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Fortsetzung 31

Der vermeintliche Procurator bezahlte seine Zeche und entfernte sich. Der Savoyarde folgte sehr bald diesem Beispiele. Er hatte das Zimmer noch nicht lange Zeit verlassen, so trat ein weiterer neuer Gast ein. Er blickte sich im Kreise um und sagte im vornehmen Tone:

»Ich bin der Capitän Richemonte und fand den Maire nicht zu Hause. Man sagte mir, daß er hier sei.«

Da erhob sich einer der Anwesenden.

»Der Maire bin ich, Monsieur,« sagte er. »Was wünschen Sie?«

»Eine Auskunft.«

»Ich stehe zu Diensten.«

»Hat sich in letzter Zeit die Einwohnerschaft Ihres Ortes vermehrt?«

»Ja, allerdings.«

»Wie?«

»Wir haben in zwei Wochen eine Geburt gehabt.«

»Pah! Unsinn! Das meine ich nicht, sondern ob vielleicht Fremde bei Ihnen sich niedergelassen haben.«

»Nein, das ist nicht der Fall.«

»Müssen Besuche bei Ihnen angemeldet werden?«

»Ja.«

»Sind solche Anmeldungen eingegangen?«

»In letzter Zeit gar nicht.«

»Gut. Ich suche nach drei Personen, zwei Damen und einem Knecht; die Damen sind Mutter und Tochter. Sie müssen sich in dieser Gegend verborgen halten, und ich würde Denjenigen, der sie mir nachweisen könnte, sehr gut belohnen.«

»Würden Sie mir diese Personen beschreiben können?«

»Ist vielleicht nicht nöthig. Die Tochter soll sehr schön sein.«

»Eigenthümlich. Heut wird nur immer gesucht. Soeben war ein Procurator aus Paris da, welcher auch Jemand suchte.«

»Ah! Wen suchte er?«

»Einen Baron Reillac, welcher Armeelieferant ist und verschwunden sein soll.«

Der Capitän verfärbte sich.

»Wohin begab sich der Procurator von hier aus?«

»Ich weiß es nicht, Monsieur.«

»Giebt es noch Militär hier?«

»Nein. Es lag sehr vieles hier; aber da der Kaiser gestern die Schlacht bei Ligny gewonnen hat, wird er den Feind immer weiter nach Norden drängen, und so wurden die Truppen von hier fortgezogen. Befehlen Sie Etwas?«

»Ein Glas Wein.«

Der Capitän setzte sich und trank seinen Wein schweigend aus. Er schien in seinem Innern außerordentlich beschäftigt zu sein. Als er das Haus verlassen hatte, schlug er den Weg nach Paliseul ein. Unterwegs sprach er laut mit sich, blieb stehen, ging weiter und blieb abermals stehen.

»Verdammtes Unglück,« brummte er. »Die Armee gewinnt Schlachten, und ich darf mich nicht vor dem Kaiser, das heißt, also in Reih und Glied sehen lassen. Warum verlor ich doch die Spur dieser verteufelten Weiber! Könnte ich wenigstens diesen Königsau erwischen!«

Er schritt weiter, blieb abermals stehen und fuhr fort:

»Diese Kriegskasse wird mich für Alles entschädigen. – Aber ist es denn auch wirklich wahr, daß eine dort vergraben liegt? Warum überzeuge ich mich nicht lieber, anstatt dieser Margot nachzurennen, ohne sie zu finden! Dort liegt Reillac noch unbegraben. Wenn man ihn findet. Waren die drei Grenadiers wirklich todt? Wenn Einer noch lebte und als Zeuge gegen mich aufträte! Ich habe mich nicht überzeugt, ob das Leben wirklich aus ihnen gewichen sei. Ich werde heut in Paliseul bleiben und morgen mit dem Frühesten hinauf nach der Schlucht gehen, um die Sache in Ordnung zu bringen.«

Er blieb stehen und horchte. Es war ihm, als ob er ein Geräusch gehört habe, dem entfernten Donner ähnlich.

»Sollte man sich wieder schlagen?« fragte er sich. »Pah! Mordet Euch immer hin; aber laßt mir nur die Kriegskasse.«

Er ahnte nicht, daß er sich auf dem gegenwärtigen Wege von Dem entfernte, was er so sehnsüchtig gesucht hatte.

Drüben am Waldesrande stand nämlich ein kleines Häuschen. Es sah nicht reich, aber hübsch und sauber aus. Der Besitzer war ein Freund und Verwandter Florians und war gern bereit gewesen, die beiden Frauen aufzunehmen und zu verbergen. In den letzten Tagen war ihm dies freilich schwer geworden. Es hatte viel Militär im Orte gelegen, und auch ihm hatte man reichliche Einquartierung gegeben. Darum war er gezwungen gewesen, die Frauen im Keller zu verbergen. Jetzt aber befanden sie sich in dem kleinen Giebelstübchen, während er mit Florian in dem Gärtchen saß und über allerlei plauderte.

Da plötzlich stockte das Gespräch und Beide horchten.

»Hast Du es gehört, Florian?« fragte der Wirth.

»Ja,« antwortete der Gefragte, »schon einige Male.«

»Das ist ein Erdbeben!«

»Nein, wie Donner. Ich bemerke es bereits seit Mittag.«

»Sollte es eine Schlacht sein?«

»Jedenfalls.«

»So werden die Deutschen abermals geschlagen!«

Bei diesen Worten blickte er den Kutscher forschend von der Seite an.

»Warum gerade wieder die Deutschen?« fragte dieser.

»Ich denke es mir.«

»Das wäre Dir wohl sehr lieb?«

»Nein. Du weißt, daß ich kein geborener Franzose bin. Aber weil Du gar so heimlich mit mir thust, wird es mir wohl auch erlaubt sein, mit meinen Gesinnungen Versteckens zu spielen.«

»Das bringst Du gar nicht fertig. Ich weiß doch, daß Du ein braver Kerl bist.«

»Warum also hast Du kein Vertrauen zu mir?«

»Kein Vertrauen? Worüber hättest Du in dieser Beziehung zu klagen?«

»Ich habe wohl zu klagen. Habe ich nicht bereits seit heute früh bemerkt, daß fremde Gestalten sich da drüben im Walde befinden, welche von Zeit zu Zeit nach meinem Hause blicken?«

»Das habe ich noch nicht bemerkt,« meinte Florian sehr aufrichtig.

