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1847 bei Heinrich Heine

An einem schneidend kalten Wintermorgen – genau gesagt, am 8. Februar 1847 – wurde ich in Paris ausgesetzt. Seit ich die Stadt betreten, glaubte ich ein unaufhörliches weitverbreitetes Getöse wie von einer Meeresbrandung zu vernehmen. Möglich, daß es Täuschung war; es mag aber auch wirklich eine ununterbrochene Erschütterung der Luft, wie sie eine solche Stadt bedingt, sich gewissen Nerven bemerkbar machen.

Dieses ozeanische Brausen wuchs mir im Ohre, als ich mich ins Innere der Stadt führen ließ, um im Palais Royal zu frühstücken, und es steigerte sich bis zum Widerwärtigen, als ich in die Rivolistraße hinaustrat. Erst im nahen Tuileriengarten ward es schwächer. Dort hielt ich lange still vor einer Statue in Erzguß. Es war der Spartakus von Foyatier, der vor dem mittleren Pavillon des Tuileriengartens stand. Er hat die Fesseln zersprengt, beide Arme mit geballten Fäusten übereinandergeschlagen, das kurze Gladiatorenschwert in der Linken, im Gesicht den Ausdruck energischer Empörung. Dieser vor das Königschloß aufgestellte Spartakus gab mir zu denken. Sollte er Frankreich symbolisieren?

Ich wanderte weiter und kam auf den Platz de la Concorde. Die Sonne trat aus den Wolken und warf ihr Licht auf das ungeheure Bild, das sich vor mir auftat. Eine Fülle von Erinnerungen stürmte auf mich ein, aber welche Fülle der Gegenwart war auch da! Die Springbrunnen, die ihr Wasser in die kolossalen Becken schütteten, die Wagen, die Menschen, die ungeheure Strecke der elysäischen Felder in Dunst und Nebel verschwimmend ...

Es war am 10. Februar 1847 in einer der Nachmittagsstunden zwischen drei und sechs, als ich mich aufmachte, einen Brief Heinrich Laubes bei Heinrich Heine abzugeben. Ich hatte das Haus, das in der Nähe meines Absteigequartiers, des Hotel Violet, lag, bald gefunden. In der Rue Faubourg Poissonnière biegt links ein enges Gäßlein ein; das dadurch entstandene Eckhaus war die bezügliche Nummer 46. Ich stieg drei hölzerne, schmale, gefährlich glatt polierte Treppen aufwärts und stand vor einer schmalen braunen Türe, an der eine grünseidene Glockenschnur herabhing.

Ich schellte, eine korpulente, noch ziemlich jugendliche Dame öffnete, warf einen prüfenden Blick auf meinen vaterländischen Rock und sagte mir, daß Monsieur Eine ausgegangen sei.

»Je suis desolé«, sagte ich mit wirklicher Enttäuschung, »de ne pas trouver Monsieur Heine. Je viens de Leipzig, porteur d'une lettre de Monsieur Laube. Quand, Madame, pourrai-je avoir le plaisir? –«

»II n'est pas sorti! II n'est pas sorti!« rief in diesem Augenblicke eine sehr dünne Stimme, und ein eher kleiner als großer Mann, nicht alt, nicht jung, den Kopf ein wenig vorgerückt, erschien zwischen der Tür in einem Schlafrock, der um seine nackten Beine flatterte.

Es war Heinrich Heine, und ein Druck seiner weichen sanften Hand hieß mich willkommen.

»Entrez, entrez! Ich bin soeben heimgekommen – muß mich umziehen, weil ich ganz in Schweiß gebadet war!« rief er keuchend, aber so laut, als wenn er zu einem Schwerhörigen spräche.

»Ja, ma biche, das ist ein Freund aus Deutschland, der mir einen Brief von Laube bringt«, erklärte er der Gattin. »Madame Heine will keine Deutschen zu mir lassen. Sie erkennt dieselben auf den ersten Blick«, fügte er lachend hinzu. Damit eilte er in das Nebenzimmer.

»Ja, mein Err!« sagte Madame gezwungen lächelnd. »J'ai vu du premier abord que Monsieur est Allemand.«

»Woran erkennen Sie uns?« fragte ich schüchtern.

