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II. Kapitel.
Das Kind und seine Frage

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1. Das uneheliche, verwaiste und verlassene Kind in der Gesellschaft. / 2. Verbesserung der rechtlichen Stellung des unehelichen Kindes. / 3. Sexuelle Aufklärung und »Emanzipation« des Kindes. / 4. Das Kind und der Krieg.

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I.
Das uneheliche, verwaiste und verlassene Kind in der Gesellschaft

Wenn die Kühe gemolken werden sollen, so bedient sich der systematische Tierzüchter und Landwirt eines eigenartigen Mittels, ihre Ergiebigkeit zu steigern: er läßt den Kühen Musik machen. Den Arbeiterinnen, die in den Fabriken an Phosphor und Metallsalzen und anderen Giften ihr Blut und damit auch ihre Milch verderben, wird leider nicht Musik gemacht. Die Mutter schützen und pflegen, / heißt: das Kind auf's beste ernähren. Der Kuh Musik machen, / darauf kommt es an.

Allein das stehende Heer umfaßte 1907 44 000 Uneheliche; wieviel unehelich Geborene in den aktiven Armeen des Weltkrieges kämpfen, ist noch nicht festgestellt. Dennoch bedurfte es einer ganz besonderen und planmäßigen Initiative des Deutschen Bundes für Mutterschutz, um in der Kriegszeit unehelichen Kindern den Unterstützungsanspruch zu sichern. Ursprünglich hatten sie, ebenso wie geschiedene Ehefrauen, keinen. Daß eine krasse Ungerechtigkeit darin liegt, selbst der schuldlos geschiedenen Ehefrau, der gegenüber der Mann unterhaltspflichtig ist und die durch seinen Kriegsdienst den Unterhalt verliert, die Unterstützung zu weigern, liegt auf der Hand Sogar Frauen, die noch gar nicht geschieden waren, aber getrennt vom Manne wohnten, hatten die größten Schwierigkeiten, die Unterstützung zu bekommen.. Der Bund für Mutterschutz hat sich eine sehr weitgehende Beeinflussung der gesetzgebenden Körperschaften angelegen sein lassen und war in seinen Bemühungen von Erfolg begleitet. Einer Petition vom 4. August 1914 zur Einbeziehung der unehelichen Kinder in die Kriegsunterstützung. die einstimmig angenommen wurde, folgte die Petition zur Einbeziehung der unehelichen Kinder in die Hinterbliebenenunterstützung, deren Regelung zugesagt ist. Die Reichshilfe für Wöchnerinnen ist auf die Ehefrauen beschränkt geblieben, (und dies in einer Zeit, die, durch das Fernsein der Männer, monatlich zirka 60 000 Geburten weniger hat!) und die schuldlos geschiedenen Ehefrauen, die Anspruch auf Unterhalt von ihrem Manne hatten, blieben von der Kriegsunterstützung ausgeschlossen. Freiwillige, private Hilfe mußte da den gröbsten Notständen gegenüber einspringen.

Es muß aufs schärfste betont werden, daß gerade für die Unehelichen vor allem die Gesellschaft bzw. der Staat zu sorgen hat, da deren Erhaltung sich in dem Rahmen der Familie, auf dem dieser Staat aufgebaut ist, unmöglich zur Genüge einfügen läßt. Alle Erhaltungskosten auf den unehelichen Vater wälzen, heißt zumeist, eine Theorie anstatt der praktischen Hilfe zu geben. Denn der Mann ist zumeist gar nicht in der Lage, diesen Kindern, die in den meisten Fällen der Überrumpelung seiner Sinne und nicht seinem planmäßigen Wunsch nach Fortpflanzung ihr Dasein verdanken, ausreichende Aufzuchtmittel zu gewähren.

Die Durchseuchung unserer Gesellschaft mit wüstestem Hetärentum, die laxe und schamlose Manier der »doppelten Moral«, die den Mann diesen Trieben gegenüber zuchtlos werden ließ, das alles verbürgt ja tatsächlich nicht eine gute Grundlage für die Erzeugung von Menschen. Ein Interesse an der Geburt dieser Kinder hat lediglich die Gesellschaft, die ja eine steigende Bevölkerungsvermehrung wünscht, aber nicht der unfreiwillige Schwängerer oder das zum ungeregeltesten Geschlechtsverkehr willige Weib. Es ist also Sache der Gesellschaft, dieses Menschenmaterial aufzuziehen, um so mehr, als sie die Abtreibung mit den schwersten Strafen belegt.

Es ist vorauszusehen, daß die Ausrottung von Millionen auf der Höhe ihrer Geschlechtsreife stehenden Männer durch den Krieg die uneheliche Mutterschaft in nahe Zukunft unter einen besseren gesellschaftlichen Schutz bringen wird, als bisher, weil eben diese ungeheuren Menschenverluste Ersatz fordern. Gleichzeitig wird der uneheliche Geschlechtsverkehr schon dadurch zunehmen, daß der Überschuß an Frauen, die keinen »einzelnen« Mann mehr »für sich« bekommen können, durch die Opfer des Krieges ins Ungeheuere angewachsen ist, so daß sich jedem Mann noch mehr weibliche Wesen zum planlos ungeregelten Geschlechtsverkehr zur Verfügung stellen dürften, als bisher. Das sind böse Aussichten. Aber es heißt, wenigstens die Verwirrung durch systematische Organisation einigermaßen klären, anstatt durch unerfüllbare theoretische Forderungen, die dem Einzelnen aufgebürdet werden, ein vollständiges Chaos zu schaffen. Man muß sich zur Logik bequemen, und auch der Staat wird es endlich müssen. Will er die Früchte dieses wilden Geschlechtslebens nicht haben, so muß die Abtreibung straffrei sein, legt er aber Wert auf ihre Geburt und Existenz, so muß er auf das weitgehendste für ihre Aufzucht sorgen.

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Damit sich Ansätze von Säuglings- und Kinderschutz und Kinderfürsorge überhaupt entwickeln konnten, mußten erst Hekatomben von Opfern fallen. Dr. Robert Gradenwitz hat nachgewiesen, daß von den jährlich vor Ablauf des ersten Lebensjahres sterbenden 400 000 deutschen Säuglingen fast die Hälfte hätte am Leben bleiben können, wenn die Mutter in die Lage versetzt worden wäre, nur zwei Monate ihr Kind zu nähren. Unter den 30 deutschen Wöchnerinnenheimen (deren Zahl inzwischen gestiegen sein dürfte), wurde als Idealmutterheim bisher das unter dem Protektorat der Kaiserin stehende Säuglingsheim Westend in Berlin-Schöneberg geschildert. Jede Art von außerhäuslicher Kindererziehung und -Aufzucht wurde und wird von gewissen Gruppen noch immer als falsche Methode bezeichnet, und es wurde, besonders früher, die Erziehung und Aufzucht im Familienkreise als die einzig richtige dargestellt.

Gewiß gibt es keine bessere Umgebung für ein Kind, als innerhalb der eigenen Familie, wenn sie gut ist; wenn sie schlecht ist, gibt es kaum eine schlechtere Umgebung, und wenn sie gar nicht existiert, so müssen gesellschaftliche, staatliche, kommunale oder auf privaten Gründungen beruhende Internate und Anstalten vorhanden sein, die diese Aufgabe übernehmen. Die leidenschaftlichen Verfechter der Hauserziehung möchte ich aufrichtigst fragen: wird sie in den Kreisen der Bemittelten von den Müttern ganz allein besorgt oder halten sie sich nicht Erzieher, Fräuleins, Bonnen und Lehrer? Wer sich das aber ökonomisch nicht leisten kann, soll der sein Leben ganz und gar dem Kinde widmen, was oft schon durch die notwendige Berufstätigkeit unmöglich ist, oder soll er, weil er nicht kapitalkräftig genug ist, um sich Helfer in seiner Häuslichkeit zu halten, auf Kindererzeugung verzichten? So systematisch, wie in guten Internaten, können Kinder überhaupt nicht in der Familie erzogen werden. Denn das Internat ist eine Anstalt, in der eben alles und jedes auf das Kind zugeschnitten ist, von der äußeren Beschaffenheit der Räume bis auf die Ausfüllung jeder Stunde des Tages. Wenn die vorhandenen öffentlichen Anstalten für das Kind nur auf der möglichsten Höhe gehalten würden, dann, wäre gegen ihre weitgehende Benützung nicht das geringste einzuwenden. Leider ist dem nicht so. Und die Erziehung eines Kindes in einem halbwegs gut geleiteten Institut kostet in Deutschland unverhältnismäßige Summen, was ich grundfalsch finde In Österreich sind Landerziehungsheime bedeutend billiger. Solche gibt es z. B. in der deutschen Schulstadt Prachatitz, im herrlichen Böhmerwald.. Die Erziehung des Kindes müßte auf die einfachste, fast spartanische aber dabei humane Grundlage gestellt sein und wenig, unter Umständen gar nichts kosten. Ein trauriges Kapitel sind die Waisenhäuser, in denen die Kleinen allzu früh die Härte der Tretmühle kennen lernen, in der keine Minute des Tages dem Freiheitsbedürfnis des Kindes gegönnt ist.

