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Fortsetzung 33

Einige Zeit später verließ Liama ihr Zelt und schritt hinaus zu den Heerden. Zuweilen blieb sie stehen, um sich umzusehen. Da, wo eine Schlucht sich nach dem Wadi hinunterzog, verschwand sie in der Tiefe derselben.

Bald darauf öffnete sich auch das Zelt der beiden Brüder; Abu Hassan und Saadi traten hervor. Der Blick des Letzteren glitt sofort nach des Scheiks Zelte hin. Dieser war nicht zu sehen; er hatte sich zurückgezogen.

Die Brüder gingen von Zelt zu Zelt und dann von Mann zu Mann. Saadi mußte sich begrüßen lassen. Als dies vorüber war, trennte er sich von dem Bruder und schritt der Schlucht entgegen.

Ihr mußte er vor allen Dingen seinen Besuch machen, denn hier war es vor zwei Jahren gewesen, daß, als der Stamm ebenso wie jetzt hier lagerte, ihm Liama gestanden hatte, daß er ihr lieber sei als alle Männer und Heerden der Beni Hassan zusammen genommen.

Er hatte keine Ahnung, daß die Geliebte vor ihm desselben Weges gegangen sei. Er stieg langsam in die mit Büschen besetzte Schlucht hinab, um zu der Stelle zu gelangen, an welcher er damals mit Liama gesessen hatte.

Als er dort anlangte und die Sträucher auseinander schob, stieß er einen Ruf des Entzückens aus. Er stand vor Derjenigen, an welche er soeben gedacht hatte.

»Liama!« sagte er, halb flüsternd und halb frohlockend.

Sie erglühte über und über.

»Saadi,« hauchte sie.

Er ergriff ihre beiden Hände.

»Warum gingst Du hierher an diesen Ort?« fragte er.

Sie schlug die Augen nieder und antwortete nicht.

»Warum gingst Du hierher?« wiederholte er.

»Ich bin alle Tage hier,« antwortete sie endlich. »Aber warum ist Dein erster Gang zu dieser Stelle?«

»Weil ich Dich hier gefunden habe.«

Sein Auge verschlang fast das herrliche Mädchen. Sie war viel, viel schöner geworden, seit er sie nicht gesehen hatte.

»Ich dachte, Du habest diesen Ort vergessen,« sagte sie.

»Nie, nie werde ich ihn vergessen, so lang Allah mir das Leben schenkt. Und auch Du bist hierhergegangen? Täglich?«

»Täglich!« antwortete sie.

Er bog sich nieder, sah ihr tief in die herrlichen Augen und fragte leise:

»Nur des Ortes wegen?«

»Nein, sondern des Andenkens wegen.«

»Des Andenkens? An wen?«

Sie zögerte mit der Antwort. Da legte er den Arm um sie, zog sie leise an sich heran und bat:

»Sage es, Liama! An wen?«

Da hob sie ihren feuchten Blick zu seinen Augen empor und antwortete:

»An Dich.«

»So hast Du an mich gedacht?« fragte er hochbeglückt.

»Ja.«

»Und nicht vergessen?«

»Nie.«

»Mich, den armen Mann? Du, die Tochter des reichen Scheiks?«

»Allah macht alle Menschen reich!«

»Ja, Du hast Recht! Auch ich bin reich, reich an unendlicher Liebe für Dich, Du schönste, herrlichste Tochter aller Zelte in der Wüste. Weißt Du, was wir uns versprachen, ehe wir uns trennten?«

Sie sagte nichts, aber sie nickte leise mit dem Kopfe.

»Sage es!« bat er sie.

»Sage Du es!«

»Wir versprachen uns, einander treu zu bleiben für das ganze Leben. Ich halte diesen Schwur. Und Du, meine Liama?«

»Ich auch,« bekräftigte sie.

»Ich danke Dir, Du Wonne meines Lebens.«

Er drückte sie inniger an sich und küßte ihre vollen, rothen Lippen. Sie ließ sich dies gefallen; ja, er fühlte deutlich, daß ihr Mund den Druck des seinigen erwiderte.

»Aber Dein Vater?« fragte er dann.

»Allah wird seinen Willen lenken.«

»Ja, Allah ist allmächtig und allgütig. Verdammst auch Du mich, daß ich mit dem Inglis gegangen bin?«

»Nein – – –« Er merkte, daß sie seinen Namen hatte aussprechen wollen. »Sprich weiter!« bat er. »Sage das Wort!«

Sie drückte ihr Köpfchen fester an seine Brust und hauchte erglühend:

»Mein Saadi.«

»Ich danke Dir!« sagte er, während sein Herz diese Wonne kaum zu fassen vermochte. »Soll ich mit Deinem Vater sprechen?«

»Ja.«

»Soll ich ihm sagen, daß Du mein sein willst?«

»Sage es ihm.«

»Ich war zwei Jahre nicht hier. Ist Keiner gekommen, welcher seine Hand nach Dir ausstrecken wollte?«

»Es waren Mehrere hier.«

»Was sagte der Scheik?«

»Sie waren ihm zu arm.«

»O, ich bin ja noch viel ärmer als sie. Ich habe nicht einmal ein Lamm, um es zu schlachten, wenn mich ein Gast besucht.«

Da legte sie alle Zurückhaltung ab, schlang die Arme um ihn und sagte:

»Nein, Du bist reich, denn die Tochter des Scheik Menalek liebt nur Dich und hat Dir versprochen, Dein Weib zu sein.«

»Und dieses Wort wirst Du halten?«

»Ja. Nur der Tod soll uns trennen.«

»Schwöre es mir.«

»Ich schwöre es Dir bei Allah und seinem Propheten.«

»Habe Dank! Du bist süßer als die Houries des Himmels und reiner als die Engel des Lichtes. Wer waren die Männer, welche kamen, um zu versuchen, Dich mir zu rauben?«

»Der Sohn eines Scheiks der Merasig, ein alter Emir der Ualad Sliman und dann ein Scheik der Beni Hamsenad. Auch kamen zwei fremde Araber aus dem Osten, Vater und Sohn, einer Blutrache wegen. Der Sohn folgte meinen Schritten, und ich mußte ihn immer fliehen.«

