Karl May
Durchs wilde Kurdistan
Karl May

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Meine Aufgabe schien mir gar nicht schwierig zu sein. Von den Kurden hatte ich wohl nichts zu fürchten, und da sie Rücksicht auf das gefährdete Leben ihres Bey's zu nehmen hatten, so ließ sich erwarten, daß ein Vergleich zu Stande kommen werde.

So ritt ich langsam vorwärts und horchte auf jedes Geräusch. Ich gelangte auf den Rücken einer niedrigen Bodenwelle, wo Wald und Busch weniger dicht standen, und erblickte von hier aus einen Krähenschwarm, welcher weiter unten über dem Walde schwebte, sich zuweilen auf die Zweige niederlassen wollte, aber immer wieder aufflog. Es war gewiß, daß diese Vögel aufgestört wurden, und ich wußte nun, wohin ich mich zu wenden hatte. Ich ritt den kleinen Hügel hinab, war aber noch gar nicht weit gekommen, als ein Schuß fiel, dessen Kugel jedenfalls mir gelten sollte; sie traf aber nicht. Im Nu schnellte ich mich vom Pferde und stellte mich hinter dasselbe. Ich hatte den Blitz des Pulvers gesehen und wußte also, wo der ungeschickte Schütze stand.

»Kur'o, thue Dein Kirbit zur Seite!« rief ich. »Du triffst ja eher Dich als mich!«

»Fliehe, sonst bist Du des Todes!« klang es mir entgegen.

»Ehz be vïa kenïam – darüber muß ich lachen! Welcher Mann schießt seine Freunde todt?«

»Du bist nicht unser Freund; Du bist ein Nasarah!«

»Das wird sich finden. Du gehörst zu den Vorposten der Kurden?«

»Wer sagt Dir das?«

»Ich weiß es; führe mich zu Deinem Anführer!«

»Was willst Du dort?«

»Mein Gastfreund, der Bey von Gumri, sendet mich zu ihm.«

»Wo ist der Bey?«

»In Lizan gefangen.«

Während dieser Verhandlung bemerkte ich recht wohl, daß noch mehrere Gestalten herbeikamen, die aber hinter den Bäumen verborgen bleiben wollten. Der Kurde frug weiter:

»Du nennst Dich den Gastfreund des Bey. Wer bist Du?«

»Ein Emir gibt nur einem Emir Auskunft. Führe mich zu Deinem Anführer, oder bringe ihn her zu mir. Ich habe als Bote des Bey mit ihm zu reden.«

»Herr, gehörst Du zu den fremden Emirs, die auch gefangen worden sind?«

»So ist es.«

»Und bist Du wirklich kein Ka'in, Herr?«

»Katischt, baqua – was, Du Frosch!« rief da laut eine andere Stimme. »Siehst Du denn nicht, daß es der Emir ist, welcher ohne Aufhören schießen kann? Gehe zur Seite, Du Wurm, und laß mich hin zu ihm!«

Zugleich kam ein junger Kurde hinter einem Baume hervor und trat mit größter Ehrerbietung zu mir heran.

»Allahm d'allah – Gott sei Dank, daß ich Dich wiedersehe, Herr! Wir haben große Sorge um Euch gehabt.«

Ich erkannte sogleich in ihm einen der Männer, welche gestern dem Melek glücklich entkommen waren, und antwortete:

»Man hat uns wieder ergriffen, aber wir befinden uns wohl. Wer ist Euer Anführer?«

»Der Raïs von Dalascha, und bei ihm ist der tapfere Emir der Haddedihn vom Stamme der Schammar.«

Das war mir lieb, zu hören; also hatte Mohammed Emin doch, wie ich vermuthet hatte, den Weg nach Gumri gefunden und kam nun, uns zu befreien.

»Ich kenne den Raïs von Dalascha nicht,« sagte ich. »Führe mich zu ihm!«

»Herr, er ist ein großer Krieger. Er kam gestern am Abend, um den Bey zu besuchen, und da er hörte, daß dieser gefangen sei, so schwur er, Lizan der Erde gleich zu machen und alle seine Bewohner in die Hölle zu senden. Jetzt ist er unterwegs, und wir gehen voran, damit er nicht überrumpelt wird. Aber Herr, wo hast Du Dein Pferd? Hat man es Dir geraubt?«

»Nein, ich ließ es freiwillig zurück. Doch komm, und führe mich!«

Ich nahm mein Thier am Zügel und folgte ihm. Wir waren nicht viel über tausend Schritte gegangen, so stießen wir auf eine Gruppe von Reitern, unter denen ich zu meiner großen Freude Mohammed Emin erblickte. Er befand sich zu Pferde und erkannte auch mich sofort.

»Hamdullillah,« rief er, »Preis sei Gott, der mir die Gnade gibt, Dich wiederzusehen! Er hat Dir den Pfad erleuchtet, daß es Dir glückte, diesen Nasarah zu entkommen. Aber,« – fügte er erschrocken hinzu – »Du bist entflohen, ohne Dein Pferd mitzunehmen?«

Dies war ihm ein ganz unmöglicher Gedanke, und ich beruhigte ihn auch auf der Stelle:

»Ich bin nicht entflohen, und das Pferd gehört noch mir. Es befindet sich in der Obhut von Hadschi Halef Omar, bei dem es sicher ist.«

»Du bist nicht entflohen?« frug er erstaunt.

»Nein. Ich komme als der Abgesandte des Bey von Gumri und des Melek von Lizan. Wo ist der Mann, der hier zu gebieten hat?«

»Ich bin es,« antwortete eine tiefe Stimme.

Ich sah mir den Mann scharf an. Er saß auf einem starkknochigen, zottigen Pferde, das nur mit Palmenfaser aufgezäumt war. Er war sehr lang und außerordentlich hager gebaut. Ein ungeheurer Turban bedeckte seinen Kopf, und sein Angesicht starrte von einem so borstigen und dichten Bart, daß man nur die Nase und zwei Augen erblickte, die mich jetzt unheimlich forschend anfunkelten.

»Du bist der Raïs von Dalascha?« frug ich ihn.

»Ja. Wer bist Du?«

Mohammed Emin antwortete an meiner Stelle:

»Es ist Kara Ben Nemsi Emir, von dem ich Dir erzählt habe.«

Der Kurde grub seinen Blick abermals tief in den meinigen und es schien dann, als ob er sich im Klaren über mich befände. Er sagte:

»Er soll uns später erzählen und mag sich uns jetzt anschließen. Vorwärts!«

»Laß halten; ich habe mit Dir zu sprechen,« bat ich.

»Schweig!« fuhr er mich an. »Ich bin der General dieser Truppen, und was ich sage, das hat ohne Widerrede zu geschehen. Ein Weib redet, ein Mann aber handelt. Jetzt wird nicht geplaudert!«

Ich war nicht gewohnt, in einem solchen Tone mit mir reden zu lassen. Auch Mohammed Emin gab mir unbemerkt einen aufmunternden Wink. Der Raïs war bereits einige Schritte fort; ich trat vor und griff seinem Pferde in die Zügel.

»Halt! Bleib! Ich bin der Abgesandte des Bey!« warnte ich ihn mit ernster Stimme.

Ich habe immer gefunden, daß ein furchtloses Wesen, unterstützt durch ein wenig Leibesstärke, diesen halbwilden Leuten imponirt. Hier aber schien es, daß ich mich verrechnen sollte; denn der Mann erhob die Faust und drohte:

»Mensch, die Hand vom Pferde, sonst schlag' ich!«

Ich erkannte, daß meine Sendung vollständig verunglückt sei, wenn ich mich nur im Geringsten von ihm einschüchtern ließe. Darum ließ ich wohl mein Pferd fahren, nicht aber das seinige, und antwortete:

»Ich bin hier an Stelle des Bey von Gumri und habe zu befehlen; Du aber bist nichts als ein kleiner Kiaja, der augenblicklich zu gehorchen hat. Steige ab!«

Da riß er die Flinte von der Schulter, faßte sie beim Laufe und wirbelte sie um den Kopf.

»Ker, seri te tschar tan kim,« brüllte er, »ich spalte Dir den Kopf in vier Theile, Du Dummkopf!«

»Versuche es, doch zuerst gehorche!« entgegnete ich lachend.

Mit einem raschen Ruck riß ich sein Pferd auf die Hinterbeine nieder und schlug dem Thiere dann den Fuß mit solcher Gewalt an den Bauch, daß es erschrocken wieder emporprallte. Diese beiden Bewegungen folgten so schnell aufeinander, daß der Kiaja augenblicklich abgeschleudert wurde. Ehe er sich erheben konnte, hatte ich ihm die Flinte und das Messer entrissen und erwartete seinen Angriff.

»Sa – Hund!« brüllte er, indem er emporschnellte und sich auf mich warf; »ich zermalme Dich!«

Er sprang auf mich ein; ich hob nur den Fuß bis zur Gegend seiner Magengrube – ein Tritt und er überschlug sich rückwärts zur Erde nieder. Nun nahm ich sein eigenes Gewehr empor und zielte auf ihn.

»Mann, bleib weg von mir, sonst schieße ich!« gebot ich ihm.

Er raffte sich empor, hielt sich die Magengegend und blickte mich mit wuthfunkelnden Augen an, wagte aber doch keinen Angriff mehr.

»Gib mir meine Waffen!« grollte er drohend.

»Später, wenn ich mit Dir gesprochen habe!«

»Ich habe nichts mit Dir zu sprechen!«

»Aber ich mit Dir, und ich bin gewohnt, mir Gehör zu verschaffen; das merke Dir, Kiaja!«

»Ich bin kein Kiaja; ich bin ein Raïs, ein Nezanum!«

Obgleich dieser Vorgang bis jetzt nur wenige Augenblicke in Anspruch genommen hatte, war er doch von den anrückenden Kurden bemerkt worden, und es hatte sich eine bedeutende Anzahl derselben, die sich immer mehr vergrößerte, um uns versammelt. Doch sagte mir ein einziger Blick, daß Keiner von ihnen gewillt war, voreilig Partei zu ergreifen. Darum antwortete ich unbesorgt:

»Du bist weder ein Raïs noch ein Nezanum; Du bist nicht einmal ein freier Kurde, wie diese tapferen Männer hier, denen Du befehlen willst.«

»Beweise es!« rief er in höchster Wuth.

»Du bist der Dorfälteste von Dalascha; aber die sieben Orte Dalascha, Chal, Serschkiutha, Beschukha, Behedri, Biha und Schuraisi gehören zu dem Lande Chal, welches dem Statthalter von Amadijah Tribut bezahlt und folglich dem Pascha von Mossul und also auch dem Großherrn in Stambul unterthänig ist. Der Älteste eines Dorfes, welches dem Padischah Tribut entrichtet, ist aber nicht ein freier Nezanum, sondern ein türkischer Kiaja. Wenn mich ein freier, tapferer Kurde beleidigt, so fordere ich mit der Waffe Rechenschaft von ihm; denn er ist der Sohn eines Mannes, der vor keinem Menschen sein Knie beugte. Wagt es aber ein türkischer Kiaja, der ein Diener des Mutessarif ist, mich einen Hund zu nennen, so werfe ich ihn vom Pferde herab und gebe ihm die Sohle meines Fußes auf den Leib, damit er die Demuth lerne, die er jedem tapfern Manne schuldig ist! Sagt mir, Ihr Männer: Wer hat den Tribut-Einsammler eines türkischen Dorfes zum Anführer der berühmten Kurden von Berwari gemacht?«

Ein lautes Murmeln ließ sich rundum hören. Dann antwortete Einer:

»Er selbst.«

Ich wandte mich an den Sprecher:

»Kennst Du mich?«

»Ja, Emir, die Meisten von uns kennen Dich.«

»Du weißt, daß ich ein Freund und Gast des Bey bin?«

»Wir wissen es!«

»So antworte mir: Gab es unter den Berwari Keinen, der würdig gewesen wäre, die Stelle des Bey zu vertreten?«

»Es gibt ihrer Viele,« antwortete er stolz; »aber dieser Mann, den Du Kiaja nennst, ist oft in Gumri. Er ist ein starker Mann, und da er eine Blutrache mit dem Melek von Lizan hat und wir mit einer langen Wahl keine Zeit verlieren wollten, so haben wir ihm den Befehl übergeben.«

»Er ist ein starker Mann? Habe ich ihn nicht vom Pferde geworfen und dann zu Boden getreten? Ich sage Euch, daß sein Leib die Erde nicht wieder verlassen, seine Seele aber zur Dschehennah fahren soll, wenn er es noch ein einziges Mal wagt, mich oder einen meiner Freunde zu beleidigen! Die Faust eines Emir aus Tschermanistan ist wie Kumahsch für den Gefährten, für den Feind aber wie Tschelik und Demihr

»Herr, was forderst Du von ihm?«

»Der Bey ist in Lizan gefangen. Er sendet mich zu Euch, um mit Eurem Anführer zu besprechen, was Ihr thun sollt. Dieser Mann aber will dem Bey nicht gehorchen; er will nicht mit mir reden und hat mich einen Hund genannt.«

»Er muß gehorchen – er muß Dich hören!« rief es im Kreise.

»Gut,« antwortete ich. »Ihr habt ihm den Befehl übertragen und so mag er ihn behalten, bis der Bey wieder frei ist. Aber wie ich ihm seine Ehre gebe, so soll er mir auch die meinige erweisen. Der Bey hat mich gesandt; ich stehe hier an seiner Stelle; will dieser Kiaja in Frieden mit mir verkehren und mich behandeln, wie ein Emir behandelt werden muß, so gebe ich ihm seine Waffen zurück, und der Bey soll bald wieder in Eurer Mitte sein.«

Ich blickte mich forschend im Kreise um. Es standen, so weit ich sie sehen konnte, weit über hundert Männer zwischen den lichten Büschen umher, und Alle riefen mir ihre Zustimmung zu. Darauf wandte ich mich zu dem Kiaja:

»Du hast meine Worte gehört; ich erkenne Dich als Anführer an und werde Dich deßhalb jetzt Agha nennen. Hier hast Du Deine Flinte und Dein Messer. Und nun erwarte ich, daß Du auf meine Worte hörst.«

»Was hast Du mir zu sagen?« brummte er höchst mißmuthig.

»Rufe alle Deine Berwari zusammen. Sie sollen nicht eher vorgehen, als bis unsere Besprechung zu Ende ist.«

Er blickte mich sehr erstaunt an.

»Weißt Du denn nicht, daß wir Lizan überfallen wollen?« frug er mich.

»Ich weiß es; aber es geschieht auch später noch zur rechten Zeit.«

»Wenn wir zaudern, so werden die Nasarah über uns herfallen. Sie wissen, daß wir kommen; sie haben uns gesehen.«

»Eben weil sie es wissen, sendet der Bey mich zu Euch. Sie werden Euch nicht überfallen; sie haben sich über den Zab zurückgezogen und werden die Brücke vertheidigen.«

»Weißt Du dies genau?«

»Ich selbst habe es ihnen angerathen.«

Er blickte finster vor sich nieder, und auch aus dem Kreise rings umher wurde mancher mißbilligende Blick auf mich geworfen. Dann entschied er sich:

»Herr, ich werde thun, was Du verlangst; aber glaube nicht, daß wir von einem Fremden einen schlechten Rath annehmen werden!«

»Das thue, wie Du willst! Laß einen freien Platz aussuchen, wo wir Raum genug haben, um die Versammlung überblicken zu können. Die Assiretah mögen zur Berathung kommen, die Anderen aber sollen den Ort bewachen, damit Ihr keine Sorge zu haben braucht.«

Er gab die nöthigen Befehle, und nun kam reges Leben in die Leute. Dabei hatte ich Zeit, einige Worte mit Mohammed Emin zu sprechen. Ich erzählte ihm unsere Erlebnisse seit unserer Trennung und wollte ihn nun auch nach den seinigen fragen, als gemeldet wurde, daß ein passender Platz gefunden sei. Wir mußten aufbrechen.

»Sihdi,« sagte der Haddedihn, »ich danke Dir, daß Du diesem Kiaja gezeigt hast, daß wir Männer sind!«

»Hat er dies an Dir nicht auch bemerkt?«

»Herr, ich habe kein solches Glück wie Du. Ich wäre von diesen Männern zerrissen worden, wenn ich ihm nur halb so viel gesagt hätte, wie Du. Und dann bedenke, daß ich nur wenige kurdische Worte reden kann; sie aber haben nur Einige unter sich, die etwas Arabisch verstehen. Dieser Kiaja muß ein berüchtigter Dieb und Räuber sein, weil sie solchen Respekt vor ihm haben.«

»Nun, Du siehst, daß sie mich nicht weniger achten, obgleich ich kein Dieb und Räuber bin. Wenn er mich beleidigt, schlage ich ihm in's Gesicht; das ist das ganze Geheimniß der Scheu, welche sie vor mir haben. Und das merke Dir, Mohammed Emin: – nicht die Faust allein thut es, sondern wer einen guten, fruchtbaren Hieb austheilen will, bei dem muß zugleich auch der Blick des Auges und der Ton der Stimme ein Schlag sein, welcher den Gegner niederstreckt. Komm, man erwartet uns; wir trennen uns nicht wieder.«

»Welche Vorschläge hast Du zu machen?«

»Du wirst sie hören.«

»Aber ich verstehe Euer Kurdisch nicht.«

»Ich werde Dir das Nöthige von Zeit zu Zeit verdolmetschen.«

Wir gelangten zwischen den weit aus einander stehenden Büschen und Bäumen hindurch an eine Lichtung, die genug Raum zur bequemen Verhandlung bot. Rundum waren die Pferde angebunden. Etwa zwanzig martialische Krieger saßen mit dem Agha in der Mitte des Platzes; die Übrigen aber hatten sich ehrerbietig zurückgezogen, entweder bei den Pferden oder tiefer im Busche stehend, um für unsere Sicherheit zu sorgen. Es war ein malerischer Anblick, den diese sonderbar gekleideten Kurden mit ihren so verschieden aufgeschirrten Thieren boten; doch hatte ich keine Zeit, weitere Betrachtungen darüber anzustellen.

»Herr,« begann der Agha, »wir sind bereit, zu hören, was Du uns zu sagen hast. Aber gehört dieser auch mit zu den Assiretah?«

Er deutete dabei auf Mohammed Emin. Diesen bös gemeinten Hieb mußte ich sofort zurückgeben.

»Mohammed Emin ist der berühmte Emir der Beni Haddedihn vom Stamme der Arab-es-Schammar. Er ist ein weiser Fürst und ein unüberwindlicher Krieger, dessen grauen Bart selbst der Ungläubige achtet. Noch Niemand hat es gewagt, ihn vom Pferde zu werfen oder ihm den Fuß auf den Leib zu setzen. Sage noch ein einziges Wort, welches mir nicht gefällt, so kehre ich zum Bey zurück, nehme Dich aber vor mich auf das Pferd und lasse Dir in Lizan die Fußsohlen peitschen!«

»Herr, Du wolltest in Frieden mit mir reden!«

»So halte Du selbst diesen Frieden, Mensch! Zwei Emire wie Mohammed Emin und ich lassen sich von tausend Männern nicht beleidigen. Mit unseren Waffen brauchen wir Dein ganzes Land Chal nicht zu fürchten. Wir stellen uns unter das Odschag dieser Berwari-Kurden, die nicht zugeben werden, daß Freunde ihres Bey beleidigt werden.«

Wer das Odschag anruft, dem ist der beste Schutz auf alle Fälle sicher, und so erhob sich auch sofort der Älteste der Krieger, nahm Mohammed und mich bei der Hand und betheuerte mit drohender Stimme:

»Wer diese Emire kränkt, der ist mein Feind. Ser babe men – beim Haupte meines Vaters!«

Dieser Schwur des angesehensten Kurden war kräftig genug, uns von jetzt an gegen die Beleidigungen des Kiaja zu schützen. Dieser frug nun:

»Welches ist die Botschaft, die Du uns auszurichten hast?«

»Ich habe Euch zu sagen, daß der Bey von Gumri der Gefangene des Melek von Lizan ist –«

»Das wußten wir vorher; dazu brauchst Du nicht zu uns zu kommen.«

»Wenn Du in die Dschehennah zu Deinen Vätern kommst, so bedanke Dich bei ihnen dafür, daß sie Dich zu einem so höflichen Manne gemacht haben. Nur bei den Negern und Adschani ist es Sitte, einander nicht vollständig aussprechen zu lassen; Dein Chodschah aber hat die Rute verdient!«

Trotzdem ich die Zurechtweisung also selbst übernommen hatte, zog doch auch der alte Kurde seine Pistole hervor und meinte gleichmüthig:

»Ser babe men – beim Haupte meines Vaters! Vielleicht wird man bald die Stimme dieses Gewehrs vernehmen! Fahre weiter fort, Emir!

Es war gewiß eine eigenthümliche Lage. Wir beiden Fremdlinge wurden gegen den eigenen Anführer in Schutz genommen. Was würde wohl ein civilisirter Cavallerierittmeister dazu sagen? Solche Dinge können nur im wilden Kurdenlande vorkommen! Ich folgte der Aufforderung und redete weiter:

»Der Melek von Lizan verlangt das Blut des Bey.«

»Warum?« frug es umher.

»Weil durch die Kurden so viele Chaldani gefallen sind.«

Diese Behauptung brachte unter meinen Zuhörern eine ganz bedeutende Aufregung hervor. Ich ließ sie einige Zeit gewähren und bat sie dann, mich ruhig anzuhören:

»Ich bin der Abgesandte des Bey; aber ich bin zu gleicher Zeit auch der Bote des Melek; ich liebe den Bey, und auch der Melek hat mich gebeten, sein Freund zu sein. Darf ich einen von ihnen betrügen?«

»Nein,« antwortete der Alte.

»Du hast recht gesprochen! Ich bin fremd in diesem Lande; ich habe weder mit Euch noch mit einem Nasarah eine Rache und darum muß ich das Wort des Propheten befolgen: ›Dein Wort sei der Schutz Deines Freundes!‹ Ich werde zu Euch so sprechen, als ob der Bey und der Melek hier ständen und mit Euch redeten. Und Allah wird Eure Herzen erleuchten, daß kein ungerechter Gedanke Eure Seele verdunkelt.«

Wieder nahm der Alte das Wort.

»Rede getrost, Herr; rede auch für den Melek, denn auch er hat Dich gesandt. Du wirst nur die Wahrheit sagen, und wir glauben, daß Du uns nicht beleidigen und erzürnen willst!«

»So hört, meine Brüder! Es ist noch nicht viele Jahre her, da gab es ein großes Geschrei auf den Bergen und ein großes Wehklagen in den Thälern; die Menschen weinten auf den Höhen, und die Kinder der Menschen heulten in den Tiefen; das Schwert wüthete wie die erste Stunde des jüngsten Tages, und das Messer lag in der Hand des tausendfältigen Todes. Saget mir, wer führte dieses Schwert und dieses Messer?«

»Wir!« erscholl es triumphirend rundum im Kreise.

»Und wer waren Jene, welche untergingen?«

Dieses Mal kam der Anführer Allen zuvor:

»Die Nasarah, die Allah verderben möge!«

»Was hatten sie Euch gethan?«

»Uns?« frug er verwundert. »Sind sie nicht Giaurs? Glauben sie nicht an drei Götter? Beten sie nicht Menschen an, welche längst gestorben sind? Predigen nicht die Ulemas die ewige Vernichtung gegen sie?«

Es wäre hier die größte Unvorsichtigkeit gewesen, theologische Streitfragen aufzugreifen; darum antwortete ich einfach:

»Also Ihr habt sie wegen ihres Glaubens getödtet! Ihr gebt zu, daß Ihr sie getödtet habt, Hunderte und Tausende?«

»Viele Tausende!« sagte er stolz.

