötzlich mit den Vorderbeinen hochging und wie Sidi-Lala an beiden Zügeln zerrte. Ohne mir klar zu werden, warum Roß und Reiter so seltsame Bewegungen machten, prallte ich wie eine Kugel darauf und jagte dem Scheich meinen Säbel mitten durch den Rücken, im Augenblick, wo der rechte Vorderhuf meiner Stute an seinen linken Schenkel schlug.

Roß und Reiter verschwanden; meine Stute und ich sanken ihnen nach. Ohne daß wir es bemerkt hatten, waren wir vor den steilen Hang gekommen und hinabgestürzt.

Während ich durch die Luft sauste – mein Gehirn arbeitete rasend rasch – sagte ich mir, der Leib des Arabers werde den Aufprall dämpfen. Unter mir sah ich deutlich den weißen Burnus mit einem großen Blutfleck. Bei einigem Glück wollte ich darauf landen …

Der Fall war nicht so schrecklich wie ich gedacht hatte, dank der Tiefe des Wassers. Es schlug mir über den Ohren zusammen. Eine Weile plätscherte ich in den Fluten; ich weiß nicht wie, mit einem Male war ich im hohen Schilf am Flußufer.

Was aus Sidi-Lala und den Pferden geworden war, das weiß ich nicht. Durch und durch naß, vor Kälte zitternd, stand ich im Schlamm, über mir die Felsenmauer. Ich tat ein paar Schritte, in der Hoffnung, eine weniger steile Stelle zu finden; doch je weiter ich ging, um so abschüssiger und unerklimmbarer kam mir das Gestade vor.

Plötzlich hörte ich hoch mir zu Häupten Pferdegetrappel und das Geklirr von Säbelscheiden an Bügeln und Sporen. Offenbar war das unsre Schwadron. Ich wollte rufen, aber kein Ton entkam meiner Kehle. Vermutlich hatte ich mir beim Sturz die Brust verletzt.

Man stelle sich meine Lage vor! Ich vernahm die Stimmen meiner Leute, ich erkannte die und jene und konnte niemanden zu Hilfe rufen. Ich hörte, wie Wagner sagte: Hätte mich der Leutnant nur schießen lassen. Er wäre am Leben und brächte es bis zum General.

Bald verhallten Geräusch und Stimmen; ich hörte nichts mehr. Über meinem Kopf hing eine dicke Wurzel herab. Wenn ich sie erfaßte, hoffte ich, könnte ich mich ans Ufer ziehn. Unter verzweifeltem Kraftaufgebot gelang es mir, mich hinaufzuziehen … Da! Ssss! Die Wurzel windet sich und entschlüpft mir mit gräßlichem Zischen … Es war eine riesige Schlange.

Ich fiel zurück in die Flut. Das zwischen meinen Beinen hingleitende Ungeheuer versank im Fluß. Es kam mir vor, als hinterließe es eine Feuerspur. Eine Minute später hatte ich meine Kaltblütigkeit wieder. Das über dem Wasser sprühende Licht war aber nicht verschwunden. Zwanzig Schritt vor mir füllte ein Weib mit der einen Hand einen Krug im Wasser; mit der andern hielt sie ein brennendes Stück harziges Holz.

Sie ahnte meine Gegenwart nicht. Ruhig setzte sie ihren Krug auf den Kopf und verschwand, ihre Fackel in der Hand, im Schilf. Ich folgte ihr und befand mich am Eingang einer Höhle.

Das Weib ging ruhig weiter und erstieg einen ziemlich jähen Hang, eine Art Rampe, die in den Felsen führte, in die Rückwand eines hohen Saales. Im Fackelschein erkannte ich den Fußboden, der nur wenig über dem Wasserspiegel lag; seine Ausdehnung jedoch vermochte ich nicht zu ermessen. Ohne recht zu wissen, was ich unternahm, folgte ich der Fackelträgerin in einiger Entfernung. Hin und wieder verschwand die Leuchte hinter Felsenecken, um alsbald wieder zu erscheinen.

Es dünkte mich, als sähe ich die dunkle Öffnung zu langen Hallen, zur Seite des Hauptsaales. Ich glaubte in einer unterirdischen Stadt mit Straßen und Nebenstraßen zu sein. Der Meinung, es sei gefahrvoll, allein weiter in dies endlose Labyrinth einzudringen, blieb ich stehen.

Mit einem Male ward eine der Galerien unter mir strahlend hell. Ich erblickte eine Menge Fackeln, die aus der Flanke des Felsens wie zu einem Umzug hervortraten. Zugleich erhob sich monotoner Gesang, in der Art der Psalmodie der Araber bei ihren Gebeten.