Wie notwendig weitgehender gesellschaftlicher Kinderschutz ist, beweisen uns die furchtbaren Mißstände und Greuel, denen das Kind unter Umständen ausgesetzt sein kann. Schwester Henriette Arendt hat in ihren Schriften aufgedeckt, daß in Berlin ein schwunghafter Kinderhandel »blüht«, sie hat das schlimme Treiben der Adoptionszentralen enthüllt und auf die Gefahr der Zeitungsinserate, in denen Kinder zu allen Preisen angeboten werden, hingewiesen. Kinder werden zu Unterschiebungen benutzt, um Abfindungssummen zu erlangen, dann zu unsittlichen Zwecken verschachert und verkuppelt oder in vielen Fällen zu Tode gemartert. Bettlerinnen mit gemieteten Säuglingen treiben ihr Unwesen, und es ist charakteristisch, daß eine Dame, die eine solche Bettlerin entlarvte und polizeilich feststellen lassen wollte, beim herbeigerufenen Schutzmann keinen Erfolg hatte, / da es nicht sein Revier sei! Es ist überhaupt ein schlimmer Gedanke, daß die Polizei in Fällen größter Gefahr, in denen eine rasche Initiative notwendig ist, vollständig versagt, die »Parteien« auf den Klageweg verweist, sich oft weigert, Personen, die eine Gewalttat begangen haben oder deren Verbrechen man auf der Spur ist, sofort festzunehmen.

Schwester Arendt fordert eine strenge Überwachung des Adoptionswesens, fordert staatliche Mutterheime und Mütterkolonien auf dem Lande. Die fortgesetzten Kindermißhandlungen haben ja Kinderschutzgesellschaften schon entstehen lassen, aber der grauenhafte Kinderhandel hat sich fast ungehindert unter den Augen der Behörden abspielen können.

Eine strikte Ablehnung empfinde ich gegen Kinderheime, die mit allen modernen Reformideen prunken und dabei Pensionen von monatlich 150-250 M. pränumerando fordern. Institute, die für eine so winzige Schicht berechnet sind, / denn wohl nur die sehr Wohlhabenden können für jedes einzelne Kind solche Summen nur allein für die Pension bezahlen, / verdienen überhaupt keine ernstliche Beachtung in der Öffentlichkeit. Wichtig für die Gesellschaft ist die Frage: Was geschieht mit dem Kind ohne Familie? Auf welche Weise läßt man den Säugling, so lange wie möglich, mit der Mutter zusammen? Es gibt jetzt schon besoldete Säuglingsfürsorgerinnen, die an den Sitzungen der Armendirektion teilnehmen und deren Aufgabe die Belehrung und Kontrolle der Mütter ist.

Das uneheliche Kind hat nicht nur keinen richtigen Vater, sondern auch meistens keine ganze und echte Mutter, auch keine Verwandtschaft, nicht Bruder und nicht Schwester. So soll es doch den Gefährten haben, den es im Heim, das die Gesellschaft errichtet, findet, so soll es sich doch geborgen fühlen unter dem Schutz und der Vormundschaft einer höheren Vaterschaft, als der natürlichen. In Deutschland sind annähernd 10% aller Geburten unehelich In Großstädten, wie Berlin, sind es 20%.. Obwohl sie meist von jungen Leuten stammen, aus einer heißen Aufwallung ihrer Triebe, sind sie doch in vielen Fällen in Angst und Widerwillen ausgetragen und geboren. Diese beunruhigenden Momente müßten, soweit sie aus der Gesellschaft stammen, entfernt werden, durch die gebotenen Garantien, daß jede gesunde Geburt von der Gesellschaft begrüßt wird. Angst und Schande sollen nur den Verrat, den Treubruch, den Ehebruch begleiten, als Privatangelegenheit der beteiligten Personen. Wer im Ehebruch ein Kind zeugt, Frauenspersonen schwängert bzw. solche Frauenspersonen, die sich von verheirateten Verführern schwängern lassen, der spielt Hasard mit dem Fundament, auf dem er sein Privatleben, vielleicht seine Existenz errichtet hat. Wer neue Verantwortungen übernimmt, ohne alte zu lösen, wird sein Leben in ein Dickicht von Verwicklungen hineinbringen. Wer bestehende Bande lösen will, um neue zu knüpfen, dem stehe das frei. Aber Anarchie, Chaos, Zersplitterung, Verrat und Betrug, ein wildes, sprunghaftes Triebleben muß auf allen Gebieten Verwüstung erzeugen, um so mehr auf dem Gebiete der Geschlechtlichkeit, aus dem neues Leben hervorgeht und auf dem die höchsten Beziehungen der Menschen aufgebaut werden sollen. Mit Recht belegt die Sitte ein derartiges Treiben mit Verachtung. Sie spricht von schmutzigen, tierischen Zuständen und sie jagt mit Verachtung den Mann sowohl, der solche Wege geht, wie das weibliche Wesen, das sich für Buhlereien, die nur durch schmutzigen Verrat bestehen können, hergibt, in eine Sackgasse von kaum löslichen Komplikationen.

Das Heiligtum des Lebens, der Schöpfungsakt, wird in einer an einen Verblödungszustand grenzenden Dumpfheit des Trieblebens beständig zu kloakenähnlichen Zwecken mißbraucht. Was auf diese Art geboren wird, ist sicherlich nichts weniger als eine Auslese. Eine Auslese der Unehelichkeit könnte aber aus reinen, monogamen Sexualverbindungen, auch außerhalb der legitimen Ehe, stammen; der Nachdruck liegt eben immer auf dem Wörtchen monogam. Das ist das Alpha und Omega, / zu dem ich bei Untersuchung des Sexualproblems gelangt bin. Hier liegt das Kriterium zwischen rein und unrein, / nirgends sonst konnte ich es finden! … Nur monogamen Verbindungen gebührt die gesellschaftliche Achtung.

Der Schutz indessen für alles, was überhaupt geboren wird, muß universell sein, womit die Verachtung des wilden Geschlechtsverkehrs, der nur eine andere Art der Prostitution ist, der nicht auf einer starken, inneren Bindung beruht, durchaus nicht vernichtet zu werden braucht und nicht vernichtet werden soll. Der deutlichste Ausdruck für den Ernst des Bundes ist und bleibt heute noch die Ehe, d. h. die wirkliche Durchführung des ehelichen Prinzips, / nicht die »Ehe«, die sich mit einem Bordellbetrieb »vereinigen« läßt. Um so furchtbarer ist es, daß diese einzige Form, die die Gesellschaft überhaupt gefunden hat, um das Geschlechtsleben deutlich unter den Schutz der höchsten Sphäre menschlicher Beziehungen zu stellen, auch noch beständig, im blinden Rasen der Triebe, beschmutzt und gebrochen und so zu einer Verhöhnung ihrer selbst wird.

Kolonialpolitik mit den Unehelichen, nach dem Muster Englands, das Kanada mit ihnen besiedelt, wäre nur zu empfehlen. Die ganze Tendenz unserer sozialen Zustände, besonders in der Großstadt, drängt danach, daß behördliche Einrichtungen ergänzend eingreifen, dort, wo die Familie eben ihre Pflichten gegenüber dem Kinde nicht erfüllt oder nicht mehr erfüllen kann. Man hat Schlafsäle in den Schulen verlangt, ebenso wie Schulspeisungen. Je gründlicher das verwahrloste Kind aus der zweifelhaften Heimstätte, die keine ist, zu der Gesellschaft übersiedelt, desto besser ist es für beide Teile.

