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VI. Kapitel.
Das Frauenproblem

1. Prinzipielles zur Frauenfrage. / 2. Liebes- und Vernunftehen und Mesalliancen. / 3. Begleiterscheinungen der Scheidung für die Frau. / 4. Muttertypen und die andern. / 5. Defekte Männertypen. / 6. König Drosselbart. / 7. Mögliche Lösungen. / 8. Bekämpfung der Frauenbewegung. / 9. Konflikte in der Praxis. / 10. Die Frau und Dame während der Kriegszeit. / 11. Die Technik der Hauswirtschaft. / 12. Die »Domäne« der Frau und die Geschlechtsehre / des Mannes. /

I.
Prinzipielles zur Frauenfrage

Der verkehrte Werbekampf, dieses Symptom der sozialen und der sexuellen Krise, war und ist die Hauptursache der Frauenbewegung, besonders in ihren wirtschaftlich-praktischen Zielen. Das Weib verlor, nach und nach, jede Möglichkeit der Auslese in der Gattenwahl und in der sexuellen Wahl überhaupt; und nicht nur das, schließlich verlor ein großer Teil des weiblichen Geschlechtes sogar die Möglichkeit, / gewählt zu werden. Dieser ungeheure Frauenüberschuß, der jetzt durch den Krieg eine enorme Vermehrung erfahren hat, drängt die Frau gebieterisch dazu, ihr Schicksal und ihre Existenz von ihrer etwaigen Versorgung durch den Mann, auf die immer weniger zu rechnen war und ist, unabhängig zu machen.

Die Tatsache des Frauenüberschusses hat aber außer den Kriegen, welche immer wieder Legionen von Männern auf der Höhe ihrer Geschlechtsreife ausrotten, und zwar nach den Gesetzen der grauenvollsten Gegenauslese (Kontraselektion), die denkbar ist, noch eine andere Ursache, die man gewöhnlich, in irrtümlicher Verkehrung von Ursache und Wirkung, für eine Folge des Frauenüberschusses hielt, während hier zumindest eine Wechselwirkung besteht. Außer den Kriegen ist mit ein Grund des Überschusses an Ehelosen: die Paniximie. Nicht der Frauenüberschuß hat, wie man immer annimmt, die Paniximie geschaffen, sondern umgekehrt, die Paniximie hat mit, als Hauptursache, den Überschuß an ledigen Frauen erzeugt. Wieso? Weil: erstens ein großer Prozentsatz der Männer, 40% in Deutschland, / unverheiratet bleibt, deshalb, weil er auf »billige« und »unverbindliche« Art den Geschlechtstrieb befriedigen kann; zweitens, weil der Mann sich durch sein anarchisches Geschlechtsleben derartig in seiner Konstitution schwächt, daß die Zahl der Witwen regelmäßig größer ist, als die der Witwer. Zu den Alterserscheinungen des Mannes, der ausschweifend gelebt hat, gehört die progressive Paralyse und zahlreiche andere Wirkungen der Geschlechtskrankheiten, die seine Gesundheit untergraben und sein vorzeitiges Ableben verursachen. In einem einschlägigen Artikel schreibt Prof. Dr. Gurlitt: »Vor allem aber müßten wir auch dahin wirken, daß eine viel frühere Ehemöglichkeit als bisher der Jugend die Aussicht auf eine Ehe in absehbarer Zeit eröffne. Der heutige Zustand ist ungesund und unerträglich. Die Männer der besseren Stände heiraten zwischen 30 und 50 Jahren, die Hälfte aller Mädchen der oberen Gesellschaftsschichten bleibt ledig.« Die Paniximie und der in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung verminderte Nahrungsspielraum haben diese Konstellation geschaffen.

Die sexuelle Anarchie des Mannes ist auch mit ein Grund, warum so viele Frauen durchaus und um jeden Preis nach wirtschaftlicher Selbständigkeit streben. Und nicht nur, weil der Mann als Ehemann für eine große Anzahl von Frauen nicht zur Stelle ist (da er sich ja eben im ungeregelten, wilden Geschlechtsverkehr »schadlos« halten kann), sondern weil auch die höher entwickelte Frau von dieser Art Mann um keinen Preis abhängig sein will. Das merkt man am deutlichsten, wenn ein solcher Konflikt hart ans Leben geht, das heißt, wenn eine Frau, sogar ohne eine Existenz zu haben und ohne für den Lebenskampf durch einen scharf spezialisierten Brotberuf gerüstet zu sein, dennoch aus einer Ehe weggeht, die der Mann nicht rein erhalten will oder kann. Sie will und kann sich nicht verpflichten lassen, um ihrer Existenz willen, jemandem Treue halten und mit jemandem leben zu sollen, der seinerseits ihr die Treue nicht hält, sondern nach Orgie begehrt.

In dieser Beziehung hat das Bürgertum, für dessen im Grunde richtige sexuelle Moralgefühle ich hier manche Lanze breche, seine schwachen Stellen. Ich habe das Schätzenswerte, das in den Schutzmaßnahmen der bürgerlichen Moral liegt, anerkennend hervorgehoben, weil es eine Moral ist, die »dem Ansturm der Realitäten dieser Welt Ein Ausdruck von Christian von Ehrenfels, gebraucht in seiner fesselnden Broschüre: »Richard Wagner und seine Apostaten«, Hugo Heller, Wien.« im allgemeinen standhält, während die verschiedenen individuellen Moralen, die bei den Eigenbrödlern, die sich übers Bürgertum hoch erhaben glauben, aus haltlosen und wechselnden Stimmungen heraus, schockweise erzeugt werden, meist einen klaffenden Widerspruch zwischen romantischen und hochtönend formulierten Theorien und einer meist sehr unsauberen und zum Niedergang führenden Wirkung in der Praxis zeigen.

Unzulänglich aber ist die bürgerliche Moral insofern, als sie sich zu weitgehend auf die Versorgung der Töchter durch die Ehe verläßt und hier (aus bester Gesinnung) im allgemeinen zu weitgehende Kompromisse verlangt In welche widerwärtigen Ehen die Töchter oft hineingetrieben werden, das beleuchtet z. B. in charakteristischer Weise der Roman von Auguste Hauschner »Die Familie Lowositz«, Verlag E. Fleischel, Berlin.; ferner war das Bürgertum nur sehr schwer über die statistischen Ergebnisse des Frauenüberschusses, sowie über die Tatsache zu belehren, daß es in unsrer Wirtschaftsepoche nicht mehr glückt, und zwar immer weniger leicht, für die Töchter ein Kapital zu erübrigen. In diesem Punkt hat das Bürgertum sich zu lange gesträubt, der grausamen Wirklichkeit, wie sie ist, ins Gesicht zu sehen, und hat nicht mit der nötigen Planmäßigkeit die Schicksale seiner Töchter unabhängig gemacht.

Die Frauengeneration, die heute im bürgerlichen Berufsleben steht, mußte zumeist ihren Eltern das Anrecht auf Ausbildung zu einem Brotberuf unter den hartnäckigsten Kämpfen abringen, und in der Familie spielte sich im kleinen ab, was sich im großen in der Gesellschaft begab: der Kampf der Frauen um Zutritt zu allen höheren Berufen. Die Frau mußte diesen Kampf führen, weil von keiner Seite, weder von ihrer Familie, noch von Seiten des werbenden bzw. nicht werbenden Mannes mehr, ein Verlaß darauf war, daß sie sonst auf irgendeine andere Art eine Existenz finden, d. h. ihr Leben behalten konnte. Und auch wenn sie die Ehe »erreichte«, wollte und mußte sie sich ihre Unabhängigkeit insoweit wahren, daß die Möglichkeit für sie bestand, von einem Mann, der sie schlecht behandelte oder der ihre Weiblichkeit schändete, indem er die Ehe nicht rein erhielt, jederzeit weggehen zu können. Das ist die Bedeutung der Frauenbewegung, wenn man sie nicht nach der mikroskopischen, sondern nach der makroskopischen Methode ansieht! …

In Japan gibt es für Mädchen nur zwei Möglichkeiten Geld zu erwerben: »sehr wenig als Arbeiterin in der Seiden- oder Papierindustrie, etwas mehr als Geisha, deren Los durchaus von den glänzenden, romantisch gefärbten Schilderungen abweicht, die man von ihr in Europa zu geben pflegt«. Nach dem Erscheinen des 1. Teils dieses Werkes erhielt ich einen sehr langen Brief von einem japanischen Arzt aus Tokio, der mein Buch gelesen hatte. Er ging sehr eingehend auf die Probleme des Buches ein, widerlegte aber vollständig die Anschauungen über die japanische Prostitution, welche in meinem Buch, zwar nicht als eigene Behauptung, wohl aber in der Zitierung verschiedener Schriftsteller, die sich darüber geäußert hatten, gegeben waren. Das Los der japanischen Prostituierten soll im allgemeinen ebenso furchtbar sein, wie das in allen anderen Ländern.

Also arme Mädchen werden zur Fabrikarbeit oder Prostitution gezwungen, / Mädchen, die ganz gut, wenn sie unterrichtet worden wären, in höher gearteten Berufen, / denselben, in denen die Männer tätig sind, / ein befriedigendes Brot finden könnten. Die planmäßige Fernhaltung der Frauen von der höheren Arbeitsstätte läuft nicht auf »Ideale«, sondern immer nur darauf hinaus, aus ihnen Prostituierte oder Arbeitstiere der niedrigsten Qualität zu machen.

Die Frauenbewegung ist und war eine unbedingte historische Notwendigkeit, weil, besonders seit der Aufhebung der Klöster und seitdem die patriarchalische Familienform keine Grundlage mehr hat, d. h. seitdem die Familie nicht mehr Hausindustrie produziert und nicht mehr die nährende Scholle bebaut und daher eine große Anzahl weiblicher Familienmitglieder innerhalb des Hauses nicht ernähren kann, / unzählige Frauen, absolut nur auf sich allein gestellt sind, an niemandem in der Welt einen Rückhalt und einen Gefährten haben und völlig isoliert und arm an allen Gütern dastehen, in einer Wüste, in der sie ihr nacktes Leben überhaupt nur durch ihre eigene Arbeit erhalten können und in dessen Verarmung, auch an seelischen Gütern, sie nur durch ihre eigene Bewegung überhaupt Sinn und Zweck hineinbringen können. Die Frauenbewegung ist, / geradeso wie der Geburtenrückgang, / eine spezifische Begleiterscheinung des Industriestaates. Da aber agrarische und patriarchalische Lebensformen für ein ganzes Volk niemals mehr erreicht werden, da die Maschinentechnik und Industrie nie mehr »abgeschafft« werden können, so kann es in der Frauenfrage nur eine weitere Entwicklung, nie mehr aber ein Zurück geben.

Einem anstrengenden Brotberuf nachzugehen, ist für eine Frau nicht angenehm, verglichen mit der Muße eines Lebens nach freier Wahl. Herrlich aber wird jeder Brotberuf, verglichen mit dem Dienst / der Prostitution, und sogar verglichen mit dem Joch, das irgendeine unerwünschte Abhängigkeit auferlegt. Keineswegs beeinträchtigt das Berufsstreben der Frau die immer gleichbleibende, heiße Sehnsucht des Weibes nach einem vollerfüllten Leben als Ehefrau und Mutter. Und gerade auch um die Eheschließung zu erleichtern, greifen so viele Frauen nach einer Erwerbsarbeit, um damit dem jungen Mann, der, wenn kein Vermögen nachhilft, unmöglich in den richtigen Jahren einen Hausstand allein erhalten kann, durch ihre Mitarbeit in der Ehe die Gründung eines Heimes zu ermöglichen.

Die bürgerliche Frauenbewegung ist eine Revolution der »Haustöchter«, welche deutlich fühlten, daß der Boden unter ihren Füßen wankte; daß dieses bürgerliche Heim des Mittelstandes, welches einzig und allein vom Leben und von der Erwerbskraft des alternden Vaters abhing, keine Grundlage mehr für ihre Zukunft bot; daß das geringe Kapital, welches der Vater erraffen konnte, nicht mehr genügte, um die Tochter zu versorgen, in jedem Sinn, daß diese kleinen Kapitalien in dem heutigen Daseinsgedränge auch sehr leicht verlorengehen, und daß man eines Tages dem unbarmherzigen Nichts gegenüberstand. »Es war begreiflich, daß die Haustochter jeder Schattierung bisher in solcher Lage nur warten konnte, sich die Augen blindsehen und stille sein, oder mit lächerlichen Mittelchen das Glück überlisten. Denn sie hatte keine reale Macht, ihr Schicksal zu zwingen. Aber das arbeitende junge Weib will nicht und soll nicht untätig sein, gegenüber dem großen Wunsche seines Herzens. Es soll streben, um der Ehe und der Kinder willen, und es soll auch dieses Streben nicht verheimlichen. Dann erst kommt Blut und Wärme in seine Berufspflicht.« »Das Allzuweibliche« von Hulda Maurenbrecher. Ernst Reinhardt, München. In die Ehe muß die Frau heute Geld mitbringen oder Geld verdienen, ein Drittes gibt es nur selten und nicht als Norm, wenigstens nicht vor Überschreitung einer Altersgrenze des Mannes, die den biologischen Wert der Ehe annulliert.

Die Frauenbewegung steht mit dem Eheproblem und mit dem Sexualproblem in engstem kausalem Zusammenhang. Und alle »Freiheiten«, die auf irgendwelchem Gebiet erstrebt werden, sind vollständig leere Theorien, solange die betreffenden Menschen, die diese Freiheiten erstreben, sich nicht auf die eine oder die andere Art ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit gesichert haben. Darum begnügt sich die Frau nicht mehr mit bloßer schöngeistiger Bildung, sondern begehrt nach einem sozialen Wirkungskreis mit gesichertem Erwerb, ohne den es auch keinerlei Freiheit in der Gattenwahl, in der Liebe und Mutterschaft geben kann.

Warum gelangt der Mann, trotz aller Abenteuer, schließlich doch in den Hafen der Geborgenheit des Lebens, und warum geht das Weib durch solche Abenteuer / in den Sumpf? Weil diese Abenteuer bei ihr zum »Beruf« werden müssen, / solange sie keinen andern Beruf hat. Das »freiere Auftreten« und die Erstrebung neuer Rechte, wirtschaftlicher und moralischer Natur, »behagen dem Durchschnittsmann nicht«. Abriß einer Geschichte der Frauenbewegung von Dr. Anna Schapire-Neurath (Felix Dietrich, Gautzsch bei Leipzig). Es behagte ihm so lange nicht, bis er als Ehemann auf ihre Einnahmen angewiesen war. Von da ab / behagte es ihm. Bevor wir in die Drangsale der kapitalistischen Ära geraten waren, genügte es, daß nur Auserlesene des Geschlechts mit besonderen Rechten ausgestattet wurden. »Aber auch diese Frauen hatten nichts anderes vermocht, als ihre Persönlichkeit auf ein höheres Niveau zu bringen, das Werk, die objektivierte Leistung der Persönlichkeit, die dem Durchschnittsmenschen allein imponiert, fehlte. Solange die Verhältnisse nicht die weibliche Erwerbsarbeit der Frau im Mittelstande erzwangen, mußte eine größere weibliche Bildung, also auch eine ihr entsprechende Stellung in der Gesellschaft im allgemeinen mehr oder weniger als Luxus und Anmaßung gelten, die man vielleicht gestattete, aber nicht ernst nahm.« Abriß einer Geschichte der Frauenbewegung, Anna Schapire-Neurath (Felix Dietrich, Gautzsch-Leipzig). Diese Auffassung hat sich durch den absoluten Erwerbszwang, an den auch schließlich die bürgerliche Familie glauben mußte, geändert.

Einzig und allein die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frau vom Manne macht auch das Bestehen verfehlter und verdorbener Eheverhältnisse möglich. Auch die gebildete, hochstehende, vornehme Frau muß sich oft die unwürdige Behandlung eines rohen Ehegesellen gefallen lassen. Warum? weil sie ihn braucht für die Erhaltung ihres bloßen Daseins, / sozusagen für die grobe Arbeit. Der Mann als Ernährer übernimmt die qualvollen Strapazen der Berufsarbeit, denen der weibliche Organismus / dieses sei nicht verhehlt / durchaus nicht immer gewachsen ist. Diese Arbeit, in der kapitalistischen Ära sich durchzuschlagen, kann man getrost als die grobe Arbeit bezeichnen, die die Frau, ohne Schaden an ihrer Gesundheit und Weiblichkeit zu nehmen, sehr oft nicht leisten kann, / trotz aller feministischen Gegenbehauptungen. Die Frauenbewegung darf mit diesem Punkt nicht Vogel Strauß spielen, wie sie es in ihren Anfängen tat, wo sie von der Mutterschutzbewegung, die die organischen Bedürfnisse der Frau ins rechte Licht stellt, sich feindselig isolierte. Eine vollwertige Unabhängigkeit des Frauenschicksals, bei der nicht von vornherein auf geschlechtliches Leben verzichtet werden soll, kann niemals durch Frauenarbeit allein gedacht werden, sondern immer nur durch Ergänzung der Frauenarbeit durch weitgehendsten Mutter- und Frauenschutz und durch Anpassung der Berufsarbeit und ihrer Forderungen an den Organismus der Frau. Eine umgekehrte Anpassung, nämlich die der Frau an die Berufsarbeit des Mannes, ohne jede Variation, wie sie von der Geschlechtsnatur der Frau bedingt ist, würde zu einer Aufreibung der kostbarsten generativen Kräfte führen. Die Arbeit, die der Mann leistet, um tägliches Brot, ist schwere Arbeit, die die Frau in derselben Weise meistens nicht wird leisten können, ohne wie gesagt, Schaden zu nehmen.

In der Praxis ist heut schon jeder Mann glücklich, / falls er nicht gerade von Hause aus reich oder in sehr vorgeschrittener Karriere ist, / wenn die Frau durch sich selbst, durch ihre eigene (aber standesgemäße!) Arbeit selbständige Einnahmen beschaffen kann. Nahezu jeder Mann wird »ungemütlich«, wenn die Frau, zur Deckung aller Ansprüche und Bedürfnisse des Hauses und der gemeinschaftlichen Lebensführung und besonders ihrer Person, sich immer wieder an ihn wenden muß: »Gib!« Wedekind schildert in einer schauerlichen Ballade die Zwickmühle, die den Mann in der Ehe erwartet: »Es knarren schon die Bratschen: Schaff dies, schaff das.« Das famose Gedicht liegt mir nicht im Original vor, ich kann es daher bloß aus dem Gedächtnis zitieren. Jeder Mann in solcher Lage ist heilfroh, wenn die Frau selbst etwas aufbringt, besonders aber, wenn sie einen Beruf hat, der ihn nicht gesellschaftlich herabmindert, sondern im Gegenteil, der Gemeinschaft der Beiden Ehre und Ansehen bringt.

Am besten lassen sich heute noch die sogenannten freien, künstlerischen Berufe, die die Frau nicht zu langewährender Tagesarbeit aus dem Hause reißen, mit der Ehe vereinigen. Allerdings ist die Voraussetzung der Einnahmen aus einer freien künstlerischen Betätigung, die keine festen Gehälter mit sich bringt, der einigermaßen gesicherte Unterhalt, der es ermöglicht, sich mit einem halbwegs von den schwersten Sorgen freien Kopf der schöpferischen Tätigkeit zuzuwenden. Und so helfen sich in solchen Fällen Mann und Weib in einer Wechselseitigkeit, die, wenn sie richtig gewürdigt wird, für beide Teile von unvergleichlichem Wert sein kann, die aber von Seiten des Mannes oft mißbraucht wird. Von ihm muß mindestens die bescheidene Grundlage der Gemeinschaft verlangt werden; ein Dach über dem Kopf und ein verfügbares Einkommen für den notwendigsten Hausgebrauch. Hat die Frau diese bescheidene Grundlage, so kann sie als Künstlerin frei schaffen und den schweren Kampf, sich mit einer freien Kunst durchzusetzen, aufnehmen. Gelingt es ihr, so werden ihre Einnahmen das ganze soziale Niveau der Familie auf eine höhere Stufe heben und den Mann in der weitgehendsten Weise entlasten. Die Voraussetzung aber jedweden künstlerischen Schaffens ist / der mindestens notdürftig gesicherte Unterhalt.

Ich erwähne von allen Berufen, zu denen die Frau Zutritt hat oder sucht, hier gerade zuerst die freien künstlerischen Berufe, weil deren Betätigung fast die einzige ist, die die Frau nicht dem Hause entreißt, die nicht durch die Eheschließung aufgegeben werden muß und die sich daher, wie keine zweite, mit der Ehe vereinigen läßt. Gewiß / Heimarbeit jeder Art ist in diesem Punkt etwas »Ähnliches«. Wo der Unterschied liegt, braucht hier wohl nicht erst auseinandergesetzt zu werden.

Aber auch diese künstlerische Tätigkeit wird zuzeiten die Frau so weitgehend in Anspruch nehmen, daß sie kaum zu einem Spaziergange Zeit, Muße und innere Freiheit finden wird, / wie man denn überhaupt in Epochen konzentrierter schöpferischer Tätigkeit nichts weniger als »gesund« leben kann, daher, zum Ausgleich dieser zeitweiligen vollständigen Opferung, andere Epochen, wo man nur der Erholung, der Gesundheit und dem Verkehr mit seinen Nächsten lebt, gerade bei einem solchen Beruf durchaus notwendig und unerläßlich sind, wenn man sich als Mensch und als Schaffender auf der Höhe erhalten soll. Hier ist der Ausweg nur der, daß die Künstlerin als Ehefrau sich epochenweise mehr ihrer Familie, ihrer Erholung und auch dem notwendigen Verkehr mit anderen Menschen widmen wird, während sie zu anderen Zeiten mehr ihren Werken wird leben müssen. Hier muß von seiten des Mannes Liebe und Verständnis eine Anpassung ermöglichen. Zur Erzeugung von Kindern wird aber wohl nur dann geschritten werden können, wenn das Einkommen des Mannes deren Aufzucht möglich macht. Denn von der Frau kann nicht verlangt werden, daß sie Gebärerin, Erzieherin, Gefährtin des Mannes, Leiterin des Haushaltes und auch noch Verdienerin dazu sei. Sie wird Kinder gebären und erziehen können, auch als Künstlerin, wenn sie sich wenigstens zeitweilig vollkommen ihren Kindern und der Familie widmen kann, in diesen Zeiten nicht auf eigenen Verdienst angewiesen ist und nur dann zu schaffen braucht, / besonders im Hinblick auf Verdienst, / wenn die Familienverhältnisse ihr dazu Spielraum geben, also etwa dann, wenn die Kinder größer geworden sind. Die Erhaltung der Familie ruht also, nach wie vor, vor allem auf dem Mann, / alles andere sind falsche Vorstellungen und falsche Berechnungen, aus denen sich unlösliche Konflikte und viel eheliches und persönliches Unglück ergibt.

Diese freien Berufe, ohne die Grundlage eines Elternhauses oder einer Ehe, oder eines Vermögens, sind die gefährdetsten von allen. Und darum und in Anbetracht der in der letzten Verfallsepoche immer mehr zunehmenden Ehekatastrophen muß aber auch die Frau, die während der Ehe miterwirbt, darauf bedacht sein, daß nicht alles, was sie mit unregelmäßiger, ungesicherter Arbeit erwirbt, im Haushalt mit verbraucht wird, sonst kann sie eines Tages vor dem absoluten Nichts stehen. Der Mann hat dann weiter seine geregelten Einnahmen, mit aufsteigendem Fortkommen, und sie, die während der Ehe alles hergab, was sie durch freie Arbeit, / die einen gesicherten Boden braucht, / erwarb, kann sehen, wo sie bleibt. Sie muß sich also das Recht nicht nur auf die Verwaltung ihres Vermögens, falls sie eines in die Ehe mitbrachte (den Ertrag der Lebensarbeit ihres Vaters, der ihr Alter beschützen soll), sondern auch auf die Erträge ihrer Arbeit von vornherein vertraglich sichern; denn daß der Mann, im Falle einer Ehekatastrophe, sie sofort im Stich läßt, erweist sich in einer Ära, in der das Gattenband nichts Bindendes und Heiliges mehr ist, als eine regelmäßige Erscheinung, / ebenso wie es fast Regel ist, daß er ihr noch, mit allen Mitteln, bei Scheidungen / ihr Vermögen zu entreißen sucht.

Auch wenn die Ehe weiter besteht, muß sie ihre Einnahmen möglichst weglegen und sparen, denn nur in seltenen Fällen wird der Mann ihr Alter sicherstellen können. Sie muß, nach der guten »alten« Ethik und nach jedem normalen Geschlechtsgefühl das verlangen, was auch sogar das Gesetz zum Schutz der Frau verlangt und was nur der Wahnsinn pseudo-idealistischer, feministischer »Reformen« umzustoßen sucht, / daß der Mann seine Frau und seine Familie erhalte, soweit es seine Verhältnisse zulassen. Denn er, als Mann, ist durch seine Arbeit, wenn sie fortlaufende Erträge bringt, normalerweise gesichert und kann sich jedenfalls eher ernähren, als sie sich ernähren kann, / um so weniger, wenn ihre Arbeit keine fortlaufenden Erträge bringt, während die fortlaufenden Ausgaben weitergehen.

Gerade bei freien künstlerischen Berufen gibt es große Pausen der Schaffenskraft und muß es sie geben, wenn nicht Machwerke elendester Art entstehen sollen. Es sind dies die Pausen, in denen sich in der schöpferischen Seele wieder etwas ansammelt, etwas vorbereitet, / was eines Tages, nach langer, sehr langer geistiger Schwangerschaft, zur Geburt drängt. Diese Geburt vor der Zeit herauspeitschen, heißt ganz dasselbe, was es in physiologischem Sinn bedeutet: Mißgeburten in die Welt jagen, / einem entstehenden Organismus nicht Zeit lassen, im Mutterleib auszureifen. Das bedeutet der Brotkampf des Künstlers, dem jeder Boden unter den Füßen fehlt. Während ein Werk entsteht, / muß man zu leben haben. Und ob es Brot bringt, wenn es schon entstanden ist, / kann man ebensowenig im voraus berechnen, wie man bei der Erzeugung eines Kindes im voraus wissen kann, auf welche Art es sich durch die Welt schlagen wird.

Darum ist der Gipfel aller Schrecken erreicht, wenn etwa zwei »freie« Existenzen sich zusammentun. Vom Manne muß, als Norm, verlangt werden, daß er in einem geregelten Beruf wenigstens das Minimum an Sicherheit schaffe, das zum Leben nötig ist, und daß er ein Fortkommen habe, das ein ruhiges Alter garantiert. Hat er selbst einen »freien Beruf«, so kann an Familiengründung meist nur gedacht werden, wenn seine Produktion eine sehr ergiebige und leicht absetzbare und durchaus auf die Bedürfnisse der breiten Masse zugeschnitten ist, oder wenn von seiner Seite oder von der der Frau Kapital da ist und zwar in genügender Menge. Die seltenen Fälle, wo auch einer, der unabhängig neue Wege geht, damit sich und eine Familie erhalten kann, sind nicht typisch und daher zur Aufstellung von Normen nicht geeignet.

Sowohl Segantini wie Böcklin waren singuläre Genies und dabei doch / Familienväter und von Haus aus ebenso arm wie ihre Frauen. Sie haben unermeßliches Elend überwinden müssen, und es gelang ihnen, weil gerade das Genie in der Malerei sein Mäzenatentum und seinen Preis findet. Anders bei einem Genie wie Schopenhauer oder Spinoza. Hier besteht die »Arbeit« im Nachdenken vieler Jahrzehnte, und Nachdenken macht sich nicht bezahlt. Während es vor sich geht, sicher nicht, und nachher auch nur in seltenen Fällen, wenn besonders glückliche Umstände zusammentreffen: zumeist erst / wenn überhaupt / nach dem Tode des Urhebers, und den Gewinn stecken dann andere ein. So hat Heine alle seine Urheberrechte um einen Pappenstiel verkaufen müssen. Weder Schopenhauer noch Spinoza hätten an Familiengründung denken können, ohne sich selbst und ihren Lebenszweck aufzugeben. Heine wäre ohne seinen Onkel Salomon untergegangen, wie Kleist, und führte mit Salomons Sohn, nach des Onkels Tode, um die Rente, die ihm jener bis dahin gegeben hatte, einen mörderischen Kampf, weil er sonst verloren war.

»Tag und Nacht hab' ich gedichtet,
Bin in Harmonien geschwommen;
Und hab' doch nichts ausgerichtet,
Und bin doch zu nichts gekommen.« Heine.

Und dies, / trotzdem er singen konnte:

»Mir jauchzte stets mein Volk, wenn ich die Leier
Der Dichtkunst schlug.«

Dostojewsky versetzte die Unterröcke seiner Frau. Alle diese Erscheinungen riesenhafter Begabung sind aber überhaupt keine Typen für alles das, was da in unserer Kulturzone nach Brot und / Liebe drängt und sich weder das eine noch das andere verdienen kann.

Gerade der Geistesarbeiter darf aber, wenn er seinen »Betrieb« im Gange erhalten will, überhaupt nicht allzu kleinlich mit Geld sein, weil sonst Lebensstockungen entstehen, die ihm die innere Sammlung vollständig unmöglich machen. Er kann sich weder mit den Leuten, die ihn überhalten, / von den gröbsten Fällen abgesehen, / herumstreiten, noch darf er den billigsten Quellen nachjagen und sich damit physisch ermüden und schwächen; noch kann er überhaupt dem Kleinbetriebe des Materiellen jene genaueste Aufmerksamkeit zuwenden, die notwendig ist, wenn man nicht auf Schritt und Tritt übervorteilt werden soll. Kleinliches Sparenwollen am Notwendigsten, / das erfordert einen Menschen für sich, / könnte man beinahe sagen, so scharf ist die Technik des wirtschaftlich-sozialen Daseinsgedränges geworden. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß es am »sparsamsten« ist, in bezug auf die Hauptbedürfnisse des Lebens, blindlings zu zahlen, was von einem gefordert wird; weil man sonst in Konflikte verwickelt wird, die einen vollständig um die Arbeitskräfte bringen. Das ist der tiefe Sinn des Christuswortes: Wenn dir einer den Rock nehmen will, gib ihm den Mantel dazu. Dieses scheinbar unverständliche und scheinbar verstiegene Wort schließt in Wahrheit die größte Lebensklugheit ein. Es heißt / ins Allgemeinverständliche übersetzt: Stelle dich nicht her, denn du erleidest dadurch Einbuße an wertvolleren Gütern. Gib ihm den Rock und den Mantel dazu, um ihn desto schneller los zu werden, und laß ihn laufen; das ist immer noch das Billigste.

In dieser besten aller Welten ist es aber tatsächlich nicht möglich, sich immer an dieses Bibelwort zu halten, denn sonst stünde man sehr schnell nicht nur des Mantels und des Rockes, sondern auch des Hemdes beraubt da und müßte dann andere um ein Hemd bitten! Und nicht nur das: sogar die Haut würde einem abgezogen, / geschunden würde man werden, bei lebendigem Leibe. Selbst Christus, in seiner himmlischen Milde, geht in der Moral der Ergebung / nur bis zum Mantel. Sich auch des Hemdes entblößen zu lassen, fordert er nicht, weil das (auch im übertragenen Sinne) gegen die Scham geht. Und sich die Haut abziehen zu lassen, zum Zweck der Bereicherung anderer, / empfiehlt er mitnichten.

Was zur Deckung des täglichen Lebensgebrauches, in Form unverrückbar fester Preise von dem Menschen gefordert wird, der seine Lebensführung unbedingt auf einem bestimmten Niveau erhalten muß (weil er unterhalb dieses Niveaus nichts mehr leisten kann), / würde reichlich gefüllte Taschen verlangen. Und wenn man auch nur das, was man in seiner einen Stube braucht, halbwegs in gutem Zustand und halbwegs in Bereitschaft haben will, so erfordert das ein ziemlich hohes Monatseinkommen. Versagen diese Einkünfte, so ist eine Katastrophe da, die dem schwärzesten Elend zu vergleichen ist, ein Elend etwa, wie es Gorki im »Nachtasyl« schildert, wo ein Schuster sein letztes Handwerkszeug verkaufen muß, um das Begräbnis seiner Frau bezahlen zu können.

Ich kenne mehrere arme Menschen gebildeten Standes, Studenten z. B., die ihren sterblichen Leichnam bereits anticipando einem physiologischen Institut verkauften. Eine Wirtschaftsreform der Zukunft wird unbedingt auch eine »Kreditbank für Geister« Kulturpolitik., wie es Robert Scheu genannt hat, ihr eigen nennen und überhaupt dem Geistesarbeiter nicht nur bei Zeus, sondern auch unter den Menschen ein würdiges Dasein verschaffen müssen. / Das alles hängt mit der generativen Entbehrung, mit der sexuellen Krise aufs engste zusammen.