»Oh, mon Dieu – an den Kleidern – an den Stiefeln –«

»Der deutsche Stiefel sieht fast immer so aus, als habe ihn Hans Sachs verfertigt«, rief Heine aus dem Nebenzimmer lachend herüber.

Ich warf einen Blick auf meinen Rock – mein Schuhwerk – Dresdener Fabrikat und konnte an beiden nichts Ungewöhnliches erkennen. Dennoch mußte etwas daran nicht stilgemäß sein. »Und warum«, frage ich, »sind die Deutschen bei Ihnen so in die Acht erklärt? – Doch – ich kann's mir denken, Ihr Gemahl wird mit Besuchen überlaufen –«

»Ich kann es nicht leugnen«, sagte jetzt Heine, der mittlerweile in etwas vervollständigter Toilette wieder erschienen war. »Es kommt mir selten aus dem Vaterlande etwas Erfreuliches zu. Was sich als deutsche Landsmannschaft präsentiert, ist oft so zweifelhafter Natur – dagegen schenkt mir ein ehrenhafter Landsmann, dessen Namen mir bekannt ist, die Ehre seines Besuches, so kann er einer freundlichen Aufnahme gewiß sein. – Doch, kommen Sie auf mein Zimmer. Wir müssen ein langes und breites schwatzen. Ich höre ja selten etwas –«

Erst jetzt sah ich mir Heine näher an. Er war bei weitem noch nicht der kranke Mann, als den wir ihn einige Jahre später uns zu denken gewöhnt sind. Freilich war das rechte Auge geschlossen, aber andere Spuren des vorangegangenen Schlaganfalls waren auf seinem Gesichte kaum bemerkbar. Dieses Gesicht war von eigentümlicher Schönheit, die Stirne hoch und edel, die Nase fein und vornehm geschnitten, den Mund von zierlicher Bildung umschattete ein Bart, der auch das ganze Kinn umkleidete. Dieser Bart war schon weiß gesprenkelt, während das volle braune Haupthaar, das tief in den Nacken hinabhing, in seiner Üppigkeit noch keine Spur des Alters verriet. Der Gesamteindruck seines Gesichtes war schwärmerische Schwermut, doch wenn er sprach und sich bewegte, brach eine ungeahnte Energie und ein überraschendes, fast dämonisches Lächeln hervor. Er war noch so ziemlich gut auf den Beinen und konnte, auch nur um eines Zeitungsartikels wegen, den weiten Weg vom Faubourg Poissonnière bis zum Palais Royal ins Cabinet de Lecture zurücklegen.

Heine stand damals im achtundvierzigsten Jahre. Zu seiner Krankheit, welche später zu so schrecklichen Verwüstungen führte, war durch Aufregungen in einem Erbschaftsstreite der Grund gelegt worden. Heine hatte von seinem Oheim, dem dreißigfachen Millionär Salomon Heine, eine Jahresrente bezogen und hatte nie einen Zweifel gehegt, daß ihm diese auf Lebzeiten gesichert bleiben werde. Da war Salomon Heine im Dezember 1844 gestorben, und im Testamente fehlte die Rente. Zahlreiche Institute und Personen waren mit den splendidesten Legaten bedacht, und er, der Neffe, ging so gut wie leer aus. Ihm war ein für alle Mal die Summe von achttausend Mark ausgesetzt, und selbst an Auszahlung dieser geringen Summe war noch die Bedingung geknüpft, daß der Dichter die Verpflichtung eingehe, niemals eine Zeile zu schreiben, durch welche irgendein Mitglied der Heineschen Familie verletzt werden könne. Wer hatte in so unheimlicher Weise auf den alten Herrn eingewirkt, in welchem Heine einen zweiten Vater verehrt hatte? Von wem rührte diese Rache her? Obschon nun das Testament die Klausel enthielt, daß jede Unzufriedenheit mit den Bestimmungen des Erblassers sowie jeder Versuch, den Haupterben im ruhigen Besitze des ihm Vermachten zu stören, den gänzlichen Verlust jedes Anrechts auf das ihm Zugesprochene nach sich ziehen solle, war Heinrich Heine bei der ersten Kunde, daß sein Vetter das Aussprechen der vorgenannten Verpflichtung verlange, entschlossen, sein bedrohtes Recht auf gerichtlichem Wege geltend zu machen. Da gab es Stürme, schlaflose Nächte, Aufregungen aller Art. Der Kämpfer, dem hundert wütende Angriffe nichts geschadet hatten, erlag jetzt dem Ärger und der Kränkung. Wie würde es um seine alten Tage bestellt sein.