Bald unterschied ich einen langen Zug Menschen, der langsam vorwärts ging. An der Spitze schritt ein schwarzer, fast nackter Mann, mit einer Riesenfülle gesträubten Haupthaares. Sein weißer, lang herab wallender Bart stach grell ab vom Braun seiner blautätowierten Brust. Sogleich erkannte ich meinen Zauberer vom Nachmittag wieder, und gleich darauf bemerkte ich auch das kleine Mädchen, das die Rolle der Eurydike gespielt hatte, mit ihren schönen Augen, den seidnen Hosen und dem gestickten Taschentuch auf dem Kopfe.

Weiber, Kinder, Männer jeglichen Alters folgten ihnen, alle mit Fackeln, alle in seltsamen Gewändern in grellen Farben, Schleppkleidern, Spitzmützen (etliche aus Metall, die im Widerschein des Fackellichtes glänzten und gleisten).

Der alte Zauberer machte gerade unter mir halt; mit ihm der ganze Zug. Große Stille trat ein. Ich stand etwa zwanzig Fuß über ihm, gedeckt von Felsblöcken, so daß ich annahm, alle sehen zu können, ohne selber gesehen zu werden. Dem Greise zu Füßen bemerkte ich eine breite rundliche Steinplatte, die in der Mitte einen eisernen Ring hatte.

Er stieß einige Worte in mir unbekannter Sprache aus. Sicherlich war es weder arabisch noch kabylisch. Ein Strick mit Rollen, irgendwo befestigt, fiel vor ihm hin. Einige der Anwesenden knüpften ihn an dem Ringe fest; und auf ein Zeichen zogen zwanzig kräftige Arme zugleich an. Der sichtlich sehr schwere Stein richtete sich auf. Man schob ihn beiseite.

Jetzt sah ich eine Brunnenöffnung oder dergleichen. Das Wasser darin stand mindestens ein Meter unter dem Rande. Wasser habe ich gesagt? Ich weiß nicht, was für eine abscheuliche Flüssigkeit es gewesen sein mag; sie war von einer opalisierenden Haut bedeckt, die freie Stellen zeigte, wo häßlicher Schlamm zu sehen war.

Der am Brunnenrand stehende Zauberer hielt seine linke Hand auf das Haupt des kleinen Mädchens. Mit der Rechten machte er sonderbare Bewegungen, wobei er eine Art Beschwörung hersagte. Die Menge umringte ihn.

Von Zeit zu Zeit verstärkte er seine Stimme, wie wenn er irgendwem zuriefe: Dschumana! Dschumana! Er brüllte geradezu, aber niemand kam. Dazu rollte er die Augen, fletschte mit den Zähnen und gab wilde Schreie von sich, die kaum wie Menschenlaute klangen. Des alten Gauklers Gebaren reizte, empörte mich. Ich war nahe daran, ihm einen der Steine, die ich zur Hand hatte, an den Schädel zu werfen.

Etwa zum dreißigsten Male hatte er Dschumana! gerufen, da sah ich, wie sich die Opalhaut im Brunnen hob. Auf dies Zeichen warf sich die ganze Menschenmenge rücklings zu Boden. Nur der Greis und das junge Mädchen blieben am Rande des Loches.

Aus der Tiefe blähte sich eine große bläulich schillernde Blase, und heraus kam der ungeheure Kopf einer bleigrauen Schlange mit phosphoreszierenden Augen …

Unwillkürlich prallte ich zurück. Ich vernahm einen leisen Schrei und das Geräusch eines schweren ins Wasser fallenden Körpers.

Wie ich wieder hinabblickte, ungefähr zehn Sekunden später, sah ich den Zauberer allein am Brunnen, dessen Wasser nach wie vor wallte. Zwischen den Fetzen der Opalhaut schwamm das Tuch, das die Kleine auf dem Kopfe gehabt hatte.

Schon war die Steinplatte wieder in Bewegung, um die Öffnung des gräßlichen Schlundes zu schließen. Zugleich erloschen alle Fackeln. Ich blieb zurück inmitten von Finsternis und so tiefem Schweigen, daß ich das Klopfen meines Herzens hörte.

Sobald ich mich von dem schrecklichen Schauspiel einigermaßen erholt hatte, entschloß ich mich, die Höhle zu verlassen. Ich schwor mir, wenn ich je zu meinen Kameraden zurückkommen sollte, diesen Ort wieder aufzusuchen, um seine abscheulichen Insassen, Menschen wie Schlangen, auszurotten.