»Nun wohl, Ihr kennt die Thar, die Blutrache. Dürft Ihr Euch wundern, daß die Verwandten der Gemordeten sich jetzt erheben und Euer Blut fordern?«

»Herr, sie dürfen das nicht; sie sind Giaurs!«

»Du irrst, denn Menschenblut bleibt Menschenblut. Das Blut Abel's war nicht das Blut eines Moslem, und dennoch sprach Gott zu Kain: ›Das Blut Deines Bruders schreit zu mir von der Erde empor.‹ Ich war in vielen Ländern und bei vielen Völkern, deren Namen Ihr nicht einmal kennt; sie waren keine Moslemim, aber die Blutrache hatten sie doch, und sie wundern sich nicht darüber, daß auch Ihr den Tod der Eurigen rächt. Ich stehe hier als ein unparteiischer Bote; ich darf nicht sagen, daß nur Ihr allein das Recht zur Blutrache habt, denn auch Eure Gegner haben ihr Leben von Gott erhalten, und wenn sie es nicht gegen Euch vertheidigen sollen, so seid Ihr feige Mörder. Ihr gebt zu, daß Ihr Tausende von ihnen getödtet habt; nun dürft Ihr Euch nicht wundern, wenn sie das Leben Eures Bey von Euch fordern, der in ihre Hände gefallen ist. Eigentlich hätten sie das Recht, grad so viele Leben von Euch zu fordern, als Ihr ihnen genommen habt.«

Meine Standrede hatte noch nicht den gewünschten Erfolg.

»Die Giaurs mögen kommen!« murrte der Agha.

»Sie werden auch kommen, wenn Ihr ihnen nicht die Hand der Versöhnung reicht.«

»Der Versöhnung? Bist Du toll?«

»Ich bin bei Sinnen. Was wollt Ihr ihnen thun? Der Zab liegt zwischen ihnen und Euch, und es würde Euch sehr viele Leben kosten, um die Brücke oder eine Furt zu erstürmen. Und bis Euch dies gelänge, hätten sie so viele Helfer aus Aschihtha, Serspitho, Zawitha, Minijanisch, Murghi und aus andern Orten erhalten, daß sie Euch erdrücken würden.«

Da erhob sich der Anführer mit der Miene eines Anklägers vom Boden.

»Weißt Du, wer daran Schuld ist?« frug er.

»Wer?« erwiederte ich ruhig.

»Du selbst, nur Du allein.«

»Ich? In wiefern?«

»Hast Du uns nicht vorhin selbst gestanden, daß Du ihnen den Rath gegeben hast, sich hinter den Fluß zurückzuziehen?« – Und zu den Andern gewendet, fügte er hinzu: »Seht Ihr nun, daß er nicht unser Freund, sondern ein Verräther ist?«

Ich entgegnete ihm:

»Grad weil ich Euer Freund bin, habe ich ihnen diesen Rath gegeben; denn sobald der erste Mann von ihnen unter Euren Waffen gefallen wäre, hätten sie den Bey getödtet. Soll ich vielleicht zurückkehren und dem Bey sagen, daß Ihr sein Leben für nichts achtet?«

»So meinst Du also, daß wir gar nicht angreifen sollen?«

»Das meine ich allerdings.«

»Herr, hältst Du uns für Feiglinge, die nicht einmal den Tod jener Männer rächen, welche gestern gefallen sind?«

»Nein. Ich halte Euch für tapfere Krieger, jedoch aber auch für kluge Männer, welche nicht unnöthiger Weise in den Tod rennen. Ihr kennt den Zab; wer von Euch will hinüberkommen, wenn drüben der Feind liegt und jeden Einzelnen von Euch mit einer Kugel zu empfangen vermag?«

»Daran bist nur Du allein Schuld!«

»Pah! Ich habe damit dem Bey das Leben gerettet. Soll dies umsonst geschehen sein?«

»Du hast nicht ihm, sondern Dir das Leben retten wollen!«

»Du irrst. Ich und meine Gefährten, wir sind Gäste des Melek. Nur der Bey und die Kurden, welche mitergriffen wurden, sind Gefangene. Sie sterben, sobald Ihr die Feindseligkeiten beginnt.«

»Und wenn wir nicht glauben, daß Du der Gast des Melek bist, wie willst Du es uns beweisen?«

»Stände ich hier, wenn ich Gefangener wäre?«

»Er könnte Dich auf Dein Wort entlassen haben. Aus welchem Grunde hat er Dich unter den Schutz seines Hauses genommen? Wer hat Dich ihm, dem Melek von Lizan, empfohlen?«

Ich mußte eine Antwort geben, und ich gestehe offen, daß ich mich schämte, den Namen eines Weibes nennen zu müssen.

»Ich wurde ihm empfohlen zwar nur von einem Weibe, auf dessen Wort er aber sehr viel zu geben scheint.«

»Wie heißt dasselbe?«

»Marah Durimeh.«

Ich hatte gefürchtet, mich lächerlich zu machen, und war daher überrascht von der ganz entgegengesetzten Wirkung, welche dieser Name hervorbrachte. Der Agha machte ein sehr überraschtes Gesicht und meinte:

»Marah Durimeh? Wo hast Du sie getroffen?«

»In Amadijah.«

»Wann?« forschte er weiter.

»Vor wenigen Tagen.«

»Wie bist Du ihr begegnet?«

»Ihre Enkeltochter hatte Gift gegessen, und da ich ein Hekim bin, so wurde ich geholt. Ich traf Marah Durimeh dort und rettete die Kranke.«

»Hast Du der Alten gesagt, daß Du nach Gumri und Lizan gehen würdest?«

»Ja.«

»Hat sie Dich nicht gewarnt?«

»Ja.«

»Und als Du bei Deinem Vorsatze bliebst, was that sie da? Besinne Dich. Vielleicht hat sie Dir ein Wort gesagt, welches ich Dir nicht nennen darf.«

»Sie sagte, wenn ich in Gefahr komme, so solle ich nach dem Ruh 'i kulyan fragen. Dieser werde mich beschützen.«

Kaum hatte ich dieses Wort genannt, so stand der Sprecher, welcher sich erst mir so feindselig gesinnt gezeigt hatte, vor mir und reichte mir die Hand entgegen.

»Emir, das habe ich nicht gewußt. Verzeihe mir! Wem Marah Durimeh dieses Wort gesagt hat, dem darf kein Leid geschehen. Und nun wird Deine Rede vor unsern Ohren Achtung finden. Wie stark sind die Nasarah?«

»Das werde ich nicht verrathen. Ich bin ebenso ihr Freund wie der Eurige; ich werde auch ihnen nicht sagen, wie stark Ihr gekommen seid.«

»Du bist vorsichtiger, als es nöthig ist. Glaubst Du wirklich, daß sie den Bey tödten werden, wenn wir sie angreifen?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Werden sie ihn freigeben, wenn wir uns zurückziehen?«

»Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es. Der Melek wird auf meine Rede hören.«

»Aber es sind Mehrere der Unserigen getödtet worden; sie müssen gerächt werden.«

»Habt Ihr nicht vorher Tausende der Nasarah getödtet?«

»Zehn Kurden gelten höher als tausend Nasarah!«

»Und die Chaldani denken, daß zehn Nasarah höher gelten, als tausend Kurden.«

»Würden sie uns den Blutpreis bezahlen?«

»Ich weiß es nicht, aber ich gestehe Euch offen, daß ich an ihrer Stelle es nicht thun würde.«

»So wirst Du ihnen den Rath geben, es nicht zu thun?«

»Nein, denn ich rede sowohl bei Euch als auch bei ihnen nur das, was zum Frieden dient. Sie haben Wenige von Euch getödtet, Ihr aber Tausende von ihnen; also wären nur sie es, die einen Preis zu fordern hätten. Außerdem haben sie den Bey in ihrer Gewalt, und wenn Ihr ernstlich nachdenkt, so werdet Ihr erkennen, daß sie Euch gegenüber im Vortheile sind.«

»Sind sie sehr kriegerisch gestimmt?«

Eigentlich hätte ich jetzt »Nein« sagen sollen, ich zog es aber vor, eine ausweichende Antwort zu geben:

»Habt Ihr sie gestern vielleicht feig gesehen? Meßt das Blut, welches den Zab hinabgeflossen ist; zählt die Knochen, welche noch heute das Thal des Flusses füllen, aber fragt ja nicht, ob der Zorn der Hinterlassenen groß genug zur Rache ist!«

»Haben sie viele und gute Gewehre?«

»Das werde ich nicht verrathen. Oder soll ich auch ihnen sagen, wie Ihr bewaffnet seid?«

»Haben sie auch ihre Habe auf das andere Ufer gerettet?«

»Nur der Unkluge läßt seine Habe zurück, wenn er sich flüchtet. Die Chaldani haben übrigens so wenig Eigenthum, daß es ihnen nicht schwer fallen kann, es mit sich zu nehmen.«

»Tritt zurück! Wir werden jetzt berathen, nachdem wir Alles gehört haben, was ich wissen wollte.«

Ich folgte diesem Gebote und erhielt dadurch Gelegenheit, Mohammed Emin mit dem bisherigen Inhalte unserer Verhandlung bekannt zu machen. Noch bevor die Kurden zu einem Entschlusse gekommen waren, näherten sich einige ihrer Krieger und brachten einen unbewaffneten Mann herbei.

»Wer ist das?« frug der Agha.

»Dieser Mann,« antwortete Einer, »schlich heimlich in unserer Nähe herum, und als wir ihn ergriffen, sagte er, daß er von dem Melek an diesen Emir abgesandt worden sei.«

Bei den letzten Worten deutete der Sprecher auf mich.

»Was sollst Du bei mir?« frug ich den Chaldani.

Diese Sendung wollte mir verdächtig oder doch wenigstens sehr unvorsichtig erscheinen. Jedenfalls aber gehörte ein ungewöhnlicher Muth dazu, sich unter die feindseligen Kurden zu wagen.

»Herr,« antwortete er, »Du bliebst dem Melek zu lange aus, und so sandte er mich, um Dir zu sagen, daß der Bey getödtet wird, wenn Du nicht sehr schnell zurückkehrst.«

»Seht Ihr, daß ich Euch recht berichtet habe?« wandte ich mich an die Kurden. »Laßt den Mann schleunigst umkehren. Er mag dem Melek sagen, daß mir nichts geschehen ist und daß er mich in kurzer Zeit wieder bei sich sehen wird.«

»Führt ihn fort!« gebot der Agha.

Man gehorchte, und dann wurde die Verhandlung schnell wieder aufgenommen.

Ich mußte mir gestehen, daß das Erscheinen dieses Boten von günstigem Einflusse auf die Entschließungen der Kurden sein werde; dennoch aber kam es mir sonderbar vor, daß dieser Mann abgeschickt worden war. Der Melek hatte sich doch kurz vorher nicht gar so blutdürstig gezeigt, und aus Rücksicht auf mich war die Drohung auch nicht nöthig, da ich als Gastfreund des Bey doch von den Kurden nichts zu fürchten hatte.

Endlich waren die Assiretah zu einem Entschluß gekommen, und ich wurde wieder herbeigerufen. Der Anführer nahm das Wort:

»Herr, Du versprichst uns, bei den Nasarah kein Wort zu sagen, welches zu unserm Schaden ist?«

»Ich verspreche es.«

»So wirst Du jetzt zu ihnen zurückkehren?«

»Ich und mein Freund Mohammed Emin.«

»Warum soll er nicht bei uns bleiben?«

»Ist er ein Gefangener?«

»Nein.«

»So kann er gehen, wohin es ihm beliebt, und er hat beschlossen, an meiner Seite zu bleiben. Was soll ich dem Melek sagen?«

»Daß wir die Freiheit unseres Bey verlangen.«

»Und dann?«

»Dann mag der Bey bestimmen, was geschehen soll.«

Diese Bestimmung konnte einen gefährlichen Hintergedanken haben, darum erkundigte ich mich:

»Wann soll er ausgeliefert werden?«

»Sofort, mit seinen Begleitern.«

»Wohin soll er kommen?«

»Hierher.«

»Ihr werdet nicht weiter vorwärts dringen?«

»Für jetzt nicht.«

»Aber dann wohl, wenn der Bey ausgeliefert worden ist?«

»Es wird dann geschehen, was der Bey bestimmt.«

»Und wenn der Melek ihn erst dann ausliefern will, wenn Ihr friedlich nach Gumri zurückgekehrt seid?«

»Herr, darauf gehen wir nicht ein. Wir ziehen nicht eher von hier fort, als bis wir den Herrscher von Gumri bei uns sehen.«

»Was begehrt Ihr noch?«

»Nichts weiter.«

»Dann hört, was ich Euch noch zu sagen habe. Ehrlich habe ich gegen Euch gehandelt und werde dies auch gegen den Melek thun. Ich werde ihn zu keinem Zugeständniß bereden, welches ihm Schaden bringt. Und vor Allem merkt Euch dies, daß der Bey sofort getödtet wird, wenn Ihr diesen Ort verlaßt, ehe der Friede vollständig geschlossen ist.«

»Willst Du etwa dem Melek zu diesem Mord rathen?«

»Allah behüte mich davor! Aber ich werde auch nicht zugeben, daß Ihr den Bey nur zu dem Zweck zurückerhaltet, daß er Euch dann gegen Lizan führt.«

»Herr, Du redest sehr kühn und aufrichtig!«

»So merkt Ihr wenigstens, daß ich es mit meinen Freunden ehrlich meine. Schicket Euch in Geduld, bis ich wiederkehre!«

Ich stieg auf's Pferd, Mohammed Emin ebenso. Wir verließen den Platz, und kein Kurde begleitete uns.

»Welche Botschaft hast Du auszurichten?« frug der Haddedihn.

Ich erklärte ihm meinen Auftrag und auch meine Bedenken. Während dieser Auseinandersetzung gingen unsere Pferde einen schnellen Schritt, und wir hatten beinahe den Fluß erreicht, als ich zur Seite von uns ein verdächtiges Rascheln zu vernehmen glaubte. Ich wandte mein Gesicht der Gegend zu und sah in demselben Augenblick das Aufleuchten zweier Schüsse, welche auf mich und Mohammed gerichtet waren. Sofort nach dem Doppelknalle rannte das Pferd des Haddedihn mit seinem Reiter durch die Büsche; auf das meinige aber hatte man besser gezielt: es brach augenblicklich zusammen, und da der Vorfall ganz unerwartet und blitzschnell über uns kam, so fand ich nicht einmal Zeit, meine Füße aus den Steigbügeln zu befreien. Ich stürzte mit und kam halb unter das Pferd zu liegen. Im nächsten Augenblick sah ich acht Männer beschäftigt, sich meiner Waffen zu bemächtigen und mich zu binden. Einer von ihnen war derjenige, welcher vorhin als ein Bote des Melek bei mir gewesen war. So hatte mich mein Mißtrauen also doch nicht betrogen!

Ich vermuthete eine Schurkerei des Raïs von Schohrd, des Nedschir-Bey, und wehrte mich aus Leibeskräften. Ich lag an der Erde, und mein rechtes Bein steckte unter dem Pferde; aber ich hatte doch die Arme zur Verfügung, und wenn man sie mir auch fest zu halten und zu fesseln suchte, so gelangen mir doch noch einige gute Stöße, ehe ich wehrlos gemacht wurde. Mit acht kräftigen Männern aber fertig zu werden, davon war natürlich keine Rede, zumal sie mir beinahe noch während des Sturzes die Waffen entrissen hatten.

Nun zogen sie mich unter dem Pferde hervor, so daß ich mich auf die Füße erheben konnte. Es war nicht das erste Mal, daß ich mich in Fesseln befand, aber auf eine so niederträchtige Weise war ich doch noch nicht gebunden worden. Man hatte mir nämlich Riemen an die Handgelenke geschlungen und mittels derselben den rechten Arm über die Brust hinweg auf die linke Achsel, den linken Arm aber auf die rechte Achsel gezogen und dann im Nacken die Riemen so fest geknotet, daß mir die Brust fast bis zur Athmungsunfähigkeit zusammengepreßt ward. Außerdem wurden die Kniee so miteinander verbunden, daß ich keine weiten Schritte zu gehen vermochte; und um das Maß voll zu machen, wurde ich mit dem einem Ellbogen an den Steigbügel eines der Buschklepper geschnallt: – sie waren zu Pferde, hatten aber ihre Thiere vor dem Überfalle hinter die Büsche versteckt.

Von dem Aufblitzen der Schüsse an bis zu dem Augenblick, wo ich an dem Pferde befestigt war, waren kaum drei Minuten vergangen. Ich hoffte, Mohammed Emin werde zurückkehren, wollte aber nicht um Hülfe rufen, um mir diesen Menschen gegenüber keine Blöße zu geben. Reden aber mußte ich nun doch einmal:

»Was wollt Ihr von mir?« frug ich.

»Nur Dich wollen wir,« antwortete der muthmaßliche Anführer. »Auch Dein Pferd wollten wir, aber Du hattest es nicht bei Dir.«

»Wer seid Ihr?«

»Bist Du ein Weib, daß Du so neugierig bist?«

»Pah! Ihr seid Hunde im Dienste Nedschir-Bey's. Er hat sich nicht an mich gewagt; drum sendet er seine Meute, damit ihm ja die Haut nicht geritzt werde!«

»Schweig! Weßhalb wir Dich gefangen nehmen, das wirst Du bald erfahren. Doch verhalte Dich still und schweigsam, sonst bekommst Du einen Knebel in den Mund!«

Die Männer setzten sich langsam in Bewegung. Wir kamen an den Fluß, ritten – natürlich außer mir, da ich gehen mußte – eine Strecke an demselben hinab und hatten dann wohl eine Furt erreicht, denn wir gingen in das Wasser.

Am jenseitigen Ufer stand eine Schaar Bewaffneter, die sich aber bei unserm Anblick sofort unsichtbar machte. Jedenfalls war es Nedschir-Bey, welcher das Gelingen seines Streiches dort abgewartet hatte und sich nun befriedigt zurückzog.

Das Bett des Flusses war hier mit scharfkantigen, schlüpfrigen Steinen besäet; das Wasser reichte mir stellenweise bis an die Brust, und da ich zu eng an das Pferd gefesselt war, so hatte ich mehr als genug auszustehen, ehe wir das andere Ufer erreichten. Dort blieben sechs von den Reitern zurück, während mich die übrigen Zwei weiter schleppten.

Es ging am Flusse abwärts bis an ein wildes Bergwasser, welches sich hier von der linken Seite her in den Zab ergießt. Nun ritten die Beiden längs dieses Wassers aufwärts. Es war für mich ein beschwerlicher Weg, zumal die Escorte nicht die mindeste Rücksicht auf mich nahm. Kein Mensch begegnete uns. Nachher ging es seitwärts hin über wildes Gerölle, durch wirres Dorngestrüpp, und ich merkte, daß man auf diese Weise das Dorf Schohrd vermeiden wolle, dessen ärmliche Hütten und Häusertrümmer ich bald unter uns erblickte.

Später bogen wir wieder nach rechts und gelangten in eine wilde Schlucht, welche in das Thal von Raola hinabzuführen schien. Hier kletterten wir eine Strecke weiter, bogen um einige Felsen und gelangten endlich an ein Bauwerk, das einem vier bis fünf Ellen hohen, kubischen Steinhaufen glich und nur eine einzige niedrige Öffnung zeigte, welche zugleich als Thür und als Fenster zu dienen schien.

Vor diesem Steinwürfel stiegen sie ab.

»Madana!« rief der Eine.

Sogleich ließ sich in dem Innern der Hütte ein heiseres Grunzen vernehmen, und einige Augenblicke später trat ein altes Weib aus dem Loch hervor. Madana heißt auf deutsch: ›Petersilie‹. Wie die Alte zu diesem würzigen Namen gekommen war, weiß ich nicht; aber als sie jetzt ganz nahe vor mir stand, duftete sie nicht nur nach Petersilie, sondern es entströmte ihr eine Atmosphäre, welche aus den Gerüchen von Knoblauch, faulen Fischen, todten Ratten, Seifenwasser und verbranntem Hering zusammengesetzt zu sein schien. Hätte mich die Fessel nicht an dem Pferde festgehalten, so wäre ich einige Schritte zurückgewichen. Gekleidet war diese schöne Bewohnerin des Zabthales in einen kurzen Rock, den man bei uns wohl kaum als Scheuerlappen hätte benutzen mögen; der Rand desselben reichte nur wenig bis über die Kniee herab und ließ ein Paar gespenstische Gehwerkzeuge sehen, deren Aussehen vermuthen ließ, daß sie bereits seit langen Jahren nicht mehr gewaschen worden seien.

»Ist Alles bereit?« erkundigte sich der Mann und stellte eine lange Reihe von kurzen Fragen, die alle mit »Ja« beantwortet wurden.

Jetzt wurde ich losgebunden und mit weit niedergebogenem Haupte in die Hütte geschoben. Es gab doch einige Ritzen in der Mauer, durch welche ein Lichtstrahl einzudringen vermochte, und so konnte ich das Innere des Bauwerkes ziemlich genau erkennen. Dasselbe bildete einen kahlen, viereckigen, roh aufgemauerten Raum, in dessen hinterster Ecke man einen starken Pfahl tief und fest in die Erde gerammt hatte. Neben demselben lag ein mäßiger Haufen von Streu und Blätterwerk, und in der Nähe erblickte ich neben einem gefüllten Wassernapfe einen großen Scherben, der früher wohl einmal zu einem Krug gehört hatte, jetzt aber als Schüssel benutzt wurde und eine Masse enthielt, welche halb aus Tischlerleim und halb aus Regenwürmern oder Blutegeln zu bestehen schien.

Zwar hätte ich mich trotz meiner Fesseln doch immerhin einigermaßen zu sträuben vermocht, aber ich ließ es ruhig geschehen, daß ich mit einem starken Strick an den Pfahl gebunden wurde. Dies geschah in der Weise, daß ich auf die Streu zu liegen kam. Meine Arme blieben nach wie vor auf den Achseln befestigt.

Das Weib war draußen vor dem Eingang stehen geblieben. Der eine meiner Begleiter verließ schweigsam die Hütte, der andere jedoch hielt es für nothwendig, mir einige Verhaltungsmaßregeln zu ertheilen.

»Du bist gefangen,« bemerkte er ebenso treffend wie geistreich.

Ich antwortete nicht.

»Du kannst nicht entfliehen,« belehrte er mich in sehr überflüssiger Weise.

Ich antwortete wieder nicht.

»Wir gehen jetzt,« fuhr er fort; »aber dieses Weib wird Dich sehr streng bewachen.«

»So sage ihr wenigstens, daß sie draußen bleiben soll!« bemerkte ich endlich doch.

»Sie muß in der Hütte bleiben,« erwiederte er; »sie darf Dich nicht aus den Augen lassen und soll Dich auch füttern, wenn Du Hunger hast; denn Du kannst Deine Hände nicht gebrauchen.«

»Wo ist das Futter?«

»Hier!«

Er deutete auf den wackern Scherben, dessen Inhalt mir so verführerisch entgegenlachte.

»Was ist es?« erkundigte ich mich.

»Ich weiß es nicht, aber Madana kann kochen, wie keine Zweite im Dorfe.«

»Warum schleppt Ihr mich hierher?«

»Das habe ich Dir nicht zu sagen; Du wirst es von einem Andern erfahren. Mache keinen Versuch, Dich zu befreien, sonst gibt Madana ein Zeichen, und es kommen noch einige Männer, um Dich noch schlimmer zu fesseln.«

Jetzt ging auch er fort. Ich hörte die sich entfernenden Schritte der beiden Männer; dann kam die holde ›Petersilie‹ hereingekrochen und kauerte sich neben dem offenen Eingang in der Weise nieder, daß ich grad vor ihrem Blicke lag.