Sein Organismus schien ihn schon jetzt fühlen zu lassen, daß dieser Zustand über kurz oder lang mit dem Tode enden müsse. Ohne Besserung zu fühlen, war er das Jahr zuvor aus dem Pyrenäenbad Bagnères zurückgekehrt und hatte es in Paris mit ebensowenig Erfolg mit mehreren Ärzten versucht.

Dessenungeachtet war er noch immer gesellig, liebte es, Gäste bei sich zu sehen, konnte ausgelassen lustig sein, scherzen, lachen, spotten. Sein Geist schien von den Leiden des Körpers völlig frei geblieben zu sein und arbeitete in einer in Trümmer gehenden Wohnung weiter mit der alten Kraft, wie unbekümmert darum, wann das Dach über ihm zusammenstürzen sollte.

Es ist erzählt worden, daß Heine sehr gesellig gelebt habe, viel in hochgestellte Pariser Kreise gekommen sei und mit den Notabilitäten der französischen Presse vielfachen Verkehr gepflogen habe. Das mag in den früheren guten Tagen so gewesen sein; jetzt war es nicht der Fall, er lebte sehr zurückgezogen. In deutsche Familien kam er gar nicht, vermutlich deshalb, weil er seine Frau nicht dahin mitnehmen konnte, und in französische ebensowenig. Er war mit der französischen Schriftstellerwelt bekannt, aber die Beziehungen waren keine lebendigen, er kam mit keiner dieser Persönlichkeiten öfter zusammen. Ein paar davon waren ihm immer fern geblieben. Victor Hugo auf seinen Stelzen, Lamartine auf seinem weihrauchduftenden Wolkenthron. Mit George Sand war er ehedem befreundet gewesen, jetzt hatte er die Schriftstellerin, die mit Chopin zusammen in der akazienbeschatteten Cour du Orleans wohnte, schon manches Jahr nicht mehr gesehen. Nächst dieser genialen Frau interessierte ihn Balzac am meisten, er erzählte oft von Spaziergängen im Tuileriengarten, wo dann Balzac die erste beste etwas auffallende Erscheinung zum Anlaß nahm, die wunderbarsten Kenntnisse in der Naturgeschichte der Stände zu entwickeln. Mit Leon Gozlan und Jules Janin war der Verkehr, der ehedem bestanden, auch ganz eingeschlafen. Die großen Entfernungen, der Ernst der Arbeit und das Leben einer Stadt wie Paris mit seinen tausend Zerstreuungen bringen es mit sich, daß auch solche, die großen Gefallen aneinander finden, sich lange nicht sehen und sich zuletzt aus den Augen verlieren. Vollends aber der Kranke ist nur ein halber Mensch. Alles schien ihn vergessen zu haben. Nur der arme Gerard de Nerval, der ein lebendiges Interesse an deutschem Geistesleben nahm, kam zuweilen ins Haus.

Heines Hauptumgang war sonach der mit einfachen Sterblichen, ohne Prätensionen auf Kränze und Nachruhm. Er beschränkte sich schließlich auf deutsche Literaten, die als Berichterstatter nach Paris gekommen waren. Unter diesen stand Dr. Heinrich Seuffert obenan; er war der einzige, der Heine gemütlich nahegekommen. Heine suchte seinen Umgang und hatte es nicht gern, wenn Seuffert länger ausblieb.

Heinrich Seuffert war ein hübscher Mann in den Dreißigern mit blondem, zu Locken geneigtem Haarwuchs und echt germanischer Wangenröte, scheinbar sehr gesund, aber von hochgesteigerter Nervosität. Er hatte eine Gewohnheit angenommen, die vieles Flüstern und Kopfschütteln erzeugte, wenn er ein öffentliches Lokal betrat und ihm bei Leuten, die seinen Namen nicht wußten oder nicht behielten, den Namen: le monsieur au ruban (der Mann mit dem Bande) verschafft hatte. Er pflegte nämlich ein mehrere Meter langes, schmales schwarzes Seidenband bei sich zu tragen, das er auf und ab bewegte, in die Luft warf und wieder auffing. Es mußte neben ihm liegen, wenn er schrieb. Manchmal trieb er es, sich und die Umgebung selbst vergessend, so arg damit wie ein junges Kätzlein mit einem Knäuel. Nahm man ihm scherzeshalber sein Spielzeug weg, was nicht selten geschah, so wurde er unruhig, machte ein betrübtes Gesicht und bat schließlich inständig, daß man ihm sein Band zurückstelle, denn er konnte ohne dasselbe nicht leben. Ein solches Band dauerte nicht lange, allwöchentlich wurde ein neues gekauft und das alte Spielzeug weggeworfen.

