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Mutterschaft und doppelte Moral

Nach zwei Richtungen hat die Frauenbewegung die Kultur der Gegenwart entscheidend beeinflußt. Es ist ihr Werk, daß der sogenannte natürliche Beruf des Weibes, die Mutterschaft, nicht mehr als der alleinseligmachende angesehen und das Recht der freien Selbstbestimmung nach Individualität auch dem weiblichen Geschlecht zuerkannt wird; aber es ist auch ihr Werk, daß jener natürliche Beruf erst in Wahrheit und uneingeschränkt die Ehre und Auszeichnung des Weibes bedeuten kann. Denn bisher hat nur die eheliche, nur die legitime Mutterschaft dieses Vorrecht genossen – also im Grunde nicht die Mutterschaft an sich, nicht die Erfüllung der großen und schweren Aufgabe, zu welcher die Natur das Weib verpflichtet.

Es gibt vielleicht in der ganzen Menschheitsgeschichte keine empörendere Tatsache als die Ächtung der unehelichen Mutterschaft. Man muß tief schürfen, um die Zusammenhänge aufzudecken, die eine so ungerechte, ja naturwidrige Auffassung erklären. Aus dem Wust und Wahnsinn, von dem die sexuelle Moral der Kulturmenschheit beladen erscheint, enthüllt sich dann das tragische Schicksal eines im Kampf gegen einen Stärkeren unterlegenen Geschlechtes. Dieser Stärkere ist der Mann als Geschlechtswesen; und doch hat die Werte, die der sexuellen Moral zugrunde liegen, nicht er allein geschaffen.

Die sexuelle Lebensführung des Mannes wird nach einem ganz anderen Maße beurteilt als die der Frau. Zwar die ursprüngliche christlich-religiöse Auffassung betrachtete die monogame Ehe für Mann und Weib als das einzige Verhältnis, in dem sie ohne »Sünde«, d. h. ohne wider ihre höhere menschliche Erwählung zu verstoßen, ihre geschlechtliche Bestimmung erfüllen konnten; und auch für den Mann war nach dieser Auffassung jede andere Form des Geschlechtsverkehrs so verwerflich wie für das Weib. Aber in der Praxis des Lebens hat sich in demselben Grade, als das Leben sich von den strengen und einfachen Bedingungen jener frühen Epoche entfernte, die Moral für den Mann gelockert und gewandelt, dessen Natur sich auf die Dauer einem so harten Zwange nicht fügte, indes das weibliche Geschlecht diesem Zwang nach jeder Hinsicht unterworfen blieb.

Den Ausdruck für die Praxis des Lebens bilden die Motive der bürgerlichen Moral, unter denen das ökonomische in erster Linie steht. Das zeigt sich deutlich an der Duldung der Prostitution, die keinerlei Verpflichtungen für den Mann mit sich bringt und die wohlfeilste Art der Geschlechtsbefriedigung darstellt. Auch das Beispiel der weiblichen Sexuallehre ist bezeichnend dafür. Die bürgerliche Moral legt den ehrbaren Frauen die Verpflichtung auf, nur um den Preis der Ehe und aller durch sie zu gewährleistenden sozialen und ökonomischen Vorteile einem Manne Liebesgunst zu gewähren. Sie nötigt zu einer berechnenden und eigennützigen Haltung in jener Gefühlssphäre, in welcher es großherzigen Seelen am schwersten fällt, den eigenen Vorteil zu wahren, weil die Ehe die Versorgungsanstalt für die von anderen Erwerbsmöglichkeiten ausgeschlossenen Mädchen der höheren Stände bedeutet. Wenn nun die Ehe der Preis der sexuellen Hingebung sein soll, setzt sie unbedingt sexuelle Integrität auf der Seite des Weibes voraus. Denn in dem Augenblick, als der Tauschwert, auf dem dieser Ehehandel beruht, nicht mehr vorhanden ist, erscheint der Mann, der einen hohen Preis für etwas entrichten soll, was vor ihm ein anderer umsonst erhielt, als der Übervorteilte. Die uneheliche Mutterschaft als sprechendes Zeugnis einer illegitimen Geschlechtsbeziehung und überdies als ökonomische Belastung wird deshalb von der bürgerlichen Moral mit den äußersten Strafmitteln, die ihr zu Gebote stehen, verfolgt.