Es war zwar keine angenehme Lage, in welcher ich mich befand, sie machte mir doch weniger Sorgen als der peinigende Gedanke an die Gefährten in Lizan. Der Melek lauerte mit Schmerzen auf mich, und die Kurden erwarteten wohl längst schon meine Wiederkehr. Und hier lag ich angebunden, wie eine Dogge in der Hundehütte! Was mußte daraus entstehen!

Einen Trost hatte ich doch. War Mohammed Emin nach Lizan gekommen, so hatte man sicher sofort den Platz aufgesucht, an welchem ich überfallen worden war. Man fand das todte Pferd und die Spuren des Kampfes, und im Übrigen mußte ich dann auf den Scharfsinn und die Verwegenheit meines treuen Halef bauen.

So lag ich längere Zeit in Gedanken versunken und zermarterte mir vergebens den Kopf, um eine Art und Weise, wie die Flucht gelingen könne, zu ersinnen. Da störte mich die Stimme der holden Madana auf. Sie war ein Weib; warum sollte sie so lange schweigen!

»Willst Du essen?« frug sie mich.

»Nein.«

»Trinken?«

»Nein.«

Das Gespräch war zu Ende, aber die duftende Petersilie kam herbeigekrochen, ließ sich in der unmittelbaren Nähe meiner armen Nase häuslich nieder und nahm dann den von mir verschmähten Scherben auf ihren Schooß. Ich sah, daß sie mit allen fünf Fingern der rechten Hand in das geheimnißvolle Amalgam langte und dann den zahnlosen Mund wie eine schwarzlederne Reisetasche auseinanderklappte – ich schloß die Augen. Eine Zeitlang hörte ich ein mächtiges Geknatsch; sodann vernahm ich jenes sanfte, zärtliche Streichen, welches entsteht, wenn die Zunge als Wischtuch gebraucht wird, und endlich erklang ein langes, zufriedenes Grunzen, welches ganz hörbar aus einer wonnetrunkenen Menschenseele kam. O Petersilie, Du Würze des Lebens, warum duftest Du nicht draußen im Freien!

Nach langer Zeit erst öffnete ich die Augen wieder. Mein Schirm und Schutz saß noch immer vor mir und hielt die Augen forschend auf mich gerichtet. In diesen Augen schimmerte ein wenig Mitleid und viel Neugierde.

»Wer bist Du?« frug sie mich.

»Weißt Du es nicht?« antwortete ich.

»Nein. Du bist ein Moslem?«

»Ich bin ein Christ.«

»Ein Christ und gefangen? Du bist kein Berwari-Kurde?«

»Ich bin ein Christ aus dem fernen Abendlande.«

»Aus dem Abendlande!« rief sie erstaunt. »Wo die Männer mit den Frauen tanzen? Und wo man mit Schaufeln ißt?«

Also der Ruhm unserer abendländischen Kultur war bereits bis zu den Ohren der Petersilie gedrungen: sie hatte von unserer Polka und von unsern Löffeln gehört.

»Ja,« nickte ich.

»Aber was willst Du hier in diesem Lande?«

»Ich will sehen, ob hier die Frauen so schön sind, wie die unserigen.«

»Und was hast Du gefunden?«

»Sie sind sehr schön.«

»Ja, sie sind schön,« stimmte sie bei, »schöner als in einem anderen Lande. Hast Du ein Weib?«

»Nein.«

»Ich bedaure Dich! Dein Leben gleicht einer Schüssel, in der weder Sarmysak noch Saljanghosch ist!«

Sarmysak und Saljanghosch, Schnecken in Knoblauch? Sollte dies das fürchterliche Gericht sein, welches vorhin in der ›Reisetasche‹ verschwand! Und das hatte die Petersilie ohne ›Schaufeln‹ bewältigt!

»Willst Du Dir kein Weib nehmen?« erkundigte sie sich weiter.

»Ich möchte vielleicht wohl, aber ich kann nicht.«

»Warum nicht?«

»Kann man es thun, wenn man so gefesselt ist?«

»Du wirst warten, bis Du wieder frei geworden bist.«

»Wird man mir die Freiheit wiedergeben?«

»Wir sind Chaldani; wir tödten keinen Gefangenen. Was hast Du gethan, daß man Dich gebunden hat?«

»Das will ich Dir erzählen. Ich bin über Mossul und Amadijah in dieses Land gekommen, um – – –«

Sie unterbrach mich hastig:

»Über Amadijah?«

»Ja.«

»Wann warst Du dort?«

»Vor kurzer Zeit.«

»Wie lange bliebst Du dort?«

»Einige Tage.«

»Hast Du dort vielleicht einen Mann gesehen, der ein Emir und ein Hekim aus dem Ahendlande war?«

»Ich habe ihn gesehen.«

»Beschreibe ihn mir!«

»Er hat ein Mädchen gesund gemacht, welches Gift gegessen hatte.«

»Ich habe ihn gesehen.«

»Ist er noch dort?«

»Nein.«

»Wo befindet er sich?«

»Warum fragst Du nach ihm?«

»Weil ich gehört habe, daß er in diese Gegend kommen wird.«

Sie sprach mit einer Hast, welche nur von dem lebhaftesten Interesse hervorgebracht sein konnte.

»Er ist bereits in dieser Gegend,« sagte ich.

»Wo? Schnell, sage es!«

»Hier.«

»Hier in Schohrd? Du irrst; ich habe nichts davon gehört!«

»Nicht hier in Schohrd, sondern hier in Deiner Hütte.«

»In dieser Hütte? Katera Aïssa – um Jesu willen, dann wärst Du's ja!«

»Ich bin der Mann, nach dem Du fragst.«

»Herr, kannst Du dies beweisen?«

»Ja.«

»Wen trafst Du in dem Hause der Kranken, welche Gift gegessen hatte?«

»Ich traf dort Marah Durimeh.«

»Hat sie Dir einen Talisman gegeben?«

»Nein; aber sie hat mir gesagt, wenn ich hier in Noth kommen werde, so solle ich nach dem Ruh 'i kulyan fragen.«

»Du bist's, Du bist's, Herr!« rief sie, indem sie die Hände zusammenschlug. »Du bist der Freund von Marah Durimeh; ich werde Dir helfen; ich werde Dich beschützen. Erzähle mir, wie Du in diese Gefangenschaft gerathen bist!«

Dies war heut bereits zum dritten Male, daß ich die wunderbare Wirkung von dem Namen Marah Durimeh's erlebte. Welche Macht besaß dieses geheimnißvolle Weib?

»Wer ist Marah Durimeh?« frug ich.

»Sie ist eine alte Fürstin, deren Nachkommen vom Messias abgefallen und zu Muhammed übergetreten sind. Nun thut sie Buße für sie und wird ruhelos hin und her getrieben.«

»Und wer ist der Ruh 'i kulyan?«

»Das ist ein guter Geist. Die Einen sagen, es sei der Engel Gabriel, und Andere meinen, daß es der Erzengel Michael sei, der die Gläubigen beschützt. Er hat hier gewisse Orte und gewisse Zeiten, wo und wann man zu ihm kommen kann. Aber erzähle mir vorher, wie Du gefangen wurdest!«

Die Erfüllung dieses Wunsches konnte mir nur Nutzen bringen. Ich überwand die Unannehmlichkeit meiner Körperlage und die Beschwerden, welche mir die Armfesseln verursachten, und erzählte meine Erlebnisse von Amadijah bis zu der gegenwärtigen Stunde. Die Alte hörte mir mit der größten Aufmerksamkeit zu, und als ich geendet hatte, faßte sie fast zärtlich die eine meiner zusammengeschnürten Hände.

»Herr,« rief sie, »Du hast recht vermuthet: Nedschir-Bey ist es, der Dich gefangen hält. Ich weiß nicht, weßhalb er es gethan hat, aber ich liebe ihn nicht; er ist ein gewalttätiger Mann, und ich werde Dich retten.«

»Du willst mir diese Fesseln abnehmen?«

»Herr, das darf ich nicht wagen. Nedschir-Bey wird bald kommen, und dann würde er mich sehr bestrafen.«

»Was willst Du sonst thun?«

»Emir, heut ist der Tag, an welchem man um Mitternacht hier zum Ruh 'i kulyan geht. Der Geist wird Dich erretten.«

»Willst Du bei ihm für mich bitten?«

»Ich kann nicht zu ihm; ich bin sehr alt, und der Weg ist mir zu steil. Aber« – – – sie hielt inne und blickte nachdenklich vor sich nieder; dann blickte sie mich forschend an: – – »Herr, wirst Du mir eine Lüge sagen?«

»Ich sage Dir die Wahrheit!«

»Wirst Du fliehen, wenn Du mir versprichst, es nicht zu thun?«

»Was ich verspreche, das halte ich!«

»Deine Arme schmerzen Dich. Wirst Du hier bleiben, wenn ich sie Dir losbinde?«

»Ich verspreche es.«

»Aber darf ich sie Dir auch wieder fesseln, wenn Jemand kommt?«

»Auch das.«

»Schwöre es!«

»Die heilige Schrift gebietet: Eure Rede sei ja ja, nein nein; was darüber ist, das ist unrecht. – Ich schwöre nicht, aber ich verspreche es Dir und werde mein Wort halten.«

»Ich glaube Dir!«

Sie erhob sich halb und versuchte es, die Riemen in meinem Nacken zu lösen. Ich gestehe reumüthig, daß mir in diesem Augenblicke der Duft der guten ›Petersilie‹ nicht im Geringsten widerwärtig war. Ihr Vorhaben gelang, und ich streckte die schmerzenden Arme mit Wonne aus und gönnte der so lange eingepreßten Brust einen tiefen Athemzug. Madana aber nahm von jetzt an ihren Platz draußen vor der Hütte, wo sie jeden Nahenden bereits von Weitem sehen und hören konnte. Daß unsere Unterhaltung durch die Thüröffnung fortgesetzt werden könne, bewies mir die brave Alte auf der Stelle.

»Wenn Jemand kommt, werde ich Dich einstweilen wieder binden,« sagte sie; »und dann – dann – – dann – – – o Herr, würdest Du wiederkommen, wenn ich Dir erlaube, einmal fortzugehen?«

»Ja. Wohin aber soll ich gehen?«

»Hinüber auf den Berg, zum Ruh 'i kulyan.«

Ich horchte erstaunt auf. Das war ja ein Abenteuer, wie mir noch selten eines geboten worden war. Ich sollte heimlich aus meiner Gefangenschaft beurlaubt werden, um den geheimnißvollen ›Geist der Höhle‹ kennen zu lernen.

»Ich gehe, und Du kannst Dich darauf verlassen, daß ich ganz sicher wieder komme!« versprach ich Madana mit Freuden. »Aber ich kenne den Weg ja nicht!«

»Ich rufe Ingdscha, welche Dich führen wird.«

Ingdscha heißt ›Perle‹. Dieser Name war vielversprechend.

»Wer ist Ingdscha?« erkundigte ich mich neugierig.

»Eine der Töchter von Nedschir-Bey.«

»Von diesem?« frug ich überrascht.

»Die Tochter ist anders als der Vater, Herr.«

»Aber wird sie mich auf den Berg führen, da sie weiß, daß es ihrem Vater gilt?«

»Sie wird. Sie ist der Liebling Marah Durimeh's, und ich habe bereits mit ihr gesprochen, auch von dem fremden Emir, welcher das Gift besiegt und dessen Waffen Niemand widerstehen kann.«

Also war mein Ruf als Wunderdoktor schon nach Kurdistan gedrungen. Erstaunt frug ich:

»Wer sagte das?«

»Dein Diener hat es in Amadijah dem Vater der Kranken erzählt, und Marah Durimeh hat es Ingdscha wiedergesagt. Sie ist begierig, einen Emir aus Frankistan zu sehen. Soll ich sie rufen, Herr?«

»Ja, wenn es nicht zu viel gewagt ist.«

»Dann aber muß ich Dich vorher binden, doch bloß bis ich wiederkomme.«

»So thue es!«

Ich ließ mich unter diesen Umständen ganz gern wieder fesseln, und als dies geschehen war, verließ die Alte die Hütte. Bald kehrte sie zurück und meldete, daß Ingdscha kommen würde. Sie entfesselte mir die Hände, und ich frug, ob sie im Dorfe gewesen sei, und äußerte die Besorgniß:

»Aber wenn man Dich gesehen hat? Du sollst mich doch bewachen!«

»O, die Männer sind nicht daheim, und die Frauen, welche mich ja gesehen haben können, werden mich nicht verrathen.«

»Wo sind die Männer?«

»Sie sind gen Lizan gegangen.«

»Was thun sie dort?«

»Ich habe nicht gefragt. Was geht mich das Treiben der Männer an! Wenn Ingdscha kommt, wird sie es Dir vielleicht sagen.«

Die Alte setzte sich wieder vor die Thür. Nach einiger Zeit aber stand sie eilig auf und lief einer sich nahenden Person entgegen. Ich hörte vor der Hütte ein leises Geflüster, und dann verdunkelte sich der Eingang, um die ›Perle‹ einzulassen.

Gleich der erste Blick auf die Eingetretene sagte mir, daß der Name Ingdscha hier ganz an seinem Platze sei. Das Mädchen mochte neunzehn Jahre zählen, war hoch gebaut und von so kräftigen Körperformen, daß sie ohne Bedenken die Frau eines Flügelmannes aus der alten, preußischen Riesengarde hätte werden können. Dennoch war das Gesicht ein mädchenhaft weiches und hatte jetzt, dem Fremden gegenüber, sogar einen sehr bemerkbaren Anflug von Schüchternheit.

»Sallam, Emir!« grüßte sie mit fast leiser Stimme.

»Sallam!« antwortete ich. »Du bist Ingdscha, die Tochter des Raïs von Schohrd?«

»Ja, Herr.«

»Verzeihe, daß ich mich nicht erhebe, um Dich zu begrüßen. Ich bin an diesen Pfahl gebunden.«

»Ich denke, Madana hat Dich einstweilen frei gemacht?«

»Nur die Hände.«

»Warum nicht auch das Übrige?«

Sie bog sich sofort zu mir nieder, um mir die Stricke zu lösen, ich aber wehrte ab:

»Ich danke Dir, Du Gute! Aber ich bitte Dich dennoch, es nicht zu thun, da wir zu lange Zeit brauchen, um mich wieder zu binden, wenn Jemand kommt.«

»Madana hat mir Alles erzählt,« erwiederte sie. »Herr, ich werde nicht leiden, daß Du hier am Boden liegst, Du, ein Emir aus dem Abendlande, der alle Länder der Erde bereist, um Abenteuer zu erleben!«

Aha, das waren die Folgen von der Aufschneiderei meines kleinen Hadschi Halef Omar. Das Mädchen hielt mich für einen abendländischen Harun al Raschid, welcher Jagd auf Abenteuer machte.

»Du wirst es aus Vorsicht dennoch leiden müssen,« antwortete ich. »Komm, laß Dich an meiner Seite nieder und erlaube, daß ich Dir einige Fragen vorlege!«

»Herr, Deine Güte ist zu groß. Ich bin ein armes, geringes Mädchen, dessen Vater Dich noch dazu tödtlich beleidigt hat.«

»Vielleicht verzeihe ich ihm um Deinetwillen.«

»Nicht um meinet-, sondern um meiner Mutter willen. Er ist nicht mein rechter Vater; der erste Mann meiner Mutter ist gestorben.«

»Armes Kind! Und der zweite Mann Deiner Mutter ist wohl streng und grausam mit Dir?«

Ihr Auge leuchtete auf.

»Streng und grausam? Herr, das sollte er nicht wagen! Nein, aber er verachtet sein Weib und seine Töchter; er sieht und hört nicht, daß sie sich in seinem Hause befinden; er will nicht haben, daß wir ihn lieben, und darum – darum ist es keine Sünde, wenn ich Dich zum Ruh 'i kulyan geleite.«

»Wann wird dies geschehen?«

»Grad um Mitternacht muß man auf dem Berge sein.«

»Er befindet sich in einer Höhle?«

»Ja. Allemal um Mitternacht am ersten Tage der zweiten Woche.«

»Aber wie merkt man, daß er zugegen ist?«

»An dem Lichte, welches man mitbringen muß. Man setzt ein Licht vor den Eingang der Höhle und zieht sich zurück. Brennt es fort, so ist der Geist nicht da; verlöscht es aber, so ist er zugegen. Dann tritt man wieder hinzu, geht drei Schritte weit in die Höhle hinein und sagt, was man will.«

»In welchen Angelegenheiten darf man mit dem Geiste sprechen?«

»In allen. Man kann ihn um etwas bitten; man kann einen Andern verklagen; man kann sich auch nach etwas erkundigen.«

»Aber ich denke, der Geist spricht nicht! Wie erhält man seine Antwort?«

»Wenn man den Wunsch gesagt hat, so geht man bis an das Bild zurück und wartet kurze Zeit. Beginnt das Licht wieder zu brennen, so ist die Bitte erfüllt, und nach kurzer Zeit, oft schon in der ersten Nacht noch, erhält man auf irgend eine Weise die Nachricht, welche man erwartet hat.«

»Was ist das für ein Bild, von dem Du redest?«

»Es ist ein hoher Pfahl, an welchem das Bild der heiligen Mutter Gottes befestigt ist.«

Das überraschte mich, da ich wußte, daß die Chaldani lehren, die heilige Maria sei nicht die Mutter Gottes, sondern nur die Mutter des Menschen Jesus. Der geheimnißvolle Ruh 'i kulyan schien sonach ein guter Katholik zu sein.

»Wie lange bereits stehet dieses Bild?« frug ich.

»Ich weiß es nicht; es stehet schon länger als ich lebe.«

»Und hat noch kein Kurde oder Chaldani gesagt, daß es fort müsse?«

»Nein, denn dann würde der Ruh 'i kulyan für immer verschwunden sein.«

»Und dies wünscht Niemand?«

»Niemand, Herr. Der Geist thut Wohlthat über Wohlthat in der ganzen Gegend. Er beglückt die Armen und berathet die Reichen; er beschützt die Schwachen und bedroht die Mächtigen; der Gute hofft auf ihn, und der Böse zittert vor ihm. Wenn ich den Vater bitte, Dich frei zu geben, so verlacht er mich; wenn es ihm aber der Geist gebietet, so wird er gehorchen;«

»Warst auch Du einmal des Nachts oben bei der Höhle?«

»Mehrere Male. Ich habe für meine Mutter und Schwester gebeten.«

»Wurde Deine Bitte erfüllt?«

»Ja.«

»Wer brachte Dir die Erfüllung?«

»Die ersten Male kam es des Nachts, und ich konnte nichts sehen; beim letzten Male aber war es Marah Durimeh. Der Geist war ihr erschienen und hatte sie zu mir gesandt.«

»So kennst Du Marah Durimeh?«

»Ich kenne sie, seit ich lebe.«

»Sie ist wohl oft bei Euch?«

»Ja, Herr. Und dann gehe ich mit ihr auf die Berge, um Kräuter zu sammeln, oder wir besuchen die Kranken, welche ihrer Hülfe bedürfen.«

»Wo wohnt sie?«

»Niemand weiß es. Vielleicht hat sie nirgends eine Wohnung, aber sie ist in jedem Hause willkommen, in das sie kommt.«

»Woher stammt sie?«

»Darüber wird sehr verschieden gesprochen. Die Meisten erzählen, daß sie eine Fürstin aus dem alten Geschlechte der Könige von Lizan sei. Das war ein gar mächtiges Geschlecht, und ganz Tijari und Tkhoma war ihm unterthan. Sie aßen und tranken aus goldenen Gefäßen, und alles Andere war von Silber und Metall gemacht. Da aber wandten sie sich dem Propheten von Medina zu, und der Herr schüttelte die Wolken seines Zornes über sie aus; sie wurden verstreut in alle Lande. Nur Marah Durimeh war ihrem Gott treu geblieben, und er hat sie gesegnet mit einem hohen Alter, mit einem weisen Herzen und mit großen Reichthümern.«

»Wo hat sie diese Reichthümer, da sie doch keine Wohnung besitzt?«

»Niemand weiß es. Einige sagen, sie habe ihr Gold in der Erde vergraben. Viele aber behaupten, sie habe Macht über die Geister der Tiefe, welche ihr so viel Geld bringen müssen, als sie brauche.«

»Also sie hat Dir von mir erzählt?«

»Ja, Alles, was Dein Diener in Amadijah von Dir berichtet hat. Sie hat mir befohlen, sobald ich höre, daß Du in diese Gegend gekommen seist, solle ich hinauf zur Höhle gehen, um den Ruh 'i kulyan zu bitten, Dich vor allem Unfall zu behüten. Nun aber wirst Du dies selbst thun.«

»Du gehst nicht ganz mit zur Höhle?«

»Nein. Wenn Du selbst kommst, so kann ich fern bleiben. Hast Du nicht Hunger, Herr? Madana sagte mir, daß Du ihr erlaubt habest, Dein Mahl zu verzehren.«

»Wer hatte dieses Mahl bereitet?«

»Sie selbst. Der Vater hat es bei ihr bestellt.«

»Warum nicht bei Euch?«

»Weil wir nicht wissen sollen, daß er einen Gefangenen verbirgt. Der Mann Madana's ist sein bester Gefährte, und darum hat sie den Befehl erhalten, Dich zu bewachen.«

»Wo sind die Männer Eures Dorfes?«

»Sie werden sich in der Gegend von Lizan befinden.«

»Was thun sie dort?«

»Ich weiß es nicht.«

»Kannst Du es nicht erfahren?«

»Vielleicht. Doch sage, Herr, ob Du essen willst!«

Ich antwortete ausweichend:

»Ich verschmähte das Gericht, weil ich nicht gewohnt bin, Schnecken mit Knoblauch zu essen.«

»O, Emir, ich werde Dir etwas Anderes bringen. In einer Stunde ist es Nacht; ich eile, und dann komme ich wieder, um Dir von Allem zu bringen, was wir haben!«

Sie erhob sich eilig, und ich bat:

»Erkundige Dich auch, was Eure Männer thun!«

Sie ging, und es war dies just zur rechten Zeit geschehen; denn noch waren kaum zehn Minuten vergangen, so trat Madana, welche das Mädchen begleitet hatte, in höchster Eile herein.

»Ich muß Dich fesseln!« rief sie. »Mein Mann kommt, gesandt von Nedschir-Bey. Er darf nicht wissen, daß wir mit einander gesprochen haben. Verrathe mich nicht!«

Sie band mir die Arme wieder empor und hockte sich dann neben den Eingang nieder. Ihr altes, runzeliges Gesicht nahm dabei einen unnahbaren, feindseligen Ausdruck an.

Bereits nach wenigen Sekunden erscholl der Hufschlag eines Pferdes. Ein Reiter hielt vor der Hütte an, stieg ab und trat herein. Es war ein alter, hagerer Kerl, welcher jedenfalls nicht seinem Innern, wohl aber ganz gut seinem Äußern nach zu meiner braven ›Petersilie‹ paßte. Er trat ohne Gruß zu mir und untersuchte meine Fesseln; als er diese in Ordnung fand, wandte er sich barsch an sein Weib:

»Gehe hinaus und horche nicht!«

Sie verließ lautlos die Hütte, und er kauerte sich mir gegenüber auf dem Boden nieder. Ich war wirklich neugierig, was mir dieser Petersilius zu sagen habe, dessen Kleidern der bereits beschriebene Duft seiner Madana im Superlativ entströmte.

»Wie heißest Du?« herrschte er mich an.

