Karl May
Durchs wilde Kurdistan
Karl May

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Als wir auf der Höhe vor dem Dorfe ankamen und das Thal des Heiligen überblicken konnten, bemerkten wir ganz in der Nähe des Hauses, welches dem Bey gehörte, einen ungeheurren Haufen von Reisholz, welcher von einer Anzahl von Dschesidi immer noch vergrößert wurde. Pir Kamek stand dabei und warf von Zeit zu Zeit ein Stück Erdharz hinein.

»Das ist sein Kurban-kalabalik,« meinte Ali Bey.

»Was wird er opfern?«

»Ich weiß es nicht.«

»Vielleicht ein Thier?«

»Nur bei den Putperestler werden Thiere verbrannt.«

»Dann vielleicht Früchte?«

»Die Dschesidi verbrennen weder Thiere noch Früchte. Der Pir hat mir nicht gesagt, was er verbrennen wird, aber er ist ein großer Heiliger, und was er thut, wird keine Sünde sein.«

Noch immer ertönten von der gegenüberliegenden Höhe die Salven der ankommenden Pilger, und noch immer wurde denselben im Thale geantwortet; und doch bemerkte ich, als wir unten ankamen, daß dieses Thal kaum noch mehr Menschen zu fassen vermöge. Wir übergaben unsere Thiere und gingen nach dem Grabmale. An dem Wege, welcher zu demselben führte, lag ein Springbrunnen, der von Platten eingefaßt war. Auf einer derselben saß Mir Scheik Khan und sprach mit einer Anzahl von Pilgern, die in ehrerbietiger Haltung und Entfernung vor ihm standen.

»Dieser Brunnen ist heilig, und nur der Mir, ich und die Priester dürfen auf diesen Steinen sitzen. Zürne also nicht, wenn Du stehen mußt!« sagte Ali zu mir.

»Eure Gebräuche werde ich achten.«

Als wir uns nahten, gab der Khan den Umstehenden ein Zeichen, auf welches sie Platz machten, so daß wir zu ihm kommen konnten. Er erhob sich, kam uns einige Schritte entgegen und reichte uns die Hände.

»Willkommen bei Eurer Rückkehr! Nehmt Platz zu meiner Rechten und Linken!«

Er deutete dem Bey zur Linken, sodaß mir die rechte Seite übrig blieb. Ich setzte mich auf die geheiligten Steine, ohne daß ich bei einem der Anwesenden den geringsten Verdruß darüber bemerkt hätte. Wie sehr stach ein solches Verhalten gegen dasjenige ab, welches man bei den Muhammedanern zu beobachten hat.

»Hast Du mit dem Häuptling gesprochen?« frug der Khan.

»Ja. Es ist Alles in der besten Ordnung. Hast Du den Pilgern bereits eine Mittheilung gemacht?«

»Nein.«

»So wird es Zeit sein, daß die Leute sich versammeln. Gib den Befehl dazu!«

»Ich bin der Regent des Glaubens, und alles Andere ist Deine Sache. Ich werde Dir den Ruhm, die Gläubigen beschützt und die Feinde besiegt zu haben, niemals verkürzen.«

Auch dies war eine Bescheidenheit, welche bei den muhammedanischen Imams niemals zu finden ist. Ali Bey erhob sich und schritt von dannen. Während ich mich mit dem Khan unterhielt, bemerkte ich eine Bewegung unter den Pilgern, welche mit jeder Minute größer wurde. Die Frauen blieben an ihren Plätzen stehen, die Kinder ebenso; die Männer aber stellten sich am Bache entlang auf, und die Anführer der einzelnen Stämme, Zweige und Ortschaften bildeten einen Kreis um Ali Bey, welcher ihnen die Absichten des Mutessarif von Mossul bekannt machte. Dabei herrschte eine Ruhe, eine Ordnung, wie bei der Parade einer europäischen Truppe, ganz verschieden von dem lärmenden Durcheinander, welches man sonst bei orientalischen Kriegern zu sehen und zu hören gewohnt ist. Nach einiger Zeit, in welcher die Anführer den Ihrigen die Mittheilung und die Befehle des Bey überbracht hatten, ging die Versammlung ohne Unordnung wieder auseinander, und ein Jeder begab sich an den Platz, den er vorher inne gehabt hatte.

Ali Bey kam zu uns zurück.

»Was hast Du befohlen?« frug der Khan.

Der Gefragte streckte den Arm aus und deutete auf einen Trupp von vielleicht zwanzig Männern, die den Pfad emporstiegen, auf dem wir vorhin herabgekommen waren.

»Siehe, das sind Krieger aus Aïram, Hadschi Dsho und Schura Khan, welche diese Gegend sehr gut kennen. Sie gehen den Türken entgegen und werden uns von deren Kommen rechtzeitig benachrichtigen. Auch gegen Baadri hin habe ich Wachen stehen, so daß es ganz unmöglich ist, uns zu überraschen. Bis es Nacht wird, ist noch drei Stunden Zeit, und das genügt, um alles Überflüssige nach dem Thale Idiz zu bringen. Die Männer werden aufbrechen, und Selek wird ihnen den Weg zeigen.«

»Werden sie bei dem Beginne der heiligen Handlungen zurückgekehrt sein?«

»Ja; das ist sicher.«

»So mögen sie gehen!«

Nach einiger Zeit schritt ein sehr, sehr langer Zug von Männern, welche Thiere mit sich führten oder verschiedene Habseligkeiten trugen, an uns vorüber, wo sie, immer Einer hinter dem Andern, hinter dem Grabmale verschwanden. Dann kamen sie über demselben auf einem Felsenpfade wieder zum Vorschein, und man konnte von unserem Sitze aus ihren Weg verfolgen, bis derselbe oben in den hohen, dichten Wald verlief.

Jetzt mußte ich mit Ali Bey gehen, um das Mahl einzunehmen. Nach demselben trat der Baschi-Bozuk zu mir.

»Herr, ich muß Dir etwas sagen!«

»Was?«

»Uns droht eine große Gefahr!«

»Ah! Welche?«

»Ich weiß es nicht; aber diese Teufelsmänner haben mich seit einer halben Stunde mit Augen angesehen, welche ganz fürchterlich sind. Es sieht grad so aus, als ob sie mich tödten wollten!«

Da der Buluk Emini seine Uniform trug, so konnte ich mir das Verhalten der von den Türken bedrohten Dschesidi sehr leicht erklären; doch war ich vollständig überzeugt, daß ihm nichts geschehen werde.

»Das ist schlimm!« meinte ich. »Wenn sie Dich tödten, wer wird dann den Schwanz Deines Esels bedienen?«

»Herr, sie werden den Esel auch mit erstechen! Hast Du nicht gesehen, daß sie die meisten Büffel und Schafe, die vorhanden sind, bereits getödtet haben?«

»Dein Esel ist sicher, und Du bist es auch. Ihr gehört zusammen, und man wird Euch nicht auseinander reißen.«

»Versprichst Du mir dies?«

»Ich verspreche es Dir!«

»Aber ich hatte Angst, als Du vorhin abwesend warst. Gehst Du wieder fort von hier?«

»Ich werde bleiben; aber ich befehle Dir, stets hier im Hause zu sein und Dich nicht unter die Dschesidi zu mischen, sonst ist es mir unmöglich, Dich zu beschützen!«

Er ging, halb und halb getröstet, von dannen, der Held, den der Mutessarif mir zu meinem Schutze mitgegeben hatte. Aber es kam auch noch von einer andern Seite eine Warnung: Halef suchte mich auf.

»Sihdi, weißt Du, daß es Krieg geben wird?«

»Krieg? Zwischen wem?«

»Zwischen den Osmanly und den Teufelsleuten.«

»Wer sagte es?«

»Niemand.«

»Niemand? Du hast doch wohl gehört, was wir heute früh in Baadri bereits davon gesprochen haben?«

»Nichts habe ich gehört, denn Ihr spracht türkisch, und diese Leute sprechen diese Sprache so aus, daß ich sie nicht verstehen kann. Aber ich sah, daß es eine große Versammlung gab und daß nach derselben alle Männer die Waffen untersuchten. Nachher haben sie ihre Thiere und Güter fortgeschafft, und als ich zu Scheik Mohammed hinauf auf die Plattform kam, war er beschäftigt, die alte Ladung aus seinen Pistolen zu nehmen, um sie gegen eine neue zu vertauschen. Sind dies nicht genug Zeichen, daß man eine Gefahr erwartet?«

»Du hast recht, Halef. Morgen früh beim Anbruch des Tages werden die Türken von Baadri und auch von Kaloni her über die Dschesidi herfallen.«

»Und das wissen die Dschesidi?«

»Ja.«

»Wie hoch zählen die Türken?«

»Fünfzehnhundert Mann.«

»Es werden Viele von ihnen fallen, da ihr Plan verrathen ist. Wem wirst Du helfen, Sihdi, den Türken oder den Dschesidi?«

»Ich werde gar nicht kämpfen.«

»Nicht?« erwiderte er getäuscht. »Darf ich nicht?«

»Wem willst Du helfen?«

»Den Dschesidi.«

»Ihnen, Halef? Ihnen, von denen Du glaubtest, daß sie Dich um das Paradies bringen würden?«

»O Sihdi, ich kannte sie nicht; jetzt aber liebe ich sie.«

»Aber es sind Ungläubige!«

»Hast Du selbst nicht stets Jenen geholfen, welche gut waren, ohne sie zu fragen, ob sie an Allah oder an einen andern Gott glauben?«

Mein wackerer Halef hatte mich zum Moslem machen wollen, und jetzt sah ich zu meiner großen Freude, daß er sein Herz für ein ganz und gar christliches Gefühl geöffnet hatte. Ich antwortete ihm:

»Du wirst bei mir bleiben!«

»Während die Andern kämpfen und tapfer sind?«

»Es wird sich für uns vielleicht Gelegenheit finden, noch tapferer und muthiger zu sein, als sie.«

»So bleibe ich bei Dir. Der Buluk Emini auch?«

»Auch er.«

Ich stieg hinauf auf die Plattform zu Scheik Mohammed Emin.