»Wo sind sie jetzt?«

»Ich weiß es nicht. Sie werden sehr bald wiederkommen.«

»Dies sagte Dir der Sohn?«

»Ja.«

»Wie hieß er?«

»Ben Ali.«

»Und sein Vater?«

»Malek Omar.«

»Wie kann dieser Abkömmling der Araber Ben Ali, der Sohn Alis heißen, wenn sein Vater Malek Omar heißt? War er jung?«

»Er war älter als Du.«

»Schön?«

»Er war nicht häßlich.«

»Tapfer?«

»Ich habe nichts gesehen.«

»Reich?«

»Die beiden Männer hatten stets viele Goldstücke bei sich.«

»Malek Omar! Ich habe einen Mann gesehen, welcher Malek Omar hieß und ein Fakihadschi war. Er handelt mit Früchten und ging im Hause des Generals aus und ein. Aber dieser ist ein anderer Mann. Hat sein Sohn Dir gesagt, daß er Dich lieb hat?«

»Nein. Aber seine Augen redeten, was seine Lippen verschwiegen.«

»Es ist gut! Es soll Keiner um Dich werben. Ich werde morgen mit Deinem Vater sprechen, und er wird mich anhören.«

»Nicht morgen, sondern heute.«

Diese Worte erschallten im zornigsten Tone neben ihnen. Sie fuhren überrascht herum und erblickten den Scheik, welcher vor ihnen stand. Sein Gesicht war vom Zorne geröthet, und seine Augen funkelten.

»Giaur.«

Nur dieses eine Wort warf er Saadi entgegen, aber es giebt keine größere Beleidigung, als dieses eine Wort einem gläubigen Moslem zu sagen. Es enthält alles Schlimme, was man kaum mit tausend anderen Worten sagen könnte.

Saadi trat einen Schritt zurück und fuhr mit der Hand an das Messer.

»Was wagtest Du?« donnerte er.

»Giaur, Ungläubiger!« wiederholte der Scheik.

Saadi zog sein Messer aus der Scheide, aber Liama fiel ihm um den Hals.

»Zurück! Stecke Dein Messer ein! Es ist mein Vater,« rief sie.

Das war genug, um ihm seine ganze Selbstbeherrschung zurückzugeben.

»Ich will Dir gehorchen, Liama,« sagte er. »Aber verlaß diesen Ort! Du darfst nicht hören, was gesprochen wird. Was nur meine Ohren hören, das kann ich verzeihen; was aber Andere hörten, das müßte ich rächen.«

»Nein, bleib!« gebot ihr der Scheik. »Du sollst sehen, wie ich diesen Freund der Franzosen zur Erde treten werde.«

Sie wußte nicht, ob sie gehen oder bleiben solle. Vom Standpunkt der Ehre aus hatte Saadi Recht, aber was konnte Alles geschehen, wenn sie sich entfernte und also nicht vermitteln konnte. Der Geliebte errieth ihr Bedenken.

»Geh, Liama!« bat er. »Ich liebe Dich; ich werde nichts thun, was Dich betrüben könnte.«

Sie blickte ihm forschend in die aufrichtigen Augen und sagte dann:

»Ich vertraue Dir; ich gehe!«

»Nein, Du bleibst!« befahl der Scheik.

Er streckte seine Hand aus, um sie zu halten, aber sie entschlüpfte ihm und verschwand hinter den Büschen.

»Ah! Dir gehorcht sie eher wie mir,« rief der Scheik.

»Bei Allah, ich werde ein strenges Gericht über Euch halten. Zuvor aber werde ich Dich hier zu meinen Füßen niederschlagen.«

Er erhob die Faust. Saadi reckte sich hoch empor und sagte:

»Scheik Menalek, bist Du ein Kind oder ein Mann? Sagt nicht der Prophet: Weiber und Kinder sind Sclaven des Zornes; aber ein Mann beherrscht ihn? Ich sage Dir, daß ich Liama mein Wort gegeben habe, nichts zu thun, was sie kränken könne; aber sobald Du mich berührst, bist Du ein Sohn des Todes.«

Menalek ließ doch die Hand sinken; er kannte Saadi und wußte, daß dieser seine Worte wahr machen werde.

»Ah, Du drohst mir?« fragte er.

»Nein. Du selbst drohst Dir, indem Du mich zwingst, es zu thun. Jetzt rede, was Du zu reden hast. Ich werde Dich ruhig anhören und Dir dann Antwort geben.«

Der Scheik warf einen haßerfüllten Blick auf ihn und fragte:

»Du wirfst Dein Auge auf meine Tochter?«

»Ich liebe sie.«

»Und sie?«

»Sie liebt mich wieder.«

»Du hast sie verführt. Wer bist Du und was bist Du?«

»Ein freier Krieger der Beni Hassan. Bist Du mehr?«

»Ich bin der Scheik des Stammes.«

»Wer hat Dich dazu gemacht? Etwa Du selbst? Du wurdest gewählt und kannst wieder abgesetzt werden.«

»Zähle meine Heerden! Was aber hast Du?«

»Ich habe Allah und mich; das ist genug.«

»Lästere nicht! Du hast Allah verloren, denn Du bist zu den Giaurs gegangen.«

»Sind die Giaurs nicht Deine Gäste gewesen?«

»Verbietet das der Kuran?«

»Verbietet der Kuran etwa, zu den Giaurs zu gehen?«

»Du hast ihren Glauben gehört und bist nun selbst Giaur geworden.«

»Wer sagt Dir das?«

»Ich sehe es. Wärst Du ein Anhänger des Propheten geblieben, so würdest Du die Gewalt des Vaters achten. Du willst das Kind dem Vater rauben.«

»Nein, sondern ich will dem Vater zu seinem Kind noch einen Sohn geben, mich.«

»Ich mag Dich nicht! Du bist die Schande der Beni Hassan.«

»Deine Beleidigung ist eine tödtliche. Mein Messer hätte längst Dein Herz gefunden, wenn ich nicht des Wortes dächte, welches ich Liama gegeben habe.«

»Dein Messer? Ah, Du getraust Dir nicht, Dich zu rächen; Du bist ein Feigling.«

Saadis Wangen wurden bleich. Er mußte die ganze Macht seiner Liebe zu Hilfe nehmen, um ruhig zu bleiben.

