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Die Edelfrau unter Mördern

Ein sehr schönes Landgut war es, in wahrhaft romantischer Gegend, nur etwas fern von der Heerstraße gelegen, wo Baron von R. den Sommer hinzubringen pflegte. Sein Schloß, auf einem kleinen Hügel erbaut, war ganz seinem übrigen Reichtum gemäß, geraum, schön von innen und außen, ausgeführt in einem edlen Stil, getrennt vom übrigen Dorfe um ein paar hundert Schritte ungefähr.

Einst mußte der Baron in Geschäften auf wenige Tage wegreisen. Seine Gemahlin, eine schöne junge Dame, kaum zwanzig Jahre alt, blieb zurück. Sei es aus Laune oder aus Notwendigkeit, kurz, sie blieb. Ein paar seiner besten Bedienten hatte er mit sich genommen, ein paar andere blieben bei ihr zurück. Von Unsicherheit hatte man nie noch in dieser Gegend etwas gespürt. Die Baronin überhaupt gehörte nicht zum furchtsamen Teil ihres Geschlechtes; Gedanken der Gefahr kamen daher auch nicht im Traume ihr bei.

Jetzt, des zweiten Abends, wollte sie eben in ihr Bett einsteigen, als in dem Nebenzimmer ein schreckliches Getöse entstand. Sie rief. Niemand antwortete ihr, aber immer stärker ward das Lärmen, das Schreien, das Poltern. Sie begriff nicht sogleich, was das sein könne, warf ein leichtes Gewand um sich und ging nach der Tür, um nachzusehen. Ein schrecklicher Anblick, der sich ihr darbot! Zwei ihrer Bedienten lagen in der Mitte des Zimmers, halb nackt und mit zerschmettertem Haupte; das ganze Gemach war voll fremder gräßlicher Menschen; vor einem derselben kniete so eben der Baronin Kammerfrau und empfing, statt der gebetenen Gnade, den tödlichen Stoß. Auf die eröffnete Tür eilten sogleich mit gezogenem Säbel zwei dieser Barbaren los. Welcher Mann, geschweige welches Weib, hätte bei solch einem Auftritt nicht im namenlosen Schrecken Leben und alles für verloren geachtet? Ein lauter Schrei der Verzweiflung, eine Flucht von wenigen Schritten, eine fruchtlose Bitte um Verschonung, das wären vermutlich die letzten Rettungsversuche von vielen Tausenden gewesen. Doch die Baronin handelte nicht also!

»Seid ihr da?« rief sie mit dem Tone der innigsten Freude aus und stürzte selbst ihren zwei Angreifern mit einer Hast entgegen, die beide gleich stark befremdete, die das gezückte Gewehr von beiden glücklich zurückhielt. »Seid ihr da?« rief sie nocheinmal. »Gäste wie euch habe ich mir längst gewünscht.«

»Gewünscht?« brüllte einer von diesen Mördern! »Wie meinst du das? Warte, ich will –«

Er schwang den Hirschfänger bereits, sein eigener Kamerad hielt ihn auf. »Halt noch einen Augenblick, Bruder!« sprach er, »laß uns erst hören, was sie will!«

»Nichts anderes, als was auch euer Wille ist, brave Spießgesellen! Ihr habt trefflich hier aufgeräumt, wie ich sehe. Ihr seid Leute nach meinem Sinn, und gereuen wird es weder euch noch mich, wenn ihr nur zwei Minuten lang mich anzuhören geruht.«

»Rede!« schrie der ganze Schwarm. »Rede!«

»Aber mach's kurz!« rief der Gräßlichste von ihnen: »Denn auch mit dir werden wir des Federlesens nicht allzu viel treiben!«