»Hamdullillah, Preis sei Gott, daß Du kommst!« sagte er. »Ich habe mich nach Dir gesehnt wie das Gras nach dem Thau der Nacht.«

»Du bist stets hier oben geblieben?«

»Stets. Es soll mich Niemand erkennen, weil ich sonst vielleicht verrathen werden möchte. Was hast Du Neues erfahren?«

Ich theilte ihm Alles mit. Als ich geendet hatte, deutete er auf seine Waffen, welche vor ihm lagen.

»Wir werden sie empfangen!«

»Du wirst dieser Waffen nicht bedürfen.«

»Nicht? Soll ich mich und unsere Freunde nicht vertheidigen?«

»Sie sind stark genug. Willst Du vielleicht in die Hände der Türken, denen Du kaum entgangen bist, fallen, oder soll Dich eine Kugel, ein Messerstich treffen, damit Dein Sohn noch länger in der Gefangenschaft von Amadijah schmachtet?«

»Emir, Du sprichst wie ein kluger, aber nicht wie ein tapferer Mann!«

»Scheik, Du weißt, daß ich mich vor keinem Feinde fürchte; es ist nicht die Angst, welche aus mir spricht. Ali Bey hat von uns verlangt, daß wir uns vor dem Kampfe hüten sollen. Er hegt übrigens die Überzeugung, daß es gar nicht zum Kampfe kommen werde, und ich bin ganz derselben Meinung wie er.«

»Du denkst, die Türken ergeben sich ohne Widerstand?«

»Wenn sie es nicht thun, so werden sie zusammengeschossen.«

»Die Offiziere der Türken taugen nichts, aber die Soldaten sind tapfer. Sie werden die Höhen stürmen und sich befreien.«

»Fünfzehnhundert gegen vielleicht sechstausend Mann?«

»Wenn es gelingt, sie zu umzingeln!«

»Es wird gelingen.«

»So müssen wir also mit den Frauen nach dem Thale Idiz gehen?«

»Du, ja.«

»Und Du?«

»Ich werde hier zurückbleiben.«

»Allah kerihm! Wozu? Das würde Dein Tod sein!«

»Das glaube ich nicht. Ich bin im Giölgeda padischahnün, besitze die Empfehlungen des Mutessarif und habe einen Buluk Emini bei mir, dessen Anwesenheit schon genügend wäre, mich zu schützen.«

»Aber was willst Du hier thun?«

»Unheil vermeiden, wenn es möglich ist.«

»Weiß Ali Bey davon?«

»Nein.«

»Oder der Mir Scheik Khan?«

»Auch nicht. Sie erfahren es noch immer zur rechten Zeit.«

Ich hatte wirklich große Mühe, den Scheik zur Billigung meines Vorhabens zu überreden. Endlich aber gelang es mir.

»Allah il Allah! Die Wege des Menschen sind im Buche vorgeschrieben,« meinte er; »ich will Dich nicht bewegen, von diesem Vorhaben abzulassen, aber ich werde hier bei Dir bleiben!«

»Du? Das geht nicht!«

»Warum?«

»Sie dürfen Dich nicht finden.«

»Dich auch nicht.«

»Ich habe Dir bereits auseinandergesetzt, daß ich keine Gefahr laufe; Dich aber, wenn Du erkannt wirst, erwartet ein anderes Loos.«

»Das Ende des Menschen steht im Buche verzeichnet. Soll ich sterben, so muß ich sterben, und dann ist es gleich, ob es hier geschieht oder dort in Amadijah.«

»Du willst in Dein Unglück rennen, aber Du vergissest, daß Du auch mich darein verwickelst.«

Dies schien mir der einzige Weg, seiner Hartnäckigkeit beizukommen.

»Dich? Wieso?« frug er.

»Bin ich allein hier, so schützen mich meine Firmans; finden sie aber Dich bei mir, den Feind des Mutessarif, den entflohenen Gefangenen, so habe ich diesen Schutz verloren und verwirkt. Dann sind auch wir verloren, Du und ich, alle Beide!«

Er blickte nachdenklich vor sich nieder. Ich sah, was sich in ihm gegen den Rückzug nach dem Thale Idiz sträubte, aber ich ließ ihm Zeit, einen Entschluß zu fassen. Endlich sagte er mit halber, unsicherer Stimme:

»Emir, hältst Du mich für einen Feigling?«

»Nein. Ich weiß ja, daß Du tapfer und furchtlos bist.«

»Was wird Ali Bey denken?«

»Er denkt ganz so wie ich, ebenso Mir Scheik Khan.«

»Und die andern Dschesidi?«

»Sie kennen Deinen Ruhm und wissen, daß Du vor keinem Feinde fliehest. Darauf kannst Du Dich verlassen!«

»Und wenn man an meinem Muthe zweifeln sollte, wirst Du mich vertheidigen? Wirst Du öffentlich sagen, daß ich mit den Frauen nach Idiz gegangen bin, nur um Dir zu gehorchen?«

»Ich werde es überall und öffentlich sagen.«

»Nun wohl, so werde ich thun, was Du mir vorgeschlagen hast!«

Er schob resignirt die Flinte von sich fort und wendete sein Angesicht wieder dem Thale zu, welches sich bereits in den Schatten des Abends zu hüllen begann.

Gerade jetzt kamen die Männer zurück, welche vorher nach Idiz gegangen waren. Sie bildeten einen Zug einzelner Personen, welcher sich im Thale vor uns auflöste.

Da erscholl vom Grabe des Heiligen her eine Salve, und zu gleicher Zeit kam Ali Bey herauf zu uns mit den Worten:

»Es beginnt die große Feier am Grabe. Es ist noch nie ein Fremder dabei zugegen gewesen, aber der Mir Scheik Khan hat mir im Namen aller Priester die Genehmigung ertheilt, Euch einzuladen.«

Das war nun allerdings eine sehr hohe Ehre für uns; aber Scheik Mohammed Emin lehnte sie ab:

»Ich danke Dir, Herr; aber es ist dem Moslem verboten, bei der Anbetung eines Andern als Allah zugegen zu sein.«

Er war ein Moslem; aber er hätte diese Abweisung doch in andre Worte kleiden können. Er blieb zurück, und ich folgte dem Bey.

Als wir aus dem Hause traten, bot sich uns ein seltsamer, unbeschreiblich schöner Anblick dar. So weit das Thal reichte, flackerten Lichter unter und auf den Bäumen, am Wasser unten und auf jedem Felsen in der Höhe, um die Häuser herum und auf den Plattformen derselben. Das regste Leben aber herrschte am Grabmale des Heiligen. Der Mir hatte an der ewigen Lampe des Grabes ein Licht angebrannt und trat damit heraus in den innern Hof. An diesem Lichte zündeten die Scheiks und Kawals ihre Lampen an; von diesen liehen wieder die Fakirs ihre Flammen, und nun traten sie Alle heraus in das Freie, und Tausende strömten herbei, um sich an den heiligen Feuern zu reinigen.

Wer den Lichtern der Priester nahe zu kommen vermochte, fuhr mit der Hand durch die Flamme derselben und bestrich dann mit dieser Hand die Stirn und die Gegend des Herzens. Männer strichen dann zum zweitenmal durch die Flamme, um den Segen derselben ihren Frauen zu bringen. Mütter thaten ganz dasselbe für ihre Kinder, welche nicht die Kraft besaßen, durch die dichte Menge zu dringen. Und dabei herrschte ein Jubel, eine Freude, die gar nichts Anstößiges hatte.

Auch das Heiligthum wurde illuminirt. In jede der zahlreichen Mauernischen kam eine Lampe zu stehen, und über die Höfe hinweg zogen sich lange Guirlanden von Lampen und Flammen. Jeder Zweig der dort befindlichen Bäume schien der Arm eines riesigen Leuchters zu sein, und Hunderte von Lichtern liefen an den beiden Thürmen bis zu den Spitzen derselben empor, zwei riesige Girandolen bildend, deren Anblick ein zauberischer war.

Die Priester hatten jetzt, zwei Reihen bildend, im inneren Hofe Platz genommen. Auf der einen Seite saßen die Scheiks in ihren weißen Anzügen und ihnen gegenüber die Kawals. Diese letzteren hatten Instrumente in der Hand, abwechselnd je Einer eine Flöte und der Andere ein Tamburin. Ich saß mit Ali Bey unter der Rebenlaube. Wo Mir Scheik Khan war, konnte ich nicht bemerken.