»Was habe ich Dir gethan, daß Du solche Worte sagst?« fragte er. »Ich liebe Deine Tochter und schenke Dir meine Ehrerbietung; dafür dankst Du mir mit Beleidigungen, welche ein jeder Andere mit dem Leben bezahlen würde. Soll ich den Stamm seines Scheiks und Liama ihres Vaters berauben? Soll ich die Blutrache in die Zelte Deiner und meiner Verwandten tragen, nur um einer Liebe willen, welcher ich nicht widerstehen kann, weil Allah selbst sie in mein Herz gelegt hat?«

Der Scheik schüttelte verächtlich mit dem Kopf.

»Du wirst an keiner Blutrache Schuld sein, denn Du bist ein Feigling,« sagte er. »Ich habe bei Dir die Waffe der Giaurs gesehen. Sie sind nicht gefährlich, denn Du verstehst nicht, sie zu gebrauchen.«

»Du irrst. Ich habe mit ihnen den Löwen erlegt und den Panther des Gebirges.«

»Lüge nicht. Du wirst mit dabei gewesen sein, als Hunderte von Giaurs sich aufmachten, eine armselige Katze zu jagen, welche Du in Deiner Feigheit für einen Panther gehalten hast. Die Giaurs brüllen vor Angst, wenn sie eine Katze sehen, und das hast Du von ihnen gelernt.«

»Hat Dir nicht der Inglis, welcher in Deinem Zelte wohnte und den ich dann begleitete, gesagt, daß er ganz allein ausgeht, um den Löwen zu schießen?«

»Er hat gelogen, und ich glaubte es ihm nicht. Um einen Löwen zu tödten, sind mehr als fünfzig tapfere Jäger erforderlich.«

»Er hat nicht gelogen, denn ich selbst bin dabei gewesen, als er den Löwen tödtete, und ich erschoß das Weib des Löwen.«

»Du lügst noch mehr als dieser Inglis. Wenn der Sohn eines Stammes auf die Rache des Blutes auszieht, so ist dies eine Pflicht und eine Ehre; aber wenn der Nachkomme eines Vaters das Dorf verläßt, nur um die Städte der Ungläubigen zu besuchen, so erntet er Schande.«

»Ich habe den Stamm für kurze Zeit verlassen, weil ich arm war.«

»O Allah! Du wolltest Dir Geld verdienen?«

»Ja.«

»Du, ein freier Araber?«

»Ja.«

»Du gingst in den Dienst eines Ungläubigen? Schande über Dich.«

»Ich war nicht sein Diener, sondern sein Beschützer. Ich zeigte ihm die Wege der Wüste und der Steppe und machte ihn dafür bekannt mit den Stämmen unserer Freunde. Ist dies eine Schande?«

»Ja, denn er gab Dir Lohn dafür.«

»Er gab mir keinen Lohn. Ich verlangte nichts von ihm; ich ging nur deshalb mit ihm, weil ich ein Geschenk von ihm erwartete und andere Gegenden kennen lernen wollte. Ist es eine Schande, ein Geschenk anzunehmen?«

Darauf konnte oder mochte der Scheik nicht antworten. Er fragte höhnisch:

»Ist sein Geschenk reich ausgefallen?«

»Ich bin zufrieden,« sagte Saadi zurückhaltend.

»Was hat er Dir gegeben?«

»Er hat mir Gold gegeben. Dieser Inglis war sehr reich und er hatte mich lieb. Ich kann mir ein Zelt erbauen.«

»So erbaue es, und führe als Weib hinein, wen Du willst, nur aber meine Tochter nicht. Wenn ich Dich noch einmal bei ihr sehe, so werde ich Dich durchpeitschen lassen grad so, wie die Beherrscher von Algier ihre Sclaven schlagen ließen.«

»Ich wiederhole Dir, daß ich Dich tödten würde, sobald Du es wagtest, die Hand an mich zu legen.«

»O, Du thust dies nicht; Du bist ja ein Feigling.«

»Deine Worte sind nicht die Worte eines weisen Mannes. Lerne von mir, dem jüngeren, wie es sich schickt, seine Leidenschaften zu beherrschen. Allah ist gnädig und allgütig, aber auch seine Geduld kann ein Ende haben, warum also nicht diejenige eines Sterblichen. Darum gehe ich und lasse Dich stehen, denn ich denke an Liama, welche Deine Tochter ist.«

Er wandte sich um und ging.

»Feigling!« rief ihm Menalek laut nach.

Saadi war im tiefsten Herzen empört. Sein Inneres wallte und kochte. Er mußte dieses schöne Mädchen unendlich lieb haben, da er die Kraft gefunden hatte, ihretwegen so schwere Beleidigungen ungeahndet über sich ergehen zu lassen.

Wie hatte sich seine Seele nach der Heimath gesehnt! Und nun er sich bei den Zelten seines Duars befand, erntete er Haß anstatt Liebe, und grimmige Verachtung anstatt Wohlwollen. Das Gebüsch, durch welches er schritt, bestand aus wilden, dornigen Akazien und stacheligen Mimosen. Er bemerkte gar nicht, daß diese Dornen und Stacheln ihn verwundeten. Er strich durch die Sträucher hin, nur daran denkend, seine Seele zu beruhigen.

Die Schlucht wurde immer breiter und höher, da sich ihre Sohle immer tiefer senkte. Der bisher sandige Boden wurde steinigt, und hier und da lagen Steintrümmer, von Felsen herrührend, welche von den Wänden der Schlucht herabgestürzt waren.

An einem solchen Steine blieb das Auge Saadis plötzlich haften. Der Stein zeigte Eindrücke, als ob man mit einer scharfen, mehrzinkigen Harke über denselben hinweg gefahren sei. Saadi bückte sich nieder und blickte, da es in der Tiefe dieser Schlucht bereits zu dunkeln begann, genauer hin.