Ganz anders sind die Motive der religiösen Moral gegenüber der unehelichen Zeugung beschaffen. Sie erscheinen auf den ersten Blick unverständlich, denn hat nicht diese Moral die Auffassung zum Ausgangspunkt, daß das Weib selig werden wird durch Kinderzeugung? Noch mehr: betrachtet sie nicht die Beschwerden der Schwangerschaft und die Schmerzen der Geburt als eine dem Weib auferlegte Strafe? Und sobald diese Strafe einem Fehltritt folgt, sollte er dadurch nicht gesühnt sein?

Aber aus den Vorschriften der religiösen Moral tritt als das entscheidendste Motiv das Bestreben hervor, den Geschlechtsverkehr durch ein Sakrament zu heiligen und seine Rechtfertigung in die Absicht der Fortpflanzung zu verlegen. In moderner Formulierung: die mangelhafte Verknüpfung des Geschlechtstriebes mit dem Fortpflanzungsinteresse in der menschlichen Psyche sollte durch den Druck sittlicher Normen hergestellt werden, da im Bewußtsein des einzelnen das Auftreten des Geschlechtstriebes für gewöhnlich keineswegs durch die Vorstellung der Nachkommenschaft hervorgerufen oder auch nur von ihr begleitet ist. Der unehelichen Zeugung aber fehlt ebensowohl die Sanktion des Sakramentes wie die rechtfertigende Absicht. Nicht dem Willen der Eltern verdankt das illegitime Kind seine Entstehung, sondern einem unwillkommenen Zufall, einem bloßen Lustverlangen, das auf heimliche und widerrechtliche Weise Befriedigung sucht.

Die religiöse wie die bürgerliche Moral mit ihrer berechnenden Überschätzung der Jungfräulichkeit bedeutet nicht mehr als ein heteronomes Sittengesetz, vermittelst dessen eine äußere Ordnung der Dinge erzwungen werden sollte – eine äußere Ordnung, die hinfällig werden muß, sobald neue Werte zur Herrschaft gelangen und ökonomische Wandlungen die Lebensgrundlagen der Gesellschaft verändern. Die Rechtfertigung der Sexualität durch die Liebe verdrängt im modernen Bewußtsein die Rechtfertigung der Sexualität durch die sakramentale Weihe. Ja es besteht sogar eine Tendenz, den Kindern der Liebe einen natürlichen Vorzug gegenüber den Kindern der ehelichen Pflichtleistung einzuräumen. Und Frauen, die ihren Unterhalt selbständig erwerben, sind nicht mehr in der Zwangslage, ihre sexuelle Integrität als Tauschwert für die durch die Ehe gebotene Versorgung zu bewahren. Sobald eine Frau für ein Kind sorgen kann, entfällt auch der ökonomische Einwand gegen die freigewählte Mutterschaft. So scheint es, daß an der Wende der Zeiten die Frau, die durch die Natur um so viel schwerer mit den Aufgaben der Fortpflanzung beladen wurde, auch die Früchte derselben zu eigenem Willen und eigener Machtvollkommenheit wieder erobern wird, in jener mutterrechtlichen Stellung, die sie in sagenhafter Urzeit gegenüber dem Kinde einnahm.

Nur, daß in den Entwicklungsepochen, die seither verflossen sind, ein Gewaltiger sich zwischen Mutter und Kind gestellt hat, der die soziale Ordnung, besonders aber die sexuelle Moral ganz zu seinen Gunsten wendete. Allem Anscheine nach war in der Epoche des Mutterrechtes der Zusammenhang, der zwischen Vater und Kind besteht, noch unbekannt. Die Entdeckung der Vaterschaft als Bewußtseinstatsache kann als jenes Moment in der menschlichen Entwicklungsgeschichte betrachtet werden, das die Entrechtung des Weibes und seine soziale Niederlage herbeigeführt hat. Vielleicht die stärkste Macht, die bei der Bildung der sexuellen Gesellschaftsmoral wirkte, ist die Väterlichkeit. Nicht so sehr der Mann als Geschlechtswesen, als vielmehr der Mann als Vater hat die Werte geschaffen, die hier walten.