II.
Liebes- und Vernunftehen und Mesalliancen

Als ich im vorigen Kapitel die Quintessenz der bürgerlichen Moral zu geben versuchte, erwähnte ich, daß diese Moral auch gegen sogenannte »Liebesehen« Einspruch erhebt, sofern der Charakter und die sozialen Fähigkeiten des Mannes keine Gewähr für eine Existenz bieten. Die Praxis zeigt tatsächlich, daß die sogenannten Liebesehen, welche gegen den Willen der Eltern geschlossen zu werden pflegen, meist sehr schlecht ausgehen. Von einer Liebesehe spricht man nämlich nur dann mit mißbilligendem Nachdruck, wenn das erotische Moment so sehr überwiegt, daß es sich über den Mangel aller wirtschaftlichen Grundlagen und sogar über den Mangel an vertrauenswürdigem Charakter des Partners hinwegsetzt. Und unter Vernunftehen versteht man durchaus nicht Ehen, die ohne Neigung geschlossen werden, sondern solche, bei denen auch außerdem die sozialen Verhältnisse der beiden Eheschließenden derartig in Einklang gebracht werden können, daß, menschlichem Ermessen nach, eine Grundlage für die Existenz der beiden Menschen und für den Aufstieg ihrer Familie gegeben ist und besonders der Charakter des Mannes eine Gewähr hierfür bietet. Man meint, nicht mit Unrecht, daß sich unter solchen Verhältnissen auch die Gefühle der Neigung eher erhalten und verstärken, als wenn zwei Menschen nur durch erotische Triebe zueinander geführt wurden ohne jede Grundlage und ohne Aussicht auf Bestand und Vorwärtskommen, und daß dann die Verbindung, besonders wenn der Charakter des Mannes nicht ganz zuverlässig ist, meist mit sehr schmerzlichen Enttäuschungen zu enden pflegt. Immerhin hat die bürgerliche Moral von ihren Töchtern, im Punkte der Vernunftehe, zuweitgehende Kompromisse verlangt. Auf die tiefe Bedeutung der Auslese durch das Weib habe ich hingewiesen dort, wo ich von der metaphysischen Bedeutung des Hymen sprach und sagte: »Die Jungfrau und Frau im Bett eines ihr widerwärtigen Gatten ist ein Affront an der Natur.« Tatsache ist, daß, wenn die Existenz eines Mädchens in keiner Weise, unabhängig von einer Versorgung durch die Ehe, gesichert ist, daß dann ihre Familie die einzige Daseinsmöglichkeit für sie eben nur in dem Abschluß einer Ehe, in der sie durch den Mann zeitlebens Unterhalt findet, sehen wird und muß; und daß unter diesem Druck tatsächlich Zugeständnisse verlangt und gemacht werden, die so manche Weiblichkeit in eine bedrückende und unwürdige Eheverbindung hineinzwingen.

Die Frau mußte also, nachdem sie die Unsicherheit ihrer Stellung als Familientochter endlich begriffen hatte, Unabhängigkeit durch einen sozialen Wirkungskreis erstreben, um auch in der Gattenwahl unabhängiger zu sein, um wieder einigermaßen ihre Naturbestimmung, Auslese zu üben, erfüllen zu können. Die Frauenbewegung ist daher nicht nur nicht »Unnatur« sondern, ganz im Gegenteil, wenn man ihre sexuelle Wurzel begriffen hat, das Bemühen des Weibes, seine natürlichste Bestimmung erfüllen zu können, / sie ist ein Mittel zu diesem Zweck. Mit diesem Mittel bemüht sich die Frau, sich das selbstverständlichste Recht eines jeden Menschen, eine geschlechtliche Verbindung, die ihm widerwärtig ist, nicht eingehen zu müssen, wiederzuerringen, oder auch aus einer Ehe jederzeit herausgehen zu können, wenn der Mann ihr eine unwürdige Behandlung zumutete.

Immerhin vermehrte die Durchbildung der Frau / die Mesalliancen. Und zwar, / da der Frauenüberschuß immer mehr zunimmt, die Not am Mann immer größer wird, / die Mesalliancen ihrerseits.

Mesalliancen von Seiten des Mannes pflegen weitaus besser auszugehen, als Mesalliancen von Seiten der Frau. Denn ist sie mehr wie er, eine stärkere Natur, so wird er ihr geistiges oder moralisches Übergewicht, und mag sie noch so bescheiden und einfach auftreten, als sehr »unbequemen« Druck empfinden, und die erste Verliebtheit und Bewunderung, die ihn dazu brachte, sie zu umwerben, wird sehr schnell hämischen Gefühlen weichen, besonders dann, wenn der Mann / sein Eheleben nicht rein hält und daher immer geladen ist von dem, was aus seinen Dirnen in ihn hineinkommt und was, natürlich, vor allem, gegen die Frau gerichtet ist.

»Lernen wir, daß ein Spatz keine Nachtigall freit, / umgekehrt wird es noch seltener sein. Warum tragen wir keine Federn, damit wir die Rasse gleich erkennen? Unser Schöpfer hatte auch hier seine BeweggründeAus einem Brief der religiösen Forscherin Claire Wancke.

In den Händen minderwertiger Frauen wird er mit Haßsuggestionen gegen die eigene Frau geladen werden, sie wird in eine Hölle geraten, in der sie von allen Seiten, ja im eigenen Heim, verkauft und verraten und angefeindet wird, / ein Zustand, bei dem man an das Strindbergsche Wort »Kothölle« denken muß. Strindberg hat im Weibe das Böse gesehen und meinte, der Mann hätte nicht selten seinen Todfeind als Bettgenossen. Es ist das hetärische Weib, die Dirnennatur, die Strindberg mit dem Weib / verwechselte. Ist das Weib eine Dirne und der Mann ein Charakter, so werden, ohne Zweifel, ebenso umgekehrt alle die unheimlichen Ränke der Hölle sich in solcher Ehe ergeben, wie sie auch Strindberg in unermeßlicher Fülle geschildert hat. Alle diese Zusammenstöße bedeuten nichts anderes, als die unvermeidlichen Konflikte und Haßströmungen, die sich von seiten des amoralischen Wesens der höheren Moral gegenüber ergeben. Dieses amoralische Wesen (welches auch nach Weininger nur das Weib war), hat aber zahllose Vertreter auch umgekehrt des männlichen Geschlechts, was nur der hochgearteten Frau, der sittlichen Natur, der von geistigem Leben erfüllten Persönlichkeit, / wie sie gerade in unserer Epoche sich durch die Frauenbewegung häufiger als früher entwickeln konnte, / gegenüber hervortritt, / wenn sie mit einem sittlich wurmstichigen, charakterlosen Mann gepaart ist. Ohne es zu wissen, wird sie bald in einer Pestbaracke leben, und beständig wird der Haß und der Neid der niederen Sphäre, mit der sich der Ehemann gegen sie verbünden wird, ihr durch beleidigende, bösartige Angriffe, die fortgesetzt gegen sie gerichtet sind, entgegen schlagen, wie ein aashafter Verwesungsgeruch, dessen Ursache sie nicht kennt. Diese Art Frau in solcher Lage hat dann, gleich dem Strindbergschen Mann, / den Todfeind als Bettgenossen.

Die Aura, die manche Frau umgibt, die Atmosphäre einer starken, reinen, weiblichen Persönlichkeit, das Fluid, das von ihr ausgeht, wird mancher Mann (und zwar der, der beschmutzt ist), / nicht ertragen. Es wirft ihn buchstäblich um. Wenn er sie küßt, / wankt er, wenn er mit ihr längere Zeit in einem Zimmer ist, wird ihm schwach, / und wenn er sie umarmt, / / / ist er vernichtet …

Es entsteht ein aufreibender Kontrast / zwischen seiner Begierde nach ihr und geheimnisvollen Hemmungen, die es ihm unmöglich machen, / sie ganz zu besitzen, sie so restlos zu nehmen, wie er sie gern nehmen möchte … und gerade diese Spannung / nach ihr, diese vergebliche Sehnsucht nach ihr, in deren Umarmung er mit Faust sagen kann / »Und im Genuß verschmacht' ich vor Begierde« / treibt ihn / in die Tiefe … Und wenn die beiden zusammen Schiffbruch gelitten haben, so ist es nicht unmöglich, daß, wenn auch sie schuldlos und rein ist, / dennoch in Wahrheit er / ihr Opfer ist. Über dieses unendlich Geheimnisvolle will ich versuchen mehr Licht zu breiten, im letzten Kapitel, in der Heranziehung des Judith-Dramas. Aber das Drama der modernen Judith würde nicht heißen: Judith und / Holofernes, sondern: Judith und / Manasse. So hieß ihr Mann, / der sie nicht berühren konnte, / weil er dunkel, aber gewaltig hemmend / ihre Bestimmung fühlte.

Zu den »Mesalliancen« in erfreulichem Sinne sind die vielen nicht standesgemäßen Heiraten zu zählen, die in der letzten Epoche von den Töchtern regierender Fürstenhäuser eingegangen wurden. Sie heiraten, besonders oft in Österreich, vielfach kleine Grafen, Barone, Leutnants und Bürgerliche. Erst kürzlich hat sich wieder eine Erzherzogin mit einem Wiener Arzt verlobt. Das greise Familienoberhaupt der Habsburger gibt, nach einigem Bedenken, fast immer seine Zustimmung zu diesen Heiraten, / auch wenn die Söhne des Herrscherhauses bürgerliche Mädchen oder Töchter des kleinen Adels freien, wie z. B. der ermordete Thronfolger es getan hatte. Bei den Männern spricht hier wohl nur die Herzensstimme, bei den Frauen aber spricht auch / die sexuelle Krise mit, die gerade auch auf den Spitzen der Gesellschaft fühlbar wird. Standesgemäße Heiraten, die auch ihrer Neigung und Wahl entsprechen, können viele dieser Fürstentöchter nicht mehr finden, / gerade dort wirkt auch die sexuelle Anarchie des Mannes für die Frauen / abschreckend. In vielen Fällen bliebe ihnen nur das Los einer Stiftsdame, und so nehmen sie denn sehr gern die Werbung tüchtiger Männer auch aus bürgerlichen Kreisen an.

Im übrigen sind glückliche Ehen ein Phänomen, das gruppenweise, d. h. in ganzen Familiengruppen, zu beobachten ist, ebenso wie Mißheiraten, die nur selten vereinzelt in einer Familie auftreten. In manchen Familien ist in dieser Hinsicht etwas wie ein Fatum zu beobachten. Die prächtigsten, besten Mitglieder solcher Familien / geraten nicht selten an die elendsten Ehegefährten, zumindest durch die Ehe in eine Verschlechterung ihrer sozialen Verhältnisse. Und immer wieder wiederholt sich das, / ja man sieht in mancher Generation, in mancher Familie, die aus sehr tüchtigen Elementen besteht, / Mißheiraten auf der ganzen Linie. In andern Familien hingegen, waltet blindes Glück in bezug auf die Eheschließungen, sie steigen durch soziale »Glanzpartien«, die es sind in jedem Sinne, / oft aus der Tiefe, / rapid in die Höhe. Sieht man die also »Auserlesenen« an, die nicht selten von ihren weit über ihnen stehenden Ehegefährten mit einem abgöttischen Kultus geliebt und auf Händen getragen werden, während umgekehrt mancher edle Mensch, Mann oder Weib, in seinem Ehegenossen einen bösen Dämon, einen schmutzigen Teufel an der Seite hat und man nicht selten Verbindungen sieht, durch die Brünhilde mit / Alberich kopuliert erscheint, / so wird man an diesen vom Eheglück Begünstigten keinerlei besondere Vorzüge oder Reize entdecken können. Das ist / Stern / Glück / Fatum … Und sowie die mit der Bluterkrankheit geschlagenen Familien (in der Schweiz) sich der Ehe enthalten, um diesen Fluch zum Aussterben zu bringen, / so sollten vielleicht auch die Mitglieder der mit dem Fluch der Mißheirat geschlagenen Familien sich der Ehe enthalten, es sei denn / daß das Fatum, durch irgendein großes Opfer versöhnt, / eine Wendung zum Bessern zeigt. Da dieses Phänomen gruppenweise auftritt, und zwar nicht etwa in Familien, deren Qualität das besondere Glück oder Unglück in der Ehe erklären könnte, / so muß man hier sich an das Goethesche Wort halten: »Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem angeht.« Gespräche mit Eckermann. Eugen Diederichs Verlag in Jena. Vielleicht handelt es sich um besondere Zusammensetzungen des sexuellen Chemismus, um ein natürliches, organisches Aphrodisiakum, irgendeinen besonderen Sexualmagnetismus, der in manchen Familien vorhanden ist und in manchen vielleicht nicht. Hier bleibt alles Hypothese, Vermutung, Ahnung.

Die entwickelte weibliche Persönlichkeit wird » ihren« Mann erst gefunden haben in dem Mann, der ihr Wachstum und ihre Reife nicht fürchtet und nicht mit hämischem Neide darauf blickt. Daß diese Neigung in der menschlichen Natur liegt, beweist uns fast jeder Tag, beweisen uns die Zusammenstöße, die gerade die höher entwickelte weibliche Natur von allen Seiten, auch wenn sie jedem Konflikt aus dem Wege zu gehen sucht, erlebt. Schopenhauer hat die der Persönlichkeit überhaupt erwachsenden Kämpfe bitterlichst analysiert. Ähnliches sagt Prof. Gustav Friedrich, Jena, in seiner Schrift »Die Farce des Jahrhunderts«: / »Denn die überlegene Individualität verträgt der Normalmensch nicht. Entweder unterwirft er sich ihr, oder aber / und das ist der häufigere Fall / er / haßt sie; er feindet sie an, sucht sie zu unterdrücken, zu vernichten. Alle Mittel sind ihm gut genug. Sein Gewissen setzt aus. Er ist plötzlich wieder der Wilde. Der Drang und Zwang der Selbstbehauptung ist unerbittlich. Und er steht nicht allein: alle begreifen sofort instinktiv ihren Zustand als einen gemeinsamen, der Feind ist für alle derselbe. Dieser ›Feind‹ leidet zunächst unter den Hinterhältigkeiten und Schikanen dieser Ehrenmänner, die sie im Leben alle sind. Bald gewinnt er den richtigen Standort: die Ehrenmänner verwandeln sich in Satyre; es ist amüsant, ein Reiz des Lebens mehr, ihren ohnmächtigen Mätzchen zuzusehen, wie sie immer wieder an der steilen, glatten Wand emporkraxeln und zurückfallen. / Für die überlegene Individualität gilt immer dasselbe Signalement. Sie kann noch so viele Mißerfolge erfahren, noch so viele Fehler machen, sie kann ganz und gar am Boden liegen: sie bleibt, was sie ist, und dies auch vor sich selbst. Die große Individualität ist stets ihr eigenes Maß; die kleine (und ›klein‹ ist in diesem Falle ›kein‹) ist nur so viel, / wie ihre jedesmalige Lage. Sie gleicht einem Briefe, der so viel wert ist, wie die aufgeklebte Marke: der Inhalt hat über die Nachricht hinaus, die er enthält, keine Bedeutung. So ist der kleine Mensch genau soviel wie der aufgeklebte Titel, im übrigen nur Nachricht, Klatsch, Weitergeben. Die bedeutende Individualität repräsentiert nicht, sie / ist. Und wenn sie mit einer Individualität gleichen Ranges zusammenstößt, weitet sie sich an ihr und durch sie in ihre letzten Möglichkeiten.«

Über diesen Kampf der höheren Natur mit der sie umgebenden Niedrigkeit hat auch Paul Ernst sehr treffende Worte gesagt: Er nimmt als Repräsentanten des höchsten Menschen den Dichter. »Der Dichter gehört durch Begabung, Lebensziel, Gesinnung und Tätigkeit zu den höchsten Menschen, ist durch seine Lebensstellung aber darauf angewiesen, irgendwie mit der Alltäglichkeit und Gemeinheit der durchschnittlichen und unterdurchschnittlichen Masse auszukommen. Im Leben eines jeden Dichters gibt es also einen Kampf, in welchem das Hohe sich gegenüber dem Niedrigen durchzusetzen sucht, dieser Kampf geht bei beiden Seiten um Lebensinteressen (denn auch die Gemeinheit fühlt sich durch den höheren Menschen in ihrer Existenz bedroht, nicht nur der höhere Mensch durch die Gemeinheit), wird also sehr heftig geführt und muß auf den Dichter einen sehr tiefen Eindruck machen. Er macht in der Tat einen so tiefen Eindruck, daß er fast in jeder Dichtung irgendwie mitklingt. Aber fast alle Dichter haben ihn auch in eigenen Werken dargestellt.«

Er sieht in dem Erlebnis des Kampfes der hohen Menschen gegen die Gemeinheit das typische Erlebnis der hohen geistigen Persönlichkeit.

Zu ganz besonders tragischen Konflikten kommt es aber, wenn diese Persönlichkeit eine Frau ist. Auch der Mann, der sie, um ihres Weibtums willen, einst geliebt hat, wird sie, wenn er selbst nicht rein ist und rein bleibt, um ihres moralischen Übergewichtes willen zumeist hassen und den Boden, auf dem sie steht, zu unterwühlen suchen, und sei sie in ihrem Leben mit ihm so einfach und so bescheiden, wie sie immer mag, komme sie auch niemals etwa als »Göttin«, sondern immer nur als / schlichte Hirtin, sei sie die Hingebung und Güte selbst, / wenn er beschmutzt ist, wie es die meisten Männer durch ihr geheimes Sexualleben sind, wird er sie hassen, gerade um ihrer stärkeren und reineren Art willen. Jede Ehe ist zu erhalten, wenn die Frau sich etwas zuschulden kommen ließ, und der Mann / rein blieb; ist aber der Mann der wahrhaft Schuldige, so gibt es keine Großmut, keine Bereitschaft zur Vergebung ihrerseits, / die Ehe zu retten. Einmal auf seinen schmutzigen Wegen ertappt, wird er nur noch den Wunsch haben, sie, die rein war, zu vernichten.

Schopenhauer Paränesen und Maximen. Abschnitt 34. sagt: »Merkt und empfindet einer große geistige Überlegenheit an dem, mit welchem er redet, so macht er im stillen und ohne deutliches Bewußtsein den Schluß, daß in gleichem Maße der andere seine Inferiorität und Beschränktheit merkt und empfindet. Dieses Enthymem erregt seinen bittersten Haß, Groll und Ingrimm … Er fühlt sich dadurch zur Rache aufgefordert und wird meistens Gelegenheit suchen, diese auf dem Wege der Beleidigung auszuführen, als wodurch er vom Gebiete der Intelligenz auf das des Willens tritt, auf welchem wir in dieser Hinsicht, alle gleich sind. Während daher in der Gesellschaft Stand und Reichtum stets auf Hochachtung rechnen dürfen, haben geistige Vorzüge solche keineswegs zu erwarten: im günstigsten Falle werden sie ignoriert(!); sonst aber angesehen als eine Art Impertinenz, oder als etwas, wozu ihr Besitzer unerlaubterweise gekommen ist und nun sich untersteht damit zu stolzieren; wofür ihm also irgendeine anderweitige Demütigung angedeihen zu lassen jeder im stillen beabsichtigt und nur auf die Gelegenheit dazu paßt. Kaum wird es dem demütigsten Betragen gelingen, Verzeihung für geistige Überlegenheit zu erbetteln. / Hingegen gereicht geistige Inferiorität zur wahren Empfehlung. Denn was für den Leib die Wärme, das ist für den Geist das wohltuende Gefühl der Überlegenheit; daher jeder, so instinktmäßig wie dem Ofen oder dem Sonnenschein sich dem Gegenstande nähert, der es ihm verheißt … Eben deshalb ist Geistesüberlegenheit jeder Art eine sehr isolierende Eigenschaft; sie wird geflohen und gehaßt, und als Vorwand hierzu werden ihrem Besitzer allerhand Fehler angedichtet.«

Das leuchtet hinein / in so manche Einsamkeit!

Die Höflichkeit nennt Schopenhauer, obwohl er ihre Notwendigkeit bis zu gewissen Grenzen einsieht und vertritt, eine im Grunde »stillschweigende Übereinkunft, gegenseitig die moralisch und intellektuell elende Beschaffenheit voneinander zu ignorieren und sie sich nicht vorzurücken«. Er empfiehlt aber, sich ihrer zu bedienen, nur »bis zum Opfern realer Interessen dürfe man sie nicht treiben«.

Niemals war der Welt der Begriff der Ritterlichkeit gegen das Weib in Wahrheit fremder, als in dieser Zeit, besonders vor dem Weltgericht des Krieges; aber auch während des Krieges konnten gerade die Frauen alle Roheiten zu fühlen bekommen. Was eine Frau an Bedrängnis erleben kann und welche Erfahrungen sie an den Menschen macht, wenn sie in eine bedrängte Lage gerät und irgendwo auch nur moralischen Schutz und Beistand gegen Schurkereien sucht, ist durch Worte nicht auszudrücken.

Aber einmal zur Wehrhaftigkeit gezwungen, erwachsen in der Frau amazonenhafte Instinkte. In der »Farce des Jahrhunderts« sagt Prof. Friedrich weiter: »Man kann von einer Frau niemals im voraus wissen, wie sie sich in außerordentlichen Lagen benehmen wird. Sie weicht gelenkiger und biegsamer zurück, als der Mann, aber wenn der letzte, mit der Ehre verträgliche Punkt der Nachgiebigkeit erreicht ist, nimmt sie dort ihre Stellung und biegt sich der Welt entgegen. Sie fühlt den Augenblick, wo man durch die Menschen hindurchgehen muß wie ein Schwert.«

Prof. Friedrich spricht der Frau einen viel intensiveren Wirklichkeitssinn zu und verlangt dieselbe Erziehung für Knaben wie für Mädchen durch Generationen.

Es unterliegt ja keinem Zweifel, daß das weibliche Geschlecht heute in einem Stadium wunderbarer Entwicklungsmöglichkeiten steht und noch ungeahnt wachsen und die edelsten Fähigkeiten entwickeln kann. Aber ebenso unterliegt es für mich keinem Zweifel, daß durch diesen Prozeß, der im Gange ist und den wir natürlich wünschen müssen, die Kluft zwischen Weib und Mann, besonders dem Durchschnittsmann, immer größer wird. Die zur Tiefe ziehenden Mächte des Geschlechtes sind nicht wegzuleugnen, sie sind da, sie stecken dem Mann seit Generationen im Blut und verlangen nach Orgien schamloser Natur. Je höher die Frau steigt, je reiner und freier sie wird, desto weniger wagen sich diese Triebe an diese Frau heran und desto mehr geraten die damit belasteten Männer, und sie sind in ihrem Geschlecht in der Mehrzahl, auf dunkle Wege.

Daß gerade hochstehende Frauen, auch wenn sie aus großer Liebe gewählt wurden, die unglaublichsten Verirrungen an ihren Männern erleben, ist erwiesene Tatsache. »Allein wie Tugend nie sich reizen läßt, buhlt Unzucht auch um sie um Götterbildung, / so Lust« (im Sinne von Gier, von Geschlechtsgier) »gepaart mit einem lichten Engel, wird dennoch eines Götterbettes satt und hascht nach Wegwurf.« Hamlet (Monumentalausgabe: Eugen Diederichs Verlag in Jena).

Der vornehmen und hochentwickelten weiblichen Persönlichkeit steht als gefährlichster Gegner gegenüber: die Dirne. Sie »besitzt« den Mann in einem weit höheren Grade als die reine und vornehme Frau; selbst wenn diese Frau ein feuriges und sinnliches Weib ist und dabei treu dem mit ihr verbundenen Mann, so kann sie mit der Dirne nicht »konkurrieren«, denn das geistige Fluidum ihrer Persönlichkeit wirkt als belästigende Hemmung auf die orgiastischen Instinkte. Irgendwo grenzenlos Tier sein können, ist der geheime Trieb des Durchschnittsmannes. Die Dirne, die Geschlecht und nur Geschlecht ist, »ungetrübt« durch irgendwelche moralischen oder intellektuellen Beigaben, ist die schwarze Magie, der sein Wille verfällt. Fast unerforschlich durch Verstand und Logik sind diese Phänomene der schwarzen Magie, / nur durch Ahnung zu erfassen, / durch die Ahnung der ungeheuren Macht der phallischen und astartischen Triebe.

III.
Begleiterscheinungen der Scheidung für die Frau

Muß man besonders der Frau Vorsicht bei der Eingehung freier Verbindungen empfehlen, so darf nicht vergessen werden, hervorzuheben, daß das Unternehmen, eine Ehe zu schließen, noch viel mehr Vorsicht beansprucht. Diese Vorsicht wurde oft im Bürgertum, in seinem Bestreben, die Töchter um jeden Preis »unter die Haube« zu bringen, außer acht gelassen. Gibt es im freien Verhältnis nur allzu oft ein Ende mit Schrecken, so gibt es in einer verfehlten oder korrumpierten Ehe das Schlimmere / Schrecken ohne Ende. Das Gezerre eines Scheidungsprozesses, die furchtbare Tatsache, daß man seinen Namen, seine soziale Ehre, sein intimstes Seelen- und Körperleben und besonders auch sein Vermögen einem Menschen, der schlecht war oder schlecht wurde, ausgeliefert hat, daß man alles Wertvolle, was man in diese Gemeinschaft hineintrug, in den Staub getreten sieht, / und das Schrecklichste, / daß man die ökonomischen Verhältnisse meist so verknüpft hat, daß sie kaum zu lösen sind, wobei meist die Frau der schwer betroffene Teil ist, / alles das läßt die höchste Vorsicht beim Abschluß einer Ehe und weitgehende Sicherungen des Vermögens der Frau aufs dringendste empfehlen.

In diesem Punkt war das Bürgertum wiederum meist nicht vorsichtig genug. Man gab gewöhnlich dem Freier das Kapital in die Hand, das der Vater mit der schweren Arbeit eines ganzen Lebens für die Tochter zusammengespart hatte. In der freien Privatwirtschaft aber wimmelt es von spekulativen Existenzen, die nur dann, wenn sie geniale Begabungen haben und starke Charaktere sind, tatsächlich imstande sind, ein Vermögen zu vermehren; während die allermeisten es in der kürzesten Zeit zunichte machen, wodurch dann eine Familie zeitlebens in die Tiefe gedrückt ist und wodurch die Frau um so mehr mit der Sklavenfessel an den Mann geschmiedet ist. Bei Scheidungen, wo die Mitgift der Frau zurückgegeben werden soll, zeigt sich meist, daß der Mann sie längst verspekuliert hat, und sie muß sich dann bestenfalls mit Kontrakten über die Verzinsung und Abzahlung begnügen und steht im Falle seines Konkurses oder seines Todes oder seiner Böswilligkeit wieder vor dem absoluten Ruin. Was sich in diesem Punkte bei Scheidungen an Schrecken abzuspielen, wie da eine Phalanx von Schurken, die dem Mann helfen, die Frau zu ruinieren, sich um ihn zu rotten pflegt, spottet jeder Beschreibung, und es wird dies deshalb, im Gegensatz zu den früher hervorgehobenen Rechten der Ehe, hier hervorgehoben, um die Frauen zu warnen, jemals ihr Vermögen für diese wilden spekulativen Sprünge herzugeben, sondern sich von vornherein durch Verträge über direkte Gütertrennung zu sichern. Was das heißt, wenn eine Frau dem Mann, der bei der Scheidung ihr Feind ist, ihr Hab und Gut aus den Händen winden soll, besonders wenn nichts »Greifbares« mehr da ist und wenn sie auf Verträge mit ihm angewiesen ist, das übersteigt meist jede Vorstellung.

Daß sich Leute »in Freundschaft« scheiden lassen, ist eine von den »Umwertungen«, die ich als den Irrtum und die Verblendung naiver Idealistinnen bezeichne. Wenn einer scheinbar »im guten« geht und sich mit dem anderen äußerlich »gut stellen« will, so ist es, weil er sich um so gründlicher innerlich von ihm abgewendet hat. Eine junge Dame sehr sympathischer Art, die gewiß überzeugt war von dem, was sie sprach, erzählte mir, bei ihrer zweiten Eheschließung wäre ihr erster Mann / Trauzeuge gewesen. Wie es aber in dem Mann ausgesehen haben mag, sofern sie ihm nicht vollständig gleichgültig geworden war, darüber erzählte sie nichts und wußte sie vielleicht auch nichts. Vielleicht war sie wirklich der Meinung, sie und ihr erster Mann seien als »gute Freunde« geschieden. Daß in einer solchen Art, Wunden zu verdecken, eine gewisse Lebenskunst liegt, sei unbestritten. Aber, / wie sagt doch der Japaner in Hermann Bahrs »Der Meister« zu diesem Meister, der sich so sehr Meister des Lebens dünkt, daß ihm schließlich sein Weib mit einem, der nur Mensch ist und nicht Meister, auf und davon geht, / sehr trefflich, als er immer wieder die Beherrschung des Meisters sieht: »Aber wohl ist Ihnen nicht dabei, lieber Meister«, und er meint, daß er /weniger beherrscht gewesen wäre. Am Schlusse seiner Philosophie kauert der »Meister« weinend auf einem Schemel …

In meinem Roman in Blättern »Die Stimme« Verlag Dr. Wedekind & Co., Berlin S. 14. ist eine Stelle enthalten, die auf das hier berührte Thema des Scheidens »in Freundschaft« angewendet werden kann: »Da es aus sein soll, soll es ganz aus sein. Gib mir keine Nachricht und verlange keine von mir … Wir sind nicht die Menschen, einer Form gewaltsam einen Inhalt einzupressen, wenn ihr natürlicher Inhalt verloren ist … Auch die Grimasse der ›Freundschaft‹ wollen wir nicht schneiden. Freundschaft entsteht nicht, wenn die Liebe geköpft ist. Lieber begnüge ich mich mit Zwerghaftem, das in seiner Art ganz und heil ist … als daß ich den blutenden, geköpften Torso von etwas, das größer war als dieses Zwerghafte, mit mir weiter schleppe. Gewöhnlich nennen sie's ja Freundschaft, die Narren, wenn sie die Liebe um einen Kopf kürzer gemacht haben. Nun hat sie das Maß der Freundschaft, Blutgeruch / Leichengeruch / mich ekelt. Fort damit / auf den Scheiterhaufen. Ein reinlicher Brand / eine Handvoll Asche / Einsamkeit … Wozu Erörterungen / Polemiken? Wir wissen genug. Wir wissen alles. Wir wissen, daß wir sehen müssen, uns wiederzufinden / nicht einander wiederzufinden, nimmermehr! Sondern jeder sich selbst wiederzufinden frei vom andern.«

So schreibt und fühlt man, wenn es kein Einanderwiederfinden mehr gibt, weil da niemals ein wirkliches Gattenband war, / welches unlöslich ist, / im innersten Gefühl. Und wenn es unlöslich ist, dann werden die Menschen durch Nacht und Buße gehen, durch eine Wanderung von sieben Höllen, solange auch die Reinigung dauern mag, bis / sie sich wiederfinden. Nimmermehr aber werden sie »in Freundschaft« / scheiden.

Wenn ein Mensch aus intimster Verbindung den andern verläßt, so ist eine tiefe Wunde auf der einen oder anderen Seite oder beiderseits geschlagen worden, / sofern es sich nicht um Tiere handelt, deren Paarungsperiode eben vorbei ist, die einander abschütteln und weitergehen.

Besonders dann wird der Mann der Frau bei Scheidungen alle Schlingen um den Hals werfen, wenn sie es ist, die sich offenkundig »schuldig« oder »mitschuldig« gemacht hat, während er, nicht selten, durch sein geheimes Doppelleben die Ursache und die innere Nötigung zu ihrer Schuld erst erschuf. Wie, durch welchen okkulten Zusammenhang dies geschieht, darüber habe ich schon einiges an früheren Stellen angedeutet, und es soll mehr darüber folgen. Diese Überwälzung der Schuld auf den Unschuldigen ist von allem das Furchtbarste, / es ist der Abgrund.

Mit genauer Gesetzeskenntnis ausgerüstet, geübt in der Ausdeutung bzw. Umgehung und Entstellung der Gesetze, in Kenntnis aller Hintertüren, die hier möglich sind, wird er ihr zumeist eine falsche Rechtslage vortäuschen und es ihr unmöglich machen, ihr Recht zu finden, / zumal dann, wenn er unter dem Einfluß einer Dirne steht. Sie wird an der entsetzlichen Tatsache, daß hier, im kritischen Moment, der Mann, mit dem sie lebte, mit dem sie innigste Neigung und das festeste Vertrauen vielleicht einmal verband, nun wie ein Verbrecher gegen sie auftritt, daß sein bisher in vielen Punkten ihr verborgener »verkrochener Charakter« Zug für Zug sich allmählich »entpuppt«, daß ihr die Augen darüber aufgehen, wie »gut« er es mit ihr meinte und meint, / gewöhnlich den letzten Rest ihrer Widerstandskraft einbüßen und seelisch und körperlich zusammenbrechen.

Ist aber der Mann allein der Schuldige, als solcher entlarvt und erkannt, so wird es ihr womöglich / noch schlimmer ergehen; das heißt nur dann, / wenn er eine unbußfertige Natur ist und / kurzgesagt / wenn eine Dirne dahinter steht, / wie es meistens der Fall ist. Im Kampf um das Vermögen, / der nur dann, wenn er von einer Dirne geschürt ist, diese unheimlichen Dimensionen annimmt, / wird sich dann, wie ich schon früher erwähnte, / eine ganze Phalanx um den Mann stellen, die ihn deckt, / gegen die Frau. Diese Phalanx, die seiner Berufssphäre angehört, wird den Mann, wenn er allzu stark kompromittiert ist, entweder fallen lassen, / wodurch die Frau und die Familie mit ruiniert sind, / oder aber, wenn man ihn halten will, so wird die Phalanx die Frau, als die Kronzeugin und Anklägerin seiner Schande und vor allem als die Gläubigerin / mit allen Mitteln zu vernichten suchen. Und zwar wird diese Phalanx die Frau mit einer um so wütenderen Feindschaft verfolgen, je mehr sich der Mann an ihr vergangen hat. Er und seine Phalanx werden mit allen Mitteln an ihr zu rächen suchen, / was er / verbrochen hat. Zu dieser Phalanx gehört nicht selten jede bisher belanglose Null des Bekanntenkreises, die sich nicht wenig aufbläht, weil sie auf einmal »wichtig« und von »Einfluß« geworden ist, wie denn an einer zusammenbrechenden Ehe allerhand Gelichter schmarotzt und, soviel wie möglich, von der Situation zu profitieren sucht. Diese Leute werden alles Erdenkliche tun, / teils aus Dummheit, teils aus Böswilligkeit, / um die zwei Menschen, (deren Gemeinschaft ihren Neid erregte), ganz auseinanderzubringen; eine Frau kann auf diese Art plötzlich in die Lage kommen, mit allerhand subalternem Gesindel, das um den Mann herumsteht, / verhandeln zu müssen.