»O Allah! Der Heerdenwürger,« sagte er.

Heerdenwürger wird der Löwe genannt. Der König der Thiere war in jenen Gegenden ganz und gar nicht selten.

Saadi untersuchte die Eindrücke auf dem Stein und murmelte:

»Sie sind ganz neu. Der Löwe ist bereits des Morgens hier gewesen. Er hat Hunger, denn er hat seine Krallen an diesem Steine geschärft. Er wird heute Nacht nach dem Dorfe kommen, um sich Fleisch zu holen.«

Er betrachtete den Boden genau und fand die Fährte des Thieres, welcher er eine Zeit lang folgte. Sie führte hin und her. Das Thier war ungewiß gewesen, wohin es sich wenden solle.

»Er hat noch kein bestimmtes Lager gehabt, sondern es sich erst gesucht,« meinte Saadi. »Er ist also erst am Morgen hier angekommen, um eine neue Wohnung zu finden. Er hat die Wanderung während der Nacht gemacht. Er ist allein; er hat also sein Weib und seine Kinder zurückgelassen. Er wird sie nachholen, sobald er findet, daß es hier gute Beute giebt.«

Diese Calculation zeigte, daß Saadi wirklich nicht unerfahren sei. Der Engländer, welchem er sich angeschlossen hatte, war jedenfalls kein sogenannter Aas- oder Sonntagsjäger gewesen.

»Soll ich diese Spuren weiter verfolgen?« fragte sich Saadi. »Nein. Ich habe mein Gewehr nicht bei mir, und es wird die Nacht gleich hereinbrechen. Der Würger der Heerden versteckt sich am Tage, aber des Nachts kommt er heraus. Wenn er mich fände, würde er mich tödten und fressen. Ich muß zurückkehren, um die Männer des Dorfes vor ihm zu warnen, damit sie auf ihrer Hut sein werden, wenn er kommen wird, um die Heerden zu besuchen.«

Er stieg an der Seite der Schlucht empor. Das Dorf lag in weiter Ferne: er konnte es kaum erkennen, denn die in jenen Gegenden so kurze Dämmerung war hereingebrochen und ging sehr schnell in das Dunkel des Abends über.

Noch ehe er die Zelte erreichte, sah er die kleinen Feuer des Lagers klimmen, an denen die Frauen ihr Abendmahl bereiteten. Dort angekommen, schritt er gerade auf das Zelt des Scheiks zu; er hielt es für seine Pflicht, gerade diesem Letzteren seine Meldung zu machen, denn er selbst hatte nicht das Recht, die Versammlung zusammen zu rufen.

Auch vor diesem Zelte brannte ein Feuer. Menalek saß bei demselben und sah zu, wie sein Weib und seine Tochter das Kuskussu bereiteten. Als er den Nahenden erblickte, griff er mit der Hand nach seinem Messer. Er glaubte, dieser komme, um sich an ihm zu rächen.

»Was willst Du?« fragte er drohend. »Packe Dich fort von hier.«

Mutter und Tochter fühlten die größte Angst, was jetzt kommen werde.

»Du darfst mich nicht fort weisen,« sagte Saadi mild und ruhig. »Du bist der Scheik, und ich habe mit Dir zu sprechen.«

»Hast Du mit Menalek oder mit ihm als Scheik zu sprechen?«

»Ich komme zum Scheik.«

»So rede, wenn die Frauen es hören dürfen.«

»Sie dürfen. Laß die Männer zusammenkommen und sage ihnen, daß heute Nacht der Herr des Erdbebens kommen wird, um unseren Heerden einen Besuch abzustatten.«

Der Löwe wird auch Herr des Erdbebens genannt, weil seine Stimme, besonders wenn sie in weiter Ferne erschallt, gerade so klingt, als ob die Erde bebte.

»Du bist toll!« antwortete der Scheik.

»Ich habe seine Spur gesehen.«

»Wo?«

An der Schlucht.«

»Du hast von der Katze geträumt, welche Du mit den Giaurs getödtet hast.«

»Ich weiß die Spur einer Katze von der eines Löwen zu unterscheiden.«

»Deine Augen sind vor Liebe blind. Gehe nach dem Zelte Deines Bruders, um Dich auszuschlafen. Morgen wirst Du bei Sinnen sein!«

»Dein Haß ist groß; aber er darf Dich nicht veranlassen, Deine Pflicht zu vernachlässigen. Wenn dem Scheik die Nähe des Löwen gemeldet wird, hat er sofort die Männer des Lagers zu versammeln.«

»Willst Du mir drohen?«

»Nein. Aber wenn Du es nicht selbst thust, so werde ich in das Horn stoßen.«

Er zeigte auf ein großes Büffelhorn, welches am Eingange des Zeltes hing. Es hatte den Zweck, durch seinen Ton die Versammlung herbei zu rufen.

»Wage es!« sagte der Scheik.

Saadi trat trotz dieser Warnung hinzu. Da zog Menalek das Messer.

»Zurück! Wenn Jemand ohne meine Erlaubniß näher tritt, so habe ich das Recht, ihn zu tödten.«

Saadi blieb stehen und sagte ernst:

»Ich fürchte Dein Messer nicht, aber ich achte die Gesetze des Stammes. Ich werde also Deinem Zelte nicht zu nahe kommen; aber ich bitte Dich zum letzten Mal, die Versammlung zu berufen.«

»Es fällt mir nicht ein, die Männer mit Deinen Lügen zu belästigen.«

»Du bist ein freier Mann und hast Deinen Willen, ich aber habe den meinigen auch. Ist es Dir nicht passend, Deine Pflicht zu erfüllen, so weiß ich, was ich zu thun gezwungen bin. Merke auf!«

Er legte zwei Finger an den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Dies war das Alarmzeichen der Beni Hassan.

»Was thust Du?« fragte Menalek erschrocken.