»So sage, wer eigentlich jener Herr war, welchen Du mit den Damen zu mir brachtest?«

»Hm! Es ist mir zwar von ihm verboten; aber ich weiß, daß ich Dir Vertrauen schenken darf. Er ist ein Deutscher.«

»Ein Deutscher? Ah, da hat er viel gewagt!«

»Allerdings. Aber er hat noch mehr gewagt, als Du von ihm weißt. Ich werde Dir erzählen.«

Und er erzählte. Der Wirth hörte sehr aufmerksam zu. Als Florian geendet hatte, sagte er:

»Das klingt, als hättest Du es in einem Buche gelesen; aber ich will es Dir glauben. Doch siehe, da kommt Einer mit einem Wägelchen gefahren. Gewiß ein Hausirer. Wollen einmal sehen, was er hat.«

Der Mann, welcher sich jetzt langsam dem Hause näherte, hatte rothes fuchsiges Haar und eben solchen Bart. Er war zwar nicht lumpig, aber beinahe lüderlich gekleidet und zog einen vierräderigen Karren nach sich.

Als er das kleine Vorgärtchen erreichte, griff er an die Mütze und grüßte. Die beiden Männer begaben sich zu ihm.

»Womit handelt Ihr?« fragte der Wirth. »Was habt Ihr zu verkaufen?«

»Nichts,« antwortete er. »Ich kaufe im Gegentheile ein.«

»Was?«

»Knochen, altes Eisen, Zinn und Aehnliches. Habt Ihr nichts für mich?«

Florian hörte die Stimme, blickte den Mann scharf an, schlug sodann die Hände zusammen und rief:

»Ist es möglich, Monsleur! Aber wahrhaftig, Sie sind fast gar nicht zu erkennen. Diese Perrücke und der Bart verstellen Sie ganz.«

»Wer ist es denn?« fragte der Wirth.

Da griff Florian schnell zu, nahm dem Mann die Mütze und die Perrücke ab und sagte:

»Da sieh einmal selbst!«

Vor den Beiden stand – Königsau.

»Verzeihen Sie die Täuschung!« sagte er. »Aber ich nehme an, daß Florian Ihnen wohl bereits gesagt hat, daß ich ein Deutscher bin?«

Ehe der Wirth noch antworten konnte, wurde eben das kleine Giebelfensterchen geöffnet, und die Stimme Margots ertönte:

»Hugo, mein Hugo! Darf ich hinunter kommen?«

Er blickte mit glücklichem Lächeln empor und antwortete:

»Nein, sondern ich komme zu Dir.«

Und im Nu war er in das Haus getreten und flog die Treppe empor. Sie öffnete und lag in seinen Armen.

»Ich sah Dich kommen!« sagte sie.

»Und Dein Herz klopfte vor Liebe und Seligkeit?« lächelte er.

»Ah, ich erkannte Dich ja nicht. O, diese häßlichen rothen Haare!«

»Wenn Du wüßtest, wer mich soeben auch nicht erkannte.«

»Wer war es?«

Er trat mit ihr in das Stübchen, begrüßte vorerst auch die Mutter und deutete sodann zum Fenster hinaus.

»Siehst Du den Mann da auf dem Wege nach Paliseul?«

»Ja.«

»Dieser Mann ist kein Anderer als Dein Bruder.«

»Der Capitän?« fragte sie erschrocken.

»Ja.«

»Hat er Dich erkannt?«

»Nein. Er hat wohl geglaubt, mich bereits einmal gesehen zu haben, und darum hat er mir so lange nachgeblickt; aber erkannt hat er mich sicherlich nicht.«

»Das würde auch ein großes, großes Unglück sein, denn er sucht nach uns. Der Wirth erzählte, daß er überall nach zwei Damen und einem Knechte frage. Aber, Lieber, welcher Umstand führt Dich wieder zurück?«

»Der Feldmarschall schickt mich in die Berge, um die Kriegskasse in Sicherheit zu bringen.«

»Fortschaffen? Das ist ja unmöglich.«

»Ich soll ihr nur eine andere Stelle geben, damit der Capitän sie nicht findet. Ich habe Leute hierher bestellt, welche heute eintreffen werden.«

»Ist es wahr, daß die Preußen eine Schlacht verloren haben?«

»Ja, bei Ligny. Sie wurden fast erdrückt, da Wellington nicht Stand halten konnte. Dafür aber werden sie heute eine desto bedeutendere gewinnen. Hast Du gehört, daß man sich wieder schlägt?«

»Ja. Wo wird es sein?«

Am Süden von Brüssel, vielleicht in der Gegend von Waterloo.«

»Aber wenn die Verbündeten doch nicht siegen?«

»Sie siegen; das ist meine Ueberzeugung.«

»Wie hat der Marschall Dich empfangen?«

Auf diese Frage hin kam er in das Erzählen. Dies nahm ihn so sehr in Anspruch, daß er den Savoyarden gar nicht bemerkte, welcher sich dem Hause näherte. Als dieser die beiden Männer bemerkte, grüßte er sehr höflich und fragte:

»Verzeihung! Wohnt ein Monsieur Florian hier?«

»Ja; der bin ich,« antwortete der Kutscher.