Natürlich antwortete ich ihm nicht.

»Bist Du taub? Ich will Deinen Namen wissen.«

Wieder erfolgte das, was der Musiker tacet nennt.

»Mensch, wirst Du antworten!«

Bei diesem Befehle versetzte er mir einen Tritt in die Seite. Mit den Händen konnte ich ihn nicht fassen, aber die Beine konnte ich wenigstens so weit bewegen, als nöthig war, ihm meine Ansicht von der Sache ohne alle theoretische Auseinandersetzungen beizubringen; ich zog die zusammengefesselten Kniee empor, stieß sie wieder aus und schnellte mittels dieser Bewegung den Mann vom Erdboden empor, daß er, wie von einer Katapulte geschleudert, an die Mauer flog. Sein Knochengerüst mußte von einer ganz vorzüglichen Dauerhaftigkeit sein; er besah sich zwar zunächst von allen Seiten, meinte aber dann im besten Wohlsein:

»Mensch, das wage nicht wieder!«

»Rede höflich, so antworte ich höflich!« entgegnete ich nun.

»Wer bist Du?«

»Spare solche Fragen! Wer ich bin, das weißt Du schon längst.«

»Was wolltest Du in Lizan?«

»Das geht Dich nichts an.«

»Was wolltest Du bei den Berwari-Kurden?«

»Auch dies geht Dich nichts an.«

»Wo hast Du Dein schwarzes Pferd?«

»Es ist sehr gut aufgehoben.«

»Wo hast Du Deine Sachen?«

»Da, wo Du sie nicht bekommen wirst.«

»Bist Du reich? Kannst Du ein Lösegeld bezahlen?«

»Tritt näher, wenn Du es haben willst. Merke Dir einmal, Mann: ich bin ein Emir, und Du bist ein Untergebener Deines Raïs. Nur ich allein habe zu fragen, und Du hast zu antworten. Glaube nicht, daß ich mich von Dir ausforschen lasse!«

Er schien es doch für das Klügste zu halten, auf meine Ansicht einzugehen; denn er meinte nach kurzem Überlegen:

»So frage Du!«

»Wo ist der Nedschir-Bey?«

»Warum fragst Du nach ihm?«

»Weil er es ist, der mich überfallen ließ.«

»Du irrst!«

»Lüge nicht!«

»Und doch irrst Du. Du weißt ja gar nicht, wo Du Dich befindest!«

»Meinst Du wirklich, daß ein Emir aus Frankistan zu täuschen ist? Wenn ich von hier aus das Thal herniedersteige, komme ich nach Schohrd. Rechts davon liegt Lizan, links Raola, und da oben auf dem Berge ist die Höhle des Ruh 'i kulyan.«

Er konnte eine Bewegung des Erstaunens nicht verbergen.

»Was weißt Du von dem Geiste der Höhle, Fremdling?«

»Mehr wie Du, mehr wie Alle, die in diesem Thale wohnen!«

Wieder war es Marah Durimeh, welche mich zum Herrn der Situation machte. Der Nasarah wußte offenbar nicht, ob er sich nun des ihm gewordenen Auftrags werde entledigen können.

»Sage, was Du weißt,« meinte er.

»Pah! Ihr seid nicht werth, von dem Geiste der Höhle zu hören. Was willst Du bei mir? Weßhalb habt Ihr mich überfallen und gefangen genommen?«

»Wir wollen von Dir zunächst Dein Pferd.«

»Weiter.«

»Deine Waffen.«

»Weiter!«

»Alle Deine Sachen.«

»Weiter!«

»Und Alles, was Deine Begleiter bei sich haben.«

»O Mann, Du bist bescheiden!«

»Dann werden wir Dich freilassen.«

»Glaubst Du? Ich glaube es nicht, denn Ihr wollt noch mehr.«

»Nichts weiter, als daß Du dem Melek von Lizan befiehlst, den Bey von Gumri nicht loszugeben.«

»Befiehlst? Bist Du verrückt, Alter? – Du meinst, ich könne dem König von Lizan Befehle ertheilen, und wagst es doch, mir Vorschriften zu machen, Du, ein Wurm, den ich mit Füßen trete!«

»Herr, schimpfe nicht!«

»Ich schimpfe nicht; ich sage die Wahrheit. Schäme Dich, Mensch! Du nennst Dich einen Christen und bist doch ein ganz gemeiner Dieb und Räuber. Auch ich bin ein Christ und werde überall erzählen, daß die Chaldani schlimmer sind, als die kurdischen Wegelagerer. Die Berwari haben mich, den Christen, mit Freuden aufgenommen; die Nasarah aus Dschohrd aber haben mich hinterrücks überfallen und ausgeraubt.«

»Du wirst nichts erzählen, denn wenn Du nicht thust, was ich Dir sage, so wirst Du niemals wieder ohne Fesseln sein.«

»Das wird sich finden, denn der Melek von Lizan wird mich von Euch fordern.«

»Wir fürchten ihn nicht; er hat uns nicht zu befehlen, und wir werden noch heut sehr mächtige Verbündete erhalten. Wirst Du thun, was ich gefordert habe?«

»Niemals!«

»So wisse, daß ich erst morgen wiederkomme. Du bekommst Niemand zu sehen, als nur mich und Deine Wärterin, welche Dir kein Essen mehr bringen darf. Der Hunger wird Dich gefügig machen! Und da Du mich mit den Füßen getreten hast, so sollst Du zur Strafe auch dürsten müssen.«

Er schüttete das Wasser aus dem Napfe, machte noch eine verächtliche Geberde gegen mich und trat dann hinaus in das Freie. Da hörte ich ihn einige Zeit lang in befehlendem Tone mit seinem Weibe reden, dann stieg er auf's Pferd und ritt davon.

Ich wußte nun, warum man sich meiner bemächtigt hatte. Dem Raïs von Dschohrd war an einem Kampfe mit den Kurden gelegen, und daher sollte ich als Vermittler unschädlich gemacht werden; nebenbei konnte man sich dann auch mein Eigenthum aneignen. Der angebliche Bote des Melek war von dem Raïs geschickt worden, um sich zu überzeugen, wo ich mich befinde.

Nach einiger Zeit trat Madana ein.

»Hat er Dich beleidigt, Herr?« war ihre erste Frage.

»Laß es gut sein!«

»Emir, zürne ihm nicht! Der Raïs hat es ihm geboten. Aber er war sehr zornig auf Dich. Ich soll kein Wort mit Dir sprechen und darf Dir weder Essen noch Trinken geben.«

»Wann kommt er wieder?«

»Erst morgen, sagte er. Er muß noch in der Nacht nach Murghi reiten.«

»Kommen unterdessen andere Männer herbei?«

»Ich glaube es nicht. Es dürfen nur Wenige wissen, wo Du Dich befindest. Er hat Dir das Wasser ausgeschüttet; ich werde an die Quelle gehen, um Dir anderes zu holen.«

Sie that es und brachte auch einen Bündel Kienspäne herbei, um die Hütte zu erleuchten; denn es begann bereits stark zu dunkeln. Eben hatte sie den ersten brennenden Span in eine Mauerlücke gesteckt, als von draußen Schritte erschollen. Zum Glück war ich noch nicht wieder entfesselt worden. Aber was war das? Diese hastigen Lungentöne gehörten sicher einem Hunde, der mit aller Gewalt an der Leine vorwärts strebte – jetzt ein kurzer scharfer Laut – o, diesen kannte ich, denn ich hatte ihn oft genug gehört.

»Dojan!« rief ich im frohesten Tone.

Ein lautes Bellen und ein menschlicher Ruf war zu vernehmen; dann sauste der Hund durch den Eingang herein, riß die brave ›Petersilie‹ über den Haufen und stürzte sich, vor Freude heulend, über mich her. Und gleich im nächsten Augenblick erschien der drohende Lauf einer Büchse in der Thür, und eine Stimme frug:

»Sihdi, bist Du drin?«

»Ja, Halef!«

»Ist Gefahr?«

»Nein. Du kannst ohne Sorge eintreten!«

Nun schob der kleine Hadschi erst die Büchse, dann seinen zwölfhaarigen Schnurrbart und endlich sich selbst herein.

»Hamdullillah, Sihdi, daß ich Dich habe! Wie kommst Du an diesen fremden – – – Maschallah, Du bist gefangen, Du bist gefesselt! Von diesem Weibe? Von diesem Drachen? Fahre zur Dschehennah, Du Ausbund aller Häßlichkeit!«

Er riß im höchsten Grimme seinen Dolch heraus.

»Halt, Halef!« gebot ich. »Ich bin zwar gefangen, aber diese Frau ist meine Freundin. Sie hätte mich errettet, auch wenn Du nicht gekommen wärst.«

»Dich? Errettet, Sihdi?«

»Ja. Wir hatten uns den Plan bereits besprochen.«

»Und ich wollte sie erstechen!« – Er wandte sich mit strahlendem Gesichte zu ihr: »Preis sei Allah, der Dich erschaffen hat, Du schönste der Frauen in Kurdistan! Dein Haar ist wie Seide, Deine Haut wie die Verschämtheit der Morgenröthe, und Dein Auge glänzt wie ein Stern des Himmels. Wisse, Du Holde: ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah! Du hast meinen Freund und Gebieter mit der Güte Deines Herzens erquickt, und darum – – –«

»Halt ein!« unterbrach ich den Fluß seiner Rede. »Diese Frau versteht kein Wort Arabisch, sondern nur Kurdisch.«

Jetzt suchte er seinen ganzen kurdischen Wortvorrath zusammen, um ihr verständlich zu machen, daß er sie für die schönste und würdigste aller Frauen halte und daß sie sich für alle Tage ihres Lebens auf seine Freundschaft verlassen könne. Ich aber half ihm und ihr aus der Verlegenheit, indem ich ihr erklärte:

»Madana, Du sprachst heut von meinem Diener, welcher dem Vater der Kranken in Amadijah von mir erzählt hatte. Dieser hier ist es! Er hat meine Spur gefunden und bis hierher verfolgt, um mich zu retten.«

»O Herr, was wirst Du nun thun? Wirst Du fliehen?«

»Sei unbesorgt! Ich werde nichts thun, ohne zuvor mit Dir gesprochen zu haben. Setze Dich ruhig nieder!«

Unterdessen hatte Halef meine Bande zerschnitten und neben mir Platz genommen. Ich befand mich jetzt in Sicherheit, denn mit ihm und dem Hunde fürchtete ich keinen Nasarah.

»Sihdi, erzähle,« bat er.

Ich berichtete ihm auf das Ausführlichste, was mir widerfahren war, und es versteht sich ganz von selbst, daß ich von ihm häufig durch die lebendigsten Ausrufungen unterbrochen wurde. Endlich sagte er:

»Sihdi, wäre ich ein Pascha, so würde ich Madana belohnen und Ingdscha heirathen. Da ich aber kein Pascha bin und schon meine Hanneh habe, so rathe ich Dir: Nimm Du die ›Perle‹ zur Frau! Sie ist groß und stark – wie Du selbst!«

»Ich werde es mir überlegen,« erwiederte ich lachend. »Nun aber, vor allen Dingen, sage mir, wie es in Lizan steht, und wie Du auf meine Spur gekommen bist.«

»O, Sihdi, das hat eine große Verwirrung gegeben. Es geschah, was Du gesagt hattest: die Nasarah zogen sich über den Fluß zurück und warteten auf Deine Rückkehr. Aber Du kamst nicht – – –«

»Kam nicht der Haddedihn?«

»Er kam, und als er über die Brücke reiten wollte, wäre er beinahe erschossen worden; doch ich erkannte ihn noch zur rechten Zeit. Er erzählte, daß man unterwegs auf Euch geschossen hätte. Sein Pferd war gestreift worden und mit ihm durchgegangen. Es dauerte längere Zeit, bis er es zu zügeln vermochte; dann ritt er zurück und fand mein Pferd, das Du geritten hattest, todt am Boden liegen; Du aber warst verschwunden.«

»Holte er nicht schnell bei den Kurden Hilfe?«

»O nein, Sihdi. Er glaubte, sie seien Euch heimtückisch nachgefolgt, um Euch zu tödten; denn ihr Anführer, der Kiaja, war ein böser Mann gewesen. Darum eilte der Haddedihn nun schnell nach Lizan, um uns herbeizuholen.«

»Jetzt kamt Ihr in Verlegenheit?«

»Ich nicht, Sihdi, aber die Andern. Ich wußte, was zu thun sei, und habe es später auch richtig gethan. Sie jedoch hielten einen großen Rath, und es wurde beschlossen, eine Gesandtschaft zu den Kurden zu schicken; sie sollten Dich oder Deinen Leichnam herausgeben.«

»Gott sei Dank! So weit war es nicht gekommen!«

»Herr, wärest Du von ihnen getödtet worden: – bei Allah, ich wäre nicht eher aus diesem Lande fortgegangen, als bis ich alle Berwari nach und nach erschossen hätte! Du weißt es, daß ich Dich lieb habe!«

»Ich weiß es, mein braver Halef. Doch weiter!«

»Die Gesandtschaft wurde von den Kurden sehr schlimm aufgenommen –«

»Wer war dabei?«

»Mohammed Emin, zwei Kurden, welche mit uns von den Nasarah gefangen wurden, der Schreiber des Melek und ein Nasarah, der arabisch reden kann und den Dolmetscher des Haddedihn machen sollte. Zuerst wollten die Kurden nicht glauben, daß Du überfallen worden seist; sie hielten das für eine Hinterlist von dem Melek. Als sie aber das todte Pferd sahen, glaubten sie es. Nun behaupteten sie, die Nasarah hätten Dich beseitigt, weil sie keinen Vermittler haben wollten. Es wurden Botschaften hin- und hergesandt. Dann kam auch Nedschir-Bey und sagte, Du seist von den Berwari-Kurden erschossen worden; er habe es vom andern Ufer aus gesehen – – –«

»Der Schuft!«

»Das ist er, Sihdi. Aber er soll seinen Lohn erhalten! So wäre es beinahe zum Kampf gekommen; da aber ging ich zum Melek, der sich gerade bei dem Bey von Gumri befand, und bat ihn, sie sollten einen Waffenstillstand abschließen, und ich wollte während dieser Zeit sehen, ob ich Dich finden könne. Sie glaubten, das sei unmöglich; aber als ich von unserm Hunde sprach, bekamen sie Hoffnung. Es wurde nun noch eine letzte Gesandtschaft fortgeschickt, mit der ich gehen sollte. Die Berwari zeigten sich einverstanden, daß beide Theile bis morgen Mittag aus einander bleiben sollten; bist Du dann noch nicht wieder da, so geht der Kampf los.«

»Nun, und Du?«

»Wir gingen mit dem Hunde an die Stelle, wo das Pferd liegt. Dojan fand sofort Deine Fährte und zog mich fort bis an den Fluß. Es war klar, daß Du über das Wasser hinübergeschafft worden warest. Die Andern meinten, ich solle erst nach Lizan zurück, um über die Brücke an das andere Ufer zu kommen; ich aber hatte keine Zeit dazu, denn der Abend war schon nahe. Ich zog mich aus, wickelte meine Kleider um den Kopf, legte die Waffen darauf und ging mit dem Hunde allein hinüber.«

»Fandet Ihr die Spur sofort?«

»Ja, Sihdi. Wir folgten ihr, nachdem ich mich wieder angekleidet hatte – und da sind wir nun, Effendi!«

»Halef, das werde ich Dir nicht vergessen!«

»Schweig, Herr! Du hättest ganz dasselbe und auch noch mehr für mich gethan!«

»Was sagte der Engländer?«

»Man versteht seine Sprache nicht, aber er ist ganz wüthend herumgelaufen und hat ein Gesicht gemacht, wie ein Panther, wenn er gefangen ist.«

»Weiß Nedschir-Bey, daß Du mich suchst und den Hund bei Dir hast?«

»Nein. Er war schon vorher wieder fort.«

»Sind Dir hier Leute begegnet?«

»Niemand. Der Hund führte mich durch eine Gegend, wo kein Mensch zu gehen scheint.«

»Wo befindet sich mein Rappe?«

»Im Hofe des Melek. Ich habe ihn dem Haddedihn übergeben.«

»So ist er in guten Händen.«

Da erschollen leichte Schritte draußen. Halef griff nach seinen Waffen, und Dojan machte sich sprungfertig. Ich beruhigte Beide, denn es war Ingdscha, welche eintrat.

Das Mädchen blieb ganz erstaunt am Eingange stehen, als sie den Diener und den Hund erblickte.

»Fürchte Dich nicht,« sagte ich; »dieser Mann und dieser Hund sind Dir freundlich gesinnt.«

»Wie kommen sie hierher?«

»Sie haben mich aufgesucht, um mich zu befreien.«

»So willst Du uns verlassen?«

»Jetzt noch nicht.«

»Bedarfst Du noch des Ruh 'i kulyan?«

»Ja. Willst Du mich noch zu ihm führen?«

»Gern, Emir. Hier habe ich Dir Speise und Trank gebracht. Nun aber wird es nicht ausreichen für Zwei und den Hund.«

Sie trug einen großen Binsenkorb, der voll bepackt war. Es hätten fünf Männer sich satt essen können.

»Sorge Dich nicht, Du Gute,« antwortete ich; »es reicht für mehr als für uns. Du und Madana, Ihr Beide sollt auch mit zulangen.«

»Herr, wir sind Frauen!«

»In meinem Vaterlande werden die Frauen nicht verachtet. Bei uns sind sie die Zierde und der Stolz des Hauses und nehmen beim Mahle den Ehrenplatz ein.«

»O, Emir, wie glücklich sind Eure Frauen!«

»Aber sie müssen mit Schaufeln essen!« fiel die ›Petersilie‹ in sehr mitleidigem Tone ein.

»Das sind keine Schaufeln, sondern kleine, zierliche Werkzeuge von schönem Metall, mit denen es sich ganz vortrefflich und noch viel appetitlicher essen läßt, als mit den nackten Fingern. Wer bei uns sich während des Essens die Hände mit Speise besudelt, der gilt für einen unreinlichen und ungeschickten Menschen. Ich will Euch einmal zeigen, wie ein solcher Kaschyk aussieht.«

Während Ingdscha ein mitgebrachtes Tuch auf den Boden breitete, um die Speisen darauf zu legen, nahm ich Halef's Dolchmesser und schnitt mit demselben einen tüchtigen Span aus dem Pfahle, um daraus einen Löffel zu schnitzen. Er war bald fertig und erregte, als ich ihnen den Gebrauch desselben an dem Wassernapfe zeigte, die Bewunderung der beiden einfachen Frauen.

»Nun sage selbst, o Madana, kann man dieses kleine Ding ein Kürek nennen?«

»Nein, Herr,« antwortete sie. »Ihr braucht doch keine so großen Mäuler zu haben, als ich erst dachte.«

»Herr, was wirst Du mit diesem Kaschyk thun?« frug Ingdscha.

»Wegwerfen.«

»O nein, Emir! Magst Du mir ihn nicht schenken?«

»Für Dich ist er nicht schön genug. Für die Perle von Schohrd müßte er von Silber sein.«

»Herr,« meinte sie erröthend, »er ist schön genug! Er ist schöner, als wenn er von Altyn und Gümüsch gemacht worden wäre; denn Du hast ihn gefertigt. Ich bitte Dich, schenke ihn mir, damit ich eine Erinnerung habe, wenn Du uns verlassen hast!«

»So behalte ihn! Aber Du sollst mich morgen mit Madana in Lizan besuchen, und da werde ich Euch noch etwas Besseres geben.«

»Wann willst Du fort von hier?«

»Das wird der Ruh 'i kulyan bestimmen. Jetzt aber setzt Euch herzu. Wir wollen unser Mahl beginnen.«

Ich mußte diese Bitte noch einige Male wiederholen, ehe sie erfüllt wurde. Halef hatte bisher gar nicht gesprochen, sondern nur immer das schöne Mädchen beobachtet.

Jetzt stieß mein kleiner Diener einen Seufzer aus und meinte in arabischer Sprache:

»Sihdi, Du hast Recht!«

»Womit?«

»Selbst wenn ich ein Pascha wäre, ich paßte nicht zu ihr. Nimm Du sie, Sihdi! Sie ist schöner als Alle, die ich gesehen habe.«

»Es wird hier schon ein Jüngling sein, den sie lieb hat.«

»Frage sie einmal!«

»Das geht nicht, mein kleiner Hadschi Halef; das würde sehr unhöflich und zudringlich sein.«

Ingdscha hatte wohl bemerkt, daß von ihr die Rede war; darum sagte ich zu ihr:

»Dieser Mann ist bereits ein guter Bekannter von Dir.«

»Wie meinst Du das, Emir?«

»Es ist der Diener, von dem Dir Marah Durimeh erzählt hat. Die Andern haben alle geglaubt, daß ich ermordet worden sei, und nur er allein hat es gewagt, mir nachzufolgen.«

»Er ist ein kleiner, aber ein treuer und muthiger Mann,« meinte sie mit einem Blick der Anerkennung auf ihn.

»Was sagte sie von mir?« frug er, da er diesen Blick ganz wohl bemerkt hatte.

»Sie sagte, Du seist ein sehr treuer und muthiger Mann.«

»Sage ihr, sie sei ein sehr schönes und gutes Mädchen, und es sei sehr Schade, daß ich so klein und kein Pascha bin.«

Während ich seine Worte verdolmetschte, reichte er ihr die Hand entgegen, und sie schlug lachend ein. Dabei strahlte ihr Angesicht so lieb und gut, daß mich ein aufrichtiges und warmes Bedauern überkam, indem ich an das einförmige, freudenlose Leben dachte, welches ihrer in diesem Lande wartete.

»Hast Du nicht einen Wunsch, den ich Dir erfüllen könnte?« frug ich sie in Folge dieser freundschaftlichen Aufwallung.

Sie blickte mir einige Sekunden lang nachdenklich in das Gesicht und antwortete dann:

»Ja, Herr, ich habe einen Wunsch.«

»Sage ihn!«

»Emir, ich werde sehr viel an Dich denken. Wirst Du Dich auch zuweilen an uns erinnern?«

»Oft, sehr oft!«

»Scheint der Mond bei Euch auch so wie bei uns?«

»Ganz so.«

»Herr, blicke am Abend eines jeden Vollmondes zu ihm empor; dann werden sich da oben unsere Augen treffen!«

Jetzt war ich es, der ihr die Hand hinüber reichte.

»Ich werde es thun – und ich werde auch an anderen Abenden Deiner gedenken, wenn der Mond am Himmel steht. So oft Du ihn erblickst, so denke, daß er Dir meine Grüße bringen soll.«

»Und er Dir die unsrigen!«

Jetzt stockte die Unterhaltung; wir waren in's Elegische gerathen. Doch kehrte während des weiteren Verlaufs des Mahles die vorige Stimmung wieder zurück. Ingdscha war sogar die Erste, welchee das Wort von Neuem ergriff:

»Wird Dein Diener mit zur Höhle gehen, Herr?«

»Nein. Er wird jetzt nach Lizan zurückkehren, um meine Gefährten zu beruhigen.«

»Das mag er thun, denn ihnen droht Gefahr.«

»Welche?« frug ich anscheinend ruhig.