Köstlich erzählt Georg Hermann in »Kubinke« die Geschichte eines armen Teufels von Friseurgehilfen, der sich wegen doppelter Alimentationsklagen erhängt. Überzeugend wird dargelegt, wie und warum sich die verschiedenen Dienstmägde unter den zahlreichen Beziehungen, die sie »pflegen«, gerade ihn zur Vaterschaft aussuchen. Er ist nicht der Vater der beiden Kinder, aber selbst wenn er es wäre, scheint es ungerecht und erdrückend, daß ein armer Teufel, der als gesunder, kräftiger, lediger Mensch Kinder gezeugt hat, sozial und materiell daran verbluten soll. Die Forderung der Verschärfung der Alimentationspflicht des Vaters auf jeden Fall, bloß auf die Angabe der betreffenden Frauensperson hin, kann in der Praxis auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen. Überzeugend stellt der Dichter dar, daß diese Frauenzimmer, wenn sie sich einmal entschlossen haben, einen bestimmten Mann als Vater anzugeben, meineidig werden, »daß sich die Balken biegen«. Andererseits wünscht man, daß jeder, der zahlen kann, zahlen muß, auch wenn er die bestimmte Überzeugung hat, nicht der Vater zu sein. In letzterem Fall soll er erst recht bezahlen müssen, um zum Schaden noch den Spott zu haben und die Schmach und Unsauberkeit eines derartigen Geschlechtslebens kraß zu empfinden. Der Mann, der sich mit einem weiblichen Wesen einläßt, das gleichzeitig mit andern Männern verkehrt und der selbst, wahrscheinlich gleichzeitig, seine reine Frau zu schänden wagt, der soll gerade dafür, daß er in diesen Sumpf, durch den er dann, in schöner »Gleichzeitigkeit«, die Seinen vergiftet, hineinsteigt, bezahlen müssen, / auch zu Unrecht, / auch wenn er nur »die Ohren eingesäumt« hat, wie der Berliner Volksmund eine Schwängerung, bei der verschiedene Kompagnons »mitgewirkt« haben, drastisch, aber mit dem richtigen Unterton spöttischer Verachtung, bezeichnet.

Der von Maria Lischnewska geprägte Programmsatz: »Die Mutterschaft ist eine Ehre und Würde, gleichviel, wie sie erworben ist«, zeugt zwar von edler Gesinnung, aber von der gefährlichen, ideologisch-femininen, weltfremden Überschätzung der menschlichen Natur, die als typisch vielfach in der Bewegung anzutreffen ist. Durch die physische Befruchtung, »gleichviel, wie sie erworben ist«, wird kein weibliches Wesen, wenn es sonst als Mensch und Weib niedrig und gemein ist, / geadelt. Und bedauernswert sind die Kinder, die solcher Mutter und dem entsprechenden Vater ihr Dasein verdanken. Auf diese Kinder warten die Schicksale, die Schwester Henriette Arendt über den Kinderhandel aufgedeckt hat. Diese sehr reale Studie ist jetzt als überaus glücklich verfaßtes und in erster Besetzung dargestelltes Filmschauspiel »Kleine weiße Sklaven« zu sehen und ebenso lehrreich wie spannend, wie denn überhaupt das Kino als Volkserzieher nicht hoch genug zu veranschlagen ist, / vor allem deshalb, weil es schweigt und nur Bilder zeigt, und zwar typische Bilder, aus dem sittlich-sozialen Leben der Menschen, die, wenn sie auch oft naiv und psychologisch unkompliziert sind, doch eben die typischen Ideale der Menschen deutlich erkenntlich machen, was in einem Zeitalter der verschwommenen Sittlichkeitsbegriffe doppelt und dreifach notwendig ist. Das Kino ist die Zufluchtsstätte des Einsamen, der gern im Bilderbuch des Lebens blättert.

Ein bemerkenswertes Ergebnis über die beste Grundlage der Aufzucht der Illegitimen erbrachte Professor Dr. Othmar Spann, der an einem großen Material die von ihm so zubenannte Stiefvaterfamilie in ihrer sozialen Bedeutung untersuchte und statistisch feststellte, daß sie dem Kinde eine weit bessere Versorgung gewährleistet, als wenn die Mutter vom Schwängerer nur deswegen geheiratet wird, damit er die Alimentation erspart, oder aber wenn das Kind der Mutter allein überlassen bleibt. Diese Stiefvaterfamilie selbst konnte nur in einer moralischen Atmosphäre entstehen, die mit der Auffassung, daß die uneheliche Mutter in jedem Falle eine Verlorene sei, gebrochen hat. Die uneheliche Mutter ist individuell zu beurteilen, auf ihre menschliche Persönlichkeit hin anzusehen. Die Versorgung des Kindes muß auf jeden Fall gefordert werden. Geschieht sie nicht von Seiten der natürlichen Eltern, so muß sie von Seiten der Gesellschaft erfolgen. Ob die uneheliche Mutter als Ehefrau für einen anderen Mann als den, der sie zur Mutter machte, in Frage kommt, das bleibe ihrer menschlichen Gesamtpersönlichkeit überlassen. Und es ist anzunehmen, daß die Mutterschaft eher dazu beitragen wird, hetärische Triebe zu überwinden, als zu entwickeln.

Daß das voreheliche Kind in der Stiefvaterfamilie, in der es gewiß nicht auf Rosen gebettet ist, noch die besten Chancen findet, die überhaupt ein uneheliches Kind heute in der Welt haben kann, hat seinen psychologischen Schlüssel darin, daß es meist eine sehr entschiedene Zuneigung ist, die einen Mann eine Frau mit einem Kinde ehelichen läßt, / daß hier ein neues Bündnis, welches ganz und heil ist, in welchem noch keine Enttäuschungen und Kämpfe stattgefunden haben, geknüpft wird; während der natürliche Vater, der es erst zu Alimentationsprozessen kommen läßt, bevor er überhaupt zu fassen ist, mit der Mutter des Kindes, wenn es erst soweit kam, meistens auch schon früher, verfeindet ist, und auf einer solchen Grundlage kein Familienglück erwartet werden kann. Allerdings kommt es auch in der Stiefvaterfamilie oft nachträglich zu schweren und besonderen Konflikten, die eben mit der vorehelichen Mutterschaft der Frau zusammenhängen und die das Kind / büßen muß. Bei Prozessen über Kindermißhandlungen handelt es sich meist um diese unglücklichen Geschöpfe, die unehelichen Kinder, die nicht nur keinen Vater, sondern sehr oft auch keine richtige Mutter haben. Die soziologisch hochbedeutsamen Untersuchungen von Professor O. Spann, vorgenommen an den Unehelichen, nach den Prozentsätzen ihrer Sterblichkeit und ihrer Militärtauglichkeit, haben ergeben, daß keinerlei Kinder, selbst nicht die Vollwaisen, so elend daran sind als jene Kinder, für welche die Mutter allein, also die uneheliche Mutter, zu sorgen hat. Aus ihren Reihen kommt das große Heer der ungelernten Arbeiter, der Kriminellen, der Prostituierten.

II.
Verbesserung der rechtlichen Stellung des unehelichen Kindes

Zur Verbesserung der rechtlichen Stellung des unehelichen Kindes sind in nahezu allen europäischen Staaten Reformbewegungen im Gange. 1912 gelangte in Rußland ein Gesetz zur Annahme, wonach alle aus einer vom Staate nicht als gesetzlich angesehenen Vereinigung hervorgegangenen Kinder die gleichen Rechte mit den ehelich geborenen haben. Sie erben mit ihnen zu gleichen Teilen und führen nach dem Tode des Vaters seinen Namen, wenn sie ihn nicht schon zu seinen Lebzeiten von ihm erhielten. Sie teilen auch die Erbschaft der Mutter mit ihren ehelich geborenen Kindern. Der Vater muß für seinen natürlichen Sohn bis zu dessen Großjährigkeit sorgen und die natürliche Tochter bis zu ihrer Heirat erhalten, und zwar richtet sich das Erziehungsniveau der Kinder nach dem Einkommen des Vaters und nicht, wie bei uns, nach dem Stande der Mutter, endet auch nicht, wie bei uns, mit der Vollendung des 16. Lebensjahres. Ferner muß der Vater in Rußland sämtliche Erhaltungskosten für die Mutter tragen, solange diese durch die Aufzucht des Kindes in Anspruch genommen ist und daher ihren Lebensunterhalt nicht verdienen kann. Des weiteren haftet er für die Kosten der Entbindung und der darauffolgenden Rekonvaleszenz Vgl. einen Artikel von Marie Heller »Das neue russische Gesetz über die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder«. Voss. Zeitung vom 14. 1. 1912..