Der Fremde betrachtete ihn aufmerksam und sagte dann:

»Ich habe mich bei Ihnen nach Jemandem zu erkundigen.«

»Nach wem?«

»Das darf ich nicht sagen.«

»Ah,« nickte der Kutscher, »Sie sind eingeweiht. Sie meinen den Herrn Lieutenant Königsau?«

»Allerdings,« antwortete der Andere. »Ist er anwesend?«

»Er ist soeben erst gekommen. Wollen Sie ihn sprechen?«

»Ja.«

»Ich werde ihn holen.«

Er ging und brachte den Lieutenant von den Damen herab. Als dieser den Savoyarden bemerkte, stieß er ein helles Lachen aus und sagte:

»Prächtig, Kunze! In Dir sucht Niemand einen Preußen. Was hast Du mir zu sagen?«

»Daß sie alle da sind, außer Einem.«

»Wer ist es?«

»Ich weiß es noch nicht.«

»Die Werkzeuge sind da?«

»Ja.«

»Darf man wissen, um was es sich handelt?«

»Jetzt noch nicht. Kann ich meinen Wagen sicher bei Ihnen einstellen?«

»Das versteht sich.«

»Er enthält außer den Knochen und dem alten Eisen, welches nur als Firma dient, Gewehre und Munition, welche wir brauchen. Hören Sie die Kanonade? Es scheint heiß herzugehen.«

»Gebe Gott nur den Verbündeten Sieg,« sagte Florian.

»Er wird diesen Wunsch erhören, und unser Siegeszug wird ein schnellerer sein als das vorige Mal.«

Die Männer besprachen dieses Thema noch einige Zeit, und dabei merkte Königsau, daß er dem Wirthe vollständig vertrauen könne. Später kehrte er zu den Damen zurück, denen es ein Trost war, ihn wieder bei sich zu sehen. Margot hatte sich von ihrer Verwundung völlig erholt. Sie war schön und reizend wie immer und freute sich im Stillen innig darüber, daß der Geliebte heute nicht den Schlachtgeschossen ausgesetzt war.

»Was wird Napoleon thun, wenn er siegt?« fragte sie.

»Er wird sofort Herr des Rheines sein.«

»Und wenn wir siegen?«

»So stehen wir binnen einer Woche vor Paris und dictiren einen Frieden, welcher gewiß nicht wieder gebrochen wird. Und weißt Du, was hernach geschieht, meine Margot?«

»Was?« fragte sie lieblich erröthend.

»Dann wirst Du Deinen Siegeszug nach Berlin antreten.«

»Unter Deinem Schirme und Schilde, ja, Geliebter.«

Sie legte die Arme um ihn und flüsterte ihm zu:

»Weißt Du denn noch, daß du mir theurer warst als sogar der Kaiser?«

»Ja,« sagte er. »Und das werde ich Dir niemals vergessen.«

Der Tag verging; aber der Kanonendonner wollte nicht aufhören. Noch am späten Abende war er zu vernehmen. Ja, er schien sogar immer näher zu kommen.

Gegen Mitternacht begab der Lieutenant sich zu dem Stelldichein im Walde, wo er zehn muthige und kräftige Burschen fand, welche ganz geeignet waren, auch in Feindesland ein Abenteuer auszuführen, wie das projectirte eines war. Der Karren mit den Waffen wurde geholt und dann trat man den nächtlichen Weg an.

Sie erreichten den Fuß der Höhe mit Tagesanbruch und begannen dann den Aufstieg. Der Forst lag still und menschenleer. Sie gelangten nach der Schlucht, ohne von Jemand gesehen zu werden.

»Hier ist es,« sagte der Lieutenant zu den Leuten. »Haltet hier Wache, bis ich zurückkehre. Ich werde einen passenden Ort suchen, welcher in nicht zu großer Entfernung liegen darf.«

Wer den Sprecher jetzt sah, hätte ihn allerdings nicht für einen preußischen Husarenlieutenant gehalten, denn er trug Perrücke und rothen Bart, gerade so, wie auch die Anderen in ihrer Verkleidung steckten.

Als er sich entfernt hatte, lagerten sich die Anderen zwischen den Büschen, um seine Rückkehr zu erwarten.

»Pfui Teufel, was stinkt da?« fragte Einer. »Herrgott, eine Leiche hier hinter dem Strauche!«

Sie traten näher. Es war der Körper Reillacs.

»Das wird der französische Baron sein, von welchem der Herr Lieutenant erzählt hat,« meinte der Corporal. »Er sagte, daß wir ein Document darüber ausstellen würden.«

Erst nach längerer Zeit kehrte Königsau zurück. Es war nicht leicht gewesen, einen passenden Ort zu finden.

»Grabt ein!« befahl er.

Bei der Arbeit so rüstiger Hände ging das Bloslegen der Kriegskasse rasch von statten. Es wurde aus abgeschnittenen Stämmchen eine Trage gemacht, mit deren Hilfe man sie nach ihrem neuen Bestimmungsort brachte. Dort wurde sie sehr vorsichtig eingegraben, worauf man noch vorsichtiger jede, auch die geringste Spur vertilgte.

Dann zog der Lieutenant Papier und Stift hervor, um einen Situationsplan auszufertigen, mit dessen Hilfe es einem Dabeigewesenen leicht war, den Platz wieder zu finden.

Während dieser Arbeit war es über Mittag geworden. Die Leute nahmen einen kurzen Imbiß zu sich und kehrten dann nach der Schlucht zurück, um das dort offen gelassene Grab wieder zuzuwerfen.

Auch der Capitän Richemonte hatte sein gestriges Vorhaben ausgeführt. Er hatte sich mit einem Spaten versehen und war mit dem heutigen Morgen in die Berge gegangen. Er hatte die Absicht, Reillac einzuscharren und sich dann zu überzeugen, ob die Kriegskasse denn auch wirklich vorhanden sei.

In der Schlucht angekommen, ging er ahnungslos auf die bewußte Stelle zu, blieb aber starr vor Schreck stehen, als er das Loch bemerkte, dessen glatt gedrückte Seiten zur Evidenz bewiesen, daß sich hier ein großes Gefäß befunden habe.

»Fort! Weg!« rief er. »Herrgott, ich komme zu spät!«

Es war ihm, als sei alles Leben aus seinen Gliedern gewichen.

