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Impressionen aus dem sächsischen Vormärz

Leipzig, das jetzt einen kalten und vornehmen Eindruck auf mich macht, erschien mir, als ich im September 1846 dort eintraf, äußerst interessant, sogar romantisch. Der Charakter Leipzigs war damals noch der einer alten deutschen Stadt. Die herannahende Michaelimesse hatte eine Bretterstadt innerhalb der großen Plätze hervorgezaubert, es wogte von Menschen in den Gassen. An allen Schaubuden wurde geblasen und getrommelt. Man fand sich in diesem Wirrsal kaum zurecht. Nun hatte ich auch Moritz Hartmann lange nicht mehr gesehen, und wenn zwei Freunde einander wieder begegnen, die sich lange nicht getroffen, was gibt es da nicht alles zu erzählen! Es war eine Zeit, wo man der Idee lebte und derselben eine weltbewegende Kraft zutraute. Jeder dachte: Es muß doch anders werden und hielt es für seine Pflicht, dazuzutun, daß es also werde.

Ich hatte den Kopf voll Lektüre und wollte alle historischen Gebäude sehen. Zuerst das Haus in Gohlis, in welchem Schiller 1785 sein Lied »an die Freude« gedichtet: tiefbewegt besichtigte ich die jämmerlichen Räume, in denen ein hochgewachsener Mann wie Schiller nur barhaupt einhergehen konnte. Nun wollte ich wissen, wo Gottsched und seine Gattin Adelgunde, die Ahnfrau aller schreibenden Frauen, und wo der Studiosus Wolfgang Goethe logierte. Sogar das Wohnhaus des frommen Christian Fürchtegott Gellert und der Quandtsche Hof, dem mein Onkel entstammte, durch Zachariäs »Renommisten« unter dem Namen des Zotischen Hofes bekannt, war mir nicht gleichgültig.

Wir gingen ins Rosenthal; die Bäume dort waren noch nicht vom Herbste gestreift, das Wetter noch außerordentlich schön; ich wünschte zu erfahren, wo der Ort sei, an welchem Schrepfer von den Geistern geholt worden war. Aber niemand wußte davon.

Ich machte viele Bekanntschaften. Ich lernte Heinrich Laube kennen, der unlängst unter die Dramatiker gegangen war; er hatte die Freundlichkeit, uns beiden jungen Leuten seine eben beendeten »Karlsschüler« vorzulesen. Ich sah Gerstäcker, den schon damals vielgereisten, der in seinem Zimmer in einer Hängematte zu liegen pflegte, den sanften und boshaften Maria Oettinger, der damals für den deutschen Paul de Kock galt, aber dabei gar sentimentale, tränenfeuchte Lieder dichtete; ich lernte den biederen Ernst Willkomm, den vornehmen Gustav Kühne und den längsten aller deutschen Schriftsteller, Friedrich Saß, kennen, dem es, wenn er ins Theater ging, wiederholt passierte, daß ihm zugerufen wurde, er möge sich doch setzen, während er längst saß. Ich machte auch die Bekanntschaft Herloßsohns, des talentvollen Romanschriftstellers und vortrefflichen Menschen, dem man schon nach fünf Minuten herzlich gut sein mußte, des Mannes, den der Wein, den er so liebte, immer trauriger stimmte, bis er endlich ganz in Wehmut zerfloß, und der, wenn die Stunde, nach Hause zu gehen, endlich heranrückte, gar so schwer in seine Galoschen hineinkam. Endlich wäre noch Dr. Haltaus zu nennen, der Verfasser einer Weltgeschichte, die im Stile der nach kerniger und gedrängter Kürze strebenden Römer geschrieben war. Es wurden damals aus derselben im Kreise der Freunde viel komische Stellen zitiert. Eine derselben ist mir noch im Gedächtnis, es ist die, wo er vom Sturze des Tarquinius berichtet: »Sie stritten im Lager über die Vorzüge ihrer Frauen. Bei dem nächtlichen Ritte trug Lucretia den Sieg davon.«

Ich wohnte in einem kleinen Gasthaus, zur »Stadt Wien« genannt, fast am Ende der Hainstraße. Der wackere Johannes Nordmann, der Dichter und Feuilletonist, war mir ein lieber Zimmernachbar. Ich hatte ein schönes, helles Erkerzimmer inne, von welchem man die Straße und die Leute, die sich unten tummelten, nach beiden Seiten übersehen konnte. Da stand ich stundenlang am Fenster.

Nach des Tages literarischen Mühen suchte man das unterirdische Leben auf und traf sich bei Äckerlein oder in Auerbachs Keller. Der Ort der wahren Einkehr ist immer ein unterirdischer. Man suchte damals keine großen, eleganten Lokale, man liebte das trauliche, enge, nachgedunkelte Stübchen. Dort in der rauchgeschwängerten Atmosphäre mundete der Wein und das »Töpfchen« Bayrisch am besten. Da war auch der »Nobiskrug«, in einem gar engen Gäßchen, zu dessen Auffindung man die Führung eines wohlbewanderten Freundes nötig hatte. Schon der Name wirkte anlockend, wenn man erst unlängst Friedrich Daumers »Geheimnisse des christlichen Altertums« gelesen und daraus erfahren hatte, daß das geheimnisvolle Wort »Nobiskrug« keineswegs von nobis abzuleiten sei (locus, ubi potus nobis concessus), sondern jedenfalls von abis, abyssus, gleichbedeutend mit Abgrund, Krypte, Ort des Greuels, Teufelswirtschaft, ein Ort, wo ehedem finstere Mysterien vollzogen worden seien.

Kuranda, der Herausgeber einer Wochenschrift, die besonders in Österreich viel gelesen wurde und alle Kräfte der dortigen liberalen Opposition in sich zu sammeln verstanden hatte, war ein geistreicher Mann und liebenswürdiger Redakteur. Er war mehr der Kapellmeister der »Grenzboten«, der das Zustandekommen eines Programms von schöner Abwechslung, das gute Ensemble und die tadellose Aufführung überwachte, weniger ein exekutierender Künstler; selten griff er selbst zur Geige. Seine Artikel schrieb er mit großer Sorgfalt, und sie waren so elegant wie seine Erscheinung. Er redigierte eigentlich auf Reisen, bald von da, bald von dort aus, und wohnte auch jetzt im Hotel de Bavière, wo der König aller Wirte, der treffliche Redslob, waltete. Kurandas Auge wachte über jeder Nummer mit zärtlicher Sorgfalt, und er sprach am liebsten davon, was das letzte Heft enthalten habe oder das nächste bringen werde. Er war mit ganzer Seele bei der Sache. Man konnte es ihm auf dreißig Schritte ansehen, wenn wieder einmal eine Feder ersten Ranges ihm ein Manuskript eingesandt. Dann trug er sein Haupt mit besonderem Schwunge, die Hand führte noch kecker als sonst das zierliche Stöckchen, die Augen strahlten von siegreichem Feuer. Er hatte damals etwas von einem kleinen provenzalischen Troubadour, und das war er auch in der Tat. Auf seinem Zimmer, ganz allein, pflegte er die Gitarre zu spielen, er besaß auch eine angenehme Tenorstimme.