Dieser wunderliche Mann schrieb gleich gut französisch wie deutsch und war überhaupt ein merkwürdiger Stilist. Er schrieb die Woche mehrmals politische Berichte für die »Augsburger Allgemeine Zeitung« und von Zeit zu Zeit längere Artikel über Kunst und Literatur für die Beilage derselben und für das »Stuttgarter Morgenblatt«. Seine Artikel, denen er das Marszeichen voranstellte, glichen in der Form so sehr denen Heines, daß sie vielfach von jenen, welche die vorgesetzten Zeichen nicht beachteten – Heine führte das Davidsschild –, für Heinesche gehalten wurden. Als die »Lutetia« erschien, vermißten viele diesen und jenen witzigen Brief, den sie im Gedächtnisse behalten und Heine zugeschrieben hatten. Es waren Briefe Heinrich Seufferts gewesen.

Er hatte sich ganz an Heines Stil herangebildet, bewegte sich in denselben Sprüngen und Kapriolen, aber ein anderer Geist schlug dann und wann durch. Er war nämlich ein gar gläubiger Katholik von Haus aus – er entstammte einer Würzburger Familie – und ging in dieser Richtung immer weiter, seitdem er sich in eine junge Französin aus einer legitimistischen Familie verliebt hatte. Das Fräulein hatte sich mit der Absicht getragen, ins Kloster zu gehen, sie wollte lange von Seufferts Werbungen nichts wissen. Endlich machte ein Abbé die junge Dame darauf aufmerksam, daß sie ja bei ihrem Geiste als verheiratete Frau im Verkehre mit Weltmännern der Kirche weit größere Dienste leisten könne als im Kloster. So war ein Ausweg aus den sich kreuzenden Neigungen gefunden, und Seuffert atmete wieder auf, voll Hoffnung, daß er die, welche eine Gottesbraut hatte werden wollen, sein eigen nennen werde ...

Alles, was in Paris damals an deutschen Berichterstattern beisammen war, fand sich zwischen drei und fünf in einem größeren Lesekabinett ein. Dieses, der Cercle Valois genannt, befand sich im Palais Royal, also einem bequem in der Mitte gelegenen Punkte. Auf einem großen Mitteltische waren an die fünfzig Zeitungen, französische und fremdländische, aufgelegt; es war für Tintenfässer und Federn gesorgt; die Herren lasen, schrieben ihre Berichte und trugen sie dann eigenhändig auf das unfern gelegene Postbüro der Börse.

In diesem Lesekasino erschien Heine sehr häufig, höchst regelmäßig an den Tagen, da die Wochenblätter ankamen, und da er für Lob und Tadel keineswegs unempfänglich war, stöberte er in den Blättern herum, seinem Namen zu begegnen. Was er über sich und seine Schriften las, war selten erfreulich. Es war eine starke Gegenströmung gegen ehemals eingebrochen; man behauptete, er habe sich ausgeschrieben, sein Talent habe sich abgeschwächt und sei im Verfalle begriffen. Und das wurde nicht etwa zu begründen versucht, es sprach sich durch die Kürze und den wegwerfenden Ton gelegentlicher Erwähnungen aus. Heine äußerte sich nicht darüber, aber man sah wohl, wie ihm dabei zumute war. Besonders schien eine Anzahl kleiner deutscher Notizler aus Paris es auf ihn abgesehen zu haben. Einer derselben hatte, während Heine die Bäder in Bagnères gebrauchte, in der Deutschen Allgemeinen erzählt, Heine sei in eine Pariser Irrenanstalt gebracht worden. Nun hatte derselbe Berichterstatter gemeldet, Heine sei gestorben. »Mich ärgert nur«, sagte Heine, »daß der Herr Professor Bülau, der Chefredakteur, so wenig Wert auf mein Leben legt, daß er es nicht einmal der Mühe wert gehalten hat, vorn im Inhaltsverzeichnis meines Todes Erwähnung zu tun. Da hat doch die »Preußische Allgemeine«, wiewohl sie mir nicht hold ist, besser gehandelt. Sie hat mir armem Sünder ein Kreuz gespendet. Heine †.«

