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Die geopferten Kinder

In der Neumark lebte vor einigen Jahren ein Schäfer, ein Mann, der bei allen, die ihn kannten, den Ruf eines ehrlichen, stillen, frommen Mannes hatte und ihn auch wirklich verdiente; vielleicht ein wenig allzu still, allzu fromm, denn er war ein Herrnhuter.

Einst, als er auf dem Felde hinter seiner Herde ging, gesellte sich zu ihm der Schulmeister des Dorfs, sein Freund und Glaubensgenosse. Ihre Gespräche lenkten sich bald von häuslichen Gegenständen auf Angelegenheiten der Religion und des Herzens, und der Schäfer konnte nicht Worte genug finden: wie glücklich er sich jetzt in diesem Punkte fühle.

»Endlich«, sprach er mit innigem Ton, »hat Gott mein Gebet erhört, hat mir nach manchem harten Kampf seinen Frieden geschenkt, hat mich des wahren Glaubens teilhaftig werden lassen! O wie so wohl mir dabei ist! Wie ganz gewiß ich mit keinem Fürsten tauschen würde!«

Er fuhr noch lange in diesem Tone fort, bis er ein gewisses Kopfschütteln bei dem Schulmeister bemerkte, das ihn Wunder nahm und nach dessen Ursache er fragte.

»Es ist wohl recht gut, lieber Bruder, um eine solche Seelenruhe«, war jenes Antwort, »auch zweifle ich nicht, daß es ganz heimlich mit deinem Herzen stehen mag. Aber unser jetziger Glaube – unser jetziger Glaube – so ganz lauter wie der Glaube der Alten mag er doch wohl nicht sein.«

»Und warum sollte er das nicht, lieber Bruder? Ich habe ja so andächtig zu Gott gebetet, so ganz in die Wunden des Lammes mich geflüchtet und empfinde auch dafür so eine Heiterkeit, so eine Gewißheit meiner Versöhnung –«

»Alles schon gut! Recht gut! Aber den Glauben der Patriarchen? Den Glauben Abrahams, der Gott seinen einzigen Sohn darbrachte, wer kann den jetzt noch zu besitzen hoffen?«

Hätte der Schulmeister auch nur den hundertsten Teil der Wirkung sich gedacht, den diese unglücklichen Worte auf den armen Schäfer hatten, gewiß würde er sich vor ihnen sorgfältig gehütet haben. Traurig, in tiefe Gedanken versenkt, in seinem Glauben erschüttert, ging dieser nun den ganzen Tag seiner Herde nach, hörte und sah nichts rund um sich her, erwiderte, als er heimkam, nur kalt die Liebkosungen seiner Gattin und Kinder, verschmähte, unter dem Vorwand einer Unpäßlichkeit, sein kleines Abendbrot, und hielt selbst seine Betstunde ohne Freudigkeit.

Die Ruhe seiner Seele, seine feste Zuversicht auf göttliche Gnade war verschwunden. Tausendmal las er in der Bibel das zweiundzwanzigste Kapitel des ersten Buch Moses von der Aufopferung Isaaks. Sie war sein einziger Gedanke, des Tags über und wenn er schlaflos auf seinem Lager lag; sie war sein Traum in jedem Morgenschlummer; rasch fuhr er dann auf und flehte mit gefalteten Händen, mit unterdrücktem Schluchzen und desto häufigeren Tränen zu Gott: auch ihn mit dem Glauben Abrahams zu beseligen.

So rang er ein paar Wochen lang und achtete sich endlich ganz mit dem Heldenmut gestärkt, den die Aufopferung seiner Kinder erforderte. Seit geraumer Zeit war er nicht freudiger und heiterer aufgestanden, als an dem Morgen dieses dazu festgesetzten Tages. Seine Gattin merkte solches und freute sich dieser Änderung; er selbst verrichtete seine Hirtenarbeit mit größter Genauigkeit und kam dann heim, sein eigenes Vieh zu melken.

Er war Vater von drei Söhnen und bisher immer der beste Vater gewesen. Seine Kinder liebten ihn daher zärtlich und folgten ihm, wo er ging und stand, fleißig nach. Vorzüglich pflegte der Kleinste, sein Augapfel, ein Knabe von zwei bis drei Jahren, ihm beim Melken nachzulaufen, mit der Bitte: daß er ihn doch in die Gelte setzen und hin und her schaukeln möchte. Alle diese Kleinigkeiten geschahen auch heute. Dann aber, als er alle Pflichten des ganzen Tages erfüllt zu haben glaubte, entfernte er unter irgend einem Vorwand seine Frau, rief seine drei Söhne zu sich und verschloß sich mit ihnen in der Stube.

Kaum hatte er dies getan, als er eine Axt ergriff und damit dem Ältesten von ihnen den Kopf zerspaltete; dem Zweiten, der erbärmlich zu schreien anfing, widerfuhr sogleich ein Gleiches; aber der Jüngste, der ängstlich seine Füße umschlang, mit Tränen ihn nicht auch zu töten bat, erschütterte auf einige Minuten seinen festen Entschluß. Es war sein Liebling! Sein Jüngster! Sein Letzter! Zwei Opfer hatte er, seinem Bedünken nach, Gott schon dargebracht! Der Arme bat so innig!

Alles dies, gestand er nachmals oft, bewegte das Innerste seines Herzens. Er betete aufs Flehentlichste zu Gott, ihn mit Kräften auszurüsten; und das Werkzeug des Tötens entsank aus seiner Hand. Aber der Gedanke: Was opfere er denn eigentlich Gott, wenn er nicht auch sein Letztes und Liebstes ihm opfern wolle? gab ihm endlich Mut genug, Vaterherz und Menschenschwäche zu überwinden, und der arme Knabe sank mit zerschmettertem Haupte zu Boden.

Ganz gelassen hob er nun alle drei Leichen von der Erde empor, trug sie auf sein Bett und zog die Decke über sie.

Allein das Geschrei der Unglücklichen war bis zur Mutter gedrungen; sie lief erschrocken herzu und verlangte, da sie die Stubentür verschlossen fand, so ungestüm hereingelassen zu werden, daß er ihr endlich, obschon mit den Worten: Ach, bleib draußen, Mutter! Es ist des Elends bereits genug darin! aufmachte. Ihr Entsetzen beim Anblick des Blutes in der Stube, ihr noch größeres bei Wegreißung der Decke können Gedanken nur mühsam, Worte unmöglich fassen. Seine Ruhe hingegen blieb unerschüttert. Er weinte auf ihre Leichname, aber er blieb dabei: es sei verdienstlich, sie geopfert zu haben; ließ sich willig ins Gefängnis führen und behauptete auch dort seine Gelassenheit.

Was seinen Richtern Ehre macht, ist: daß sie nicht auf Todesstrafe, sondern auf lebenslängliches Zuchthaus stimmten; und König Friedrich, als er dies Urteil unterschreiben sollte, strich auch jenes Wort noch aus und setzte dafür Tollhaus!


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