Schon in den ersten Tagen meines Aufenthaltes in der großen Buchhändlerstadt sollte ich darüber orientiert werden, was es mit den Buchhändlern auf sich habe.

Ich hatte meinen neuen Verleger geneigt gefunden, zu meinem »Ziska« die »Gedichte« zu erwerben, die vor anderthalb Jahren als dünnes Löschpapierheft erschienen waren. Ich sollte mich erkundigen, wieviel Exemplare davon noch auf Lager seien, dann könne man es vielleicht mit einer neuen vermehrten Auflage versuchen.

Ich eilte zu meinem früheren Verleger und trug ihm mein Anliegen vor. Er gab sofort einem seiner Leute den Auftrag, die Reste abzuzählen.

Während dies geschah, hielt mir der Buchhändler einen Vortrag, daß »siebenhundertundfünfzig Exemplare« eben die richtige Zahl für das Buch eines jungen Autors sei. Sechs Freiexemplare fielen dem Verfasser zu, mit vierzig Exemplaren seien die Redaktionen zu bedenken, so blieben ungefähr siebenhundert Exemplare übrig, mit welchen der Bedarf der lesenden Welt genügend gedeckt sei. Ich fand dies wenig, aber: es war nun einmal nicht anders im deutschen Vaterlande, selbst bei Büchern, die Aufsehen gemacht hatten.

Da kam der Gehilfe zurück und meldete, daß noch achthundert Exemplare vorrätig seien.

»Das ist entsetzlich!« rief ich. »Nicht nur kein Absatz; die Exemplare haben sich auf Lager noch selbst vermehrt!«

Der Buchhändler wurde verlegen. Er sprach von einem Irrtum, den er persönlich aufklären müsse. Übrigens möge sich mein neuer Verleger zu ihm verfügen, da werde man sich über die Sache leicht einigen.

Und sie einigten sich in der Tat. Schriftsteller wird schwer mit Kaufmann fertig; Kaufmann mit Kaufmann schon weit leichter.

 

Als ich mit meinem Verleger in bezug auf meine beiden Bücher ins reine gekommen, eilte ich nach Dresden, um dort in größerer Stille und Zurückgezogenheit mein Gedicht zu beendigen und Lücken darin auszufüllen. Es hatte deren genug, beinahe das ganze letzte Buch war zu schreiben.

Dresden war damals ungewöhnlich interessant. Es ist von jeher der Fall gewesen, daß eine Stadt zeitweise die geistige Führerschaft in Deutschland übernahm. Einst war Weimar ein Hauptpunkt der Entwicklung gewesen, dann Berlin, jetzt war es Dresden mehr als Berlin. Es war entschieden ein geistiger Vorort. Bedeutende Männer der Kunst und der Literatur waren beisammen und bedeutsame Schöpfungen tauchten fast gleichzeitig auf. Gutzkow, Auerbach – Richard Wagner, Robert Schumann – Rietschel, Semper – waren diese Namen nicht glänzend genug, um den Blick auf diese Stadt zu lenken?

Es war eine literarische Stadt. Alles las dort, vor allem die Frauen, allerdings mit dem Strickstrumpf zwischen den Fingern. Es lasen selbst die kanariengelben Portchaisenträger in der Schloßgasse und die Soldaten auf der Hauptwache, wenn sie nicht gerade das Gewehr auf der Schulter hatten. Auch ein literarischer Prinz und Thronfolger war da; aber damit der Schillersche Vers von des Medicäers Güte nicht Lügen gestraft werde, kümmerte er sich nicht um seine literarischen Kollegen. Philalethes übersetzte den Dante, und alle Danteforscher sind furchtbar ernste Geschöpfe. Das Theater besuchte er nur, wenn ein Stück seiner Anverwandten, der Prinzessin Amalie, gegeben wurde.

Mir war im Hause meiner Tante ein bescheidenes Quartier angewiesen worden. Es bestand aus zwei Stuben im dritten Stockwerke, aus deren Fenstern ich eine prachtvolle Aussicht auf die Elbufer, die Brücke, die Altstadt Dresden hatte. Hier wachte ich noch lange in die Nacht hinein, wenn schon alles schlief. In einer unbeschreiblichen Aufregung, in welcher ich gleichsam aus mir selbst heraustrat, schrieb ich den »Winzerzug«, die »Adamiten« und den vielbesprochenen Schlußgesang meiner Dichtung, und nun war das Buch fertig.

Allwöchentlich einmal sah mein Onkel die Maler, Architekten und Bildhauer Dresdens bei sich im großen Bibliothekzimmer, das mit Kartons von Overbeck, Thorwaldsen und Carstens, mit Gipsabgüssen von Antiken und römischen Marmorresten reich geschmückt war. Es wurde in diesen Reunionen, die früh nachmittags begannen und sehr spät endigten, sehr viel guter Bordeaux getrunken und viel feine Havannas geraucht. Ich durfte als bescheidene Existenz diesen Symposien beiwohnen. Da lernte ich die Maler Julius Hübner und Julius Schnorr, die Bildhauer Rietschel und Jul. Hähnel, den Architekten Semper kennen. Letzterer, der Erbauer des Dresdener Theaters, Professor der Baukunst an der Dresdener Akademie, war eben epochemachend aufgetreten. Er hatte bereits seine Schrift über die Polychromie der Alten veröffentlicht. Durch ihn entschied sich, daß weder die Wiederaufnahme des griechischen Stils noch die Wiederaufnahme der Gotik möglich sei, sondern die Bauformen der Renaissance unsern Kulturformen entsprachen. Er hatte zuerst beim Bau der Dresdener Synagoge koloristische Wirkungen angewendet und hatte durch den Theaterbau gezeigt, was er vermöge. Nun war ihm der Bau des Museums übertragen worden, zunächst um die Schätze der alten Bildergalerie aufzunehmen. Es war bestimmt, es dem Zwingerpalaste vorzulegen und so beide Flügel desselben zu einem Ganzen zu verbinden. Die Debatte über diesen Bau und was damit zusammenhing füllte den ganzen Abend aus. Ich hörte von nichts als von Einkehlungen und Lisenen, von selbständig und organisch gegliederten Bogen; von Friesen, Pilastern, Füllungen und Gurtbändern, bis mir der Kopf zu wirbeln anfing. Im stillen beschloß ich, von der Erlaubnis, diesen Sitzungen beizuwohnen, nur den mäßigsten Gebrauch zu machen. Doch bewahre ich eine dankbare Erinnerung an Professor Rietschel, der freundlich und liebenswürdig an mich herankam und das Gespräch auf mir näherliegende Dinge lenkte.