»Das ist nur vor kurzer Zeit geschehen,« fuhr er fort, »denn die Erde ist noch ganz frisch. Wer aber ist es gewesen?«

Er blickte umher, konnte aber nichts finden, was ihm einen Anhalt hätte bieten können. Er stampfte den Boden mit dem Fuße und rief:

»Nun ist auch diese Hoffnung hin! Gewiß ist es dieser Königsau gewesen. O, ich wollte, ich hätte ihn in diesem Augenblicke hier bei mir! Wie sollte er meine Rache fühlen!«

Grad zu dieser Zeit kehrte Königsau nach der Schlucht zurück. Er dachte an nichts weniger als daran, daß er Jemand da antreffen werde. Daher erstaunte er, als er einen Menschen an dem offenen Loche heftig gesticuliren sah. Er winkte seinen Leuten, ihm leise zu folgen, und schlich sich auf den Fußspitzen vorwärts. Er erkannte den Capitän und legte ihm die Hand auf den Arm.

»Mit wem sprechen Sie hier, Capitän Richemonte?« fragte er.

Der Gefragte fuhr herum und wurde leichenblaß vor Schreck.

»Wer – wer seid Ihr?« stammelte er.

»Schatzgräber, grad wie Sie, aber glücklicher. Doch, Sie kommen uns grad gelegen. Treten Sie doch gefälligst einmal zu dieser Leiche. Kennen Sie dieselbe?«

Richemonte blickte jetzt dem Sprecher schärfer in das Gesicht.

»Verflucht!« knirschte er. »Königsau.«

»Ja, ich bin es! Aber haben Sie keine Sorge; ich werde Ihnen nichts zu leide thun. Nur gestehen sollen Sie mir, daß Sie der Mörder dieses Mannes sind.«

»Den Teufel werde ich gestehen, aber dieses nicht.«

Bei diesen Worten bemühte er sich, von der Faust Königsaus loszukommen. Dieser aber hielt ihn fest.

»Sie geben wenigstens zu, daß diese Leiche diejenige Ihres Freundes Reillac ist?« fragte er.

»Was geht mich dieser Kadaver an!«

»Mir auch recht! Aber da wollen wir dem Herrn doch einmal in die Taschen sehen. Haltet ihn fest!«

Er wurde trotz seines Sträubens so fest gehalten, daß er sich nicht zu bewegen vermochte. Er schäumte vor Wuth, konnte aber doch nicht verhindern, daß Königsau die Börse und die Brieftasche des Ermordeten zum Vorscheine brachte. Beides war mit dem Namen und Wappen Reillacs versehen.

»So, das ist genug,« meinte der Lieutenant. »Mehr brauchen wir nicht. Ich werde diese Gegenstände behalten und an geeigneter Stelle deponiren. Nehmt ihm die Waffen, und gebt ihm einen Fußtritt. Das ist Alles, was er von uns zu fordern hat.«

Man kam diesem Befehle sofort nach. Dann wurde die Leiche untersucht und begraben. Ein kurz abgefaßtes Protocoll, an Ort und Stelle abgefaßt und von sämmtlichen Leuten unterschrieben, steckte er zu sich; dann wurde der Rückweg angetreten.

Richemonte wußte nicht, wie ihm geschehen war. Er hatte kein Wort zu sprechen gewagt und sogar den Fußtritt ruhig hingenommen. Er hatte dann den Fuß des Berges erreicht, als ob es im Traume geschehen sei. Dann aber kam er zu sich. Er blieb stehen, ballte einen Augenblick die Faust und rief:

»Rache! Rache! Ich weiß jetzt Alles! Dieser verkleidete Officier ging nach dem einsamen Hause. Dort wird sich seine Dulcinea befinden. Man wird ja sehen, was geschieht.«

Er eilte so, daß er noch vor Anbruch des Morgens nach Gedinne kam. In dem Orte schlief kein Mensch. Eine flüchtige Soldatenschaar, welche noch jetzt da rastete, hatte die Meldung gebracht, daß der Kaiser völlig geschlagen und Frankreich verloren sei. Da gab es ein Jammern und Klagen, welches dem Capitän höchst willkommen war. Er ergriff das Wort und erzählte, daß er diesen braven Patrioten elf deutsche Spione in die Hände liefern wolle. Die Braut des Anführers befinde sich jedenfalls in dem einsamen Hause am Waldesrande.

Die Bürger des Ortes ließen sich nicht so leicht hinreißen wie die Soldaten, welche sofort unter Richemontes Führung nach dem Häuschen zogen, es besetzten und die Bewohner desselben gefangen nahmen. Während Einige als Wache zurückblieben, zogen die Andern den »deutschen Spionen« entgegen, um sie zu vernichten.

Die Preußen hatten es nicht für nöthig gefunden, sich jetzt nun noch zu zerstreuen. Königsau hatte ihnen dies angerathen und sich dann von ihnen getrennt. So kamen sie, die Karre mit sich führend, ahnungslos daher; da krachte eine Salve, und alle Zehn stürzten, zum Tode getroffen, zu Boden.

Richemonte untersuchte sie.

»Der Anführer ist nicht dabei,« sagte er. »Er wird noch nachkommen. Er darf uns nicht entgehen.«

Er täuschte sich. Königsau hatte unterwegs daran gedacht, daß er von Richemonte auf seinem Wege zum Waldhäuschen beobachtet worden sei, und das hatte ihn besorgt gemacht. Daher trennte er sich von dem langsamen Zuge seiner Leute und eilte ihnen voraus. Dabei schlug er durch Dick und Dünn die grade Richtung ein und wurde so von Richemonte nicht getroffen.

In der Nähe des Häuschens angekommen, merkte er sofort, was geschehen war; aber er bemerkte auch, daß die Besatzung keine vielzählige sein werde. Was er aber nicht bemerkte, das war eine preußische Husarenpatrouille, welche am abliegenden Waldesrande dahergeritten kam.

Er schritt auf das Häuschen zu und trat ein. Der an der Thür stehende Posten wollte es ihm verwehren, aber in demselben Augenblicke hörte er Margots Stimme um Hilfe rufen. Sofort riß er die Pistolen hervor und drang ein. In der Stube rang Margot mit vier Soldaten. Der Wirth und Florian lagen gebunden in der Ecke, und Frau Richemonte war ohnmächtig. Die vier Schüsse krachten, und die vier Angreifer stürzten todt zu Boden; aber der Posten war dem Lieutenant gefolgt.