»Es waren vorhin zwei Männer hier. Der Eine ritt zu Dir, und der Andere blieb im Dorfe zurück. Mit diesem habe ich gesprochen. Er sollte Niemand etwas sagen, aber er hat mir doch genug verrathen, was ich Dir erzählen muß. Du glaubst, daß der Streit bis morgen Mittag ruhen soll?«

»Ich hoffe es.«

»Es gibt viele Leute, die dies nicht wünschen, und diese Männer haben sich meinen Vater zum Anführer gewählt. Er hat Eilboten nach Murghi, Minijanisch und Aschitha, auch das Thal abwärts bis nach Biridschai und Ghissa gesandt, um alle waffenfähigen Männer herbeizurufen. Sie werden sich noch während der Nacht versammeln und dann am Morgen über die Berwari herfallen.«

»Welche Unvorsichtigkeit! Dein Vater wird das ganze Thal unglücklich machen!«

»Glaubst Du, daß die Berwari uns überlegen sind?«

»An Kriegstüchtigkeit, ja, wenn auch heute noch nicht an Zahl. Aber wenn einmal der Kampf entbrannt ist, so wird er an allen Orten auflodern, und dann sind die Kurden Euch hundertfach überlegen; denn die Chaldani sind von den Stämmen der Kurden auf allen Seiten eingeschlossen.«

»O Gott, wenn Du Recht hättest!«

»Ich habe Recht, das darfst Du mir glauben! Wenn es heut und morgen nicht gelingt, einen Frieden zu Stande zu bringen, so brechen noch viel schlimmere Zeiten über Euch herein, als zur Zeit von Beder-Khan und Nur-Ullah-Bey. Es ist dann sehr wahrscheinlich, daß die Chaldani mit Weib und Kind vollständig ausgerottet werden.«

»Ist dies wirklich Dein Ernst, Emir?«

»Wirklich und wahrhaftig!«

»O Jesus, was sollen wir thun?«

»Weißt Du, wo Dein Vater die Streitsüchtigen versammeln will?«

»Nein; das konnte ich nicht erfahren.«

»Weißt Du auch nicht, wo er sich jetzt befindet?«

»Er reitet von einem Orte zum andern, um die Männer zum Kampfe aufzumuntern.«

»So kann uns nur vielleicht der Ruh 'i kulyan helfen. Bis dahin aber muß ich Vorbereitungen treffen.«

»Thue es, Herr, und alle Friedfertigen werden Dein Andenken segnen, wenn Du längst nicht mehr bei uns bist!«

Das Mahl war beendet, und daher frug ich Halef:

»Wirst Du den Weg nach Lizan finden können, doch so, daß Dich unterwegs Niemand bemerkt?«

Er nickte, und ich fuhr fort:

»Du gehst zum Melek und zum Bey von Gumri und sagst ihnen, wie und wo Du mich gefunden hast.«

»Soll ich sagen, wer Dich überfallen hat?«

»Ja. Nedschir-Bey hat mich gefangen genommen, damit ich den Frieden nicht vermitteln könne. Er verlangt für meine Freiheit mein Pferd, mein Eigenthum und Alles, was meine Gefährten bei sich tragen.«

»Der Scheïtan soll's ihm geben!«

»Du siehst, daß man mir bereits Alles genommen hat. Laß mir Deine Pistolen und Dein Messer hier. Auch den Hund behalte ich da.«

»Nimm die Flinte dazu, Sihdi! Ich komme auch ohne Waffen nach Lizan zurück.«

»Die Flinte könnte mir hinderlich sein. Erzähle dann dem Bey und dem Melek, daß der Raïs von Schohrd Boten gesandt hat in alle Orte auf- und abwärts von Lizan, um die Einwohner zum Kampfe aufzuwiegeln. Sie sollen sich während der Nacht an einem Orte versammeln, den ich leider nicht kenne, und dann wollen sie über die Berwari herfallen. Auch der Raïs selbst reitet überall herum; und ich lasse dem Melek sagen, daß er ihn sofort festnehmen soll, sobald er ihn erwischen kann.«

»Sihdi, ich wollte, ich träfe diesen Menschen jetzt unterwegs; ich habe ihn mir genau gemerkt und würde ihn unschädlich machen.«

»Du allein? Das laß bleiben! Du bist ihm nicht gewachsen; er ist zu stark für Dich.«

Der kleine Mann erhob sich mit der Miene eines Beleidigten, reckte seine geschmeidigen Glieder und rief:

»Zu stark für mich? Was denkst Du, Sihdi, und wo ist Dein weises Urtheil auf einmal hingerathen! Habe ich nicht Abu Seïf besiegt? Habe ich nicht noch viele andere große Thaten verrichtet? Was ist dieser Nedschir-Bey gegen den berühmten Hadschi Halef Omar? Ein blinder Frosch, eine lahme Kröte, die ich zertreten werde, sobald ich sie erblicke. Du bist Emir Kara Ben Nemsi, der Held aus Frankistan; soll ich, Dein Freund und Beschützer, mich vor einem zerlumpten Chaldani fürchten? O Sihdi, wie wundere ich mich über Dich!«

»Wundere Dich meinetwegen, aber sei vorsichtig. Es kommt jetzt Alles darauf an, daß Du glücklich Lizan erreichst.«

»Und wenn sie nun fragen, wann Du mir nachfolgen wirst; was soll ich ihnen antworten?«

»Sage ihnen, daß ich wohl bis zum Morgen bei ihnen sein werde.«

»So nimm hier die Pistolen und den Dolch, auch hier den Kugelsack, und Allah behüte Dich!«

Dann trat er zu Ingdscha und reichte ihr die Hand:

»Lebe wohl, Du schönste unter den Schönen! Wir sehen uns wohl wieder.«

Auch der guten ›Petersilie‹ reichte er die Hand:

»Lebe wohl, auch Du, liebliche Mutter der Chaldani! Meine Augenblicke bei Dir waren süß, und wenn Du Dir auch einen Löffel wünschest, so werde ich Dir sehr gern einen schnitzen, damit Du denken kannst an Deinen Freund, der von Dir geht. Sallam, Du Kluge, Du Treue, Sallam!«

Sie verstanden zwar Beide nicht, was er sagte, aber sie nahmen seine Worte freundlich auf, und Madana verließ sogar mit ihm die Hütte, um ihn eine Strecke zu begleiten.

Ich blickte durch den Eingang, um an dem Stand der Sterne die Zeit zu bemessen; denn auch die Uhr war mir abgenommen worden. Es mochte vielleicht zehn Uhr sein.

»Es ist zwei Stunden vor Mitternacht. Wann gehen wir?« frug ich das Mädchen.

»In einer Stunde.«

»Meine Zeit ist sehr kostbar. Kann man mit dem Geist der Höhle nicht eher sprechen?«

»Die rechte Zeit ist genau um Mitternacht. Er wird zornig, wenn man eher kommt.«

»Bei mir wird er nicht zornig werden.«

»Weißt Du das gewiß?«

»Ganz gewiß.«

»So laß uns gehen, sobald Madana zurückgekehrt ist.«

»Haben wir ein Licht?«

Sie zeigte mir schweigend einige kurze Binsenflechten, welche mit Hammeltalg getränkt waren. Auch Feuerzeug hatte sie bei sich. Dann frug sie:

»Herr, ich habe eine Bitte.«

»Sprich!«

»Wirst Du meinem Vater verzeihen?«

»Ja; um Deinetwillen.«

»Aber der Melek wird ihm zürnen!«

»Ich werde ihn besänftigen.«

»Ich danke Dir!«

»Hast Du nicht erfahren, wer meine Waffen erhalten hat und die anderen Sachen, welche man mir abgenommen hat?«

»Nein. Der Vater wird sie wohl haben.«

»Wo pflegt er solche Dinge aufzubewahren?«

»Nach Hause hat er nichts gebracht; ich hätte es bemerkt.«

Jetzt kam Madana wieder.

»Herr,« sagte sie mit stolzer Miene, »Dein Diener ist ein sehr verständiger und höflicher Mann.«

»Woraus schließest Du dies?«

»Er hat mir Etwas gegeben, was ich seit langer Zeit nicht mehr erhalten habe: – einen Öpüsch, einen großen Öpüsch.«

Ich glaube, ich habe bei diesem naiv-stolzen Bekenntnisse ein sehr verdutztes Gesicht gemacht. Halef einen Kuß? Dieser alten, guten, duftigen ›Petersilie‹? Einen Kuß auf die ›Reisetasche‹, in deren Öffnung die Schnecken mit Knoblauch verschwunden waren? Das war mir schier unglaublich. Daher frug ich:

»Einen Öpüsch? Wohin?«

Sie spreizte mir die braunglasirten, dürren Finger der Rechten entgegen.

»Hierher, auf diese Hand. Es war ein Elöpüsch, wie man ihn nur einem vornehmen, jungen Mädchen gibt. Dein Diener ist ein Mann, dessen Höflichkeit man rühmen muß.«

Also ein Handkuß nur! Aber trotzdem eine Heldenthat meines wackern Halef, zu welcher ihm jedenfalls nur seine Liebe zu mir die Überwindung gegeben hatte.

»Du kannst stolz darauf sein,« antwortete ich. »Das Herz des Hadschi Halef Omar schlägt Dir voll Dankbarkeit entgegen, weil Du Dich so freundlich meiner angenommen hast. Auch ich werde Dir dankbar sein, Madana« – hierbei machte sie unwillkürlich eine Bewegung, als wolle sie mir die Finger zum Handkusse entgegenstrecken, und daher fügte ich sehr eilig hinzu: – »nur mußt Du warten, bis ich wieder in Lizan bin.«

»Ich werde warten, Herr!«

»Jetzt werde ich mit Ingdscha zur Höhle gehen. Was wirst Du thun, wenn Jemand unterdessen kommt, um nach mir zu sehen?«

»Emir, rathe mir!«

»Bleibst Du hier, so trifft Dich der Zorn des Betreffenden. Daher ist es besser, Du versteckst Dich, bis wir zurückkehren.«

»Ich werde Deinen Rath befolgen und an einen Ort gehen, wo ich die Hütte beobachten und auch Eure Rückkehr bemerken kann.«

»So wollen wir aufbrechen, Ingdscha.«

Ich steckte die Waffen zu mir und nahm den Hund an die Leine.

Die Jungfrau schritt voran, und ich folgte ihr.

Wir gingen eine Strecke weit den Weg zurück, auf welchem ich zur Hütte gebracht worden war; dann stiegen wir rechts aufwärts und verfolgten die Richtung, bis wir die Höhe erklommen hatten. Dieselbe war mit Laubwald bestanden, so daß wir eng neben einander gehen mußten, um uns nicht zu verlieren.

Nach einiger Zeit lichtete sich die Holzung wieder, und wir hatten einen schmalen Felsensattel zu überschreiten, welcher zu einer steilen Falte des Berges führte.

»Nimm Dich in Acht, Herr,« warnte das Mädchen. »Von jetzt an wird der Weg sehr beschwerlich.«

»Das ist nicht gut für alte Leute, die zu dem Geist der Höhle wollen. Hier können nur junge Füße steigen.«

»O, auch die Alten können empor, nur müssen sie einen Umweg machen. Von jenseits führt ein ganz guter Pfad bis in die Nähe der Höhle.«

Indem wir einander gegenseitig stützten, kletterten wir Hand in Hand empor und gelangten schließlich in ein Gewirr von großen Steinblöcken, zwischen denen ich das Ziel unserer Wanderung vermuthete, welche bis jetzt über eine halbe Stunde gedauert hatte.

Jetzt bildeten die Blöcke eine Art offenen Gang, in dessen Hintergrunde sich eine dunkle Wand erhob. Ingdscha blieb stehen.

»Dort ist es,« sagte sie, auf das Dunkel deutend. »Du gehst gradaus und wirst am Fuße jener Wand eine Öffnung sehen, in die Du das Licht setzest, nachdem Du es angezündet hast. Dann kehrst Du zu mir zurück. Ich warte hier auf Dich.«

»Kann man das Licht hier sehen?«

»Ja. Aber es wird jetzt vergebens brennen, denn es ist noch lange nicht Mitternacht.«

»Ich werde es doch versuchen. Hier ist die Leine; halte einstweilen den Hund und lege ihm die Hand auf den Kopf.«

Ich nahm die Kerzen und schritt vorwärts. Es war ein Gefühl außerordentlicher Spannung, welches mich jetzt beherrschte, und dies war gar kein Wunder; sollte ich doch in das Geheimniß eindringen, das den ›Geist der Höhle‹ umhüllte. Freilich, den eigentlichen Kern dieses Geheimnisses ahnte ich bereits.

Ich langte an der Felsenwand an und bemerkte die Höhle, deren Eingang gerade so hoch und breit war, daß ein Mann in aufrechter Haltung Zutritt nehmen konnte. Ich lauschte einige Augenblicke, hörte aber nicht das Mindeste, und brannte dann eine der Kerzen an, welche ich auf den Boden der Höhle niederstellte. Das ging sehr leicht, da die Kerze unten eine genügende Breite besaß.

Nun kehrte ich wieder zurück. Ich sagte mir, daß für einen nicht Unbefangenen schon ein gut Theil Muth dazu gehöre, in der Stunde der Mitternacht den Berg zu besteigen, um mit einem Geiste in Verkehr zu treten.

»Das Licht brennt. Nun warte, ob es verlöschen wird,« sagte Ingdscha.

»Es geht nicht der leiseste Lufthauch; wenn das Licht verlöscht, so ist es also ein sicheres Zeichen, daß der Ruh zugegen ist.«

»Sieh!« meinte das Mädchen, mich hastig am Arme fassend. »Es ist verlöscht!«

»So gehe ich.«

»Ich erwarte Dich hier«

Als ich wieder an die Höhle kam, bückte ich mich nieder, um nach dem Lichte zu fühlen – es war weggenommen worden. Ich hegte die Überzeugung, daß der Geist sich ganz nahe, vielleicht in einer Seitennische, befinde, um jedes Wort hören zu können. Ein Anderer hätte nun einfach seine Angelegenheit in akroamatischer Weise vorgetragen und dann sich zurückgezogen; dies aber lag nicht in meiner Absicht. Ich trat zwei Schritte in die Höhle hinein.

»Ruh 'i kulyan!« rief ich halblaut.

Es erfolgte keine Antwort.

»Marah Durimeh!«

Wieder keine Antwort.

»Marah Durimeh, melde Dich getrost; ich werde Dein Geheimniß nicht verrathen. Ich bin der Hekim aus Frankistan, welcher Dein Urenkelkind in Amadijah vom Gifte befreite, und habe augenblicklich sehr nothwendig mit Dir zu sprechen.«

Ich hatte mich nicht getäuscht – seitwärts war ein Geräusch zu vernehmen, als ob sich Jemand überrascht vom Boden erhebe; dennoch aber vergingen mehrere Sekunden, ehe eine Antwort erfolgte. Dann erklang es:

»Du bist wirklich der Hekim-Emir aus Frankistan?«

»Ja. Vertraue mir! Ich ahnte, daß Du selbst der Ruh 'i kulyan bist; ich werde Dein Geheimniß bewahren.«

»Es ist Deine Stimme, aber ich kann Dich nicht sehen.«

»Verlange ein Zeichen von mir!«

»Gut! Was hatte der türkische Hekim in seinem Amulet, mit welchem er den Teufel der Krankheit vertreiben wollte?«

»Eine todte Fliege.«

»Emir, Du bist es wirklich! Wer hat Dir die Höhle gezeigt?«

»Ingdscha, die Tochter von Nedschir-Bey. Sie steht da draußen und erwartet mich.«

»Gehe noch vier Schritte vorwärts!«

Ich that es und fühlte mich dann von einer Hand gefaßt, welche mich nach seitwärts in eine Spalte zog, wo sie mich eine Strecke weiter führte.

»Jetzt warte. Ich werde das Licht anbrennen.«

Einen Augenblick später brannte die Kerze, und ich sah Marah Durimeh vor mir stehen, eingehüllt in einen weiten Mantel, aus dem ihr hageres Gesicht wie dasjenige eines Todtenkopfes mir entgegengrinste. Auch heut hingen ihr die schneeweißen Haarzöpfe bis beinahe zur Erde herab. Sie leuchtete mich an.

»Ja wirklich, Du bist es, Emir! Ich danke Dir, daß Du gekommen bist. Aber Du darfst keinem Menschen sagen, wer der Geist der Höhle ist!«

»Ich schweige.«

»Ist es ein Wunsch, der Dich zu mir führt?«

»Ja. Aber er betrifft nicht mich, sondern die Chaldani, welche einem großen Unglücke entgegengehen, das nur Du vielleicht von ihnen abzuwenden vermagst. Hast Du Zeit, mich anzuhören?«

»Ja. Komm und setze Dich.«

In der Nähe lag ein langer, schmaler Stein, welcher Raum genug für Zwei bot. Er bildete wohl stets die Ruhebank des Höhlengeistes. Wir ließen uns neben einander darauf nieder, während das Licht auf einer Steinkante stand. Dann sagte die Alte mit besorgter Miene:

»Deine Worte verkünden Unheil. Rede, Herr!«

»Weißt Du schon, daß der Melek von Lizan den Bey von Gumri überfallen und gefangen genommen hat?«

»Heilige Mutter Gottes, ist das wahr?« rief sie, sichtlich im höchsten Grade erschrocken.

»Ja. Ich selbst war dabei als Gast des Bey und wurde gefangen.«

»Ich weiß nichts davon, kein Wort. Ich war während der letzten Tage drüben in Hajschad und Biridschai und bin erst heut über die Berge gekommen.«

»Nun halten die Berwari-Kurden da unten vor Lizan, um morgen den Kampf zu beginnen.«

»O Ihr Toren, die Ihr den Haß liebt und die Liebe haßt! Soll sich das Wasser wieder vom Blute röthen und das Land vom Scheine der Flammen? Erzähle, Herr, erzähle! Meine Macht ist größer, als Du denkst; vielleicht ist es noch nicht zu spät.«

Ich folgte ihrem Gebote, und sie lauschte mit angehaltenem Athem meiner Darstellung. Es war, als hätte ich den Tod neben mir sitzen, und doch hing von diesem skelettartigen, geheimnißvollen Wesen vielleicht das Leben von Hunderten ab. Kein Glied ihres Körpers bewegte sich, und keine Falte ihres Mantels zitterte; aber sofort, als ich geendet hatte, fuhr sie vom Steine empor.

»Emir, noch ist es Zeit. Willst Du mir helfen?«

»Gern.«

»Ich weiß, Du mußt mir auch von Dir erzählen, aber nicht jetzt, nicht jetzt, sondern morgen; jetzt gibt es Nöthigeres zu thun. Der Geist der Höhle ist stumm gewesen; noch nie hat ihn Jemand sprechen hören; heut aber wird er reden, heut muß er reden. Laß Dich von Ingdscha führen, Herr, und eile hinab nach Lizan. Der Melek, der Bey von Gumri und der Raïs von Schohrd sollen sogleich zum Ruh 'i kulyan kommen.«

»Werden sie gehorchen?«

»Sie gehorchen; sie müssen gehorchen, glaube es mir!«

»Aber der Raïs ist nicht zu finden!«

»Emir, wenn ihn Niemand findet, so wirst doch Du ihn finden; ich kenne Dich. Auch er muß kommen, ob gleichzeitig oder ob später als die beiden Andern; wenn er nur bis zum Morgen erscheint. Ich werde warten.«

»Sie werden mich fragen, von wem ich den Auftrag erhalten habe. Ich werde antworten: ›Vom Ruh 'i kulyan‹; weiter kein Wort. Ist es so recht?«

»Ja. Sie brauchen nichts zu wissen, am allerwenigsten aber, wer der Geist der Höhle eigentlich ist.«

»Soll ich wieder mitkommen?«

»Du kannst sie begleiten, aber in die Höhle darfst Du nicht mit eintreten. Was ich ihnen zu sagen habe, ist für keines Andern Ohr. Sage ihnen, sie sollen sofort in die Höhle treten und darin gradaus fortschreiten, bis sie in einen Raum gelangen, welcher erleuchtet ist.«

»Kannst Du es bewirken, daß ich wieder erhalte, was man mir abgenommen hat?«

»Ja; trage keine Sorge. Aber jetzt gehe; morgen sehen wir uns wieder, und dann kannst Du mit Marah Durimeh sprechen, so lange es Dir gefällt!«

Ich ging und traf Ingdscha noch an demselben Platze, an welchem ich sie verlassen hatte.

»Du warst lange dort, Herr,« sagte sie.

»Desto schneller müssen wir jetzt gehen.«

»Du mußt doch warten, bis das Licht wieder brennt, sonst weißt Du nicht, ob Dir Deine Bitte erfüllt wird.«

»Sie wird erfüllt.«

»Woher weißt Du es?«

»Der Geist sagte es!«

»O Herr, hättest Du seine Stimme gehört?«

»Ja. Er hat sehr lange mit mir gesprochen.«

»Das ist noch niemals geschehen; Du mußt ein sehr großer Emir sein!«

»Ein Geist beurtheilt den Menschen nicht nach seinem Stande.«

»Hast Du ihn vielleicht gar auch gesehen?«

»Von Angesicht zu Angesicht.«

»Herr, Du erschreckst mich! Wie sah er aus?«

»Solche Dinge darf man nicht enthüllen. Komm, Du sollst mich führen; ich muß schnell nach Lizan hinab.«

»Was wird da aus Madana, die auf Dich wartet?«

»Du bringst mich zuerst auf den rechten Weg, und dann kehrst Du zu ihr zurück, um ihr zu sagen, daß sie nicht mehr auf mich warten solle. Ich werde morgen nach Schohrd kommen.«

»Was aber soll sie meinem Vater sagen, wenn er Dich von ihr verlangt?«

»Sie soll sagen, daß er sogleich zum Geist der Höhle kommen solle. Auch wenn Du Deinen Vater triffst, sendest Du ihn sofort hinauf zur Höhle. Er muß kommen, er mag vorhaben, was er will. Wenn er nicht auf der Stelle gehorcht, so ist es um ihn geschehen.«

»Herr, mir wird bange. Komm, laß uns gehen!«

Ich nahm den Hund wieder bei der Leine und das Mädchen bei der Hand. So stiegen wir bergab, wobei wir natürlich schneller abwärts kamen, als vorher bergan. Als wir die Einsattelung erreichten, wandten wir uns nach rechts hinab anstatt nach links hinüber, und das Mädchen kannte das Terrain so genau und führte mich so sicher, daß wir bereits nach einer starken Viertelstunde den Weg erreichten, welcher Lizan mit Schohrd verbindet. Hier blieb ich stehen und sagte:

»Nun kenne ich den Pfad; wir müssen uns trennen. Als ich heut hier herabgeschleppt wurde, habe ich mir den Weg genau angesehen. Ich danke Dir, Ingdscha. Morgen sehen wir uns wieder. Gute Nacht!«

»Gute Nacht!«

Sie hatte meine Hand ergriffen und einen kaum fühlbaren Kuß darauf gehaucht; dann eilte sie wie ein verscheuchtes Reh in das Dunkel der Nacht hinein. Ich stand eine volle Minute lang bewegungslos, dann schlug ich den Weg nach Lizan ein, während meine Gedanken sich – rückwärts nach Schohrd bewegten.

Ich mochte vielleicht die Hälfte der Strecke zurückgelegt haben, als ich den Hufschlag eines Pferdes vor mir erschallen hörte. Ich trat zur Seite hinter einen Busch, um nicht gesehen zu werden. Der Reiter kam eilig näher und an mir vorüber – es war der Raïs. Schon war er vorüber, da rief ich ihn an:

»Nedschir-Bey!«

Er hielt sein Pferd an.

Ich machte Dojan von der Leine frei, um ihn in seinen Bewegungen nicht zu hindern, falls mir sein Beistand nöthig würde, und trat dann zu dem Raïs.

»Wer bist Du?« frug er.

»Dein Gefangener,« antwortete ich, sein Pferd beim Maule fassend.

Er beugte sich vor und sah mir in das Gesicht. Dann griff er nach mir; ich aber war schneller und packte seine Faust.