Von welcher Tragweite, vom sozialen Gesichtspunkt aus, dieses Gesetz in seiner Wirkung sein dürfte, liegt auf der Hand. Es ist aber auch individuell von allerhöchster Bedeutung, im Hinblick darauf, daß durch diese außerordentliche Belastung des unehelichen Vaters vielleicht doch einige Hemmungen, gegenüber dem unbegrenzten Wüten der polygamen Triebe des Mannes geschaffen sein dürften. Denn bei so außerordentlichen Schutzmaßnahmen, zugunsten der unehelichen Mutter und ihres Kindes, ist nicht zu erwarten, daß sie sich so häufig, wie dies ohne diesen Schutz geschieht, zu der vom Gesetz bestraften Beseitigung der Folgen des außerehelichen Verkehrs bereit finden dürfte. Allerdings dürfte die Verführung von weiblicher Seite noch größere Dimensionen annehmen, wenn die betreffenden weiblichen Personen sich, im Falle einer Mutterschaft, durch den Mann fast in demselben Umfang, wie die Ehefrauen, versorgt wissen.

Von feministischer Seite wird man sicherlich mit einiger Empörung über den hier gebrauchten Ausdruck »Verführung« urteilen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß diese Verführung zur niedrigsten Wollust, zum Geschlechtsakt an sich, tatsächlich in überwältigenden Maßen in der Kulturwelt da ist. Der Typus des dirnenhaften Weibes, das fast jedem Mann gegenüber zum Geschlechtsverkehr bereit ist und ihn mit allen Mitteln dazu provoziert, ist, verglichen mit dem der wirklich passiven, ja defensiven Frau, die nur einem starken und echten Gefühl Macht über sich einräumt, überwiegend. Der Wille des Durchschnittsmannes zur Ausschweifung hat diesen Typus der geilen Dirne gezüchtet und die soziale Lage, die sexuelle Krise, die einen ungeheueren Frauenüberschuß erzeugt, der vom monogamen Geschlechtsleben ausgeschlossen ist, begünstigt ihn. Es ist also auch aus diesem Grunde wünschenswert, daß der Mann die Folgen des Verbrechens, welches das Spielen mit dem Schöpfungsakt bedeutet, in erdrückender Wucht zu tragen bekommt, wenn endlich jemals diese rohesten atavistischen Triebe, die verheerend den ganzen Kulturbau unterwühlen und reines geschlechtliches Glück von dieser Erde fast verbannt haben, eingedämmt werden sollen.

Die Skrupellosigkeit konnte hier wahre Orgien feiern. Man benützte irgendein Frauenzimmer, welches durch irgendeinen partiellen Reiz in irgend einem Augenblick auf die Geschlechtsgier wirkte, und man hatte nicht viel an die Folgen zu denken, schlimmstenfalls wurde abgetrieben. Mit solchen Mutter- und Kinderschutzgesetzen aber wird die weibliche Provokation noch viel planmäßiger erfolgen. Und die Wucht der Verantwortung dürfte selbst in dem Zustand der Schwachsinnigkeit, der sich des gewöhnlichen Mannes unter dem Einfluß einer geschlechtlichen Reizung zu bemächtigen pflegt, hineindämmern. Denn der ganze Bau seiner Existenz und seines bisher nur insgeheim geschändeten Familienlebens stürzt offiziell zusammen, sowie das uneheliche Kind mit dem Anrecht auf seine Erbschaft und auf seinen Namen ins Dasein tritt und sobald er es, ebenso wie die ehelichen Kinder, bis zur Großjährigkeit, die Tochter gar bis zur Heirat erhalten muß, ebenso wie die Mutter, solange sie durch die Pflege des Kindes an eigenem Verdienst verhindert ist.

Das außereheliche Geschlechtsleben mit seinen Folgen spielte sich, bis jetzt, fast wie in dunklen Kanälen ab, in denen die Ratten hausen. Sobald aber durch das Gesetz da hinein geleuchtet wird und diese rattenhaften Triebe an das Licht der Öffentlichkeit gescheucht werden, dürften sich starke Hemmungen ergeben.

Es kann natürlich durch eine solche Gesetzgebung auch anders kommen. Sie kann zum völligen Einsturz des Instituts der Ehe führen. Darüber ist kein Zweifel. Und für den wirklich »polygam« veranlagten Mann, d. h. den, der gar kein Bündnis mit einer Frau rein erhalten und zu einer Lebensgemeinschaft ausgestalten kann, ist dieses Institut auch tatsächlich zu schade, / zu gut. Er mag dann die »Liebe« im Plural genießen und sein Vermögen und seine Einkünfte auf eine unabsehbare Anzahl von illegitimen Sprößlingen verzetteln. Hat er einigermaßen soziale Instinkte, so wird ihm das Gesetz, das ihm auf solche Art seine Verantwortung klar macht, Zurückhaltung auferlegen. Und dies ist sicherlich ein hoher Gewinn für das intimste Kulturleben der Menschen, für die Kultur der Ehe.

Es gewinnen also durch weitgehende Mutter- und Kinderschutzgesetze nicht nur die unehelich Geborenen, sondern auch die Einrichtungen, die zur Begrenzung des Geschlechtslebens geschaffen wurden, während andernteils diese Grenzen dort, wo es sich um die undämmbaren Triebe der moralisch Degenerierten handelt, wenigstens vor den Augen der Gesellschaft, eingerissen werden, was immer noch wünschenswerter ist, als daß die sexuelle Lüge und der sexuelle Verrat hier Orgien feiern. Was sich nicht enthalten kann, sich unbegrenzt polygam auszutoben und Frauen zu schwängern, mit denen er keinen Lebensbund zu schließen beabsichtigt, der soll durch die Folgen dieser Skrupellosigkeit vom Geschlechtsleben auf seiner höchsten Stufe, von der sozialen Umfriedung, die heute die Familie bildet, ausgeschlossen werden.

Es ist sonderbar, daß gerade Rußland mit einem solchen Gesetz an der Spitze geht, wozu es höchstwahrscheinlich durch seine enorme Säuglingssterblichkeit veranlaßt wurde. Sehr wichtig ist auch der dritte Punkt dieses Gesetzes, wonach die vor der Ehe geborenen Kinder durch den Akt der Eheschließung der beiden Eltern legitim werden. Der Schlußparagraph des Gesetzes hebt eine frühere Bestimmung, wonach illegitime Kinder in staatliche Stellungen nicht eintreten konnten, auf. Bei der Unsicherheit der Vaterschaft ist durch den Sexualverkehr des Mannes mit einigermaßen fragwürdigen weiblichen Elementen, durch jene strenge Haftpflicht des Schwängerers, dem wildesten weiblichen Hochstaplertum Tür und Tor geöffnet. In diesem Punkt hat Dr. Ed. Ritter von Liszt vollständig recht »Die Pflichten des außerehelichen Konkumbenten«. Verlag Braumüller, Wien.. Aber gerade in diesem Damoklesschwert, das über dem Manne hängt, ist ein automatischer natürlicher Strafakt zu sehen, dafür, / daß er sich mit solchen Elementen überhaupt einläßt.

Auch das holländische Gesetz verlangt, daß das uneheliche Kind nach dem Stand und Besitz des Vaters alimentiert werden muß. Sofort bei seiner Geburt wird ihm, außer dem Vormund, ein Stellvertreter ernannt, der, vom ersten Tage der Geburt des Kindes an, seine Interessen wahrnimmt. In Deutschland hat sich, insbesondere für die Unehelichen, das Institut der Generalvormundschaft entwickelt, dessen Grundlage in Leipzig gelegt wurde und das besonders in der Einziehung der Alimentationskosten und in der Beaufsichtigung der Pflegeeltern große Erfolge erzielte.

Während die eine Tendenz, betreffs der Unterhaltskosten der Unehelichen, sowie des Nachwuchses überhaupt auf eine immer schärfere Belastung des Erzeugers hinausläuft, verlangt eine andere Richtung die Abwälzung der Kosten auf den Staat sowohl durch Errichtung staatlicher Säuglings-, Kinder- und Mütterheime, als auch durch Einrichtung einer Kindererziehungs-Rentenversicherung, für die in Deutschland besonders Dr. Walter Borgius eintritt. Will der Staat seine Interessen wahren, so wird er sich sicherlich des in ihm erzeugten Nachwuchses auf jeden Fall bemächtigen. Aber trotzdem wir im Zeitalter des Geburtenrückganges leben, dürfte das eine solche Übervölkerung zur Folge haben, daß wir, ohne gleichzeitige weitgehende Erweiterung unseres Kolonialbesitzes, mit einem solchen Überschuß an Menschen, wie dem, der sich durch vollständige Versorgung der Unehelichen durch den Staat ergeben dürfte, nichts anfangen könnten und das Gedränge im Existenzkampf noch unheimlicher würde.