Es ist eine auffällige Tatsache, daß der gewöhnliche Mann keine Schätzung für die freie, das heißt die uninteressierte Geschlechtshingebung des Weibes hat; seinem eigenen sexuellen Interesse entgegen läßt er jene Frauen allein als moralisch vollwertig gelten, die auf ihre Hingebung den äußersten Preis setzen, den er zu geben hat – seine Bindung durch die Ehe. Daß der Mann im Grunde das Weib verachtet, das sich ihm ohne soziale Prämie hingibt, ist aus dem Geschlechtsempfinden allein nicht zu erklären; denn nach einfacher und natürlicher Logik müßte er dafür, daß ihm die Gegenleistung erlassen oder so gering als möglich bemessen wird, dankbar sein.

Aber die unverbindliche Geschlechtshingebung des Weibes verstößt eben gegen jenes Empfinden des Mannes, in welchem sexuelle und soziale Instinkte zu einer untrennbaren Einheit von größter Macht verwachsen sind – gegen das Empfinden des Mannes als Vater. Es ist das Interesse der Vaterschaft in doppelter Hinsicht, das hier wertbestimmend wirkt. Der Mann in seinem Verhältnis zu seinem weiblichen Kinde hat nicht die selbe Auffassung des geschlechtlichen Lebens wie der Mann als Geschlechtswesen. So weit die Vatergewalt reicht, so weit schützt sie unter Hintansetzung der elementaren männlichen Geschlechtsinteressen die Tochter durch bestimmte moralische Vorstellungen und Forderungen. Frauen aus einer anderen Klasse oder Frauen ohne den Schutz der Familie sind es daher, die als Objekte für das von den Interessen der Väterlichkeit getrennte Geschlechtsbedürfnis des Mannes dienen.

Doch auch der Mann im Verhältnis zu seinen erst zu zeugenden Kindern erblickt in der sozialen Prämie, die das Weib für die geschlechtliche Hingebung fordert, die stärkste Garantie dafür, daß der Antrieb dazu in dem Willen zur Mutterschaft und damit zugleich in dem Willen zur Ausschließlichkeit liegt. Der Wille zur Ausschließlichkeit an einen erwählten Einzigen unter sozialer und familialer Approbation bildet den Inbegriff der weiblichen Ehre, weil dieser Wille für den Mann als Vater die wertvollsten Eigenschaften einschließt.

Denn wie sehr auch die Natur den Mann als Geschlechtswesen bevorzugt hat, indem sie seinem Organismus die Aufgaben, welche die Gattung von dem Individuum fordert, so leicht gemacht hat, um die ganze Last auf den weiblichen Organismus zu bürden – durch die Unsicherheit, die sich an die Vaterschaft heftet, hat sie ihn zugleich auf das Empfindlichste in Nachteil gesetzt. Der Mann als Geschlechtswesen ist völlig frei und ungebunden – der Mann als Vater ist völlig abhängig von der Treue und Zuverlässigkeit der Frau, die ihm sein Kind gebären soll. Und da er auf primitiveren Stufen des Empfindens die Garantien der Ausschließlichkeit und Zuverlässigkeit nicht in der Persönlichkeit des Weibes zu suchen vermag, verhängt er kraft der physischen und psychischen Überlegenheit, die ihm seine sexuelle Ungebundenheit gewährt, physische und psychische Zwangsmittel über die Mutter seiner Kinder. Zu diesen Zwangsmitteln gehört auch die doppelte Moral, die dem Mann Freiheit sichert, wo das Weib auf das engste gebunden wird.

Nur in einem Punkte darf der Mann nicht von seiner Geschlechtsfreiheit Gebrauch machen – im Punkte der Vaterschaft. Da bleibt er dem selben Gesetz unterworfen wie die Frau; und wenn auch nicht so vernichtend für seine Ehre, zieht doch die Anerkennung eines unehelichen Kindes unter Umständen schwere Folgen für seine soziale Stellung nach sich. Nach den Anschauungen der doppelten Moral ist das voreheliche Leben eines Mannes in sexueller Hinsicht, es mag beschaffen sein wie immer, einwandfrei, solange kein uneheliches Kind daraus hervorgegangen ist. Die doppelte Moral duldet die gemeinste und schädlichste Form des Geschlechtsverkehrs, die Prostitution, indes sie die natürliche Rechtfertigung desselben, die Zeugung, als außereheliches Geschehnis verurteilt.