An diesem »Kampf« werden sowohl der Mann wie die Frau und ihr ganzes Haus / sozial zugrunde gehen. Es ist der Ruin, der vollständige Einsturz der Existenz.

»Sein eigener Mörder« heißt der Film, auf den ich an früherer Stelle, als ich über das Böse sprach, hinwies. In der Gestalt des Andern, der er ist, der in ihm steckt und der immer wieder durchbricht und sich nicht mehr zurückverwandeln kann, / weil er das Gift zu oft genommen hat, / in der Gestalt dieses »Andern« schießt er schließlich auf Dynamit, / und sein ganzes Haus / fliegt in die Luft …

Eine Vereinigung öffentlicher Art, eine Gesellschaft oder ein Bund, hat in der Öffentlichkeit nur Kredit und Ansehen, / wenn der Vorstand einig ist oder es wenigstens nach außen hin erscheint. Brechen da Zwistigkeiten aus, die den Vorstand in offenem Konflikt zeigen und ihn kompromittieren, / so geht diese Vereinigung zugrunde oder sie muß zumindest eine Krise durchmachen, die sie an den Wurzeln erschüttert, bevor sie Kredit und Ansehen in der Öffentlichkeit zurückgewonnen hat.

Die Ehe ist auch eine solche Vereinigung, die des öffentlichen Ansehens, des Kredites der Umwelt in hohem Grade bedarf. Bricht hier im »Vorstand« der Zwist offen aus, / so geht es um Leben und Tod.

»Und darum ist es von allen Schreckbildern menschlicher Leidenschaft mit das Furchtbarste, wenn aus einer Ehe der Haß erwächst. Gattenhaß / hier öffnet sich der Abgrund.« Aus meiner Flugschrift »Krieg und Ehe«. Verlag Oesterheld & Co., Berlin W 15. / »Und wärst Du träger als das feiste Kraut, das ruhig Wurzel treibt an Lethes Bord, / erwachtest du nicht hier …« Hamlet.

Fragt man sich, warum sich bei den meisten Scheidungen, deren Ziffern sich von Jahr zu Jahr unheimlich steigern, / dieser Abgrund zwischen den Gatten so klaftertief öffnen konnte, und gibt einem das Leben die deutlichste Antwort darauf, / in Gestalt der Dirne, / so muß man wahrlich auch weiter fragen: Lohnte das? Und lohnte es besonders um diesen Preis / des Gattenhasses, des Zusammenbruchs eines Hauses, das man sich einst erbauen wollte, / wie eine ragende Burg.

Wotans seligster Traum / heißt:

Der Wonne seligen Saal
bewachen mir Tür und Tor:
Mannes Ehre
ewige Macht
ragen zu endlosem Ruhm!
– – – – – – – – –
– – – – – – – – –
der prangende Bau!
Wie im Traum ich ihn trug,
Wie mein Wille ihn wies,
stark und schön
steht er zur Schau;
hehrer, herrlicher Bau!

Aber Frigga rüttelt ihn auf:

Auf, aus der Träume
wonnigem Trug!
Erwache, Mann, und erwäge!
– – – – – – – – – –
– – – – – – – – – –

Wotan ernst:

Um dich zum Weib zu gewinnen,
mein eines Auge –
setzt' ich werbend daran.

Gattenwahl, besonders von seiten des Mannes, die Kürung eines Weibes zur Ehe, geschieht immer aus tiefgeheimnisvollen Anziehungen fast metaphysischer Art. Aber ein Haus / muß auf festem Grunde stehen. Sei es eine Hütte oder eine ragende Burg, ein Walhall. Ein Fundament muß das Haus der Ehe haben, / damit die Tiefe es nicht verschlinge. Und dieses Fundament / ist die Treue.

»Es wäre interessant zu erforschen, inwiefern der Krieg auf schwebende Scheidungen Einfluß hat. Ob die Gatten sich versöhnen dadurch, daß erstlich der Prozeß selbst ruhen muß und dadurch beide Zeit finden, ihre Gefühle einer Revision zu unterziehen und ferner dadurch, daß die Frau der ungewohnten Einsamkeit, der Mann aber dem letzten Ernst gegenüber steht. An diesen letzten Ernst, an dieses Gottesgericht, das ihn umdräut, denkt auch sie, ruhelos, unausgesetzt. »Dort stinkt das Massengrab … erst vierzig modern drin …« Aus einem Gedicht »Vor der Entscheidung« von Fritz von Unruh als Bruchstück veröffentlicht im »Zeitgeist«. So sieht sie ihn, vor dieser Entscheidung weiß sie ihn. Als er sie verriet, sprach sie ihm wohl das Todesurteil; aber vor dieser Vision kann es geschehen, daß das Unnatürlichste, der Gattenhaß, zum Schweigen kommt. Soll er darin modern, im Massengrab; nicht mehr zurückkehren? Und obwohl ihr dann die Qual des Scheidungsprozesses erspart bliebe, / kann es sich ereignen, daß das Unmögliche geschieht, daß das Todesurteil, das sie ihm sprach, vernichtet wird und in ihrem Herzen nur die Sehnsucht lebendig wird, die seine Wiederkehr wünscht, gereinigt von dem großen Schrecken; der, den sie liebte, soll ihr wiederkommen, nicht der, / den ihr der Sumpf verschlang. Und es müßte wunderbar zugehen, wenn die gewaltige Schicksalsfaust, die den Mann plötzlich aus tausend Beziehungen seines alltäglichen banalen Lebens hineinschleifte in das Höllengebrodel ewiger Vernichtung, nicht auf sein Herz träfe. Ist er gestreckt, verwundet, in Todesnähe, so wird ihm Sinn und Unsinn, Weisheit und Aberwitz und damit auch die Bedeutung seines Liebens und Lebens in einer Art vor die Seele rücken, auf die er unter anderen Umständen vielleicht bis zu einer ferneren Todesstunde hätte warten müssen. Der Mann, der den Krieg mitmacht, während gleichzeitig eine katastrophale Krise sein Eheleben erschüttert hat, wird dort oder nie der höllischen Bande ledig werden, und es wird ihm vielleicht, während er näher dem Drüben als dem Hüben im Lazarett daniederliegt, der Sinn des schlichten Spruches klar werden, mit dem der Bund seiner Ehe geschlossen wurde Aus dem Flugblatt »Krieg und Ehe«.:

»Sei getreu bis in den Tod, so werde ich Dir die Krone des Lebens geben.«

Eine junge Frau, die in Scheidung lebte, eine Künstlerin, die sich um ihre Rechte hatte betrügen lassen, sagte mir: »Ich habe alles gemacht, wie er es wollte, denn wenn das Gezerre zwei Jahre dauert, liege ich mit meiner Kunst auf der Straße.« Eine andere, die ihr Vermögen nicht herausbekommen konnte, war Barmaid geworden und war schließlich auf zahlende Verhältnisse angewiesen. Eine andere Frau wurde für ihr ganzes Leben ruiniert, weil der Mann bei der Scheidung, anstatt ihr ihr bares Vermögen auszuzahlen oder einen Vertrag über die Verzinsung abzuschließen, / die Unwissende mit einem Hause abgefertigt hatte, / welches zeitweilig überhaupt keine Einnahmen ergab und welches man ihr natürlich, als sie die Hypotheken nicht erneuern konnte, überm Kopf weg subhastierte und welches dann / der ehemalige Gatte sehr billig erstand, / worauf er planmäßig gelauert hatte. Denn die eine Hypothek, deren Unkündbarkeit sie gerettet hätte, war / sein Eigentum, und er hatte sie, ebenso wie das Haus, mit ihrem Gelde erworben, / war mit Schulden in die Ehe getreten, die er von ihrem Gelde abzahlte. Anstatt, wenn er ihr schon ihr Vermögen bar nicht geben konnte, ihr diese fest verzinsliche Hypothek zu geben, übertölpelte er sie auf die ruchloseste Art, indem er ihr, anstatt der Hypothek, das überbelastete Haus selbst aufredete und ihr dann als Hypothekengläubiger / auch dieses entriß … Auch hinter diesem Fall stand die geschlechtliche Entartung des Mannes, denn vorher war er ein rechtschaffener Mensch gewesen.

Wegen eines »Fehltrittes« jagte ein Mann seine Frau davon, die früher Schauspielerin gewesen war. Mit ihrem aus früheren »Fehltritten« stammenden Vermögen hatte er sich aber ein Teppichgeschäft eingerichtet, an dem er reich wurde. Ja, er hatte sie zu weiterer »Pflege« zahlender Beziehungen / veranlaßt. Als er eine reiche Bürgerstochter kennen lernte und sie ihm zugesagt wurde, stieß er die Frau, aller Mittel entblößt, hinaus, und sie ging in der Prostitution zugrunde, / während er und seine zweite Gattin angesehene »Stützen der Gesellschaft« sind.

Ein anderer, dem Bilde nach ein wahrer Orang-Utang, hatte eine berühmte Klaviervirtuosin zur Frau. Sie ernährte sich, ihn und zwei Kinder. Sie hatte ihn als Studenten geheiratet, und auf ihre Kosten vollendete er seine Studien. Nicht nur ihre Einnahmen, sondern auch ihr Vermögen wurden dabei verbraucht. Als der letzte Pfennig weg war, hatte er gerade sein Doktorexamen gemacht, und am andern Tag / war er verschwunden. Aus Amerika leitete er aber die Scheidung gegen die Frau ein, und um einen Scheidungsgrund gegen sie zu haben, mietete er einen Detektiv, der sie zum Ehebruch bringen sollte, / den sie aber polizeilich feststellen ließ, ohne daß ihm das gelungen war. Die Künstlerin brach unter diesen unerhörten Erlebnissen zusammen, konnte ihre Kunst durch Jahre nicht ausüben und war mit ihren zwei kleinen Kindern auf die öffentliche Mildtätigkeit angewiesen.

Der ruchloseste Fall von Charakterentartung durch Geschlechtsentartung ist der eines Mannes, der seiner Frau, von der er wußte, daß ihr Liebesleben ihr immer ein Heiligtum gewesen war und die ihm den Beweis dafür geliefert hatte, indem sie ihn verließ, als sie an einen andern Mann in Liebe auch nur dachte, / als sie zu ihm zurückkehren wollte, alles, was sie / an Vermögensrechten und Vermögenswerten besaß, zu nehmen suchte und ihr empfahl / sich einen »Mäcen« zu suchen. Während er seiner reinen, stolzen, unnahbaren Frau, von der er wußte, daß ihr das Geschlecht das Sakrilegium des Lebens war, die ihr Bett sofort von dem seinen trennte, als ein anderer Mann in ihrem Leben von Einfluß wurde, fortging aus einer sicheren Existenz ins absolute Nichts hinein, weil sie niemals mit zwei Männern hätte leben können, / den Rat gab, sich einen Mäcen zu suchen, / lebte er mit einer Dirne, die bald darauf als Geheimprostituierte entlarvt wurde und mit der er, sowie mit andern, heimlich schon in Ehebruch gelebt und Dauerverhältnisse, ja, Konkubinate mit der tiefsten Sorte von Weibern unterhalten hatte, als die Frau noch im Hause war, so daß die Frau durch die Vernachlässigung und das gehässige Benehmen förmlich dazu getrieben worden war, die Ehe eines Tages zu sprengen. Während er mit dieser Person, die Staatsbeamtin war, gleichzeitig aber geheime Prostitution trieb und mit seinem Wissen noch andere Beziehungen unterhielt, lebte, hatte er die Frau auf die skandalöseste Art behandelt. Er behandelte die Dirne wie eine Frau und die Frau, die es war in jedem Sinne, / wie eine Dirne. Da er das Verhältnis mit der Dirne aber erst als Folge des Fortgehens der Frau ausgab, hatte sich die ahnungslose Frau, als sie zurückkehren wollte, durch ein ganzes Jahr vor diesem Menschen, dessen Geheimleben die schmutzigste Kloake war, auf die unerhörteste Art gedemütigt, war bereit gewesen bei der Scheidung die alleinige Schuld auf sich zu nehmen, und wurde erst stutzig und nachdenklich über den Charakter des Mannes, als sie, zu ihrem Entsetzen, erkannte, daß er sie und sogar auch ihre alte Mutter um alle ihre Vermögensrechte zu bringen suchte und ihr riet, während er der Liebhaber einer Dirne war, ihr, / seiner vornehmen, stolzen und reinen Frau, / riet, anstatt ihre Vermögensrechte geltend zu machen, sich lieber nach einem Mäcen umzusehen. Erst von diesem Augenblick an begann die Frau, in diesem Charakter, den sie bis dahin für den eines durchaus guten und anständigen Menschen gehalten hatte, von dem sie, wie sie glaubte, ein falscher Instinkt fortgetrieben hatte (der sich als der richtigste ihres Lebens, ihrer reinen, konsequenten Natur erwies), Abgründe zu ahnen, und langsam enthüllte sich / eine Hölle moralischer Verworfenheit … an der die Frau, / weit entfernt darob zu triumphieren, / da sie an dem Mann hing, / beinahe zugrunde ging und nur durch die Dauerbehandlung großer Ärzte gerettet werden konnte.

Über die Tragödie einer Dresdener Künstlerin, die mit ihrem Mann viele Jahre in Scheidung lag, berichteten vor kurzem die Blätter. Es entwickelten sich bei ihr durch das, was sie durchzumachen hatte, Erscheinungen von Verfolgungswahn, und in der durch alle diese Bedrängnisse hervorgerufenen psychischen Krise gab sie schließlich einen Schuß auf den Mann ab, der ihn nur leicht verletzte, / und tötete sich dann selbst.

Der Fall einer anderen Frau, die von ihrem Manne in angesehener Stellung, der zur »Stütze« in einem späten Johannestrieb entbrannte, bei dessen »Auslebung« ihm die Frau lästig war, in die Irrenanstalt gebracht wurde, machte seinerzeit in der Öffentlichkeit großes Aufsehen. Der Mann ließ die Frau gewaltsam in die Irrenanstalt bringen und dort monatelang festhalten, obwohl sie nach der Diagnose aller Sachverständigen geistig vollständig gesund war.

Den Ehepartner in die Irrenanstalt zu bringen, soll beiderseits sehr leicht sein.

Im Irrenrecht ist darum eine Vereinigung zur Reform des Irrenwesens begründet worden. Ferner sei hier bemerkt, daß in den Kreisen der deutschen Juristen eine »freie Rechtsbewegung« im Gange ist, die den Formalismus in der Gesetzgebung dort, wo seine eiserne Praxis, d. h. die Entscheidung nach dem Buchstaben, gegen das Rechtsgefühl und die höhere Rechtsüberzeugung verstößt, bekämpft. Schon jetzt aber besitzt das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch einen Paragraphen, der von dieser tiefsittlichen Tendenz der Auslegung des Gesetzes nach dem Sinn und nicht nach dem Buchstaben erfüllt ist, den früher erwähnten Paragraph 157 über die Auslegung von Verträgen, der besonders auch für Eheverträge Bedeutung hat. Dort wird von vornherein im Gesetz der Praxis der Buchstabendeutung ein Riegel vorgeschoben, indem es ausdrücklich heißt, daß Verträge nicht nach dem Wortlaut, sondern nach dem Sinn der Abmachung, / »nach Treu und Glauben« entschieden werden. Ein Gesetz, das einen solchen Paragraphen sein eigen nennt, muß zu der sittlichsten Gesetzgebung der Welt gerechnet werden.

Hier ist denn auch Reform und beständige Weiterwertung, Ergründung und Erfassung der tiefsten Prinzipien der Moral, die sich im formalen Recht ausdrücken, am Platz und notwendig, besonders auch im Familien- und Eherecht, in bezug auf die Erweiterung der Rechte der Frau, wie sie ihrem kulturell und sozial erweiterten Pflichtenkreis entspricht. Bei solchen berechtigten und notwendigen Reformströmungen muß man aber immer darauf bedacht sein, / nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten, d. h. nicht die mühsam im Lauf von Jahrtausenden gewonnenen sittlichen Erfahrungen der Menschheit, die sich in ihren schwer geborenen, langsam zur Kristallisation gelangten sittlichen und rechtlichen Satzungen ausdrücken, / deren Wert darin besteht, daß sie ein allgemein verbindliches Obligo sind, / durch freifließende, durcheinander fluktuierende, subjektive, von Stimmungen abhängige Willkürmoralen zu verdrängen und zu zermürben.

Um einen so unsäglich widerwärtigen Kampf, wie der Kampf einer Frau um ihr Vermögen und ihre sonstigen wirtschaftlichen Rechte an den Mann es ist, durchzuführen, dazu gehört die eiserne Überzeugung, daß man hier sein Recht durchfechten muß, weil man sonst für alle Zeiten verloren ist, weil man gar keinen anderen Rückhalt mehr hat, sich nicht, nach Dirnenart, nach Verehrern und »Mäcenen« umsehen kann, / daß es also ums Leben geht, ob man seine Vermögensrechte durchkämpft oder nicht. Diese typischen Scheidungskämpfe erfordern überdies wieder Geldmittel, und darum gehen so viele Frauen bei Scheidungen auf Vergleiche ein, durch die sie sich zugrunde richten, weil sie kein Geld haben, um alle die notwendigen Schritte so zu tun, daß sie wirksam sind. Schon die Suche nach einem Rechtsanwalt, der sich ihrer Sache wirklich annimmt, bedeutet für die mittellose Frau, die in dieser Zeit auch oft um den notdürftigsten Unterhalt mit dem Mann zu kämpfen hat, eine Odyssee. Wenn sie von vornherein bei der Scheidung sein Gegner ist, wird sie schneller mit ihm fertig werden. Ist sie vielleicht aber die Schuldige oder hält sie sich dafür, infolge des typischen Verrates, der hier gewöhnlich im Spiel ist, / so wird sie bestrebt sein, gesetzliche Maßnahmen, wie Klagen und Pfändungen gegen den Mann, zu vermeiden, weil sie ja immer noch auf die Versöhnung hofft. Und gerade durch diese persönlichen Gefühle wird sie um so gründlicher lahmgelegt, mißbraucht und ausgebeutet werden.

Der Mann, der insgeheim der Schuldige ist, aber vor den Augen aller Welt als »anständiger Mensch« erscheinen will, (ein typischer Fall!) wird der Frau gegenüber mit ruchloser Skrupellosigkeit auftreten, und die geheime Ursache dieses Phänomens ist zumeist die, daß die »Unterwelt« / Nifelheim / sich längst seiner bemächtigt hat, daß er schon während der Ehe, ohne daß die Frau es wußte, längst die Beute der Einflüsse aus der niedrigsten geschlechtlichen Sphäre war und daß er auf diese Art demoralisierte. Dieser Prozeß seiner inneren Verderbnis hat sich zumeist indirekt derartig nach außen projiziert, daß die Ehe eines Tages, wie durch Explosion, in die Luft flog, ohne daß die Frau es begreifen und fassen konnte, wieso ihr Heim, sozusagen über Nacht, plötzlich einstürzte. »Der Rabe bleibt beim Aas / die Taube flüchtet.« Pfarrer Kerer. Sie hält den Charakter des Mannes, zur Zeit des Bruches der Gemeinschaft, meist für sehr anständig und erst im Verlauf der Trennung pflegt sich die furchtbare Wahrheit nach und nach zu entpuppen, / nachträglich erst pflegt sie zu erfahren, daß sie instinktiv aus einer Pestbaracke geflüchtet ist und Gott danken kann, / daß sie nicht als »Andenken« an diese »Ehe« / eine abgefaulte Nase zurückbehielt …

Es ist der Grundsatz aufzustellen: Jede Frau halte ihr Vermögen fest, / sie liefere es niemandem zu waghalsigen Spekulationen aus. Zur Ehewahl bevorzuge sie tatsächlich die »saturierten Existenzen«, wie man die gesicherten Existenzen mit einer schlecht angebrachten Verächtlichkeit zu nennen pflegt. In einem sozialpolitisch gesunden Staatsgefüge müßten alle Existenzen »saturiert« sein, anstatt daß sie auf halsbrecherische Spekulationen angewiesen sind, wie heute im kapitalistischen Staat. Eine Eheschließung soll man sich daher gründlich überlegen. Das kann man aber nur dann, wenn man einen ökonomischen Rückhalt hat, / in der eigenen Arbeit bzw. durch eigenes, ausreichendes Vermögen / und wenn das Begehr nach geschlechtlichem Leben niemals so drängend wird, daß man deswegen eine übereilte Verbindung schließt. Erst nach gründlicher gegenseitiger Kenntnis soll man diesen Schritt wagen, und auch dann sich nicht in eine Situation begeben, durch die man wieder auf die Anständigkeit, den guten Willen oder das »Verantwortlichkeitsgefühl« irgendeines Menschen absolut angewiesen ist. Man halte vielmehr von vornherein seine Rechte so salviert, daß man durch Charakterkrisen, die sich bei dem anderen vollziehen können, nicht in den Abgrund gerissen werden kann.

Alle die geschilderten Fälle des schwersten Mißbrauches von Frauen durch Männer stehen zu dem Weltbild, wie es Strindberg und Weininger, in bezug auf das Verhältnis der Geschlechter und ihre prinzipielle und faktische Rollenverteilung, / der zufolge das Böse und das Unrecht immer nur im Weibe verkörpert ist, / gezeichnet haben, in direktem und deutlichem Gegensatz. Es gibt auch einen amoralischen, verheerenden, gemeinen und allzu gemeinen Typus Mann, und das ist der Mann, / der sich dem Verkehr mit der Tiefe ergibt.

Um in der Ehewahl unabhängig werden zu können, bzw. auf Eheschließung, wenn sie zu große Kompromisse erfordert, überhaupt verzichten zu können, um auch in der Ehe seine Menschenrechte wahren zu können und sich den Rückzug nicht unmöglich zu machen, / muß die Frau einen vollwertigen sozialen Beruf haben, da ihr diese notwendige Unabhängigkeit nur selten durch große Vermögenswerte garantiert sein wird. Zumeist wird man den Frauen auch zurufen müssen: Landgraf werde hart. Um nicht zertreten zu werden, wird sich das Weib sehr oft verhärten müssen, wobei ihr nicht wohl zumute sein wird. Und wenn ihr das Schicksal Gelegenheit gibt, ihr bestes Gefühl für den Mann, ein der Mütterlichkeit verwandtes Gefühl, irgendwie wieder aus der Tiefe heben zu können, so möge sie dafür dankbar sein, denn sonst wird eine unheilbare Schwermut ihr ganzes ferneres Leben beschatten. Auch verzeihen zu können, wird sie erst in der harten Schule des Lebens lernen müssen. Verzeihung selbst kann, wie ich an anderer Stelle sagte, nur gewährt werden, wenn auf der anderen Seite vollständige Abkehr vom Bösen da ist, und in sehr vielen Fällen wird die Verderbnis schon derartig eingefressen sein, daß eine Umkehr und damit auch ein Sichwiederfinden auseinanderstrebender Gatten ausgeschlossen sein wird, / wenn nicht höhere Mächte eingreifen, / furchtbare Erfahrungen und Erlebnisse, die die Unbußfertigen beugen.

Im allgemeinen hat der Instinkt der bürgerlichen Moral, daß die sichere Führung einer Ehe durch den tüchtigen Charakter des Mannes am besten gewährleistet ist und günstige wirtschaftliche Verhältnisse tatsächlich auch die Gefühle der Neigung begünstigen, recht. Besonders wird eine Frau, wenn sie einmal in zerrüttete Verhältnisse geraten ist, überhaupt kaum jemals wieder durch eine Ehe in eine gute Lebensbahn gelangen. Von England berichtet Taine, daß dort die Mitgiften sehr gering sind. Um zu heiraten, müssen die Töchter daher / »heftige Liebe einflößen. Viele bleiben infolge unerwiderter Liebe ledig und leben bei dem ältesten Bruder«. Das war zu Taines Zeiten. Heute kann man sich auf eine Versorgung durch den Bruder ebensowenig verlassen, wie auf die durch den Mann.

Die Arbeit der Frau durch eigenen Beruf oder durch Hilfe bei der Männerarbeit braucht durchaus nicht die Erfüllung ihrer natürlichen Pflichten zu verhindern, sondern die Vereinigung beider Pflichten wird von dem Willen dazu und von dem organisatorischen Geschick der Verteilung dieser Pflichten auf verschiedene Lebensepochen abhängen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse liegen heute tatsächlich so, daß die Frau nicht mehr nur noch Konsumentin sein kann, sondern Produzentin werden muß, daß sie außer der Ware Mensch auch Arbeitswerte produzieren muß und daß sie gerade erst dadurch in sehr vielen Fällen erst die Möglichkeit zur Ehe und zur Mutterschaft sich erringt. Sehr richtig sagt Frau Dr. Farbstein: »Und da der Mann immer weniger in der Lage ist, auf den Miterwerb der Frau zu verzichten, so muß die Frau / so paradox es klingt / das Heim verlassen, um überhaupt ein Heim zu haben. Ein Heim sind Mann und Frau und Kinder und nicht vier Wände.« Das Gefühl, daß sie allenfalls auch ohne den Mann existieren kann, gibt der Frau auch von vornherein eine ganz andere Haltung dem Mann gegenüber und ist schon in dieser Hinsicht von unschätzbarem Wert.

Der größte Wert der Unabhängigkeit liegt aber, außer in den ökonomischen Sicherungen, die damit verbunden sind, auch indirekt in der geschlechtlichen Unabhängigkeit, die eben durch den ökonomischen Rückhalt wie durch nichts anderes gegeben ist. Unabhängigkeit bedeutet Macht. Die einzige Machtsphäre der Frau lag früher in dem indirekten Einfluß, den sie auf den Mann gewann. Will sie aber ihre Gunst bewahren für den, den sie sich wählt (falls sie Gelegenheit hat, ihn zu wählen), so muß sie eben mit anderen Mitteln sich eine unabhängige Position erringen. Hinter der Frauenbewegung steht, sehr stark, das berechtigte und sittliche Bestreben, Liebesempfindungen unabhängig zu machen von praktischen Notwendigkeiten, / das natürliche Ausleserecht der Frau einigermaßen wieder herzustellen.

Allerdings wird das Schleiermachersche Gebet der Frau aus seinem »Katechismus der Vernunft für edle Frauen« niemals vor dem Forum der Natur volle Erhörung finden können. Recht sehr zu beachten ist dieser folgende Absatz aus diesem Katechismus: »Du sollst dir kein Ideal machen, weder eines Engels im Himmel noch eines Helden aus einem Gedicht oder Roman, noch eines selbstgeträumten oder phantasierten, sondern du sollst einen Mann lieben, wie er ist. Denn sie, die Natur, deine Herrin, ist eine strenge Gottheit, welche die Schwärmerei der Mädchen heimsucht an den Frauen, bis ins dritte und vierte Zeitalter ihrer Gefühle.

Ich glaube an die unendliche Menschheit, die da war, ehe sie die Hülle der Männlichkeit und Weiblichkeit annahm.

Ich glaube, daß ich nicht lebe, um zu gehorchen oder um mich zu zerstreuen, sondern um zu sein und zu werden; und ich glaube an die Macht des Willens und der Bildung, mich dem Unendlichen wieder zu nähern, mich aus den Fesseln der Mißbildung zu erlösen und mich von den Schranken des Geschlechtes unabhängig zu machenSchleiermacher.

Besonders die Mahnung »du sollst dir kein Ideal machen« ist entschieden zu beherzigen. Wenn man ein inneres Band zu einem Menschen fühlt, so soll man an ihm festhalten, / trotz seiner Fehler und trotz der Dämonie des Bösen, die sich zu Zeiten seiner bemächtigen kann. Nur so wird man sich »aus den Fesseln der Mißbildung erlösen« und sich vielleicht jenseits aller Schranken des Geschlechtes stellen können, indem man bei Ereignissen, die aus der Geschlechtssphäre stammen, an denen man zugrunde gehen müßte, wenn man nur als Geschlechtswesen darauf reagieren sollte, / vielleicht einen Standpunkt findet, der über die Krisen und über den Brodem des Geschlechtes und seiner Magie erhebt. Nur die geläuterte Menschlichkeit der Frau wird schließlich auch den Mann läutern. Und dies sei das vornehmste Ziel jeder reformatorischen Bewegung der Frau. Solange sie selbst nur zur moralischen Schwäche, »zur Unwahrheit, die im Prinzip zu einer Dressur auf Erotik und auf den Mann sich zuspitzte« Johanna Elberskirchen., erzogen worden war, mußte sie meist, mit dem Mann zusammen, in die Irre tappen. Um ihn in einem hohen Sinn »leiten« zu können, muß ihre moralische Persönlichkeit höher entwickelt sein, als die seine und muß ihr bewußter Wille auf dieses Werk gerichtet sein, / und muß allerdings er den Willen haben, ihr Gefolgschaft zu leisten / das heißt: sie lieben.

Nur die Selbstbewegung der Frau rettet sie vor der düstersten Tragik sexuellen Elends in mehrfachem Sinne. Sehen wir uns die Klippen an, die ihr Schicksal bedrohen. Da haben wir erstlich das »Warten« auf den Freier, der nicht kommen will oder nicht in erwünschter Gestalt. Dann die Enttäuschung durch den Mann; schon in verschiedenen Episoden vor der Ehe; dann die Angst vor dem Ausschluß aus der Kette der Generation und die Tatsache dieses Ausschlusses selbst. Dann die Tragödie, die sich an den möglichen »Fall« schließt, oder die noch grausamere des vollständigen Entsagens und Vertrocknens im Altjungferntum. Gegen alle diese typischen, schweren Schicksale der Frauengeneration der Gegenwart wappnet am besten die Durchbildung der Persönlichkeit, gemäß ihrer Anlage und ihren Kräften und / die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Das sexuelle Elend ist namenlos, und seine Variationen sind ohne Zahl. Darum muß alles begünstigt werden, was der Frau ermöglicht, innere Freiheit, möglichste Selbständigkeit und Unabhängigkeit für sich zu erringen. Damit sie endlich wirklich dahin gelange, zu sich und zu ihrem Schicksal sagen zu können:

»Die Braut gewinnt,
Brünhild erweckt
ein Feiger nie! – – –«

IV.
Muttertypen und die anderen

Gerade der Brünhildentyp unter den Frauen, die hochgemute Frau, die Amazonennatur, hat sich, in ihrem Kampf um Unabhängigkeit der Existenz und um Unabhängigkeit in der Liebe und Gattenwahl, manchmal von falschen Illusionen über die Geschlechtsnatur des Mannes und von unrichtigen Ideen und Instinkten über seine Funktion als Erzeuger des Lebens und als Lebensgefährte, besonders aber als natürlicher Beschützer der Familie leiten lassen, so daß gerade in den Reihen dieser Frauen die typischen Opfer falscher Theorien und falscher Instinkte zu finden sind. Mit richtigem Instinkt hat sich dieser Typus Frau allerdings dagegen gewehrt, daß der Mann erst als Ehegefährte in Frage kommen soll, wenn er an Jahren vorgerückt und »dekrepit, debauchiert, nicht selten syphilitisch« ist Krafft-Ebing, in einer Studie über Neurasthenie.. Man fordert, mit Recht, daß der junge Mann, auf der Höhe seiner biologischen Vollreife, die Braut heimführen könne und daß die männliche Jugend davor bewahrt bleibe, sich »in ihren eindrucksfähigsten Jahren in den Kreisen geborener Verbrecherinnen zu bewegen und sich an Leib und Seele mit Krankheitskeimen zu infizieren«. »Die Ziele der Frauenbewegung« von Frau Dr. Farbstein. Buchhandlung des Schweizer Rüttli-Vereins, Zürich. Davor muß sich diese Jugend allerdings auch selbst bewahren, sonst kann sie, auch in der Ehe, dekrepit und syphilitisch werden.

Hingegen hat der Sturmlauf von seiten der hochgemuten Frau, der Amazone, als sie mit vollen Segeln und flatternden Fahnen zum erstenmal ein Leben der Unabhängigkeit erstrebte, das gegen die »Ehe als Versorgungsanstalt« gerichtet war, zu den bittersten Konflikten in der Praxis geführt. Frau Dr. Farbstein tadelt es in ihrer im übrigen ausgezeichneten Schrift, daß kein Mann sich heutzutage traut »einen Heiratsantrag zu machen, wenn er der Frau nichts zu bieten hat«. »Etwas zu bieten, welch ein gemeiner aus dem Dirnentum übernommener Begriff.« Ganz gewiß soll nicht eine fertige Karriere verlangt werden, wenn man einen jungen Mann heiraten will, und ganz gewiß sollen alle Ansprüche, welche man an die ökonomische Grundlage des Hausstandes stellt, so bescheiden wie möglich gehalten werden, und zwei junge Menschen sollen sich in den einfachsten Verhältnissen, wenn ihre Herzen richtig zusammenklingen, glücklich fühlen. Aber es muß konstatiert werden, daß die Frau, in ihrer Liebessehnsucht, nicht immer den wirklich guten Kameraden sich erkürte, sondern daß sie vielfach einen übermäßig erotischen Typus bevorzugte, dem alle sozialen Qualitäten und alle Charaktereigenschaften mangelten, um die feste Stütze einer Familie zu sein oder jemals zu werden.