Verschärfte Pflichten des Erzeugers werden indessen immer zu Geburten beschränkungen führen, welcher Art auch die Mittel sein mögen, mit denen der Staat sie zu verhindern sucht. Mit Recht wurde bemerkt, daß die Höhe des Einkommens durchaus nicht der Höhe der rassenbiologischen Tüchtigkeit parallel läuft, vielfach eher im umgekehrten Verhältnis zu ihr steht, daß daher das Prinzip, wonach der Einzelne für seinen Nachwuchs aufzukommen hat, antiselektorisch wirken könnte und daß darum die Notwendigkeit einer Verteilung der Erziehungskosten auf die Gesamtheit gegeben sei.

Wir haben hier eines der schwerwiegendsten Probleme der Kultur, welches sich, meines Erachtens, überhaupt nicht mit einer positiven Entscheidung beantworten, sondern nur durch Darlegung der Konsequenzen auf der einen wie auf der anderen Seite einigermaßen überblicken läßt. Tatsache ist: Bleiben die ganzen Lasten der Aufzucht der Kinder den Eltern bzw. hauptsächlich dem Vater überlassen, so werden, in dem schwierigen Daseinskampf von heute, die Menschen ihre Fortpflanzungstriebe unterdrücken bzw. deren Folgen häufig verhindern. Will der Staat das nicht, dann muß er die gesamten Kosten der Aufzucht übernehmen. Ein Drittes gibt es in dieser Frage nicht zu sagen.

In der praktischen Lösung der Frage der Kinderversorgung wird das zwingende Bedürfnis und der soziale Sinn der Kulturwelt, Schritt für Schritt weiterschreitend, Entscheidungen treffen, Darum sind auch noch so schöne Predigten, wonach allein in der Familie der »wahre Hort« des Kindes liegt, mit welchem Argument gegen öffentliche Kinderhorte polemisiert wird, wertlos. Solange Tausende von Kindern in der Familie keinen Hort haben und der Straße überlassen bleiben, falls nicht ein öffentlicher Hort sie aufnimmt, solange wird die Gründung solcher Horte eben notwendig sein. Außerordentlich notwendig sind insbesondere Kinderheime für Uneheliche. Wie sehr aber auch das eheliche Kind ihrer, unter Umständen, bedarf, hat uns die Kriegszeit am besten bewiesen. Krippen und Kinderhorte aller Art reichten nicht aus, um alle die Kinder aufzunehmen, die durch den Kriegsdienst des Vaters und die sich daraus ergebende gebieterische Notwendigkeit der Erwerbstätigkeit der Mutter, des Hortes der Familie beraubt waren. Eine bewunderungswürdige Einrichtung sind die Settlements, wie sie, nach englischem Muster, auch in Wien bestehen. Inmitten der Armenviertel werden diese Heime errichtet, die nur Halbinternate sind, in denen die Mütter, wenn sie fortmüssen, die Kinder unterbringen können, um sie jederzeit wieder abzuholen, und in denen sich allabendlich auch die Eltern mit den Kindern zu geselligem Beisammensein vereinigen.

Otto Corbach führt in einem einschlägigen Artikel aus: »Viele große Kulturfortschritte sind erst durch gewaltsame Durchbrechungen alter privatrechtlicher Schranken ermöglicht worden. So hat sich die Exogamie, das Vorstadium der modernen Ehe, aus dem Frauenraub zwischen verschiedenen Stämmen entwickelt. Und entstand nicht die öffentliche Schule durch Verletzung der privaten Rechte der Eltern an ihren Kindern? Der Staat mußte sich in die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern gewaltsam einmischen, mußte die Kinder den Eltern, deren vollständiges Privateigentum sie vorher gewesen waren, enteignen, um den Zweck allgemeiner Volksbildung zu erreichen. Das ist die gute Seite des Schulzwanges, der gewiß später einmal zugunsten freiester Entfaltung aller erzieherischen Kräfte fortfallen wird, wenn es kaum noch Eltern gibt, die ihre Kinder von Schulbesuch abzuhalten geneigt sind. Was also einst eine private Angelegenheit war, ist oft heute eine öffentliche Angelegenheit, kraft Einmischung eines stärkeren Gruppenwillens.«

Furchtbar erscheint es, daß es einer armen Witwe mit Kindern überlassen bleiben soll, sie aus eigener Kraft großzuziehen. Hier genügen die Waisenhäuser nicht, denn sie stehen im allgemeinen nicht auf der Höhe dessen, was die moderne Kindererziehung zu bieten hat. Für jedes Kind einer Witwe müßten vielmehr vollwertige staatliche Unterstützungsbeiträge in bar zur Verfügung stehen. Vielleicht schafft eine großzügige Hinterbliebenenfürsorge, wie sie für die Kriegswitwen in Deutschland geplant wird, die Grundlage einer allgemeinen Witwen- und Waisenversorgung, die nicht durch die Geringfügigkeit der Beiträge eine bloße Chimäre bleibt. Es ist richtig, daß, wie schon George Sand ausgesprochen hat, »die Existenz der Kinder geborgen und gesichert sein muß, ohne daß deshalb der Freiheit der Eltern ewige Fesseln angelegt werden«.

In Ungarn gilt die Organisation des staatlichen Kinderschutzes als mustergültig. Bemerkenswert ist besonders, daß, in Ungarn, selbst den ausländischen Kindern, die sich auf ungarischem Boden befinden, derselbe Schutz gewährt wird, wie den einheimischen Kindern, bis der zuständige Staat sie in seine Obhut nimmt. Jedes Kind muß sofort in Schutz genommen werden, wenn es schutzbedürftig erscheint, und die Recherchen nach dem Anspruch, den es auf Staatsschutz hat, erfolgen erst nach der Aufnahme. »Damit ist Verschleppungen der Weg versperrt, die in anderen Ländern die besten Kinderschutzsysteme schwächen, weil sie die Erledigung überall von langwierigen, bureaukratischen Prozeduren abhängig machen« »Staatlicher Kinderschutz in Ungarn« von Rosika Schwimmer. »Neue Generation« September 1909.. In der Schweiz wurde durch ein am 1. Januar 1912 in Kraft getretenes. Gesetz der Schutz des unehelichen Kindes so weitgehend, daß das Kind nicht nur nach dem Stande des Vaters erzogen werden muß, sondern auch an die Verwandten des Vaters dieselben Ansprüche erhält, wie die ehelichen Kinder, auch in erbrechtlicher Beziehung; allerdings gilt dies nur, wenn der Mann ledig ist; wenn er verheiratet ist, sind diese Bestimmungen einigermaßen eingeschränkt. England betreibt mit seinen Unehelichen eine systematische Kolonialpolitik und siedelt sie in Kanada an. Besondere Sorgen haben ihnen die Kriegskinder verursacht, jene, die der kurzen Soldatenliebe ihr Dasein verdanken. Die englische Prüderie hat sich bereit gefunden, illegitime Geburten, die so ungewöhnlichen Ereignissen ihr Dasein verdanken, etwas milder zu beurteilen als sonst. Die vollkommene Gleichstellung des außerehelichen Kindes wurde im März 1915 in Norwegen erreicht.

Einen »Ausweg«, sich des Kindes zu entledigen und es ganz der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, bieten auch die Findelhäuser, besonders solche mit der Drehlade, in die die Mutter das Kind hineinlegt. Ohne weitere Formalitäten wird es drinnen übernommen. Nur in Ländern ohne ausgiebigen Mutterschutz und darum besonders in den Ländern des Code Napoléon konnte sich diese Art der Kindesentledigung einbürgern, die wenigstens in unzähligen Fällen den Kindesmord verhütet hat. Ganz besonders vollkommen sollen die spanischen Findelhäuser ausgestattet sein. Das Findelhaussystem muß aber unbedingt in den Kulturstaaten dahin ausgebaut werden, daß das Kind nicht anonym in die Drehlade gelegt, sondern offiziell von der Mutter abgeliefert werden kann, mit dem Recht, es jederzeit zurückzuholen.

