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Der Findling

Ein armer Schuster zu D. hatte mit seiner Frau schon sechs oder sieben Jahre in einem Ehestande gelebt, dem zu beiderseitiger höchster Zufriedenheit nichts als ein reichlicheres Einkommen fehlte. Sie hatten bereits vier Kinder am Leben; jetzt ging das gute Weib zum fünften Mal schwanger. Wie sie bei dieser abermals bevorstehenden Erweiterung ihres Hauswesens auskommen sollten, da sie jetzt schon oft für den nächsten Morgen keinen Pfennig Geld und kein Stückchen Brot besaßen? Dies war alle Abende ihr Gespräch beim Schlafengehen. Gewöhnlich schloß es sich mit dem Geständnis: daß sie es nicht wüßten; und – mit Tränen.

Einst um Mitternacht, als der Schuster sich dessen am wenigsten versah, weil sein ehelicher Kalender ihm noch einen Stillstand von drei bis vier Wochen versprach, weckte ihn seine Frau mit der Nachricht: Sie empfinde so heftige Schmerzen, daß sie an einer baldigen Niederkunft nicht zweifeln könne. Der arme Mann war in nicht geringer Verlegenheit. Daß ein solches Geschäft sich nicht aufschieben lasse, wußte er gar wohl. Um eine Hebamme holen zu lassen, gebrach es ihm an jeder Bedienung; sie selbst zu holen, war er zwar bereit, doch indes blieb ja seine Frau allein! Keine Nachbarin, keine Freundin, die in der tiefen Nacht geweckt werden könne, hatten sie. Kurz, unser Ehemann entschloß sich endlich lieber selbst, so gut er es vermochte, die Pflichten einer Wehmutter zu übernehmen, und seine Frau kam auch binnen einer Viertelstunde, zwar glücklich genug, aber, o Schrecken, mit Zwillingen nieder.

Schon für ein Kind gebrach es bei dieser übereilten Niederkunft und bei der Eltern bittersten Armut noch an mancherlei, was von Wäsche und zur Wartung nötig war; und nun sollten sie gar Kleidung, Kost und Sorgfalt auf zwei verwenden! Wie dies zu erschwingen sei, blieb der Mutter, bei allen körperlichen Schmerzen, und dem Vater, der seiner selbst vergaß, unbegreiflich. Endlich geriet der letztere doch auf einen Gedanken, der ihm das letzte Rettungsmittel zu sein schien.

»Erinnerst du dich noch«, fragte er, »wie neulich der Gewürzkrämer an der zweiten Gassenecke sich so sehnlich Kinder wünschte? Wie, wenn ich ihm jetzt eines von den unsrigen vor die Türe legte? Er ist ein vermöglicher Mann; zieht er es auf, so wird dies Kind vielleicht sein Erbe und glücklich. Behält er es nicht, so muß er dasselbe doch anderswo unterbringen, und überall wird es wenigstens besser aufgehoben sein als bei uns. Die Nacht ist warm, für des Kindes Leben ist keine Gefahr; willst du, so trage ich es fort.«

So groß die Not des armen Weibes war, so sehr sie wünschte: beide Kinder hätten sich gar nicht eingestellt, so regte sich doch jetzt die Mutter noch stärker in ihr. Zweifel, Widersprüche, Bitten setzte sie dem Vorschlag ihres Mannes entgegen; gleichwohl mußte sie zweierlei ihm eingestehen. Erstens: daß ihr Unvermögen, sechs Kinder zu ernähren, augenscheinlich sei; und dann: daß alles, was geschehen sollte, gleich geschehen müsse, weil am Morgen sofort ihre Lage mehreren Menschen bekannt werden würde.

Sie gab daher endlich nach; man teilte und verfuhr selbst bei dieser Teilung so ehrlich als möglich. Die Zwillinge waren von beiderlei Geschlecht: da man mutmaßen konnte: dem unbeerbten Krämer werde ein Knabe lieber als ein Mädchen sein, so ward der Sohn zum Aussetzen bestimmt. Der Schuster nahm ihn, so gut als möglich eingepackt, unter seinen Mantel; schon dreimal war er damit an der Stubentür, als ihn immer sein Weib noch zurück rief, um ihrem Kinde nur noch einen Kuß, den letzten, wie sie glaubte, zu geben. Endlich trat der arme Vater einen Gang an, der ihm weit schwerer ankam als manchen Soldaten der Gang ins tiefste Feuer der Schlacht oder zur Sturmleiter.