»Nedschir-Bey, höre in Ruhe, was ich Dir zu sagen habe. Der Ruh 'i kulyan sendet mich: Du sollst sofort zur Höhle kommen.«

»Lügner! Wer hat Dich befreit?«

»Wirst Du dem Rufe des Geistes folgen oder nicht?«

»Hund, ich tödte Dich!«

Er langte mit seiner freien Hand nach dem Gürtel, zu gleicher Zeit aber gab ich ihm aus allen Kräften einen plötzlichen Ruck; er wurde bügellos und flog in einem weiten Bogen vom Pferde herab.

»Dojan, faß!«

Der Hund warf sich auf ihn, während ich mir Mühe geben mußte, das Pferd zu beruhigen. Als mir dies gelungen war, sah ich den Raïs bewegungslos am Boden liegen; Dojan stand über ihm und hatte zwischen seinem aufgesperrten Gebiß den Hals des Mannes.

»Nedschir-Bey, die kleinste Bewegung oder das leiseste Wort kostet Dir das Leben; dieser Hund ist schlimmer als ein Panther. Ich werde Dich binden und Dich mit nach Lizan nehmen; rührst Du ein Glied falsch, oder sagst Du ein lautes Wort gegen meinen Willen, so lasse ich Dich zerreißen.«

Er sah den grimmigen Tod vor Augen und wagte nicht den geringsten Widerstand. Zunächst nahm ich ihm seine Waffen ab: – Flinte und Messer. Dann fesselte ich ihn mit der starken Hundeleine grad in der Weise, wie man mich gefesselt hatte, und endlich stieß ich ihn empor und band ihn an den Steigbügel, grad so, wie man es mir gemacht hatte.

»Erlaube, Nedschir-Bey, daß ich aufsteige; Du bist heut lang genug zu Pferde gesessen. Vorwärts!«

Er folgte ohne Widerstand, denn er mußte einsehen, daß derselbe vollständig nutzlos wäre. Es fiel mir nicht ein, meine jetzige vortheilhafte Lage zu benutzen, um den Mann zu verhöhnen, und so verhielt ich mich vollständig schweigsam. Er selbst unterbrach die Stille, aber in einem so vorsichtigen Tone, daß ich die Befürchtung heraushörte, der Hund werde ihn beim ersten Laute packen.

»Herr, wer hat Dich befreit?«

»Das hörst Du später.«

»Wohin bringst Du mich?«

»Das wirst Du sehen.«

»Ich werde Madana peitschen lassen!« grollte er.

»Das wirst Du bleiben lassen! Wo hast Du meine Waffen und die andern Sachen?«

»Ich habe sie nicht.«

»Sie werden sich finden. Höre, Nedschir-Bey, hast Du kein besseres Pferd als dieses?«

»Ich habe Pferde genug!«

»Das ist mir lieb. Ich werde sie mir morgen ansehen und mir eins derselben auswählen für das, welches Du mir heut erschießen ließest.«

»Der Scheïtan wird Dir eins geben. Morgen um diese Zeit bist Du wieder gefangen!«

»Wollen sehen!«

Jetzt trat wieder Stille ein. Er trabte gezwungener Weise neben her, der Hund hart an seinen Füßen, und bald sahen wir Lizan vor uns liegen.

Der Ort hatte sich während meiner Abwesenheit in ein Heerlager verwandelt. Drüben auf dem rechten Ufer des Zab herrschte vollständige Dunkelheit, hüben aber brannte Feuer an Feuer, an welchen zahlreiche Männergruppen lagen oder standen. Das größte Feuer brannte vor dem Hause des Melek, wie ich schon von Weitem bemerkte. Um jeden unnützen Aufenthalt zu vermeiden, setzte ich mein Pferd in Trab; der Gefangene mußte gleichfalls traben. Dennoch erkannte man mich allenthalben.

»Der Fremde, der Fremde!« erscholl es, wo ich vorüber kam. Oder es ertönte der Ruf: »Nedschir-Bey! Und gefangen!«

Wir hatten bald ein zahlreiches Gefolge hinter uns, welches sich Mühe gab, mit uns Schritt zu halten. So gelangten wir zum Hause des Melek. Hier waren wenigstens sechzig Bewaffnete versammelt. Der Erste, den ich erblickte, war – Sir David Lindsay, welcher behaglich an der Mauer lehnte. Als er mich sah, ging mit seinem gelangweilten Gesichte eine gewaltige Veränderung vor: – die Stirn schob sich empor, und das Kinn fiel tief herunter, als sei es in Ohnmacht gesunken; der Mund öffnete sich, als solle ein ganzer Fowling-bull verschlungen werden, und die Nase richtete sich auf, wie der Hals eines Gemsbockes, wenn etwas Verdächtiges in den Wind kommt. Dann that der lange David einen herkulischen Sprung auf mich zu und fing mich, der ich soeben vom Pferde springen wollte, in seinen geöffneten Armen auf.

»Master, Sir!« brüllte er. »Wieder da? Heigh-day-heisa! Huzza! Welcome! Hail, hail, hail!«

»Na, erdrückt mich nicht, Sir David! Andere Leute wollen auch etwas von mir übrig behalten!«

»Eh! Oh! Ah! Wo habt Ihr gesteckt? Wo gewesen? Wie gegangen, he? Selbst befreit? Lack-a-day, Gefangenen mitgebracht! Wunderbar! Unbegreiflich! Yes!«

Da aber wurde ich bereits von der andern Seite gefaßt.

»Allah illa allah! Da bist Du ja, Effendi! Allah und dem Propheten sei Dank! Nun sollst Du erzählen!«

Es war Mohammed Emin. Und Amad el Ghandur, sein Sohn, welcher neben ihm stand, rief:

»Wallahi, das hat Gott geschickt! Nun hat die Noth ein Ende. Sihdi, reiche uns Deine Hand!«

Und dort seitwärts stand der kleine brave Hadschi Halef Omar. Er sagte kein Wort, aber in seinen treuen Augen funkelten zwei große Freudentropfen. Ich reichte auch ihm die Hand:

»Halef, das habe ich zum großen Theile Dir zu danken!«

»Rede nicht, Sihdi!« antwortete er. »Was bin ich gegen Dich? Eine schmutzige Ratte, ein häßlicher Igel, ein Hund, der froh ist, wenn ihn Dein Auge mit einem Blick beglückt!«

»Wo ist der Melek?«

»Im Hause.«

»Und der Bey?«

»In der verborgensten Stube, weil er die Geisel ist.«

»Laßt uns hineingehen!«

Es hatte sich eine große Menschenmenge um uns versammelt. Ich schnürte den Raïs vom Bügel los und bedeutete ihm, mit mir in das Haus zu treten.

»Du bringst mich nicht hinein!« knirschte er.

»Dojan, paß auf!«

Dieser Ruf genügte. Ich ging voran, das Ende der Schnur in der Hand haltend, und der Gefangene folgte ohne Zögern. Als die Thür geschlossen war, erhob sich draußen ein tosendes, hundertstimmiges Murmeln: die Menge suchte sich den für sie noch geheimnißvollen Vorgang zu erklären. Drinnen trat uns der Melek entgegen. Als er mich erblickte, stieß er einen Ruf der lebhaftesten Freude aus und streckte mir beide Hände entgegen.

»Emir, was sehe ich! Du bist wieder zurück? Heil und unverletzt? Und hier – – ah, Nedschir-Bey! Gefangen!«

»Ja. Kommt herein und laßt Euch erklären!«

Wir traten in den größten Raum des Erdgeschosses, wo Platz für uns Alle war. Hier ließen sie sich erwartungsvoll auf die Matten nieder, während der Raïs stehen mußte; seine Leine hatte der Hund zwischen den Zähnen, der bei der geringsten Bewegung des Gefangenen ein drohendes Knurren ausstieß.

»Wie ich in die Hände des Raïs von Schohrd gerathen bin, und wie man mich behandelt hat, das hat Euch wohl hier Halef ausführlich erzählt?« frug ich.

»Ja,« erklang es im Kreise.

»So brauche ich es nicht zu wiederholen und – – –«

»O doch, Emir, erzähle es noch einmal selbst!« unterbrach mich der Melek.

»Später. Jetzt haben wir keine Zeit dazu, denn es gibt sehr Nothwendiges zu thun.«

»Wie wurdest Du frei, und wie ward der Raïs selbst Dein Gefangener?«

»Auch das sollt Ihr später ausführlich hören. Der Raïs hat die ganze Umgegend aufgestachelt, sich morgen früh auf die Berwari zu werfen. Das wäre das Verderben der Chaldani – –«

»Nein!« ließ sich eine Stimme vernehmen.

»Streiten wir uns nicht! Es gab nur Einen, der hier helfen konnte, nämlich der Ruh 'i kulyan – – –«

»Der Ruh 'i kulyan!« erscholl es erstaunt und erschrocken.

»Ja, und ich ging zu ihm.«

»Wußtest Du seine Höhle?« frug der Melek.

»Ich fand sie und erzählte ihm Alles, was geschehen war. Er hörte mir ruhig zu und sagte mir, ich solle – – –«

»Er hat mit Dir gesprochen? Du hast seine Stimme gehört? – Emir, das ist noch keinem Sterblichen widerfahren,« rief einer der vornehmen Chaldäer, die mit uns eingetreten waren. »Du bist ein Liebling Gottes, und auf Deine Stimme müssen wir hören!«

»Thut es, Ihr Männer; das wird zu Eurem Heile gereichen!«

»Was sagte der Geist der Höhle?«

»Er sagte, ich solle sofort nach Lizan gehen und den Melek, den Bey von Gumri und den Raïs von Schohrd zu ihm bringen.«

Ein lautes »Ah!« der Verwunderung ging durch die Versammlung, und ich fuhr fort:

»Ich eilte herab und begegnete dem Raïs. Ich sagte ihm, daß er zu dem Ruh 'i kulyan kommen solle, und da er dem Rufe des Geistes nicht gehorchen wollte, so nahm ich ihn gefangen und brachte ihn hierher. Holt den Bey herbei, damit er es erfährt!«

Der Melek erhob sich.

»Emir, Du scherzest nicht?« frug er.

»Diese Sache ist zu ernst zum Scherze!«

»So müssen wir gehorchen. Aber ist es nicht gefährlich, den Bey mitzunehmen? Wenn er uns entflieht, so sind wir ohne Geisel.«

»Er muß uns versprechen, nicht zu entfliehen, und er wird sein Wort halten.«

»Ich hole ihn.«

Er ging und brachte nach wenigen Augenblicken den Bey mit sich herein.

Als der Herrscher von Gumri mich erblickte, eilte er auf mich zu.

»Du bist wieder da, Herr!« rief er. »Alochhm d'Allah – Gott sei Dank, der Dich mir wiedergegeben hat! Ich habe die Kunde von Deinem Verschwinden mit großer Betrübniß vernommen, denn ich wußte, daß meine Hoffnung nur auf Dich allein zu setzen sei.«

»Auch ich habe an Dich mit banger Sorge gedacht, o Bey,« antwortete ich ihm. »Ich wußte, daß Du wünschest, mich frei zu sehen, und Allah, der immer gütig ist, hat mich aus der Gewalt des Feindes errettet und mich wieder zu Dir geführt.«

»Wer war der Feind? Dieser hier?«

Er deutete bei diesen Worten auf Nedschir-Bey.

»Ja,« antwortete ich ihm.

»Allah verderbe ihn und seine Kinder nebst den Kindern seiner Kinder! Bist Du nicht der Freund dieser Leute gewesen, so wie Du der meinige bist? Hast Du nicht gesprochen und gehandelt, wie es zu ihrem Besten diente? Und dafür hat er Dich überfallen und gefangen genommen! Siehst Du nun, was Du von der Freundschaft eines Nasarah zu erwarten hast?«

»Es gibt überall gute und böse Leute, unter den Muselmännern und unter den Christen, o Bey; darum soll der Freund nicht mit dem Feinde leiden.«

»Emir,« entgegnete er, »ich liebe Dich. Du hattest mein Herz erweicht, daß es Gedanken des Friedens hegte gegen diese Leute. Nun aber haben sie sich an Dir vergriffen, und darum mag das Messer zwischen mir und ihnen reden.«

»Bedenke, daß Du ihr Gefangener bist!« warf ich ein.

»Meine Berwari werden kommen und mich befreien,« antwortete er stolz.

»Sie sind ja bereits da, aber sie sind zu schwach an Zahl.«

»Es sind noch viele Tausend hinter ihnen.«

»Wenn diese kommen, so ist es um Dich geschehen. Sie würden Dich nur als Leiche finden. Du bist als Geisel hier und wirst den Angriff Deiner Leute mit dem Leben bezahlen müssen.«

»So sterbe ich. Allah hat Alles im Buche verzeichnet, was dem Gläubigen geschehen soll. Kein Mensch kann sein Kismet ändern.«

»Bedenke, daß der Melek mein Gastfreund ist! Er hat nicht gewollt, daß mir Übles geschehe, und nur der Raïs ist es gewesen, der ohne Wissen der Übrigen feindlich gegen uns gehandelt hat.«

»Wie bist Du entkommen, Herr?«

»Frage den Ruh 'i kulyan!«

»Den Ruh 'i kulyan?« rief er verwundert. »War er bei Dir?«

»Nein, ich war bei ihm, und er wünscht, daß auch Du zu ihm kommst.«

»Ich? Wann?« erkundigte er sich fast bestürzt.

»Sofort.«

»Herr, Du scherzest! Der Ruh 'i kulyan ist ein gewaltiger, mächtiger Geist, und ich bin nichts als ein armer Ölidschi, der vor dem Unsichtbaren zittern muß.«

»Er ist nicht unsichtbar.«

»Hast Du ihn gesehen?«

»Ich habe ihn gesehen und mit ihm gesprochen.«

»Und Du bist nicht sofort gestorben?«

»Wie Du siehst, lebe ich noch.«

»Ja, Ihr Emire aus Frankistan wißt, wie man mit Geistern zu verkehren hat!«

»Gibt es hier nicht viele Leute, die bei dem Ruh 'i kulyan gewesen sind, ohne darauf sterben zu müssen?«

»Sie haben zu ihm gesprochen, aber sie haben ihn nicht gesehen.«

»Ich habe Dir nicht gesagt, daß Du ihn sehen wirst. Er hat befohlen, daß der Melek, Du und Nedschir-Bey sofort zur Höhle kommen sollt. Willst Du diesem Befehle ungehorsam sein? Auch der Melek wird dahin kommen!«

»Dann gehe auch ich mit.«

»Das wußte ich. Aber wirst Du dabei nicht vergessen, daß Du der Gefangene des Melek bist?«

»Glaubt er, daß ich ihm entfliehe?«

»Er muß vorsichtig sein. Willst Du ihm versprechen, keinen Fluchtversuch zu machen, und gibst Du ihm Dein Wort, freiwillig wieder hierher zurückzukehren?«

»Ich gebe ihm mein Wort.«

»Reiche ihm die Hand!«

Er that dies, und der Melek versicherte ihm:

»Bey, ich vertraue Dir und werde Dich nicht bewachen, obgleich mir der Besitz Deiner Person jetzt wichtiger ist, als große Schätze. Wir werden nicht gehen, sondern reiten, und Du sollst frei auf Deinem Pferde sein.«

»Reiten?« frug ich. »Ist dies nicht unmöglich bei diesem Wege?«

»Es gibt einen Umweg,« antwortete er, »der zwar länger ist, auf welchem wir aber zu Pferd die Höhle eher erreichen, als wenn wir die Höhen mühsam erklettern. Du reitest mit, Herr?«

»Ja, obgleich ich nicht mit zum Geiste gehen werde.«

»Was aber soll mit Nedschir-Bey geschehen?«

Der Genannte wartete meine Antwort gar nicht ab, sondern sagte tückisch:

»Ich gehe nicht mit; ich bleibe hier!«

»Du hast gehört, daß Dich der Ruh 'i kulyan verlangt,« warnte ihn der Melek mit ernster Stimme.

»Was dieser Fremde sagt, brauche ich nicht zu beachten!«

»So willst Du dem Geiste nicht gehorchen?«

»Ich gehorche ihm, aber nicht, wenn er mir diesen Franken schickt!«

»Aber ich befehle es Dir!«

»Melek, ich bin Nedschir-Bey, der Raïs von Schohrd; Du hast mir nichts zu befehlen!«

Der Melek sah mich fragend an, darum wandte ich mich zu meinem kleinen Hadschi Halef Omar:

»Halef, hast Du gesehen, ob es hier Hhabalun gibt?«

»Siehe, dort im Winkel liegen genug, Herr,« antwortete er.

»Nimm davon und komm!«

Der kleine Hadschi merkte, was geschehen solle. Er versetzte dem Raïs, der ihm in der Richtung stand, einen nicht sehr freundschaftlichen Rippenstoß und nahm dann die aus Leff gearbeiteten Stricke vom Boden auf. Ich aber erklärte dem Melek:

»Will er nicht mit, so wird er gezwungen. Wir binden ihn auf das Pferd, so daß er sich nicht bewegen kann.«

»Versucht es,« drohte der Raïs. »Wer mir nahe kommt, dem thue ich so, wie Du es mit dem Manne Madana's gemacht hast!«

»Was meint er?« frug Halef.

»Er soll auf das Pferd gebunden werden, will aber einen Jeden niedertreten, der es wagt, sich ihm zu nahen.«

»Maschallah, der Mensch ist verrückt!«

Bei diesen Worten that der kleine Mensch einen Sprung, und im nächsten Augenblick lag der riesige Chaldani, welcher allerdings an den Händen gefesselt war, auf der Erde. Eine halbe Minute später waren ihm die Beine so fest und eng zusammengebunden, daß seine ganze Gestalt so unbeweglich war, als ob sie in einem Futterale stäke.

»Aber, Halef, er soll ja auf dem Pferde sitzen?« erinnerte ich.

»Ist nicht nöthig, Sihdi,« antwortete er. »Wir legen diesen Dschadd mit dem Bauch auf das Pferd; so kann er schwimmen lernen.«

»Wohl; schaffe ihn hinaus!«

Der Kleine faßte den Großen beim Kragen des Gewandes, hob ihn halb empor, drehte sich um, so daß Rücken auf Rücken kam, und schleifte ihn hinaus. Die Anderen folgten. Jetzt trat Lindsay zu mir heran.

»Master,« sagte er. »Habe nichts verstanden, nothing-not, weniger als nichts. Wohin geht Ihr?«

»Zum Höhlengeist.«

»Höhlengeist? Thunder-storm! Darf ich mit?«

»Hm! Eigentlich nicht.«

»Pshaw! Werde diesen Geist nicht aufessen!«

»Glaube es!«

»Wo wohnt er?«

»Droben in den Felsen.«

»Felsen? Gibt's da Ruinen?«

»Weiß nicht. Es war dunkel oben während meiner Anwesenheit.«

»Felsen! Höhlen! Ruinen! Geister! Vielleicht auch Fowling-bulls?«

»Ich glaube nicht.«

»Und dennoch gehe ich mit! War hier so lange allein; kein Mensch versteht mich. Bin froh, daß ich Euch wieder habe. Nehmt mich mit!«

»Nun wohl; aber zu sehen werdet Ihr wohl nichts bekommen.«

»Disagreeable, uncivil! Wollte auch einmal Geist sehen – Geist oder Gespenst! Gehe aber doch mit! Yes!«

Als wir aus dem Hause traten, war die ganze Bevölkerung Lizan's vor demselben versammelt; doch herrschte trotz der vielen Menschen eine tiefe Stille. Man sah bei dem Scheine der Fackeln ganz deutlich, daß ich mit Halef's Hilfe den Raïs auf das Pferd befestigte; aber keine Lippe regte sich, um nach der Ursache dieses gewiß ungewöhnlichen Verfahrens zu fragen. Unsere Pferde nebst den nöthigen Fackeln wurden herbeigeschafft, und dann erst, als wir aufsaßen, erklärte der Melek den Versammelten, daß wir im Begriffe ständen, den Ruh 'i kulyan aufzusuchen. Er befahl, bis zu unserer Wiederkehr nicht das Geringste zu unternehmen, und dann ritten wir zwischen den erstaunten Zuhörern davon.

Voran ritt der Melek mit dem Bey; dann folgte Halef, welcher das Pferd des Raïs am Zügel führte, und der Engländer beschloß mit mir den kleinen Zug. Der Melek und Lindsay trugen die beiden Fackeln, die den Weg erleuchten sollten.

Dieser Weg war zunächst ein gebahnter Pfad; später wichen wir von demselben ab, hatten aber Raum genug für zwei neben einander gehende Pferde. Es war ein überaus phantastischer Ritt. Unter uns lag das bisher nur von höchstens vier Europäern betretene Thal des Zab im tiefsten, unheimlichen Dunkel. Diesseits, rechts von uns, glänzte die blutrothe Lohe der Fackeln von Lizan zu uns herauf; links, jenseits des Wassers, zeigte ein mattheller Fleck die Stelle an, wo die Kurden lagerten; über uns dunkelte die Bergesmasse, auf deren Höhe der Geist hauste, der selbst mir ein Räthsel war, obgleich er mir erlaubt hatte, ihn zu ›recognosciren‹; und was nun uns Sechs selbst betraf, so ritten wir zwischen den gespenstischen Reflexen unserer Kienbrände, bestanden aus einem Araber der Sahara, einem Engländer, einem Kurden, zwei Nasarah und einem Deutschen und hatten einen Gefangenen in der Mitte.

Da bogen wir um eine Felsenkante; das Thal verschwand hinter uns, und vor uns tauchten die weit aus einander stehenden Stämme des Hochwaldes auf, auf dessen weichem Boden wir aufwärts ritten. Das flackernde Licht der beiden Flammen wanderte von Ast zu Ast, von Zweig zu Zweig, von Blatt zu Blatt; neben, vor und hinter uns huschte, schwirrte und flatterte es wie zwischen den Spalten eines Gespensterromanes; der schlafende Wald athmete schwer rauschend, und die Huftritte unserer Pferde in dem tiefen Humusboden klangen wie die fernher tönenden Wirbel eines Trommler-Trauermarsches.

»Schauerlich! Yes!« meinte der Engländer halblaut, indem er sich schüttelte. »Möchte nicht allein da zu dem Geiste reiten. Well! Ihr wart allein?«

»Nein.«

»Nicht? Wer war dabei?«

»Ein Mädchen.«

»A maid! Good lack! Jung?«

»Ja.«

»Schön?«

»Sehr!«

»Interessant?«

»Versteht sich! Interessanter als ein Fowling-bull.«

»Heavens, habt Ihr Glück! Erzählt!«

»Später, Sir. Ihr werdet sie morgen auch sehen.«

»Well! Werde beurtheilen, ob sie wirklich interessanter ist, als Fowling-bull. Yes!«

Das leise geführte Gespräch verstummte wieder. Es lag etwas Heiliges, Unberührbares in dieser tiefen Waldesnacht, und von jetzt an gab es keinen andern Laut als nur zuweilen das Schnauben eines unserer Pferde. So kamen wir immer weiter empor, bis wir einen Bergkamm erreichten, wo die beiden Voranreitenden anhielten.

»Wir sind am Ziele,« sagte der Melek. »Hier drüben, zweihundert Schritte hinab sind die Felsen, in denen sich die Höhle befindet. Hier steigen wir ab und lassen unsere Pferde zurück. Gehst Du mit?«

»Ja, um des Raïs willen, aber nur bis zur Höhle. Löscht die Fackeln aus!«

Wir banden die Pferde, bei denen Halef und Lindsay zurückbleiben sollten, an die Bäume und knüpften dann den Raïs los. Damit er gehen konnte, wurden ihm auch die Bande von den Beinen genommen. Dojan, der Hund, stand dabei und beobachtete ihn mit Augen, die selbst in der Dunkelheit zu erkennen waren; sie hatten fast jenen phosphorescirenden Glanz, welchen man an den Augen einer Tintorera bemerkt, wenn des Nachts das Meerwasser leuchtet und man dieses fürchterliche Ungeheuer in der durchsichtigen Fluth deutlich erkennen kann.