Ich habe im Kapitel über das Bevölkerungsproblem angedeutet, daß ich nicht daran glaube, daß eine Frau, die wirklich starke Mutterinstinkte hat, aus diesen oder jenen Gründen nicht zur Mutterschaft gelangt, sondern daß ich der Meinung bin, daß bei solchen Frauen individuell-erotische Wahlinstinkte das Übergewicht haben über rein generative Instinkte, welche den Muttertypus unter den Frauen charakterisieren und welche bei der Gattenwahl ausschlaggebend sind.

Die Ausschaltung eines großen Teiles von Frauen von der Bestimmung der Mutterschaft, / ein Phänomen, das unser Mitgefühl hervorruft, / wurde wohl bisher nicht immer richtig verstanden. Hier spricht das Gesetz einer Kultur gewordenen Natur: ein Teil der Frauen muß steril bleiben, weil die Erde, bei dieser Bewirtschaftung, das Menschenmaterial, das durch die Befruchtung aller Frauen geboren werden würde, nicht mehr ernähren könnte, und Auslese ist hier nach ehernen Gesetzen am Werk. Außer den vorwiegend mehr individuell als generativ veranlagten Frauen, welche zur Mutterschaft nicht gelangen, weil sie den Vatertyp im Mann nicht suchen, sondern den Liebhaber, und die selbst, wenn sie sogar Kinder als »Folge« und nicht als Absicht dieser Verbindung haben, für sie, durch die ganze Situation, die nicht darauf eingerichtet ist und in welche sie sich mit Hintansetzung aller anderen Wünsche zugunsten überwiegender erotischer Triebe hinein begaben, / nicht als richtige Mütter können, / außer diesem mehr individuell als generativ veranlagten Frauentypus werden von der Mutterschaft unter den Gesetzen der Monogamie ausgeschlossen: die Dirnen- und die Altjungfernnaturen.

In allen drei Fällen ist deutliche Auslese am Werk. Der erstgenannte Typus, der der individuell sehr stark betonten Frau, die in der Gattenwahl von einer absoluten Emanzipation von allen Begleitmomenten der Ehe, welche auf Versorgung der Frau und des Kindes hinzielen, geleitet wird, sucht nicht und findet meist nicht oder doch nicht rechtzeitig (weil ihr generatives Instinktleben sich erst verspätet entwickelt) den wirklich männlichen Typus Mann, den Vatertypus, der die Kinder, die er erzeugt, ernähren kann. Zu diesen Frauen, die mehr individuell als generativ veranlagt sind, gehören aber, wie ich ebenfalls schon früher sagte, auch solche, deren Bestimmung eine weit höhere sein kann, als die biologische Fortpflanzung. Haben die physischen Mütter mit den vorsichtigen Wahlinstinkten nur die Bestimmung, die Kette des Lebens zu erhalten, / so sind die andern, denen die physische Mutterschaft versagt blieb und die ihr Leben unter besonders schweren Schicksalen führen mußten, vielleicht zu Erkenntnissen gedrungen, die sie sonst nie erreicht hätten und haben Urmütterbestimmung erhalten, / das Leben zu deuten. Aber sie werden diese Bestimmung nur erfüllen, wenn sie ihr Schicksal richtig verstehen, wenn sie davon belehrbar sind und nicht, trotz aller Mißhandlungen, sich an die doktrinären Theorien, mit denen sie einst in das schreckhafte Leben hinaussegelten, für alle Zeiten festklammern.

Nietzsches Umwertung der Werte hat Schule gemacht. Und das Christentum war »überwunden«. Aber alle diese mehr oder minder literarischen, schöngeistigen »Umwertungen« werden die Werte, die sich aus dem Judentum und Christentum und aus der sittlichen, sozialen und natürlichen Erfahrung der Menschheit für die Moral der Überwindung und die Moral der Keuschheit ergaben, / nicht umwerten. Hier haben wir eine gewaltige Überschätzung der aus dem Tag geborenen »Umwertungen«. Das alles verwirrt zwar in bestimmten dazu disponierenden Epochen die Gemüter, verbiegt und zermürbt eine Zeitlang die ethischen, naturhaft-rassigen Hemmungen, wandelt aber nicht die Grundüberzeugungen, die in den sittlichen Instinkten der Menschheit leben und sich in ihren auf Schutz und Wohlfahrt gerichteten Sittengesetzen ausdrücken. Und wenn wir schon »umwerten« / so wollen wir auch diese »Umwertungen« um- und umwenden, / bis die Werte wieder rund und ganz sind und der Ring des Lebens / wenn auch von der andern Seite her / wieder geschlossen ist.

»Der Krieg … ist die große Sturmflut, die in ihrem gewaltigen Strome all das, was nicht feste Wurzeln schlagen konnte, hinwegreißt. Doch die Grundfesten unserer Geistes- und Gefühlswelt bleiben unangetastet. Dagegen wird die Wucht der Tatsachen Ideen vernichten, die nicht auf praktische Erfahrung gegründet sind, sondern in den Köpfen einzelner Menschen erzeugt wurden, um dann von ihnen, mit einem wissenschaftlichen Gepräge umgeben, verbreitet zu werden zur Unterstützung gewisser Anschauungen.« Dr. Kurt Alexander in der Besprechung von »Rasse und Kultur« von Friedrich Hertz.

Sehr richtig bemerkte Frau Dr. Helene Stöcker in einem Aufsatz, der neunzehn Jahre zurückliegt »Unsere Umwertung der Werte«, erschienen 1897, aufgenommen in dem Bande »Die Liebe und die Frauen«. J. C. C. Bruns Verlag, Minden i. Westf. 1905.: »… die grande amoureuse, die in der cérébrale steckt, wird schon hervorkommen« /. Diese tröstliche Verheißung wurde gegeben, gegenüber den Besorgnissen, die sich an das Frauenstudium knüpften. Nun / das Versprechen wurde erfüllt. Die Grandeamoureuse ist tatsächlich aus der Cérébrale hervorgekommen. Und sie zog aus, / »lachende Löwen« zu suchen, die »rechtwinklig gebaut sind an Leib und Seele« (Nietzsche) … Aber die lachenden Löwen, die ihr da entgegensprangen, / erinnerten nur zu sehr an den Löwen des Priamus und der Thisbe, / mit der Mähne aus Hobelspänen Vgl. im I. Teil der »Krise«, S. 331–336 »Der moderne Dekadent als Liebhaber, Gatte und Erzeuger«. …

Man könnte diese letzte Epoche, die mit diesem Kriege abschloß, die Epoche dieser letzten zwanzig Jahre, direkt als die Epoche des Fiaskos der Umwertungen bezeichnen. Nicht etwa in dem Sinn, daß diese Umwertungen nicht durchdrangen, / bewahre, / im Gegenteil sie drangen durch und zwar auf allen Linien, / aber, was sich aus ihnen ergab, war / nicht immer sehr erfreulich.

Diese letzte Epoche, die ich die Epoche des Fiaskos der Umwertungen nenne, war auch die Epoche des Unterganges dessen, was das Höchste in der Kultur der Liebe ist: des defensiven Sexualgefühles der Frau. Es war die Epoche, die den verkehrten Werbekampf, in dem die Weiber werben und die Männer auslesen, verschärfte, und eine weitere Verschärfung und damit die größte Gefahr für das, was für Mann und Weib das Höchste in der Geschlechtsliebe ist, / die Werbung des Mannes um das Weib, / steht durch die Folgen des Krieges bevor, durch die Vergrößerung des Frauenüberschusses. Und hat sich der Mann aus der Dekadenz befreit, hat er seine heroische Wiedergeburt erlebt in diesem Krieg, / so liegt hier, in der Wiedergeburt des defensiven Sexualgefühls, / die Auferstehung der Frau. Erlebt sie diese Auferstehung, / so wird diese regenerierte Frau niemand mehr und niemand besser anbeten, als / der Mann, mit dem sie in dieser letzten Epoche in qualvoll-schmerzlicher Krise stand. Nur hier liegt die Lösung. Nur hier liegt auch die geheimste, innerlichste Sehnsucht des Mannes, die Möglichkeit auch seiner Erneuerung und seiner Wiedergeburt / zur Liebe.

In einem Abschnitt über die »Psychologie der Heutigen« im ersten Teil dieser Untersuchung Seite 351–354 »Die sexuelle Krise«. sagte ich, / was ich hier in Erinnerung rufen muß: »Der Kampf der Geschlechter tobt schärfer als jemals und unter ganz besonderen Formen. Vielleicht ist dieses scheinbare Chaos nur ein Vorstadium einer neuen, noch unsichtbaren Einheitlichkeit, einer neuen, besseren Gestaltung der Dinge. Der Mann scheint heute in einem Zustand weitester und wildester Expansion. Das Weib, seiner Natur nach »Ordnerin«, muß er fürchten, weil er Unordnung, Chaos und Revolution heute vielleicht braucht. Vielleicht ist diese ganze ungeheuerliche Geschlechtskrise die Vorbereitung für ein neues Zeitalter von Heroismus? Dann wäre sie es wert, durchlebt und durchlitten zu werden.«

Das war also damals, gesprochen und geschrieben im Jahre 1909, gerade mitten in einer Epoche der Konflikte und Krisen, der Verwicklungen und der Kämpfe, / ein prophetisches Wort. Denn das Heroische im Mann ist mit diesem Kriege aufs Gewaltigste zum Durchbruch gekommen, und so erwies sich die chaotische Krise der vergangenen, der überwundenen Epoche tatsächlich als das »Vorstadium einer neuen, noch unsichtbaren Einheitlichkeit … die Vorbereitung für ein neues Zeitalter von Heroismus«.

Und ich sage heute, wie damals: »dann wäre« / bzw. war / »sie es wert, durchlebt und durchlitten zu werden«.

Diese Krise aber zeitigte eine Reihe von Verfallserscheinungen, / die der Analyse bedürfen.

V.
Defekte Männertypen

Eine große Gefahr der Frauenbewegung und Frauenbefreiung, oder war es ein Korrelat dieser Bewegung, lag in der Züchtung eines verweichlichten Typus Mann, der in der Verfallsepoche, die dem Krieg voranging, mit unangenehmer Häufigkeit und zwar seltsamerweise gerade als Vorkämpfer für Frauenrechte, als Feminist, sehr häufig anzutreffen war. Natürlich soll damit nicht gesagt sein, daß der edle und einsichtige Mann, der die Frau in dem Kampf um ihre notwendigen Rechte unterstützte, mit dem genannten Typus identisch sei und daß der degenerierte und debauchierte Antifeminist, der Frauenhasser und Dirnenbarde, vielleicht sympathischer sei, als jener. Es muß nur konstatiert werden, daß man diesen defekten Männertyp überhaupt im Lager jedweden Umsturzes, jedweder wirklichen oder pseudoreformatorischen Bewegung finden konnte. Es ist dies, in Kürze gesagt, / jener Typus Mann, der sich mehr und mehr auf die Frau als wirtschaftliche Stütze seiner Existenz, ja, als Ernährerin, verläßt oder verlassen will und, selbst unfähig zum Lebenskampf, ihr dessen Mühsal und Sorgen aufzupacken sucht. Bei der schon erwähnten Sorte naiver Idealistinnen und begierlicher Erotikerinnen, die die Emanzipation auf allen Gebieten, besonders auf denen der Moral, reichlich erzeugt hatte, hatte diese Sorte Mann Oberwasser, / und manches im Grunde kostbare Frauenleben wurde da in ungeahnte Erniedrigung gezogen und in einem lächerlichen und widernatürlichen Frondienst, um einer Illusion von »Liebe« willen, mißbraucht.

Eine Ehe oder ein eheähnliches Verhältnis, in dem die Frau dem Mann mehr wirtschaftliche Stütze ist, als er ihr, / ist verkehrt, ist durchaus gegen die Natur. Eine Frau mit den richtigen generativen Instinkten wird eine Scheu, ja einen Ekel vor einer solchen Verbindung empfinden; sie wird eben ein gewisses Maß sozialer Tüchtigkeit von dem Mann, dem sie sich gibt, verlangen und nur für den Mann mit allem Willen die Sorgen um die Erhaltung der Familie allein übernehmen, der vielleicht durch Krankheit oder eine Katastrophe, wie es der Krieg ist, an der Ausübung seiner natürlichsten Pflichten, die er aber vorher erfüllte, gehindert wurde. Eine solche Verkehrung der natürlichen Aufgaben ist nicht »ideal«, sondern korrumpierend. Die Hauptstütze des Hauses muß der Mann sein, und kann er das nicht, so ist er nicht der Gefährte für die reife, starke und tapfere Frau, sondern nur ein Liebhaber, den sie sich »hält«.

Es gibt Feministen, die die Frau aus der »Sklaverei« befreien wollen, aus eigenartigen Motiven, die sich von denen jener Männer unterscheiden, die die »Sklavin« wenigstens erhalten und dankbar sind, wenn sie sie gut behandelt.

Es gibt gewisse männliche Wesen, die von der »starken« Frau träumen und dabei den Insekten zu vergleichen sind, die, winzig klein, als Schmarotzer in dem viel größeren weiblichen Organismus hausen und rumoren. Das weibliche Arbeitsbienentum hat ein männliches Drohnentum als Korrelat, und auch solche Männer gehören dazu, die zwar notdürftig noch ihren Mann stellen, aber insgeheim als Drohnen ihr Leben am liebsten führen möchten. Wehe dem weiblichen Geschlecht, wenn die Frau, sei es aus falschem Idealismus, aus Mangel an weiblicher Würde oder aus sexueller Not, an den Mann, dem sie sich gibt, die Forderung, zum mindesten den sozialen Unterbau ihres Lebens zu schaffen, nicht stellt, wenn sie »schenkt« und immer nur schenkt und sich ausplündern läßt, zufrieden mit den Brocken seiner Huld, die er ihr gnädigst zuwirft.

Es wuchs da ein gleichzeitig ebenso roher als lebensuntüchtiger und verzärtelter, dabei in seinen Ansprüchen unverschämt gewordener männlicher Typus heran, den die sexuelle Krise geschaffen hatte und den die Akkumulierung starker Weiblichkeit wieder ausrotten muß, trotzdem durch den Krieg der Überschuß einsamer Frauen eine gewaltige Vermehrung erfahren hat. Die Frau muß die Kraft aufbringen, sich zu sagen: lieber allein bleiben, als sich mit einem Mann zufrieden geben, der nicht die Frau in ihr beschützen, der die Fundamente der gemeinsamen Lebensführung nicht herbeischaffen kann und sich vorwiegend auf ihre Arbeit verläßt.

In den Beziehungen dieser wirtschaftlich unabhängigen und tüchtigen Frauen mit derartigen Männern konnte man die groteskesten Verkehrungen der sexuellen Werbung überhaupt beobachten. Es gab erwerbende Damen, die dem Mann ihrer Wahl z. B. eine Wohnung einrichteten, ihn mit Geschenken überhäuften und glücklich waren, wenn sie ihn so ein- bis zweimal die Woche besuchen durften, natürlich nie mit »leeren Händen«, zumindest immer / mit Blumen! Man sah Frauen, die sich an ihre Liebhaber klammerten, auch wenn die sie weder liebten noch begehrten und sie entwürdigend behandelten, ihnen offenkundig die Treue nicht hielten und sie in keiner Weise sozial und wirtschaftlich stützten, geschweige denn versorgten; nicht selten Frauen, die öffentlich für neue Rechte und neue »Würden« des Weibes kämpften. Es schien, als ob alle grundlegenden Ehrbegriffe in Fragen der Erotik, der Liebe, der Ehe geschwunden waren, als ob man nicht mehr wüßte, was man als Geschlechtswesen zu geben aber auch zu fordern hatte, wo man, in den einen Fällen, bleiben und ausharren sollte, um eines höheren Zweckes willen (bei Ehekatastrophen nur dann, wenn eine vollkommene Reinigung des Verhältnisses und der betreffenden Menschen erfolgte), wo man aber, in andern Fällen, auch ein Ultimatum zu stellen und die Einsamkeit einem durch und durch unsauber und unwürdig gewordenen Geschlechtsverhältnis vorzuziehen hatte. Alle diese Erscheinungen einer Verfallsepoche spielten sich halb okkult ab /, die Menschen wußten nicht mehr, wo sie standen, was sie sollten, was sie wollten und was sie waren. Die Welt mußte sich erst in Krämpfen winden, um die unheimlichsten Verirrungen erkennen zu lehren.

Das alles sind Erscheinungen einer Verfallsepoche, Erscheinungen der tiefgreifenden, die natürliche Stellung der Geschlechter zueinander vollständig verkehrenden sexuellen Krise, Erscheinungen des verkehrten Werbekampfes, Symptome schwerer, generativer Nöte, die durch den männermordenden Krieg in noch krasseren Formen zutage treten werden, wenn nicht starke Weiblichkeit hier neue Bahnen weist. Es ist der Liebes- und Glückshunger, unser gefährlichster Begleiter im Labyrinth des Daseins, der selbst hochgeartete Frauen, / nicht etwa Hetären und Messalinen, / zu unwürdigen Kompromissen in ihrem Geschlechtsleben führt, weil sie nicht die Kraft in sich fühlen, / einsam zu bleiben.

Es liegt in der Natur der Frau, Kompromisse zu schließen, und es soll gewiß niemandem verdacht werden, daß er sich dazu bereit findet, sofern sie ihm selbst als in den Grenzen des Erträglichen sich bewegend erscheinen. Wenn aber eine Frau in ihrem Geschlechtsleben in einem bestimmten Punkt keine Kompromisse machen kann und will, so wird sie die Einsamkeit bei weitem jedem würdelos gewordenen Geschlechtsverhältnis vorziehen. Eine solche Frau wird niemals mit einem Manne leben wollen, auch wenn die Not am Manne noch so groß ist, wenn sie nicht fühlt, daß sein ganzes Lieben und sein ganzes Begehren auf sie allein gerichtet ist. Die monogame Forderung wird für einen Menschen, dem sie im Blut sitzt, eben die selbstverständlichste Voraussetzung seiner Sexualbeziehung zu einem Menschen sein. Ja eine Frau, die in diesem Punkt keine Kompromisse machen kann, wird sogar, wenn sie um irgendeines Mannes willen alles aufgegeben hätte, was ihr Leben wertvoll machte, / ihn dennoch verlassen, wenn sie fühlt, daß sie sich durch die Verbindung mit ihm entwürdigt.

Und diese Kompromisse in der Erotik werden durchaus nicht etwa aus dem Gefühlskomplex heraus geschlossen, den ich an anderer Stelle unter dem Sammelnamen »Gattenband« belichtete. Es ist dies nicht jene höchste Treue, die ausharrt, auch wenn es manchmal schwer fällt, um einer tiefinneren Bindung willen, / sondern es ist in den meisten Fällen / die bettelnde Begierde, es ist der höchstpersönliche Liebes- und Glückshunger, der sich auch mit Brocken zufrieden gibt, ja der sich nicht selten treten und ausbeuten läßt, der nichts so sehr fürchtet, als / die Vereinsamung; / kurzum: die vorwiegend sexuelle Abhängigkeit einer Frau von einem Mann.

Eine Frau, die von der Geschlechtlichkeit eines Mannes derartig versklavt ist, daß sie sich von ihm unter Umständen auch ruinieren und ausbeuten läßt, ist ein Wesen, das dem Phalluskult verfallen ist. Und dieser Typus Mann, der eine Frau ausbeutet und sie mit geschlechtlichen Reizungen und Vernachlässigungen in Abhängigkeit hält oder zu halten sucht, ist eine Zuhälternatur, und sie kann gewärtig sein, daß er ihr alles, aber auch alles, was sie hat, was sie je erwerben, ererben oder sich sonst verschaffen kann, wegnehmen, ja wegreißen wird, von Gebrauchsgegenständen angefangen bis zu Geld und Geldeswert jeder Art, kurzum alle Vermögens- und Besitzwerte, / von den sozialen und den Moralwerten, die er ihr entreißt, gar nicht zu sprechen. Jeden leisesten Widerstand wird er mit Brutalität beantworten, denn dieser Typus Mann ist durch und durch roh, auch wenn er seine Roheit eine Weile vielleicht unter einer Kulturmaske verbirgt. Er wird sie ruinieren und brutalisieren, entehren und zugrunde richten, nach jeder Fasson. Wehe der Frau, die in die Hände eines derartigen Menschen geraten ist, der in der Maske des »Idealisten« herumzulaufen pflegt und sich, als Phantast und Selbstbelüger von krankhafter Wirklichkeitsscheu Diesen Typus hat Strindberg in genialer Weise charakterisiert, im »Buch der Liebe«, Seite 195–213. »Alles, was sie wünschen, dichten sie in Wirklichkeit um; alles, was sie wollen, / wird Wahrheit; alles, was unbequem oder unangenehm ist, / ist nicht wahr.«(!) Dieser Typus bebt vor nichts so sehr zurück, als davor, den Ernst des Lebens ansehen zu müssen, wie er ist. Er will immer alles »licht« sehen und »ein ernster Mensch ist ihnen ein Greuel, ein böses Wesen … das ihnen die ›Lebensfreude‹ rauben will«. Strindberg vergleicht diesen Typus / wie folgt: »Um immer das Helle im Dunkel zu sehen, muß man wohl eine Eule oder eine Katze sein, also ein Nachttier; verfaulte Fische leuchten oder phosphoreszieren, sie haben immer › Licht‹ um sich, aber das sind nur Irrlichter im Sumpf.« …, auch selbst dafür hält, weil er Sachgüter weder zu erwerben noch festzuhalten versteht, um so mehr aber ihrer braucht, eine grobmaterielle Gier nach Besitz jeder Art hat und, als Egoist vehementester Art, alles brutal an sich zu reißen pflegt, / dort, wo er Gelegenheit dazu hat, z. B. einer Frau gegenüber, die ihm, in einer Stunde der Verblendung, ihr Schicksal auslieferte. Er hat die »Rasseninstinkte« in ihrer Urwaldbrutalität, er hat etwa die rassige Roheit / der »Ziehleute«, / aber er hat nicht ihre Kraft, / sondern die zerrütteten Nerven, die Zerfahrenheit und Wehleidigkeit des Dekadenten. Eine nette Mischung! Wehe der Frau, die einen solchen Patron nicht baldigst in seiner wahren »Bedeutung« für ihr Leben erkennt, die ihre generöse Veranlagung mißbrauchen läßt und nicht die Kraft findet, sich gänzlich von ihm frei zu machen. Einem solchen Gesellen, wie überhaupt jedem gegenüber, der uns, / sei es gewalttätig, sei es auf schleichende, betrügerische Weise, / ausplündern will, ist natürlich das Wort vom Mantel, den man ihm noch dazu geben soll, nicht am Platz, sondern hier gilt das andere Wort der Schrift: »Halte, was du hast, daß man dir nicht deine Krone raube!« Die Krone einer Frau ist / ihr Geschlecht.

»Andrin wird teuer.« Diese kurze Formel, die ein Mann für die sexuelle Krise gefunden hat, drückt die Verschärfung dieser Krise durch den Krieg, durch die Verluste an Männern, präzise und richtig aus, / wenn auch mit etwas mephistophelischem Beigeschmack. Es ist richtig, daß, ebenso wie durch den Krieg alle Preise für die wichtigsten Bedarfsartikel in die Höhe getrieben wurden, weil diese Artikel eben knapp geworden waren und die Nachfrage das Angebot überstieg, / daß ebenso auch der »Preis«, der effektive Marktwert von / Andrin (Männerstoff) noch mehr in die Höhe ging … Er steigt kolossal im Preis. Aber doch nur für die, / die absolut ohne diesen Artikel nicht leben können. Wer darauf unter Umständen verzichten kann, ehe er sich überhalten läßt, / der kann diese Marktkrise der Geschlechter / umgehen. Der übermäßig hinaufgeschraubte Geschlechtswert des Mannes ist tatsächlich ein Markt- und Börsenwert. Er steigt und fällt mit der Konjunktur und richtet sich nach Angebot und Nachfrage. Zölle werden erhoben, / die ihn fast unerschwinglich machen. Und wie jede scharfe Zollpolitik, so führt auch diese / zu Krisen.

Bei einer Preisnormierung darf aber die Quantität eines Artikels für den Konsumenten nicht allein ausschlaggebend sein. Und die gute Hausfrau hat auf dem Markt vor allem die Qualität zu beachten. Und sie soll lieber auf gewisse »Lebensmittel« verzichten, / wie es bei Krisen unerläßlich ist, / ehe sie unverhältnismäßige Preise zahlt für eine Ware, deren Qualität ihr doch nicht entspricht. So wie es zu Kriegszeiten als nationale Pflicht galt, auf gewisse »Lebensmittel« zu verzichten, / so ist es die höchste Geschlechtspflicht / unter Umständen / zu verzichten.

Ein lustigseinsollendes Lied, das man während der Kriegszeit hörte, hat den Refrain / »Warum schickt man nicht die Frauen in den Krieg«. In der letzten Strophe denkt die Sängerin an die vielen kräftigen und schönen, jungen Männer, die da draußen fallen, / während die Kranken, Schwachen, Alten und / die Frauen übrigbleiben. »Daran muß ich denken, / wenn im Bett ich lieg', / no, warum schickt man nicht / die Frauen in den Krieg« …

VI.
König Drosselbart

Für die Frau, die sich wegwirft, die durch einen Mann in eine tiefere soziale Sphäre herabgedrückt wird, als ihre eigene es war, / für dieses Sinken einer Frau durch einen Mann, der ihr nichts zu »bieten« hat, für dieses Heruntergezogen werden in die soziale und persönliche Erniedrigung, / hat das deutsche Märchen, in dem ein Schatz von Lebensweisheit und -Wahrheit, der Extrakt germanischer Rasseninstinkte, in duftende Blüten gewandelt und zu einem unverwelkbaren Kranze geflochten ist, Ausdruck gefunden und zwar / im Märchen vom König Drosselbart Die Märchen der Gebrüder Grimm erschienen zu Jena im Verlage von Eugen Diederichs..

Die Königstochter, die den König Drosselbart als Freier verschmähte, muß einen Bettler zum Mann nehmen. Zum Glück ist, / im Märchen, aber nicht im Leben, / der Bettler der verkleidete König Drosselbart, der sie liebt. Wie es ihr aber mit dem Bettler ergeht, / das zeigt uns das Märchen / lebensgetreu. Es zeigt uns auch köstlich, wie der Bettler es ihr beibringt, sich nach dem verschmähten Mann zu sehnen. Auch im Leben bringt es manchmal derselbe Mann einer Frau bei, sich nach ihm selbst zurückzusehnen, d. h. nach ihm, / wie er früher war, / wie nach einem geliebten Toten, dessen wahres Bild ihr entstellt wurde, durch das, / was er diesem Bilde selbst antat. Dieses, sein Bild, verwüstete sich mehr und mehr, wandelte sich von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr, / denn es bekam, wie das Bildnis des Dorian Gray, nach und nach die Züge aller seiner geheimen Laster; und schließlich ist aus dem geliebten Bilde eines edlen Jünglings / das eines bösen Dämons und Wüstlings geworden, denn das Bild hat die Züge seines Geheimlebens, seiner verborgenen, inneren Entartung angenommen.

Noch öfter aber bringt, im Leben, irgendein Bettler, an den die Königstochter gerät, ein Bettler des Lebens, ihr bei, sich nach dem früheren Mann, den sie nicht zu schätzen wußte und der sie hochhielt, an seiner, d. h. an des Bettlers Seite um so mehr zurückzusehnen, und sie weiß dann erst / »wie er sie setzte«, / wie es von Krimhilds Mann, König Etzel, in Hebbels Nibelungendichtung heißt.

Das Märchen vom König Drosselbart, auf welches die Frauen lauschen mögen, / erzählt Die Hervorhebungen durch andere Schrift als Kommentar der Verfasserin.:

»Der Bettelmann führte sie an der Hand hinaus, und sie mußte mit ihm zu Fuß fortgehen. Als sie in einen großen Wald kamen, da fragte sie:

»Ach, wem gehört der schöne Wald?«
»Der gehört dem König Drosselbart;
hättst du'n genommen, so wäre er dein.«
»Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt' ich genommen den König Drosselbart.«

Darauf kamen sie über eine Wiese, da fragte sie wieder:

»Wem gehört die schöne, grüne Wiese?«
»Sie gehört dem König Drosselbart;
hättst du'n genommen, so wär' sie dein.«
»Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt' ich genommen den König Drosselbart.«

Dann kamen sie durch eine große Stadt, da fragte sie wieder:

»Wem gehört diese schöne, große Stadt?«
»Sie gehört dem König Drosselbart;
hättst du'n genommen, so wär' sie dein.«
»Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt' ich genommen den König Drosselbart!«

»Es gefällt mir gar nicht«, sprach der Spielmann, »daß du dir immer einen andern zum Mann wünschest; bin ich dir nicht gut genug?« Endlich kamen sie an ein ganz kleines Häuschen, da sprach sie:

»Ach Gott, was ist das Haus so klein!
Wem mag das elende, winzige Häuschen sein?«

Der Spielmann antwortete: »Das ist mein und dein Haus, wo wir zusammen wohnen.« Sie mußte sich bücken, damit sie zu der niedrigen Tür hineinkam. »Wo sind die Diener?« sprach die Königstochter. »Was Diener!« antwortete der Bettelmann, »du mußt selber tun, was du willst getan haben. Mach nur gleich Feuer an und stell Wasser auf, daß du mir mein Essen kochst; ich bin ganz müde.« Die Königstochter verstand aber nichts vom Feueranmachen und Kochen, und der Bettelmann mußte selber mit Hand anlegen, daß es noch so leidlich ging. Als sie die schmale Kost verzehrt hatten, legten sie sich zu Bett: aber am Morgen trieb er sie schon ganz früh heraus, weil sie das Haus besorgen sollte. Ein paar Tage lebten sie auf diese Art schlecht und recht und zehrten ihren Vorrat auf. Da sprach der Mann: »Frau, so geht's nicht länger, daß wir hier zehren und nichts verdienen. Du sollst Körbe flechten.« Er ging hinaus, schnitt Weiden und brachte sie heim: da fing sie an zu flechten, aber die harten Weiden stachen ihr die zarten Hände wund. »Ich sehe, das geht nicht,« sprach der Mann, »spinn lieber, vielleicht kannst du das besser.« Sie setzte sich hin und versuchte zu spinnen, aber der harte Faden schnitt ihr bald in die weichen Finger, daß das Blut daran herunterlief. »Siehst du,« sprach der Mann, » du taugst zu keiner Arbeit, mit dir bin ich schlimm angekommen. Nun will ich's versuchen und einen Handel mit Töpfen und irdenem Geschirr anfangen. Du sollst dich auf den Markt setzen und die Ware feilhalten.« »Ach,« dachte sie, »wenn auf den Markt Leute aus meines Vaters Reich kommen und sehen mich da sitzen und feilhalten, wie werden sie mich verspotten!« Aber es half nichts, sie mußte sich fügen, wenn sie nicht Hungers sterben wollte. Das erstemal ging's gut, denn die Leute kauften der Frau, weil sie schön war, gern ihre Waren ab und bezahlten, was sie forderte: ja, viele gaben ihr das Geld und ließen ihr die Töpfe noch dazu. Nun lebten sie von dem Erworbenen, solange es dauerte, da handelte der Mann wieder eine Menge neues Geschirr ein. Sie setzte sich damit an eine Ecke des Marktes, stellte es um sich her und hielt feil. Da kam plötzlich ein trunkener Husar dahergejagt und ritt geradezu in die Töpfe hinein, daß alles in tausend Scherben zersprang. Sie fing an zu weinen und wußte vor Angst nicht, was sie anfangen sollte. »Ach, wie wird mir's ergehen!« rief sie, »was wird mein Mann dazu sagen!« Sie lief heim und erzählte ihm das Unglück. »Wer setzt sich auch an die Ecke des Marktes mit irdenem Geschirr!« sprach der Mann. »Laß nur das Weinen, ich sehe wohl, du bist zu keiner ordentlichen Arbeit zu gebrauchen. Da bin ich in unseres Königs Schloß gewesen und habe gefragt, ob sie nicht eine Küchenmagd brauchen könnten, und sie haben mir versprochen, sie wollten dich dazu nehmen; dafür bekommst du freies Essen

Nun ward die Königstochter eine Küchenmagd, mußte dem Koch zur Hand gehen und die sauerste Arbeit tun. Sie machte sich in beiden Taschen ein Töpfchen fest, darin brachte sie nach Haus, was ihr von dem Übriggebliebenen zuteil ward und davon nährten sie sich. Es trug sich zu, daß die Hochzeit des ältesten Königssohnes sollte gefeiert werden, da ging die arme Frau hinauf, stellte sich vor die Saaltür und wollte zusehen. Als nun die Lichter angezündet waren und immer einer schöner als der andere hereintrat und alles voll Pracht und Herrlichkeit war, da dachte sie mit betrübtem Herzen an ihr Schicksal und verwünschte ihren Stolz und Übermut, der sie erniedrigt und in so große Armut gestürzt hatte. Von den köstlichen Speisen, die da aus- und eingetragen wurden und von welchen der Geruch zu ihr aufstieg, warfen ihr die Diener manchmal ein paar Brocken zu, die tat sie in ihr Töpfchen und wollte es heimtragen. Auf einmal trat der Königssohn herein, war in Samt und Seide gekleidet, und hatte goldene Ketten um den Hals. Und als er die schöne Frau in der Tür stehen sah, ergriff er sie bei der Hand und wollte mit ihr tanzen, aber sie weigerte sich und erschrak, denn sie sah, / daß es König Drosselbart war, der um sie gefreit und den sie mit Spott abgewiesen hatte … Ihr Sträuben half nichts, er zog sie in den Saal; da zerriß das Band, an welchem die Taschen hingen, und die Töpfe fielen heraus, daß die Suppe floß und die Brocken umhersprangen. Und wie das die Leute sahen, entstand ein allgemeines Gelächter und Spotten, und sie war so beschämt, daß sie sich lieber tausend Klafter unter die Erde gewünscht hätte. Sie sprang zur Tür hinaus und wollte entfliehen, aber auf der Treppe holte sie ein Mann ein und brachte sie zurück: und wie sie ihn ansah, war es wieder der König Drosselbart. / Er sprach ihr freundlich zu: »Fürchte dich nicht … Das ist alles geschehen, um deinen stolzen Sinn zu beugen und dich für deinen Hochmut zu strafen, womit du mich verspottet hast.« Da weinte sie bitterlich und sagte: »Ich habe großes Unrecht gehabt und bin nicht wert, deine Frau zu sein.« Er aber sprach: »Tröste dich, die bösen Tage sind vorüber, jetzt wollen wir unsere Hochzeit feiern.« Da kamen die Kammerfrauen und taten ihr die prächtigsten Kleider an, und ihr Vater kam und der ganze Hof und wünschten ihr Glück zu ihrer Vermählung mit König Drosselbart, und die rechte Freude fing jetzt erst an

VII.
Mögliche Lösungen

Die Frauenbewegung ist notwendig. Ihre Bekämpfung ist daher sinnlos, schon deshalb, weil, wenn eine Frau es sich leisten kann, nur als Gattin und Mutter zu leben und so leben will, niemand sie zu einer Berufstätigkeit zwingt. Das ist aber eine verschwindende Minorität, die zumeist wieder nur aus den von Haus aus Wohlhabenden besteht. Ohne Vermögen von irgendeiner Seite kommt der Mann immer schwerer zu einer gesicherten Familienexistenz. Hat die Frau aber nicht die Möglichkeit, Erhaltung und Versorgung durch den Mann zu finden, so muß sie eben arbeiten. Sonderbarerweise gilt die Bereitwilligkeit, zu arbeiten, bei jedem Wesen als Ehre, nur der Frau suchte man hieraus (in der Theorie) einen Vorwurf zu machen. Dies geschah einzig aus dem Grunde, weil man ihre Konkurrenz auf den Arbeitsstätten fürchtete. In dem Augenblick aber, wo Frauenarbeit wirklich gebraucht wurde, z. B. während des Krieges, stellte man ihr den Zutritt zu Arbeitsleistungen, die wirklich sehr oft über ihre Kraft gingen und die sie vorher niemals getan hatte, jetzt aber in kürzester Zeit erlernte, nicht nur frei, sondern man forderte diese Leistungen von ihr. Man lockte sie aber nicht etwa durch besonders gute Bezahlung, sondern die Frauenarbeit wurde selbst in Kriegszeiten, so man dringend auf sie angewiesen war, durch Minderlöhne gedrückt, und selbst in Kriegszeiten, wo so viele Männer fehlten, gab es ein erschreckendes Überangebot Ich verweise auf meinen Artikel »Weibliche Ersatzkräfte an der Post«, der am 17. Juli 1915 im »Vorwärts« erschien und die Überbürdung und elende Entlohnung dieser weiblichen Aushilfskräfte darstellte. Die »Antwort« waren / Massenentlassungen, durch die man die Unbekannten, die mir die Informationen gegeben hatten, bestrafen wollte. Ich habe daraufhin das Material an die Reichstagsmitglieder Dr. David und Bauer weitergeleitet, / womit allerdings den Opfern der Massenentlassungen nicht mehr geholfen war. Die meisten haben dann Privatanstellungen gefunden, in denen sie zufriedener waren als / im Staatsdienst..