Die Straße war tot. Jetzt befand sich der Schuster an der bewußten Ecke, hatte sich wohl siebenmal nach allen vier Seiten umgesehen, ob ihn auch jemand in der Nähe oder Ferne bemerke: er sah nichts, tat hastig zwei oder drei Schritte bis zur Haustüre hin, küßte zärtlich noch einmal das schlafende Knäblein und legte es hin. In eben diesem Augenblick öffnete sich die Haustür. Der Krämer selbst sprang heraus, faßte unsern Schuster oben beim Kragen des Mantels und rief: »Hab ich dich Bösewicht? Kommst du wirklich noch einmal? Wo in aller Welt, Kerl, nimmst du die Kinder her? Und warum soll ich gerade sie dir ernähren? Den Augenblick trage mir deine beiden Bankerte wieder fort, oder ich lasse die Wache rufen, die dir und ihnen schon Quartiere verschaffen soll!«

Bei diesen Worten schob er dem Schuster ein zweites, ganz fremdes Kind (das ihm, wie man nachher erfuhr, ungefähr eine halbe Stunde früher vor eben dieselbe Tür gelegt worden war,) unter den Arm, zwang ihn, dieses sowohl als jenes selbst gebrachte aufzunehmen, hörte auf kein einziges seiner Worte, sondern schlug ihm unter Drohen und Schimpfen die Türe vor der Nase zu.

Nie hat sich wohl ein Mensch in einer ängstlichern Verlegenheit als jetzt dieser unglückliche Vater befunden. Was konnte er nun wohl tun? Vor eine andere Tür gehen? Deren gab es freilich noch viel. Aber hatte man nicht vielleicht in der Nachbarschaft schon von diesem Lärmen etwas gehört? Hatte der Krämer nicht so gut als gewiß ihn erkannt? War nicht, wenn er auch weiter ging und seine Last nochmals ablegte, am nächsten Morgen alles ruchbar, alles entdeckt? Würde man dann nicht ihn vorfordern, hinsetzen, bestrafen? Und zumal dies zweite, gleichsam vom Himmel herab gefallene Kind! Wem gehörte dieses? Wie kam er dazu? Was sollte er damit anfangen? Wenn nun jetzt vielleicht die Wache käme? Ihn so fände? Ihn mitschleppte? Wenn wohl gar eines von diesen Kindern jetzt in seinen Händen stürbe? Wenn man dann glaubte, er habe den Tod desselben bewirkt oder wenigstens beschleunigt? Wenn man ihn verhaftete, indes seine Frau vielleicht mit dem Tode –

Ach, das Heer von Möglichkeiten, das auf allen Seiten in ihn einstürmte und wovon immer jede letztere schrecklicher als die vorhergehende war, wuchs endlich zu einer solchen Menge, zu solcher Höhe empor, daß er so schnell, als fasse ihn zum zweiten Mal der Krämer und die ganze Justiz beim Mantel, seinem Häuschen mit beiden Kindern zulief.

Aber zumal das Erstaunen des armen, kraftlos daliegenden Weibes, die sich schon ängstigte, wo ihr Mann so lange ausbleibe, die geglaubt hatte, er würde ledig heim kommen und ihn nun so beladen eintreten sah, die, als er jetzt auspackte und stumm, wie ein Geist, aber mit dem Blick der Verzweiflung, die beiden Kinder auf den Tisch vor ihr hinlegte, nicht wußte, was ihr geschah? nicht begriff, was daraus werden sollte? die wohl zwanzigmal ihn fragte, was vorgegangen sei? und endlich aus einzelnen Worten ihr Schicksal mehr erriet als erfuhr – wer kann die Betrübnis und den Jammer dieser unglücklichen Wöchnerin sich lebhaft genug denken!