Ein Mißstand im Gesetz, der wohl noch kaum hervorgehoben wurde, ist m.E. die Rechtlosigkeit des unehelichen Vaters, gegenüber seinem illegitimen Kinde. Er darf und muß zwar zahlen, hat aber gar kein Anrecht, in die Erziehung des Kindes einzugreifen. Er müßte m.E. gleichermaßen mit sehr scharfen Pflichten aber auch mit Rechten ausgestattet werden, allerdings unter der Kontrolle eines Vormundes. Schon um der ungeheueren moralischen Suggestion willen, wäre dies zu wünschen, da durch dieses Recht am Kinde auch wieder ein Schwergewicht der moralischen Verantwortung gegeben wäre. Den wirklich vaterlosen Kindern aber, den Ganz- oder Halbwaisen, den schlecht versorgten ehelichen oder unehelichen Kindern müßte die Gesellschaft Vater und Mutter sein und ihnen eine Erziehung geben, wie sie sie in gutem Vaterhause genießen. Die natürlichen Eltern sollten auf jeden Fall unter die Obervormundschaft der Gesellschaft gestellt werden, was sich am ehesten dann ergeben dürfte, wenn die Gesellschaft einen Teil der Aufzuchtkosten übernimmt.

In einer früheren Betrachtung über die Qualität der Illegitimen schrieb ich einmal, daß ich freilich nicht der Ansicht bin, daß aus der Sumpfvegetation des wilden Geschlechtslebens besonders wertvolle illegitime Produkte hervorgehen: »Nicht jene Unehelichen, welche heute geboren werden, sind daher in den meisten Fällen wirklich kostbare biologische Produkte, sondern jene, welche geboren werden würden, wenn die gesellschaftliche Vorsorge für sie bestehen würde. Dann würden treffliche Menschen, die heute verzichten und entsagen, weil sich ihnen die rechte Ehe nicht bietet, die aber doch in ihrem Leben dem geliebten Partner begegnet sind, aus diesem Erlebnis lebendige Wirkung in Gestalt neuen Menschenlebens erwachsen lassen« Aus meinem Artikel »Sexualbiologische Fragen« in der Zeitschrift »Sexualprobleme«. Herausgeber Dr. Max Marcuse, Berlin.. Allerdings nehme ich auch von diesem schon im Konjunktiv gebrauchten Urteil jene Fälle aus, die nicht aus rein monogamen Bündnissen entstammen, sondern in denen der eine oder der andere Teil polygam bzw. polyandrisch lebte. Denn der Geschlechtstrieb, der sich im ständigen Wechsel des Objekts austobt, ist nichts weniger als »auslesend«, im Gegenteil: in welcher Weise die geschlechtliche Überreizung, die zu solchem Vielerlei des sexuellen Lebens führt, vollständig blind ist für die Qualität des momentan aufgegriffenen Objektes, das soll später, an anderer Stelle, dargetan werden.

III.
Sexuelle Aufklärung und »Emanzipation« des Kindes

Das Schlagwort vom »Jahrhundert des Kindes« hat m. E. schweres Unheil geschaffen. Die zu weit gehende Emanzipation des Kindes, die Verweichlichung und Feminisierung in der Erziehung taugt nicht für aufstrebende und wehrhafte Völker. Diese Bewegung dürfte durch die gewaltsame Abhärtung, die uns der Krieg gebracht hat, auch hinweggeschwemmt sein, und es dürfte in der Pädagogik wohl wieder die schärfere Zucht eingreifen, die zur Erziehung starker, tüchtiger Menschen unbedingt notwendig ist. Was die Koedukation betrifft, so ist sie im Lande ihres Ursprunges, in Amerika, sehr stark im Rückgang begriffen, da man mit Recht erkannt hat, daß eine erhebliche sexuelle Gefahr sie begleitet Vgl. »Amerikanische Koedukation und ihre Folgen« von Dr. med. Ike Spier, in der Zeitschrift »Sexualprobleme«..

Die sexuelle Belehrung des Kindes ist eine andere Reformströmung, die unbedingt Beachtung verdient, die aber eigentümlich romantische Blüten hervorgebracht hat; denn immer wieder wurde darauf hingewiesen, daß man das Geschlechtsleben des Menschen an dem Beispiel der Pflanzen klarmachen soll. Wie das zu geschehen sei, darüber habe ich mir vergebens den Kopf zerbrochen, da doch die Pflanzen sich zumeist durch die Vermittlung freundlicher Insekten befruchten, und dieser Vorgang, gerade in dem entscheidenden Punkt, ein wesentlich anderer ist, als bei Menschen und Tieren. Und gerade der Geschlechtsakt selbst ist es, der die Neugierde und Fragelust des Kindes hervorruft. Dessen Wesen aber dürfte dem Kinde durch den Hinweis auf die Befruchtung der Pflanzen kaum näher gebracht werden, und es wird m. E. dadurch mehr Verwirrung als Aufklärung erzeugt. Das Storchmärchen wurde ersetzt / durch das Pflanzenmärchen.

Vielleicht ist eine weitgehende Aufklärung, vor der Zeit, in der das Blut sie verlangt, überhaupt nicht nötig. Sicher aber ist, daß das Geheimnis des Lebens in der Schule nicht doziert werden kann; wohl aber kann dort durch einen weitgehenden Unterricht in den Naturwissenschaften, insbesondere der Physiologie des Menschen, eine Aufklärung angebahnt werden, die dann zu Hause durch die Eltern, nach und nach und mit allergrößtem Takt, ergänzt wird.

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Bei der Berührung dieses tiefsten Geschehens der Schöpfung muß man aber auch sehr darauf bedacht sein, das Kind vor Ekelsuggestionen zu bewahren, die für sein ganzes späteres Leben verhängnisvoll werden können. Zur Erzeugung von Ekel, Furcht und Grauen muß es m. E. führen, wenn z. B. eine Mutter ihr Kind in die Küche ruft und ihm den aufgeschnittenen Leib einer Häsin zeigt, in der sich die Jungen bereits entwickelt hatten / und die eben gerade in der Küche als Braten hergerichtet wird. Ich glaube es war Frau Dr. Ratzka-Ernst, welche in einem Artikel in der »Neuen Generation« diese von ihr geübte Methode der sexuellen Aufklärung des Kindes schilderte und empfahl. Ich glaube, daß ein Kind daraufhin ein namenloses Grauen und einen heftigen Ekel vor dem Prozeß der Fruchtbarkeit und besonders auch vor den Menschen empfinden muß, die diesen leckern Braten einer hochschwangeren Häsin mit Appetit verspeisen, nachdem sie sich zuerst an dem Vorhandensein der Jungen in ihrem Bauch / erbaut und verklärt haben und sozusagen eine Stunde der »Andacht« daran knüpften. Die ganze falsche Monisterei und Reformlerei hegt in solcher Art »Aufklärung«.

Welchen Einfluß Ekelsuggestionen, besonders aus der sexuellen Sphäre, die in der Kindheit durch Taktlosigkeit und Unbedacht der Eltern erzeugt werden, für das ganze spätere Leben eines Menschen haben können und zumeist auch haben, welche grundlegenden Aversionen sich daraus entwickeln, das hat vor allem Professor Freud und seine Schule, besonders auch Dr. Wilhelm Stekel nachgewiesen. Im Familienleben ist, gerade im Hinblick auf das Kind und besonders inbezug auf sexuelle Vorgänge, die größte Vorsicht und die bewußteste Ästhetik notwendig, und hier hat besonders das Bürgertum viel gesündigt. Die Art, wie z. B. Frauen und Mütter sich vor dem Kinde gehen zu lassen pflegen, erweckt in ihm / geradezu Haßgefühle und sehr oft den Wunsch, sich dieser ihm aufgezwungenen Einblicknahme in die intime Sphäre zu entziehen, worin vielleicht der psychologische Schlüssel für so manche rätselhaft erscheinende Flucht eines Kindes aus dem Elternhause zu suchen ist.

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Das Kind ist in der letzten Epoche, wie die Dienstboten und Kleinbürger, in die große Kategorie derer gerückt, die sich »nichts mehr gefallen lassen«, vielmehr verlangen, daß man sich von ihnen alles »gefallen« läßt.