Da ertönte aus dem Innern des Grabes ein Ruf, und die Kawals erhoben ihre Instrumente. Die Flöten begannen eine langsame, klagende Melodie zu spielen, wozu ein leiser Schlag auf das Tamburin den Takt angab. Dann folgte plötzlich ein lang ausgehaltener viertöniger Akkord; ich glaube, es war ein Terzquartsextakkord, zu welchem auf den Tamburins mit den Fingerspitzen getrillert wurde, erst pianissimo, dann piano, stärker, immer stärker bis zum Fortissimo, und dann fielen die Flöten in ein zweistimmiges Tonstück ein, für welches keiner unserer musikalischen Namen paßt, dessen Wirkung aber doch eine sehr angenehme und befriedigende war.

Am Schlusse dieses Stückes trat Mir Scheik Khan aus dem Innern des Gebäudes heraus. Zwei Scheiks begleiteten ihn. Der Eine trug ein hölzernes Gestell vor ihm her, welches einem Notenpulte glich; dieses wurde in die Mitte des Hofes gesetzt. Der Andere trug ein kleines Gefäß mit Wasser und ein anderes, offenes, rundes, in welchem sich eine brennende Flüssigkeit befand. Diese beiden Gefäße wurden auf das Pult gestellt, zu welchem Mir Scheik Khan trat.

Er gab mit der Hand ein Zeichen, auf welches die Musik von Neuem begann. Sie spielte eine Einleitung, nach welcher die Priester mit einer einstimmigen Hymne einfielen. Leider konnte ich mir den Inhalt derselben nicht notiren, da dies aufgefallen wäre, und der eigentliche Wortlaut ist meinem Gedächtnisse entschwunden. Sie war in arabischer Sprache verfaßt und forderte zur Reinheit, zum Glauben und zur Wachsamkeit auf.

Nach derselben hielt Mir Scheik Khan eine kurze Ansprache an die Priester. Er schilderte in kurzen Worten die Nothwendigkeit, seinen Wandel von jeder Sünde rein zu halten, Gutes zu thun an allen Menschen, seinem Glauben stets treu zu bleiben und denselben gegen alle Feinde zu vertheidigen.

Dann trat er zurück und setzte sich zu uns unter den Weinstock. Jetzt brachte einer der Priester einen lebenden Hahn herbei, welcher mittels einer Schnur an das Pult befestigt wurde; zur Linken von ihm wurde das Wasser und zur Rechten das Feuer gestellt.

Die Musik begann wieder. Der Hahn hockte in sich gekehrt am Boden; die leisen Klänge der Flöten schien er gar nicht zu beachten. Da wurden die Töne stärker, und er lauschte. Den Kopf aus dem Gefieder ziehend, blickte er sich mit hellen, klugen Augen im Kreise um und bemerkte dabei das Wasser. Schnell fuhr er mit dem Schnabel in das Gefäß, um zu trinken. Dieses freudige Ereigniß wurde durch ein helles, jubelndes Zusammenschlagen der Tamburins verkündet. Dies schien das musikalische Interesse des Thieres zu erregen. Der Hahn krümmte den Hals und horchte aufmerksam. Dabei bemerkte er, daß er sich in einer gefahrvollen Nähe von der Flamme befand. Er wollte sich zurückziehen, konnte aber nicht, da er festgehalten wurde. Darüber ergrimmt, richtete er sich auf und stieß ein lautes »Kik-ri-kih!« hervor, in welches die Flöten und Tamburins einfielen. Dies schien in ihm die Ansicht zu erwecken, daß man es auf einen musikalischen Wettstreit abgesehen habe. Er wandte sich muthig gegen die Musikanten, schlug die Flügel und schrie abermals. Er erhielt dieselbe Antwort, und so entwickelte sich ein Tongefecht, welches den Vogel schließlich so erzürnte, daß er unter einem wütenden Gallicinium sich losriß und in das Innere des Grabes floh.

Die Musik begleitete diese Heldenthat mit dem allerstärksten Fortissimo; die Stimmen der Priester fielen jubelnd ein, und nun folgte ein Finale, welches allerdings ganz geeignet war, sowohl die Musikanten als auch die Sänger zu ermüden. Am Schluß des Stückes küßten die Kawals ihre Instrumente.

Sollte dieses laute, stürmische Finale auf irgend eine Weise einmal Gelegenheit gegeben haben, die Dschesiden mit den unlautern Cheragh Sonderan, oder wie es in kurdischer Sprache lautet, Tscherah sonderahn zu verwechseln? Das religiöse Gefühl eines Christen sträubt sich allerdings gegen die Vorführung dieses Vogels, aber etwas Immoralisches habe ich dabei nicht beobachten können.

Jetzt sollte der Verkauf der Kugeln erfolgen, von denen ich bereits gesprochen habe. Vorher aber traten die Priester herbei und machten Ali Bey und mir ein Geschenk davon. Er erhielt sieben und ich sieben. Sie waren vollständig rund und mit einem arabischen Worte versehen, welches man mit einem spitzigen Instrumente eingegraben hatte. Von meinen sieben Kugeln zeigten vier das Wort ›El Schems‹, die Sonne.

Der Verkauf fand im äußeren Hofe Statt, während im Innern des ummauerten Raumes die Instrumente und der Gesang noch ertönten. Ich verließ das Heiligthum. Ich dachte, daß das Thal von der Höhe aus einen wundervollen Anblick bieten müsse, und ging, um mir Halef zur Begleitung zu holen. Ich fand ihn auf der Plattform des Hauses bei dem Buluk Emini sitzen. Sie schienen sich in einem sehr animirten Gespräch zu befinden, denn ich hörte ihn sagen:

»Was? Ein Russe wäre es gewesen?«

»Ja, ein Russikow, dem Allah den Kopf abschneiden möge; denn wenn er nicht gewesen wäre, so hätte ich meine Nase noch! Ich haute wie wüthend um mich; dieser Kerl aber holte nach meinem Kopfe aus; ich wollte ausweichen und trat zurück. Der Hieb, welcher den Kopf treffen sollte, traf bloß die – – –«

»Hadschi Halef!« rief ich.

Es machte mir wirklich Spaß, die berühmte Geschichte von der Nase auch einmal unterbrechen zu können. Die Beiden sprangen auf und traten auf mich zu.

»Du sollst mich begleiten, Halef; komm!«

»Wohin, Sihdi?«

»Dort hinauf zur Höhe, um zu sehen, wie sich die Illumination des Thales ausnimmt.«

»O Emir, laß mich mit Dir gehen!« bat Ifra.

»Ich habe nichts dagegen. Vorwärts!«

Wir stiegen die nach Baadri zu gelegene Höhe hin an. Überall trafen wir Männer, Frauen und Kinder mit Fackeln und Lichtern, und von Allen wurden wir mit einer wirklich kindlichen Freude begrüßt und angeredet. Als wir die Höhe erreichten, bot sich uns ein geradezu unbeschreiblicher Anblick dar. Mehrere der Dschesidi waren uns gefolgt, um uns zu leuchten: ich aber bat sie, zurückzugehen oder ihre Fackeln zu verlöschen. Wer den Genuß vollständig haben wollte, mußte sich selbst im Dunkeln befinden.

Da unten im Thale fluthete Flamme an Flamme. Tausend leuchtende Punkte kreuzten, hüpften und schlüpften, tanzten, schossen und flogen durch einander, klein, ganz klein tief unten, je näher aber zu uns, desto größer werdend. Das Heiligthum wallte förmlich von Glanz und Licht, und die beiden Thürme leckten empor in das Dunkel der Nacht wie flammende Hymnen. Dazu ertönte von unten herauf zu uns das dumpfe Wogen und Brausen der Stimmen, oft unterbrochen von einem lauten, nahen Jubelrufe. Ich hätte Stunden lang hier stehen und mich an diesem Anblicke weiden und ergötzen können.

»Was ist das für ein Stern?« ertönte da neben mir eine Frage in kurdischer Sprache.

Einer der Dschesidi hatte sie ausgesprochen.

»Wo?« frug ein Anderer.

»Siehe die Rea kadisahn da rechts!«

»Ich sehe sie.«

»Unter ihr flammte ein heller Stern auf. Jetzt wieder! Siehst Du ihn?«

»Ich sah ihn. Es ist der Kjale be scheri

Die vier Sterne, welche in unserm Sternbilde den Rücken des Bären bilden, heißen nämlich bei den Kurden ›der Alte‹. Sie meinen, daß sein Kopf hinter einer benachbarten Sternengruppe versteckt sei. Die drei Sterne, welche bei uns den Schwanz des großen Bären bilden (oder die Deichsel des ›Wagens‹, wie dieses Sternbild auch genannt wird), heißen bei ihnen die ›zwei Brüder und die blinde Mutter des Alten‹.

»Der Kjale be scheri? Der hat doch vier Sterne!« meinte der erste Frager. »Es wird Kumikji schiwan sein.«

»Der steht höher. Jetzt leuchtet es wieder. Ah, wir sind irr; es ist ja im Süden! Es wird Meschin sein.«

»Meschin hat auch mehrere Sterne. Was meinst Du, Herr, daß es ist?«

Diese Frage war an mich gerichtet. Mir schien das Phänomen auffällig.