Beinahe eine ganze Stunde brachten sie beide, als sie wieder der Tränen und der Worte fähig waren, mit fruchtlosen Klagen und ebenso fruchtlosen Beratschlagungen zu. Der Morgen graute schon; sie wußten noch nicht, was sie machen sollten. Endlich erwog der Mann bei sich selbst, daß dieses Sorgen und Weinen nichts helfen, wohl aber seiner Frau in jetzigen Umständen höchst schädlich, vielleicht gar tödlich werden könne. Er nahm daher, um nur sie zu schonen, so zerrissen sein Herz war, auch allmählich eine gelassene Miene an und versuchte es, nach Trostgründen zu haschen, als plötzlich ein neubemerkter Umstand ihren Gesprächen, ihrer Empfindung, ihren ganzen Aussichten eine andere Richtung gab.

Das arme fremde Kind, welches schon eine geraume Zeit ganz ohne Nahrung sich befunden haben mochte, fing an bitterlich zu schreien. Die Schusterin, der dies jammerte, wollte es herausnehmen und wenigstens ins Trockene legen. Indem sie es desfalls aufband und aus dem Bettchen, das nett und sauber war, empor hob, tat sie vor Verwunderung einen kleinen Schrei, denn sie sah, daß hinten, am Nacken des Kindes, zwei Zettel leicht angebunden waren und herabfielen. Den einen fing die Wöchnerin selbst auf und erkannte die Aufschrift: Hundert Gulden! Auf ihr freudiges: O Gott, was sehe ich? eilte auch der Mann herbei und hob das zweite auf der Erde liegende Papier auf, es war zwar keine Banknote, aber noch mehr wert, denn es stand auf ihm: Der Bankier Z. (einer der sichersten in der ganzen Stadt), habe Ordre, dem Erzieher dieses Kindes bis zum siebenten Jahre fünfzig Taler, bis zum zwölften siebenzig, bis zum zwanzigsten hundert alljährlich auszuzahlen. Familienumstände nötigten die Eltern, dieses Söhnlein zwar auszusetzen, doch verlassen würden sie es nie. Dem Erzieher, auf dessen Ehrlichkeit man ein Vertrauen setze, sei frei gestellt: wozu er den Knaben anhalten wolle, nur müsse es ein anständiges Gewerbe sein. Beiliegende Banknote von hundert Gulden solle für keine abschlägliche Zahlung, wohl aber für eine Ermunterung auf die Zukunft gelten.

Wie mancher Prinz mag schon ein Königreich geerbt und dabei mindere Freude empfunden haben, als unser Paar bei Lesung dieser Schrift und beim Empfang dieser Banknote. Wohl hundert Mal küßten sie jetzt beide den kleinen Findling, den sie ihren Schutzengel, ihren Wohltäter nannten, den sie über alle ihre eigenen Kinder zu lieben und zu pflegen gelobten. Nunmehr waren sie aller ihrer Angst, aller Not quitt und ledig. Mit fünfzig Gulden konnten sie alles anschaffen, was ihrer Wirtschaft noch abging, für die übrigen fünfzig Leder einkaufen, vom jährlichen Ziehgeld ein Dienstmädchen ernähren, mit eigenen Händen dafür desto freudiger arbeiten. Der lichte Tag kam schon, und sie machten immer noch Pläne, Pläne von ganz anderer Art, als jene vorigen waren! Pläne, wobei sie sich freuten wie das bekannte Bauernmädchen bei ihrem Topfe voll Milch.

Fast aber wäre es auch hier, wie dort, auf ein lustiges Ende hinausgelaufen! Verschwiegen konnte dieser Handel seiner Natur nach nicht bleiben. Schon dadurch, daß sie des nächsten Tages drei Kinder zugleich zur Taufe senden mußten, ward ein ansehnlicher Teil von der Wahrheit aufgedeckt. Die Verwechselung der Banknote machte neue Verwunderung, und der guten Leute eigene geschwätzige Fröhlichkeit klärte das Rätsel endlich ganz auf.

