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Unkeusche, Mörderin, Mordbrennerin, und doch bloß ein unglückliches Mädchen

Ein angesehener Kaufmann zu Nowgorod hatte nur eine einzige Tochter und sparte um desto weniger bei ihrer Erziehung Mühe und Kosten. Beide waren auch nicht vergebens angewandt. Das Mädchen hatte, als sie herangewachsen, alle Eigenschaften, die man jetzt von einem wohlgebildeten Frauenzimmer fordert; und besaß noch ein gutes, unverdorbenes Herz. Kein Wunder daher, daß dieses reizende Geschöpf bald ein Augenmerk vieler junger Männer ward und daß manche Mütter bei ihrem Anblick mit sehnlichem Wunsch an die Lieblinge unter ihren Söhnen dachten.

Jetzt, als sie so eben kaum zur völligen Blüte gekommen war, bewarben sich zwei Kaufleute um sie. Auch hier fand sich der so gewöhnliche Fall: daß der angenehmere Mann nicht reich, der Reichere nicht angenehm war; daß dieser an den Vater, jener ans Mädchen selbst sich verwendete; und daß dieser elterliche Vertröstung, jener aber Gegenliebe erhielt. Als der Vater, in der Person seines Begünstigten, der Tochter einen künftigen Gemahl vorstellte, sparte diese weder Bitten noch Gründe noch Schmeicheleien, um ihn zu bewegen: daß er seine Wahl gegen die ihre umtausche; aber sie erreichte nur halb ihren Zweck. Er liebte seine hoffnungsvolle Tochter so innig, daß er ihr endlich mit Wort und Handschlag versprach, nie einen Mann ihr aufzudringen; aber er bestand dagegen auch ernstlich und vielleicht gar mit einiger Schärfe darauf: daß sie ihrem Günstling nicht minder entsagen solle; und das Ende vom Liede war: daß wirklich beide abgewiesen wurden.

Das Mädchen hatte das Versprechen, ihren Liebhaber zu verabschieden, in wahrem Ernste getan. Als sie aber nachher hörte, daß er, ihrer anscheinenden Härte ungeachtet, ebenso standhaft auf seiner Neigung beharre, als jener väterliche Günstling sich bald zu trösten gewußt habe, da blieb freilich immer noch ein Funken der alten Zärtlichkeit zurück, und so standhaft sie eine geraume Zeit hindurch seine wiederholten Bewerbungen abwies, so brachte er es doch durch Bestechung einer Aufwärterin, und zwar einer, die nicht vom letzten Schlage Man pflegt den Russinnen schon als Kind in der Wiege eine Aufwärterin zu geben, die nachher durch ihr ganzes Leben bei ihnen bleibt und mir viel Ähnlichkeit mit jenen Ammen der Alten zu haben scheint, die wir im Homer, Terenz und andern treffen und die gewöhnlich ihrer Saugtöchter Freundinnen bis zur Mannbarkeit und selbst bis in ihr Alter blieben. war, endlich dahin, daß sie sich wieder etwas von ihm vorerzählen ließ, daß sie bald darauf abermals seine Briefe und zuletzt gar seine Besuche annahm.

Als sie einst so beisammen in Gesprächen der Liebe, und zwar wirklich unschuldigen Gesprächen saßen, trat die Alte bestürzt herein und meldete die Ankunft des verreist gewesenen Vaters. In dieser Angst war kein anderer Rat, als den Geliebten schnell ins Bett zu verbergen und ihn mit einer Menge Federkissen aufs beste zuzudecken. So empfing man den Vater. Dieser setzte sich gerade aufs Bett hin, blieb eine geraume Zeit darauf sitzen und ging endlich, nach mancher langen Erzählung, die seine Tochter ihm gern geschenkt hätte, ohne etwas zu merken hinweg. Das Mädchen eilte nun sogleich, ihren Liebhaber zu befreien.