Die Fackeln und Lichter unter uns warfen einen Schein in die Höhe, der es uns unmöglich machte, die Sterne genau zu erkennen. Der Glanz aber, welcher von Zeit zu Zeit da drüben aufblitzte, um sofort wieder zu verschwinden, war intensiv. Er glich einem Irrlichte, das plötzlich aufleuchtete und augenblicklich wieder verlöschte. Ich beobachtete noch eine Weile und wandte mich dann zu Halef:

»Hadschi Halef, eile sofort hinab zu Ali Bey und sage ihm, daß er sehr schnell zu mir heraufkommen möge! Es handle sich um etwas Wichtiges.«

Der Diener verschwand mit schnellen Schritten, und ich trat noch eine Strecke weiter vor, theils, um den vermeintlichen Stern besser beobachten zu können, theils auch, um allen weiteren Fragen zu entgehen.

Glücklicher Weise hatte Ali Bey gehört, daß ich heraufgegangen sei, und den Entschluß gefaßt, mir zu folgen. Halef traf ihn eine nur kleine Strecke unter uns und brachte ihn zu mir.

»Was willst Du mir zeigen, Emir?«

Ich streckte den Arm aus.

»Blicke fest dorthin! Du wirst einen Stern aufblitzen sehen. Jetzt!«

»Ich sehe ihn.«

»Er ist wieder fort. Kennst Du ihn?«

»Nein. Er liegt sehr tief und gehört zu keinem Bilde.«

Ich trat an einen Busch und schnitt einige Ruthen ab. Die eine davon steckte ich in die Erde und stellte mich dann einige Schritte vorwärts von ihm auf.

»Kniee genau hinter dieser Ruthe nieder. Ich werde in der Richtung von ihr, in welcher der Stern wieder blitzt, eine zweite aufstecken. – Sahst Du ihn jetzt?«

»Ja. Ganz deutlich.«

»Wohin soll die Ruthe? Hierher?«

»Einen Fußbreit weiter nach rechts.«

»Hierher?«

»Ja; das ist genau.«

»So! Nun beobachte weiter!«

»Jetzt sah ich ihn wieder!« meinte er nach einer kleinen Weile.

»Wo? Ich werde eine dritte Ruthe stecken.«

Der Stern war nicht am alten Platze. Er war viel weiter links.

»Wie weit? Sage es!«

»Zwei Fuß von der vorigen Ruthe.«

»Hier?«

»Ja.«

Ich steckte die dritte Ruthe ein, und Ali Bey beobachtete weiter.

»Jetzt sah ich ihn wieder,« meinte er bald.

»Wo?«

»Nicht mehr links, sondern rechts.«

»Gut! Das war es, was ich Dir zeigen wollte. Jetzt magst Du Dich wieder erheben.«

Die andern hatten meinem sonderbaren Gebaren mit Verwunderung zugesehen, und auch Ali Bey konnte den Grund desselben nicht einsehen.

»Warum lässest Du mich dieses Sternes wegen rufen?«

»Weil es kein Stern ist!«

»Was sonst? Ein Licht?«

»Nun, wenn es nur ein Licht wäre, würde es schon merkwürdig sein; aber es ist eine ganze Reihe von Lichtern.«

»Woraus vermuthest Du dies?«

»Ein Stern kann es nicht sein, weil es tiefer steht, als die Spitze des Berges, der dahinter liegt. Und daß es mehrere Lichter sind, hast Du ja aus dem Experimente gesehen, das wir vorgenommen haben. Da drüben gehen oder reiten viele Leute mit Fackeln oder Laternen, von denen zuweilen die eine oder die andere herüberblitzt.«

Der Bey stieß einen Ausruf der Verwunderung aus.

»Du hast Recht, Emir!«

»Wer mag es sein?«

»Pilger sind es nicht, denn diese würden auf dem Wege von Baadri nach Scheik Adi kommen.«

»So denke an die Türken!«

»Herr! Wäre es möglich?«

»Das weiß ich nicht, denn diese Gegend ist mir unbekannt. Beschreibe sie mir, Bey!«

»Hier grad aus geht der Weg nach Baadri, und hier weiter links der nach Aïn Sifni. Theile diesen Weg in drei Theile; gehe das erste Drittel, so hast Du diese Lichter dann Dir zur Linken nach dem Wasser zu, welches von Scheik Adi kommt.«

»Kann man am Wasser entlang reiten?«

»Ja.«

»Und auf diese Weise nach Scheik Adi kommen?«

»Ja.«

»So ist ein großer, ein sehr großer Fehler vorgekommen!«

»Welcher?«

»Du hast Vorposten gestellt nach Baadri und Kaloni hin, aber nicht nach Aïn Sifni zu.«

»Dorther werden die Türken nicht kommen. Die Leute von Aïn Sifni würden es uns verrathen.«

»Aber wenn die Türken nicht nach Aïn Sifni gehen, sondern bei Dscheraijah den Khausser überschreiten und dann zwischen Aïn Sifni und hier das Thal zu erreichen suchen? Mir scheint, sie würden dann dieselbe Richtung nehmen, in welcher sich dort jene Lichter bewegen. Siehe, sie sind bereits wieder nach links vorgerückt!«

»Emir, Deine Vermuthung ist vielleicht die richtige. Ich werde sofort mehrere Wachen vorschicken!«

»Und ich werde mir einmal diese Sterne näher betrachten. Hast Du einen Mann, der diese Gegend genau kennt?«

»Niemand kennt sie besser als Selek.«

»Er ist ein guter Reiter; er soll mich führen!«

Wir stiegen so schnell wie möglich hinab. Der letztere Theil der Unterredung war von uns leise geführt worden, so daß niemand, und besonders auch der Baschi-Bozuk nicht, etwas davon vernommen hatte. Selek war bald gefunden; er erhielt ein Pferd und nahm seine Waffen zu sich. Auch Halef mußte mit. Ich konnte mich auf ihn mehr als auf jeden Andern verlassen. Zwanzig Minuten später, nachdem ich den Stern zuerst gesehen hatte, jagten wir auf dem Wege nach Aïn Sifni dahin. Auf der nächsten Höhe blieben wir halten. Ich musterte das Halbdunkel vor uns und sah endlich das Aufleuchten wieder. Ich machte Selek auf dasselbe aufmerksam.

»Emir, das ist kein Stern, das sind auch keine Fackeln, denn diese würden einen umfangreicheren Schein verbreiten. Das sind Laternen.«

»Ich muß hart an sie heran. Kennst Du die Gegend genau?«

»Ich werde Dich führen; ich kenne jeden Stein und jeden Strauch. Halte Dich nur hart hinter mir, und nimm Dein Pferd stets hoch!«

Er wandte sich von dem Wasser nach rechts, und nun ging es über Stock und Stein im Trabe vorwärts. Es war ein sehr böser Ritt, aber bereits nach einer reichlichen Viertelstunde konnten wir genau mehrere Lichter unterscheiden. Und nach einer zweiten Viertelstunde, während welcher uns dieselben hinter einem vor uns liegenden Bergrücken verschwunden waren, langten wir auf dem Letzteren an und sahen nun sehr deutlich, daß wir einen ziemlich langen Zug vor uns hatten. Von wem derselbe gebildet wurde, war von hier aus nicht zu unterscheiden; das aber bemerkten wir, daß er plötzlich verschwand und nicht wieder erschien.

»Gibt es dort wieder einen Hügel?«

»Nein. Hier ist Ebene,« antwortete Selek.

»Oder eine Vertiefung, ein Thal, in welchem diese Lichter verschwinden können?«

»Nein.«

»Oder ein Wald – – –«

»Ja, Emir,« fiel er schnell ein. »Dort, wo sie verschwunden sind, liegt ein kleines Olivenwäldchen.«

»Ah! Du wirst mit den Pferden hier bleiben und auf uns warten. Halef aber begleitet mich.«

»Herr, nimm mich auch mit,« bat Selek.

»Die Thiere würden uns verrathen.«

»Wir binden sie an!«

»Mein Rappe ist zu kostbar, als daß ich ihn ohne Aufsicht lassen dürfte. Und übrigens verstehst Du auch das richtige Anschleichen nicht. Man würde Dich hören oder gar sehen.«

»Emir, ich verstehe es!«

»Sei still!« meinte da Halef. »Auch ich dachte, ich verstände es, mich mitten in ein Duar zu schleichen und das beste Pferd wegzunehmen; aber als ich es vor dem Effendi machen mußte, habe ich mich schämen müssen wie ein Knabe! Aber tröste Dich, denn Allah hat nicht gewollt, daß aus Dir eine Eidechse werde!«

Wir ließen die Gewehre zurück und schritten voran. Es war gerade so licht, daß man auf fünfzig Schritte einen Menschen so leidlich erkennen konnte. Vor uns tauchte nach vielleicht zehn Minuten ein dunkler Punkt auf, dessen Dimensionen von Schritt zu Schritt zunahmen – das Olivenwäldchen. Als wir so weit heran waren, daß wir es in fünf oder sechs Minuten zu erreichen vermocht hätten, hielt ich an und lauschte angestrengt. Nicht der mindeste Laut war zu vernehmen.

»Gehe genau hinter mir, daß unsere Personen eine einzige Linie bilden!«

Ich hatte nur Jacke und Hose an, beide dunkel; auf dem Kopfe trug ich den Tarbusch, von dem ich das Turbantuch abgewunden hatte. So war ich nicht so leicht vom dunklen Boden zu unterscheiden. Mit Halef war ganz dasselbe der Fall.