Margot stieß einen schrillen Warnungsruf aus. Königsau wollte sich schnell umdrehen, aber es war zu spät. Der Pallasch des Franzosen saußte durch die Luft und fuhr ihm in den Kopf. Er sank nieder und Margot neben ihm.

Unterdessen war die Patrouille aus dem Walde hervorgebrochen. Der sie befehligende Officier hielt an und schaute sich um. Da fielen in dem nahen Hause vier Schüsse, und dann hörte man einen schrillen Angstschrei.

»Was ist das? Dort kämpft man!« sagte der Officier. »Vielleicht bedarf man unserer Hilfe. Vorwärts!«

Sie sprengten herbei, sprangen ab und drangen ein. Da sprang gerade eben der Franzose, welcher den Hieb gegen Königsau geführt hatte, zum Fenster hinaus, da er sich nicht anders retten konnte. Aber der Husar erkannte auf den ersten Blick, was hier geschehen war, und sandte ihm eine Kugel nach, welche auch ihr Ziel nicht verfehlte.

Florian und der Wirth wurden ihrer Fesseln entledigt und erfuhren, daß eine größere preußische Truppenabtheilung im Anzuge sei, so daß sie nun nichts mehr zu befürchten hatten. Sie erzählten in kurzen Umrissen, was geschehen war, und mußten auf Befehl des Officiers die Damen nach oben bringen.

Königsau's Kopfwunde war lebensgefährlich. Er erhielt einen nothdürftigen Verband, bis nach ungefähr einer Stunde die erwähnten Truppen ankamen und ein Arzt sich seiner annehmen konnte. Dieser schüttelte höchst bedenklich den Kopf, gab aber doch der inzwischen wieder zu sich gekommenen Margot eine tröstliche Antwort, obgleich er ihr nicht erlaubte, den Geliebten zu sehen.

Richemonte kehrte nicht nach dem Hause zurück; er hatte unterwegs von dem Anrücken der Preußen gehört und es vorgezogen, sich nicht in eine gar zu große persönliche Gefahr zu begeben. Von der Verwundung seines Todfeindes wußte er allerdings noch nichts. – – –


Kapitel 6.
Die Tochter des Kabylen


Oft treten im Laufe der Ereignisse Pausen ein, welche vermuthen lassen, daß der Faden der Geschichte vollständig abgerissen sei. Aber das Leben gleicht dem Weltmeere. Die Wogen, welche es wirft, sind nicht die Folgen einer horizontalen Bewegung, sondern die Wasser steigen auf und nieder. Der Tropfen, welcher sich jetzt, hochaufspritzend, aus den Wellenkämmen erhebt, sinkt im nächsten Augenblicke vielleicht in die Tiefe des Grundes hinab und kommt erst lange Zeit später in seiner Auflösung oder Vereinigung mit anderen Tropfen auf der Oberfläche wieder zum Vorscheine.

So verschwinden auch im Leben der Völker oder des einzelnen Menschen die Ereignisse zuweilen von der Oberfläche und kommen zu unserer Ueberraschung ganz plötzlich an einem Orte und zu einer Zeit wieder zum Vorscheine, wo und wann wir es am allerwenigsten erwartet haben.

Seit den letzt erzählten Ereignissen waren mehrere Jahrzehnte vergangen, als in einem Kaffeehause zu Biskara einige französische Officiere rauchend, trinkend und plaudernd beisammen saßen.

Biskara oder Biskra, wie der Araber das Wort ausspricht, ist ein Städtchen der Provinz Constantine in Algerien, wichtig als an der großen Karawanenstraße gelegener Handelspunkt und damals zur Zeit seiner Märkte sehr besucht von den Berbern und Beduinen der Umgegend, welche herbei kamen, um zu tauschen oder ihre Einkäufe zu machen.

Das Kaffeehaus, von welchem hier die Rede ist, hatte mehr ein europäisches als ein orientalisches Aussehen. An einem der Boulevards von Paris hätte es sich allerdings wohl ein wenig fremdartig ausgenommen, aber hier in Biskara war ganz dasselbe der Fall, freilich vom entgegengesetzten Standpunkte aus.

Das Gebäude war in maurischem Stile errichtet, doch hatte man einige Fensteröffnungen durch die vordere Mauer gebrochen und über dem Eingang ein mit einer französischen Firma versehenes Schild angebracht.

Während der Muhammedaner in seinen Kaffeehäusern sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Teppich niederläßt, welcher ganz einfach auf den bloßen Fußboden ausgebreitet wird, gab es hier einige allerdings ziemlich roh gezimmerte Tische und Stühle, an und auf denen die Officiere saßen. Und was diese Herren tranken, war nicht Kaffee, sondern Wein, schwerer portugiesischer Wein, wie die Etiquetten besagten, welche an den zahlreich geleerten Flaschen zu lesen waren.

Die Herren schienen ziemlich angeheitert zu sein; einige waren sogar von dem Geiste des Weines so sehr in Beschlag genommen, daß sie gar nicht viele Gläser mehr zu leeren brauchten, um vollständig betrunken zu sein.

Der Wirth, welcher diese Gäste bediente, trug die Tracht eines Zuaven, war aber allem Anschein nach nicht ein Eingeborener, sondern ein Franzose, denn er sprach, wenn er gefragt wurde und Rede stehen mußte, genau den Dialect, welchen man in der Gegend von Tours zu hören bekommt. Eben jetzt erst hatte man ihm eine Frage gestellt. Er schüttelte den Kopf und antwortete:

»Wie kann ich wissen, ob dieser Mann bereits einmal in Biskara gewesen ist, Messieurs? Ich könnte günstigen Falls nur wissen, ob er mein Café einmal besucht hat.«

»Und das hat er wohl nicht?«

»Nein, obgleich ich die Möglichkeit zugebe, daß es einmal geschehen sein kann. Ich kenne ihn ja nicht.«

»Er ist also wirklich eine so räthselhafte Persönlichkeit?«

»Ja. Niemand kennt ihn. Er sitzt vielleicht unter uns, ohne daß wir es wissen. General Cavaignac ist wohl der Einzige, der ihn kennt.«