Diese Geschichte kam bald zu mehreren Ohren, und unter andern auch zu den Ohren des Krämers. Er stutzte, als er hörte, daß er einen so wohl bedachten Zögling von sich gestoßen und einem andern aufgedrungen habe. Dieser Schritt reute ihn. Er begehrte das Kind zurück; der Schuster verweigerte es ihm; die Sache kam vor Gericht, und beide Parteien boten nun ihre Beredsamkeit auf.

Dieses Kind, sagte der Krämer, sei nicht dem Schuster, sondern ihm vor die Tür gelegt worden; die Eltern desselben müßten daher auch zu ihm und nicht zu jenem Zutrauen gehabt haben. Daß er dieses Kind gleichsam wieder verstoßen habe, sei zwar ein Versehen, aber ein sehr verzeihliches Versehen, weil dabei ein Irrtum obgewaltet habe. Er hätte es für ein preisgegebenes Geschöpf, nicht für einen Knaben, der auf die Erziehung gegeben werde, gehalten. Auch habe er dasselbe nicht eigentlich verstoßen, sondern nur seinem rechtmäßigen Vater zurückgeben und ihn an seine Schuldigkeit erinnern wollen. Durch Maßregeln dieser Art habe er daher keinen Verlust und noch minder der Schuster durch die überdachte Aussetzung seines eigenen Kindes eine Belohnung verdient. Was für Sorgfalt könne ein fremder Knabe in Zeiten der Not von einem Manne erwarten, der seinen leiblichen Sohn habe wegsetzen wollen? Das Kind, wie man aus dem Kostgeld schließen könne, müsse begüterten Eltern zugehören; diese aber würden gewiß lieber einen Handelsmann als einen niedrigen Handwerker zum Pflegevater ihres Knaben erwählen. Sie sprächen überdies von einem anständigen Gewerbe, wozu man dereinst ihn anhalten solle. Diese Benennung passe sehr gut auf die Kaufmannschaft, doch nie, auch mit dem äußersten Zwang, auf den Schusterleisten.

Gegen alles dieses erwiderte der Schuster oder vielmehr sein Anwalt: Noch sei es zwar äußerst ungewiß, ob jene unbekannten Eltern ihr Kind mit einiger besondern Absicht oder geradezu vor die erste beste Tür ausgesetzt hätten. Doch selbst, wenn sie ein vorzügliches Zutrauen gegen den Kaufmann geäußert haben sollten, so habe er sich dessen durch sein nachheriges Betragen gänzlich unwert gemacht. Man glaube gern, daß er dasselbe für eine Frucht der Armut und des Elends gehalten, aber auch dann hätte es wenigstens als Mensch auf Menschenliebe Anspruch machen können, und wodurch habe der begüterte Krämer diese bewiesen? Nicht gepfleget, nicht versorget, nicht einmal genau betrachtet habe er dies unglückliche Kind; denn sonst würde er auch an ihm gefunden haben, was nachher der Schuster fand. Ja, als er diesen Letztem zwang, beide Kinder mitzunehmen, sei es mehr ein Vorwand als eine billige Vermutung gewesen, daß dieser arme Handwerksmann schon das erstere Kind ihm gebracht haben müsse. Denn wahrscheinlich sei es doch gar nicht, daß ein Mann zwei Kinder auszusetzen habe; und ganz unwahrscheinlich, daß er sie zu zwei verschiedenen Malen, kurz aufeinander, gerade vor eine Tür setzen sollte. Weit sicherer würde er es dann entweder zugleich oder vor zwei Türen tun. Aber der Krämer habe das Kind nur los sein wollen, und jeder Vorwand, wahrscheinlich oder unwahrscheinlich, sei ihm hierzu willkommen gewesen. Weit menschlicher habe dagegen der Schuster sich betragen. Er hätte jetzt dreist jenes dritte Kind wegwerfen können; denn da ihm immer noch zwei eigene Kinder übrig geblieben, so würde jeder Verdacht bald von ihm abgelehnt worden sein. Nicht jene erstere Aussetzung daher, wozu Armut und die Hoffnung, das Schicksal seines Sohnes erträglicher zu machen, ihn verleitet hätten, sondern sein nachheriger besserer Entschluß, auch in höchster Not sich über fremde Hilflosigkeit zu erbarmen – nur dieser verdiene, daß ihm jetzt der kleine Gewinn verbleibe, der bei Erziehung des Findlings sich zeige. Der Stand des Krämers möge immerhin besser als der des Schusters sein. Doch auch dieser sei ein rechtlicher Bürger, und nirgends im Zettel finde sich eine Erwähnung: daß man auf den Stand, wohl aber auf die Ehrlichkeit des Erziehers sich verlasse. Zu welchem Gewerbe der Knabe, wenn er erwachsen, sich wenden wolle, das würde ihm allein überlassen bleiben; aber bis dahin sollte nichts verabsäumt werden, was zu jeder Wahl ihn fähig machen könne.