In der Frauenfrage wird gewöhnlich von einer falschen Problemstellung ausgegangen. Die Frage kann nicht lauten: Was ist für die Rasse gesünder, wenn eine Frau arbeitet oder nicht, / sondern die Frage muß lauten: was ist besser, / wenn die Frau nur in niederen, unqualifizierten Berufen, in denen sie überbürdet und ausgebeutet ist, zu arbeiten Gelegenheit hat, oder auch in hochqualifizierten und besser bezahlten Berufen? Denn da 9½ Millionen (so viele waren es vor dem Krieg) in Deutschland tatsächlich erwerben müssen, so wird sie keine Theorie von diesem Zwang befreien. Es wäre also richtig, auch von seiten der Rassenhygieniker, sich lediglich darum zu kümmern, ob Frauenkräfte mißbraucht, überbürdet und ausgebeutet werden oder ob sie durch bessere Rechte gestützt und vor Mißbrauch bewahrt bleiben. Im übrigen müßte man gerade in diesen Kreisen auf eine allgemeine Frauenrente hinwirken, die jede Frau unabhängig macht und ihr gestattet, nur oder vorwiegend ihren generativen Zwecken zu leben.

Die Frau hat entschieden genügend Spielraum zu außerhäuslicher Tätigkeit überall dort, d. h. in jenen Kreisen, / wo ihr Haushalt nicht ganz auf ihr selbst ruht und wo sie befriedigendere Arbeit finden kann, als die bloße Hausarbeit. Es ist befriedigender, in höheren Berufen Geld und Ehren zu verdienen, als sein Leben damit auszufüllen, die gesamte Hausarbeit zu verrichten. Aber / es ist weitaus besser, die gesamte Hausarbeit zu verrichten, / als in der Fabrik oder in anderen schweren proletarischen Berufen arbeiten zu müssen, z. B. für Soldatenröcke die Knopflöcher zu nähen, an der Knopflochmaschine, auf die, bei jeder Knopflochschlinge, ein eiserner Kolben heruntersaust, mit einer schußähnlichen Detonation. Die Näherin hat also / den ganzen Tag und die halbe Nacht / Tausende solcher Kolbenschüsse dicht in ihre Ohren hineinsausen zu lassen, gleichzeitig mit den Füßen die schwere Maschine zu treten und mit den Händen aufmerksam die Knopflochlasche unter Nadel und Kolben zu dirigieren. »Mißbrauchte Frauenkraft« (Ellen Key) / nur zu wahr!

Dennoch gehen die meisten von den 9½ Millionen / in die Fabrik. Der Zwang muß also recht erheblich sein. Es handelt sich in der bürgerlichen Frauenarbeit um Eintritt in die höheren, dankbareren und besseren Berufe. Und die Emanzipation ist nicht eine Befreiung von den wertvollsten Gütern der Frauenbestimmung, sondern, im Gegenteil, ein Kampf, um sie zu erreichen und, sozial, eine Befreiung von schändlicher, blutsaugerischer Heimarbeit, von der Prostitution und von der Abhängigkeit in schwerster Form, die zur Ausbeutung der Frauenkräfte auf allen Linien führt. Allerdings, wenn eine Frau mehrere Kinder hat, ja wenn sie überhaupt eine Häuslichkeit allein in Ordnung halten soll, auch ohne Kinder, / gehört sie zweifellos »ins Haus« und nirgends sonst hin, besonders wenn sie sich keinerlei häusliche Hilfskräfte halten kann, d. h. wenn ihre außerhäuslichen Arbeiten und die Einnahmen ihres Mannes auch zusammen dazu nicht ausreichen. Da ermögliche man ihr die Hausarbeit, durch deren entsprechende Bewertung von seiten des Staates. Diese Forderung klang utopisch. Sie ist es heute nicht mehr. Um die soziale Tendenz der Zukunft zu erkennen, gerade auch in bezug auf die Frauenfrage, genügt es, eine Erscheinung zu beobachten und zu verstehen, welche, als Symptom, nicht hoch genug zu werten ist. Zum erstenmal in der Weltgeschichte ist eine Forderung, die utopisch klang, Tatsache geworden: nämlich die Versorgung der Frauen und Kinder durch den Staat. Hier und nirgends sonst ist nämlich die einzige Lösung der Frauenfrage. Auf sozialen Frauenschulen oder Frauenhochschulen oder modernen Frauenakademien wird zwar sehr viel weibliches Snobtum gepflegt, allein Berufe, die ganz ausgesprochene Erwerbsmöglichkeiten bieten und stichhaltig sind gegenüber den Katastrophen der Mutterschaft, ergeben sich aus solchen damenhaften Bildungsbestrebungen / mit nichten.

»Allgemein gebildet« werden immer mehr und mehr Frauen, wie sie sich aber innerhalb der jetzigen Gesellschaftsform damit ihr gesichertes Brot verdienen können und für Katastrophen, wie Krankheit, Mutterschaft, Alter, Invalidität und Arbeitslosigkeit sich unbedingt sicherstellen können, ist eine andere, leider noch nicht gelöste Frage. Die Richtlinien zu dieser Lösung gibt uns lediglich, für unser Land, die deutsche Sozialpolitik. »Soziale Fürsorge und deutscher Siegeswille« lautet der Titel einer trefflichen deutschen Rede in schwerer Zeit, die von dem Präsidenten des Reichsversicherungsamtes, Dr. Paul Kaufmann, gehalten wurde Als Broschüre im Verlag von Franz Vahlen, Berlin W 9. … Zum erstenmal haben in dieser Zeit (der Kriegszeit) der Staat und die Gemeinde die notdürftige Versorgung der Frau und des Kindes direkt übernommen, / worauf ich schon hinwies, / durch die Staats- und Gemeindeunterstützungen, welche als obligatorische Leistungen den Kriegerfrauen und ihren Kindern gewährt werden. Und so unzureichend diese Beträge auch sein mögen, so haben wir doch hier den Ansatz zu der Mutter-, Frauen- und Kinderrente, die die Zukunft bringen wird. / Erst wenn diese Forderung erfüllt sein wird, werden die jungen Mädchen wirklich als Lämmchen auf die Weide geführt werden können, ohne mit allerhand Mühsal für ihren künftigen Broterwerb belastet zu werden, wie es der Rassenhygieniker Herr Professor Gruber gefordert hat.

Im übrigen kam, als Rückschlag, gegen die Überschätzung des Berufslebens für das Frauenschicksal, / eine Überschätzung, die die einseitigen Bildungsbestrebungen der Frauenbewegung geschaffen hatten, / die Mutterschutzbewegung, welche eine ausgesprochen geschlechtliche Bewegung ist und sich um die fundamentalsten Ansprüche der weiblichen Natur, sowie um die / Konflikte, die sich daraus im Berufsleben ergeben, nicht herumdrückt. Das ist ihr bleibender kulturhistorischer Wert. Seltsamerweise hat sie bei den Rassenhygienikern / keinen Dank geerntet.

In ungezählten Fällen ermöglicht die Mitarbeit der Frau Mutterschaft und Ehe, und wem diese berufliche Mitarbeit nicht paßt, der muß erst dauernde Staatsrenten für alle diese mittellosen Frauen und ihre Kinder herbeischaffen. Sicherlich muß es ein ausgesprochenes Ziel einer gesunden generativen Sozialpolitik bleiben, eine dauernde Frauen- und Mutterrente einmal in der Gesellschaft zu ermöglichen.

Unabhängigkeit in ihrer persönlichen Entwicklung und auch in der Art ihrer Tätigkeit muß der Frau trotzdem garantiert bleiben, schon deswegen, weil diese Unabhängigkeit das einzige ist, welches davor bewahrt, von typischen schweren Geschlechtsschicksalen und Geschlechtsenttäuschungen zermalmt zu werden. Nur die feste Verwurzelung im eigenen Wirken, in der eigenen Kraft, die sichere Position auf eigenen Füßen wird die Frau, in sehr vielen Fällen, davor bewahren, sich solchen Erlebnissen auszuliefern, oder wird sie, im Fall einer Enttäuschung, leichter darüber hinausführen. Nur dadurch wird sie aus einem gebrochenen Weib wieder ein aufrechter Mensch. In dem Hauptmannschen Drama »Gabriel Schillings Flucht« sagt die junge Lucie, als sie sich nicht mehr geliebt glaubt: »Jetzt habe ich nur einen Plan / irgendwie unabhängig tätig zu sein.«

So ist die Betrachtung der Frauenbewegung von dem sexualen Problem der Frau nirgends zu trennen. Betrachtet man den zermalmenden Turnus der Hausarbeit, dem die Frau des kleinen Mittelstandes buchstäblich ihr ganzes Leben widmen muß, so kommt einem Schopenhauers Bemerkung über den Beruf eines Gastwirtes, die er zu Gwinner äußerte, in Erinnerung: »Wie erbärmlich Zeit und Kräfte des Menschenlebens, das herrlichste und kürzeste, was wir kennen, angewandt und mit unbegreiflicher Torheit verschwendet werden, wird mir am deutlichsten, wenn ich einen Menschen sehe, dessen Arbeit es ist, mir aufzuwarten: wie das unbegreifliche, zusammengesetzte Geschöpf, das herrlichste, höchste der Natur mit den kleinsten Sorgen sich beschäftigt und sich abängstigt, Tage, Monate zubringt, ohne viel andere Gedanken.« Eine ungeheure Summe latenter Energien wird mit jenen Reformen, die die Frau als Hausfrau entlasten und als Mutter beschützen, in ihr frei werden. Die Versorgung der Frau und des Kindes, wenigstens der Grundlage nach, ist der gemeinsame Kardinalpunkt, sowohl / der sexuellen als auch der Frauenfrage. In einer rein kapitalistischen Wirtschaftsform ist diese Frage kaum zu lösen, obwohl, wenn die Notwendigkeit gebieterisch wird, sie dennoch innerhalb unserer Wirtschaftsform gelöst wird und sogar ohne Kampf, blitzartig, über Nacht, wie in Kriegszeiten; da war es unerläßlich notwendig, / und darum geschah es. Und der Staat hatte die Mittel dafür und zwar gerade zu einer Zeit, wo er ein abnormales Budget hatte und Milliarden für den Krieg selbst flüssig machen mußte. Trotzdem reichte es noch / zur Frauen- und Kinderrente. Denn: es war notwendig. Diese Erscheinung ist ein gewaltiges Symptom einer neuen Zeit, und die Frauenrente findet ihre tief bedeutsame Ergänzung in der Hinterbliebenenfürsorge.

Durch den Krieg und die Ausmerzung der Männer in der Mittagshöhe ihrer Geschlechtlichkeit hat die Konjunktur der Versorgung der Frau durch den Mann und der Erreichung der Ehe eine weitere Verschlimmerung erfahren. Immer notwendiger wird daher eine zielbewußte, unblutige Kolonialpolitik, welche den Frauenüberschuß exportiert. Im Interesse der Erhaltung der Monogamie, der Unterbindung der Prostitution, muß diese Kolonialpolitik gefordert und begünstig werden. Und das überzählige Frauenmaterial eines Landes, womöglich die unverbrauchten, kräftigen Mädchen, sollten, mehr noch als es jetzt geschieht, in fremde Erdteile hinauswandern, von der Heimat richtig beschützt und geleitet, unter Umständen auch in die gutgeleiteten Kolonien nicht nur des eigenen Volkes sondern auch fremder Völker. In Kanada, ebenso wie in Afrika, ist jede weiße Frau eine Kostbarkeit und zur Ehe höchst begehrt. Die ganze Frauenbewegung ist ohnehin nichts anderes als ein notwendiger Anpassungsprozeß. Und so wird auch die Auswanderung aus der Heimat, in der die zur Ehe und Mutterschaft willige Frau nicht mehr darauf rechnen kann, den Gatten zu finden, ein notwendiger weiterer Schritt in diesem Sinne sein.

Durch eine Auswanderung auch in fremde Kolonien braucht man nicht zu befürchten, daß dem Deutschtum Abbruch geschieht, / im Gegenteil / jeder Auswanderer ist ein Verbreiter der Kultur seines Landes und wird, ganz automatisch, zum Missionar für sie. Die Verbreitung deutschen Geistes und deutschen Blutes über die Erde / kann dem Deutschtum nur zur weiteren Stärkung gereichen.

VIII.
Bekämpfung der Frauenbewegung

Was soll also diese sinnlose Bekämpfung der Bemühungen der Frauen um Erwerb, da sie doch von unerbittlichen Nahrungsnotwendigkeiten diktiert sind? Und wenn die Bewegung der Frau als ein »Aufstand« zu betrachten ist oder sogar, wie Nietzsche es in seinem Hang zum Aperçu formulierte, als »Sklavenaufstand«, so ist darauf mit einem Wort von Popper-Lynkeus zu erwidern: »Aufstände beweisen doch zur Evidenz, daß man einen gegebenen Zustand nicht länger ertragen, ja, daß man für seine Befreiung selbst das Leben einsetzen will; es hat also doch schon damals, unseren Geschichtsphilosophen zum Trotz, Menschen gegeben, die die Sklaverei als eine grausame Institution empfanden, nämlich eben jene, die darunter litten. Daß die Sklavenbesitzer diese Empfindung nicht hatten, versteht sich von selbst, und so ist es seit jeher gegangen und es geht heute noch. Man glaube nur nicht, daß die Empfindung für das, was weh tut, im Laufe der Jahrtausende sich gar so sehr geändert hat; die Institutionen selbst haben sich allerdings, von kurzen Perioden abgesehen, immer mehr humanisiert.« »Das Individuum und die Bewertung menschlicher Existenzen.«

Die Zeiten, wo man, aus faulem Ästhetizismus heraus, die Ansprüche der Humanität mißachten konnte, sind vorbei. Auch heute können zwar die Ansprüche der Humanität noch mißachtet werden, / und werden es, / aber nur aus anderen Gründen …

Bei Erwähnung Treitschkes heißt es bei Popper-Lynkeus: »In dem Essay: ›Der Sozialismus und seine Gönner‹ sagt Treitschke: ›Eine Statue des Phidias wiegt alles Elend der Millionen antiker Sklaven auf.‹ Das kann man Treitschke gern glauben, daß, wenn andere Sklavendienste verrichten müssen, er eine Statue des Phidias mit großem Genuß und Behagen ansehen mag … Wie nützlich wäre es, wenn man Menschen mit solchen Ansichten, / die man ja eigentlich nicht widerlegen kann, / in ihre eigenen Prinzipien niedertauchen könnte, um dann zu sehen, ob sie, wenn sie ihre Ansichten fühlen gelernt haben, dieselben noch aufrechterhalten! Treitschke z. B. auf fünf Jahre irgendwohin in die Sklaverei schicken und nach Ablauf dieser Frist ihm eine Naturalwohnung im Berliner Museum einräumen, wo er den ganzen Tag antike Statuen bewundern kann; dann ihn fragen, wie ihm das behagt, / das wäre die richtige Kur für ihn gewesen; so oder ähnlich, denn anders bringt man solche Naturen nicht zur Achtung vor menschlichen Existenzen« Ich möchte hier auf die jetzt doppelt beachtenswerte Schrift von Popper-Lynkeus: »Das Individuum und die Bewertung menschlicher Existenzen« ganz besonders hinweisen. Denn in dieser Schrift wird der Wert des Menschenlebens aus den tiefsten Quellen des ethischen Gefühls und gleichzeitig des gesunden und gerechten Verstandes dargetan so, daß man heute ganz besonders daran denken muß. Die schlagendsten Argumente, die es gegen den erzwungenen Kriegsdienst geben kann, sind darin gefunden. Und wenn jemals jemand den Nobelpreis verdiente, so ist es dieser Forscher.

»Die Lehre Lamarcks und Darwins, die das große Gesetz der Anpassung der Organismen an die sie umgebenden Lebensbedingungen offenbarte, enthält die stärkste Begründung für die veränderte Haltung der Frauen. Nicht Abenteuerlust treibt ein Wesen dazu, neue Organe und Fähigkeiten aus sich heraus zu entwickeln, sondern zwingende soziale und biologische Gesetze. Und darum ist die Frauenbewegung nicht Unnatur, sondern entspricht durchaus naturhaften Evolutionsgesetzen.« Aus einem Vortrag von mir: Die Frau in der wissenschaftlichen Weltanschauung.

Den Trieb, etwas zu vollbringen, hat der Mensch, solange er lebt und gesund ist. Die Frauentätigkeit, wenn sie nur generell ist, hört mit dem Weggang des letzten Kindes aus dem Elternhaus auf. Was bleibt dann? Vorzeitige Alterserscheinungen treten bei der Frau ein, wenn sie jedweder Tätigkeit beraubt ist. Also auch schon deshalb braucht die Frau eine über das Generelle hinausgehende Interessen- und Wirkungssphäre, weil man es, unbeschäftigt, auch im Alter nicht aushält, dann um so weniger, wenn gewisse Zerstreuungen, die sich nur der Reichtum erlauben kann, wie z. B. Reisen, reges gesellschaftliches Leben usw., nicht in Frage kommen.

Der Bildungshunger und die geistigen Bedürfnisse der erweckten Frauenseele sind ein Motiv der Frauenbewegung gewesen, der positive Hunger, die Unmöglichkeit, sich auf andere Art als durch eigene Arbeit Nahrung zu beschaffen, war das andere, und / die sexuelle Krise war das dritte. (Vielleicht ist sogar die Reihenfolge nicht ganz richtig.)

Daß diese spezielle Krise, die sexuelle, das Proletariat weniger bedrückt als andere Klassen, ist auf der Hand liegend. Ich habe schon im ersten Teil dieser Untersuchung darauf hingewiesen, daß im Proletariat die sexuelle Krise nicht spezifisch in Erscheinung tritt, sondern mit der großen allgemeinen sozialen Krise teils verschmilzt (Frühtod und Verkümmerung der Kinder, Prostitutionsgefahr für die Töchter, elende Wohnungsverhältnisse mit ihren Folgen der sittlichen Verwahrlosung), teils von der sozialen Frage überhaupt absorbiert wird. Man kann aber in dieser sexuellen Krise nicht, wie eine sozialistische Referentin meines Buches meinte, einen Konflikt sehen, dem die sogenannten »Besitzenden« durch ihren »Müßiggang« ausgeliefert sind. Diese Krise ist eine Folge des Frauenüberschusses und des Kapitalismus, welche beiden Faktoren wieder eine bestimmte Wirkung auf das Überhandnehmen der Paniximie, der Anarchie des Geschlechtslebens ausüben, und welche wiederum, als Folge, die Abnahme der Ehewilligkeit des Mannes hervorbringen, die durch den Mangel an Nahrungsspielraum noch verschärft wird.

Diese Krise trifft vor allem jene Klasse, welche von zwei Seiten drangsaliert wird; von den wirklich Besitzenden, mit denen sie eine ganze Menge wirklicher, nicht eingebildeter Bedürfnisse gemeinsam hat und von der Klasse des Proletariats, das, mit Recht, seine Ansprüche machtvoll geltend macht. Die soziale Not ist aber nicht nur die der Arbeiterklasse! Die Klasse des Mittelstandes hat noch ihre spezifische sexuelle Not. Diese Klasse, die annähernd so groß ist, wie die Arbeiterklasse, hat meist, ohne von Haus aus irgendwie gesichert zu sein, die Aufgabe, fast die Hälfte ihres Lebens an die Vorbereitung zum Beruf bzw. an die Anbahnung einer Existenz verwenden zu müssen, und die ihr angehörenden Männer verdienen in einem Alter, in dem der tüchtige Arbeiter von Fach seine Familie erhalten kann, nichts, oder so gut wie nichts, und sind in einem Alter, in welchem sie in hohem Grade zeugungswillig, zeugungsfähig und sogar zeugungspflichtig wären, so gut wie existenzlos. Erst wenn sie ihre besten Kräfte in scharfer Arbeit, die nicht mit dem Glockenschlag beendet ist, wie die des organisierten Arbeiters, verbraucht haben, können sie, mit knapper Mühe, daran denken, das Risiko der Familiengründung auf sich zu nehmen, und sind auch dann, wenn sie sich einen möglichen Aufstieg nicht abschneiden wollen, genötigt, bei der Eheschließung die pekuniäre Seite nicht außer acht zu lassen, zumal hier die Erziehung der Kinder, auch ohne jeden Luxus, ganz besonders große Kosten macht. Und ganz gewiß soll jeder Mensch wohl seine Kinder mindestens auf dieselbe soziale Stufe zu bringen suchen, auf der er selbst steht, und wird sich darum schwer hüten, wenn er Gewissen hat, sie als Massenware in die Welt zu setzen, die durch den Frühtod, durch Elend oder durch Kriege ausgerottet werden muß, damit wieder »Luft« werde für alle …

Die erwähnten Bedürfnisse der Mittelklasse sind keineswegs solche, daß man sie mit leichter Hand als Standesvorurteile über Bord werfen könnte. Das beweist ja die Lebensführung der intellektuellen Führer des Sozialismus selbst. Auch diese leben auf dem vielverpönten » bürgerlichen« Fuß, und sie müssen es, denn ein Narr wäre derjenige, der da glaubt, daß das produktive Gehirn nicht eine ganz bestimmte Lebenshaltung erfordert, um produktiv bleiben zu können. Die Auffassung jener Sozialdemokraten, die mir einer von ihnen einmal dahin erklärte, jeder Mensch habe alle grobe Arbeit selbst zu leisten (der bekannte Tolstoische Irrtum), und Bebel hätte die von ihm verfaßten Flugblätter eigentlich auch selbst austragen müssen, halte ich für so grundverkehrt, daß eine Antwort darauf beinahe überflüssig erscheint, wenn sie es auch leider nicht ist. Zu einer gewissen Art stark intellektueller Arbeit gehört eine gewisse Entlastung von physischer Arbeit, gehört ferner eine den Zwecken der geistigen Arbeit entsprechende Nahrung, Wohnung, Erholung usw. Die Lebenshaltung, die hier notwendig wird, ist teuerer, als die des nur physisch Arbeitenden, auch wenn dort, mit Recht, die Bedürfnisse hoch gestellt werden. Die Bedürfnisse selbst sind im übrigen verschieden und hängen wieder von den Wegen und Zielen ab, die zu bestimmten Berufskategorien gehören. Dazu kommt, daß die freien Berufe der Privatwirtschaft oft sehr unsichere und schwankende Einkünfte ergeben und die Existenz nicht selten, / überall da, wo nicht ererbtes Kapital in genügender Menge vorhanden ist, / nur mit einem Aufgebot von Mühe und Sorge erhalten wird. Treffend sagt Popper in seinem Fundamentalwerk, welches erst das nächste Jahrhundert in die Wirklichkeit übersetzen wird »Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage.« Alle Werke von Popper-Lynkeus, auch die berühmt gewordenen »Phantasien eines Realisten«, 18. Aufl., sind im Verlag von Carl Reißner, Dresden, erschienen.: »Die Schwierigkeiten des Erwerbs sind ein fundamentaler Wertigkeits-Koeffizient, der uns bei den statistischen Resultaten stets unbekannt bleibt.« Das heißt: daß von den zermalmenden Sorgen, die mancher Mensch sein ganzes Leben lang um den morgigen Tag hat, die seine Schaffenskraft untergraben und lähmen, / in sozialen Statistiken nichts zu finden ist. Dennoch gehört nicht nur die Sicherung vor der positiven Not, sondern auch die Sicherung vor der zermalmenden Sorge, daß die Not vor der Türe steht, mit in die wirkliche Lösung eines sozialen Programms, welches, wenn es erst realisiert wird, auch jene Art von Frauenarbeit, die die generativen Kräfte der Frau schädigt, unnötig machen wird. Die Angst vor der Not, d. h. die stetige Sorge um die Existenz, ist die Folge des mangelnden Nahrungsspielraums in Europa, aus dem sich wieder eine ganze Reihe anderer Folgen, die die Verhältnisse immer mehr komplizieren, / deren eine die sexuelle Krise und deren schärfste der Krieg ist, / ergeben.

Viele Äußerlichkeiten der Frauenbewegung waren danach angetan, abstoßend zu wirken. Im ersten Teil dieser Untersuchung habe ich in Kapitel 7 »Geschlechtsnot und Frauenbewegung« auf den Typus der vom Geschlecht und nicht fürs Geschlecht Emanzipierten hingewiesen. Es war mir wertvoll, daß, wie mir bestätigt wurde, meine Untersuchungen imstande waren, gerade solche Persönlichkeiten, die von der dürren Einseitigkeit der offiziösen Frauenbewegung abgeschreckt waren, wieder über ihre tiefsten Motive zu belehren. Eine sehr bekannte Dichterin schrieb mir, daß sie drauf und dran wäre, »gänzlich die Fühlung mit ihr zu verlieren … Durch Sie aber ist mir nicht nur die innere sittliche Berechtigung und Notwendigkeit der Frauenbewegung wieder klar geworden, sondern auch die Pflicht, an seinem Teil bei ihrem Werk mitzuhelfen«. Eine Frauenbewegung, die das zentralste Frauenproblem, das sexuelle Problem, in seiner Tragweite, in seinen Folgen und in den notwendigen Folgerungen, die sich aus deren klarer Betrachtung ergeben müssen, leugnet, wird nach und nach zum Spinstertum, / wie die Engländer es nennen /, das, trotz allen lauten äußeren Gebarens eine verödende Note ins öffentliche Leben bringt.

Die Art, wie sie z. B. oftmals »soziale Wohlfahrtstätigkeit« betreiben, kann einen mit Schauder erfüllen. Ihre Wohltätigkeit weist manchmal einen nahezu sadistischen Zug auf. Sie geben oft »Ratschläge«, ja Vorschriften, durch deren Befolgung sich der wirtschaftlich in Bedrängnis geratene Mensch vollends zugrunde richten würde. Z. B. rieten sie einer jungen bühnenreifen Sängerin von erster Qualität, die schon im Engagement gewesen war, ihr ganzes Vermögen von 30 000 M. auf ihr Studium verwendet hatte und durch den Krieg engagementslos war, / sie rieten, ja, sie befahlen ihr, / indem sie eine minimale einmalige Unterstützung von der Befolgung des Befehls abhängig machten, / ihr Studium bei ihrer Meisterin, die sie ohne Bezahlung um ihres großen Talentes willen weiter bildete / aufzugeben und nach Hause zur Mutter zu fahren, die selber in den dürftigsten Verhältnissen lebte.

Über die Schrecken, die eine hochbegabte Deutsche, die ihre Existenz an der Sorbonne in Paris gehabt hatte und durch den Krieg flüchten mußte, von Seiten der »professionellen Wohltätigkeit« in der Heimat durchzumachen hatte, hat mir diese junge Dame die erschütterndsten Briefe geschrieben. Sie, die durch den Krieg alles eingebüßt hatte und während der Flucht in Genf operiert werden mußte, siech und krank und lahm, aller Mittel und aller ihrer Habe beraubt, in der Heimat ankam, konnte durch viele Monate nirgends Hilfe finden und wurde stellenweise (in der Heimat) als »Abgeschobene« behandelt. Die Wohltätigkeitsdame, die bei ihr in ihrer Mansarde inspizierte, tadelte es z. B., daß sie für Beleuchtung etwas ausgebe, das könne man doch sparen, wenn man sich »rechtzeitig« (das ist im Winter um 5 Uhr nachm.) zu Bett begebe. Wie sinnlos und nur einem boshaften, grausamen Instinkt entsprungen diese »Ratschläge« vielfach sind, zeigt die weitere Bemerkung dieser von echt »christlicher« Caritas geleiteten Dame, betreffend die Beleuchtung. Sie meinte nämlich, als die junge Dame klagte, sie hätte hier auf der Mansarde nicht einmal Gasbeleuchtung / (Petroleum war nicht zu haben), unter solchen Verhältnissen könne sie das auch nicht beanspruchen. Dabei kostet eine Kerze 30 Pf., und daß Gas billiger ist, wie jede andere Beleuchtung, müßte die Wohltätigkeitstante, die das Budget der Bedürftigen fixiert, doch wissen!

In einem Feuilleton, betitelt; »Die immer am Abgrund standen« im »Berliner Tageblatt« vom 25. August 1915, hat die Verfasserin, Dr. Alice Salomon, das Elend einer bestimmten Menschenklasse im »Plauderton« erörtert und die Mehrzahl der Angehörigen der sogenannten »freien Berufe« als eine Menschensorte gekennzeichnet, die eigentlich immer am Abgrund stand und durch den Krieg sozusagen bloß den letzten Stoß bekommen hat. Die Schilderung, die sie von dieser Menschenart gibt, läßt sie als ein großes Heer von »entgleisten Existenzen« erscheinen, Bummler- und Bohèmenaturen / und das Fazit, das man demzufolge aus dem Artikel ziehen muß, ist, daß sich jede Art von Kriegshilfe diesem Menschenmaterial gegenüber eigentlich sehr schlecht lohne.

Diese Gesinnung ist antisozial, besonders in dieser Zeit, und sie zeugt zudem von einer erstaunlichen Oberflächlichkeit der Betrachtung, von dem Mangel jedweden Verständnisses für soziologische Zusammenhänge. Diese Gesinnung, propagiert an viel gelesener Stelle, ist geeignet, die Hilfs- und Gebefreudigkeit, die so dringend nottut, zu lähmen.