»Was ich doch hoffe, wenn ihr mir nur auszureden vergönnt. Seht, ich bin zwar die Frau des reichsten Kavaliers im Lande. Aber unglücklicher als ich kann selbst die Frau des niedrigsten Bettlers nicht sein. Mein Mann ist der schäbigste, eifersüchtigste Filz, den je die Erde trug. Ich hasse ihn, wie man seine Sünde haßt, und von ihm loszukommen, ihm auszuzahlen zugleich, was er bisher mir lieh, das war längst mein innigster Wunsch. Zwanzigmal wäre ich schon entwischt, nur das Wegkommen galt Kunst. Alle meine Bediente waren seine Kundschafter, derjenige, dessen Hirnschale ihr dort so kräftig handhabtet, war der Ärgste von allen. Selbst daß ich allein schlafe, ist ein Probestück von der Eifersucht meines Gemahls. Seht, ich bin erst zweiundzwanzig Jahre alt und bin, wie mich dünkt, wenigstens nicht ungestaltet. Trüge jemand von euch mich mit sich zu nehmen Belieben, ich schlüge ein, folgte ihm nach, die Reise möchte nun in den Busch oder zu einer Dorfschenke gehen. Auch sollte es euch alle nicht gereuen, das Leben mir geschenkt zu haben. Ihr seid in einem reich versehenen Schlosse; doch alle Schlupfwinkel desselben kennt ihr unmöglich. Ich will sie sämtlich euch zeigen, und tut mir dann, wie ihr meiner Kammerfrau tatet, wenn dies nicht wenigstens um sechstausend Taler euch reicher macht.«

Bösewichter sind Räuber dieser Art freilich, aber Menschen bleiben sie dennoch. Das gänzlich Unerwartete in der Baronin Rede, der unbefangene Ton, mit dem sie sprach, die nicht gemeine Schönheit einer jungen, halb entkleideten Frau – alles dies brachte bei Männern, deren Hände noch von eben vergossenem Blute rauchten, eine ganz sonderbare Wirkung hervor. Sie traten zusammen auf einen Haufen und besprachen sich halbleise einige Minuten durch. Ganz allein stand die Baronin jetzt, doch machte sie nicht den geringsten Versuch, zu entfliehen. Sie hörte gar wohl die Worte von zwei oder dreien: »Nieder mit ihr, und das Spiel hat ein Ende!« Aber sie veränderte ihre Farbe kaum, denn der Widerspruch der übrigen entging ihrem feinen spitzenden Ohre ebensowenig, und jetzt trat auch einer, der mutmaßlich Hauptmann der Bande sein mochte, zu ihr.

Er widerholte zwei- bis dreimal die Frage: Ob man auch buchstäblich ihren Worten trauen dürfte? Ob sie wirklich von ihrem Manne weg- und mit ihnen durchzugehen entschlossen sei? Ob sie bereit wäre, sich einem von ihnen, und wenn er es selber wäre, zum Vergnügen für die wenigen ruhigbleibenden Nächte zu überlassen?

Und als sie dies alles bejaht, als sie den kräftigen Kuß des Räubers geduldet, ja selbst – denn was entschuldigt Not nicht? – erwidert hatte, erging endlich der Befehl an sie: »Nun so komm dann und führe uns herum! Der Teufel trau euch Edelweibern zwar, doch wollen wir es wagen für dies Mal. Nur so viel wisse: bis zur Gurgel spaltet sich dein Kopf, und wenn er zehnmal hübscher noch wäre, in eben dem Augenblick, als wir eine Miene von Entfliehen oder Betrug an dir merken.«

»So wird er nie gespalten! So werde ich, wenn dies nur Bedingung meines Todes wäre, euch alle und selbst den ewig wandernden Juden überleben!«

Lächelnd sagte die Baronin dies, ergriff mit einer Hast, als sei ihr selbst an Plünderung und Entfliehen wer weiß wieviel gelegen, das nächste Licht, führte den ganzen Schwarm in allen Gemächern herum, schloß jede Tür, jeden Schrank und jede Kiste ungefordert auf, half ausleeren und einpacken, scherzte mit der heitersten Laune, sprang gleichgültig über die ermordeten Körper hinweg, sprach zu jedem dieses schändlichsten Gelichters wie zu einem alten Bekannten und bot willig, selbst zur mühsamsten Arbeit, ihr zartes Händchen an.

Silberwerk und Gerätschaften, bares Geld und Geldeswert, Kleinodien und Kleider waren nun zusammengerafft, und der Hauptmann der Bande gab schon zum Abmarsch Befehl, als seine neubestimmte Braut ihn hastig beim Arme ergriff.

»Sagte ich's nicht«, rief sie aus, »daß es euch keineswegs gereuen sollte, an mir eine Freundin gefunden und meines Lebens geschont zu haben? Ihr könnt zwar weidlich ausräumen, wo ihr etwas offen findet, aber schade nur, daß bei jedem etwas verborgen liegenden Schatze eure Wünschelruten nicht anschlagen!«

»Verborgen? Was? Wo ist noch etwas verborgen?«

»Wie, glaubt ihr denn, daß es in den Schränken, der kostbaren Güter so voll, gar keine heimlichen Fächer geben könne? Merkt auf hier, und ihr werdet dann anders urteilen!«

Sie zeigte auf eine verborgene Feder im Schreibpult ihres Gemahls. Man drückte, sie sprang auf, und sechs Rollen, jede von zweihundert Dukaten, fielen heraus.