Das ist symptomatisch für die Natur des Mannes, in der das soziale Moment eine besondere Rolle spielt. Wie die weibliche Psyche im allgemeinen durch die engere Verknüpfung der sexuellen Sphäre mit den höheren Seelentätigkeiten zur Kulturerscheinung wird, so ist die männliche Psyche durch Motive sozialer Art diszipliniert. Die weibliche Ehre beruht ganz auf sexuellen Qualitäten, die männliche ganz auf sozialen. In der männlichen Durchschnittsintelligenz ist die Macht der sozialen Motive so groß, daß sie die Schätzung des Weibes völlig bestimmt. Daraus geht auch die Verachtung der unehelichen Mutterschaft hervor, der die soziale Approbation und somit die stärkste Versicherung der Zuverlässigkeit fehlt. Ohne Zweifel ist der Unterschied, der im väterlichen Empfinden zwischen ehelichen und unehelichen Kindern so häufig besteht, darauf zurückzuführen, daß jene als die beglaubigten, diese als die fragwürdigen im Bewußtsein des Mannes erscheinen. Es ist der soziale Aberglaube in der männlichen Psyche, der die legitime Geburt als Beglaubigung empfindet; dem unehelichen Kind fehlen die sozialen Garantien der Echtheit, und so ist es das vaterlose, das mutterrechtliche – also in einer durch die Paternitätsmoral regierten Gesellschaftsordnung das anrüchige, dessen Existenz nicht nur auf die Mutter, sondern auch auf seinen Erzeuger einen Schatten wirft. Denn der Mann, der ein uneheliches Kind anerkennt, rüttelt an den tiefsten Fundamenten dieser Paternitätsmoral, indem er den sozialen Versicherungsapparat, den sie heilig hält, zuschanden macht.

Allerdings könnte diesem sozialen Aberglauben die Einsicht entgegenwirken, daß die Garantien der Vaterschaft immer in der Persönlichkeit der Frau beschlossen waren, daß die stärksten moralischen und sozialen Suggestivmittel niemals die Fälschung der Nachkommenschaft verhinderten, wenn der Wille der Frau die Interessen der Vaterschaft nicht schützte.

Trotzdem scheint unter den drei Motiven, die in der doppelten Moral zusammenwirken, das durch die Vaterschaftsinteressen bestimmte das unüberwindliche zu sein. Das wirtschaftliche Motiv kann durch die selbständige Erwerbstätigkeit der Frau und durch die Sozialisierung der Mutterschaftsfürsorge ausgeschaltet werden; die religiösen Vorstellungen über den Einfluß der sakramentalen Weihe auf das sexuelle Leben werden mit dem Glauben, dem sie entstammen, hinfällig; aber die gefühlsmäßige Wertung der sozialen Normen als Garantien der Vaterschaft hängt mit der unabänderlichen natürlichen Benachteiligung des Mannes als Vater zusammen. Je mehr er dem Mutterrecht weicht, desto mehr fürchtet er, an Vaterrecht einzubüßen. Die uneheliche Mutterschaft rehabilitieren, bedeutet für ihn die Gefahr, die soziale Funktion der Vaterschaft zu entwerten.

Und in der Tat! Jene Frauen, die im Manne nur ein notwendiges Übel zur Erlangung der Mutterschaft erblicken, geben Anlaß zu dieser Befürchtung. Es könnte immerhin sein, daß der lang verschollene Kampf zwischen Vaterschaft und Mutterschaft, der mit der welthistorischen Niederlage des weiblichen Geschlechtes endete, neu entbrennen muß, sobald die Frauen ihr natürliches Vorrecht durch die von der Ehe unabhängige Mutterschaft wieder erlangen ...

Aber ist nicht seither eine neue Macht in die Welt gekommen, die das Verhältnis der Geschlechter zueinander auf einer anderen Grundlage zu ordnen vermag, als es in jener primitiven Epoche geschehen konnte? Diese Macht ist die individuelle Liebe, die eine bestimmte Frau in freiwilliger Hingebung an einen bestimmten Mann bindet. Und von allen Garantien der Vaterschaft wird sie immer die sicherste, die untrüglichste, die würdigste bleiben.


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