»Verkehrt er nur mit diesem?«

»Wer weiß das.«

»Und wie heißt er?«

»Auch das weiß Niemand. Er ist weder uns noch unsern Feinden, den Beduinen, bekannt. Sie geben ihm nach ihrer Weise einen Namen, welcher ganz genau sagt, wofür sie ihn halten.«

»Wie heißt dieser Name?«

» 'ain el fransawi, das heißt, Auge der Franzosen, oder noch deutlicher, Spion oder Kundschafter der Franzosen. Man will ihn hier oder da gesehen haben; man beschreibt ihn bald als alt und bald als jung, aber man weiß nichts Genaues über ihn. Fragen Sie Cavaignac, den Generalgouverneur. Er kann und wird Ihnen Auskunft geben – wenn er will.«

Im hintersten Winkel des Cafés saß in schlechter, beduinischer Tracht ein Mann, welcher gegen dreißig Jahre zählen mochte. Er hatte auf seinem Stuhle in einer Weise Platz genommen, daß man leicht merken konnte, er sei eher auf Kissen und Matten als auf Stühlen zu sitzen gewohnt. Sein Bart war dünn, wie es bei Arabern gewöhnlich zu sein pflegt, und er starrte mit jener Gleichgiltigkeit gerade vor sich hin, welche dem fatalistischen Muselmann eigen zu sein pflegt. Er hatte ein Täßchen Kaffee vor sich stehen und hielt einen Tschibuk in der Hand, aus welchem er dann und wann einen Zug that, um den Rauch zu verschlucken und dann durch die Nase wieder von sich zu geben. Der Araber nennt diese Art des Rauchens »Tabak trinken.«

»Wer ist dieser Kerl?« fragte einer der Officiere den Wirth.

»Ich kenne ihn nicht.«

»Ein Beduine?«

»Jedenfalls, denn er verlangte Pfeife und Kaffee in arabischer Sprache.«

»Vielleicht versteht er uns. Es ist unangenehm, fremde Lauscher in der Nähe zu haben.«

»Versuchen Sie, ob er Französisch spricht.«

Der Officier that dies. Er wandte sich an den Fremden und fragte französisch:

»Wer bist Du?«

» Tugger – ein Kaufmann,« antwortete der Gefragte, indem er nur dieses einzige arabische Wort aussprach.

»Womit handelst Du?«

» Fewakih – mit Früchten.«

»Woher bist Du?«

» Wadi Dscheddi

Wadi heißt im Arabischen sowohl Fluß als auch das Thal eines Flusses. Der Mann war also aus dem Thale des Flusses Dscheddi, welcher seine wenigen Wasser im Süden von Biskra in den Schott Melrir laufen läßt.

»Verstehst Du Französisch? Ja, wie es scheint?«

» Kalil – wenig.«

»Wo hast Du es gelernt?«

» Algier

»Ah, Du warst in Algier?«

» Na'm – ja.«

»Lange Zeit?«

» La – nein.«

Der Mann hatte seine Antworten mehr durch Gesticulationen als durch die kurzen Worte gegeben, welche er aussprach. Dennoch fragte der Franzose weiter:

»Hast Du von dem Manne gehört, welchen Ihr ' ain el Fransawi nennt?«

» Lissa ma – noch nicht.«

»Bist Du reich?«

» Ma li scheh – ich habe nichts.«

»Armer Teufel. Hier trinke ein Glas Wein.«

Dieses Bedauern war nur ein scheinbares. Der Officier wußte recht gut, daß der Beduine als Muselmann keinen Wein trinken durfte. Dieser machte auch sofort eine zurückwelsende Handbewegung und sagte:

» Kullu muskürün haram – Alles, was trunken macht, ist verboten.«

Es war dies die wörtliche Anführung von dem Verbote Muhameds.

»So laß es bleiben, und gehe nicht an Orte, wo man Wein trinkt! Weißt Du nicht, daß Deine Weigerung eine Beleidigung für mich ist?«

» La – nein.«

»So packe Dich zum Teufel, oder trinke mit. Wir brauchen keinen Maulaffen, welcher nur zuhört, aber nicht mitthut.«

Es wäre wohl zu einer unangenehmen Scene gekommen, wenn nicht die Aufmerksamkeit der Franzosen von dem Beduinen abgezogen worden wäre. Der Gehilfe des Kaffeewirthes trat nämlich ein und legte die neuesten Zeitungen auf den Tisch, welche soeben angekommen waren. Hier auf den Höhen des Atlasgebirges waren die Neuigkeiten aus Paris wichtiger als das Anrempeln eines nichtsbedeutenden Arabers, der doch dagegen nichts Anderes thun als sich nur schweigend entfernen konnte.

Die Gazetten waren im Nu auseinander genommen und vertheilt, so daß ein jeder mehrere Blätter in den Händen hielt. Man wartete nicht, bis jeder Einzelne seine Seiten herabgelesen hatte, sondern sobald etwas Wichtiges entdeckt wurde, gelangte es zur sofortigen Vorlesung. Einer der Herren meinte:

»Ich bin es jedenfalls, der das Interessanteste erwischt hat. Da sind nämlich die Nachrichten über Algerien.«

»Ah! Was schreibt man über diese Colonie?« fragte ein Anderer.

»Mehr, als wir selbst über sie wissen. Da ist zum Beispiel auch der Marabut Hadschi Omanah erwähnt.«

Ein Marabut ist ein moslemitischer Einsiedler, welcher von der Bevölkerung für heilig gehalten wird. Hadschi aber wird ein jeder Moslem genannt, welcher eine Pilgerreise nach Mekka oder Medina mitgemacht hat.