Da war es doch unterhaltender bei Ferdinand Hiller! Dieser, ein feiner, weltkluger, behaglicher Mann, ein ausgezeichneter Pianist, als Musiker im Mendelssohnschen Geiste in allen Formen tätig, hatte sich seit ein paar Jahren in Dresden angesiedelt und sah jeden Mittwoch alles, was Kunst betrieb oder sonst einen Namen hatte, in seinem Salon. Dort eingeführt zu sein, war eine Auszeichnung und bot Gelegenheit, alles kennenzulernen, was Dresden an einheimischen und durchreisenden Notabilitäten aufwies. An manchen Abenden waren alle Räume gedrängt voll, und fast jeder der Anwesenden hatte auf irgendeinem Felde einen bekannten Namen. Es war kein ausschließlich deutscher Salon, man hörte auch viel französisch reden; die Hausfrau, eine ausgezeichnete Sängerin, die unlängst erst, um ihrem Gatten zu folgen, der Bühne Lebewohl gesagt hatte, war eine Polin, schön, jung, von halbslawischem Reize. Sie hatte die wunderbarsten Augen. Drei oder vier glänzende Schönheiten gruppierten sich um sie, Verwandte, die längere oder kürzere Zeit in Dresden zubrachten. Seit Mazarin hat vielleicht niemand so schöne Nichten gehabt wie Ferdinand Hiller. Sie sind auch alle durch ihre Schönheit zu Heiraten in ungewöhnlichen Sphären gelangt: die eine wurde eine Gräfin Kolowrat, die andere die Frau des französischen Schriftstellers Ernst Feydeau usw.

Bei Hiller als Gast wohnte Berthold Auerbach. Er hatte eben, nachdem seine früheren Romane fast unbeachtet vorübergegangen, mit der ersten Sammlung seiner »Schwarzwälder Dorfgeschichten« einen großen Erfolg erlebt. Man verdankte ihm die Mahnung, daß in der einfachen Heimatswelt, in dem anspruchlosen Menschentume eine sittlich erhebende Kraft ruhe. Nun hatte er seine Novellen »Die Sträflinge« und »Die Frau Professorin« geschrieben und arbeitete damals an einer Schrift »Schrift und Volk«. Seine Kompositionsweise war eine auffallend musivische. Auf den weiten Spaziergängen, die wir in die Umgebung Dresdens unternahmen, trug er beständig ein Büchlein mit sich, in welchem er sofort jeden sich ihm aus der Debatte ergebenden Gedanken fixierte. Aus feinen und empfundenen Bemerkungen wurde so allmählich ein Buch.

Eines Tages wurden in Hillers Salon einige vierzig oder fünfzig Stühle aufgestellt, Einladungen waren nach allen Seiten ergangen, Auerbach sollte seine »Frau Professorin« vorlesen. So lernten wir das Lorle kennen, das vollendetste Porträt, das er je gemalt, seine vollkommenste Schöpfung, lebendig, wahr in allen Zügen, rührend, bezaubernd, teilweise – z.B. im Abschied Lorles – von tragischer Größe. Nicht zu seinem Vorteile hat Berthold Auerbach später seine Form zu erweitern gesucht. Seine Stärke lag nicht in der Komposition, sondern in der rührend einfachen, schlichten und väterlichen Weise, zu erzählen. Er beeinträchtigte selbst seine edelsten Eigenschaften, wenn er ausgebildeter Technik nachtrachtete. Seine Muse selbst war jenes Lorle, welches in der Stadt seinen Reiz einbüßte.

Wieder einmal hieß es, Robert Schumann sei aus Leipzig zu Besuch in Dresden angekommen. »Nun, das ist schön, daß Du da bist«, hatte Hiller beim Wiedersehen lachend zu ihm gesagt. »Da werden wir uns tüchtig ausschweigen können.« Mir, der seit den Knabenjahren die tiefste Bewunderung und Verehrung für Schumann im Herzen trug, schien der Scherz pietätlos. Indes lernte ich bald das merkwürdige Insichgekehrtsein des Meisters kennen. Er war der größte Schweiger, sei's, daß der Gegenstand der meisten Reden ihm zu unbedeutend schien oder daß ihm, der doch auch so glänzend zu schreiben verstand, der hergebrachte Ausdruck nicht genügte. In Hillers Salon, im Schwarme der Besuchenden versteckte er sich wohl einen ganzen Abend, ohne zehn Worte zu sprechen. Ich erinnere mich auch einer Kahnfahrt auf der Elbe, bei der die Frauen Lieder von ihm sangen, er aber schweigend, dann und wann mit zugespitzten Lippen vor sich hinsummend, stumm am Steuer saß und in das Abendrot hinausstarrte. Er lebte nur in sich und in der wunderbar tönenden Welt, die er in sich trug.

Auch Gutzkow war eine ganz meditative, in sich gekehrte Natur, aber wie verschieden geartet, wie ganz anders als Schumann! Sein Schweigen barg ein ununterbrochenes Verarbeiten der Eindrücke, die ihm von außen zukamen. Und alle Fragen der Zeit gingen ihm nahe. Wie er mit gewohnheitsmäßig halbgeschlossenen Augen alles aufnahm, alles bemerkte, so beschäftigten ihn alle Probleme, wofern sie sein Jahrhundert in Anspruch nahmen. Alles wurde zum Stoffe, aus dem er seine Fäden spann; während seines ganzen literarischen Wirkens waren ihm seine Stoffe durch Ereignisse diktiert worden. Sein Verfallen in Selbstversenkung alternierte mit plötzlichem Erwachen, in welchem er das Wort scharf wie eine Stahlklinge führte und die Dinge wie mit einem fremdartigen elektrischen Lichte zu beleuchten verstand. Eine große Weichheit des Gemüts war in ihm mit durchdringlicher Schärfe des Verstandes beisammen.

In diese Kreise trat der junge Mensch und war vorerst schon glücklich, in ihnen geduldet zu werden. Alle diese Männer standen noch in der Fülle ihrer Kraft, hatten ihr Bestes gegeben, nach dem sie beurteilt werden konnten und traten fortwährend mit neuen Werken hervor. Der junge Mensch wünschte nichts dringender, als sich die Achtung dieser Männer zu erwerben, der Beifall ausgezeichneter Menschen war ihm das Höchste. Und dieser Beifall wurde ihm zuteil, als sein Buch endlich gedruckt vorlag. Da begannen für ihn glückliche Tage ...