In den Augen der Gerichte standen die Waagschalen beider Parteien so sehr im Gleichgewicht, daß sie nicht wußten, welcher der Ausschlag gebühre. Die meisten glaubten, der buchstäbliche Sinn jenes Zettels sei mehr für den Kaufmann, die Billigkeit mehr für den Schuster. Man war daher schon gesinnt, es weiter zu verschicken, und da nur allzu oft in Deutschland Gesetz und Billigkeit nach sehr verschiedenen Grundsätzen sprachen, so hätte leicht der arme Schuster sein Dankgebet noch zu früh gebetet haben können, wäre nicht seine Sache durch einen neuen Umstand sichtbar und unleugbar verbessert worden.

Derjenige Bankier nämlich, der bevollmächtigt war, des Kindes Kostgeld alljährlich auszuzahlen, kam und überlieferte der Obrigkeit einen Brief, den er von der Post erhalten haben wollte, der ganz unbezweifelt von einerlei Handschrift mit jenem Zettel war, den man unter des Findlings Haupt angetroffen hatte, und der also lautete: Der Knabe war allerdings zuerst dem Krämer zugedacht, der kinderlos, nicht unbemittelt und, wie man glaubte, ein Biedermann war. Aber die Unbarmherzigkeit, mit welcher er ihn wegstieß, hat ganz das Zutrauen der Mutter abgeändert. Sie schenkt dasselbe nun dem ehrlichen Schuster. Ihm verbleibe das Kind! Seine Armut verdient Unterstützung, seine Redlichkeit Belohnung. Ihm verdankt der Findling vielleicht ganz allein die Erhaltung seines Lebens. Deswegen wird ihm hier noch eine Banknote von fünfzig Gulden bestimmt und das Kostgeld jährlich um zehn Taler erhöht. Ist er im Verfolg so brav, wie er scheint, so wird man sicher unter der Hand davon Erkundigung einziehen, so wird es gewiß nicht sein Schaden sein, und die unglückliche, aber nicht ganz dürftige Mutter darbt sich vielleicht noch manchmal etwas ab, um dem Erzieher ihres Sohnes danken zu können.

Jetzt glaubte der Rat allerdings für den Schuster entscheiden zu müssen. Dem Kläger widerriet sein eigener Gerichtsfreund, den Handel weiter zu treiben. Der Beklagte blieb im Besitz des Knaben und erfüllte auch ganz die Hoffnung, die man in ihn gesetzt hatte. Er konnte für seine eigenen Kinder nicht liebevoller als für dies fremde sorgen. Sein ganzes Schicksal änderte sich auch von Stund an. Denn nicht nur erleichterte jener Zuschuß seine häuslichen Bedürfnisse beträchtlich, sondern, da auch sein Name bei dieser Gelegenheit mehreren Menschen bekannt ward, da viele für ihn ein günstiges Interesse faßten, ja, da viele wohl gar ein gutes Werk ohne eigenen Schaden zu tun glaubten, wenn sie von nun an bei ihm arbeiten ließen, so wuchs seine Kundschaft binnen Kurzem drei- und vierfach. Als ein geschickter Arbeiter erwarb er Beifall und ward ein Schuster nach der Mode. Dies sowohl als jene zwei Banknoten setzten ihn in den Stand, nebenbei einen kleinen Lederhandel anzufangen. Auch hierin hatte er Glück und ward wohlhabend. Von seinen eigenen Kindern erzog er nur drei Töchter, den Handel vererbte er auf seinen Zögling, der zugleich sein Eidam ward.


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