Gegen die zuerst von Ellen Key flammend verfochtene und nachher von Lilly Braun weiterpropagierte »Emanzipation des Kindes«, die ja sogar ein »Jahrhundert des Kindes« ergeben sollte / (später sollte es gar ein »monistisches Jahrhundert« sein) / gegen diese »Emanzipation«, die, / besonders im Zusammenhang mit den Schülerselbstmorden, / gefordert wurde, habe ich mich deutlich ausgesprochen in einem Feuilleton der »Frankfurter Zeitung«, welches, ebenso wie ein anderer Artikel zu dieser Frage, betitelt »Das Kind der Gegenwart« in meinem Buch »Betrachtungen zur Frauenfrage« 1914 Prometheus-Verlagsgesellschaft m. b. H., Berlin W. 30. aufgenommen ist.

Ich exzerpiere daraus die nachfolgenden Stellen: »Zu keiner Zeit vielleicht hat sich alles und jedes so sehr um das Kind gedreht, wie gerade heute … Wenn ein Kind das Leben von sich wirft, weil es statt in das öde Klassenzimmer mit dem ›freudlosen Lehrer‹ lieber in den grünen, grünen Wald laufen möchte, so wird es die viel härteren Prüfungen, die das eiserne Leben heute uns allen auferlegt, auf keinen Fall überdauern … Solche Menschen sind nicht lebensfähig … Mit einem Überschwall von Sentimentalität, mit billigem Lyrismus treibt man aber in Deutschland dem Kinde gegenüber eine Verweichlichung, die ihm selbst nur schaden muß … Niemand ist Suggestionen zugänglicher, als gerade das Kind. Wir erinnern uns noch alle, wie eine gewisse Lektüre uns in kindlichen Jahren beeinflußte. Den Jungen verdrehen blödsinnige Indianergeschichten die Köpfe, die Mädchen zerfließen über den verlogenen Lebensverdrehungen einer Marlitt in Tränen. Ich erinnere mich noch, daß wir, meine sämtlichen Kolleginnen im Pensionat und ich mit ihnen, ausnahmslos bereit waren, ›für den Geliebten zu sterben‹, und daß uns nur die Furcht vor einem entsetzlichen Skandal abhielt, uns nach einem solchen umzusehen. Über die Sexualität des Kindes hat ja die neueste Forschung viel Licht gebracht. Aber alle diese Gefühle, die erotischen und die des Ehrgeizes, besitzt das Kind in einem Grade, der sich fast bis zum Wahnsinn steigern kann, wenn nicht eine abkühlende rationelle Erziehung beizeiten das ihre tut. Das Kind neigt zur Pose, zur Selbstbelügung mehr als der Erwachsene Die Lüge. als Pose im Leben des Kindes, war die erste von mir mit ca. 20 Jahren veröffentlichte Novelle und erschien in der »Neuen Freien Presse« unter dem Titel »Die Lüge«. Aufgenommen in meinen Novellen-Band »Suchende Seelen«, Verlag Hermann Seemann Nachf., Berlin 1903.; sich als tragischen Helden, als Märtyrer zu sehen, ist seine brennendste Sehnsucht«.

In dem zweiten Aufsatz zu dieser Frage »Das Kind der Gegenwart« heißt es: »Warum die Frage des Kindes heute fast die beherrschende, wenn nicht des »Jahrhunderts« so doch sicherlich der Gegenwart geworden ist, das hat seine kulturhistorischen, soziologischen und psychologischen Gründe, auf die des Näheren einzugehen, den gebotenen Rahmen überschreiten würde. Nur andeutungsweise kann man diese Motive zu beleuchten suchen. Kulturhistorisch ist die Frage des Kindes deshalb so sehr in den Vordergrund getreten, weil zwischen der vorigen und der jetzigen erwachsenen Generation (der der jungen Eltern von heute) eine Ära der mächtigsten kulturellen Entwicklung liegt. Gewaltige Umwälzungen auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, der Technik, der praktischen und der idealen Erkenntnis, haben hier einen Abstand zwischen zwei Generationen geschaffen, wie er in der Geschichte nicht häufig zu finden ist. In dieser Epoche hat sich besonders das Leben der Frau aufs allerentschiedenste umgestaltet, und die Frauenfrage ist ein Ausdruck der Zeit geworden. Diese unter so gänzlich veränderten Verhältnissen zur Elternschaft gelangte Generation mußte dem Kinde mit einem viel größeren Verantwortlichkeitsgefühl, Pflichtbewußtsein, aber auch mit tausend bangen Fragen, die unsern Müttern und Großmüttern noch kein Kopfzerbrechen machten, entgegentreten.

Soziologisch ist das Kind schon durch die Krise in der Bevölkerungsfrage plötzlich zu einem mit Recht gesteigerten Wertfaktor geworden … Für entschieden übertrieben aber halte ich gewisse zu weitgehende Forderungen, die dem Kinde allzufrüh eine Selbstbestimmung gestatten, die für sein späteres Leben nur schädlich sein kann … Sogar die Kunst im Leben des Kindes wurde als ein ihm gebührender Wert anerkannt; angefangen vom Zimmer des Kindes bis zu jedwedem kleinsten Gebrauchsgegenstand und zum Spielzeug drängte man nach »angewandter Kunst«. Auch hier wird wieder die Erfahrung, die beinahe nur die Frau machen kann, weil sie es ist, die dem Kinde am nächsten steht, am meisten dazu beitragen, aus allerhand übertriebenem Snobismus heraus und aus einigen tatsächlich richtigen Forderungen den geeigneten Mittelweg zu finden. Die Erfahrung zeigt / erfreulicherweise / daß das Kind mit den überaus ästhetischen Möbeln, Spielgeräten und den so sehr literarischen Bilderbüchern meist wenig anzufangen weiß und sich am liebsten mit Dingen beschäftigt, die so primitiv wie nur möglich sind: ein beinahe selbstverständliches Gesetz; denn das Kind steht in seiner Entwicklung dem Menschen in seinen primitiven Anfängen am nächsten. Es hat noch das ehrfürchtige Staunen vor dem Objekt, und es will mit seiner Phantasie das in die Objekte hineinlegen, wonach es begehrt. Dinge, die allzu fertig aus den Händen der Kultur hervorgehen, kann es in ihrem »Wert«, der oft ein recht problematischer ist, nicht schätzen. Je simpler und natürlicher ein Gegenstand ist, desto mehr wird er die Aufmerksamkeit und die Phantasie des Kindes reizen. Und hier liegt vielleicht der Grund, warum die Kinder mit einem einfachen Stein häufig lieber spielen als mit dem raffiniertesten Spielzeug und warum sie an einem alten, zerschlagenen Puppenkopf von greulicher Beschaffenheit mehr hängen als an einem Wunder der modernen künstlerisch-individuellen Puppentechnik, die auch fast schon eine »Bewegung« geworden ist.

Dieser Zug zum Primitiven, erklärt aus dem Bedürfnis nach Romantik, hat das heranwachsende »Kind der Gegenwart« dazu geführt, sich in Gruppen zusammenzuschließen, die vor allem den Wandersport pflegen. Die Pfadfinder und die Wandervögel ziehen in Scharen durch das ganze liebe Deutschland; sie kampieren in Zelten und kochen im Freien; sie bekränzen sich die Locken mit frischen Blüten, und es wird ihnen nicht zuviel, bei ihren Streifereien die bändergeschmückte Gitarre mitzuführen und draußen im Freien ihre Gesänge erschallen zu lassen. Auch diesem Bedürfnis gegenüber muß die Mutter sich wie ein guter Kamerad verhalten und mithalten, so gut sie kann und soweit es die Kreise der Kinder selbst nicht stört Dieses gilt für die Kinder, / nicht für die erwachsene Jugend. Vgl. die Schrift von Hans Blüher, »Die deutsche Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen«, Verl. Bernhard Weise, Berlin. Es empfiehlt sich, diesen wochenlangen Streifzügen junger Leute beiderlei Geschlechts gegenüber, die zusammen in Zelten übernachten usw. von seiten der Eltern entschieden Vorsicht und Wachsamkeit, damit nicht Tragödien wie »Frühlings Erwachen« sich daraus ergeben..