Gutzkow war seit 1845 als Dramaturg der Dresdener Bühne angestellt, er war mit Leib und Seele dabei und glaubte an eine Wiederbelebung der deutschen Dramatik. Es ließ sich aber nicht ersehen, daß seine Oberleitung viel geändert habe. Das war begreiflich, denn Emil Devrient war der heimliche oberste Leiter der Bühne. An allen bedeutenden Männern, die es besaß, hatte Dresden zu mäkeln, einzig Emils Größe stand unbestritten da. Er war der Abgott der Frauen, der »göttliche Emil«. Er galt für den ersten deutschen Schauspieler. Ein Heldenspieler war er gewiß schon damals nicht mehr, schon darum, weil meist schon im dritten Akte Kraft und Stimme zu Ende waren. Dann forcierte er nur noch und stieß die Worte zwischen den halbgeschlossenen Zähnen hervor. Seine Affektation und Effekthascherei waren ohne Grenzen. Hatte er sich wieder einmal den Dresdnern in einer neuen Rolle gezeigt, so ging er auf Gastrollen aus, kein Theater war ihm zu gering. Trotz allem laut proklamierten Kultus des Ideals spielte er am liebsten in Stücken der Frau Birch-Pfeiffer, Holteis und Raupachs, die ihm vergönnten, in Paraderollen beliebig aus dem dramatischen Rahmen herauszutreten. Unendlich viel hat Gutzkow von der Eitelkeit dieses Mimen zu leiden gehabt, die unersättlich war und nach immer neuem Lob in den Zeitungen verlangte.

 

Schon in den ersten Wochen meines Dresdener Aufenthalts hatte ich Richard Wagner kennengelernt, ich hatte mit ihm und zahlreicher Gesellschaft, zu der auch Gutzkow gehörte, einen Spaziergang nach dem Waldschlößchen gemacht.

Fast unter Mittelgröße, eher klein, mit stechenden Augen, zusammengekniffenen Lippen und scharf gebogener Nase, auffallend breiter, stark ausgearbeiteter Stirn und vorstehendem Kinn, hatte er viel von einem Professor an sich, wie er denn auch in einer Zeit der Barte sich ganz rasiert zeigte. Aber frühe Kämpfe hatten ihm schon eine ungewöhnliche Reizbarkeit gegeben, er hatte bereits etwas ewig Aufgeregtes, Gereiztes, Giftkochendes in sich. »Tannhäuser« hatte unlängst das Licht der Bretter gesehen. Man hatte das Textbuch gelobt – die Ausstattung war eine ungewöhnlich brillante gewesen – den musikalischen Teil fand man »ungenügend«. Man vermißte eigentliche Charakteristik und geniale Naturkraft, man meinte, das Ganze sei mehr künstlich zurechtgelegt und leide an Langweiligkeit.

Auf diesem ersten Spaziergang hatten wir viel miteinander gesprochen, doch ausschließlich über Politik. Richard Wagner hielt die politischen Zustände für reif zur gründlichsten Änderung und sah einer in nächster Zeit stattzuhabenden Umwälzung als etwas Unausbleiblichem entgegen. Die Umwandlung werde leicht und mit wenig Schlägen vor sich gehen, denn die staatlichen und gesellschaftlichen Formen hielten nur noch ganz äußerlich fest. Ich erinnere mich noch genau der Worte: eine Revolution sei bereits in allen Köpfen vollzogen, das neue Deutschland sei fertig wie ein Erzguß, es bedürfe nur eines Hammerschlags auf die tönerne Hülle, daß es hervortrete. Inzwischen hatte sich Gutzkow uns genähert, er opponierte, betonte die Kraft der Trägheit, die Macht des Alten und Furcht vor Neuem, die Gewohnheit der Massen, zu dienen und zu folgen, den Mangel an Charakter in der unendlichen Mehrzahl. Er äußerte in seiner vorsichtigen Weise hunderterlei Bedenken.

Wagner verlor die Selbstbeherrschung und brach die Debatte mit starken, unmutig gesprochenen Worten ab.

Wem hat die Zukunft recht gegeben? Bald genug kam das Jahr achtundvierzig! Wohl fielen schon in nächster Zeit die geweissagten Schläge, aber sie änderten kaum etwas an der Gestalt der Welt. Am allerwenigsten trat ein neues Deutschland in Erzguß zutage. Der kreißende Berg gebar eine – rote – Maus, und bald war wieder alles wie vorher. Deutschland legte sich nach der ungewohnten Aufregung bald wieder aufs Ohr, um wieder sechzehn Jahre zu schlafen.

Am 6. Oktober kam ich endlich dazu, den Tannhäuser zu hören: es war die dritte Aufführung. Bei der zweiten war es nicht glatt abgegangen, das Publikum war in eine gereizte Stimmung geraten, es war viel gezischt worden, nun hatte sich Tichatschek krank gemeldet, und die Wiederholung war neun Tage ausgesetzt worden.

Diesmal war der Erfolg ein solcher, daß der Komponist – – damals gab es noch keinen Meister! – zufrieden sein konnte. Das Haus war anständig gefüllt und die Stimmung eine so gute, daß Wagner und seine Sänger nach jedem Akte gerufen wurden.

Ich gestehe offen, daß ich dieser Musik nie die weltaufregende Wirkung zugetraut hätte, die sie denn doch gehabt hat. Nur das Lied zum Lobe der Frau Venus, das Finale des ersten Aktes, in welchem die Wartburggenossen den wiedergefundenen Freund begrüßen, der Einzugsmarsch und das Lied an den Abendstern rissen mich aus der Ermüdung heraus, die mich bald überfallen hätte.

Für das Verschwimmende, Träumerische, das bloße Auf und Nieder der Tonwellen hatte ich keinen Sinn; die Pilgerlieder erschienen mir eintönig, der Sängerkrieg, in welchem ich die frappantesten Melodien erwartet hatte, mißlangen.

Mein für derlei Hören noch ungeschultes Ohr glaubte in den zur Liebe lockenden Dämonengesängen des Venusberges eine gelinde Katzenmusik und in den schneidenden Violinfiguren, welche das Pilgerlied mit den Venusbergsklängen durchsetzen, ein unorganisches Tohuwabohu zu vernehmen.

Dagegen hatte das Textbuch, das keck genug die Gestalt Heinrichs von Ofterdingen im Tannhäuser aufgehen läßt und die Hörselbergsagen mit dem Sängerkriege auf der Wartburg verschmilzt, mich sehr interessiert. Der Stoff behandelte gewisse Punkte, die man noch nicht auf der Bühne behandelt gesehen: das Versinken eines genialen Individuums in die Sinnlichkeit und sein Sichherausreißen aus dem Sinnestaumel. Das war neu und einer Wirkung sicher.