Am Rande des Abgrundes stehen innerhalb unserer Wirtschaftsordnung, welche alle Merkmale des Überganges zu einer anderen trägt, / alle diejenigen Existenzen, die nicht Kapital ererbt haben oder nicht in genügender Menge, so daß es weder in Geschäftsunternehmungen noch in anderen spekulativen Anlagen, z. B. in Immobilien angelegt zu werden braucht, sondern als bares Vermögen, in mündelsicheren Anlagen, zu 2–3% auf der Bank liegt, es sei denn, daß sie sich in staatlichen Anstellungen befinden, oder sehr sicher fundierte Geschäfte haben, die ohne viel Kapital kaum zu denken sind. Alle anderen aber stehen innerhalb einer Wirtschaftsform, welche noch nicht genügende sozialpolitische Sicherungen für jedes Individuum gewährt und welche nicht mehr die Grundlagen der früheren patriarchalischen Wirtschaftsordnung hat, die nur im Feudal- und Agrarstaat möglich waren, nicht mehr aber im Industrie- und Kapitalstaat, / am Rande des Abgrundes. Kommt nun eine Weltkatastrophe wie dieser Krieg, der die Männer und Ernährer gewaltsam fortreißt, der die kaufmännischen Kapitalsanlagen vernichtet oder den Gewinn daraus untergräbt (was z. B. für alle die der Fall ist, die ihr Vermögen in Häusern angelegt haben, aus dem sie bisher / dank verkehrtester Bodenreform, die das Großkapital verschont und den schwer ringenden Mittelstand zerschmettert, / einen von Jahr zu Jahr geringer werdenden kleinen Überschuß zogen, die aber durch den Krieg und die Mietsausfälle, die sich durch den Kriegsdienst der Mieter ergeben, auch diesen Überschuß bzw. durch Fälligkeit der Hypotheken vielfach sogar die Objekte selbst verloren), / so werden positiv alle die Familien und Einzelexistenzen, die auf die Arbeit des Mannes angewiesen waren und, wie gesagt, nicht genug flüssiges Kapital erübrigen konnten, welches geschäftlich nicht zu roulieren brauchte und mündelsicher zu 2% auf der Bank lag, ausnahmslos am Abgrund stehen bzw. hineinstürzen, wenn nicht das bewußte soziale Empfinden der Zeit sie davor bewahrt.

In einer Ehe z. B., wo sogar beide Teile, mit Begabung und Erfolg, ihren Berufen nachgingen, kann man doch gewiß nicht von entgleisten Existenzen sprechen, wenn der Mann in den Krieg gerissen wird, und anstatt seiner bisherigen geregelten, festen Einnahmen nun plötzlich auf 33 Pf. täglich gesetzt ist und wenn die Frau, vielleicht eine Künstlerin, mit ihrer Kunst allein unmöglich ein Familieneinkommen beschaffen kann, besonders nicht in einer Zeit wie dieser; außerdem ist die Voraussetzung jedes erfolgreichen künstlerischen Wirkens der wenigstens einigermaßen gesicherte Unterhalt, da niemand, dem plötzlich jeder Boden unter den Füßen entzogen wird, noch schöpferisch gestalten kann, sondern froh sein muß, wenn er in solcher Katastrophe / eine Nervenkrise überwindet. Vor allem aber muß er, während er gestaltet, zu essen haben und alles, was er sonst braucht.

Ob es von sozialem Sinn zeugt, wenn man z. B. einer Schriftstellerin von großer produktiver Kraft und von bedeutendem Namen, die durch die Kriegskatastrophe plötzlich dem Nichts gegenüber steht und der Grundlage beraubt ist, welche die Voraussetzung freier schöpferischer Produktivität ist, / ob es Wohlfahrtstätigkeit ist, wenn man ihr empfiehlt, sich mit Stricken zu »ernähren« (?), womit sie 50 bis 75 Pf. täglich verdienen könne, oder wenn man ihr empfiehlt, sich bei der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft zu melden, wo noch weibliche Kräfte zum Einwickeln der Lampen gesucht werden (in wenigen Tagen war auch dieses kostbare Amt überfüllt), / das lasse ich dahingestellt. Aber in welcher Gesellschaftsordnung wir leben, die solche Erscheinungen möglich macht, und die ein solches / »Mäcenatentum« zeitigt, / und ob auf solchen Grundlagen für eine Steigerung der Geburtenrate plädiert werden kann, / das wird daraus klar, ohne Kommentar.

Es liegt etwas unsagbar Peinliches darin, etwas für unser Gefühl gerade in dieser Zeit schwer Beleidigendes, wenn sich eine »saturierte Existenz« in die Brust wirft und von den »Entgleisten« spricht, / die, ihrer Meinung nach, alle jene sind, die über die »unterste Stufe« ihres Berufes »nie hinauskamen« (!!! / Dostojewsky / Kleist / Heine / Schopenhauer!!!) während u. E. alle jene »entgleisen« können, die entweder kein Kapital ererbt haben oder es in dieser Zeit nicht nutzbringend machen können und nicht im Staatsdienst stehen, wo sie allerdings, in dieser Zeit, wo andere alles verlieren, noch sehr erhebliche Kriegszulagen bekommen / ich verweise auf die Reichstagsdebatte vom 25. August 1915.

Dr. Alice Salomon weist darauf hin, daß die meisten Angehörigen der freien Berufe »wie Findlinge dastehen«, d. h. keinen Rückhalt an ihrer Familie haben. Sie haben wohl Familie, gewiß, warum nicht, und sie sind durchaus nicht mit der Familie »zerfallen«, aber in unserer Wirtschaftsepoche sind patriarchalische Verhältnisse, wonach früher die bodenständige Agrarfamilie für eine große Sippe sorgen konnte, ausgeschlossen. In unserer Wirtschaftsepoche hat jeder mit sich zu tun, und wenn ein Onkel oder eine Tante selbst Kinder haben, so werden sie Gott danken, wenn die satt werden und unmöglich noch alle ihre gefährdeten Familienmitglieder versorgen können; und ihre Väter können sie doch nicht noch im Grabe schützen!

Mehr denn je ergeht in solchen Zeiten an die Allgemeinheit, insbesondere an die großen Vermögen, der Appell tatkräftigster Nächstenhilfe!

Von dem Geiste, mit dem die »Hilfsstelle für die Angehörigen der freien Berufe«, an deren Spitze Dr. Alice Salomon steht, geleitet wird, kann man sich, ohne sie zum Glück aus Erfahrung zu kennen, ein Bild machen. Es genügen dazu einzelne Sätze aus dem Artikel von Alice Salomon, um diesen abstoßenden, pharisäerhaften Zug zu charakterisieren: »Ein hungriger Magen und ein seidenes Kleid; ein verpfändeter Schmuck und geliehene Möbel, aber eine Wohnung im Vorderhause.« Es gibt tatsächlich keine Lebenslage, in der man den bösartigen, lange gehegten Neid gerade auf die Persönlichkeit so kennen lernen kann, als wenn man plötzlich wirtschaftlich in eine gefährdete Lage kommt, sei es deshalb, weil man alles, was man hatte, fürs Vaterland hergeben mußte, oder sei es durch die typischen Krisen der gegenwärtigen Wirtschaftslage. Es gibt tatsächlich Individuen, die einem mit giftigen Worten in solcher Lebenslage ein gutes Kleid, das man zum Glück noch hat, vom Leibe reißen möchten und es gern sehen würden, wenn man in seinem Äußern verfallen würde. Und diese selben Leute halten Versammlungen ab, wo sie zu unbegrenzter Volksvermehrung Alarm blasen!

Für die früher erwähnte vertriebene Auslandsdeutsche war nirgends in der Heimat / Nahrungsspielraum. Schwer operiert, blieb sie in einer süddeutschen Stadt liegen. Obwohl sie nach Berlin ortszugehörig ist, schrieb man ihr von dort, von allen Flüchtlingsstellen, an die sie sich wandte, / ohne »feste und gut bezahlte Stellung« möchte sie ja nicht nach Berlin kommen, denn man könne hier niemand mehr ernähren. Da sie dauernd siech ist, ist an »feste, gut bezahlte Stellung« wahrscheinlich niemals wieder für sie zu denken. Von keiner Seite wurde dieser Ärmsten geholfen, und sie mußte die Mildtätigkeit durch Erbittung allerkleinster Gaben in Anspruch nehmen. Unfaßbar ist es, daß nicht jeder deutsche Flüchtling denselben Anspruch an eine Minimalrente hatte, der den Frauen der Krieger gegeben wurde. Als die arme, kranke Flüchtige endlich in Berlin untergebracht war, wohnte sie zuerst in einem Hilfsbundheim, wo die Verhältnisse derartige waren, daß sie, als sie endlich von dort weg und sich ein leeres Zimmer für 8 Mark monatlich mieten konnte, in dem nichts stand, als ein Feldbett, / mir schrieb: »Ich fühle mich hier, wie neugeboren!« …

Und ein solches Elend wagte man über Millionen Menschen zu bringen. Millionen Menschen mußten ihr Leben hergeben und ihre Existenz im Stich lassen, ohne gefragt zu werden, ohne daß es ihr freier Entschluß war …

Ohne weiteres müßte ein Mensch, dessen Gesundheit gebrochen ist, in einer richtig funktionierenden Gesellschaft für immer Versorgung finden und zwar eine, die seinem Bildungsgrad entspricht.

Wenn die, »die am Abgrund stehen«, die ein einziger Stoß in diesen Abgrund schleudern kann, von denen in den geschützteren Positionen immer an diesen Abgrund gedrängt wurden, so haben wir hier einen schweren Defekt in der gesellschaftlichen Organisation, dem unser in diesem Weltgericht neuerwachtes Sozialempfinden, will's Gott, abhelfen wird und muß.

Ich verweise hier auf die schon einmal erwähnte Schrift von Professor Dr. Theodor Beer »Friedensmöglichkeiten« in der Zeitschrift »Das neue Europa«, Zürich, Oktober 1915, Sonderdruck. Von Poppers Werken kommt in diesem Zusammenhang besonders »Das Recht zu leben und die Pflicht zu sterben« und »Das Individuum und die Bewertung menschlicher Existenzen« in Frage. Carl Reißner, Dresden. Vgl. auch meinen Festartikel »Joseph Popper-Lynkeus. Zu seinem 75. Geburtstag«, erschienen am 21. 2. 1913 im »Zeitgeist« des »Berliner Tageblatt«, ferner die Selbstbiographie von Popper als Manuskript gedruckt, Spamer, Leipzig., welche besonders deshalb zu empfehlen ist, weil sie eine vorzügliche Einführung in die in diesem Buch vielfach erwähnten Werke des größten Sozialethikers unserer Zeit, Josef Popper-Lynkeus, bietet, der sowohl über die Nährfrage als auch gegen den erzwungenen Kriegsdienst das Entscheidende gesagt hat. Professor Dr. Beer führt in seinem Artikel (an welchem wir nur die Verneinung des metaphysischen Momentes zu bemängeln haben), über Poppers Werke das folgende aus: »Die Achtung des politischen Individuums hat Rousseau fest gegründet; die stärkste Anregung zur Achtung des physischen Individuums, welche vielen Europäern noch nottut, werden sie dem genialen, ganz originalen Sozialethiker Joseph Popper zu danken haben … Ob ein zu führender Krieg notwendig, ob er gerecht, ob er ausreichend vorbereitet ist, das eben soll in Zukunft nicht heimlich ein Privilegierter, ein Konsortium, eine Minorität, auch nicht eine Majorität entscheiden, sondern nur jeder einzelne für sich selbst, weil es dabei um sein eigenes unersetzliches Leben geht

Dieser lauteste Flügel der Frauenbewegung, der mit großem Getöse die »Marksteine« setzt, der sich am meisten in der Öffentlichkeit bemerkbar macht und sich immer der herrschenden Windrichtung anpaßt, z. B. jetzt plötzlich die Forderungen des Mutterschutzes, den sie zehn Jahre bekämpft hatten, am stärksten in den Vordergrund schiebt, um damit Bevölkerungspolitik im Sinn der Oberflächenstimmung zu treiben, ist nicht identisch mit der wirklichen Lenkung der Bewegung, die die Direktiven für die Zukunft gibt. Die bewußte charaktervolle Lenkung der Frauenbewegung, ohne opportunistische Schwankungen, ohne die Furcht vor der Gründlichkeit der Betrachtung, knüpft sich in Deutschland besonders an die Namen Hedwig Dohm und Minna Cauer. Hedwig Dohm, die Dichterin, hat die ersten Vorpostengefechte der Bewegung geliefert und trotz ihrer abseitigen, auf Vertiefung und Innerlichkeit gerichteten Wirksamkeit, die Fahne nicht sinken lassen. Jede Zeile, die sie schrieb, ist durch und durch von lebendigster, persönlichster Initiative erfüllt.

»Man kann gar nicht genug persönlich sein; die Persönlichen heißen Dante, Shakespeare, Rabelais, Molière, Hugo … Das Ich erfüllt ihre Werke … Wir müssen den Verfasser sehen, ihn lachen und weinen hören, ihm in Verstand und Wahnsinn folgen. Was wir in einem Werke suchen, das ist ein Mensch.« Ein Ausspruch von Zola, als Motto zu meinem Festartikel »Hedwig Dohm«. Zu ihrem 75. Geburtstag 1908 / aufgenommen in dem Band »Betrachtungen zur Frauenfrage«, Prometheus-Verlagsgesellschaft, Berlin W 30.

Minna Cauer, die Herausgeberin der Zeitschrift »Die Frauenbewegung« wirkt mit einem bewunderungswürdigen Einsatz von persönlicher Tatkraft, und ihre charaktervolle Entschlossenheit, besonders bei »Krisen« wie z. B. jene es war, die sich durch die Spaltung in der Frauenstimmrechtsfrage vollzog, hat die Frauenbewegung mehr als einmal davor bewahrt, sich in Sackgassen zu verrennen. Beide Frauen haben das biblische Alter schon überschritten und liefern in ihrer Person den Beweis dafür, daß Wissen und Wirken, auch außerhalb der bloßen Gattungssphäre, für die weibliche Persönlichkeit eine dankenswerte Aufgabe und geeignet ist, das Leben der Frau zu verlängern und zu verjüngen. »Gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen, aber gegen den zu frühen Tod des Weibes sind viele Kräutlein gewachsen …« Hedwig Dohm.

IX.
Konflikte in der Praxis

»Das Hauptbedürfnis der schwangeren Frau ist Ruhe … Jede Arbeiterin hat Anspruch auf Ruhe während der letzten drei Monate ihrer Schwangerschaft«, / so lautete der Beschluß des Internationalen Kongresses für Hygiene im Jahre 1900. »Aber dieser Beschluß kann nur durch die Mitwirkung der ganzen Gemeinschaft zur Ausführung kommen. Denn es genügt nicht zu sagen, daß jede Frau in dieser Zeit ruhen sollte, es ist vielmehr Sache der Gemeinschaft, ihr diese Ruhe auch zu sichernHavelock Ellis. Nach dieser Erkenntnis des Internationalen Hygienekongresses ist also eine Arbeitsunterbrechung für die Schwangere und Gebärende von 4–5 Monaten mindestens notwendig, wenn nicht nur das Wohlbefinden der Mutter, sondern auch das Schicksal des Kindes günstig beeinflußt werden soll. Solche Arbeitspausen bietet heute noch kein Betrieb, der verheiratete Frauen beschäftigt. Nichtsdestoweniger liegt hier durchaus kein unlöslicher Konflikt vor, sondern eine Frage, die durch eine umfassende und tiefgreifende Sozialpolitik sehr wohl zu lösen ist. Auf den grundlegenden Instinkt, der die Anstellung der verheirateten Staatsbeamtin und Lehrerin ablehnt, habe ich schon an früherer Stelle hingewiesen und diesem Instinkt einige Berechtigung zuerkannt. Man ist jetzt dabei, hier positive Erfahrungen zu sammeln. Die Freie Vereinigung deutscher Volksschullehrerinnen hat gegen das Staatszölibat der Volkserzieherin, der Lehrerin, Stellung genommen.

Von Interesse ist es, daß, während der Erlaß des Preußischen Kultusministers vom 8. 11. 1907 tatsächlich an der Zölibatsklausel rüttelt, indem er die Fortsetzung des Volksschuldienstes auch als Gattin und Mutter vorsieht, der Landesverein preußischer Volksschullehrerinnen in Berlin trotz der Tatsache von 9½ Millionen berufstätiger Frauen in Deutschland, von denen 4 Millionen in der Ehe stehen, eine Resolution gefaßt hat, die päpstlicher ist wie der Papst, in der rundweg die Verbindung von Lehrberuf und Mutterschaft im allgemeinen als nicht für angängig erklärt wird. Die Lehrerinnen selber, und zwar der ältere Jahrgang, haben sich gegen die Lockerung der Zölibatsklausel gesträubt und die anderen, die jüngeren, überstimmt. Ein Aufruf der Freien Vereinigung deutscher Volksschullehrerinnen meint dazu: »Wir verstehen es durchaus, daß die älteren Kolleginnen, die die Majorität hatten, so und nicht anders beschließen mußten. Sie sind im Zwangszölibat grau geworden. Auf der andern Seite aber steht das junge Geschlecht, das, unter der Sonne der deutschen Frauenbewegung herangewachsen, sein einfachstes Menschenrecht und zugleich das Recht der Selbstbestimmung fordert. Unter diesen Frauen sind viele, / die dem Staat hochbegabte gesunde Kinder schenken könnten. Sie wollen aus der Berufsarbeit die Arbeit ihres Lebens machen und dem Werke der Volkserziehung treu bleiben durch alle Wechselfälle des Lebens. Sie sehen in der Ehe die große Erziehungsschule für den Volkserzieher und zugleich eine Kraftquelle für Mann und Weib. Sie haben eingesehen, daß der Zwang zu einem ehelosen Leben die normale Entwicklung der Persönlichkeit behindert, und sie halten es für ihre Pflicht, dieser Beschränkung der Entwicklung zur Persönlichkeit entgegenzutreten. Sie wissen sich darin eins mit den Standesorganisationen aller Kulturstaaten und unterschreiben voll und ganz die von den österreichischen Lehrerinnen und Staatsbeamtinnen angenommene Resolution, die das Zölibat ablehnt.«

Die Freie Vereinigung deutscher Volksschullehrerinnen hat einen besonderen Ausschuß für Beruf und Ehe organisiert, dessen Aufgabe es ist, statistisches Material über die Zahl der verheirateten, verwitweten und geschiedenen Frauen im Schuldienst anderer Staaten zu sammeln, die Forderungen der Lehrerinnen den Behörden gegenüber zu vertreten und in der Öffentlichkeit Klarheit zu schaffen über »die harte Zurücksetzung der gebildeten Frau gegenüber der Arbeiterin«. »Während die Arbeiterin durch die Reichsgewerbeordnung und Krankenkassenversicherung im Wochenbett geschützt ist« (neuerlich sogar die Dienstboten), »steht die Lehrerin schutzlos da, denn als Vertreterin kann ihr täglich gekündigt werden, so daß Mutter und Kind dem Darben überliefert werden.«

Ferner wird der Ausschuß Erfahrungsmaterial aus dem Ausland sammeln, was ganz besonders wichtig scheint, und »alle Bestrebungen, die auf eine Entlastung der Hausfrau und Mutter hinzielen, wirksam unterstützen«. Also hier ist der offene Kampf gegen die Zölibatsklausel aufgenommen worden.

Die Lösung könnte man vielleicht so formulieren: Die Lehrerin soll, wenn sie heiratet, das Amt nicht aufgeben müssen, aber jederzeit mit Pension wegen Verheiratung aus dem Dienst ausscheiden können, vorausgesetzt, daß sie durch die Reihe ihrer Dienstjahre pensionsberechtigt ist. Denn es ist tatsächlich eine krasse Ungerechtigkeit, daß, wenn eine Lehrerin oder Staatsbeamtin oft 20 Jahre im anstrengendsten Dienst gearbeitet hat, sie den Anspruch auf ihre Pension verliert, wenn sie heiratet. So manche von ihnen könnte sich leicht verheiraten und dem Staate Kinder schenken, wenn es ihr durch diese willkürliche und sinnlose Beschränkung ihrer Menschenrechte, durch ihren Arbeitsvertrag, nicht unmöglich gemacht würde. Ich halte den Modus, daß eine Lehrerin oder Beamtin in Pension geht, wenn sie heiratet, besonders wenn sie Kinder bekommt, für richtiger, als wenn sie dann im Amt bleibt. Aber, wie gesagt, ihre Lebensarbeit darf nicht durch Entzug der Pension für null und nichtig erklärt werden, sobald sie in die Ehe tritt, d. h. zu ihren Leistungen als Berufsmensch die generativen Leistungen, die für die Gesellschaft weit wichtiger sind, hinzufügt. Die gewiß aus schöner Begeisterung entspringende Tendenz, sich die »Rechte« auf Berufsarbeit plus Mutterschaft zu »erringen«, kann man wohl verstehen, aber man kann nicht blind sein dafür, daß hier schwere Konflikte liegen, die sich erst in der Praxis fühlbar machen. Und darum muß der Wille der Frau auf die Lösung gerichtet sein, die ich hier dargelegt habe, nämlich auf das freie Recht der Staatsbeamtin und Lehrerin, im Beruf zu bleiben, trotz der Heirat, oder aber aus ihm auszutreten, mit dem Pensionsanspruch, den sie auf Grund ihrer Dienstjahre hat. Der Prozeß der Schwangerschaft beansprucht Ruhe, ganz ebenso wie das produktive Geistesschaffen, neben dem unmöglich noch ein aufreibender außerhäuslicher Brotberuf betrieben werden kann; mit einem Wort: eine Frauenbewegung ohne die weitgehendsten Mutterschutztendenzen rennt in eine Sackgasse. Diese Mutterschutzforderungen müssen besonders auch für die Frauen der Arbeiterklasse gefordert werden. »Man steht mithin vor der geradezu ungeheuerlichen Erscheinung / daß, je ausgedehnter im Arbeiterstande die Mutterpflichten sind, desto dringender und unaufhaltsamer der Erwerbszwang wird.« Der Doppelberuf als Mutter und Erwerberin ist entschieden eine schwere Überlastung, noch dazu des »schwächeren« Geschlechtes.

Die Frauenbewegung bleibt, den Konflikten und Forderungen des Lebens gegenüber, ein unzulänglicher Versuch, solange sie für die Frauen nur Ämter vermittelt und keine Erleichterung der Mutterschaft und der Ehe anbahnt. Es ist sogar zu erwarten, daß Mann und Weib dadurch noch mehr entfremdet werden und daß die Zahl der Eheschließungen dann noch weiter herabsinkt, während die Anarchie und Paniximie, d. h. die Verschmutzung des Geschlechtslebens zunimmt. Frauenbewegung ohne Mutterschutz ist wieder nur eine Erscheinung privater Selbsthilfe, ebenso wie der Geburtenrückgang. Eine solche Erscheinung ist aber nimmermehr die Lösung einer sozialen Frage. Diese private Selbsthilfe wird tatsächlich vielfach mit den Zielen der immer höheren Entwicklung der Rasse und der Förderung der nationalen Kraft und Tüchtigkeit in Widerspruch treten.

Wenn eine Frau die Berufung zu einem Beruf in sich fühlt, dann wird sie ihm auch weder durch die Ehe noch durch die Mutterschaft dauernd entfremdet werden. Anders aber ist es bei den Berufen, zu denen man durch keine innere Berufung gedrängt wird, in welche die Frauen nur von der bittersten Not hineingejagt werden und in denen ihre Rassenkraft zermalmt wird. »Die Frau gehört ins Haus.« Sonderbarerweise hat diesen kategorischen Imperativ die Frau erst dann zu hören bekommen, als sie auf die höheren Arbeitsstätten trat, wo der Aufstieg und die Unabhängigkeit zu finden ist. Nicht die Frau der höheren Stände, die sich von der Hausarbeit entlasten kann, sondern die Industriearbeiterin, die sich mit schädlichen Giften organisch verdirbt und die von Doppelpflichten überbürdet ist und nicht entlastet wird von der Hausarbeit, / die gehört ins Haus. Die Mutter- und Kinderrente / nichts anderes wird ihr das ermöglichen. Eine andere Lösung der Frage gibt es nicht.

»Ja, damit hat Herr Knapp wirklich recht«, sagte Toni. »Um 3000 Studentinnen wird ein Geschrei gemacht, Gott weiß wie … Ob sie heiraten, ob sie es nicht tun, ob sie im Hause bleiben oder nicht … Um unsere 9 Millionen Arbeiterinnen schreien sie weniger … Die lassen sie ruhig in die Fabrik gehen, ob sie auch verheiratet sind und Kinder haben … Die Postbeamtinnen und Lehrerinnen, die dürfen nur nicht heiraten … Das kann ja bloß die Arbeiterin.«

»Der es am meisten schadet, die sich keine Frau halten kann …« rief Knapp. »Warum soll eine Lehrerin nicht heiraten? Das ist doch gesund!« Marie Vaerting: »Max Theermanns erste Liebe«, ein sexualpsychologisch wertvolles Buch, das die lange Geschlechtsquarantäne schildert, die sich ein liebender, junger, dabei gänzlich unberührter Mann der geliebten Frau gegenüber auferlegt. Die Keuschheit dieser beiden jungen Menschen läßt erst nach mehrmonatlicher Ehe die Vereinigung / beiderseits die erste / zu. (Albert Langen, München.)

Hat man schon gehört, daß Schauspielerinnen, Tänzerinnen, Akrobatinnen, auf Liebe, Ehe, Mutterschaft verzichten? Gerade der zarte, sehnige Leib einer Tänzerin oder Akrobatin eignet sich ausgezeichnet zur Mutterschaft, die nur eine Unterbrechung bringt. Ganz ebenso soll die intelligente und dabei gesunde Frau nicht verzichten müssen.

Der einzige höhere Frauenberuf, der tatsächlich ein etwas ansehnlicheres Einkommen schafft, so daß die ihn ausübende Frau zur begehrten Partie werden würde, wenn die Zölibatsklausel fiele, ist der der Lehrerin und besonders der Oberlehrerin. Die Lösung des Konflikts habe ich schon dargelegt, / sie soll im Amt bleiben dürfen, wenn sie will und sie soll mit Pension aus dem Amt ausscheiden können, wenn sie heiratet. Und wenn sie dreißig Jahre und noch älter ist, ehe sie dazu kommt, so ist das noch lange nicht zu spät, jedenfalls besser, als wenn sie gar nicht dazu kommt. Scheidet sie aber vorher nicht aus und heiratet, so sollen ihr entsprechende Pausen / bis zu 6 Monaten, im Interesse der Mutterschaft und im Interesse des Staates, bei vollem Einkommen, bewilligt werden, / ebenso wie den Männern im Staatsdienst, auch wenn sie jahrelang durch den Krieg von ihrem Amt fernbleiben müssen, ihre Gehälter weitergezahlt werden, sogar mit ansehnlichen Kriegszulagen. Mit guten Einkünften kann man Kinder erziehen und sich verläßliche Hände für ihre persönliche Wartung besorgen. Ohne Einkommen / kann man keine Kinder aufziehen, auch dann nicht, wenn die Mutter den ganzen Tag bei ihnen ist. Und das Wichtigste für das Kind ist nicht, / wie ich schon im ersten Buch dieser Untersuchung auseinandersetzte, / wer es wäscht und füttert, sondern wer es geboren hat, ob eine minderwertige oder hochgeartete Mutter. Die Gattin des Züricher Psychiaters Prof. Bleuler, die selbst Dr. phil. ist und viele Jahre als Lehrerin tätig war, schreibt in einer Sammlung von Urteilen über das Lehrerinzölibat: »Nach mehr als zehnjähriger Dauer wieder einmal vor eine Schulklasse gestellt, fühlte ich überraschend lebhaft, wieviel mehr ich den Kindern jetzt zu bieten hätte als ehedem, wie ich tiefer begründen und überzeugender wirken könnte, besonders wo es sich um Erzieherisches handelte, das mir mehr denn je als Kern und Krone des Unterrichts erschien. / Im Interesse der Jugend betrachte ich es als wünschenswert, Wege zu finden, auf denen die reiche Lebenserfahrung des durch Ehe und Mutterschaft gereiften Weibes unseren Schulkindern auch zugute komme.«

Von Interesse ist es zu hören, daß die Tochter des Eroberers der Festung Kowno, des Generals v. Litzmann, gleichzeitig die Gattin des evangelischen Vikars Claupen in Judenburg in Steiermark ist, der zu Beginn des Krieges sich in der deutschen Armee das Eiserne Kreuz erwarb. Eine Zeitungsnotiz meldet: »Nach der Einberufung ihres Gatten legte die Generalstochter, die evangelische Theologie studiert hat und den Grad eines Lizentiaten besitzt, vor der Wiener Superintendentur die Prüfung als Religionslehrerin ab und erteilt seitdem den evangelischen Religionsunterricht in dem weiten Gebiete der evangelischen Gemeinde Judenburg,« / in Vertretung ihres Gatten.

Die »Marksteine« der Frauenbewegung aus den letzten Jahren und all der Rummel, mit dem sie »errichtet« wurden, / man denke an die Ausstellung »Die Frau in Haus und Beruf«, / wo man von zierlich geflochtenen Körbchen bis zu den großen Schaufenstern kapitalkräftiger Firmen der Modebranche und bis zu der berühmten Sau mit ihren neun rosaroten Ferkeln in der landwirtschaftlichen Abteilung und bis zu den unerhört leckeren Delikatessen in Form interessanter Salate, die von Damen der Gesellschaft zum Tee gereicht wurden, » alles« finden konnte, / bringen doch, wie mir scheint, keine Lösung der Frage. Das einzige Ausstellungsobjekt, wo jeder Konflikt gelöst schien, war die Ferkelmama, die bei ihren Babies sein konnte und in einem unwahrscheinlich blitzblanken Schweinestall mitsamt ihren neun Rosaroten den Neid der besitzlosen Klassen resp. der kinderlosen Frauen erregte.

Ruth Bré, die ein Mensch von Charakter war, trotz psychopathischer Veranlagung, die im Elend gestorben ist und für deren Leiche die Kosten zum Begräbnis nicht da waren, so daß sie auf dem Wege der öffentlichen Sammlung und des Aufrufs in Zeitungen Unter dem Schlagwort »Vom Stamme des Franziskus« veröffentlichte ich damals selbst einen solchen Aufruf für die Herbeschaffung der Mittel zu Ruth Brés Begräbnis im Berl. Tageblatt. beschafft werden mußten, während die sterbliche Hülle dieser großen Kämpferin schon verweste, schrieb in ihrer weit ihrer Zeit vorauseilenden Schrift »Staatskinder oder Mutterrecht« »Versuche zur Erlösung aus sexuellem und wirtschaftlichem Elend«. (Leipzig, W. Malende, 1904.) schon 1904 gelegentlich eines Vortrages über moderne Sittlichkeitsprobleme, den die seitdem verstorbene Frauenrechtlerin Ika Freudenberg hielt: »Der Vortrag war sehr schön, aber vollkommen ethisch-ästhetisch, ohne auch nur einen praktischen Rat, wie dem sexuellen Elend zu steuern sei.« Ganz wie von jener Seite auch heute noch doziert wird. Ruth Bré schildert in dem genannten Werk einen Frauenkongreß, der damals mit großer Sensation in Szene gesetzt und bei dem auch mit Hofknixen nicht gespart wurde.

Und paßt nicht das Wort Ruth Brés von der Damenbewegung, die sich vorwiegend mit Bildungsfragen beschäftigt, auch heute noch? /»Ob nun aber diese höflich knixenden Damen die wahre Frauenbewegung repräsentieren, ist die Frage. Mir scheint, sie repräsentieren mehr die Damenbewegung, die à tout prix hoffähig werden will.« Die alten Sünden dieser Art von »Frauenbewegung« und die der Föderation sind in Brés Schrift denkwürdig festgehalten. Zum Glück war diese Art Frauenbewegung nur ein Präludium …

Unglaublich klingt, was aber, / da ihre große Wahrheitsliebe es verbürgt, / sicher richtig ist, die folgende Mitteilung, die Ruth Bré in der genannten Schrift macht, welche auszugraben sich wohl ein wenig lohnt.

S. 125: »In der Redaktion der ›Frau‹ (müßte heißen ›Dame‹) wurde mir von zwei verschiedenen Personen gesagt: ›An den Frauen, die keine Mittel haben, liegt uns nichts, die sollen wegbleiben.‹ Da mir dies zwei verschiedene Redaktionsmitglieder sagten, zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten, also unabhängig voneinander, so kann man nur annehmen, daß dies die Gesamtansicht der Damenbewegung ist, deren Haupt Frl. … ist, denn ihre Jünger und Jüngerinnen würden sich doch nicht erlauben, als Prinzip zu verkünden, was ihre Meisterin nicht auf ihre Fahne geschrieben hätte.

Mithin: Wer Geld hat, hat das Recht auf Bildung und geistige Schulung im Gymnasium, wer's nicht hat, ›bleibt weg‹. Wer Geld hat, wird für den Mann gebildet, wer es nicht hat, ›bleibt weg‹, / vom Tische des Lebens natürlich ebenso wie von den Gymnasialklassen. Wer Geld hat, kann sich einen Mann auf Lebenszeit kaufen, ebenso wie die Bildung. Wer kein Geld hat, ›bleibt weg‹ von beiden. Hand weg! Hier wird meistbietend versteigert. Wer nicht tüchtig mitbieten kann: Hand weg!«

Köstlich ist auch die sehr richtige Erklärung, die sie für die Ablehnung der Mutterschaftsfrage von Seiten unweiblicher Frauenrechtlerinnen gibt:

S. 126: »Die eventuelle Kinderlosigkeit empfindet die ›Dame‹ gar nicht so schwer. Sie hat ein weites mütterliches Herz, das umschließt die ganze Welt. Die ist mitunter leichter zu umschließen als ein eigenes Kind. Ein eigenes kleines Kind macht sehr viel Sorge und Arbeit. Man muß es nähren, baden, wickeln usw. … Die ganze Welt braucht man nicht zu wickeln usw.« Ganz vor kurzem schrieb eine »Führerin«, deren Namen man überall, bei jedem öffentlichen Frauenrummel, an der Spitze liest, daß ihr, gelegentlich eines Besuches in einem Säuglingsheim für Siebenmonatskinder, »das Herz geschwollen« sei, vor Begeisterung über diese Couveuse … Mit Recht hat die Neue Generation dieses geschwollene Gerede vom geschwollenen Herzen, angesichts des Massentodes der Mannheit, abgefertigt. Überhaupt wurde in dieser Zeit an heuchlerischen Phrasen das Äußerste geleistet.