Hervorragendes aber haben die Frauen noch zu leisten auf dem Gebiete des Kinderschutzes und der Jugendgerichtspflege. Hier ist Amerika vorbildlich geworden. Anstatt mit Polizei und Strafrecht ist es dem verirrten Kind mit allen Mitteln eines fast familiären Schutzes entgegengetreten. Das amerikanische Jugendgericht arbeitet mit dem System der probation officer. Und dieser officer ist zumeist eine Frau. Sie hat die Aufgabe, die häuslichen Verhältnisse des scheinbar oder wirklich verwahrlosten Kindes zu untersuchen, zu überwachen und, wenn sie schlecht befunden werden, unablässig auf deren Besserung hinzuarbeiten. Wenn sie das Kind in einem sozial bedrohlichen Milieu findet, so muß erst, das ist die große Erkenntnis des amerikanischen Jugendgerichtes, dieses Milieu selbst gebessert werden. Erweist sich das als unmöglich, so wird das Kind diesem Milieu entzogen und der sog. Reformschule überwiesen, einer »Schule mit allen Möglichkeiten und Vorteilen einer guten häuslichen Erziehung, mit aller Wärme und Freude und Heiterkeit des Heimes« Vgl. Wilhelmine Mohr, »Kinder vor Gericht«, Modern-Pädagogischer und Psychologischer Verlag, Berlin W.. Hier ist ein unermeßliches Feld für die soziale Hilfstätigkeit der Frau gegeben.«

IV.
Das Kind und der Krieg

Für die Versorgung des elternlosen oder so gut wie elternlosen, zurzeit besonders des hinterbliebenen Kindes, des Kindes des gefallenen Kriegers, kann nicht genug gefordert und getan werden. Besonders die Möglichkeit der Erziehung dieser so jäh des Vaters beraubten Kinder nach dem Stande des für das Vaterland gefallenen Vaters muß erstrebt werden, und es sind diesbezügliche Bemühungen schon im Gange. Daß sie unter der Agitation »für unsere Heldensöhne und Heldentöchter« betrieben werden, halte ich ja nicht für durchaus notwendig, weil man dadurch künstlich, gerade dem Kinde, ein schweres Leid in pathetischen Hochmut wandelt. Das Heldentum ihrer Väter, das sie zu Waisen machte, war zumeist ein ihnen auferlegtes Fatum, welches mit Ehrfurcht betrachtet sein will, aber nicht der Verbrämung durch die nationale Phrase bedarf. Dazu ist dieses Fatum zu groß, zu erschütternd.

Mit Recht fordert Prof. Dr. W. Klatt »Die Zukunft der Kriegswaisen.« Prof. Klatt fordert besonders private Angebote freiwilliger »Kriegsvaterschaft«. vor allem die begabungsgemäße Erziehung der Kriegswaisen.

Nicht nur die Kriegshinterbliebenen, sondern jede Waise sollte Anspruch auf vollwertigen Unterhalt und auf eine vollgültige Erziehung durch die Gesellschaft haben. Besonders deutlich wird uns diese Forderung natürlich beim kriegshinterbliebenen Kind, sie muß sich aber auch auf das uneheliche Kind erstrecken Das »Archiv Deutscher Berufsvormünder« (Frankfurt, Prof. Klumker) sammelt Unterschriften für eine Petition an den Reichstag, die die Hinterbliebenenunterstützung auch für das uneheliche Kind erbittet. Mit dieser Petition ist der Deutsche Bund für Mutterschutz vorangegangen..

Ich lehne nun die »Nationalstiftung« nicht so grundsätzlich ab, wie dies von Seiten mancher Sozialreformer aus dem Grunde geschieht, weil sie prinzipiell in der Versorgung der Hinterbliebenen eine anerkannte Staatspflicht sehen wollen. Die Versicherung des Menschenlebens überhaupt wird sich ergeben auf einer staatlich geschaffenen Grundlage, die durch die Abgaben aus dem Vermögen und den Einkünften der Privatpersonen ergänzt wird. Und gerade wenn der Staat bzw. die Gesellschaft große wirtschaftliche Kollektivaufgaben jemals vollgültig erfüllen soll, so muß er die Mittel dazu dadurch aufbringen, daß der übertriebene Privatreichtum Einzelner nach und nach abgebaut wird, und durch diesen Abbau der Gipfel, der die Niederungen, die tiefen Höhlen und die Katarakte des sozialen Terrains ausfüllen soll, / wird eben auch der Ausgleich erzielt, der endlich aus der Gesellschaft / ein fruchtbares Gelände macht. Diesen Ausgleich kann man durch jähe Steuern und hochgeschraubte zwangsweise Abgaben herbeiführen, die indessen zumeist neue Opfer schaffen, indem sie Kreise treffen, deren Wirtschaftsverhältnisse durchaus beschränkte und unsichere sind. Bei freiwilligen Stiftungen hingegen melden sich von selbst die zu diesem Ausgleich auch ethisch, wenigstens teilweise, Willigen, und somit wird auch prinzipiell durch große, private Stiftungen durchaus im Sinne des sozialen Ausgleichs gearbeitet. Von irgendwoher muß ja der Staat schließlich seine Mittel nehmen, und wenn ihm dabei der gute Wille der Nation entgegenkommt, bevor er noch mit der allgemeinen Steuerschraube kommen muß, / so ist das nur zu begrüßen. Es wird also für die Versorgung der Hinterbliebenen, besonders für die standesgemäße Erziehung des Kindes des gefallenen Kriegers, die große private Wohltätigkeit mit dem Staat Hand in Hand gemeinsam zu arbeiten haben. Die eine oder die andere Hilfsquelle auszuschließen, / wäre ein Fehler.

Im Oktober 1915 hielt im Verein »Frauenwohl« zu Berlin Frau Senator Auguste Kirchhoff aus Bremen einen bemerkenswerten Vortrag »Die Vaterlandsliebe und die deutschen Frauen«. Sie drückte darin ihre durchaus mütterliche und sittliche Ablehnung, ja ihren Abscheu aus, gegen jene angeblich patriotischen Tendenzen, die in dem Kinde einen künstlichen Blutdurst, eine gehässige Kriegsstimmung erzeugen, die, wenn sie wirklich in dem Kinde Wurzel schlägt, für die spätere erwachsene Generation wieder sehr verhängnisvolle Konsequenzen erzeugen wird, / die sich in neuen Kriegen entladen müssen. Sie unterwarf diese Tendenzen, die zur Herstellung von 42-cm-Mörsern aus Schokolade, zu Bomben und Granaten aus Pralines, zu puppenhaften Karikaturen, in Gestalt der augenblicklichen Feinde, usw. führen, einer scharfen Kritik. »Man soll dem Kinde den Krieg nicht verherrlichen«, sagte die tapfere Frau, / »sondern ihn dem Kinde so schildern / wie ihn Wereschtschagin gemalt hat und / wie er ist …«

In ähnlichem Sinn spricht auch Professor Dr. Theodor Beer über europäische Pädagogik, im Hinblick auf die Verhütung künftiger Weltkriege: »Der Europäer wird von Jugend auf zu nationaler Intoleranz und zu Rassen-Verachtung gedrillt; von Güte und Pietät hört er wenig, von Patriotismus und Revanche gar viel; fleischfressende Fahnen werden angebetet; je kleiner das Land, desto lauter die Volkshymne; ein Christ kann keine Stunde leben, gehaßt muß werden; der Reihe nach werden Albigenser, Protestanten, Juden, Deutsche verfolgt / wen es gerade trifft, der wundert sich … Humanisierende Eisenbahnen verbinden mit gleicher Spurweite die Stätten tausendjähriger Verfehdung sozusagen erst seit gestern; nicht so bald können Schlafwagen und Auto, Zeppeline und Flieger gut machen, was die Schule verdirbt« »Friedensmöglichkeiten« in der Zeitschrift »Das neue Europa«. Zürich, Oktober 1915..

In ihrem Schlußwort wandte sich Frau Senator Kirchhoff besonders dagegen, daß die Männer, im Hinblick auf die Kriegsverluste, »möglichst schnell, ja spielend / das Bevölkerungsproblem gelöst haben / und zwar über den Kopf der Frauen und Mütter hinweg.« …

Nun in dieser Zone, in der Geschlechtlichkeit, liebt ja der Mann seit jeher / spielende Lösungen …

»Wir protestieren dagegen,« sagte Frau Senator Kirchhoff, »uns diesen Turnus, diesen ›Kreislauf‹ / gebären / um wieder Soldaten zum Schlachtentod liefern zu können, / gebären /, damit sie uns wieder auf diese Art entrissen werden /, aufzwingen zu lassen. Wir protestieren gegen diesen Turnus, / im Namen der aufbauenden, schaffenden Kräfte / der Mütterlichkeit«.

Dieses Problem, das Bevölkerungsproblem, soll nun im nächsten Kapitel und zwar durchaus nicht vom Standpunkt des Gefühls und etwa der Weiblichkeit, / sondern von dem der Vernunft und Logik untersucht werden.

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