Und doch war wieder die Durchführung dieses Problems eine solche, die man auf keine Weise mit dem Freidenker und Revolutionär, den ich unlängst hatte sprechen hören, vereinigen konnte.

Wenn man mit einem etwas modernen Geiste an den Stoff herantritt, denkt man sich doch den Tannhäuser als einen Mann, der sich von mittelalterlich christlicher Anschauung emanzipieren wollte. Nun war aber alles ganz im Sinne eines Mönchstums gefaßt, das sich die alten Götter als ein herabgekommenes Geistergesindel vorstellt und in dem Schwärmer für die antike Welt nur einen Gesellen von liederlichen Sitten sieht.

Und nichts anderes ist Tannhäuser in der Oper.

Darum erfaßt ihn auch bald Mißbehagen und Ekel vor solchem Heidentum und vor sich selbst, und durch den Ruf: »Mein Heil ruht in Maria!« sieht er sich schon wieder in die Oberwelt versetzt; denn vor dem heiligen Namen der Gottesmutter ist aller heidnische Spuk verschwunden. Auf der Wartburg gerät er nun wieder in eine Versammlung von Minnesängern und Rittern, welche, höchst absurd, nur eine Liebe feiern, die vom bloßen Anschauen lebt. Liebe soll absolute Enthaltsamkeit sein; man meint, Tannhäuser sei unter lauter Mönche geraten. Kaum wagt er eine Rechtfertigung und tritt schon schuldbewußt, ein gar sonderbarer Held, die Bußfahrt nach Rom an. Er erhält dort keine Absolution, kehrt, ein gebrochener Mann, in die Heimat zurück und ruft wieder Frau Venus an, ihm den Lustgarten aller Freuden zu öffnen. Doch wir erleben wieder Wunder, ja Wunder über Wunder. Auf bloße Nennung des nunmehr heiligen Namens Elisabeth schwindet aller heidnische Spuk; Tannhäuser sinkt tot zur Erde – die Fürbitte einer Heiligen hat ihn erlöst ... Sein Stab grünt.

Wenn das nicht der bare mittelalterliche Katholizismus ist, verstehe ich das ganze Stück nicht. Jedenfalls muß man zu solcher Dichtung bedenklich den Kopf schütteln. Lange noch nach der Aufführung saß ich, alles dies besprechend, mit Hähnel im Wirtshause zusammen. »Und doch irren Sie«, sagte dieser, der zu den besonderen Freunden Wagners zählte, »wenn Sie wegen alledem Wagner für einen Kryptokatholiken halten ... Er arbeitet nur mit Vorliebe mit den Mitteln der alten Romantiker Tieck, Arnim, Brentano. Er ist sehr klug und weiß recht wohl, welche Macht diese Romantik noch über die Geister ausübt. Was wollen Sie? Meyerbeer ist wohl auch ein schlechter Christ und arbeitet in den ›Hugenotten‹ mit protestantischen Tendenzen? Schließlich«, fügte Hähnel lächelnd hinzu, »ist Eines zu bedenken, wenn wir die Oper im Licht der Tagesfragen ansehen: Tannhäuser müßte ja ein Deutschkatholik sein, weil er sich vom Papste lossagt«.

An einem der folgenden Tage sah ich Ferdinand Hiller eine Rolle in der Hand halten. »Da hat Richard Wagner«, sagte er, »einen neuen Operntext geschrieben und mir ihn zu lesen gegeben. Er heißt ›Lohengrin‹ und behandelt die Sage vom Schwanenritter. Ein ganz vortreffliches, höchst effektvolles Libretto! Wie schade, daß Wagner selbst es komponieren will! Seine musikalische Begabung reicht dazu nicht hin! In anderer Hand würde das eine ganz andere Wirkung haben!«

So urteilte man zu jener Zeit. Richard Wagner strafte allerdings dies Urteil Lügen und gab in seinem »Lohengrin« sein bestes Werk, meiner Ansicht nach, dasjenige, das von seinen Werken am längsten leben wird. Mit der »Unzulänglichkeit«, die damals so allgemein betont wurde, hatte es aber doch seine gute Bewandtnis. Man verstand darunter den Mangel an wirklicher Dramatik, das geringe Maß von Melodienzauber, das stete Vorwiegen pathetischen Ernstes, den Mangel an wirklicher lebendiger Charakteristik. Allerdings, alle diese Unzulänglichkeiten sind seitdem als der Anfang einer neuen Kunstform gepriesen worden. Darauf gehe ein, wer alle Moden und Torheiten seiner Zeit mitmachen zu müssen glaubt! Vielleicht muß man, um das Kunstwerk der Zukunft recht zu fassen und zu würdigen, schon heute mit den Ohren der Zukunftsgeneration ausgestattet sein.

 

Vor ein paar Jahren hatte man von Leipzig aus einen schüchternen Anfang gemacht, Schillers Geburtstag als geschichtlichen Festtag zu feiern. Nun hatte Heinrich Laube es versucht, unsern nationalsten Dichter zum Helden eines Theaterstückes zu machen und trug sich mit der Hoffnung, dasselbe werde am Schillertage gleichzeitig auf allen Hauptbühnen gegeben werden. Diese Hoffnung war zu sanguinisch gewesen, aber drei Theater fanden sich, die an Schillers Geburtstage mit den »Karlsschülern« hervorkommen wollten: Mannheim, München und Dresden. Alles blickte der Aufführung mit Spannung entgegen, alles war begierig zu sehen, wie der verwegene Mann seine Aufgabe gelöst habe. Er kam herüber, der Inszenierung beizuwohnen. Emil Devrient spielte den Schiller, Fräulein Bayer, spätere Frau Bürk, die Gräfin von Hohenheim, Frl. Berg die Generalin, Fräulein Lebrun die »Laura«. Der Erfolg war ein bedeutender und durchgreifender. Der Autor wurde nach dem zweiten Akte und im vierten Akte, Fräulein Bayer sogar bei offener Szene gerufen, was in Dresden nicht wenig sagen wollte. Am Schlusse des Stückes mußte der Dichter nochmals vor dem Publikum erscheinen, und man ging mit dem Eindruck fort, daß dem deutschen Theater ein wirksames und interessantes Stück gewonnen sei.

Nach dem Theater versammelten wir uns, etwa zwölf Personen, bei Richard Wagner. Der geistreiche Friedrich Pecht, der unlängst mit einem Bilde »die Bekränzung Goethes durch Corona Schröter im Park von Tieffurt« Aufsehen machend hervorgetreten war, der Novellist Robert Heller, der mit Laube aus Leipzig herübergekommen, ferner ein Redakteur R. Schmieder befanden sich unter den Eingeladenen, die den gedeckten Tisch in einer bescheidenen Wohnung umstanden. Nun erschien der zu Feiernde, stramm und in bester Laune. Man nahm Platz, die Unterhaltung war zuerst sehr munter. Man war der Ansicht, während die ersten Platten umhergingen, Laube habe da sein bestes Werk geliefert. Der vierte Akt besonders sei eine poetische Produktion in echt deutschem Sinne.