Lautlos glitten wir weiter. Da vernahmen wir das Geräusch knackender Äste. Wir legten uns nun auf die Erde nieder und krochen langsam vorwärts. Das Knacken und Brechen wurde lauter.

»Man sammelt Äste, vielleicht gar, um ein Feuer zu machen.«

»Gut für uns, Sihdi!« flüsterte Halef.

Bald erreichten wir den hinteren Rand des Gehölzes. Das Schnauben von Thieren und Männerstimmen wurden hörbar. Wir lagen soeben hart neben einem dichten Buschwerke. Ich deutete auf dasselbe und sagte leise:

»Verbirg Dich hier, und erwarte mich, Halef.«

»Herr, ich verlasse Dich nicht; ich folge Dir!«

»Du würdest mich verrathen. Das unhörbare Schleichen ist in einem Walde schwieriger als auf offenem Felde. Ich habe Dich nur mitgenommen, um mir den Rückzug zu decken. Du bleibst liegen, selbst wenn Du schießen hörst. Wenn ich Dich rufe, so kommst Du so schnell wie möglich.«

»Und wenn Du weder kommst noch rufest?«

»So schleichst Du Dich nach einer halben Stunde vorwärts, um zu sehen, was mit mir geschehen ist.«

»Sihdi, wenn sie Dich tödten, so schlage ich Alle todt!«

Diese Versicherung hörte ich noch, dann war ich fort; aber noch hatte ich mich nicht sehr weit von ihm entfernt, so hörte ich eine laute, befehlende Stimme rufen:

»Et atesch – brenne an, mache Feuer!«

Diese Stimme kam aus einer Entfernung von vielleicht hundert Fuß. Ich konnte also unbesorgt weiter kriechen. Da vernahm ich das Prasseln einer Flamme und bemerkte zugleich einen lichten Schein, der sich zwischen den Bäumen fast bis zu mir verbreitete. Das erschwerte mir natürlich mein Vorhaben bedeutend.

»Taschlar atesch tschewresinde – lege Steine um das Feuer!« befahl dieselbe Stimme.

Diesem Befehle wurde jedenfalls sofort Folge geleistet, denn der lichte Schein verschwand, so daß ich nun besser vorwärts konnte. Ich schlich mich von einem Stamme zum andern und wartete hinter einem jeden, bis ich mich überzeugt hatte, daß ich nicht bemerkt worden sei. Glücklicher Weise war diese Vorsicht überflüssig; ich befand mich nicht in den Urwäldern Amerika's, und die guten Leute, welche ich vor mir hatte, schienen nicht die mindeste Ahnung zu haben, daß es irgend einem Menschenkinde einfallen könne, sie zu belauschen.

So avancirte ich immer weiter, bis ich einen Baum erreichte, dessen Wurzeln so zahlreiche Schößlinge getrieben hatten, daß ich hinter denselben ein recht leidliches Versteck zu finden hoffte. Wünschenswerth war dies besonders deßhalb, weil ganz in der Nähe des Baumes zwei Männer saßen, auf die ich es abgesehen hatte, – zwei türkische Offiziere.

Mit einiger Vorsicht gelang es mir, mich hinter den Schößlingen häuslich niederzulassen, und nun konnte ich die Scene vollständig überblicken.

Draußen vor dem kleinen Gehölze standen – vier Gebirgskanonen oder vielmehr zwei Kanonen und zwei Haubitzen, und am Saume des Gehölzes waren ungefähr zwanzig Maulthiere angebunden, die zum Transporte dieser Geschütze erforderlich gewesen waren. Man braucht zu einem Geschütze gewöhnlich vier bis fünf Maulthiere; eins muß das Rohr, eins die Lafette und zwei bis vier müssen die Munitionskästen tragen.

Die Topdschi hatten es sich bequem gemacht; sie lagen auf dem Boden ausgestreckt und plauderten leise mit einander. Die beiden Offiziere aber wünschten Kaffee zu trinken und ihren Tschibuk zu rauchen; darum war ein Feuer gemacht worden, über welchem ein kleiner Kessel auf zwei Steinen stand. Der Eine der beiden Helden war ein Jüs Baschi und der Andere ein Mülasim. Der Jüs Baschi hatte ein recht biederes Aussehen; er kam mir grade so vor, als sei er eigentlich ein urgemüthlicher, dicker, deutscher Bäckermeister, der auf einem Liebhabertheater den wilden Türken spielen soll und sich dazu für anderthalbe Mark vom Maskenverleiher das Kostüm geliehen hat. Mit dem Mülasim war es ganz ähnlich. Just so wie er mußte eine sechzigjährige Kaffeeschwester aussehen, die auf den unbegreiflichen Backfischgedanken gerathen ist, in Pumphosen und Osmanly-Jacke auf die Redoute zu gehen. Es war mir ganz so, als müsse ich jetzt hinter dem Baume hervortreten und sie überraschen mit den geflügelten Worten:

»Schön' guten Abend, Meister Mehlhuber; 'pfehle mich, Fräulein Lattenstengel; 'was Neues? Danke, danke, werde so frei sein!«

Freilich waren die Worte, welche ich zu hören bekam, etwas weniger gemüthlich. Ich lag ihnen so nahe, daß ich Alles hören konnte.

»Toplerimiz chosch – unsere Kanonen sind gut!« brummte der Jüs Baschi.

»Pek chosch – sehr gut!« flötete der Mülasim.

»Atar-iz, atar-iz hepsi – wir werden schießen, Alles niederschießen!«

»Hepsi – Alles!« ertönte das Echo.

»Japar-iz kazangdschü – wir werden Beute machen!«

»Tschok kazangdschü – viel Beute!«

»Oladschag-iz jijid – wir werden tapfer sein!«

»Pek jijid – sehr tapfer!«

»Binar-iz – wir werden befördert werden!«

»Jüksek, ghajet jüksek – hoch, äußerst hoch!«

»Tütar-iz sonra tütünü adschemli – dann rauchen wir Tabak aus Persien!«

»Tütünü schirazli – Tabak aus Schiras!«

»Ile itschar-iz kawehji arabli – und trinken Kaffee aus Arabien!«

»Kawehji mokkahli – Kaffee aus Mokka!«

»Dschesidiler gerek olar-lar ölmek hepsi – die Dschesidi müssen alle sterben!«

»Hepsi – alle!«

»Fenalar – die Bösewichter!«

»Oghanlar – die Buben!«

»Na paklar, utanmazlar – die Unreinen, die Unverschämten!«

»Kiöpekler – die Hunde!«

»Öldirar-iz onlari – wir werden sie tödten!«

»Jarin sabah tiz – morgen früh gleich!«

»Tabiatli, dir doghru – natürlich, das versteht sich!«

Ich hatte nun genug gesehen und gehört; darum zog ich mich zurück, erst langsam und vorsichtig, dann aber rascher. Ich erhob mich dabei sogar von der Erde, worüber Halef sich nicht wenig wunderte, als ich bei ihm ankam.

»Wer ist es, Sihdi?«

»Artilleristen. Komm; wir haben keine Zeit!«

»Gehen wir aufrecht?«

»Ja.«

Wir erreichten bald unsere Pferde, stiegen auf und kehrten zurück. Die Strecke nach Scheik Adi wurde jetzt natürlich viel schneller zurückgelegt, als vorhin. Wir fanden dort noch dasselbe rege Leben.

Ich hörte, daß Ali Bey sich beim Heiligthum befinde, und traf ihn mit dem Mir Scheik Khan in dem inneren Hofe desselben. Er kam mir erwartungsvoll entgegen und führte mich zum Khan.

»Was hast Du gesehen?« frug er.

»Kanonen!«

»Oh!« machte er erschrocken. »Wie viele?«

»Vier kleine Gebirgskanonen.«

»Welchen Zweck haben sie?«

»Scheik Adi soll damit zusammengeschossen werden. Während die Askeri von Baadri und Kaloni angreifen, soll die Artillerie jedenfalls da unten am Wasser spielen. Der Plan ist nicht schlecht, denn von dort aus läßt sich das ganze Thal bestreichen. Es handelte sich nur darum, die Geschütze unbemerkt über die Höhen zu bringen; dies ist gelungen; man hat sich der Maulthiere bedient, mit deren Hilfe die Kanonen in einer Stunde von dem Lagerplatze aus bis nach Scheik Adi gebracht werden können.«

»Was thun wir, Emir?«

»Gib mir sofort sechzig Reiter mit und einige Feneri, so siehst Du binnen zwei Stunden die Geschütze mit ihrer Bedienung hier in Scheik Adi!«

»Gefangen?«

»Gefangen!«

»Herr, ich gebe Dir hundert Reiter!«

»Nun wohl, gib mir sofort achtzig und sage ihnen, daß ich sie unten am Wasser erwarte.«

Ich ging und traf Halef und Selek noch bei den Pferden.

»Was wird Ali Bey thun?« frug Halef.

»Nichts. Wir selbst werden thun, was gethan werden soll.«

»Was ist das, Sihdi? Du lachst! Herr, ich kenne Dein Gesicht; wir holen die Kanonen?«

»Allerdings! Ich möchte aber die Kanonen haben, ohne daß Blut vergossen wird, und darum nehmen wir achtzig Reiter mit.«

Wir ritten dem Ausgange des Thales zu, wo wir nicht lange warten durften, bis die Achtzig kamen.