»Nun leben Sie aber, und das ist die Hauptsache.«

»Ja, ich lebe und fühle, daß ich gestochen werde«, entgegnete Heine bitter. »Das Schlimme ist, daß man sich gegen das Ungeziefer nicht wehren und es auch nicht bestrafen kann. Je kleiner das Insekt ist, um so weniger kann man ihm beikommen. Das ist's: Flöhe kann man nicht brandmarken! – Von den Franzosen«, fuhr er, sich selbst tröstend, fort, »werde ich anders behandelt. Balzac hat mir seine letzterschienene Novelle gewidmet. Er nennt mich in der Zueignung den würdigsten Repräsentanten französischen Geistes in Deutschland und deutscher Poesie in Frankreich. Theophile Gautier sagt mir in seiner Vorrede zu den »Willis« die liebenswürdigsten Schmeicheleien. – In der teueren Heimat dagegen – doch ich will schweigen!«

Ich hatte im Cercle Valois alle Berichterstatter der »Augsburger Allgemeinen Zeitung« nacheinander kennengelernt, nur einen derselben, den Baron Ferdinand v. Eckstein, hatte ich nie zu Gesicht bekommen. Es war dies ein getaufter und geadelter Jude, der, wie es hieß, Sanskrit und andere indische Sprachen trieb und der Zeitung ab und zu ganz lose, mit den Ereignissen verknüpfte Betrachtungen, wenn man will Parabasen, in einem äußerst wunderlichen apokalyptischen Stile geschrieben, einsendete. In jedem Artikel war von der indischen Trimurti, von dem Geheimnisse der heiligen Dreifaltigkeit, und vom Thomas von Aquin die Rede; in jedem wendete er sich mit Erbitterung gegen die von ihm sogenannten »Hegelingen«.

»Sie wünschten Eckstein zu sehen? Den können Sie nicht zu sehen bekommen«, rief Heine herüber, als ich einmal fragte, warum man diesen Baron nie sehe. »Eckstein ist tot – schon vor vielen Jahren gestorben. –«

»Ich habe doch neulich erst wieder einen Pariser Artikel in der ›Allgemeinen‹ gesehen«, meinte ich, »den kein anderer als er geschrieben haben kann. Er handelte von Buddha, Schiwa und vielen anderen indischen Größen, um schließlich auf Hegel zu kommen.«

»Eckstein ist doch tot«, sagte Heine mit jenem Tone aufrichtiger Trauer, von dem man immer wußte, daß er einen Scherz verberge. »Der arme Eckstein ist vollständig tot. Er hat aber ein Rezept hinterlassen, das in der Apotheke der Redaktion niedergelegt ist. Nach diesem Rezepte wird von Zeit zu Zeit die Mixtur – eine Art Theriak, sehr kompliziert – bereitet. Sie ist in die Augsburger Pharmakopöe vollständig aufgenommen. –«

Wie an den meisten seiner Witze hatte Heine auch an diesem großes Wohlgefallen. Um ihn lachen zu hören, fragten wir ihn später öfter, ob denn Baron Eckstein wirklich gestorben sei, und erhielten immer dieselbe Versicherung, die gleiche Antwort mit kleinen gelegentlichen Ausschmückungen. Es ist begreiflich, daß solche Scherze weitergetragen wurden und endlich denen zu Ohren kamen, die sie betrafen. Die Folge waren Anfeindungen, Gehässigkeiten, mündliche und gedruckte Sottisen. Er hatte nach dieser Richtung hin Erfahrungen genug gemacht, aber sie brachten ihn von seinen Gewohnheiten nicht ab. Er konnte den Witzkitzel, wenn er über ihn kam, nicht unterdrücken. Potius amicum, quam dictum perdere, nannte das der Römer.