Richard Wagner hatte sich schon lange auf seinem Stuhle hin- und hergewiegt. Nun begann er die Frage aufzuwerfen, ob man denn nicht, um überhaupt einen »Schiller« zu schreiben, etwas von Schillers Genius haben müsse? Diese Frage war häklich, man vermittelte, man widersprach, nun aber schritt Wagner immer entschiedener zum Angriff vor. Es sei doch nur ein wohlkomponiertes Intrigenstück in Scribeschem Geiste, in welchem einige sehr pikante Szenen – namentlich jene, wo Schiller die Fürstengruft in Gegenwart des Fürsten vorlesen muß – herumschwimmen. Es löse keineswegs die Aufgabe, wie wir sie bei einem Drama voraussetzen, dessen Held der schwungvollste und populärste Dichter des deutschen Volkes sei.

Dies war vielleicht in der Tat wahr, es war aber außerordentlich widrig, solche Kritik aus dem Munde des Gastgebers in einem Kreise zu vernehmen, der ja den heutigen Abend hatte feiern wollen. Mit solcher Schärfe zu urteilen, wo ein ganzes Publikum sich zufrieden erklärt hatte – das war eine seltsame Ovation! Aber Richard Wagner ließ sich nicht stören. Er behauptete weiterhin, daß der Fürst im Stücke seine Grundsätze mit Gründen rechtfertige, die erst eine absolutistisch gesinnte Geschichts-Philosophie von heute zusammengeklügelt, und schließlich, daß Laube dem theatralischen Effekt zuliebe über alle Wahrscheinlichkeit hinausgegangen sei.

Solche Nichtachtung alles gesellschaftlichen Brauches machte sich allen fühlbar, nur der »Festgeber« empfand sie nicht oder setzte sich über sie hinweg. Immer unbehaglicher wurde das Beisammensein. Zudem schien etwas in der Auffahrt des Mahles nicht zu klappen. Wagner warf unruhige Blicke nach allen Seiten und wurde immer unwirscher. Seine Frau hatte sich ihm genähert. »Nun, liebes Weibchen?« fragte er mit einem grimassierten Lächeln. Und während die eine, der Gesellschaft zugekehrte Gesichtshälfte noch lieblich lächelte, veränderte sich die andere, und aus der andern Mundecke pfiff es mit unterdrückter Wut: »Na, wo bleibt denn der verfluchte Champagner?« Dabei war er ihr ganz nahe gerückt, seine Finger kniffen ihren Arm. Der ersehnte Eiskübel kam. Nun wurde wieder eingelenkt, ein beglückwünschender Toast sollte alles wieder gutmachen, aber nichts wollte mehr verfangen, man leerte die Gläser und ging verstimmt auseinander. Ich war mit Laube fortgegangen und irrte mit dem ganz unmutig Gewordenen noch lange in den stillen, schwarzen Gassen am Flusse umher.

Am anderen Tage kam die Nachricht, daß die »Karlsschüler« am selben Tage in Mannheim und in München gegeben worden seien und auch dort einen vollen Erfolg gehabt hätten.

 

Seit einiger Zeit sah man Gutzkow noch nachdenklicher als sonst und noch gesenkteren Kopfes im blauen, kragenbesetzten Mantel vom Dippoldiswalder Platz, wo er sein Quartier genommen, den Weg zum Schauspielhause wandeln. »Uriel Acosta« war beendigt, wurde einstudiert und sollte demnächst mit Emil Devrient in der Hauptrolle in Szene gehen. Man wußte im voraus, daß man es mit einem Werke zu tun habe, das für die Ideen der Toleranz und reinen Aufklärung mit Entschiedenheit eintrete, und sah der ersten Aufführung, die am 13. Dezember stattfinden sollte, mit großer Spannung entgegen, mit um so größerer, als man wußte, daß der Verfasser des »Werner« und des »Urbild des Tartüffe« hier den ersten Schritt in die hohe Tragödie getan habe und man infolge seiner Stellung zur Dresdener Hofbühne besondere Anforderungen an dies Debüt machen zu dürfen glaubte.

Der langerwartete Abend kam. Man war angenehm erstaunt, wohlklingende Verse von einem Autor zu vernehmen, der bisher nur in Prosa zum Publikum gesprochen; nun sah man, daß ein wesentlich politischer Stoff in poetischen Formen vorgeführt werde. Das Konfessionelle war nach seinen verschiedenen Richtungen, der blinden Orthodoxie, dem versöhnlichen Justemilieu der fortschreitenden Aufklärung, außerordentlich treffend hingestellt, und jedem lag es nahe, sich diese Typen jüdischen Lebens ins Christliche zu übersetzen. Emil Devrient, der den Uriel, einen schrecklich koketten Uriel, in wunderbaren Gewändern spielte, war leider dem leidenschaftlichen Teile der Rolle, zumal im dritten Akte, gar nicht gewachsen und brachte diese mit seinen allzu drastisch angewandten bengalischen Feuerkünsten in bedeutende Gefahr. Da aber kam Ben Akiba, dessen »Alles schon dagewesen!« das erste Mal hier gesprochen wurde, und lenkte wieder alles zum Guten. Er wurde trefflich gespielt; der Greis mit weißem Haar und Bart, in dessen Worten sich Tiefsinn mit Blödsinn so seltsam mischte, hatte den stärksten Applaus des Abends hervorgerufen. Der fünfte Akt ließ gar sehr starke Kürzungen wünschen, schmälerte aber im ganzen und großen den Erfolg nicht wesentlich. Das Stück hatte einen großen Sukzeß erlebt, der Autor wurde nach dem Schlusse enthusiastisch gerufen.

In der Tat hatte Gutzkow sein bisher bestes Werk geschrieben, weil er einfacher, weniger raffiniert, weniger auf der Suche psychologischer Seltsamkeiten, weniger spitzfindig ans Werk gegangen und einen immer bedeutsamen Stoff: den Konflikt des Glaubens mit den Banden der Familie, herzlich und ergreifend behandelt hatte. Natürlich gab es ihm zu Ehren in Hillers Hause einen Uriel-Acosta-Abend, es war am dritten Tage nach der Aufführung. Emil Devrient war da, die schöne Marie Bayer, welche die Judith gespielt hatte, saß vielumworben in prachtvoller Toilette auf dem niederen Diwan, den ihr Kleid ganz bedeckte, und blickte fortwährend in der Richtung der Türe, um dem Helden des Tages entgegenzufliegen, sobald er eintrete. Endlich kam er, langsamen Schrittes sich vorwärts bewegend, verstimmt und malkontent, mit gesenktem Haupte wie Hamlet. Kein Autor, dessen Stück einen Durchfall erlebt, hätte müder und trüber blicken und dem Lobe ängstlicher ausweichen können.