Ich sandte Selek mit zehn Mann voran und folgte mit den Andern eine Strecke hinter ihnen. Wir erreichten, ohne einen Feind zu sehen, die Anhöhe, auf welcher Selek vorhin auf uns gewartet hatte, und stiegen da ab. Zunächst sandte ich einige Leute aus, welche für unsere eigene Sicherheit zu wachen hatten; dann ließ ich zehn Mann bei den Pferden zurück und gebot ihnen, den Platz ohne meinen Befehl nicht zu verlassen, und nun schlichen wir Andern auf das Wäldchen zu. In passender Entfernung vor demselben angekommen, wurde Halt gemacht, und ich ging allein vorwärts. Wie vorher gelangte ich auch diesmal ohne Hinderniß zu dem Baume, unter welchem ich bereits gelegen hatte. Die Türken lagen in einzelnen Gruppen beisammen und plauderten. Ich hatte gehofft, daß sie schliefen. Die militärische Wachsamkeit und die Erwartung des bevorstehenden Kampfes ließen sie jedoch nicht schlafen. Ich zählte mit den Unteroffizieren und den beiden Offizieren vierunddreißig Mann und kehrte zu den Meinen zurück.

»Hadschi Halef und Selek, geht und holt Eure Pferde! Ihr reitet einen Bogen und kommt an der andern Seite des Wäldchens vorüber. Man wird Euch anhalten. Ihr sagt, daß Ihr Euch verirrt habt und zu dem Feste nach Scheik Adi kommen wollt. Ihr werdet so die Aufmerksamkeit der Osmanly von uns ab-, und auf Euch lenken. Das Übrige ist unsere Sache. Geht!«

Die Übrigen ließ ich zwei lange, hinter einander stehende Reihen bilden, die den Zweck hatten, das Gehölz von drei Seiten zu umfassen. Ich gab ihnen die nöthige Anweisung, worauf wir uns zu Boden legten und vorwärts krochen.

Natürlich kam ich am schnellsten voran. Ich hatte meinen Baum wohl bereits seit zwei Minuten erreicht, als laute Hufschläge erschallten. Das Feuer brannte noch immer; darum war es mir möglich, die ganze Scene leidlich zu überblicken. Die beiden Offiziere hatten wahrscheinlich während der ganzen Zeit meiner Abwesenheit geraucht und Kaffee getrunken.

»Scheik Adi kem juwa – Scheik Adi ist ein böses Nest!« hörte ich den Hauptmann sagen.

»Jum juwa – ganz bös!« antwortete der Lieutenant.

»Chalk onda scheïtani etar-lar – die Leute dort beten den Teufel an!«

»Scheïtani; Allah onlari döj-sun de jassilt-sun de – Den Teufel; Allah zerhacke und zerquetsche sie!«

»Bu kylar-iz – das werden wir thun!«

»He, onlari jirtar-iz – ja, wir werden sie zerreißen!«

»Büz bütün – ganz und gar!«

Bis hierher konnte ich die Unterhaltung vernehmen, dann aber hörte man das erwähnte Pferdegetrappel. Der Lieutenant hob den Kopf empor.

»Bir kemse gel-yr – man kommt!« sagte er.

Auch der Hauptmann lauschte.

»Kim dir olan – wer mag das sein?« frug er.

»Iki atlilar dirler; onu ischar-im – es sind zwei Reiter; ich höre es.«

Sie erhoben sich, und die Soldaten taten dasselbe. In dem Scheine, welchen das Feuer hinauswarf, wurden Halef und Selek sichtbar. Der Hauptmann trat ihnen entgegen und zog seinen Säbel.

»Halt! Wer seid Ihr?« rief er sie an.

Sie waren sofort von den Türken umringt. Mein kleiner Halef betrachtete sich die Offiziere vom Pferde herunter mit einer Miene, welche mich errathen ließ, daß sie auf ihn ganz denselben Eindruck machten, den sie auch auf mich hervorgebracht hatten.

»Wer Ihr seid, habe ich gefragt!« wiederholte der Hauptmann.

»Leute!«

»Was für Leute?«

»Männer!«

»Was für Männer?«

»Reitende Männer!«

»Scheïtan sizi jer – der Teufel verschlinge Euch! Antwortet besser, sonst erhaltet Ihr die Bastonnade! Also, wer seid Ihr?«

»Wir sind Dschesidi,« antwortete jetzt Selek mit kleinlauter Stimme.

»Dschesidi? Ah! Woher?«

»Aus Mekka.«

»Aus Mekka? Allah il Allah! Gibt es dort auch Teufelsanbeter?«

»Jarisi jük – grad fünfmalhunderttausend.«

»O kadar – so viele! Allah kerihm; er läßt viel Unkraut unter dem Weizen wachsen! – Wohin wollt Ihr?«

»Nach Scheik Adi.«

»Ah, sizi war-benim – ah, habe ich Euch! Was wollt Ihr dort?«

»Es wird dort ein großes Fest gefeiert.«

»Ich weiß es. Ihr tanzt und singt mit dem Teufel und betet dabei einen Hahn an, der durch das Feuer der Dschehennah ausgebrütet worden ist. Steigt ab! Köle olar-siz – Ihr seid meine Gefangenen!«

»Gefangen? Was haben wir gethan?«

»Oghular scheïtanün siz – Ihr seid Söhne des Teufels. Ihr müßt geprügelt werden, bis Euer Vater von Euch gewichen ist. Aschaghy atlardan – herunter von den Pferden!«

Er griff selbst zu, und die beiden Männer wurden förmlich von den Pferden heruntergezogen.

»Gebt Euere Waffen her!«

Ich wußte, Halef würde das nie thun, selbst unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht. Er sah suchend nach dem Feuer hin, und so hob ich den Kopf so weit empor, daß er mich erblickte. Nun wußte er, daß er sicher sein könne. Aus dem vielen leisen Rascheln hinter mir hatte ich bereits erkannt, daß die Meinen das Lager vollständig umschlossen hatten.

»Unsere Waffen?« frug Halef. »Höre, Jüs Baschi, erlaube, daß wir Dir etwas sagen!«

»Was?«

»Das können wir nur Dir und dem Mülasim mittheilen.«

»Ich mag nichts von Euch erfahren!«

»Es ist aber wichtig, sehr wichtig!«

»Was betrifft es?«

»Höre!«

Er flüsterte ihm einige Worte in das Ohr, welche den augenblicklichen Erfolg hatten, daß der Hauptmann einen Schritt zurücktrat und den Sprecher mit einer gewissen achtungsvollen Miene musterte. Später erfuhr ich, daß der schlaue Halef geflüstert hatte: »Euern Geldbeutel betrifft es!«

»Ist das wahr?« frug der Offizier.

»Es ist wahr!«

»Wirst Du darüber schweigen?«

»Wie das Grab!«

»Schwöre es mir!«

»Wie soll ich schwören?«

»Bei Allah und dem Barte des – – doch nein, Ihr seid ja Dschesidi. So schwöre es mir beim Teufel, den Ihr anbetet!«

»Nun wohl! Der Teufel weiß es, daß ich nachher nichts sagen werde!«

»Aber er wird Dich zerreißen, wenn Du die Unwahrheit sagst! Komm, Mülasim; kommt, Ihr Beiden!«

Die vier Männer traten zum Feuer herbei; ich konnte jedes ihrer Worte vernehmen.

»Nun, so rede!« gebot der Hauptmann.

»Laß uns frei! Wir werden Dich bezahlen.«

»Habt Ihr Geld?«

»Wir haben Geld.«

»Wißt Ihr es nicht, daß dieses Geld bereits mir gehört? Alles, was Ihr bei Euch führt, ist unser.«

»Du wirst es nie finden. Wir kommen von Mekka her, und wer eine solche Reise macht, der weiß sein Geld zu verbergen.«

»Ich werde es finden!«

»Du wirst es nicht finden, selbst wenn Du uns tödtest und Alles ganz genau durchsuchen lässest. Die Teufelsanbeter haben sehr gute Mittel, ihr Geld unsichtbar zu machen.«

»Allah ist allwissend!«

»Aber Du bist nicht Allah!«

»Ich darf Euch nicht freilassen.«

»Warum?«

»Ihr würdet uns verrathen.«

»Verrathen? Wie so?«

»Seht Ihr nicht, daß wir hier sind, um einen Kriegszug zu unternehmen?«

»Wir werden Dich nicht verrathen.«

»Aber Ihr wollt nach Scheik Adi gehen!«

»Sollen wir nicht?«

»Nein.«

»So sende uns, wohin es Dir beliebt!«

»Wolltet Ihr nach Baaweiza gehen und dort zwei Tage warten?«

»Wir wollen es.«

»Wie viel wollt Ihr uns für Eure Freiheit zahlen?«

»Wie viel verlangst Du?«

»Fünfzehntausend Piaster für Jeden.«

»Herr, wir sind sehr arme Pilger. So viel haben wir nicht bei uns!«

»Wie viel habt Ihr?«

»Fünfhundert Piaster können wir Dir vielleicht geben.«

»Fünfhundert? Kerl, Ihr wollt uns betrügen!«

»Vielleicht bringen wir auch sechshundert zusammen.«

»Ihr gebt zwölftausend Piaster und keinen Para weniger. Das schwöre ich Euch bei Mohammed. Und wollt Ihr nicht, so lasse ich Euch so lange prügeln, bis Ihr sie gebt. Ihr habt gesagt, daß Ihr Mittel besitzt, Euer Geld unsichtbar zu machen; Ihr habt also viel bei Euch, und ich habe das Mittel, Euere Piaster wieder sichtbar zu machen!«

Halef tat, als erschrecke er.