»Raïs, Du folgst dem Melek und dem Bey. Ich gehe hinter Dir. Zauderst Du, so lernst Du die Zähne dieses Hundes doch noch kennen!«

Mit diesen Worten gab ich das Zeichen, unsern Weg nun fortzusetzen. Die angegebene Reihenfolge wurde beibehalten, und Nedschir-Bey weigerte sich nicht im Mindesten, meiner Weisung Folge zu leisten. Wir schritten quer über den Bergkamm hinüber und dann eine Steilung hinab, von welcher aus ich die Felsen unter uns liegen sah. Nach kaum mehr als fünf Minuten standen wir an demselben Orte, an dem Ingdscha während meiner Unterredung mit dem Ruh 'i kulyan auf mich gewartet hatte.

»Ihr sollt in die Höhle treten und dann so lange gradaus gehen, bis Ihr Licht findet,« bemerkte ich.

Das Abenteuer schien die Betheiligten doch nicht so ganz gleichgültig zu lassen, wie ich aus ihren langen, tiefen Athemzügen schloß; denn ihre Gesichter konnte ich nicht deutlich sehen.

»Emir, binde mir die Arme los!« bat da der Raïs.

»Das wollen wir nicht wagen,« antwortete ich.

»Ich entfliehe nicht; ich gehe mit hinein!«

»Schmerzen sie Dich?«

»Gar sehr.«

»Du hast sie mir ganz ebenso binden lassen, und ich mußte die gleichen Schmerzen noch viermal länger ertragen, als Du. Dennoch würde ich die Schnur lösen, aber ich glaube Deiner Versicherung nicht.«

Er schwieg; mein Mißtrauen war also wohl begründet gewesen. Die beiden Andern nahmen ihn in ihre Mitte.

»Herr, bleibst Du hier, oder gehst Du zu den Pferden zurück?« frug der Bey.

»Wie Ihr es wollt.«

»So bleibe hier. Dieser Mann könnte es doch noch nothwendig machen, Dich zu brauchen.«

»So geht; ich werde Euch hier erwarten.«

Sie gingen, und ich ließ mich auf einen Stein nieder. Der Hund hatte seine Pflicht so gut begriffen, daß er dem Raïs so lange folgte, bis ich ihn zurückrief. Nun kauerte er sich neben mir nieder, legte mir den feinen Kopf auf das Knie und ließ sich von meiner Hand streicheln.

So saß ich eine lange, lange Zeit allein im Dunkel. Meine Gedanken schweiften zurück über Berg und Thal, über Land und Meer zur Heimat. Wie mancher Forscher hätte viel dafür gegeben, hier an meiner Stelle sein zu können! Wie wunderbar hatte mich Gott bis hierher geleitet und beschützt, während ganze, große, wohl ausgerüstete Expeditionen da zu Grunde gegangen und vernichtet worden waren, wo ich die freundlichste Aufnahme gefunden hatte! Woran lag dies? Wie viele Bücher hatte ich über fremde Länder und ihre Völker gelesen und dabei wie viele Vorurtheile in mich aufgenommen! Ich hatte manches Land, manches Volk, manchen Stamm ganz anders – und besser gefunden, als es mir geschildert worden war. Der Gottesfunken ist im Menschen niemals vollständig zu ersticken, und selbst der Wildeste achtet den Fremden, wenn er sich selbst von diesem geachtet sieht. Ausnahmen gibt es überall. Wer Liebe säet, der wird Liebe ernten, bei den Eskimos wie bei den Papuas, bei den Aïnos wie bei den Botokuden. Mit so ganz heiler Haut war ich zwar auch nicht davongekommen, denn einige Schmarren, Schrammen und Löcher hatte diese Haut doch immerhin davongetragen; aber doch nur, weil ich, so zu sagen, als ›armer Reisender‹ gewandert war, und man weiß ja, daß selbst der höflichste ›Handwerksbursche‹ zuweilen ein scharfes Wort oder gar einen unsympathischen Klapps mit in den Kauf nehmen muß. Dürfte ich doch ein Pionnier der Civilisation, des Christenthums sein! Ich würde nicht zurückdrängend oder gar vernichtend unter meine fernen Brüder treten, die ja ebenso Gottes Kinder sind, wie wir stolzen Egoisten; ich würde jede Form der Kultur und auch den kleinsten ihrer Anfänge schätzen; es kann ja nicht der eine Sohn Allvaters grad so wie der andere sein, und nicht dem Eigennutze, sondern nur der Selbstlosigkeit kann es gelingen, mit wirklichem Erfolge das erhabene Wort zu lehren, das ›den Frieden predigt und das Heil verkündigt‹. Dieses Wort, es stammt ja nicht von einem Xerxes, Alexander, Cäsar oder Napoleon, sondern von Dem, der in einem Stalle geboren wurde, aus Armuth Ähren aß und nicht wußte, wohin er sein Haupt legen sollte, und dessen erste Predigt lautete: »Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen!« –

So verging weit über eine Stunde, und noch saß ich allein. Ich wollte fast befürchten, daß den Gefährten in der Höhle ein Unfall widerfahren sei, und ging bereits mit mir zu Rathe, ob es nicht besser wäre, ihnen zu folgen, als ich endlich Schritte hörte.

Ich erhob mich. Es waren die Drei, und – wie ich gleich sah – man hatte dem Raïs die Fesseln gelöst.

»Du hast sehr lange warten müssen!« bedauerte der Melek.

»Ich bangte bereits für Euch,« antwortete ich, »und wäre wohl in Kurzem nachgekommen.«

»Das war nicht nöthig. Herr, wir haben den Ruh 'i kulyan gesehen und mit ihm gesprochen!«

»Habt Ihr ihn erkannt?«

»Ja. Es war – – – sage Du zuerst den Namen!«

»Marah Durimeh?«

»Ja. Emir. Wer hätte dies gedacht!«

»Ich! Ich habe es geahnt schon seit längerer Zeit. Was habt Ihr mit ihr gesprochen?«

»Das ist Geheimniß und wird Geheimniß bleiben. Herr, diese Frau ist eine berühmte Meleka, und was sie zu uns redete, hat unsere Herzen zum Frieden gestimmt. Die Berwari werden unsere Gäste sein und Lizan dann als unsere Freunde verlassen.«

»Ist dies wirklich so?« frug ich, herzlich erfreut.

»Es ist so,« antwortete der Bey von Gumri. »Und weißt Du, wem wir dies zu verdanken haben?«

»Dem Ruh 'i kulyan.«

»Ja, aber zunächst doch Dir. Emir, die alte Königin hat uns befohlen, Deine Freunde zu sein, aber wir waren es ja bereits schon vorher. Bleibe bei uns in diesem Lande als mein Bruder und als unser Aller Bruder!«

»Ich danke Euch! Auch ich liebe das Land meiner Väter und möchte einst mein Haupt in demselben zur Ruhe legen; aber ich werde mit meinen Gefährten bei Euch weilen so lange, als es meine Zeit gestattet. Wird Marah Durimeh auch fernerhin der Ruh 'i kulyan bleiben?«

»Ja, doch Niemand darf es wissen, daß sie es ist. Wir haben geschworen, es zu verschweigen, bis sie gestorben ist. Auch Du wirst nicht davon sprechen, Emir?«

»Zu keinem Menschen!«

»Sie wird Dich morgen nach der Zeit des Mittages in meinem Hause besuchen, denn sie hat Dich lieb, als ob Du ihr Sohn oder Enkel seist,« bemerkte der Melek. »Jetzt aber laßt uns gehen.«

»Und die Chaldani, die Nedschir-Bey zusammengerufen hat?« frug ich rasch, denn ich wollte sicher gehen.

Da trat der Erwähnte zu mir heran und reichte mir die Hand entgegen.

»Herr, sei auch mein Freund und Bruder, und verzeihe mir! Ich bin auf falschem Wege gewandelt und will gern umkehren. Du sollst Alles wieder erhalten, was ich Dir abgenommen habe, und ich werde gleich jetzt zum Versammlungsorte meiner Leute gehen, um ihnen zu sagen, daß Frieden ist.«

»Nedschir-Bey, nimm meine Hand; ich verzeihe Dir gern! Aber weißt Du, wer mich aus der Gefangenschaft befreit hat?«

»Ich weiß es. Marah Durimeh hat es mir gesagt. Madana und Ingdscha sind es gewesen, und meine Tochter hat Dich dann selbst zum Ruh 'i kulyan geführt.«

»Du zürnest den Beiden?«

»Ich hätte ihnen sehr gezürnt und sie sehr hart bestraft; aber die Worte der alten Meleka haben mir die Erkenntniß gebracht, daß die beiden Frauen sehr wohl gehandelt haben. Erlaube, daß auch ich Dich besuche!«

»Ich bitte Dich darum! Nun aber kommt, Ihr Brüder! Meine zwei Gefährten werden sich um uns sorgen.«

Wir verließen den geheimnißvollen Ort, klimmten die Anhöhe empor und fanden den Engländer und Halef wirklich in großer Sorge um mich.

»Wo bleibt Ihr denn, Master?« rief mir Lindsay entgegen.

»Beinahe wäre ich gekommen, um diesen Hole-ghost um Euretwillen todtzuschlagen!«

»Ihr seht, daß diese kühne That nicht nöthig war, Sir.«

»Was gab es denn da unten?«

»Später, später; jetzt wollen wir aufbrechen.«

Da nahm mich Halef beim Arme.

»Sihdi,« raunte er mir zu, »dieser Sabej ist ja nicht mehr gefesselt!«

»Der Geist der Höhle hat ihn befreit, Halef.«

»So ist dieser Ruh 'i kulyan ein sehr unvorsichtiger Geist. Komm, Sihdi, laß uns den Menschen sofort wieder binden!«

»Nein. Er hat mich um Verzeihung gebeten, und ich habe ihm verziehen!«

»Sihdi, Du bist ebenso unvorsichtig wie der Geist! Aber ich werde klüger sein; ich bin Hadschi Halef Omar und verzeihe ihm nicht.«

»Du hast ihm nichts zu verzeihen!«

»Ich? Nicht?« frug er verwundert. »O viel, sehr viel, Sihdi!«

»Was denn?«

»Er hat sich an Dir vergriffen, an Dir, dessen Freund und Beschützer ich bin, und das ist viel ärger, als wenn er mich selbst gefangen genommen hätte. Wenn ich ihm verzeihen soll, so mag er auch mich um Verzeihung bitten. Ich bin kein Türke, kein Kurde und kein feiger Nasarah, sondern ein Radschul el arab, der seinen Sihdi nicht beleidigen und kränken läßt. Sage ihm das!«

»Vielleicht gibt es Gelegenheit dazu. Jetzt aber steige auf! Du siehst, die Andern sitzen bereits zu Pferde.«

Der Melek hatte neue Fackeln angebrannt, und der Rückweg wurde angetreten. Man war jetzt nicht so schweigsam wie aufwärts, und nur ich betheiligte mich nicht an dem Gespräche, welches von den drei Eingeborenen in fließendem Kurdisch, zwischen Lindsay und Halef aber mittelst englischer und arabischer Sprachbrocken geführt wurde, von denen die Beiden gegenseitig kaum den hundertsten Theil verstanden.

Unser Besuch auf dem Berge gab mir viel zu denken. Worin bestand die Macht, welche diese Marah Durimeh auf den Scheik sowohl als auch auf den Bey von Gumri ausübte? Der Umstand, daß sie Königin gewesen war, konnte an und für sich von keiner solchen Wirkung sein. Es gehörte mehr als dies dazu, um in so kurzer Zeit zwei Gegner zu versöhnen, die sich in Beziehung sowohl auf ihre Abstammung als auch auf ihren Glauben so schroff gegenüber standen. Und fast ebenso wunderbar war es, aus dem wilden, ungefügen Nedschir-Bey so schnell einen freundlichen, lammfrommen Mann zu machen. Warum sollte dies Alles Geheimniß bleiben, auch für mich? Ein anderes Menschenkind hätte sich mit einem solchen Einflusse, mit einer solchen Macht gebrüstet. Diese Marah Durimeh war nicht nur ein geheimnißvolles Menschenkind, sondern jedenfalls auch ein ungewöhnlicher, außerordentlicher Charakter. Welch ein Sujet für einen neugierigen Menschen, welcher sich in der weiten Welt umhertreibt, um interessante Gegenstände für seine Feder zu finden! Ich gestehe, daß mir jetzt das Geheimniß der alten Königin weit mehr am Herzen lag, als vorher die Streitigkeit zwischen den Kurden und Chaldani.

Als wir die Lichter von Lizan wieder vor uns erblickten, meinte der Raïs von Schohrd:

»Jetzt muß ich mich von Euch trennen.«

»Warum?« frug der Melek.

»Ich muß an den Versammlungsort meiner Leute, um ihnen zu sagen, daß Frieden ist, sonst könnten sie ungeduldig werden und noch vor dem Morgen gegen die Kurden losbrechen.«

»So gehe.«

Er ritt von uns rechts ab, und wir waren in zehn Minuten in Lizan. Die Leute empfingen uns mit neugierigen Gesichtern. Die laute Stimme des Melek rief sie zusammen, und dann richtete er sich in dem Sattel empor, um ihnen zu verkünden, daß aller Kampf zu Ende sei, weil der Ruh 'i kulyan es geboten habe.

»Wollen wir die Berwari bis morgen warten lassen?« fragte ich ihn dann.

»Nein. Sie sollen es sofort erfahren.«

»Wer soll der Bote sein?«

»Ich,« antwortete der Bey. »Sie werden Keinem so leicht glauben wie mir. Reitest Du mit, Herr?«

»Ja,« stimmte ich bei, »nur warte noch ein wenig.«

Ich wandte mich zu demjenigen Chaldani, der mir am nächsten stand, mit der Frage:

»Du kennst den Weg nach Schohrd?«

»Ja, Emir.«

»So genau, daß Du ihn auch im Dunkeln findest?«

»Ja, Emir.«

»Kennst Du dort Ingdscha, die Tochter des Raïs?«

»Sehr gut.«

»Und vielleicht auch ein Weib, welches Madana heißt?«

»Auch das.«

»So nimm jetzt ein Pferd und reite hin. Du sollst diesen Beiden sagen, daß sie sich ohne Sorgen zur Ruhe legen können, denn es ist Frieden. Der Raïs ist mein Freund geworden und wird ihnen nicht zürnen, daß ich aus der Hütte entkommen bin.«

Ich fühlte mich verpflichtet, den beiden braven Frauen Nachricht von dem glücklichen Ausgange der heutigen Verwicklungen zu geben; denn ich konnte mir ja denken, daß sie in Beziehung auf das Verhalten des Raïs sehr in Sorge sein würden. Und nun schloß ich mich dem Bey von Gumri an. Wir hatten unsere Pferde bereits in Gang gebracht, als uns der Melek nachrief:

»Bringt die Berwari mit! Sie sollen unsere Gäste sein.«

Ich kannte den Weg, trotzdem er durch Bäume und Sträucher sehr beschwerlich gemacht wurde. Aber wir hatten noch nicht viel über die Hälfte desselben zurückgelegt, als uns ein lauter Zuruf entgegenscholl:

»Wer kommt?«

»Freunde!« antwortete der Bey.

»Sagt die Namen!«

Jetzt erkannte der Bey den Posten an der Stimme.

»Sei ruhig, Talaf, ich bin es selbst!«

»Herr, Du selbst bist es? Schükr' allah – Gott sei Dank, daß ich den Ton Deiner Stimme vernehme! Ist es Dir gelungen, zu entfliehen?«

»Ich bin nicht entflohen. Wo lagert Ihr?«

»Reite grad aus, so wirst Du die Feuer sehen!«

»Führe uns!«

»Ich darf nicht, Herr!«

»Warum nicht?«

»Ich gehöre zu den Wachen, welche ausgestellt worden sind, und darf diesen Ort nicht eher verlassen, als bis ich abgelöst werde.«

»Wer befiehlt bei Euch?«

»Noch immer der Raïs von Dalascha.«

»Da habt Ihr Euch einen außerordentlich klugen Anführer gewählt, Jetzt aber bin ich da, und Ihr habt nur mir zu gehorchen. Die Wachen sind nicht mehr nöthig. Komm und führe uns!«

Der Mann nahm seine lange Flinte über die Schulter und schritt uns voran. Bald sahen wir die Lagerfeuer zwischen den Stämmen der Bäume leuchten und gelangten an denselben Platz, wo wir am vorigen Tage die Berathung gehalten hatten.

»Der Bey!« erklang es rundum.

Alle erhoben sich voll Freude, um ihn zu begrüßen. Auch ich wurde umringt und mit manchem freundschaftlichen Händedruck bewillkommnet. Nur der bisherige Anführer stand von ferne und beobachtete die Szene mit finsterem Blick. Er sah, daß seine Macht am Ende sei. Endlich aber trat er doch herbei und reichte dem Bey die Hand.

»Willkommen!« sagte er. »Du bist entronnen?«

»Nein. Man hat mich freiwillig frei gegeben.«

»Bey, das ist das größte Wunder, welches ich erlebe.«

»Es ist kein Wunder. Ich habe mit den Chaldani Frieden geschlossen.«

»Du hast zu schnell gehandelt! Ich habe nach Gumri gesandt, und in der Frühe werden viele Hunderte von Berwari zu uns stoßen.«

»Dann bist Du selbst es, der zu schnell gehandelt hat. Hast Du nicht gewußt, daß dieser Emir nach Lizan ging, um Frieden zu machen?«

»Er wurde überfallen.«

»Aber Du erfuhrst dann später, daß es nicht der Melek war, der ihn überfallen ließ.«

»Was bekommst Du von den Chaldani für den Frieden?«

»Nichts.«

»Nichts? O Bey, Du hast zu unklug gehandelt! Sie haben Dich überfallen und mehrere der Unserigen getödtet. Gibt es keine Blutrache und kein Blutgeld mehr im Lande?«

Der Bey blickte ihm ruhig lächelnd in das Gesicht; aber dieses Lächeln war beängstigend.

»Du bist der Raïs von Dalascha, nicht?« frug er mit sehr freundlicher Stimme.

»Ja,« antwortete der Andere verwundert.

»Und mich kennst Du wohl?«

»Warum sollte ich Dich nicht kennen!«

»So sage mir, wer ich bin!«

»Du bist der Bey von Gumri.«

»Richtig! Ich wollte nur sehen, ob ich mich täuschte; denn ich dachte, Dein Gedächtniß habe Dich verlassen. Was glaubst Du wohl, daß der Bey von Gumri dem Manne thun wird, der es wagt, ihn vor so vielen tapfern Männern unklug zu nennen?«

»Herr, willst Du mir meine Dienste mit Undank lohnen?«

Da auf einmal nahm die Stimme des Bey einen ganz anderen Ton an.

»Wurm!« donnerte er. »Willst Du gegen mich ebenso thun, wie Du es zuerst mit diesem Emir aus Frankistan gethan hast? Sein Mund wies Dich zurecht, und seine Hand hat Dich gezüchtigt. Soll ich mich vor Dir fürchten, da sich der Fremdling nicht scheut, Dich vom Pferde zu werfen! Welchen Dienst hast Du mir geleistet, und wer hat Dich zum Anführer ernannt? Bin ich es gewesen? Ich sage Dir, der Ruh 'i kulyan hat uns geboten, Frieden zu schließen, und weil die Stimme des Geistes zur Milde gerathen hat, so will ich auch Dir vergeben. Aber wage nicht noch einmal, gegen das zu handeln, was ich rede und was ich thue! Du steigst sofort zu Pferde und reitest nach Gumri, um den Berwari zu sagen, daß sie ruhig in ihren Dörfern bleiben können. Gehorchst Du nicht vollständig und augenblicklich, so bin ich mit diesen Kriegern morgen in Dalascha, und man soll von Behedri bis Schuraïsi, von Biha bis Beschukha im ganzen Lande Chal erfahren, wie der Sohn des gefürchteten Abd-el-Summit-Bey den Kiaja züchtigt, der ihm zu widerstreben wagt. Mache Dich auf und davon, Sklave der Türken!«

Die Augen des Bey leuchteten so unheimlich, und sein Arm streckte sich zu gebieterisch aus, daß der Raïs ohne ein weiteres Wort zu Pferde stieg und schweigend davonritt. Dann wandte sich der Bey zu den Andern:

»Holt die Wachen herbei, und folgt uns nach Lizan! Ihr sollt von unsern Freunden bewirthet werden.«

Mehrere eilten fort; die Andern löschten die Feuer aus, und ohne daß ein Wort der Frage oder des Widerspruchs gefallen war, hatten wir bereits nach zehn Minuten die Lichtung verlassen und ritten auf Lizan zu.

Als wir dort anlangten, bot sich uns eine sehr lebendige Scene dar. Man hatte mächtige Haufen Holzes errichtet, um die Feuer zu vermehren und zu vergrößern; viele Chaldani waren beschäftigt, Hammel zu schlachten, und sogar zwei prächtige Ochsen lagen erschlagen am Boden, um abgehäutet, ausgenommen, zerstückelt und dann an den Feuern gebraten zu werden. Dazu waren alle Üjütasch des Ortes zusammengeschleppt worden; sie bildeten eine lange Reihe, und an ihnen saßen die Frauen und Mädchen, um Körner in Mehl zu verwandeln und aus dem Mehl dann breite Brodfladen herzustellen.

Man begrüßte sich zunächst still, und die eine Schaar mengte sich vorsichtig und noch mißtrauisch unter die andere; aber bereits nach einer Viertelstunde hatte man sich in Freundschaft vereinigt, und überall erklangen fröhliche Stimmen, welche den Geist der Höhle lobten, weil er das Leid in Freude verwandelt hatte.

Wir Honoratioren (ich gebrauche dieses Wort natürlich mit ungeheurem Stolz) saßen im Parterre des Melek vereint, um beim Schmause über die Begebenheiten der letzten Tage zu reden. Natürlich war auch mein wackerer Halef dabei, der meine öffentliche Anerkennung seiner Treue und seines muthigen Verhaltens mit sichtlicher Genugthuung entgegennahm. Der Tag war bereits angebrochen, als ich mich mit den Gefährten in den oberen Raum des Hauses begab, um einige Stunden zu schlafen.

Als ich erwachte, hörte ich unten die bekannte Stimme des Raïs von Schohrd. Ich eilte hinab und wurde von ihm mit großer Freundlichkeit begrüßt. Er hatte mir Alles mitgebracht, was mir abgenommen worden war; es fehlte nicht das Geringste, und dazu sagte er mir, daß er zu jeder Genugthuung bereit sei, welche ich von ihm fordern möchte. Natürlich wies ich das entschieden ab.

Vor dem Hause lagen Kurden und Chaldani wirr durch einander. Sie schlummerten noch friedlich.