»Ich werde die Dschemma zusammenrufen, um sie vor dem Löwen zu warnen und sie zugleich zu fragen, was der Scheik verdient, welcher es verschmäht, über die Seinigen zu wachen.«

Die Dschemma ist die Versammlung der Aeltesten. Sie hat über alle Angelegenheiten zu berathen und besitzt sogar die Macht, einen Scheik abzusetzen.

»Du zwingst mich?« sagte der Scheik zornig. »Gut! Aber bedenke, daß es in meiner Macht steht, mich zu rächen.«

»Ich fürchte mich nicht vor Dir, sobald es sich um meine Pflicht handelt.«

Als Saadi den Pfiff erschallen ließ, waren alle Männer von ihren Feuern aufgesprungen oder aus ihren Zelten getreten. Sie horchten nun auf das zweite Zeichen, um zu wissen, nach welcher Richtung sie sich zu wenden hätten. Jetzt setzte Menalek gezwungener Weise das Horn an den Mund und blies hinein. Kaum war der Ton erklungen, so kamen alle Männer herbeigeeilt. Die Frauen und Mädchen blieben zurück. Sie wußten, daß sie nicht die Erlaubniß hatten, an einer Berathung theil zu nehmen. Selbst Liama und ihre Mutter mußten sich entfernen, damit sie kein Wort der Verhandlung hören konnten.

Es wurde ein großer Kreis gebildet, in dessen Mitte der Scheik trat.

»Hört, Ihr Männer des Duars, was ich Euch zu sagen habe,« begann er. Und auf Saadi zeigend, fuhr er fort: »Dieser Abtrünnige, welcher mit den Giaurs gereist ist, hat mich gezwungen, Euch zu rufen, um Euch zu sagen, daß der Herr des Erdbebens heute Nacht zu uns kommen werde. Glaubt Ihr das?«

»Das ist nicht wahr!« rief die Stimme eines vorlauten, jungen Mannes.

»Auch ich halte es für eine Lüge. Darum bitte ich Euch um Verzeihung, daß ich gezwungen wurde, Euch zu belästigen.«

Da meinte ein hochbetagter Greis, der mit zur Versammlung der Alten gehörte:

»Seit wann ist es bei den Beni Hassan Sitte, daß die Jungen ihre Stimmen erheben, ehe die Greise gesprochen haben? Seit wann ist es Sitte, ein Wort, welches zwar unwahrscheinlich klingt, ohne Weiteres eine Lüge zu nennen? Wir haben seit vielen Jahren kein Thier unserer Heerde verloren, aber warum soll es nicht Allah einmal gefallen, den Herrn des Erdbebens über uns zu senden? Ich fordere Saadi auf, uns zu sagen, was er gesehen hat!«

Die Würde des Alters übte einen solchen Einfluß aus, daß es dem Scheik gar nicht einfiel, zu widersprechen. Auch die Uebrigen gaben durch ihr Schweigen zu erkennen, daß sie mit dem Greise übereinstimmten. Darum trat Saadi hervor und sagte:

»Was ich gemeldet habe, ist die Wahrheit und keine Lüge. Ich befand mich in der Schlucht, welche nach dem Wadi Itel geht; da sah ich ganz deutlich die Spuren des Löwen. Sie waren groß. Dieser Würger der Heerden ist ein sehr starkes und altes Thier.«

»Kennst Du die Fährte des Löwen?« fragte der Alte.

»Ja. Der Inglis, mit welchem ich zwei Jahre lang ritt, lehrte mich, die Spuren aller Thiere zu unterscheiden.«

»Aber wenn sich der Herr des Erdbebens in der Schlucht befände, würde er unsere Heerden bereits längst besucht haben.«

»Er ist während der letzten Nacht von fern her gekommen.«

»Woraus siehst Du das?«

»Die Spur führt bald dahin und bald dorthin. Er hat sich nach einem Lager umgesehen. Ich fand einen Stein, an welchem er sich die Krallen geschärft hatte. Er ist also hungrig und zum Raube bereit.«

»So glaube ich, daß Du die Wahrheit sagst. Laßt uns berathen, was wir thun werden; aber die Alten werden sprechen und die Jungen mögen schweigen.«

Die Berathung begann und war sehr kurz. Außer dem Scheik wurde Saadis Berichte von Allen Glauben geschenkt. Man beschloß, große Feuer anzubrennen und die Heerden ganz in die Nähe der Zelte zu bringen. Kam der Löwe wirklich, so mußte man ihm sein erstes Opfer überlassen; morgen sollte dann aber eine Jagd auf ihn abgehalten werden.

Der Araber ist ein sehr schlechter Löwenjäger. Er wagt das Thier nur in großer Ueberzahl anzugreifen, und zwar bei Tage, nie des Nachts. Dann wird so lange auf das Thier geschossen, bis es vor Blutverlust aus meist leichten Wunden zusammenbricht, vorher aber mehrere der Jäger zerrissen hat.

Saadi war jung. Er hatte seine Pflicht gethan und wagte nicht, eine andere Ansicht laut werden zu lassen.

»Ihr habt beschlossen; thut was Ihr wollt!« meinte der Scheik. »Ich aber glaube nicht daran und werde mich an keinen Löwen kehren. Uebrigens brauchen wir jetzt gar keine Sorge zu haben. Der Herr des Erdbebens holt sich nie vor Mitternacht seinen Fraß.«

In letzterer Beziehung gaben ihm die Anderen Recht; Saadi aber meinte:

»Die Ehrwürdigen mögen mir, obgleich ich jung bin, noch ein Wort gestatten!«

»Rede, mein Sohn!« sagte der Aelteste der Alten.

»Ich habe bereits gesagt, daß der Herr des Erdbebens erst heute Nacht gekommen ist. Vielleicht hat er einen weiten Weg zurückgelegt; er ist sehr hungrig. Er hat die Krallen geschärft; er ist also ungeduldig. Es ist leicht möglich, daß er bereits vor Mitternacht kommt.«

»Deine Worte sind wohl erwogen; aber ehe er kommt, wird er es uns melden.«

Der Löwe pflegt nämlich, wenn er auf Raub ausgeht, laut zu brüllen.