Sie meint aber, daß es doch nicht gelingen dürfte, solchen Frauen, die gern leibliche Mütter sein möchten, das Kind sophistisch wegzudiskutieren.

S. 128: »Die Frau will nämlich, im Gegensatz zu der Dame, das Kind, das eigene, kleine, süße Kind, nicht die Allerweltsmutterschaft. Sie fühlt die Kraft in sich, es zu nähren, zu pflegen, zu lieben. Sie will diesen teuersten Inhalt eines Frauenlebens, das Pfand der Liebe, die Krone ihres Strebens, nicht entbehren.«

S. 132: »Das Leben schult anders als die alten Philosophen. Der Schrei nach Brot und Liebe kann nur von den Lippen der Frau kommen. Die Dame braucht nach beiden nicht zu schreien, die kann sich beides kaufen. Die Frau aber schreit und wird schreien, bis man ihr gibt, wonach sie schreit. Brot hat man ihr endlich gegeben, wenn auch dürftig. Liebe will man ihr vorenthalten. Sie hat kein Geld, sie soll ›weg bleiben‹ vom Leben, wie von den Gymnasialkursen. Die Frau aber wird nicht wegbleiben. Sie wird sich nehmen, was man ihr versagt.«

S. 133: »Die Mutterbewegung hat erkannt, daß alle Frauenbestrebungen Stückwerk sind, solange die Frau ›als Mutter‹ hörig ist, solange sie nicht frei ist, nach ihrem Willen Mutter zu werden und sich den Vater ihrer Kinder frei zu wählen, / solange sie nicht frei ist, ihre Kinder zu gebären und zu erziehen. Das ist sie nach unserer heutigen gesetzlichen Ehe nicht.

Daher muß die Mutterbewegung die alleinige Gültigkeit der gesetzlichen Ehe bekämpfen, nicht die Ehe an sich, sondern was man so ›Ehe‹ nennt, einen einseitigen Handelsvertrag mit den Rechten auf der einen, den Pflichten auf der anderen Seite / ohne Garantie für monogames Geschlechtsleben, ohne Garantie für Gesundheit, zumal in geschlechtlicher Beziehung, / ohne Garantie absolut anerkannter Vaterschaft (die Einspruchsparagraphen 1592 bis 1600), ohne Garantie väterlicher wirtschaftlicher Fürsorge, ohne Garantie für die Mutter, ihre Kinder nach ihrem Willen zu erziehen usw.

Und diesen gesetzlichen Vertrag soll die Frau von heute eingehen / noch dazu auf Lebenszeit? Diesen Vertrag soll sie dem Staate unterzeichnen, ohne daß der Staat irgendeine Garantie übernimmt! Das kann man von der Frau von heute wohl kaum verlangen. Aber der Staat (der kapitalistische Männerstaat) hat sich gesichert. Die Frau muß diesen Vertrag eingehen, der sie mit Leib und Seele verkauft, sonst / hat sie auch nicht das Recht, Mutter zu werden.«

S. 134: »Die Mutterbewegung strebt also danach, diesen Zweck, das Kind, zu erreichen. Lächerlich, daß dazu Kämpfe erforderlich sind.«

S. 135: »Die Frau ist geschlechtlich stärker belastet als der Mann. Der Mann ist befriedigt, wenn der Trieb gestillt ist. Vaterschaft ist keine Naturnotwendigkeit für ihn. Aber Mutterschaft ist eine Naturnotwendigkeit für die normale Frau. (Von sogenannten naturae frigidae natürlich abgesehen. Aber das Naturbedürfnis des Weibes kann man nicht an Marmorstatuetten und blutlosen Schemen messen.) Verweigert man der normalen Frau die Mutterschaft, so wird sie in irgendeiner Weise krank und unglücklich.« (Oft auch / schlecht.)

S. 138: »Junge Liebe, reines Blut, reine Seele muß der Vater ihrem Kinde mitgeben können. Das ist das erste Erfordernis! Keinen Mann, der schon mehr oder weniger in der Gosse gewesen ist. Wenn die Dame sich mit diesem begnügen will: die Frau tut es nicht. Sie wird sich ihm vermählen, solange er noch rein ist. Sie will sich nicht nur seine platonische Verehrung gefallen lassen und seine jungen Sinne auf die Dirne verweisen. Sie will ihn nicht in die Unsittlichkeit hineinstoßen, wie das seitens der Dame, die sich dem Geliebten versagt, geschieht, sondern die Frau will sich dem Manne ihres Herzens vermählen im vollen Pulsschlag des Lebens.«

Wenn man diese starken und heute noch so wunderbar zur Zeit sprechenden Worte liest, so kann man sich denken, was diese wirklich »bahnbrechende Frau«, die sich nicht in dem von den Führerinnen des letzten Frauenkongresses herausgegebenen Werk gleichen Titels findet / (dort figurieren Kaiserin Friedrich usw.) / damals von jener Seite zu erdulden hatte. Auch darüber spricht sie:

S. 140: »Die Führerin der Damenbewegung, Frl. … nennt zwar meine Vorschläge ›kindlich‹ und ›unreif‹ (Januarheft 1904 der ›Dame‹). In einer Sitzung der Föderation nannte sie mich sogar ›gefährlich‹. Das ist doch etwas.«

Im Gegensatz dazu sagt Prof. Erb, »daß hier wohl die ersten gesunden Keime einer künftigen Entwicklung vorliegen«. Und Bré sagt dazu:

S. 141: »Ja, gehütet möchten diese Keime werden und zu weiterer Entwicklung gebracht von allen, die sehen, daß es so nicht bleiben kann.

Aber nicht niedertreten will ich sie lassen von solchen, die da glauben, mit Bildungsfragen das bittere sexuelle und soziale Elend aus der Welt schaffen zu können, das Verderben der Männer, Frauen und Kinder. Die Männer haben sich vergeblich um Wege zur Heilung gemüht. Jetzt wollen wir Frauen an unserem Teile anfassen.«

X.
Die Frau und Dame, während der Kriegszeit

Während der Kriegszeit haben die Frauen Großes geleistet. Die organisatorischen Fähigkeiten und Kräfte, die durch die Frauenbewegung sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hatte, kamen hier auf die glänzendste Weise zur Geltung. Aber besonders hervorzuheben ist, was Frauen geleistet haben, die bisher jeder öffentlichen Betätigung fernblieben, / was die Frau des Hauses und die Frau der Gesellschaft an Liebestätigkeit für das Vaterland und für die Bedürftigen wirkte. Allerdings war eben die Planmäßigkeit der sozialen Kriegshilfe durch Frauen das Verdienst der Frauenbewegung, und die Treffsicherheit der Organisation konnte nur unter ihrer Leitung sich bewähren. Die ausübende Hand war die Frau des Hauses und der Gesellschaft. Die Frau des Volkes war die Empfangende neben den zahllosen andern Bedürftigen. Die Frau der Gesellschaft aber war die Dienende, / und so ist die Dame, die unserer tapferen Ruth Bré so viel Unbehagen schaffte, hoch zu Ehren gekommen. Das, was die Damen alles geleistet haben, war persönlicher Dienst größten Stils. In Wohlfahrtsküchen standen sie am Herd und hinter den Ausgabetischen, liefen unermüdlich als freiwillige Kellnerinnen hunderte von Malen durch die Lokalität, um ihre Gäste, die Bedürftigen, zu bedienen. In ihren einfachen und doch eleganten Kleidern, mit den weißen Schürzen darüber, nicht selten die Hüte auf den Köpfen, weil man sich so viel Zeit, um den Hut abzulegen, überhaupt nicht nahm, eilten sie mit unermüdlicher Geschäftigkeit hin und her.

Was es heißen will, wenn eine Dame ihre Häuslichkeit täglich für viele Stunden verläßt, um andern solche schweren anstrengenden Dienste zu leisten, braucht nicht erst hervorgehoben zu werden. Das gleiche Bild zeigte sich in allen Wohlfahrtsvereinen, wo die Damen mit einer nie versagenden Pünktlichkeit und Verläßlichkeit, in überfüllten Lokalen, unter dem Sturmandrang des bedürftigen Publikums, durch alle die Monate des Krieges hindurch tagtäglich ihren Dienst versahen. Betrat man das Lokal eines solchen Hilfsvereins, in dem sich eine Unmenge Menschen drängten, so wußte man nicht, wo ihnen der Kopf stand. Hier in diesem Trubel, monatelang, / pünktlich, regelmäßig, exakt, mit Interesse für jeden einzelnen Fall zu arbeiten und zu helfen, / das ist eine Leistung, die man in Deutschland nie wieder vergessen wird.

Nicht nur, daß die Menschen ihre Vermögenswerte zu Hilfe boten, sie taten mehr: sie boten ihre Person / sich selbst. Es war der bessere Mittelstand, der in dieser hervorragenden Weise die weitestgehenden persönlichen und finanziellen Opfer brachte. Eine Dame z. B., die ein Auslandheim für flüchtige Deutsche eingerichtet hatte (leider erhielt es sich nicht lange), erzählte mir, unter welchen Schwierigkeiten sie das zustande gebracht. Eine leere Wohnung ihres eigenen Hauses stellte sie zur Verfügung, und kein Stück des Hausrates war gekauft, sondern alles hatte sie sich »verschafft« (und dieser Fall ist typisch für alle Kriegsheime), durch die persönliche, mühseligste Propaganda bei Bekannten und bei Fremden. Nur durch persönliche Arbeit konnte sie dieses Heim, in dem die Gäste auch alle Mahlzeiten als Gastgeschenk erhielten, zustandebringen und durch einige Monate erhalten. Eine Köchin zu nehmen, / ja, das wäre unmöglich gewesen, erklärte sie mir. Also stand die Dame nahezu den ganzen Tag ihrer Küche vor und kochte für die 30 bis 50 Menschen, die ihre Dauergäste waren, eigenhändig alle Mahlzeiten. Während meines Besuches bei ihr standen gerade ihre Töchter, elegante, junge Frauen, auf Leitern an den Fenstern und befestigten die zierlichsten Gardinen, die aus lauter alten Sachen hergestellt waren. Alles sollte hübsch und freundlich sein und war es, und gekauft sollte tunlichst nichts werden, damit das Geld eben in bar für die Notleidenden zur Verfügung sei. Dieses Meisterstück der Ökonomie hat tatsächlich die deutsche Frau vollbracht, / und es sei ihr gedankt.

Was die Frauen im Lazarett geleistet haben und im Operationssaal, wie auch da nicht nur die Berufspflegerinnen und Schwestern, sondern gerade die Frauen, die bisher in ganz behüteten und geschonten Verhältnissen gelebt hatten, hier die aufopferndsten Dienste leisteten und mit welcher Nervenspannkraft sie das alles ertrugen und »durchhielten«, ohne die Flinte ins Korn zu werfen, mit immer gleicher Ausdauer, Stetigkeit und Verläßlichkeit, / das alles sichert der deutschen Frau ihren vollwertigen Anteil an dem Siege der Nation.

Festlich in dem schwarzen Kleide
Glänzt das schöne deutsche Weib,
Doch noch herrlicher geschmücket,
Mit Gefallen ich sie schau',
Wenn, am Krankenbett gebücket,
Sorgend schafft die deutsche Frau. Heine.

Sie alle fühlten, gerade in solcher Zeit, um wieviel herrlicher und beglückender es ist, zu geben als zu nehmen, freiwillig zu dienen, um das Leid der andern zu erleichtern, als in Leid und Sorge um Hilfe bitten zu müssen. Und dieses Gefühl, für universelle, nationale oder soziale Dienste sich freiwillig in Reih und Glied zu stellen, hat sie befeuert und hat es ihnen möglich gemacht, Dienste zu leisten, die normalerweise im Berufsleben als die strapaziöseste Überbürdung empfunden werden würden. So kommt es, in der Elastizität und der Leistungsfähigkeit bei der Arbeit, darauf an, von welchen Nötigungen sie inspiriert ist.

Während der Kriegszeit fühlten wir uns in gewissen Punkten in eine sozialistische Gesellschaft versetzt. Kein Dienst war niedrig, keiner war beschämend; und ebenso wie die Männer dem Tode die Brust boten und wie sie / unbeschadet um ihren sonstigen Zivilberuf / nur nach ihrem militärischen Rang gegliedert, alle Dienste leisten mußten, die sonst den proletarischen Klassen vorbehalten sind, ebenso wie die Frauen in der Krankenpflege, besonders aber auch in der sozialen Wohlfahrtspflege das hehre, deutsche Ritterwort: Ich dien! mit den Männern zum Wahr- und Wehrwort machten, / ebenso wird es in einer sozialistischen Gesellschaft selbstverständlich sein, daß jeder alle Dienste leistet, die zum Wohle des Ganzen notwendig sind und daß er sie gern leistet, weil er dafür auch in seinen fundamentalsten Lebensbedürfnissen von der Gesellschaft versorgt ist. Ich verweise in diesem Zusammenhange auf Josef Poppers »Fundamente eines neuen Staatsrechts« und insbesondere nochmals auf sein großes Hauptwerk »Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage, eingehend bearbeitet und statistisch durchgerechnet, mit einem Nachweis der theoretischen und praktischen Wertlosigkeit der Wirtschaftslehre«. Carl Reißner, Dresden. Popper-Lynkeus hat folgendes nachgewiesen:

»Um alle Staatsangehörigen mit Nahrung, Wohnung, Kleidung, sowie auch ärztlicher Hilfe und Krankenpflege, mit voller Sicherheit und bedingungslos das ganze Leben hindurch versorgen zu können, ist die beständige Arbeit einer Nähr- resp. Minimumarmee notwendig, in welcher ungefähr 7¼ Millionen Männer von ihrem beginnenden 18. Lebensjahre bis zum Ende des 30., also 13 Jahre, und ungefähr 5 Millionen Frauen von ihrem beginnenden 18. Lebensjahr bis zum Ende des 25., also 8 Jahre dienen müssen. Die tägliche Arbeitszeit wird 7–7¼ Stunden keinesfalls überschreiten und wird je nach der Beschwerlichkeit oder Gefährlichkeit der betreffenden Arbeiten noch weiter reduziert.«

Jenseits der Arbeit in dieser Nährarmee soll es, nach diesem Programm, eine freie Privatwirtschaft geben, in welcher jeder das, was er über die fundamentalsten Bedürfnisse seines Lebens hinaus erwerben will, sich, nach Absolvierung seiner Dienstpflicht in der Nährarmee, in allen Berufen, wie bisher, frei beschaffen kann.

Es ist weder anzunehmen noch zu fordern, daß eine Gesellschaft jemals ein bestimmtes soziales Programm oder System wortwörtlich realisiere. Aber das ist auch gar nicht nötig. Nötig ist der theoretische Beweis dessen, was bei gutem Willen möglich ist! Ist dieser gute Wille und die Überzeugung der Realisierung sozialethischer Möglichkeiten da, dann werden sich von selbst Reformen anbahnen, die Ausgleich schaffen zwischen krassen Gegensätzen, / und nur darauf kommt es an. »Streitfragen können überhaupt nicht gelöst werden, solange man sich dazu der Gewalt bedient. Nur der Ausgleich führt Lösungen herbei.« Eines der wichtigsten Argumente Novicows gegen den Krieg, dessen Ausführung er später ein ganzes Buch gewidmet hat: »Problem des Elends«. Vielleicht wird es sogar möglich sein, einen wirtschaftlichen Ausgleich zwischen den Klassen zu schaffen, ohne den Geistesarbeiter, / der bei der »Teilung« gewöhnlich bei Jovid zu weilen pflegt, / zu übergehen, ohne gerade ihn / die Gefahr liegt sehr nahe / in schlechtere Verhältnisse zu bringen, als etwa den Industriearbeiter und den Kleinbürger. Diese Schicht neigt im höchsten Grade zum Klassenkoller und hat eine abgründige Verachtung für jede Armut der andern, besonders für die Armut einer geistig höher entwickelten Klasse, die mit einem gewissen Neid auf die gebildete Persönlichkeit gepaart ist und sich dadurch ausdrückt, daß von dieser Seite sofort jede wirtschaftliche Bedrängnis der psychisch Höhergearteten mißbraucht wird, um sie zu demütigen, ja, zu brutalisieren. Vielleicht wird also sogar ein Sozialismus möglich sein, / der die Roheiten der Demokratie überwunden hat.

XI.
Die Technik der Hauswirtschaft

Um den Konflikt, daß sich Ehe und Mutterschaft mit angespannter beruflicher Tagesleistung schlecht vertragen, ist nicht herumzukommen. Daher die Berufe sich am besten mit Ehe und Mutterschaft vertragen, die nicht die volle Tagesleistung erfordern. Darum verlangt man Halbtagsschichten für die Fabrikarbeit der verheirateten Frauen, Ausgestaltung des Arbeiterinnen- und Wöchnerinnenschutzes und insbesondere die allmähliche Umgestaltung des hauswirtschaftlichen Betriebes in genossenschaftliche Unternehmungen; ferner die Einrichtung von Genossenschafts- oder Gemeindewaschhäusern und den Ausbau aller Bewahrungs- und Beaufsichtigungseinrichtungen für Kinder.

Die Konflikte, die die Frauenarbeit zu einer Zermürbung für die organischen Kräfte der Frau und der Rasse machen, sind Begleiterscheinungen des Industriestaates, des Kapitalismus, aber sie bergen nicht für alle Zeiten unlösliche Probleme. Insbesondere gibt es keine Möglichkeit außerhäuslicher Frauenarbeit ohne schwere Verwahrlosungen auf der andern Seite, solange nicht die Umformung des Haushalts in Einküchenhäusern, die auf genossenschaftlicher Grundlage ruhen (nicht auf privatwirtschaftlicher, woran die heutigen Einküchenhäuser scheiterten), vollzogen sind. Solange dieses nicht geschehen ist, wird der Wert der Hausarbeit steigen. Vor allem schon durch das Versagen der Dienstboten. Hat die Frau zu außerhäuslichen Berufen gegriffen, so war es, weil ihre hauswirtschaftlichen Tugenden, so entwickelt sie auch sein mochten, ihr die Ehe nicht verbürgten und besonders nicht die Versorgung in der Ehe. Bei den immer steigenden Löhnen für häusliche Dienstleistungen, den Löhnen der Dienstboten, die zu den in der kapitalistischen Welt relativ Versorgten gehören, weil für sie die fundamentalsten Bedürfnisse des Lebens am sichersten gedeckt sind, durch die Entlohnung in natura (Kost und Wohnung) und die überdies noch ein mitunter ansehnliches Plus in bar darüber hinaus erhalten, / wird es dem Mittelstand immer unmöglicher, häusliche Dienstkräfte zu halten, und die Nachfrage nach ihnen ist größer wie das Angebot. Auf diese Art z. B. gehört der Mittelstand zu den / wie ich früher formulierte / von zwei Seiten drangsalierten Klassen. Nach unten zu muß er bezahlen, wie die wirklich Besitzenden und kann infolge seiner Berufsaufgaben eine Entlastung seiner Lebenstechnik durch ihre Dienste nicht entbehren, / auf der andern Seite, nach oben, gelingt es ihm immer weniger, sich die entsprechenden Einnahmen zu erschließen. Er wird zermürbt zwischen zwei Klassen; und die Frau des Mittelstandes mußte, ob sie wollte oder nicht, / hinaus in die bürgerliche Frauenbewegung.

In Amerika hat die Feminist Alliance in Newyork auf dem fashionablen und zentralen Washington Square eine Häusergruppe, nahezu einen Stadtteil umfassend, für die berufstätigen Ehepaare ins Leben gerufen. In diesen Häusern ist, vom Schuhputzer bis zur Köchin und zur Krankenpflegerin, bis zur Amme, zur Kindergärtnerin, zum Lehrer, zum Arzt, zur Schneiderin und Flickerin, alles untergebracht, was die Kräfte der Frau von häuslicher Arbeit entlasten kann und sie für die Berufsarbeit frei gibt. Dazu schreibt eine Zeitung, außer den üblichen Witzen, darüber am Schlusse doch sehr ernst: »Die neue Einrichtung verspricht auch ökonomisch alle möglichen Vorteile. Da Ärzte, Lehrer, Küche und Personal gemeinschaftlich sind, werden die Einwohner von der großzügigen Organisation wesentlich profitieren und werden nicht nur menschenwürdiger, sondern auch billiger leben als in den altmodischen anderen Familienwohnungen. Die ganze prächtige Idee kann übrigens mit der Zeit die knifflichste soziale Frage der Union, das Ehescheidungsproblem friedlich und gerecht lösen. Die vom Unrat des Lebens befreite Frau wird ein noch heitereres Temperament bekommen, als es heute schon die amerikanische Frau hat. Mit einem Worte: Votes for Women.«

Daß das Frauenstimmrecht notwendig ist, das begnüge ich mich hier mit einer einzigen Zeile zu sagen, weil es implicite die Möglichkeit der Mitbestimmung der Frau in allen Kulturfragen in sich schließt.

Deutsche Einküchenhäuser waren zum größten Teil ein Fiasko, weil sie auf vollständig verkehrter Grundlage aufgebaut waren. Dieselben Mißstände, die sich im Hausbesitz überhaupt in Deutschland geltend machen, die vollständige Abhängigkeit des kleinen Hauswirts vom Großkapital, machten sich auch hier geltend. Ein System von Scheinpächtern und Unterpächtern in seinen »feinen« Abstufungen von »Besitzer« und »Eigentümer«, die jeder versteht, dem die Gesetze und die Gesetzesumgehungen in der Technik des Grundstückshandels geläufig sind, brachte es mit sich, daß der wirkliche Vorteil, der durch Masseneinkauf erzielt werden kann, in lauter kleine Nebenflüsse, in die Taschen der Zwischenpächter, floß und nicht den Mietern zugute kam.

Auch ist die Kultur der Küche in Deutschland zu wenig entwickelt. Man kocht im allgemeinen in allen öffentlichen Küchen schlecht, sogar in ziemlich kostspieligen Restaurants. Die Ausbreitung, die hier z. B. die verschiedenen Nährsurrogate gefunden haben, wäre etwa in Österreich ganz und gar unmöglich. In Kriegszeiten wurde eine Hühnersuppenfabrikantin verurteilt, weil festgestellt wurde, daß, außer mehreren Kilogrammen Salz und verschiedenen Gewürzen, die Würfel eine Dosierung enthielten, wodurch auf die Verkochung von einem Huhn / neuntausend Würfel bzw. Tassen »Hühnerbouillon« kamen. Solche Surrogate werden hier um so lieber verwendet, je stolzer ihr Titel ist. Mit dieser trefflichen »Hühnerbouillon« wurden unsere Verwundeten in den Lazaretten »gelabt«. Und gerade deswegen wurde die »Fabrikantin« zu einer besonders hohen Strafe verurteilt. Die Industrie der Surrogate für Butter ist wahrhaft schwindelerregend, und alle die verschiedenen Sorten von Butterersatz wurden übertrumpft durch die Herstellung von Butterpulver zu Kriegszeiten. Der Erfinder dieses Butterpulvers hatte in ganz kurzer Zeit 80 Konkurrenten, die sich gegenseitig das große Geschäft strittig machten. Die Vorliebe für die Verwendung von Surrogaten in der Küche macht jede Art öffentlich hergestellter Kost sehr zweifelhaft und verhindert den Ausbau von Einrichtungen, welche die Privatküche des einzelnen Haushalts entbehrlich machen könnten. Solange man eine Garantie über das, was man im Magen hat, nur dadurch bekommen kann, daß man seine Küche selbst besorgt, so lange werden eben irgendwelche gesellschaftlichen Küchen, ebensowenig wie die Restaurantküchen, das Publikum nicht befriedigen. Im Einküchenhaus hatten wir Saucen, die »das starre System« zubenannt wurden. Bevor man noch das Fleisch angeschnitten hatte, war die Sauce schon erstarrt (Rindertalg und Gelatine). Und die ersten »Einwohner« des Hauses konnten, nach einem aufreibenden Jahr, nicht erwarten, wieder zu den Fleischtöpfen der häuslichen Küche zurückzukehren. Bei der Verpflegung der Kriegsgefangenen in Deutschland machte man mit dem Unternehmertum so schlechte Erfahrungen, daß man den Gefangenen schließlich zum Teil das Recht der Selbstbeköstigung einräumte, zum Teil nahm der Fiskus die Beköstigung in Selbstverwaltung. Zu Kriegszeiten natürlich und in Krisen müssen wir glücklich sein, Surrogate zu haben, denn die bewahren uns unter Umständen vor dem Verhungern. Und auch dem Strohmehl mußte man, als einem notwendigen Ökonomieprodukt, Hosiannah singen; aber in normalen Zeiten deutet dieses Überhandnehmen der Surrogate in der Ernährung auf eine falsche Wirtschaft, die Zollbarrikaden aufbaut und Lebensmittel, die in den Nachbarländern überreichlich vorhanden sind, zum Schaden vieler und zum Nutzen weniger, aussperrt.

In Deutschland ist z. B. auch die Kultur der Mehlspeise, die in Österreich hoch in Blüte steht, noch gar nicht entwickelt. Dennoch liegt hier ein Problem der Volksernährung, der Möglichkeit der Verbilligung und der Verbesserung der Kost. Die Kultur der Mehlspeise ist von höchster Wichtigkeit. Ich bezweifele, daß man von Leipziger Allerlei, Flammeri und Pilzragout so ausgiebig ernährt wird, wie von gediegener und schmackhafter Mehlspeise, die, besonders in Friedenszeiten, wenn Mehl zu haben ist, an einigen Tagen der Woche die Fleischmahlzeit vollwertig ersetzen könnte. Man fragte mich / was denn das seien »österreichische Mehlspeisen«. Darauf erwiderte ich, daß das zwar solide Sachen sind, aber nicht so »solide«, wie / Backobst mit Klößen und doch auch wieder nicht so unsolide wie sie sogenannten »Speisen«, in denen die Gelatine, das ist Leim, welcher aus Kalbshaxen gewonnen wird und Pulver den Hauptbestandteil bilden. Das, was man in Deutschland »Speisen« nennt, sind lange noch nicht Mehl- und Nährspeisen, sondern Dessert, Nachtisch, etwa in der Nährqualität von Kompott. Und weil man keine Mehlspeise zu bereiten versteht, ist man so versessen auf das, was man »Kuchen« nennt, / schlechte, margarinehaltige Bäckerware, wie sie in Wien nicht einmal die unteren Klassen genießen würden.

In Schweden, wo die Kultur der Küche auf der Höhe ist, sollen auch die Einküchenhäuser Hervorragendes bieten. Jeder subjektive Wunsch, jede Notwendigkeit der Diät wird aufs vollkommenste berücksichtigt, und die Reichhaltigkeit, Gediegenheit und Billigkeit der Mahlzeiten ist für unsere Begriffe etwas Phantastisches.

Man richtet jetzt auch fortgesetzt Kochkurse für die Frau des Volkes ein, und diese Bestrebungen verdienen Anerkennung. Auch die Forderung eines weiblichen Dienstjahres ist eine Bewegung dieser Richtung, wenn man auch hier wieder, im Übereifer der Theorien, weit übers Ziel zu schießen neigt. Ein staatlicher Zwang zur Erlernung der Hauswirtschaft ist sicherlich nur für bestimmte Schichten ins Auge zu fassen, und erübrigt sich überall dort, wo ein Mädchen in einem geregelten Haushalt aufwächst; die in bürgerlichen Familien gepflogene Sitte, daß ein Mädchen als Braut systematisch etwa ¼ oder ½ Jahr kochen lernt, / scheint mir für die Frau des Mittelstandes das Richtige und völlig zureichend. Ein Zwangsdienstjahr, mit der Internierung in Kasernen, für das weibliche Geschlecht zu begehren, scheint mir ein sehr zweischneidiges Schwert. Es wird genug Frauen geben, die die Technik der privaten Hauswirtschaft überhaupt ablehnen und sie nicht mit ihrem Beruf verquicken wollen. Andere wieder werden sich zu einer Beschäftigung, die eine ausgesprochene Vorliebe und sogar eine ausgesprochene Begabung dazu erfordert, nicht zwingen lassen wollen. Oftmals lehnen sich junge, studierende Mädchen dagegen auf, wenn sie, mitten in ihren Studien, beständig von der Mutter in die Küche geschickt werden. Erst wenn sie selbst Hausfrauen geworden sind, erwacht auch, ganz von selbst, ihr Interesse dafür, und sie erlernen das Notwendige dann spielend. Mitten in die Studienzeit und Berufsausbildung ein solches ganzes Dienstjahr einzuschieben, halte ich für ein sehr gefährliches Unterfangen, und es erinnert mich diese ganze Art, wie hier eine bestimmte Richtung der Frauenbewegung mit Gewalt einen staatlichen Zwang zur Erlernung der Hauswirtschaft herbeiführen will, an das krampfhafte Bemühen, die Unterwürfigkeit gegenüber jeder Art von Staatsideen zu beweisen.

Vor allem brauchen wir Dienstbotenschulen, deren Benutzung frei sein müßte und in denen auch die Frau des Volkes das Notwendige erlernen könnte, / ohne Zwang. Verläßliche und geschulte Dienstboten sind notwendig, nach zwei Seiten hin: erstlich deshalb, weil die häusliche Tätigkeit weitaus gesünder ist, als Fabrikarbeit und / Prostitution; zweitens, weil die Entlastung von häuslicher Arbeit erst recht notwendig wird, wenn die Frau des Mittelstandes selbst erwerben muß und in höheren geistigen Berufen tätig ist.

Die Schwenkung der offiziellen Frauenbewegung zur » vorwiegend häuslichen und mütterlichen Erziehung sogar in der Schule«, wie sie auf den Kongressen, die die Frauenausstellung begleiteten, zum Ausdruck kam und wie sie ein Gefolge von Frauenschulen, sozialen Frauenschulen, Frauenakademien und Frauenhochschulen zeitigte, ist eine Abbiegung vom Hauptweg. Die offizielle Frauenbewegung, die fast durch ein ganzes Jahrzehnt hindurch in Bildungsfragen herumplätscherte und mit der Mutterfrage Vogel Strauß spielte, hat als vorwiegend »taktisches Manöver«, / um insbesondere die höheren Kreise zu gewinnen, / plötzlich ins Hauswirtschaftliche umgeschwenkt. Man merkt die Absicht und wird verstimmt. Die Taktik darf man nicht aufs Butterbrot schmieren, und vor allem nicht, um der Taktik willen, sein wahres Ziel preisgeben. Was daran Instinkt war, / Berücksichtigung der weiblichen Funktionen, / ist wieder auf einen kümmerlichen Nebenweg getappt. Denn die Zukunft des Weibes heißt nicht: Verbrauche dich in deiner Hauswirtschaft, sondern / entlaste dich von ihr! Organisiere sie! Nachdem die offizielle Frauenbewegung anfangs erst ganz scharf zugespitzt war auf Nachahmung des Männlichen, wodurch sie den Widerwillen der Männer erregte, kam dann der Rückschlag ins / mikroskopisch Weibliche. Das makroskopisch Weibliche aber ist in der Mutterschutzbewegung deutlich geworden. Hier ist die Wegmarke in der Frauenbewegung. Hier wurde das Weibliche als Katastrophe nicht um der geistigen und wirtschaftlichen Emanzipation willen vertuscht, sondern hervorgehoben, und die Herstellung der möglichsten Harmonie wurde gesucht. Hier liegt auch das große Verdienst von Ellen Key, wenn auch ihre merkwürdige Kurzsichtigkeit sie immer wieder vor wirklichen Konflikten in // Ideologien flüchten ließ, Ideologien, die auch für andere verlockend sind, z. B. für die Rassenhygieniker. Das Weib kann nicht als Lämmchen auf die Weide geführt werden, kann nicht nur seiner »natürlichen Bestimmung« leben, solange es von der eisernen Faust eines Muß eben auf andere Wege gedrängt wird. Jede Theorie, die sich um dieses Muß herumdrückt, bleibt / Literatur.

Welch eine Gärung ungezählter Kulturelemente, die alle das Beste wollten und dennoch vielfach gegeneinander wirkten, in dem Zeitalter, das mit diesem Krieg abschließt, bestanden hat, wie Thesen und Antithesen aufeinanderstießen, so daß schließlich der möglichen Synthese erst eine Erschütterung bis an die Wurzeln der Weltesche vorangehen mußte, durch den Krieg, / das kann man, auch wenn man nur Streiflichter auf alle diese Fragen wirft, sehr deutlich erkennen. Mit diesem Kriege schließt ein Zeitalter ab und ein neues, das die Krämpfe entgegengesetzter Theorien überwunden, das seinen Organismus kennen gelernt hat und zum Bewußtsein gekommen ist, was es ihm einfügen und was es aus ihm ausscheiden muß, / hebt an.