Die Eilfertigkeit, mit welcher sie die Federbetten hinwegriß, kann man sich leicht vorstellen; aber kaum den Schrecken, mit welchem sie ihn tot, tot durch ihre Schuld, fand. Denn der Vater hatte sich gerade auf den Kopf dieses Unglücklichen gesetzt. Mit einer Standhaftigkeit, die wohl Heldenmut genannt zu werden verdient, hatte dieser Letztere, selbst in den Todesängsten, sich nicht gerührt und war erstickt.

Ein solcher Anblick war schrecklich oder vielmehr tötend beinahe für das arme Mädchen. Nichts ließ sie unversucht, ihren Geliebten ins Leben zurückzurufen; alles umsonst. Und was nun mit dem Leichname anfangen? Sich jetzt der Härte eines Vaters ausgesetzt, einer gerichtlichen Untersuchung bloßgestellt, vielleicht gar mit Kerker und Leibesstrafe belegt zu sehen! Wie fürchterlich war diese Aussicht.

Der Rat der alten Kupplerin fand daher endlich Beifall. Der Bediente ihres Vaters, ein häßlicher Kerl von Leib und Seele, liebte den Trunk und bedurfte Geld. Ihm wollte man eine ansehnliche Belohnung versprechen, wenn er den Leichnam nähme und in den nächsten Kanal würfe. Liebe und Schmerz machten noch manche Einwendungen dagegen; aber Notwendigkeit drang endlich durch.

Die Alte ging, den Kerl aufzusuchen; aber schrecklich war die Antwort, mit welcher sie wiederkam. Denn kaum hatte dieser Bösewicht vernommen, was er tun sollte, so übersah er auch schon die Verlegenheit ganz, in welcher die beiden Frauenspersonen sich befinden müßten, war zur Wegschaffung des Leichnams zwar erbötig, forderte aber zum Lohn dieses Dienstes: daß seine Gebieterin seinen viehischen Lüsten sich überlassen sollte. Vergebens hatte die Aufwärterin ihm Geld über Geld versprochen; vergebens sich selbst zur Befriedigung seiner Wollust angeboten; vergebens auf sein Hohngelächter, eine jüngere Liebschaft zu verschaffen, sich verbindlich gemacht. Er blieb bei seinem Begehren, und sie mußte die Nachricht überbringen.

Mit äußerstem Abscheu lehnte das Mädchen diesen Vorschlag ab. Der Bediente ward selbst gerufen; sie bot ihm zum Geschenke alles an, was sie von barem Gelde besaß. Sie bot ihm sogar ihre Juwelen, die – da sie eine Russin war – auf hohen Wert sich beliefen. Sie erklärte sich mit der möglichsten Entschlossenheit, daß sie in sein voriges Verlangen nie willigen werde. Aber der verstockte Nichtswürdige beharrte auf seiner Bedingung und drohte endlich, als das Weigern ihm zu lange währte, sogleich hinzugehen und der Obrigkeit alles, alles anzuzeigen.

Jetzt, da der Jammer immer größer wurde, der Morgen nicht mehr fern war, jener Bösewicht sich wirklich bereits zum Weggehen anschickte, entfernte ihn die Alte noch auf einige Augenblicke und fiel ihrer Pflegetochter weinend zu Füßen. Sie stellte ihr die Größe und Nähe der Gefahr, die Leichtigkeit sich zu retten, das Verschwiegenbleiben einer zweifachen Schmach vor. Sie erinnerte sie an die Dankbarkeit, die sie ihr schuldig sei, an die Knute, die ihr als Unterhändlerin unausbleiblich drohe, und an den Verlust des eignen Glücks und aller väterlichen Liebe. Kurz, sie brachte es endlich dahin, daß das arme Geschöpf nachgab und zitternd, wie ein Opfertier, in einen Schritt willigte, statt dessen sie nachher lieber zweifachen Tod erwählt hätte.