»Du hast Recht,« meinte Saadi. »Aber es giebt dennoch alte, erfahrene Thiere, welche so schlau sind wie ein Panther. Sie brüllen erst dann, wenn sie ihre Beute zerrissen haben. Uebrigens glaube ich nicht, daß der Herr des Erdbebens über die Ebene kommen wird. Er wird in der Schlucht heraufkommen, welche hier ganz in der Nähe mündet, und dann ist es zu spät, erst noch Maßregeln der Vorsicht zu treffen.«

»Was Du sagst, ist gut. Laßt uns also sofort beginnen. Wir müssen die Heerden so stellen, daß zwischen ihnen und der Schlucht sich das Duar befindet.«

Dies geschah. Nur der Scheik war trotz aller Bitten und Vorstellungen nicht dazu zu bewegen, seine Thiere jetzt schon in Sicherheit zu bringen. Er wollte Saadi nicht als Sieger anerkennen.

Dieser nahm mit seinem Bruder ein frugales Mahl ein. Dieser Letztere besaß nur wenige Thiere, welche so nahe am Zelte untergebracht wurden, daß sie vor einem Ueberfalle vollständig sicher waren. Dann griff Saadi nach seiner Doppelbüchse, sah nach der Ladung und schickte sich an, zu gehen.

»Wohin willst Du?« fragte Abu Hassan besorgt.

»Ich will einmal nach den Heerden sehen.«

»Was gehen sie Dich an? Du begiebst Dich unnütz in Gefahr.«

»Beruhige Dich, mein Bruder. Für mich giebt es keine Gefahr.«

Er ging, und zwar gerade nach der Seite hin, auf welcher sich die Thiere des Scheiks befanden. Er prüfte den leisen Abendwind, welcher sich erhoben hatte. Dieser wehte gerade von der Schlucht herüber. Er war überzeugt, daß der Löwe von dort her kommen werde, und er wollte ihn erwarten. Der Scheik hatte ihn einen Feigling genannt, und er wollte ihm beweisen, daß er es nicht sei.

Darum legte er sich zwischen den Thieren und dem Ausgange der Schlucht auf den Boden nieder und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

Rund um das Lager brannten hohe Feuer, von trockenen Akazienzweigen genährt. Die ganze Gegend war hell erleuchtet. Zeit um Zeit verging. Es konnte kaum mehr eine Stunde an Mitternacht fehlen. Da sah Saadi vom Duar her eine Gestalt kommen. Es war der Scheik, welcher nun den Knechten, welche sich noch bei den Thieren befanden, den Befehl ertheilen wollte, diese Letztere in die Nähe der Zelte zu treiben. Um zu zeigen, daß er an Saadi's Worte nicht glaube, kam er selbst herbei. Die Thiere wurden fortgetrieben. Der Scheik aber, um durch die That zu zeigen, wie sehr er Saadi's Warnung verachte, schloß sich nicht an, sondern schritt langsam dem Ausgange der Schlucht zu.

In der Nähe derselben blieb er stehen. Sein weißer Burnus war weithin sichtbar, so daß man seine Gestalt im Lager deutlich sehen konnte. Die Stimmen seines Weibes und seiner Tochter ließen sich vernehmen. Sie baten ihn voller Angst, zurückzukommen. Er befand sich kaum zwanzig Schritte von Saadi entfernt, sah ihn aber nicht, denn dieser hatte seinen weißen Burnus nicht mitgenommen und lag in seinem dunklen Untergewande an der Erde, so daß er von derselben nicht unterschieden werden konnte.

»O Allah!« hörte man Liama rufen. »Komm zurück, Vater! Der Löwe könnte kommen.«

»Schweig!« rief er zurück. »Es giebt keine Katzen hier.«

Aber in demselben Augenblicke war es, als ob die Erde unter ihm berste. Es erscholl gerade vor ihm ein tiefer, dumpf grollender Ton, der schnell zu einem lauten, mächtigen Brüllen anschwoll, mit welchem der stärkste Donner nicht verglichen werden kann, und sich dann zu einem Röcheln abdämpfte, welches nicht anders klang, als ob eine ganze Heerde von Rindern im Sterben liege.

Bei diesen Tönen war die ganze Natur starr und stumm vor Schreck.

Auch der Scheik vermochte nicht, ein einziges Glied zu bewegen. Er sah den Löwen langsam und majestätisch aus den Büschen treten, gerade da, wo Saadi es vermuthet hatte. Es war ein gewaltiges, riesenhaftes Thier. Beim täuschenden Scheine der flackernden Feuer schien es mehr als Ochsengröße zu besitzen.

Der Löwe schüttelte seine Mähnen und senkte den Kopf. Er hatte den Scheik erblickt und stieß ein zweites Brüllen aus, bei dessen Klange jeder Lebensfunken im Körper Menaleks zu verlöschen schien. Der Löwe stand keine dreißig Fuß von ihm entfernt und duckte sich jetzt nieder, zum Sprunge bereit. Drei Secunden später mußte der Scheik verloren sein. Dies gab ihm die Sprache wieder.

» Ma una meded – zu Hilfe!« rief, nein, sondern brüllte er; aber ein Glied zu rühren, vermochte er nicht.

»Siehst Du, daß es hier Katzen giebt?« klang es in seiner Nähe.

Ein Schuß krachte. Ein fürchterliches Brüllen antwortete. Ein zweiter Schuß folgte gedankenschnell. Der Scheik wurde mit fürchterlicher Gewalt zu Boden gerissen und verlor die Besinnung.

Als er erwachte und die Augen öffnete, sah er viele Leute um sich stehen. Mehrere hatten Fackeln in der Hand. Neben ihm knieeten sein Weib und seine Tochter, ängstlich mit ihm beschäftigt.

»Was ist's? Wo bin ich?« fragte er.

»Bei uns, mein Vater,« antwortete Liama. »O, Allah sei Dank, daß Du lebst! Er hat Dich aus der Gefahr des Todes errettet, als der Herr des Donners Dich zerreißen wollte. Bist Du verletzt?«

»Ich glaube nicht. Wo ist der Löwe?«

Er besann sich erst jetzt auf Das, was geschehen war. Liama deutete hinter ihn.