Angeborener leichter Sinn, der sich bei phantasievollen Naturen bis in die Periode der Dreißig erhält, hatte Heine ein Band knüpfen lassen, dem ursprünglich eine nur flüchtige Dauer zugedacht war und das sich allmählich, weil sich in ihm ein weiches, nachgiebiges Herz mit einem sehr schwachen Willen vereinigte, in ein sehr festes, unzerreißbares Band verwandelt. Ich meine damit das Verhältnis zu Mathilde. Wie war es damit bestellt? Hat es seinem Leben eine bestimmte Richtung gegeben? War es ihm zum Heil oder Unheil? Hat es ihm mehr Glück oder mehr Leid gebracht?

Ich glaube, diese Frage jetzt weit richtiger als ehedem beantworten zu können, und doch beantworte ich sie heute ganz anders als vor zwanzig Jahren. Ich glaube aber auch durch mein von Adolph Strodtmann stark benutztes Buch Anlaß zu einer sehr falschen Auffassung der Dinge gegeben zu haben, zu einer Auffassung, die später gang und gäbe geworden. Es gibt eben Dinge im Leben, die ein Mensch in jenen Jahren nicht durchschaut, weil er noch ein Novize im Leben ist und den Worten der Menschen mehr Bedeutung beilegt, als sie in der Tat haben, anders gesagt: weil er gläubig ist. Es gibt aber merkwürdigerweise auch Dinge, über die man sich erst klar wird, wenn Jahre und Jahre über sie dahingegangen. Zu den Dingen, die ich heute ganz anders ansehe als vor zwanzig und mehr Jahren, gehört nun auch Heines Verhältnis zu Mathilde.

Die ersten Andeutungen über seine leidenschaftliche Neigung finden wir heute in seinen Briefen an Campe vom Jahre 1835. Aber bald darauf schreibt er demselben: »Gott sei Dank, meine Seele ist wieder beschwichtigt, die aufgeregten Sinne sind wieder gezähmt, und ich lebe heiter und gelassen auf dem Schlosse einer schönen Freundin, in der Nähe von Saint-Germain, im lieblichen Kreise vornehmer Persönlichkeiten ... Ich glaube, mein Geist ist von allen Schlacken jetzt endlich gereinigt, meine Bücher harmonischer. Das weiß ich; vor allem Unedlen und Unklaren, vor allem, was gemein und muffig ist, habe ich in diesem Augenblick einen wahren Abscheu.« Aber der Rückfall bleibt nicht aus; drei Monate später schreibt er aus Boulogne an einen andern Freund: »Den Überbringer Ihres Briefes habe ich leider nicht sehen können, da ich mich auf dem Lande befand, bei Saint-Germain, auf dem Schlosse des schönsten und edelsten und geistreichsten Weibes – in welches ich aber nicht verliebt bin. Ich bin verdammt, nur das Niedrigste und Törichtste zu lieben – begreifen Sie, wie das einen Menschen quälen muß, der stolz und sehr geistreich ist?« Er hatte in der Tat bei seiner Rückkehr nach Paris das Verhältnis zu Mathilden wieder aufgenommen und stellte sie seinen Freunden als Madame Heine vor, obschon er nicht daran dachte, den bürgerlichen Kontrakt einer Ehe zu schließen oder gar die Sanktion der Kirche für dieselbe nachzusuchen.

Mathilde, ein Dorfkind aus der Normandie, durch irgendeinen Zufall nach Paris verschlagen, war gänzlich unwissend. Heine, darauf bedacht, daß sie sich doch einige Bildung aneigne, brachte sie, die doch schon längere Zeit mit ihm einen sogenannten Ménage parisien geführt, in einem Pensionate, einer Erziehungsanstalt für junge Mädchen, unter. Hier besuchte er sie unter dem Titel eines Freundes oder Verwandten nur an Sonntagen. Ein Jahr zuvor hatte er an Lewald geschrieben: »Wir leben eingezogen und halb und halb glücklich; diese Verbindung wird aber ein trübes Ende nehmen. Es ist deshalb heilsam, dergleichen vorher zu wissen, um nicht vom dunklen Augenblicke bezwungen zu werden ...«

Offenbar dachte er: Wohin sende ich sie? Wie führe ich sie wieder in ihre alten Verhältnisse zurück? In ihrem Laden kann sie nicht mehr stehen. Wie tröste ich sie für das, was ich ihr wieder nehmen muß? Das alles ist auf die Länge nicht haltbar und doch so schwer zu ändern, zu lösen ...