So blieb er auch bei Tische. Kaum lichtete sich seine Stimmung, als der feurige Uffo Horn, mit Gutzkow von Hamburg her befreundet, eine begeisterte Improvisation losließ. Und Gutzkows Verstimmung war nicht ohne Grund. Es verlautete schon, daß wenig Hoffnung vorhanden sei, in Dresden den »Acosta« wieder zu erleben. Er sollte, flüsterte man, hohen Ortes bedeutendes Mißfallen erregt haben. Man erzählte sich besorgt, daß eine hohe Frau während der Vorstellung zu mehreren Malen unwillig den Fauteuil gerückt. Man wußte nicht, ob das genüge, in einem konstitutionellen Staate das Stück verbieten zu lassen?

Die »Uriel Acosta«-Aufführung war das letzte literarische Ereignis, dem ich in Dresden beiwohnte. Ich war auf eine kurze Zeit nach Berlin gereist.

Diese Stadt, die sich in neuerer Zeit äußerlich völlig umgestaltet und zugleich einen neuen Charakter, sozusagen eine neue Volksseele erhalten hat, machte damals auf mich den Eindruck kalten Ernstes. Das rauhe Novemberwetter, das der mächtigen Doppelallee der Linden das letzte Laub entführt hatte, die weiße Schneedecke auf den Plätzen – Eis und Schnee blieben auf den Straßen liegen – waren nicht angetan, diesen Eindruck zu mildern. Unendlich großartig erschien mir das königliche Schloß, das architektonische Ensemble in römischem und griechischem Stil gedachter Strukturen, die sich in weiter Perspektive bis zum Brandenburger Tor erstreckten, aber die übrige Stadt mit ihren endlosen Straßenquadraten nüchternsten Stils hatte für mich nichts Anlockendes. Nirgends war auch nur der Schein eines öffentlichen Lebens zu erblicken. Eine in Europa einzige Polizeimaßregel war eingeführt, das Straßen-Rauchverbot; es war ein Verbrechen, im Freien eine Zigarre anzuzünden. Die Genüsse, die dem Fremden geboten wurden, waren äußerst dürftig. Im Schauspielhause bildeten Invaliden die Mehrzahl, an Lustspielen fehlte es völlig, da die satirische Benutzung der Gegenwart, die Seele des Lustspiels, nicht erlaubt war, die Opernsänger schienen mir unter dem Maß der Mittelmäßigkeit zu stehen, selbst das gerühmte Corps de Ballet, aus Hopfenstangenfiguren bestehend, enttäuschte mich völlig. So brachte ich denn meine Vormittage im Museum, meine Abende in Julius' Zeitungshalle zu. Aber auch die Berliner Zeitungen, in welcher Rötscher, Gubitz und Rellstab ihre bocksteifen Kritiken schrieben, waren schon äußerlich abstoßend durch Format und Druckpapier.

Zwei Zeilen in einem damals vielverbreiteten Gassenhauer lauteten:

Unter den Linden bei Kranzler wär's fein,
Streckt' nicht der Leutnant so weit vor sein Bein.

Dies Bein des – allzeit hoffähigen – Leutnants war in der Tat oft lästig weit vorgestreckt, daß man darüber stolpern und in lästige Händel verwickelt werden konnte. Die Anmaßung privilegierter Kasten trat allenthalben sehr prononciert hervor.

In dieser großen Stadt, die ich zum ersten Male sah, interessierte mich ein Philosoph, dessen Buch mich kurz zuvor gewaltig, wiewohl im gegensätzlichen gegnerischen Sinne aufgeregt hatte. Es war Max Stirner, Verfasser des Werks der »Einzige und sein Eigentum«, in welchem wie bei Helvetius das Interesse als Prinzip der moralischen Welt angenommen wurde. Der Verfasser gehörte mit den Gebrüdern Bruno und Edgar Bauer, mit Buhl, Eduard Meyen u. a. zur Koterie der sogenannten »Freien«.

Ich machte seine Bekanntschaft, und er wurde der allererste Leser meines »Ziska« in seiner vollständigen Ausführung. Ich war außerordentlich gespannt auf sein Urteil. Als Stirner mir das Buch zurückbrachte, sagte er:

»Sie hätten den ›Ziska‹ zu einem komischen Heldengedicht gestalten sollen. Zu einer Art Batrachomyomachie! Die Mythen der christlichen Kirche sind dem Schicksal verfallen wie die heidnischen. Die Gegensätze vom Papsttum und Protestantismus haben sich so total überlebt, daß ein Gedicht mit diesem Inhalte nur etwa Theologen noch interessieren könnte. Feindschaft gegen die Kirche sollte es nicht mehr geben. Sie ist uns völlig gleichgültig geworden; gegen überwundene Standpunkte kämpft man nicht mehr. Ja, ich fühle es klar: ein komisches Heldengedicht hätte das werden sollen.«

Dies war das erste Urteil, das ich über mein Buch vernahm. Es belustigte mich ungemein. »Ja wenn man ›der Einzige‹ ist, kann man nicht wie andere Leute urteilen!« erwiderte ich, und damit war die Sache erledigt.

Im Leben hatte Max Stirner sein System des weitgehenden Egoismus nicht eben mit besonderem Glücke durchgeführt. Er, der als Fortsetzer Macchiavells den Begriffen des Rechts, der Pflicht und der Treue den Krieg erklärt, hatte soeben in der »Vossischen Zeitung« einen Hilferuf veröffentlicht, ihm fünfhundert Taler zu leihen, die er treu und ehrlich zurückzahlen wolle. Bald darauf gründete er ein Milchgeschäft. Soviel ich weiß, ist er homo unius libri geblieben.

Die Kritik hatte sich indes rasch meines »Ziska« bemächtigt. Ich habe heute noch die Genugtuung, daß die ersten lobenden Rezensionen, was nicht häufig der Fall ist, nicht von meinen speziellen Freunden, sondern von mir ganz unbekannten Federn ausgingen. Meinen Freunden hatte ich gesagt: »Ihr dürft nicht über mich schreiben. Ihr seid wie ein Stück von mir. Lob von Euch wäre eigentlich Selbstlob.« Und sie hielten sich darnach.