Der Leichnam ward nun fortgeschafft. Niemand erriet am andern Morgen, als er gefunden ward, sein wahres Schicksal. Aber jener Bediente, im Besitz zweier so wichtiger Geheimnisse, konnte nun fortan so viel Geld bekommen, als er wollte, und ergab sich eben daher dem Trunke immer stärker. Als er nach Verlauf von ein paar Monaten schon oft mit Angabe gedroht und, was er verlangte, auch wirklich ertrotzt hatte, saß er einst, wie gewöhnlich, in einer Kabakke oder Schenke und zechte mit seinen Gefährten, bis er halb sinnlos wurde. In diesem Zustande fragten ihn die Kameraden, denen schon längst sein Überfluß an Gelde bedenklich geschienen hatte, um die Ursache seines vermehrten Wohlstandes; aller Besinnungskraft für die Zukunft jetzt verlustig, antwortete er ihnen mit einer Menge Großsprechereien, und um ihnen sein Glück recht begreiflich zu machen, um ihre Zweifel zu widerlegen, schickte er alsbald einen von den Aufwärtern zu der Tochter seines Herrn und ließ ihr entbieten, sie solle sogleich kommen und zwanzig Rubel ihm mitbringen.

Das arme Mädchen, unwissend, wie sie sich anders helfen könne, sendete ihm dieselben wirklich. Aber dieser Schändliche, unzufrieden, daß sie nicht selbst komme, schickte das Geld zurück und verlangte: sie solle es ihm eigenhändig überbringen. In immer wachsender Verlegenheit glaubte die Unglückliche: Gewinn werde ihn besänftigen, und verdoppelte daher die Summe. Doch eben dadurch ward das Ungeheuer nur noch mehr aufgebracht, und er ließ ihr drohen, alles, was er wisse, zu entdecken, wenn sie nicht sogleich sich einstelle. Umsonst sträubte sich die Bedauernswürdige gegen diesen schmählichen Gang. Jene alte Kupplerin, die sich nun selbst seit geraumer Zeit schon mit dem Bedienten verstand, drang abermals in sie; und sie ging.

Als sie in die Schenke kam, überhäufte sie der sinnlose Trunkenbold mit den härtesten Vorwürfen; sie suchte sich auf die sanftmütigste Art bei ihm zu entschuldigen; aber er hörte nicht darauf, nannte sie eine Hure und schlug sie. Dieser Schimpf, in so vieler Personen Gegenwart, unter den Augen der niedrigsten Klasse von Menschen ihr zugefügt, war allzu groß und überstieg alles bereits Erduldete. Erst rollten ihr einige Tränen von der Wange herab; dann eilte sie schnell hinaus; ein Licht stand ihr draußen im Wege; vom Schmerz ganz außer sich, ergriff sie dasselbe und steckte, von niemanden bemerkt, die hölzerne Kabakke beim Eingang in Brand. Das Feuer fraß sogleich um sich; das trockene Gesparre loderte wie Schwefel auf; die Wache eilte zu spät herbei; alles Löschen war vergebens; die Schenke verbrannte; und – schrecklich genug! – alle in ihr befindlichen Trunkenbolde, zwölf an der Zahl. Man hätte gewiß der eigenen Unvorsichtigkeit dieser Menschen die Schuld des ganzen Unglücks beigemessen, aber die Täterin trat sogleich zur Wache, überlieferte sich ihr und bekannte, was sie getan habe. Man verhaftete sie, untersuchte den ganzen Vorfall und überschickte eine genaue Erzählung davon an die Monarchin.

In Deutschland wäre für die Verbrecherin Lebensfristung unmöglich gewesen. Aber Katharina sprach: Die Tochter des Kaufmanns, weil sie nach und nach, wider ihre Grundsätze, zu einer Handlung verleitet wurde, die sie endlich in ganz sinnloser Verzweiflung begangen habe, solle auf ein Jahr lang ins Kloster gehen und dort ihre Sünden bereuen. Die alte Aufwärterin hingegen, die Urheberin aller dieser Verbrechen, solle die Knute zum Tode erhalten; der Vater nur einen Verweis für seine Härte; denn das Schicksal seiner Tochter bestrafe ihn schon hinlänglich, wenn nicht überscharf.

Alles dies ward vollzogen. Nach Verlauf jener Büßungszeit ließ das arme Mädchen, auf ihr eigenes Verlangen, sich einschleiern für immer.


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