Wie hätte er glücklich sein können mit einer Frau, die unwissend war bis zum Unglaublichen und sich dabei als bildungsunfähig herausstellte, so daß alle Versuche, ihr auch nur einigen Anteil für geistige Interessen beizubringen, völlig scheiterten? Sie hatte sich die Sprechweise eines vier- bis fünfjährigen Kindes angewöhnt, wie das damals in einer gewissen Klasse von Mädchen Mode geworden, und das mochte ihr außerordentlich nett gestanden haben, als sie sehr jung und hübsch war, fiel jetzt aber sehr albern aus, nachdem sie an die Dreißig und stark geworden. Sie war einfältig und liebte es, sich noch einfältiger zu stellen, als sie wirklich war; sie meinte, es sei drollig. Aber Gurli muß jung sein, oder sie wird abgeschmackt.

»Ich höre von den Leuten«, pflegte das alte Kind zu sagen, »daß Henri ein geistreicher Mann ist und sehr schöne Bücher geschrieben hat; ich muß mich begnügen, es aufs Wort zu glauben, ich habe noch nichts davon bemerkt.« Henri hatte gewünscht, daß ihr die Elementarbegriffe der deutschen Sprache beigebracht würden. Jener Literat aus Köln, mit dem ich neulich in Brüssel zusammengetroffen war, der »rote Wolff«, hatte es versucht, ihr Lehrer zu werden; es zeigte sich, daß sie zur Erlernung jeder Sprache unfähig sei. Nach einem halbjährigen Studium war sie noch nicht imstande, einen deutschen Satz auszusprechen, »nemen-sie-platz« war die eingelernte Formel, mit welcher sie Landsleuten ihres Gemahls den Fauteuil anzuweisen pflegte, worauf sie ob der Anstrengung und der Schwierigkeit der Sache jedesmal in ein herzliches Lachen ausbrach. Einmal hat sie zu mir allen Ernstes gesagt, sie habe die deutschen Stunden aufgeben müssen, weil der Versuch, sich die deutschen ch und sch anzueignen, ihr Halsweh und eine Art Katarrh verursacht hätten.

Eine eheliche Verbindung zwischen zwei Personen so ganz verschiedenen Standes und verschiedener Bildung ist, wie die Erfahrungsresultate lehren, nie ratsam; es gibt aber auch Geschöpfe, die, wären sie auch in der niedrigsten Lebensstellung geboren, doch höchst vornehmer Abkunft sind und den Abstand sozusagen durch ein Genie des Herzens ausfüllen. Aber das war hier nicht der Fall. Dies Frauengemüt war seicht, es interessierte sich nur für Kleinigkeiten und hatte für nichts in der Welt eine innige Teilnahme. Sollte der klare Kopf Heinrich Heines das nicht eingesehen haben? Heine trug sich somit, wie aus jenen angeführten Briefstellen erhellt, eher mit Scheidungs- als mit Heiratsgedanken. Aber es sollte anders kommen. Er mußte im Sommer 1841 die Herausforderung zu einem Duell annehmen und wandelte einige Tage zuvor in aufgeregter und nicht normaler Stimmung seine »wilde« Ehe in eine »zahme« um, wie er sich im Briefe an einen Freund äußerte, »Mathildens Position in der Welt zu sichern.«