»Was schreibt man über ihn?«

»Hier steht: Die Haltung des berühmten Marabut Hadschi Omanah ist noch immer eine unerforschliche. Er übt einen ungeheueren Einfluß auf die am Auresgebirge wohnenden Stämme aus, weshalb es von großem Vortheile sein würde, zu wissen, ob man ihn gegebenen Falles als Feind zu betrachten hat. Man spricht davon, daß das Generalgouvernement bedacht gewesen ist, durch Abgesandte seine Stimmung erforschen zu lassen; aber er hat sich stets als unnahbar gezeigt. Auch seine Abstammung liegt im Dunkeln. Er trägt den grünen Turban, ein Recht, welches nur den directen Abkömmlingen Muhameds zusteht. Seine Verehrer sagen, daß er aus den heiligen Gegenden Arabiens nach dem Auresgebirge gekommen sei. Dabei ist zu verwundern, daß seine Gesichtszüge auf das Abendland hindeuten, wie ja auch die Sage geht, daß ein französischer Reisender, welcher ihn einst in der Nähe zu sehen bekam, in ihm einen Bekannten aus der Gegend von Metz oder Sedan wiedergefunden zu haben meint. Eine gewisse Aehnlichkeit wird der Grund dieser Behauptung sein, welche sicherlich auf einer Täuschung beruht.«

»Da sind wir gerade so klug wie vorher,« meinte einer der Zuhörer. »Was da gesagt wird, das wußten wir bereits längst. Hat man nicht bisher gemeint, daß diese Marabuts unverheirathet seien und in tiefster Einsamkeit leben?«

»Allerdings.«

»Nun, so ist es jedenfalls auffallend, daß dieser Marabut verheirathet gewesen sein muß.«

»Das ist kein Verstoß. Er kann ja trotzdem einsam leben.«

»Das thut er aber nicht.«

»Wieso?«

»Er hat einen Sohn bei sich. Ist das Einsamkeit?«

»Nicht ganz. Aber wenn in unseren Klöstern Mönche in tiefer Abgeschlossenheit bei einander leben, ist das keine Einsamkeit?«

»Eine vollständige jedenfalls nicht. Uebrigens soll der Sohn beinahe ganz in demselben Geruche der Heiligkeit stehen wie der Vater. Was liest man weiter über Algerien?«

»Hier steht weiter unter der Bezeichnung »Timbuktu«: Die Expedition, welche vor zwei Jahren von der deutschen wissenschaftlichen Gesellschaft ausgerüstet und abgeschickt wurde, um den Sudan zu erforschen, scheint bessere Erfolge zu verzeichnen haben als verschiedene vorhergehende. Es verlautet, daß das militärische Mitglied dieser Expedition, Oberlieutenant von Königsau, sich von Timbuktu aus bereits auf dem Heimwege befindet. Er soll außer den rein wissenschaftlichen Errungenschaften auch bedeutende materielle Reichthümer mit sich führen und seinen Weg über Insalah, el Golea und Tuggurt nehmen.«

»Donnerwetter!« rief einer der Franzosen. »So wird dieser Deutsche auch hierher nach Biskra kommen. Man kennt diese unangenehmen Menschen, welche sich seit den Jahren vierzehn und fünfzehn einbilden, auf uns herabsehen zu müssen. Königsau? Ist Ihnen dieser Name nicht bekannt, Messieurs?«

»Nein,« antwortete es im Kreise.

»Mir scheint, daß ich ihn bereits einmal gehört habe.«

Er machte die Miene des Nachdenkens, nickte dann und sagte:

»Ah, ich habe es! Königsau hieß ja jener Liebling des alten Grobian Blücher, welcher mit dem Gardecapitän Richemonte so verschiedene Rencontres hatte. Sie haben doch jedenfalls von Richemonte gehört?«

»Derselbe, welcher nach der Schlacht bei Belle Alliance infam cassirt wurde?«

»Ja, derselbe. Ich erinnere mich, verschiedene Niederträchtigkeiten über ihn gehört zu haben. Mein Oheim hatte mit ihm gedient und kannte ihn genau.«

»Man hat niemals wieder Etwas über ihn gehört. Er scheint untergegangen zu sein.«

»Dies könnte ein Irrthum sein. Richemonte war zwar gezwungen, Frankreich zu verlassen, aber verschollen ist er doch noch nicht. Sie wissen, welch eine Begebenheit der Grund war, daß Frankreich im Jahre 1827 Algier blockirte?«

»Ja. Der Dey von Algier hatte dem französischen Consul Deval mit dem Fliegenwedel in das Gesicht geschlagen.«

»Nun, Deval behauptete später, Richemonte in der unmittelbaren Umgebung des Deys gesehen zu haben.«

»Hat er ihn denn gekannt?«

»Ja. Deval hatte mit ihm in Paris verkehrt, und zwar so viel und oft, daß an ein Verkennen gar nicht zu denken ist.«

»Trug Richemonte in Algier maurische Kleidung?«

»Ja.«

»Mit einem Turban?«

»Ja, wie Deval berichtete.«

»So ist es sicher, daß er Muhamedaner geworden ist.«

»Diesem ehrlosen Menschen ist dies recht gut zuzutrauen. Giebt es noch etwas, was über Algier zu lesen ist?«

»Ja, hier wird berichtet, daß der Generalgouverneur sich auf einer Inspectionsreise durch die Colonie befindet. Das ist es, was uns am Meisten interessirt.«

»Cavaignac wird uns ganz sicher überraschen. Er gehört zu denjenigen Generälen, welche es lieben, die Truppen stets auf dem Qui vive zu erhalten. Man erwartet ihn binnen einer Woche hier, aber ich wette, daß er früher – – –«

Er wurde unterbrochen. Die Thür wurde aufgerissen, und ein jüngerer Officier trat ein. Man sah es ihm an, daß er sehr schnell gelaufen war.

»Was ist's? Was giebt's? Was bringen Sie?« tönte es ihm entgegen.

Der Gefragte holte tief Athem und ergriff eines der vollen, auf dem Tische stehenden Gläser. Als er es hineingestürzt hatte, antwortete er:

»Eine Neuigkeit, Messieurs.«

»Gut oder schlimm?«

»Wie man es nimmt. Cavaignac, der Generalgouverneur, wird sogleich ankommen.«

»Alle Teufel!« rief der vorige Sprecher. »So habe ich ganz recht geweissagt. Also er ist noch nicht da?«

»Nein, aber soeben traf einer seiner Adjutanten ein. Der General befindet sich noch auf der Straße von Busada her, wird aber in einer halben Stunde eintreffen.«

»Dann bleibt uns noch Zeit, die Geister des Weines in Wasser zu ersäufen.«

Er ergriff ein Wasserglas und leerte es in einem Zuge. Die Andern folgten diesem Beispiele und stürmten dann zum Hause hinaus.