»Wetter!« rief der Räuber-Anführer aus, »nun sehe ich, du bist ein braves Weib. Ich will dich halten dafür wie eine kleine Herzogin.«

»Und wohl gar höher noch«, fiel sie lachend ein, »wenn ich noch eines, obschon das letzte von allen, euch sage? Daß ihr Kundschafter gehabt, die meines Tyrannen Abwesenheit euch steckten, das begreif ich wohl. Aber haben diese nicht auch von den viertausend Gulden, die er vorgestern erst einnahm, ein Wörtchen euch gesagt?«

»Nicht eine Silbe: Wo sind sie?«

»O gut verwahrt! Unter Schloß und Riegel siebenfach! Ihr hättet sie und den eisernen Kasten, der sie einschließt, sicher nicht gefunden, stände meine Wenigkeit nicht mit euch im Bunde. Mit mir, Kameraden! Über der Erde sind wir fertig; nun mag's auch unter dieselbe gehen. Mit mir, in den Keller, sage ich!«

Die Räuber folgten, aber nicht ohne Vorsicht. An den Eingang des Kellers, mit einer tüchtigen eisernen Falltür versehen, ward ein Mann zur Schildwache gestellt. Die Baronin gab auf alles das nicht acht. Immer voran führte sie den Schwarm in des Kellers äußerste Vertiefung zu einem unterirdischen Kämmerchen. Sie schloß auf, und der angegebene Kasten stand in einem Winkel da.

»Hier!« sagte sie und bot dem Hauptmann einen Schlüsselbund dar: »Hier! Schließ auf und nimm, was du findest, zum Hochzeitsgeschenk an, wenn du deiner Gefährten Einwilligung so leicht als die meinige erhältst!«

Der Räuber versuchte einen Schlüssel nach dem andern; keiner paßte. Er ward ungeduldig; die Baronin war es noch weit mehr.

»Weis her!« sprach sie. »Ich hoffe besser und schneller damit umzugehen. Wahrlich, der Morgen könnte sonst – Ha, sieh da, nun begreif ich sehr wohl, warum dir und mir es mißlang. Verzeiht! So lieb euer Besuch mir ist, so hat er mich doch, wie ich gern gestehe, eben dieser Freude, eben dieses Unerwarteten halber, ein wenig aus der Fassung gebracht. Ich habe den falschen Schlüsselbund vorhin ergriffen. Zwei Minuten Geduld, und der Fehler soll gehoben sein.«

Sie lief die Treppe hinauf, und ehe jene zwei Minuten vorbei waren, hörte man schon sie wieder kommen, doch ging sie langsamer, gleichsam atemlos von allzu großer bisheriger Eile. Gefunden! Gefunden! rief sie schon von ferne. Jetzt war sie ungefähr drei Schritte noch von der Schildwache an des Kellers Eingang. Aber jetzt sprang sie auch mit einem Sprung auf diesen Elenden los, der eher des Himmels Einsturz als solch einen Überfall sich versah. Ein einziger Stoß aus allen Leibeskräften, und hui flog er die Kellertreppe hinab. In eben dem Nu schlug sie die Falltür zu, schob den Riegel vor und hatte die ganze Bande in den Keller versperrt.

Alles dies das Werk eines Augenblicks! Im nächsten flog sie über den Hof des Schlosses und steckte mit dem Lichte in der Hand einen ganz einsam stehenden Schweinestall an. Er loderte auf wie eine Schütte Stroh. Im nahen Dorfe sah der Wächter die Flamme sogleich und machte Lärm. Binnen wenigen Minuten war alles aus den Betten, und eine Menge von Bauern und Knechten eilte aufs Schloß zu. An der Hoftür wartete die Baronin ihrer.

»Dies Geniste zu löschen oder zu verhüten bloß, daß die Flamme nicht weiter greife«, sprach sie, »sind wenige von euch schon genüglich. Aber bewaffnet euch jetzt mit Gewehr, welches ihr in der Rüstkammer meines Gemahls im Überfluß finden werdet, umsetzt die Zuglöcher des Kellers und laßt von dem hineingesperrten Mörder- und Räubergesindel keinen entfliehen!«

Man gehorchte, und es entkam kein einziger der Gefangenschaft und seiner Strafe.


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