Der Schritt war doch wichtiger, als sich Heine gedacht haben mag. Sein Leben hatte fortan eine andere Richtung. Er war auf Paris, und zwar auf einen Kreis von Freunden reduziert, die in ähnlichen Verhältnissen lebten. Er wurde krank und hatte keine Häuslichkeit, denn seine Frau, die ebensowenig Sinn fürs Haus, Herd, Komfort wie für geistige Interessen hatte und sich nicht zu beschäftigen verstand, mochte es daheim nicht leiden. Tagtäglich mußte im Mietswagen eine Spazierfahrt in die Champs-Elysées oder ins Bois de Boulogne gemacht werden, oder es wurde der Hippodrom besucht. Eine junge Verwandte, Pauline, leistete dabei Gesellschaft. Heine, seiner Augen wegen unfähig, zu lesen, blieb stundenlang allein. Kam Mathilde dann zurück, so hieß es: »Voyons, as-tu souffert beaucoup? Oui? Voyez donc ce pauvre chien? Voyez ce pauvre chéri!« Es wurde wohl auch ein Tränlein vergossen. Dann mußte man nach Cocotte, dem Papagei, sehen und was der Torheiten mehr waren – ein paar Minuten später scholl schon aus dem Nebenzimmer ein helles Lachen herüber. Heine war nicht eifersüchtig und hatte wohl auch keine Ursache dazu; aber er sah seine Frau doch nicht ohne Sorgen allein in diesem Babel. Er entlud sich dieser Sorge in kurzen Ausrufungen. »Ach«, seufzte er, »was kann ich tun? Ich muß jetzt alles dem Schicksal und dem lieben Gott überlassen. Wie kann ich kranker Mann mit einer halben Million Männer konkurrieren?«

Manchmal steigerte sich diese Unruhe so, daß er klagte. »Ich war gestern«, sagte er einmal zu einer Freundin, die ihn besuchte, »recht unruhig, wirklich recht unruhig. Mathilde war gegen zwei mit ihrer Toilette fertig geworden und ausgefahren. Sie hatte versprochen, um vier zurück zu sein. Es wird fünf, sie kommt nicht; sechs, sie kommt nicht. Es wird acht, sie ist immer noch nicht da; meine Sorge wächst. Sollte sie des kranken Mannes überdrüssig geworden und mit einem schlauen Verführer durchgegangen sein? In meiner peinlichen Angst schicke ich die Wärterin in ihr Zimmer hinunter und lasse fragen, ob Cocotte noch da sei? Ja, Cocotte ist noch da. Da fällt mir ein Stein vom Herzen. Ohne Cocotte mitzunehmen, geht sie mir gewiß nicht durch.«

Der Welt wurde das alles sorgfältig verborgen. Heine rühmte fortwährend die guten Eigenschaften Mathildens, ihren Humor, ihr Kindergemüt, als ob dies allein genüge, einen Mann glücklich zu machen, und als ob er nicht mehr fordern dürfe: aufrichtige Teilnahme, Interesse am geistigen Leben des Mannes, Freude an seinen Erfolgen, Anregung zum Weiterstreben, Trost und Zuspruch im Leiden. Heine war gut, er wußte, woran es fehlte, aber er äußerte es nie. Er vermißte viel, aber er verbarg es. Wenige werden ahnen, in welchem seiner Gedichte er sein verwundetes Herz gelüftet hat. Es steht da in der Sammlung ein Gedicht: »Unterwelt«, geschrieben im Frühling 1840, da läßt er den Gott Pluto sprechen, und dieser Pluto ist er selbst.

Blieb' ich doch ein Junggeselle! –
Stets vergeblich, stets nach Frieden
Ring' ich. Hier im Schattenreich
Kein Verdammter ist mir gleich!
Ich beneide Sisyphus
und die edlen Danaïden.

Es plagt ihn nämlich seine Gattin, es gibt Streit, sie will zu ihrer Mutter Ceres. Schließlich kommt es dazu, daß Proserpina sechs Monate in der Oberwelt weilt und – »Pluto kann verschnaufen«. Dies Gedicht findet seine Erklärung darin, daß Mathilde in den ersten Jahren der gemeinsamen Menage die Sommermonate bei ihren Eltern zuzubringen pflegte und ihnen den Haushalt besorgte, während sie draußen bei ihrer Feldarbeit waren. Den Schluß des kleinen Zyklus bildet die Ansprache eines Freundes, die also lautet:

»Zuweilen dünkt es mich, als trübe
Geheime Sehnsucht deinen Blick –
Ich kenn es wohl, dein Mißgeschick:
Verfehltes Leben, verfehlte Liebe!
Du nickst so traurig! Wiedergeben
Kann ich dir nicht die Jugendzeit –
Unheilbar ist dein Herzeleid:
Verfehlte Liebe, verfehltes Leben!«

Dieser Zusatz, voll tiefer Schwermut, einem übermütigen Gedichte angehängt, sagt beredt genug, wie es damals in Heines Gemüt aussah. Dennoch wurde ein Jahr später Mathilde sein eheliches Weib.


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