Die Frau sagte zum Manne, mit den famosen Worten von Käte Schirmacher, die noch im ganz agressiven Suffragettenton, der überwunden ist, zugespitzt, aber immerhin besser sind, als ihre / Kriegsworte: »Es steht uns nicht mehr an, nur auszubessern, was du zerrissen, zu leimen, zu flicken, was du zerschlagen. Damit ist wenig gemacht, damit ist uns nicht mehr gedient. / Du hast die Welt verpatzt. Du bist ein schlechter Baumeister, ein schlechter Zuschneider, bei dem wir nicht in die Lehre gehen wollen: deine Grundrisse, deine Anlagen, deine Muster sind verfehlt.

Wir wollen selber entwerfen, aus dem Vollen schöpfen, im großen anlegen. Wir wollen schaffen. Und sind bereit unsere Verantwortung zu tragen. Denn selbst der determinierteste Determinist bleibt doch der Täter seiner Taten.

Du zahlst ihr immer nur so wenig, daß sie ohne den Mann nicht fertig werden kann. Und du zahlst dir stets so viel, daß du dir immer eine Frau kaufen kannst. Das sind deine ›Familienlasten‹. Kleiner Schäker.

Hast du dich eigentlich einmal gefragt, wie du dazu kamst, das ›Eindringen‹ der Frau in die ›künstlerischen‹ Berufe zu gestatten?

Du weißt nicht?

Nun, du kamst dabei auf deine Rechnung: der Weg zu diesem Beruf und zum Erfolg führt immer durch irgendein Schlafzimmer.

Ich bin unmoralisch? Ja, gewiß, mein Freund. Das ist ja altbekannt. Rücke nur ab von mir, um dein Hermelinunschuldskleid nicht zu beflecken.

Und so machst du es mit jedem neuen ›Frauenberuf‹: Masseuse, Friseuse, Hebamme, Tippfräulein, Sekretärin, / alles verschmutzt. In jeder Form siehst du das Weib. Jede arbeitende Frau ist abhängig. Deshalb mag der Mann nicht, daß die Frauen seiner Familie, ›seine Frauen‹, arbeiten. Denn er weiß ja, wie man mit arbeitenden Frauen umspringt.

Wie stimmt das alles zu der Achtung vor der Frau?

Die Achtung vor der Frau ist Lippendienst. Wir sahen es bei der Ehefrau.«

Der ökonomisch-finanzielle Arbeitsverdienst der Frau ist unverläßlich und unsicher. Das stimmt. Er ist aber doch besser, als nichts. Besser, sie erwirbt zeitweilig, als gar nie. Zu den Strapazen der meisten Erwerbsberufe drängt man sich nicht aus Liebe zu ihnen. Mit Liebe hängt man nur an künstlerischen, wissenschaftlichen und höheren sozialen Berufen. Gerade diese sind aber am besten mit der Hauswirtschaft und mit der Ehe zu vereinen. Im übrigen hat die kleine Geschäftsfrau, die den ganzen Tag im Geschäft des Mannes steht, schon längst das Problem der Vereinigung von Beruf und Ehe, für die Frau des kleinen Mittelstandes gelöst. Und des Rätsels Lösung ist immer wieder nur die, daß man Beruf und Ehe, als Frau, trotz mancher Unbequemlichkeit dennoch vereinigen kann, wenn der Zuwachs an Erwerb, der durch die Mitarbeit der Frau in die Ehe kommt, ein erheblicher ist. Wenn es lohnt!! Daß die Frau des kleinen und mittleren Geschäftsmannes den ganzen Tag in seinem Geschäft steht, z. B. die Schlächtersfrau, ohne die das Geschäft gar nicht geführt werden kann, / das lohnt. Sie kann es und tut es, obwohl sie zu Hause eine Menge Kinder hat. Aber sie hält sich recht gute Kräfte, sowohl für die Kinder, als auch für die Besorgung der Wirtschaft und der Küche. Wie sehr die Mitarbeit der Frau auf diesem Gebiet lohnt, sieht man daraus, daß der Besitzer eines gutgehenden Schlächterladens meist auch mehrfacher Hausbesitzer zu sein pflegt und seine Kinder gewöhnlich / namentlich die Töchter / in weit höhere Berufskategorien hinein verheiratet. Besonders dort, wo die Schlächter im Gemeinderat sitzen und die Errichtung kommunaler Fleischhallen, wie sie z. B. Wilmersdorf besitzt, durch die die Detailpreise um mehr als ein Drittel herabgesetzt werden, verhindern, / werden sie reich. Wie die großen, teuren Schlächter, auf die das Publikum angewiesen ist, mit ihm umspringen, wie man es als Gnadenakt betrachten muß, überhaupt für schweres Geld Ware geliefert zu bekommen, wie ausfallend sich der sich als Halbgott fühlende dominierende Schlächter einer Gegend sofort beim geringsten Einwand der konsumierenden Hausfrau zu wehren pflegt, wie da sofort mit dem Kundenboykott gearbeitet wird, / das habe ich in einem Artikel: »Hausfrauennöte«, der in den Band »Betrachtungen zur Frauenfrage« aufgenommen ist, auseinandergesetzt. Alles das sind Erscheinungen der unbegrenzten Willkür der Privatwirtschaft, die den »Banditismus« und »Raubhandel« im Staate möglich macht und deren spezielles Opfer der Mittelstand und / die Geburtenrate ist. Während des Krieges trieb ein Preis den andern, weil Lebensmittel und andere Waren, z. B. Kohlen, positiv zurückgehalten wurden. Die ausgiebige Besteuerung der durch Warenwucher erzielten Kriegsgewinne muß gefordert werden.

Ohne daß die Frau des kleinen Geschäftsmannes die Seele des Geschäftes wäre, unermüdlich aufpaßt, daß sie nicht bestohlen wird und selbst durch die prompteste Bedienung der Kundschaft das Personal in diesem Sinne dirigiert, / wäre die Führung eines solchen Geschäfts unmöglich. Also das Problem ist eigentlich längst gelöst: / Lohnend muß die Frauenarbeit sein, / dann läßt sie sich »vereinigen« mit allem Möglichen.

Hat man je gehört, daß eine Schauspielerin oder Sängerin in großer Karriere ihren sie gewiß sehr in Anspruch nehmenden Beruf aufgibt, weil sie heiratet?? Ihre 20 000 M. Gage deswegen fallen läßt? Nicht im Traume fällt ihr das ein, / nicht ihr und nicht ihrem Gatten. Höchstens wenn sie einen Fürsten heiratet, pflegt sie der Bühne zu entsagen, / weil dann auch die hohe Gage für sie nichts mehr bedeutet. In allen übrigen Fällen nimmt sie ausgiebigen Urlaub bei Schwangerschaften, pflegt sich sehr gut, wie man es mit Geld kann, und wenn das Baby glücklich da ist, / kommt die Mutter wieder, frisch und munter, / ins Licht der Rampen. Ernestine Schumann-Heinck hat neun Kinder!

Und eine Schriftstellerin großen Stils gibt ihren Beruf überhaupt nicht auf, / auch dann nicht, wenn sie einen Fürsten heiratet. Charlotte Leffler blieb, die sie war, auch als Herzogin von Cajanello. Ja sie wurde in dieser überaus glücklichen Ehe erst recht / sie selbst. Die Kontinuität der Berufstätigkeit der Schriftstellerin schließt nicht aus, daß sehr große Pausen, oder scheinbare Pausen, Pausen der Veröffentlichung, aber nicht Pausen der wirklichen, innersten Produktivität und zeitweilig natürlich auch solche, aus den schon erwähnten Gründen, notwendig werden, und zwar gerade bei der literarischen Produktion großen Stils. Daher bedarf gerade diese Produktion absolut, / wenn sie erhalten bleiben soll, / der gesicherten Lebensgrundlage.

»Es bleibt im Bürgertum das Verhältnis bestehen, daß der Mann der Versorger, die Frau die Versorgte und diese damit von jenem in allen Lebenslagen ökonomisch abhängig ist … Wie anders liegen die Dinge in der Arbeiterschaft! Hier bestehen für die Mädchen, rechtzeitig zur Ehe zu gelangen, erhebliche Schwierigkeiten nicht … Sie brauchen nicht vermögend, sondern nur erwerbsfähig zu sein.

Für den Arbeiter ist die Ehe der naturgemäße Gesellschaftszustand; es ist für ihn billiger und angenehmer, zu heiraten, als in Schlafstellen und Kneipen zu hausen; und das Junggesellenleben des Proletariers hat wenig Reize. Auch gelangt der Arbeiter weit früher zu einem Erwerb, der eine seinen Gewohnheiten und Bedürfnissen angemessene Lebenshaltung gestattet, als es seinen bürgerlichen Geschlechtsgenossen vergönnt ist; insbesondere erreicht der Arbeiter das Maximum seiner Verdienstmöglichkeit sehr früh. Im Gegensatze zu den Männern der bürgerlichen Kreise ist dem Arbeiter die Heirat ein soziales und psychologisches Bedürfnis.« Dr. med. Max Marcuse: »Bürgerliche und proletarische Sexualprobleme der Frau« in der Zeitschrift »Dokumente des Fortschritts«, Sonderabdruck.

Immerhin ist die Fabrikarbeit der verheirateten Frau auch nur ein Provisorium, ein Symptom einer bestimmten Wirtschaftsepoche, »zumal zu der Arbeitsüberlastung in der Regel noch eine sexuelle Überbürdung hinzutritt … Aber trotz der zahllosen Schwangerschaften, die … zu Tot-, Früh- und Fehlgeburten führen, pflegt die Kinderzahl in den Arbeiterfamilien gleichwohl jedes vernünftige Maß zu überschreiten. Die Frauen bringen oft Jahr für Jahr ihr Kind zur Welt, zu dessen Aufziehen und Ernähren ihnen Kraft, Zeit und Mittel fehlen; sind doch zwischen den neugeborenen Kindern nicht geschonter Schwangerer und solchen, deren Mütter in den letzten Wochen vor der Geburt nicht mehr zu arbeiten brauchten, Gewichtsunterschiede von 200–490 g festgestellt! Diese Differenzen sind aber über Leben und Zukunft des Kindes entscheidende. Wirtschaftliches und sexuelles Elend schließen sich hier zu einem Ring, der die gequältesten aller Geschöpfe, die Arbeiterfrauen, erdrückt.« Dr. med. Max Marcuse: Ebenda.

XII.
Die »Domäne« der Frau und die Geschlechtsehre des Mannes

Die chaotische Verwirrung des jetzt abschließenden Zeitalters konnte man sehr deutlich auch aus den einander widersprechenden Moralimperativen, die der Frau gestellt wurden, erkennen. Schon im ersten Teil dieser Untersuchung wies ich darauf hin S. 225–239. »Die sexuelle Krise«.. Wollte die Frau arbeiten, / so wies man sie zurück mit der Begründung, / ihre Domäne sei die Liebe. Beanspruchte sie aber diese Domäne der Liebe, die sie aus freiem Willen sicherlich nicht preisgab, so nannte man sie / Messaline, oder, mit dem anmutigen Ausdruck von Oskar A. H. Schmitz, »Weltanschauungshure«. Lieben und arbeiten, / in weisem Ausgleich, das wird wohl für die Frau, wenn sie beides erringen kann, ebenso wie für den Mann, das Richtige sein. Kann sie aber nicht beides erringen, was ja nicht von ihr allein abhängt, so gebührt ihr auf jeden Fall entweder das eine / Liebe, Ehe, Mutterschaft, oder / das andere / ein ausgiebiger sozialer Wirkungskreis. Ein Drittes / gibt es nicht.

Wenn der ehereife junge Mann sozial eine Gegenwart und Zukunft haben wird, in der er die Familie und die Frau versorgen kann, / so wird vieles von dem Problem der Frau gelöst sein. Sie wird den jungen, tüchtigen und reinen Mann immer als Gatten erstreben und ihm gern verdienen helfen, solange und in der subjektiv verschiedenen Art, in der sie es unbeschadet kann. Kommt aber die Zeit der Fortpflanzung, / so hat eine durchgreifende Mutterschaftsversicherung für alle Stände (nicht nur für die Lohnarbeiterinnen und Dienstboten) einzusetzen, welche der Frau die volle Höhe ihres Erwerbs ersetzt. Bei sehr jungen Leuten kann unbeschadet mit der Fortpflanzung eine Weile gewartet werden; und eine Unmöglichkeit ist diese Technik nicht, und Verluste ergeben sich durch sie auch nicht; denn wenn der Mann nicht heiratet und mit der Prostitution verkehrt, so muß er ebenfalls die Fortpflanzung verhindern und sich, schon aus Gründen der geschlechtlichen Gesundheit, im Verkehr mit der Prostitution geschlechtlich schützen. Und das Weib, das ledig bleibt, kann sich normalerweise auch nicht fortpflanzen. Solange keine allgemein durchgreifende Mutterschaftsversicherung und Frauenrente besteht, muß das Hauptaugenmerk darauf gerichtet sein, daß der Mann möglichst in jungen Jahren Karriere machen kann und daß die Verheiratung für ihn mit Begünstigungen im Beruf verbunden ist.

Die Liebe und immer nur die Liebe sollte die wahre Domäne der Frau sein. Nicht zu machen mehr! 9½ Millionen Frauen, zu denen durch den Krieg noch ein paar Millionen dazu kamen, haben heute in Deutschland noch andere Sorgen, außer der Liebe, / ob sie wollen oder nicht. Und da wir in einem bestimmten Zusammenhang gegen eine offizielle Führerin der Frauenbewegung hier auftreten mußten, so verlangt es die Billigkeit, auch die richtigen Worte wiederzugeben, die hier, im Hinblick auf den erwähnten überwundenen Standpunkt, daß die Domäne der Frau ausschließlich die Liebe sei, Bedeutung haben. Dr. Alice Salomon schreibt in einem Artikel »Töchter«: »Niemals zuvor war der äußere und innere Antrieb zur sozialen Arbeit so groß wie in diesen Tagen … Niemals zuvor haben aber schließlich die Mädchen, gleichviel ob sie wohlhabenden Kreisen angehören, oder einen Erwerbsberuf wählen müssen, ein so tiefes Bedürfnis und ein so heißes Verlangen nach einer ihre Seele erfüllenden Lebensarbeit gehabt.

Denn auch der weiblichen Jugend ist viel genommen worden. So vielen sind Zukunftshoffnungen zerstört, fast allen die Lebensaussichten verengert worden! … Viel von dem ist hingemäht worden, was dieser Jugend Zukunftstraum war. So brauchen die Mädchen mehr denn je eine Arbeit, die Geist und Herz erfüllen kann … Auch für die Töchter gilt mehr denn je in diesen Tagen, daß man sich verlieren muß, um sich zu finden.« »Berliner Tageblatt«, 16. September 1915.

Die Philosophen des Frauenhasses, der in allen Sprachen und allen Literaturen der Welt zum Ausdruck kam, haben dem Weibe vorgeworfen, es hätte keine Ehrbegriffe, außerhalb der Geschlechtssphäre. Komischer Vorwurf! Woher hätte es diese Ehrbegriffe haben sollen, solange es nur in die Geschlechtssphäre hineingebannt war. Ehrbegriffe sind lang gereifte Produkte des sozialen Kontakts mit der Umwelt, durchaus notwendig sich ergebende Niederschläge sozialer Wechselwirkung. Zum sozialen Wirken mußte sich aber die Frau den Weg unter den schwersten Kämpfen erst bahnen, getrieben von den grausamsten Nötigungen, und den Platz an den einflußreichen Stätten des sozialen Wirkens sich zu erobern, ist sie noch immer im Begriff. Von dem Augenblick an, wo sie in die soziale Tätigkeit eintrat, hatte sie auch sofort Ehrbegriffe außerhalb der Geschlechtssphäre. Hielt man aber immer wieder der Frau vor, sie hätte keine andere Ehre als die sexuelle Ehre, / so muß man endlich einmal umgekehrt die Frage stellen: Wie sieht es mit der Geschlechtsehre des Mannes aus? Hatte sie, die Frau, im allgemeinen zuviel davon, / so hat er, der Mann, allem Anschein nach, im allgemeinen / davon zu wenig. Oder hat der Mann überhaupt keine Geschlechtsehre, braucht er keine, soll er keine haben? Tatsache ist, daß er in den meisten Fällen / keine hat. Die Geschlechtsehre des Mannes bzw. ihr Nichtvorhandensein oder ihre Beschmutzung / ist der dunkelste Punkt unserer Zivilisation. Und nicht nur, daß er in der Praxis seine Geschlechtsehre mißachtete, / wo er doch sonst nach Ehren aller Art strebt, / daß er seine Geschlechtlichkeit, seine Männlichkeit, ohne jedes Bedenken besudelte und wegwarf / so machte er sich auch noch Theorien und Philosophien zurecht, die diese Ehrlosigkeit als Geschlechtswesen als »naturgewollt« / sozusagen als gottgewollt / erscheinen lassen sollten und beharrlich in Kurs gesetzt wurden, bis: eine neue, reife Frauengeneration /sie verwarf. Es geschah dies so, wie bei jenem mitternächtlichen, herausfordernden, lästernden Gastmahl des Belsazar, der mit seinen Taten prunkte, bis plötzlich, um die Mitte der Nacht, eine feurige Inschrift an der Wand erschien, / und die flammenden Worte sich aneinanderreihten: Gezählt, gewogen und zu leicht befunden …

Aus der theoretischen Verherrlichung des Mangels an männlicher Geschlechtsehre konnte sich jene »Moral« entwickeln, welche noch in Sätzen wie diesem gipfelte: »In den rein sinnlichen Akt, um den es sich bei der Prostitution handelt, setzt der Mann nur ein Minimum (!) seines Ich, setzt das Weib aber ein Maximum ein, ihr Intimstes und Persönlichstes.« Simmel. Äußerst fein wird dieser Standpunkt von einem anderen Mann zurückgewiesen, in einer Studie von Adolf Teutenberg »Persönlichkeitswert und Geschlechterverhältnis«. Erschienen im »Pester Lloyd«. »Wäre der Blick unseres Philosophen bei der Untersuchung des Problems anders eingestellt gewesen, er würde gewiß auch dazu gelangt sein, zu bemerken, daß es … ein Unaussprechliches gibt, das auch den Mann in der erotischen Beziehung zur Hergabe seines Persönlichsten zwingt, / und am Ende wäre es seiner geschmeidigen Sprachkunst sogar gelungen, / dieses Unaussprechliche auszusprechen …«

Und mit einer solchen Moral und Philosophie glaubte man jenes Prinzip, das sich in der Ehe ausdrückt, / realisieren zu können. Wenn Mann und Weib in so gegensätzlichen Welten lebten, / wie sollten sie dann jemals in der Ehe ein einziges, einheitliches Ganzes bilden, wie sollten sie sich jemals verstehen, wie sollten sie sich lieben, wie sollten sie zusammen, aneinander und miteinander / wachsen? Die doppelte Moral ist der größte Lapsus / der Logik. Die »falsche Rechnung«, die ihr zugrunde liegt, äußert sich darin / daß das Exempel niemals aufgeht, daß Mann und Weib fast niemals eine Einheit werden und daß ihre qualvoll-peinigende, die höchsten Werte verwüstende Geschlechtskrise sich niemals lösen wird und kann, solange dieser Grundirrtum in der Rechnung / nicht beglichen ist. Die glänzendsten Waffensiege des Mannes, den wir Frauen, besonders in dieser schweren Zeit, gern als Helden auf allen Gebieten verehren wollten, die glänzendsten Waffensiege werden ihm das nicht wiedergeben, wodurch allein er den Weg zu der reinen Frau finden kann, / seine Geschlechtsehre, / die ihm ein Heiliges sein soll, wie ihr und auf deren Wiedergeburt / ein hoher Preis gesetzt ist: die Liebe.

Die Frau wußte und weiß nur zu gut und nur zu genau, was sie wollte und will und / was ihr fehlt, d. h. was sie sich durch ihren eigenen Willen allein nicht verschaffen kann, weil in jedem Sinn des Wortes zwei dazu gehören, d. h. weil zwei, auch numerisch, da sein müssen, in dem Sinne, daß auf jede Frau auch wirklich ein Mann kommt, der ihr Mann ist, in jedem Sinne, ganz und für immer. Und sie weiß auch, daß zwei Willen da sein müssen, um dieses Eine entstehen zu lassen, »das mehr ist als die, die es schufen«, worunter Nietzsche das Kind verstand / worunter wir aber die Einheit und Einigkeit und das Glück der Geschlechter verstehen. Die Frau machte verschiedene »Bewegungen«, auch außerhalb der geschlechtlichen Sphäre, / Bewegungen des wachen Intellektes, der endlich entfesselten sozialen Kräfte, aber ihre zentrale Bewegung, ihre gott- und naturgewollte Bewegung, bleibt dennoch immer die, / die im Geschlechte liegt. Und im Grunde ist jede Bewegung der Frau ein Mittel zum Zweck (obwohl ihr auch der Eigenzweck nicht abgesprochen werden soll) ein Mittel zum Zweck, ihre Bestimmung als Geschlechtswesen zu erfüllen, mit dem Mann so leben zu können, wie es im Sinne der Natur und in der planmäßigsten Absicht der Kultur liegt und dem verkehrten Werbekampf nicht mehr überliefert zu sein.

Auf diesen Zusammenhang habe ich schon im ersten Teil der Untersuchung in unmißverständlicher Weise hingewiesen. Es heißt dort: »Eine Frauenbewegung war notwendig, nicht nur aus wirtschaftlichen Motiven, nicht nur als unbewußtes Mittel, Millionen »eliminierter« Frauen wieder zum natürlichsten Anteil am Werke der Fortpflanzung gelangen zu lassen, sondern auch aus Gründen der seelischen Emanzipation. Jedes Geschöpf, dem ein Übermaß von Macht in die Hand gegeben ist, muß schlecht werden. Dieses Übermaß von Macht hatte, durch die Verfälschung des Werbekampfes, der Mann der Frau gegenüber, so daß sich die Geschlechter schließlich in unzüchtiger Verkehrung ihrer Absichten gegenüberstanden. Die Frau mußte, um aus dieser verkehrten Stellung herauszukommen, sich endlich ihre Persönlichkeit zu sichern suchen, / unabhängig von ihren Erlebnissen mit dem Mann. Unter dem Zwange der Not und der unaufhörlichen tragischen Enttäuschungen und Ernüchterungen, die der Frau vom Manne bereitet wurden, »paßte sie sich an«, aus der Gefühlssphäre, / welche tatsächlich das Zentrale ihrer Geistigkeit ist, / herauszutreten in die Verstandessphäre. Ein notwendiger Anpassungsprozeß also, keine Neuerungslaune. Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, beginnt sie, sich von der alles in ihr beherrschenden Macht des Liebeserlebnisses zu emanzipieren, nachdem sie dort, wo sie sich schrankenlos dem Erlebnis hingab, meist enttäuscht, verlassen, mißbraucht wurde. Nichts bringt gründlicher um die Persönlichkeit als die geschlechtliche Hörigkeit. Jede andere Hörigkeit ist dagegen ein Kinderspiel. Nicht nur um die wirtschaftliche Freiheit der Frau dreht sich die »Bewegung«. Vielmehr bedeutet jene Drehung nur so viel, wie die Bahn eines Gestirns, das sich um ein anderes dreht, während dieses Gestirn selbst wieder um ein größeres kreist. Die größere, die zentralere »Sonne« der ganzen Bewegung und Drehung ist das befreite Geschlecht. Um dieses Zentrum herum dreht sich die ganze notwendige Bewegung, und die Sterne der wirtschaftlichen Freiheit, der politischen Emanzipation und wie sie alle heißen mögen, sind nur Nebensonnen.« S. 238/239. »Die sexuelle Krise.«

Unter dem »befreiten Geschlecht« ist aber nicht an eine anarchische »Befreiung« von den vornehmsten Bindungen, die im Wesen der Gesittung und besonders in der Natur der Liebe liegen, / zu denken, sondern an eine Befreiung von der sexuellen Hörigkeit und ihren entwürdigenden Konsequenzen, von der verfälschten Auslese und vom verkehrten Werbekampf.

Was die Frau »will«, ist nach wie vor / ein Ehebett.

Wie sagt doch der geniale, von Strindberg entdeckte Peladan so wahr und treffend in seinem Roman »Das allmächtige Gold«, in dem der Zusammenbruch einer jungen Ehe zweier wirklich Liebender (durch den Hunger und die Not) geschildert wird:

»Eine Gattin hat kein anderes Vaterland, keinen anderen Beruf, keine andere Pflicht, als ihr Bett. Denn sie ist das Wiegenlied, das von allen Ängsten dieser Welt berauscht ist; die Quelle der Vergessenheit, die einen Augenblick die Qualen des Lebens betäubt; das Wesen der Täuschung, in dem der Mann alle seine Träume verwirklichen will; der Altar endlich, auf dem die schmerzliche Begeisterung sich verzehrt und sich heilt.

Das Bett war der Mühlstein des Fleisches, auf dem der rohe Urmensch die Nägel seiner Wildheit gebrauchte; das Bett zeigte den menschlichen Primitiven die Wonne: das Bett war die eigentliche Wiege der Güte und Kultur.« Péladan, »Das allmächtige Gold«. Verlag Albert Langen, München.

Alle diese Frauen begehren nichts anderes, als / ein reines Ehebett.

Wenn nicht mehr durch Kriege alle 30–40 Jahre die Männer ausgerottet werden, die blühende Gegenwart und Zukunft einer ganzen Frauengeneration in ihnen hinsinkt, und / wenn der Mann seine Geschlechtsehre entdeckt haben wird und die Moralwelten von Mann und Weib eins geworden sind, / wenn er sich also von der Paniximie abwendet, / wird es weniger Prostituierte und alte Mädchen, weniger unbefriedigte ledige Frauen geben, die sich ein paar Brocken Liebe hinter dem Rücken der Gesellschaft erlisten oder gegen ihren Willen ertrotzen und dadurch nicht glücklicher werden und auch der Vereinsamung nicht entgehen, / und es wird, statt ihrer, / fast lauter Gattinnen geben. Und erst dann / wenn für jede gesunde Frau ein reines Ehebett bereit steht, / ist das Frauenproblem gelöst.

Bist du aber Gattin geworden, Frau, / dann ist deine »Domäne« / tatsächlich vor allem / dein Mann.

In seiner Schrift »Die Farce des Jahrhunderts« Verlag Hermann Ziegler, Leipzig 1913. / womit er den Monismus meint, ob zu recht oder unrecht bleibe hier unerörtert / sagt Professor Gustav Friedrich (Jena) von der Aufgabe der Frau: »Aus der Hast und Oberflächlichkeit ist nur eine Rettung möglich, die unser Leben zurückleiten kann zu dem Kulturbewußtsein, das einst die deutsche Welt erfüllte. Diese Aufgabe ist bei der Frau. In unserer Zeit, wie sie nun einmal ist, wird der Mann bei seiner arbeitsteiligen Zeit immer einseitiger, sein Wesen auf das Spezialistentum und immer mehr auf einen bestimmten Effekt zugespitzt. Darüber geht die Basis verloren. Mensch aber ist man nur auf der Basis. Das ist selbstverständlich: denn die Einseitigkeit ist das Fach, der Beruf. Es wäre der neue Beruf der Frau, den Mann im Zusammenhange mit der Gesamtkultur zu erhalten und so den Folgen der arbeitsteiligen Arbeit, des Spezialistentums, dem / Automatismus vorzubeugen. In der Ehe wird die Kultur bei der Frau sein, oder in der Ehe wird keine Kultur sein. Die Frau muß in die Stellung einrücken, die bis vor einem halben Jahrhundert dem Mann allein vorbehalten war. Die ökonomische Notlage, in der sich heute die Frau befindet und die sie zu Studien zwingt, die ihr sonst fern lagen, ist die ›List der Idee‹: sie auf eine höhere Stufe zu heben, sie zu einer umfassenderen Wirksamkeit vorzubereiten. Es kommt zu einer Lebensgestaltung, die auch Arbeitsteilung ist, aber eine solche ganz neuer Art. Dem Manne fällt zu einem guten Teile das Leben mit seinen Hervorbringungen zu, der Frau die Sonnenseite, wo das Leben von sich ausruht, wo es sich gegen die Folgen der Arbeitsteilung schützt, mit einem Wort die Kulturseite … Sie wachse in die Stellung hinein, die die verlassene Kultur ihr anbietet. Von diesem Gesichtspunkte sollte alle Mädchenerziehung ausgehen. Und wenn Professoren Frauen noch immer von ihren Vorlesungen ausschließen, so ist das ein ungewöhnlich kurzsichtiges Verkennen unseres Zustandes, vor allem eine heutzutage wirklich nicht mehr gerechtfertigte Überschätzung des Mannes, der, so gut wie immer, als Handwerker, als schmalspuriger Routinier, als ›Massenpeter‹, wie Sören Kierkegaard das nennt, endet.«

Dazu haben wir zu sagen: Der Frau fällt eine noch viel, viel ernstere, tiefere Aufgabe zu, als die, dem Mann bloß die allgemeine »Kultur« zu vermitteln. Kultur ist unter Umständen / eitler Tand. An Kultur hat es uns wahrlich nicht gefehlt, / im Gegenteil, im Übermaß war sie da und hat die Quellen des innern Lebens immer mehr verschüttet. Diese Quellen zu erhalten, / liegt bei der Frau. Die Quelle des innern Lebens sei sie / dem vom Außenleben fast vollständig verschlungenen Mann. Und sie wird staunen darüber, wie erfüllt dann mit einem Schlage ihr Leben sein wird. Verstand, Geist, Temperament, Sinnlichkeit, Schönheit, kurz alle Qualitäten, durch die sie dem schwer arbeitenden Mann hundertmal an »Persönlichkeit«, »Kultur« und »Bildung« überlegen sein mag, / werden ihn nicht davor bewahren, wenn er innerlich gefährdet ist, / zu sinken, auf Abwege zu geraten, ja, sich hoffnungslos zu verlieren und auch im sozialen Gedränge unter Umständen von seinem richtigen Wege, dem des Aufstieges, abzukommen. Ist sie aber ein Quell des innersten Lebens und sprudelt sie als solcher ohn Unterlaß in sein Herz, erquickend, lieblich und feierlich, / so ist hier der wirkliche Born seines Lebens, der seinen Strom davor bewahren kann, sich mit den schmutzigen Abflüssen zu vermengen, ja, der selbst auf den schon von ihnen verdorbenen Strom / noch reinigend, rettend wirkt, wie ja auch in der Natur ein wirklicher Strom, ein Fluß, zur Selbstreinigung gelangt, wenn der Stoff des Lebens / der Sauerstoff / in ihn hineindringt. Neue Entwicklung hebt dann an in dem verdorbenen Gewässer, die Fäulniserreger verfallen dem Prozeß der Zerspaltung, der Auflösung und versinken auf den Grund, während gleichzeitig in dem immer weitereilenden Strom durch den Sauerstoff sich die rettenden grünen Pflanzen, die Algen, entwickeln, die das Chlorophill erzeugen, welches die Stickstoffe aufnimmt und aus ihnen dann Kohlenhydrate aufbaut. Sie sind die Genesungselemente verjauchter Gewässer, die sie / entsühnen.

Dieses ist der wirkliche, geheime Beruf der Frau: Sauerstoff zu sein, / Führerin, Mittlerin, / Erlöserin. Meistens bleiben nur solche Familien im Aufstieg, besonders wenn es sich um innerlich nicht ganz gesicherte Männer handelt, solche mit gefährlichen, den Aufstieg durchkreuzenden, erschwerenden, chaotischen Erbelementen, / wie sie gerade in der letzten Epoche leider überraschend häufig zu finden waren, / nur solche Familien bleiben im Aufstieg, in denen die Frau, anstatt sich in Verbitterung vom Manne abzuwenden, als Enttäuschte und Richtende, / ihre Mission an seiner Seite erfaßt und durch die Art, wie sie sie übt, / die anerkannte Herrin in seinem Herzen bleibt, die Herrin, die über sein ererbtes Böses triumphiert, der er nur zu willig »gehorcht«, weil er von ihrer Güte für ihn durchdrungen ist und ihrer Einsicht unbegrenzt vertraut.

In diesem Sinn ist wohl die Aufgabe der Frau als »Inspiratorin« des Mannes, wie man es nannte, zu verstehen. Die Frau, die das Gedränge und Gemenge selbst nicht mitzumachen braucht, wenigstens nicht in brutalster Unmittelbarkeit, weil der Mann, als eiserne Mauer, abschwächend dazwischen steht, / die überblickt es dafür um so klarer, sie überschaut den Weg des Mannes, wenn sie sich die Mühe macht, ihn überschauen und überdenken zu wollen / und nicht nur ihres Lebens Zweck darin sieht, entweder ihrer eigenen Zerstreuung nachzugehen, oder / eine andere Form der Zerstreuung / die allgemeine »Kultur« zu mehren und im Grunde immer nur sich selbst zu suchen. Sein eigen Haus muß an erster Stelle jeder Mensch, ob Mann, ob Weib, aufzubauen und ziel- und wertbewußt zu erhalten suchen. Hier zuerst, sei er der wirkliche, unermüdliche, wachsame »Reformator«. Das öffentliche Leben ist kalt, vereisend trotz aller äußeren Regsamkeit. Wärme, Erfüllung gibt jedem Menschen nur / sein eigen Heim, und heute, wo es eine vertiefte, eine persönlich-innige Geselligkeit kaum mehr gibt, ja kaum mehr verläßliche Freundschaft, / mehr denn je.

Da draußen, Frau, magst du dir Belehrung und Anregung holen. Aber dein Schicksalsfaden, dein Friede, dein und deines Mannes Gedeihen, der Bestand eures Hauses, eure und eurer Kinder Zukunft, / dieser Schicksalsfaden wird in deinem Hause gesponnen / Frau!


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