Da sah ich von unten herauf zwei weibliche Gestalten langsam nahen. Ich legte die Hand wie einen Schirm über die Augen und erkannte Ingdscha mit der holden ›Petersilie‹. Die alte, süße Madana hatte sich wahrhaft prachtvoll herausgeputzt, wie ich sah, als sie näher kamen. Ihr Haupt wurde beschattet von einem Hut, der bloß noch aus einer unendlich breiten Krämpe bestand, und um den übrigen Theil zu ersetzen, war ein großer Busch von Hahnenfedern über die klaffende runde Öffnung gebunden. An Stelle der Schuhe aber waren zwei prachtvoll rothe Fußlappen um die Füße gewickelt, leider aber war diese Farbe nicht mehr zu erkennen. Von ihren Hüften wallte ein buntscheckiger Teppich hernieder, welcher die Stelle des Rockes zu vertreten hatte und von einer Schärpe festgehalten wurde, welche ich an einem andern Ort für ein altes Küchenhandtuch gehalten hätte. Ihr Oberkörper war eingehüllt in ein Ding, für welches den richtigen Namen zu entdecken selbst dem gründlichsten Garderobekenner nicht gelungen wäre. Es war theils Kasawaika, theils Kartoffelsack, theils Beduine und theils lateinisches Segel, theils Concerttuch und theils Stuhlkappe, theils Saloppe und theils Geiferlatz. Zwischen diesem geheimnißvollen Toilettestück und dem Teppich guckte das Hemd hervor – aber, o süße Petersilie, ist dies Leinen oder Mastrichter Sohlenleder? Gibt es denn im Zab kein Wasser, traute Erretterin eines Emirs aus Germanistan?

Ganz anders wandelte Ingdscha nebenher. Ihr dichtes, volles Haar hing in zwei Zöpfen weit über den Rücken herab; auf dem Scheitel kokettirte ein kleines, in Falten gelegtes türkisch-rothes Tuch; schneeweiße, weite Frauenbeinkleider gingen bis zu niedlichen Smyrnaer Stiefelchen herab; ein blaues, gelbbeschnürtes Baschi-Bozukjäckchen reichte grad bis zur Taille, und darüber trug sie einen Saub von dünnem, blauen Baumwollenstoff.

Als sie näher kam und mich erblickte, färbten sich die Wangen ihres bräunlichen Gesichtes dunkler. Meine ›Petersilie‹ aber kam sofort mit Siebenmeilenschritten auf mich losgestiegen, legte die Arme über die Brust und forcirte eine Verbeugung, welche so tief ging, daß die Spitzen ihrer Hüften fast über den wagerecht liegenden Rücken emporragten.

»Sabahh 'l ker – guten Morgen, Herr!« grüßte sie. »Du wolltest uns heute sehen, hier sind wir!«

Das war eine militärisch kurze Meldung; ich antwortete:

»Seid willkommen und tretet mit mir in das Haus. Meine Gefährten sollen die Frauen kennen lernen, denen ich meine Rettung verdanke.«

»Herr,« sagte Ingdscha, »Du hast uns einen Boten gesandt; wir danken Dir, denn wir waren wirklich in Sorgen.«

»Hast Du Deinen Vater bereits gesehen?«

»Nein. Er ist seit gestern nicht in Schohrd gewesen.«

»Er ist hier. Komm herein!«

Schon unter der Thür stießen wir auf den Raïs, welcher soeben das Haus verlassen wollte. Er machte ein einigermaßen erstauntes Gesicht, als er seine Tochter erblickte, frug sie aber doch mit freundlicher Stimme:

»Suchst Du mich?«

»Es ist Krieg, und ich habe Dich seit gestern nicht gesehen,« antwortete sie.

»Ängstige Dich nicht; die Feindschaft ist vorüber. Geht zur Frau des Melek; ich habe keine Zeit.«

Er schritt hinaus, schwang sich auf sein Pferd und ritt davon. Ich aber stieg mit den Beiden nach oben, wo die Genossen soeben ihre Morgentoilette beendet hatten.

»Heigh-day, wen bringt Ihr da, Master?« frug Lindsay.

Ich nahm die beiden Frauen bei der Hand und führte sie ihm zu.

»Das sind die beiden Ladies, welche mich aus der Höhle des Löwen befreiten, Sir,« antwortete ich. »Diese hier ist Ingdscha, die Perle, und diese andere heißt Madana, die Petersilie.«

»Petersilie, hm! Aber diese Perle ist prächtig! Habt Recht gehabt, Master! Aber beide brav, alle Beide. Werde ihnen ein Geschenk geben, gut bezahlen, sehr gut. Yes!«

Auch die andern waren erfreut, meinen Besuch kennen zu lernen, und ich darf wohl sagen, daß den beiden Chaldäerinnen sehr viel Achtung und Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Sie blieben da bis Mittag, wo sie das Mahl noch mit uns einnehmen mußten, und dann begleitete ich sie eine Strecke Weges nach Schohrd zu. Als ich von ihnen schied, frug Ingdscha:

»Herr, hast Du Dich wirklich mit meinem Vater ausgesöhnt?«

»So ist es.«

»Und hast Du ihm vollständig verziehen?«

»Vollständig.«

»Und er zürnt mir nicht? Er wird mich nicht schelten?«

»Er wird Dir nicht ein unfreundliches Wort sagen.«

»Wirst Du ihn einmal besuchen?«

»Bin ich denn Dir und ihm willkommen, Ingdscha?«

»Ja, Herr!«

»So komme ich bald, vielleicht schon heute, vielleicht auch morgen.«

»Ich danke Dir. Lebe wohl!«

Sie reichte mir die Hand und schritt weiter.

Madana aber blieb bei mir stehen und wartete, bis das Mädchen außer Hörweite war; dann frug sie:

»Herr, weißt Du noch, was wir gestern gesprochen haben?«

Ich ahnte, was jetzt kommen werde, und antwortete daher lächelnd:

»Jedes Wort.«

»Und doch hast Du ein Wort vergessen.«

»Ah! Welches?«

»Besinne Dich!«

»Ich glaube, Alles zu wissen.«

»O, grad das beste, das allerbeste Wort hast Du vergessen.«

»So sage es!«

»Das Wort von dem Geschenke!«

»Meine gute Madana, ich habe es nicht vergessen. Verzeihe mir, ich komme aus einem Lande, wo man die Frauen höher hält, als alles Andere. Sie, die so schön, so zart und liebenswürdig sind, sollen sich nicht mit schweren Lasten plagen. Darum haben wir Euch Eure Geschenke nicht mitgegeben. Ihr sollt sie nicht diesen weiten Weg nach Schohrd tragen müssen, sondern wir werden sie Euch heute noch senden. Und wenn ich morgen komme, so wird Dein Anblick mein Herz erfreuen, denn ich werde Dich geschmückt sehen mit dem, was ich Dir aus Dankbarkeit verehre.«

Die Wolke schwand, und heller Sonnenschein glänzte auf dem runzeligen Angesicht der guten Petersilie. Dieselbe schlug die Hände zusammen und rief:

»O, wie glücklich müssen die Frauen Deines Landes sein! Ist es weit bis dahin?«

»Sehr weit.«

»Wie viele Tagreisen?«

»Weit über hundert.«

»Wie Schade! Aber Du kommst morgen wirklich?«

»Sicher!«

»Dann lebe wohl, Herr! Der Ruh 'i kulyan hat gezeigt, daß Du sein Liebling bist, und auch ich versichere Dir, daß ich Deine Freundin bin!«

Nun gab sie mir die Hand und eilte Ingdscha nach. Wäre Germanistan nicht so viele Tagreisen entfernt gewesen, so hätte meine Petersilie vielleicht versucht, aus eigener Anschauung kennen zu lernen, ›wie glücklich unsere Frauen sind‹!

Ich hatte den Rückweg noch nicht sehr weit verfolgt, als ich eine Gestalt rechts von der Höhe herabsteigen sah. Es war die alte Marah Durimeh. Auch sie hatte mich erkannt; sie blieb stehen und winkte mir. Als sie sah, daß ich ihrem Winke Folge leistete, drehte sie sich um und stieg mit langsamen Schritten wieder den Berg hinan, wo sie hinter einem Gesträuch verschwand. Dort erwartete sie mich.

»Der Friede Gottes sei mit Dir, mein Sohn!« begrüßte sie mich. »Verzeihe mir, daß ich Dich zu mir heraufsteigen ließ. Meine Seele hat Dich lieb, und im Hause des Melek kann ich nicht allein mit Dir sein; darum rief ich Dich zu mir. Hast Du ein wenig Zeit für mich?«

»So viel Du willst, meine gute Mutter.«

»So komm!«

Sie nahm mich bei der Hand, wie es eine Mutter mit ihrem Kinde thut, und führte mich noch einige hundert Schritte weiter, bis wir einen moosbewachsenen Fleck erreichten, von welchem aus man die ganze Gegend überblicken konnte, ohne selbst bemerkt zu werden. Sie setzte sich nieder.

»Komm, nimm an meiner Seite Platz!«

Ich folgte ihrem Gebote. Sie ließ den weiten Mantel fallen, und nun saß sie neben mir so greis, so ehrwürdig, so Ehrfurcht gebietend, wie eine Gestalt aus der Zeit der Propheten Israel's.

»Herr,« begann sie, »blicke auf, dahin zwischen Süd und Ost. Diese Sonne bringt Frühling und Herbst, bringt Sommer und Winter; ihre Jahre sind mehr als hundert Male über mein Haupt dahingegangen. Siehe dieses Haupt an! Es hat nicht mehr das Grau des Alters, sondern das Weiß des Todes. Ich sagte Dir bereits in Amadijah, daß ich nicht mehr lebe, und ich habe die Wahrheit gesprochen; ich bin ein – Geist, der Ruh 'i kulyan.«

Sie hielt inne. Ihre Stimme klang dumpf und hohl, wie wirklich aus dem Grabe heraus; aber sie vibrirte doch wie unter der Regung eines lebendigen Herzens, und die Augen, welche auf das Gestirn des Tages gerichtet waren, zeigten einen lichten, feuchten Glanz.

»Ich habe viel gehört und viel gesehen,« fuhr sie fort. »Ich sah den Hohen fallen und den Niedern emporsteigen; ich sah den Bösen triumphiren und den Guten zu Schanden werden; ich sah den Glücklichen weinen und den Unglücklichen jubeln. Die Gebeine des Muthigen zitterten vor Angst, und der Zaghafte fühlte den Muth des Löwen in seinen Adern. Ich weinte und lachte mit; ich stieg und sank mit – dann kam die Zeit, in der ich denken lernte. Da fand ich, daß ein großer Gott das All regiert und daß ein lieber Vater Alle bei der Hand hält, den Reichen und den Armen, den Jubelnden und den Weinenden. Aber Viele sind abgefallen von ihm; sie lachen über ihn. Und noch Andere nennen sich zwar seine Kinder, aber sie sind dennoch die Kinder dessen, der in der Dschehennah wohnt. Darum geht ein großes Leid hin über die Erde und über die Menschen, die sich nicht von Gott strafen lassen wollen. Und doch kann keine zweite Sündfluth kommen, denn Gott würde keinen Noah finden, der der Vater eines besseren Geschlechtes werden kann.«

Sie machte eine neue Pause. Ihre Worte, der Ton ihrer Stimme, dieses todte und doch so sprechende Auge, ihre langsamen, müden und doch so bezeichnenden Gesten machten einen tiefen Eindruck auf mich. Ich begann die geistige Herrschaft zu begreifen, welche dieses Weib auf die intellectuell armen Bewohner dieses Landes ausübte. Sie fuhr fort:

»Meine Seele zitterte, und mein Herz wollte brechen; das arme Volk erbarmte mich. Ich war reich, sehr reich an irdischen Gütern, und in meinem Herzen lebte der Gott, den sie verworfen hatten. Mein Leben starb, aber dieser Gott starb nicht mit. Er berief mich, seine Dienerin zu sein. Und nun wandere ich von Ort zu Ort, mit dem Stab des Glaubens in der Hand, um zu reden und zu predigen von dem Allmächtigen und Allgütigen, nicht mit Worten, die man verlachen würde, sondern mit Thaten, welche segnend auf Jene fallen, die der Barmherzigkeit des Vaters bedürftig sind. Die alte Marah Durimeh und der Ruh 'i kulyan sind Dir ein Räthsel gewesen; sind sie es Dir auch jetzt noch, mein Sohn?«

Ich konnte nicht anders, ich mußte ihre dürre Knochenhand erfassen und an meine Lippen drücken.

»Ich verstehe Dich!«

»Ich wußte es, daß es bei Dir nur dieser Worte bedurfte; denn auch Du ringst mit dem Leben, ringst mit den Menschen außer Dir und mit dem Menschen in Dir selbst.«

Ich schaute rasch auf zu ihr. War sie mit der Gabe des Sehens begnadet? Wie kam es, daß ihr Auge so tief drang und so richtig blickte? Ich antwortete nicht, und sie fuhr nach einer Weile fragend fort:

»Du bist ein Emir in Deinem Lande?«

»Nicht das, was bei Euch ein Emir ist. Bei uns gibt es Emire der Geburt, Emire des Geldes, Emire des Wissens und Emire des Leidens, des Duldens und des Ringens.«

»Zu welchen gehörest Du?«

»Zu den Letzteren.«

Sie blickte mich lange forschend an; dann frug sie:

»Bist Du reich?«

»Ich bin arm.«

»Arm an Gold und Silber, aber nicht arm an andern Gütern; denn Dein Herz teilt Gaben aus, die Andere erfreuen. Ich habe gehört, wie viele Freunde Du Dir erworben hast, und auch mich hast Du beglückt. Warum bleibst Du nicht daheim; warum gehest Du in ferne Länder? Man sagt, Du wanderst, um mit Deinen Waffen Thaten zu verrichten; aber dies ist nicht wahr, denn die Waffen tödten, und Du willst den Tod des Nächsten nicht.«

»Marah Durimeh, ich habe noch Keinem gesagt, weßhalb ich die Heimat immer wieder verlasse; Du aber sollst es hören.«

»Weiß es auch in Deiner Heimat Niemand?«

»Nein. Ich bin dort ein unbekannter, einsamer Mann; aber diese Einsamkeit thut meinem Herzen wohl.«

»Mein Sohn, Du bist noch jung. Hat Dir Allah bereits solches Leid bescheert, daß Deine Seele einwärts geht?«

»Das ist es nicht, sondern es ist das, was Dich noch leben läßt,« erwiederte ich.

»Erkläre es mir!« sagte sie.

»Wer in der Wüste schmachtet, der lernt den Werth des Tropfens erkennen, der dem Dürstenden das Leben rettet. Und auf wem das Gewicht des Leides und der Sorge lastete, ohne daß eine Hand sich helfend ihm entgegenstreckte, der weiß, wie köstlich die Liebe ist, nach der er sich vergebens sehnte. Und doch ist mein ganzes Herz erfüllt von dem, was ich nicht fand, von jener Liebe, welche den Sohn des Vaters auf die Erde trieb, um ihr die frohe Botschaft zu verkünden, daß alle Menschen Brüder sind und Kinder eines Vaters. Und wie der Heiland aus den Höhen, wohin kein Sterblicher dringen kann, auf die kleine Erde herniederstieg, so gehen nun seine Boten hinaus in alle Welt, um das Evangelium der Liebe zu verkündigen Allen, die noch in Finsterniß wandeln. Das sind die Emire des Christenthums, die Helden des Glaubens, die Meleks der Barmherzigkeit.«

»Aber nicht Alle lehren das, was Du jetzt gesprochen hast. Es gibt Sendlinge, welche die Boten des echten Glaubens verfolgen. Siehe dieses Land an, über welchem jetzt die Sonne leuchtet. Dieselbe Sonne hat Tausende hier sterben sehen, und derselbe Fluß, den Du hier vor uns erblickst, hat Hunderte von Leichen mit sich fortgerissen. Und warum? Frage die Emire des Glaubens, welche dort hinter den Bergen von Karitha und Tura Schina wohnten; frage die Scheiks der christlichen Fürsten, welche bei den Statthaltern des Sultans waren und dies Alles ruhig geschehen ließen! Hat nicht jeder christliche Sultan und Schah das Recht und die Pflicht, die Christen zu schützen, sie mögen sich befinden, wo es nur immer sei? Ich habe heut um Mitternacht die Christen dieses Thales vom Tode errettet, ich, das Weib; warum haben diese Emire weniger Macht als ich? Einst war ich Meleka; jetzt bin ich nur ein altes Weib; aber dennoch hören Türken, Kurden und Chaldani meine Stimme. Auch ich habe heut um Mitternacht das Christenthum verkündet, aber nicht das Christenthum des Wortes, über dessen Sinn die Abgefallenen streiten, sondern das Christenthum der That, da Niemand zweifeln kann. Züchtigt die Bösen, und sie werden es Euch später danken, während die Guten, die sich nach Erlösung sehnen, Euer Nahen mit Freudigkeit begrüßen werden. Sendet nicht Boten, welche wie einzelne Funken im Meere verlöschen, sondern sendet Männer, vor denen sich der Unterdrücker fürchtet; dann werden die Berge jauchzen und die Thäler jubiliren; das Land wird Segen bringen zu jeder Zeit, und es wird das Wort von einem Hirten und einer Heerde sich erfüllen. Hat nicht dieser eine Hirt bereits seinen Statthalter auf Erden? Warum wendet Ihr selbst Euch von ihm weg? Kehrt zu ihm zurück; dann seid Ihr einig, und die Macht dessen, der Euch sendet, wird die Erde zu dem Belad el Kuds machen, in welchem Milch und Honig fließt!«

Sie hatte während ihrer Rede sich erhoben. Ihre vorher gebeugte Gestalt stand aufrecht vor mir; in ihren erstorbenen Zügen zeigte sich plötzliches Leben; ihre tief eingesunkenen Augen leuchteten vor Begeisterung, und ihre Stimme erscholl laut und voll, als ob sie zu Tausenden rede. Es war ein Augenblick, den ich nie vergessen werde. Jetzt hielt sie erschöpft inne und setzte sich wieder nieder. Diese Frau mußte viel gesehen und gehört, viel gefühlt und gedacht, vielleicht auch gar Manches gelesen haben. Was sollte ich ihr antworten?

»Marah Durimeh, tadelst Du auch mich?« frug ich sie.

»Dich? Warum meinst Du das?«

»Weil ich auch ein Bote bin.«

»Du?! Wer hat Dich gesandt?«

»Niemand. Ich komme selbst.«

»Um zu lehren?«

»Nein, und doch auch ja.«

»Ich verstehe Dich nicht, mein Sohn. Erkläre es!«

»Du selbst hast gesagt, daß Du Boten der That wünschest, aber der That, die nicht im Meere verlischt. Gott teilt die Gaben nach seiner Weisheit aus. Dem Einen gibt er die erobernde Rede und dem Andern befiehlt er, zu wirken, bevor die Zeit kommt, da er nicht mehr wirken kann. Mir ist die Gabe der Rede versagt, aber ich muß wuchern mit dem Pfunde, welches Gott mir verliehen hat. Darum läßt es mich in der Heimat nimmer ruhen; ich muß immer wieder hinaus, um zu lehren und zu predigen, nicht durch das Wort, sondern dadurch, daß ich jedem Bruder, bei dem ich einkehre, nützlich bin. Ich war in Ländern und bei Völkern, deren Namen Du nicht kennst; ich bin eingekehrt bei weiß, gelb, braun und schwarz gefärbten Menschen; ich war der Gast von Christen, Juden, Moslemin und Heiden; bei ihnen Allen habe ich Liebe und Barmherzigkeit gesäet. Ich ging wieder fort und war reich belohnt, wenn es hinter mir erklang: ›Dieser Fremdling kannte keine Furcht; er konnte und wußte mehr als wir und war doch unser Bruder; er ehrte unsern Gott und liebte uns; wir werden ihn nie vergessen, denn er war ein guter Mensch, ein wackerer Gefährte; er war – – ein Christ!‹ Auf diese Weise verkündige ich meinen Glauben. Und sollte ich auch nur einen einzigen Menschen finden, der diesen Glauben achten und vielleicht gar dann lieben lernt, so ist mein Tagewerk nicht umsonst gethan, und ich will irgendwo auf dieser Erde mich von meiner Wanderung gern zur Ruhe legen.«

Es entstand eine lange, lange Pause. Wir Beide blickten wortlos zur Erde nieder; dann ergriff sie langsam mit beiden Händen meine Rechte.

»Herr,« sagte sie, »ich liebe Dich!«

Dabei sahen mich die alten Augen so mütterlich innig an, daß ich's nie vergessen werde!

»Mein Sohn,« sagte sie, »wenn Du dieses Thal verlassen hast, so wird mein Auge Dich nie wiedersehen, aber Marah Durimeh wird für Dich beten und Dich segnen, bis dieses Auge geschlossen ist. Du sollst nun auch der Einzige sein, der außer den Dreien, die um Mitternacht beim Ruh 'i kulyan waren, mein Geheimniß erfährt. Willst Du?«

»Wenn Schweigen besser ist, so verzichte ich darauf; doch willst Du es mir wirklich und gewiß gern anvertrauen, so nimm meinen Dank dafür.«

»Diese Drei haben geschworen, nie ein Wort davon zu sagen – – –.«

»Auch ich werde nie darüber sprechen.«

»Zu keinem Menschen?«

»Zu Niemand!«

»So sollst Du alles hören.«

Und nun erzählte sie. Es war eine Geschichte, die als Sujet einen Autor berühmt machen könnte, eine lange Geschichte aus jener Zeit, in der die drei Teufel Abd-el-Summit-Bey, Beder-Khan-Bey und Nur-Ullah-Bey das Christenthum im Thale des Zab ausrotteten, eine Geschichte, die mir die Haare sträuben machte. Es dauerte lange, ehe sie beendet war, und dann saß die Alte noch geraume Zeit in tiefem Schweigen neben mir. Nur ein leises Schluchzen unterbrach dann und wann die Stille, und die knöcherne Hand langte nach den Augen, um die immerfort rinnenden Thränen zu trocknen. Dann legte sie ermüdet und ganz von selbst ihr Haupt an meine Schulter und bat mit leiser Stimme:

»Gehe jetzt! Ich wollte hinab nach Lizan gehen; aber ich steige nochmals zurück, um zu warten, bis mein Herz wieder ruhig schlägt. Am Abend komme ich zu Euch.«

Ich achtete diesen Wunsch und ging.

Als ich in Lizan anlangte, sah ich keine Kurden mehr; aber der Bey hatte auf mich gewartet.

»Emir,« sagte er, »meine Leute sind fort, und auch ich scheide von hier; aber ich erwarte, daß Du zurück nach Gumri kommst.«

»Ich komme.«

»Auf lange Zeit?«

»Auf kurze Zeit, denn die Haddedihn sehnen sich nach den Ihrigen.«

»Sie haben mir versprochen, mitzukommen, und wir werden dann berathen, wie Ihr am sichersten den Tigris erreicht. Lebe wohl, Emir!«

»Lebe wohl!«

Der Melek stand mit meinen Gefährten dabei. Der Bey verabschiedete sich nochmals bei ihnen und eilte dann davon, um seine Kurden zu erreichen.

Marah Durimeh hielt Wort: sie kam des Abends; und als sie mich ungehört sprechen konnte, frug sie mich:

»Herr, willst Du mir eine Bitte erfüllen?«

»Von Herzen gern.«

»Glaubst Du an die Macht der Amulette?«

»Nein.«

»Aber dennoch habe ich Dir heut eins gemacht. Willst Du es tragen?«

»Als Andenken an Dich, ja.«

»So nimm es. Es hilft nicht, so lange es geschlossen ist; aber wenn Du einmal eines Retters bedarfst, so öffne es; der Ruh 'i kulyan wird Dir dann beistehen, auch wenn er nicht an Deiner Seite ist.«

»Ich danke Dir.«

Das Amulett war viereckig und in einen zusammengenähten Kattunlappen eingeschlossen. Da es mit einem Bande versehen war, hing ich es mir gleich um den Hals. Später sollte es mir allerdings sehr nützlich sein, trotz meines offen gestandenen Unglaubens; freilich konnte ich nicht erwarten, daß der Inhalt ein so überraschender sei. – – –


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