»Herr, thust Du es wirklich nicht billiger?«

»Nein.«

»So müssen wir es Dir geben!«

»Ihr Schurken, jetzt sehe ich, daß Ihr viel Geld bei Euch habt! Nun werdet Ihr nicht für zwölftausend Piaster frei, sondern Ihr müßt das geben, was ich zuerst verlangte, nämlich fünfzehntausend.«

»Verzeihe, Herr, das ist zu wenig!«

Der Hauptmann sah den kleinen Hadschi Halef ganz erstaunt an.

»Wie meinst Du das, Kerl?«

»Ich meine, daß ein Jeder von uns mehr werht ist, als fünfzehntausend Piaster. Erlaube, daß wir Dir fünfzigtausend geben!«

»Mensch, bist Du verrückt?«

»Oder hunderttausend!«

Der Bäckermeister-Jüs Baschi blies ganz rathlos die Backen auf und blickte dem Lieutenant in das hagere Gesicht.:

»Mülasim, ne sen-der – Lieutenant, was sagst Du?«

Dieser hatte den Mund offen und gestand freimüthig:

»Hitsch, sim hitsch – nichts, ganz und gar nichts!«

»Ich auch nichts! Diese Menschen müssen ungeheuer reich sein!«

Dann wandte er sich wieder zu Halef:

»Wo habt Ihr das Geld?«

»Mußt Du es wissen?«

»Ja.«

»Wir haben Einen bei uns, der für uns bezahlt. Du kannst ihn aber nicht sehen.«

»Allah bizi koruny-sun – Allah beschütze uns! Du meinst den Teufel!«

»Soll er kommen?«

»Nein, nein, niemals! Ich bin kein Dschesidi, ich verstehe nicht, mit ihm zu reden! Ich würde todt sein vor Schreck!«

»Du wirst nicht erschrecken, denn dieser Scheïtan kommt in der Gestalt eines Menschen. Da ist er schon!«

Ich hatte mich hinter dem Baume erhoben, und mit zwei schnellen Schritten stand ich vor den beiden Offizieren. Sie fuhren entsetzt aus einander, der Eine nach rechts und der Andere nach links. Da ihnen aber meine Gestalt doch nicht ganz und gar schrecklich vorkommen mochte, so blieben sie stehen und starrten mich wortlos an.

»Jüs Baschi,« redete ich sie an, »ich habe Alles gehört, was Ihr heute Abend und heute Morgen gesprochen habt. Ihr sagtet, Scheik Adi sei ein böses Nest!«

Ein schwerer Athemzug erscholl als einzige Antwort.

»Ihr sagtet, Allah möge dort die Leute zerhacken und zerquetschen.«

»Oh, oh!« ertönte es.

»Ihr sagtet ferner, Ihr wolltet die Bösewichter, die Buben, die Unreinen, die Unverschämten, die Hunde niederschießen und große Beute machen!«

Der Mülasim war halb todt vor Angst, und der Jüs Baschi konnte nichts als stöhnen.

»Ihr wolltet dann befördert werden und Tabak aus Schiras rauchen!«

»Er weiß Alles!« brachte der dicke Hauptmann angstvoll hervor.

»Ja, ich weiß Alles. Ich werde Euch befördern. Weißt Du, wohin?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nach Scheik Adi, zu den Unreinen und Unverschämten, die Ihr tödten wolltet. Jetzt sage ich zu Euch das, was Ihr vorhin zu diesen beiden Männern sagtet: Köle olar-siz – Ihr seid meine Gefangenen!«

Die Soldaten konnten sich den Vorgang nicht erklären; sie standen in einem dichten Knäuel beisammen. Der Wink, welchen ich bei meinen letzten Worten gab, genügte. Die Dschesidi brachen hervor und umringten sie. Nicht ein Einziger dachte daran, Widerstand zu leisten. Alle waren ganz verblüfft. Die Offiziere aber ahnten nun doch den wahren Sachverhalt und griffen in den Gürtel.

»Halt, keine Gegenwehr!« ermahnte ich sie, indem ich den Revolver zog. »Wer zur Waffe greift, wird augenblicklich niedergeschossen!«

»Wer bist Du?« frug der Hauptmann.

Er schwitzte förmlich. Der brave Fallstaff dauerte mich einigermaßen, und die Don Quixote-Gestalt neben ihm gleichfalls. Um ihre Beförderung war es nun geschehen.

»Ich bin Euer Freund und wünsche deßhalb, daß Ihr nicht von den Dschesidi niedergeschossen werdet. Gebt Eure Waffen ab!«

»Aber wir brauchen sie doch!«

»Wozu?«

»Wir müssen damit die Geschütze vertheidigen!«

Dieser beispiellosen Naivität war nicht zu widerstehen, ich mußte laut auflachen. Dann beruhigte ich sie:

»Seid ohne Sorgen; wir werden die Kanonen behüten!«

Es ward zwar noch Einiges hin und her gesprochen, dann aber streckten sie doch die Waffen.

»Was werdet Ihr mit uns thun?« frug jetzt der besorgte Jüs Baschi.

»Das kommt ganz auf Euer Verhalten an. Vielleicht werdet Ihr getödtet, vielleicht aber auch erlangt Ihr Gnade, wenn Ihr gehorsam seid.«

»Was sollen wir thun?«

»Zunächst meine Fragen der Wahrheit gemäß beantworten.«

»Frage!«

»Kommen noch mehr Truppen hinter Euch?«

»Nein.«

»Ihr seid wirklich die Einzigen hier?«

»Ja.«

»So ist der Miralai Omar Amed ein sehr unfähiger Mensch. In Scheik Adi halten mehrere tausend Bewaffnete, und hier schickt er dreißig Männer mit vier Kanonen gegen sie. Er mußte Euch wenigstens einen Alai Emini mit zweihundert Mann Infanterie als Bedeckung mitgeben. Dieser Mann hat gemeint, die Dschesidi seien so leicht zu fangen und zu tödten, wie die Fliegen. Welche Befehle hat er Euch gegeben?«

»Wir sollen die Geschütze unbemerkt bis an das Wasser schaffen.«

»Und dann?«

»Und dann an demselben aufwärts gehen, bis eine halbe Stunde vor Scheik Adi.«

»Weiter!«

»Dort sollen wir warten, bis er uns einen Boten sendet. Darauf müssen wir bis zum Thale vorrücken und die Dschesidi mit Kugeln, Kartätschen und Granaten beschießen.«

»Das Vorrücken ist Euch gestattet; Ihr werdet sogar noch weiter kommen als nur bis zum Eingange des Thales. Das Schießen aber werden Andere übernehmen.«

Nun es einmal geschehen war, ergaben sich die Türken als echte Fatalisten ganz ruhig in ihr Schicksal. Sie mußten zusammentreten und wurden von den Dschesidi escortirt. Die Geschützstücke waren auf die Maulthiere geladen worden und folgten unter Bedeckung. Natürlich machten wir uns wieder beritten, als wir bei den Pferden ankamen.

Eine halbe Stunde vor dem Thale von Scheik Adi ließ ich die Kanonen unter dem Schutze von zwanzig Mann zurück. Es geschah dies um des Boten willen, welcher von dem Miralai erwartet wurde.

Gleich an dem Eingange zum Thale trafen wir auf eine bedeutende Menschenmenge. Das Gerücht von unserer kleinen Expedition hatte sich sehr bald unter den Pilgern verbreitet, und man hatte sich hier versammelt, um das Ergebniß so bald wie möglich zu vernehmen. In Folge dessen war auch jedwedes Schießen im Thale eingestellt worden, so daß nun eine tiefe Stille herrschte. Man wollte die Schüsse hören, falls es zwischen uns und den Türken zu einem ernstlichen Kampfe kommen sollte.

Der Erste, welcher mir entgegenkam, war Ali Bey.

»Endlich kommst Du,« rief er sichtlich erleichtert; dann setzte er besorgt hinzu: »aber ohne Kanonen! Und auch Leute fehlen!«

»Es fehlt kein Mann, und auch kein einziger ist verwundet.«

»Wo sind sie?«

»Bei Halef und Selek draußen bei den Geschützen, die ich zurückgelassen habe.«

»Warum?«

»Dieser Jüs Baschi hat mir erzählt, daß der Miralai an die Stelle, an welcher die Kanonen stehen, einen Boten senden werde. Sie sollen dann vorrücken und Scheik Adi mit Vollkugeln, Kartätschen und Granaten beschießen. Hast Du Leute, welche ein Geschütz zu bedienen verstehen?«

»Genug!«

»So sende sie hinaus. Sie mögen mit den Türken die Kleidung wechseln, den Boten gefangen nehmen und dann sofort einen Schuß lösen. Dies wird für uns das sicherste Zeichen sein, daß der Feind nahe ist, und diesen selbst wird es zu einem übereilten Angriff verleiten. Was thust Du mit den Gefangenen?«

»Ich schicke sie fort und lasse sie bewachen.«

»Im Thale Idiz?«

»Nein. Diesen Ort darf Keiner sehen, der nicht ein Dschesidi ist. Aber es gibt eine kleine Schlucht, in der es möglich ist, die Gefangenen nur durch wenige Leute festzuhalten. Komm!«

In seinem Hause erwartete mich ein sehr reichliches Nachtessen, wobei mich seine Frau bediente. Er selbst war nicht zugegen, denn er mußte die Umkleidung der Gefangenen beaufsichtigen, welche dann abgeführt wurden. Diejenigen, welche die Uniformen der Türken erhielten, waren geschulte Kanoniere und rückten bald ab, um sich zu den Geschützen zu begeben.