Es galt, den Rückweg zu finden. Soweit ich mich erinnerte, war ich etwa hundert Schritte weit in die Höhle hineingegangen, die Felswand zur Rechten. Ich machte kehrt, nahm aber keine Helligkeit wahr, die mir den Ausgang des unterirdischen Ganges gewiesen hätte. Er lief nicht in gerader Richtung, und überdies war ich vom Flußufer fortwährend gestiegen. Ich tastete mit der linken Hand den Felsen ab; in der Rechten hielt ich meinen Säbel, mit dem ich das Gelände sondierte. Langsam und vorsichtig schritt ich vorwärts, zehn Minuten, zwanzig Minuten, dreißig Minuten, ohne an den Ausgang zu kommen.

Unruhe überkam mich. Sollte ich, ohne es zu bemerken, in einen Seitengang eingebogen sein, anstatt den Weg zurückzugehen, den ich gekommen war?

Immerfort ging ich weiter, am Felsen hintastend, als ich plötzlich statt des kalten Steines einen Teppich fühlte, der unter meiner Hand zurückwich und einen Lichtstrahl durchließ. Doppelt vorsichtig schob ich den Teppich leise zur Seite und trat in einen kleinen Vorraum, dessen Tür nach einem tageshellen Gemach offen stand. Von außen sah ich, daß dies Zimmer mit Seidenstoff ausgeschlagen war, darauf goldene Blumen gewirkt waren. Ich nahm einen türkischen Teppich wahr und das Ende eines mit Samt bezogenen Diwans. Auf dem Teppich standen Räucherpfannen Und eine silberne Wasserpfeife. Mit einem Worte, ich befand mich in einem Prunkgemach nach türkischem Geschmack.

Auf den Zehenspitzen schlich ich bis zur Tür. Eine junge Frau hockte auf dem Diwan, neben dem ein kleiner niedriger eingelegter Tisch stand; darauf ein großes Tablett aus feuervergoldetem Silber mit Tassen, Flaschen und Blumensträußen. Beim Eintritt in dies unterirdische Boudoir umfing mich der Zauber eines köstlichen Parfüms. Das ganze Gemach atmete Wollust aus. Ringsum strahlten mir Gold, kostbare Stoffe, seltene Blumen und tausend Farben entgegen. Zuerst bemerkte mich das junge Weib nicht. Gesenkten Hauptes, in Gedanken verloren, spielte sie mit den gelben Kugeln ihrer langen Bernsteinhalskette. Sie war bildschön. Ihre Züge glichen denen des unglücklichen Mädchens, das ich kurz zuvor geschaut hatte; nur waren sie feiner, regelmäßiger, sinnlicher. Rabenschwarz ihr Haar und wunderbar lang; es flutete ihr über die Schultern, auf den Diwan hinab zum Teppich. Ein Hemd von durchsichtiger, breitgestreifter Seide verriet ihre Arme und ihre wonniglichen Brüste. Ein goldverbrämtes Seidenwams umfing ihre Hüften, und aus den Höschen von blauem Atlas guckten entzückende Waden und niedliche Füße hervor mit goldenen Pantoffeln, die sie mit drolliger Grazie tanzen ließ.

Meine Stiefel knarrten. Sie hob den Kopf und erblickte mich. Ohne erschrocken zu sein, nicht im mindesten überrascht, daß ein Fremdling mit dem Säbel in der Hand vor ihr stand, klatschte sie in die Hände und bedeutete mir, näher zu treten. Zum Gruß legte ich meine Linke auf Herz und Haupt, ihr zu beweisen, daß ich mit muselmännischer Sitte vertraut war.

Sie lächelte mir zu und machte mit beiden Händen den Diwan frei von ihrem wallenden Haar, zum Zeichen, daß ich ihr zur Seite Platz nehmen solle. Es war mir, als entströmten diesem Haar alle Düfte Arabiens.

Bescheiden setzte ich mich auf das äußerste Ende des Diwans, indem ich mir vornahm, allmählich ihr näher zu rücken. Sie nahm eine Tasse vom Tablett; die Filigranuntertasse in der Hand, füllte sie die Obertasse mit brodelndem Mokka, nippte daran und reichte sie mir, indem sie mir verliebt zuflüsterte: Rumi, o Rumi …

 

Herr Leutnant, so früh am Morgen ist dies besser als Kognak!

Bei diesen Worten riß ich meine Augen auf, so weit es ging. Das junge Weib hatte einen enormen Schnurrbart; es sah genau aus wie der Vizewachtmeister Wagner … In der Tat, Wagner stand vor mir und kredenzte mir eine Tasse Kaffee, während ich auf dem Halse meines schlummernden Pferdes lag und ihn verblüfft anglotzte.

Der Herr Leutnant hat feste geschlafen. Wir liegen an der Furt, und der Kaffee ist mordsheiß.


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