»Hier liegt er,« sagte sie. »Kannst Du Dich erheben, um ihn zu sehen?«

Er richtete sich empor. Da lag der Löwe, der gewaltige Beherrscher der Steppe, todt und überwunden. Und bei ihm knieete Saadi, im Begriffe, ihm das Fell abzunehmen. Der Scheik erblickte ihn und fragte:

»Wer hat geschossen?«

»Saadi war es,« antwortete Liama.

»Saadi!«

Es lag ein ganz eigenthümlicher Ausdruck in diesem Worte, welches der Scheik aussprach. Er versuchte, sich zu erheben, und es ging. Er trat zu dem Jüngling, betrachtete mit Blicken des Entsetzens die seltene Größe des entsetzlichen Thieres und fragte:

»Saadi, Du warst es, der mich rettete?«

»Ich war es, o Scheik,« antwortete der Gefragte. »Allah ist gütig und gnädig; er hat es so gewollt. Ihm sei Dank, aber nicht mir.«

»Aber wie ist das gekommen?«

»Ich sah Deine Heerde in Gefahr und wußte, daß der Löwe kommen werde. Darum ging ich hinaus, ihm entgegen, um ihn zu erwarten. Da kamst Du, und er trat Dir entgegen. Du riefst um Hilfe, und ich schoß. Meine Kugel glitt am Stirnknochen ab und drang nicht in das Auge ein, wie ich es gewollt hatte. Er sprang auf Dich ein, aber mitten im Sprunge traf ihn meine Kugel in das Herz. Er riß Dich zwar nieder, aber er verwundete Dich nicht. Jetzt liegt er todt hier, und Du stehst lebend vor ihm. Allah sei Dank, der Herr ist über Leben und Tod.«

Der Scheik vermochte nicht, zu antworten; tausend mächtige Gefühle stürmten auf ihn ein. Er vergegenwärtigte sich den Augenblick der Gefahr; er sah den Löwen augenrollend vor sich stehen; er hörte den markerschütternden Ton seiner gewaltigen Stimme; er vergegenwärtigte sich den Augenblick, an welchem die Glieder des Raubthieres sich zum tödtlichen Sprunge zusammenballten, und er hatte nicht Kraft genug, zu verhüten, daß bei dieser Erinnerung ein Zittern sich seines Körpers bemächtigte. Er reichte Saadi die Hand und sagte:

»Du hast mich vom Tode errettet. Du bist klüger als ich, und Allah hat Dir ein muthiges Herz gegeben, welches nicht erbebt vor dem Herrn des Donners. Willst Du vergessen, daß ich Dich beleidigt habe?«

Die Augen des jungen Mannes leuchteten vor Entzücken.

»Alles, was Du zu mir sagtest, soll so sein, als ob ich es nicht gehört hätte,« antwortete er. »Du bist der Scheik, und ich darf Dir nicht zürnen.«

»So komm zu mir, sobald Du das Fell des Löwen genommen hast.«

Menalek ergriff die Hand seines Weibes und seiner Tochter und schritt mit ihnen seinem Zelte zu.

»Kannst Du den Retter nun noch hassen?« wagte die Mutter zu fragen.

»Ich liebe ihn,« antwortete er. »Er hat gezeigt, daß ein Jüngling zuweilen einen Alten beschämen kann.«

Er gestand diese Beschämung ein, ohne sich von derselben zur Bitterkeit fortreißen zu lassen. Er war ein stolzer, aber auch ein einsichtsvoller Mann.

Die meisten der Zeltbewohner blieben bei Saadi zurück, um die außerordentliche Größe des Löwen zu bewundern. Dieser war jedenfalls eines jener alten Thiere, welche in Einsamkeit leben und selbst zu ihresgleichen in immerwährender, grimmiger Feindschaft stehen. Solche Exemplare werden, gerade wie bei den Elephanten, Einsiedler genannt und sind wegen ihrer Erfahrung, List und Verschlagenheit doppelt gefährlich.

Kurze Zeit später wurde Saadi im Triumphe in das Zeltdorf geleitet. Er übergab das Fell des Löwen seiner Schwägerin, der Frau seines Bruders, zur Zubereitung, und begab sich dann nach dem Zelte des Scheiks.

Er wurde dort ganz anders empfangen als vorher. Er mußte sich neben Menalek auf den Ehrenplatz setzen und erhielt Tabak und Pfeife, wobei Liama ihn bedienen mußte, was sie natürlich mit der größten Freude that.

Die beiden Männer rauchten lange Zeit schweigend, ohne ein Wort zu sprechen; endlich aber legte der Scheik die Pfeife weg und sagte:

»Saadi, Du tapferer Sohn der Beni Hassan, Du hast mich am Leben erhalten, als ich bereits an der Pforte des Todes stand. Du liebst Liama, meine Tochter?«

Der Gefragte legte nun auch seine Pfeife fort und antwortete:

»Ich liebe sie von ganzem Herzen. Mein Leben gehört Dir und ihr; darum habe ich es für Dich gewagt, als der Herr des Donners Dich zerreißen wollte.«

Der Scheik wendete sich an seine Tochter:

»Liama, Du Weide meiner Augen, ist Deine Seele diesem Tapfern zugethan?«

»Ja, Vater,« antwortete sie. »Allah hat ihm mein Herz geschenkt; Allah ist allmächtig; ihm ist nicht zu widerstehen.«

»So möge er Dein Herr sein, und Du sollst sein Weib sein, so lange Allah Euch das Leben schenkt. Mein Segen sei Euer Eigenthum und leuchte Euch bis zur letzten Stunde Eurer Tage.«

Er legte ihre Hände in einander. Sie knieeten vor ihm nieder und er segnete sie. Dann trat auch sein Weib herbei und legte unter Thränen ihre Hände auf die Häupter der Beiden. Diese Abkömmlinge Ismaels hatten die Sitten ihrer Urahnen in solcher Ursprünglichkeit erhalten, daß die gegenwärtige Scene sehr leicht in die alttestamentliche Zeit zurückgedacht werden könnte.