Trotzdem brachten – es war eine literarische Zeit – alle Literaturzeitungen weitläufige Besprechungen. Der Absatz des Buches war ein außerordentlicher, schon in der ersten Woche nach dem Erscheinen stellte sich eine zweite Auflage als nötig heraus; die Wirkung des Gedichts in der Heimat und anderswo ging über alle Erwartung.

Wie viel Brandstoff mußte damals vorhanden sein, daß Verse – jetzt das letzte, wovon man spricht – solche Wirkung haben konnten!

Ich war bei meiner Rückkehr von Berlin nach Dresden nicht mehr bei meinem Onkel Quandt eingezogen, welcher, sobald er von seinem Landgut in die Stadt gezogen war, nicht das kleinste seiner Zimmer für den Neffen entbehren konnte, weil alle Gemächer seines Hauses mit Bildern altitalienischer und altdeutscher Meister angefüllt waren. Ich war mit meiner Habe in ein kleines Privatquartier gezogen. Welche Habe, in welcher das Hauptwertobjekt eine Kaffeemaschine war, welche die Lebensgeister bis in die Nacht hinein wachzuhalten hatte!

Da wurde eines Morgens ein Couvert an meine Adresse abgegeben, in welchem ein lithographiertes Blatt lag. Irgendein ungenannter Freund schickte mir das folgende »Kreisschreiben« zu:

»Ein Werk unter dem Titel Ziska ist von der k.k.Zensurhofstelle bei der darob gepflogenen Verhandlung mit damnatur belegt worden. Zufolge eines herabgelangten hohen Präsidialschreibens vom 16. Dezember vorigen Jahres werden die Herren Amtsvorsteher angewiesen, die Verfügung zu treffen, daß gegen die Einschmuggelung und Verbreitung des gedachten Buches in Böhmen, woselbst der Verleger ohne Zweifel einen ausgiebigen Markt für dasselbe zu finden hofft, die eingreifendsten Maßregeln in Wirksamkeit gesetzt und gegen jene, welchen desfalls ein Verschulden zur Last fällt, die strengste Strafamtshandlung eingeleitet werde. Von jeder sich ergebenden Wahrnehmung haben die Herren Amtvorsteher das Kreisamt sogleich in Kenntnis zu setzen.«

Am Abend des Tages, an welchem ich dieses Blatt erhalten hatte, war ich mit Richard Wagner, Friedrich Pecht und Bildhauer Hähnel in einer Restauration unfern von der Brücke beisammen gewesen. Nun ging ich heim. Es war um die Zeit, wo die bereits öde gewordenen Straßen sich durch den Heimgang der Theaterbesucher wieder flüchtig beleben. Ein dichter Januarnebel füllte den Neustädter Platz, daß er die gegenüberliegende Häuserreihe dem Auge zugleich entzog, geisterhaft tauchte aus dem Nebelmeer das metallene, hoch sich bäumende Roß des sächsischen Kurfürsten auf. Ich schenkte ihm noch einen Blick. Eben schritt ich eilig über das Glatteis des Trottoirs, auf das die Schneeflocken langsam herabstäubten, als ich – fast im Angesichte des Hauses, dem ich zueilte, von einem Unbekannten angeredet wurde.

»Ach, mein gutes Herrchen, schön, daß ich Sie treffe!« klangen die Worte einer freundlichen gedämpften Männerstimme im besten Sächsisch. »Ich habe wohl schwerlich die Ehre, von Ihnen gekannt zu sein, weil ich nämlich immer in meinem Laden stecke, ich aber kenne Sie, weil Sie täglich an meinem Fenster vorübergehen. Ich bin nämlich Friseur, dort ist mein Laden« – er wies in die Richtung eines matt herüberglänzenden Fensters – »und ich wohne im selben Hause rückwärts. In Anbetracht nun, daß wir Hausgenossen sind, erlaube ich mir, Ihnen eine freundliche Mitteilung zukommen zu lassen. Nur so einen Wink, eine Warnung. Nämlich: vor einer Stunde, während Sie fort waren, sind zwei Herren Polizeikommissäre in einer Droschke vorgefahren. Die haben sich Ihr Zimmer aufsperren lassen und erwarten jetzt auf demselben Ihre Wiederkehr. Es ist auch ein Mensch nachgekommen, der mir ein Schlosser zu sein scheint. Jedenfalls haben die Herren jetzt vollauf Zeit gehabt, Ihre Papiere und sonstige Korrespondenzen zu durchschnüffeln. Von diesem Vorgang habe ich Sie auf alle Fälle in Kenntnis setzen wollen –«

»Und Sie warten wohl schon längere Zeit bei diesem schlechten Wetter auf mich? Wie soll ich Ihnen danken?«

»Ach, lieber Herr«, entgegnete der kleine Mann, »es ist nur Christenpflicht, einem bedrängten Mitmenschen beizustehen! Nämlich: ich kann mir Sie durchaus nicht als Missetäter denken! Übrigens habe ich schon gehört, daß Sie Schriftsteller sind. Solche Herren, das weiß ich recht gut, kommen in unserem Zeitalter gar oft in unliebsame Beziehungen zu den hohen Regierungen. Aber jetzt muß ich fort, ich eile, denn mein Gehilfe ist nicht von den routiniertesten! Also: ich überlasse es jetzt ganz Ihrem werten Ermessen, meinen freundlichen Wink zu benutzen oder nicht. Ich weiß nicht, was mein Gehilfe in meiner Abwesenheit für Dummheiten macht, also leben Sie wohl! Sehen Sie dort die Droschke? Die steht nun schon über eine Stunde da. Es ist die bewußte!«

Ich blickte in die angegebene Richtung, betrachtete das mir freundlich zugedachte Vehikel, war aber entschlossen, dasselbe nicht zu benutzen.

»Danke, danke tausendmal!« rief ich, noch die Hand des Unbekannten schüttelnd.

Da war nun, was ich längst hätte voraussehen können, zur Tatsache geworden. Alle Stellen meines Gedichts, aus welchen man Anklagen formulieren konnte, standen plötzlich vor meinem Gedächtnisse und wiesen wie mit Fingern auf die verschiedenen Paragraphen des Strafgesetzes hin. Gewiß, ohne den freundlichen Unbekannten war mir, wie jetzt die Sache stand, eine lange Haft gewiß.

Ich trat in das nächstgelegene Wirtshaus, verlangte Tinte und Feder, schrieb ein paar auf Ordnung meiner Schuldausstände und die Nachsendung meiner Effekten bezügliche Briefe und eilte sodann dem Bahnhofe zu.

Ohne weiter in mein Stübchen eingekehrt zu sein, sagte ich in der Nacht dem Österreich folgsamen, auslieferungslustigen Königreiche Sachsen Lebewohl. Erst, als ich auf preußischem Boden stand, fühlte ich mich wieder sicher.

Meine Wanderjahre begannen.


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