Außer dem Wirthe befand sich nur noch der Beduine im Zimmer. Er hatte die Worte des Gespräches scheinbar gar nicht beachtet, aber doch Alles deutlich vernommen. Er erhob sich jetzt von seinem Stuhle, legte die Pfeife hin und griff in die Tasche. Nachdem er ein kleines Silberstück neben die Tasse gelegt hatte, verließ er das Kaffeehaus und trat hinaus auf den freien Platz vor demselben.

Im Schatten der Häuser hielten die Verkäufer ihre Waaren feil. Er schritt auf einen Mann zu, welcher hinter einem Haufen von getrockneten Datteln saß.

Dieser Mann war lang und hager und trug die Tracht der Eingeborenen. Er schien nicht wohlhabend zu sein, denn sein Turban war aus einem alten, zerfetzten Shawl gewickelt, und sein schmutziger Burnus wurde von einem kameelhärenen Strick zusammengehalten.

»Sie sind fort,« sagte er leise zu dem Kommenden. »Ich sah sie gehen. Hast Du Etwas erlauscht?«

Diese Worte waren in fließendem Französisch gesprochen. Der Gefragte antwortete ganz geläufig in derselben Sprache:

»Ja.«

»Von wem sprachen sie?«

»Von Dir.«

»Von mir? Alle Teufel! Wie kommen sie auf mich?«

»Sie kamen auf Dich, weil sie vorher von einem Oberlieutenant von Königsau redeten.«

Der Sitzende schien nahe am sechzigsten Jahre zu sein, konnte aber auch noch mehr zählen. Sein Haupthaar wurde vom Turban vollständig verdeckt. Sein Gesicht zeichnete sich durch einen großen, dichten, fast weißen Schnurrbart aus. Als er den letzt ausgesprochenen Namen hörte, zog sich sein Schnurrbart in die Höhe, so daß man zwei Reihen großer, gelber Zähne sehen konnte. Es war, als ob ein Raubthier gegen einen Angreifer die Zähne fletsche.

»Königsau? Lieutenant?« fragte er. »Ein Deutscher?«

»Ja.«

Die Augen des Alten glühten unheimlich auf, doch nach einem kurzen Nachdenken ließ er den erhobenen Kopf sinken und sagte:

»Er ist es nicht. Es muß ein Anderer sein.«

»Warum?«

»Der, welchen ich meine, kann jetzt längst nicht mehr Oberlieutenant sein. Es sind über dreißig Jahre vergangen. Was ist der Königsau, von dem sie sprachen?«

»Er ist Mitglied einer afrikanischen Expedition, welche von Deutschland ausgerüstet wurde.«

»Woher stammt er?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wo befindet er sich?«

»Auf dem Heimwege von Timbuktu.«

»Ah! Das ist interessant.«

»Höchst interessant, Cousin. Er führt nämlich große Schätze bei sich.«

»Alle Teufel! Weißt Du das genau?«

»Die Officiere sagten es. Es steht in der Zeitung.«

Die Augen des Alten glänzten und funkelten wie diejenigen eines Raubthieres.

»Ah! Vortrefflich. Welchen Weg schlägt er ein?«

»Er kommt über Insalah und el Golea nach Tuggurt.«

Da wäre der Alte vor Freude beinahe von seinem Sitze aufgefahren.

»Nach Tuggurt?« sagte er. »So ist es jedenfalls der Europäer, den Dir unsere Späher angemeldet haben.«

Der Andere nickte zustimmend mit dem Kopfe. Er hatte jetzt nicht mehr das gleichgiltige Gesicht von vorhin, sondern dasselbe hatte einen höchst verschmitzten Ausdruck angenommen. Er antwortete.

»Ich zweifle nicht daran.«

»Wann wird er nach Tuggurt kommen?«

»Das konnte noch nicht gesagt werden.«

»Welche Begleitung hatte er?«

»Außer den Kameeltreibern dreißig Krieger vom Stamme der Ibn Batta.«

»Die werden zu überwältigen sein. Also die Officiere sprachen von mir?«

»Ja.«

»Was?«

»Daß Du nach der Schlacht bei Belle Alliance infam cassirt worden seist.«

»Der Teufel soll sie holen! Was noch?«

»Daß man Dich in der Umgebung des Dey erkannt hat.«

»Ich wollte, dieser Consul wäre blind gewesen.«

»Sie sprachen ferner von Dir, ohne zu wissen, daß Du es bist.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Ich meine, daß sie von 'ain el fransawi redeten.«

»Was sagten sie da?«

»Daß dieser Mann ihnen ein Räthsel sei.«

»Hoffentlich werde ich es auch bleiben.«

»Ferner erwähnten sie den Marabut Hadschi Omanah.«

»Jedenfalls war auch dieser ihnen ein Räthsel?«

»Ja.«

»Daran sind sie selbst schuld. Sie mögen nur gescheidte Kerls zu ihm schicken, welche es verstehen, ihn auszuhorchen. Aber warum liefen sie so schnell davon?«

»Weil sie die Nachricht erhielten, daß Cavaignac komme.«

»Ah! Ich dachte es. Wann kommt er?«

»In einer halben Stunde. Und diese Zeit ist fast vorüber.«

»So spute Dich. Eile ihm entgegen, damit er erfährt, daß ich hier bin.«

Der Andere entfernte sich augenblicklich, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Er schritt dem Orte zu, wo sich draußen vor dem Städtchen die französischen Truppen versammelten, um den Generalgouverneur zu empfangen.

Dort standen auch bereits viele Einheimische, welche gehört hatten, daß Cavaignac komme, der sich durch seine Siege berühmt gemacht hatte, aber gerade deshalb bei ihnen nichts weniger als beliebt war.

Als der Maure dort ankam, sah man bereits die Cavalcade vom Westen her herbeigesprengt kommen, geführt von einigen Turkos, welche den Weg kannten und begleitet von einer hinreichenden Schaar von Chasseurs d'Afrique, um ihnen Sicherheit zu bieten.

*


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