»So seid Ihr denn bereits heute Mann und Weib,« sagte der Scheik. »Doch wenn der neue Monat beginnt, soll Eure Hochzeit gefeiert werden so weit die Heerden der Beni Hassan weiden. Von jetzt an soll Saadi in meinem Zelte wohnen. Liama ist mein Kind und er mein einziger Sohn. Was ich habe, ist auch sein Eigenthum. Der Wille Allahs soll geschehen.«

Hierauf zog er sich in den hinteren Theil des Zeltes zurück; die Liebenden aber, welche so unerwartet und plötzlich glücklich geworden waren, traten aus demselben hinaus, um beim Scheine der Sterne von der Seligkeit zu flüstern, welche jetzt in ihrem Herzen wohnte.

Am anderen Morgen, als die Schläfer sich noch nicht längst erhoben hatten, ritten drei Männer in das Zeltdorf ein. Sie sahen ungeheuer staubig aus und hatten ganz das Aussehen von Leuten, welche eine große Reise hinter sich haben.

Sie sprangen vor dem Zelte des Scheiks vom Pferde. Dieser trat hinter dem Vorhänge hervor. Als er sie betrachtete, legte sich seine Stirn in Falten.

»Wer seid Ihr?« fragte er.

»Wir sind Tuareks,« antwortete einer der Männer in stolzem Tone.

Die Tuareks sind ein vielstämmiges Wüstenvolk, dunkler gezeichnet als die Mauren und als unverbesserliche Räuber bekannt.

»Was wollt Ihr bei den Zelten der Beni Hassan?« fuhr der Scheik fort.

»Bist Du Scheik Menalek?«

»Ich bin es.«

»Wir suchen zwei Männer, welche unter dem Schutze Deines Stammes wohnen.«

»Wer sind sie?«

»Es ist Vater und Sohn. Sie stammen aus dem Osten und kamen in diese Gegend, um einer Blutrache zu gehorchen.«

»Wie heißen sie?«

»Malek Omar und Ben Ali.«

»Ich kenne sie.«

»Wo befinden sie sich?«

»Sie sind fortgeritten, ohne mir zu sagen, welches ihr Ziel ist.«

»Werden sie wieder kommen?«

»Sie sagten es.«

»Wann?«

»Ich weiß es nicht.«

»Sie haben uns gesagt, daß sie uns hier erwarten werden. Wirst Du uns erlauben, bis zu ihrer Rückkehr das Salz und Brot Deines Stammes zu essen?«

Es dauerte eine Weile, ehe er sagte:

»Ich erlaube es, wenn Ihr Freunde dieser Männer seid.«

»Wir sind ihre Freunde.«

»Sie sind unsere Gäste, und die Freunde meiner Gäste sind auch meine Freunde. Tretet bei mir ein, um Salz und Brot zu essen und Euch bei mir auszuruhen; denn ich sehe, daß Ihr einen weiten Weg zurückgelegt habt.«

»Wir sind mehrere Tage und Nächte geritten, um Deinen Gästen eine sehr wichtige Botschaft zu überbringen.«

Sie ließen ihre Pferde frei stehen und folgten dem Scheik in sein Zelt. Sie hatten dasselbe aber noch nicht lange betreten, so langten zwei andere Reiter an, welche von Norden herbei geritten kamen. Es war Richemonte mit seinem Cousin.

Auch sie hielten vor dem Zelte des Scheiks, und dieser trat aus demselben hervor, um sie zu empfangen. Er sagte ihnen, daß drei Tuareks angekommen seien, um ihnen eine wichtige Botschaft zu bringen.

»Wo sind sie?« fragte Richemonte.

»In meinem Zelte.«

»Laß ihren Führer hervortreten! Wir werden mit ihm sprechen.«

Die beiden verkappten Franzosen stiegen von den Pferden. Der Tuarek, welcher vorhin den Sprecher gemacht hatte, kam herbei und wurde von ihnen durch die Zeltreihe hinaus in das Freie geführt, wo man reden konnte, ohne sich der Gefahr auszusetzen, belauscht zu werden.

Sie trafen dabei auf Saadi. Er war mit Liama zu den Heerden gegangen, um diese zu besichtigen. Das Mädchen war dort bei ihrem Lieblingskameele zurückgeblieben. Er betrachtete im Vorübergehen die fünf Männer, und dabei begegneten seine Augen denen Richemontes. Ueber Beider Angesicht zuckte es wie ein plötzliches Erkennen, doch setzten sie ihren Weg ruhig in entgegengesetzter Richtung fort. Der Scheik stand noch vor dem Zelte, als Saadi dort ankam.

»Wer waren diese Leute?« fragte der Letztere.

»Zwei Araber aus dem Osten, welche meine Gäste sind,« antwortete der Gefragte, »und Einer von den drei Tuareks, welche jetzt kamen, um sie aufzusuchen.«

»Wie heißt der Gast mit dem grauen Barte?«

»Malek Omar.«

Sofort erinnerte sich Saadi des gestrigen Gespräches mit der Geliebten. Der jüngere der beiden Gäste war also Ben Ali, welcher Liama liebte.

»Ich kenne ihn,« sagte er.

»Du kennst ihn?« fragte Menalek erstaunt. »Du warst ja nie in den östlichen Oasen. Wo hast Du ihn gesehen?«

»In Algier.«

»Du irrst. Er ist nie in Algier gewesen.«

»Ich irre nicht. Es ist Malek Omar, der Fruchthändler.«

»Mein Sohn, Dein Auge wird Dich täuschen.«

»Mein Auge betrügt mich nicht. Ich sah diesen Mann einige Male in das Haus des Generalgouverneurs gehen. Glaubst Du, daß man dieses Gesicht verkennen kann?«

»Nie!« antwortete der Scheik nachdenklich.

»Haben diese beiden Männer die Sprache des Ostens?«

»Ich habe sehr viele Dialecte gehört, aber der ihrige ist mir unbekannt. Sie müssen aus einer Oase oder aus einem Lande stammen, wo ich noch nicht gewesen bin.«

»Reden sie vielleicht die Sprache unseres Volkes so, wie von den Franken gesprochen wird?«

*


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