Die Sterne begannen bereits zu erbleichen, als Ali Bey zu mir kam.

»Bist Du bereit, aufzubrechen, Emir?«

»Wohin?«

»Nach dem Thale Idiz.«

»Erlaube, daß ich hier bleibe!«

»Du willst mitkämpfen?«

»Nein.«

»Dich uns nur anschließen, um zu sehen, ob wir tapfer sind?«

»Ich werde mich Euch auch nicht anschließen, sondern hier in Scheik Adi bleiben.«

»Herr, was denkst Du!«

»Ich denke, daß dies das Richtige sein wird.«

»Man wird Dich tödten!«

»Nein. Ich stehe unter dem Schutze des Großherrn und des Mutessarif.«

»Aber Du bist unser Freund; Du hast die Artilleristen gefangen genommen; das wird Dir das Leben kosten!«

»Wer wird das den Türken erzählen? Ich bleibe hier mit Halef und dem Baschi-Bozuk. So kann ich für Euch vielleicht mehr thun, als wenn ich in Euren Reihen kämpfe.«

»Du magst Recht haben, Emir; aber wenn wir schießen, kannst auch Du verwundet oder vielleicht gar getödtet werden!«

»Das glaube ich nicht, denn ich werde mich hüten, mich Euern Kugeln auszusetzen.«

Da öffnete sich die Thüre, und ein Mann trat herein. Er gehörte zu den Posten, welche Ali Bey ausgestellt hatte.

»Herr,« meldete er ihm, »wir haben uns zurückgezogen, denn die Türken sind bereits in Baadri. In einer Stunde sind sie hier.«

»Kehre zurück und sage den Deinen, daß sie immer in der Nähe der Türken bleiben, sich aber von ihnen nicht sehen lassen sollen!«

Wir gingen vor das Haus. Die Frauen und Kinder zogen an uns vorüber und verschwanden hinter dem Heiligthume. Da kam ein zweiter Bote athemlos gelaufen und meldete:

»Herr, die Türken haben Kaloni längst verlassen und marschiren durch die Wälder. In einer Stunde können sie hier sein.«

»Postirt Euch jenseits des ersten Thales und zieht Euch, wenn sie kommen, zurück. Die Unserigen werden Euch oben erwarten!«

Der Mann kehrte zurück, und der Bey entfernte sich auf einige Zeit. Ich stand am Hause und sah auf die Gestalten, die an mir vorüberzogen. Als die Frauen und Kinder vorbei waren, schlossen sich ihnen lange Reihen von Männern an, zu Fuße und zu Pferde; aber sie verschwanden nicht hinter dem Heiligthume, sondern erstiegen die nach Baadri und Kaloni gelegenen Höhen, um den Türken das Thal freizugeben. Es war ein eigenthümliches Gefühl, welches ich beim Anblick dieser dunklen Gestalten empfand. Ein Licht nach dem andern wurde ausgeblasen; eine Fackel nach der andern erlosch, und nur das Grabmal mit seinen beiden Thürmen streckte seine flammende Doppelzunge noch immer zum Himmel empor. Ich war allein hier. Die Angehörigen des Bey waren fort; der Buluk Emini schlief droben auf der Plattform, und Halef war noch nicht zurück. Da aber hörte ich den Galopp eines Pferdes. Halef sprengte heran. Als er absaß, erdröhnten von unten herauf zwei starke, krachende Schläge.

»Was war das, Halef?«

»Die Bäume stürzen. Ali Bey hat befohlen, sie zu fällen, um unten das Thal zu schließen und die Kanonen gegen einen Angriff der Türken zu schützen.«

»Das ist klug gehandelt! Wo sind die Andern von den Zwanzig?«

»Sie mußten auf Befehl des Bey bei den Geschützen zurückbleiben, und er hat außerdem noch dreißig andere Männer zu ihrer Bedeckung beordert.«

»Also zusammen fünfzig Mann. Diese könnten schon einen Angriff aushalten.«

»Wo sind die Gefangenen?« frug Halef.

»Bereits fort unter Aufsicht.«

»Und diese Männer hier ziehen schon zum Kampfe?«

»Ja.«

»Und wir?«

»Bleiben hier zurück. Ich bin begierig, die Gesichter der Türken zu sehen, wenn sie bemerken, daß sie in die Falle gerathen sind.«

Dieser Gedanke schien Halef zu befriedigen, so daß er nicht über unser Hierbleiben murrte. Er mochte sich auch sagen, daß dieses Bleiben wohl gefährlicher sei, als der Anschluß an die Streiter.

»Wo ist Ifra?« frug Halef noch.

»Er schläft auf der Plattform.«

»Er ist ein Ujkudischi, Sihdi, und darum wird ihm sein Hauptmann den Esel gegeben haben, welcher die ganze Nacht hindurch schreit. Weiß er bereits etwas von dem, was geschehen wird?«

»Ich glaube nicht. Er soll auch nicht wissen, wie weit wir dabei betheiligt waren; verstehst Du?«

Da kam Ali Bey noch einmal zurück, um sein Pferd zu holen. Er machte mir noch allerlei Vorstellungen, welche aber nichts fruchteten, und so war er gezwungen, mich zu verlassen. Er that dies mit dem herzlichsten Wunsche, daß mir nichts Böses geschehen möge, und versicherte wiederholt, er würde alle fünfzehnhundert Türken niederschießen lassen, wenn ich von ihnen ein Leid erdulden müsse. Zuletzt bat er mich, das große weiße Tuch, welches in der Stube hing, auf die Plattform des Hauses, welche er von der Höhe ganz gut überblicken konnte, zu legen, zum Zeichen, daß ich mich wohl befinde. Sollte das Tuch fortgenommen werden, so werde er schließen, daß ich mich in Gefahr befinde, und werde sofort dem gemäß handeln.

Nun stieg er auf und ritt davon, der Letzte von all' den Seinen.

Der Tag begann zu grauen; der Himmel lichtete sich, und wenn man zu ihm emporblickte, vermochte man bereits die einzelnen Äste der Bäume zu unterscheiden. Droben an der gegenüberliegenden Thalwand verhallten die Hufschläge von Ali Bey's Pferd. Ich war nun, da auch mein Dolmetscher mich verlassen mußte, mit den beiden Dienern ganz allein in jenem viel besprochenen Thale eines geheimnißvollen und auch jetzt mir immer noch räthselhaften Cultus. Allein? Ganz Allein? War es wirklich so, oder hörte ich nicht Schritte dort in dem kleinen El Schems geweihten Hause?

Eine lange, weiße Gestalt trat hervor und blickte sich um. Da sah sie mich und kam auf mich zu. Ein langer, schwarzer Bart hing ihr über die Brust herab, während das Haupthaar schneeweiß über den Rücken wallte. Es war Pir Kamek; ich erkannte ihn jetzt.

»Du noch hier?« frug er, als er vor mir stand, mit beinahe harter Stimme. »Wann folgest Du den Andern nach?«

»Ich bleibe hier.«

»Du bleibst? Warum?«

»Weil ich Euch hier mehr nützen kann, als auf andere Weise.«

»Das ist möglich, Emir; aber dennoch solltest Du gehen!«

»Ich richte dieselbe Frage an Dich: Wann gehest Du den Andern nach?«

»Ich bleibe.«

»Warum?«

»Hast Du dort den Scheiterhaufen nicht gesehen?« antwortete er finster. »Er hält mich zurück.«

»Warum er?«

»Weil es nun an der Zeit ist, das Opfer zu bringen, wegen dessen ich ihn errichten ließ.«

»Die Türken werden Dich ja stören!«

»Sie werden mir sogar das Opfer bringen, und ich werde heute den wichtigsten Tag meines Lebens feiern.«

Fast wollte es mir unheimlich werden bei dem Klange dieser hohlen, Stimme. Ich überwand jedoch dieses Gefühl und frug:

»Wolltest Du nicht heute noch mit mir über Dein Buch sprechen, welches mir Ali Bey geliehen hatte?«

»Kann es Dir Freude machen und Nutzen bringen?«

»Gewiß!«

»Emir, ich bin ein armer Priester; nur Dreierlei gehört mir: mein Leben, mein Kleid und das Buch, von dem Du redest. Mein Leben bringe ich dem Reinen, dem Mächtigen, dem Erbarmenden zurück, der mir es geliehen hat; mein Kleid überlasse ich dem Elemente, in welchem auch mein Leib begraben wird, und das Buch schenke ich Dir, damit Dein Geist mit dem meinigen sprechen könne, wenn Zeiten, Länder, Meere und Welten uns von einander trennen.«

War dies nur eine blumige, orientalische Ausdrucksweise, oder sprach aus ihm wirklich die Ahnung eines nahen Todes? Es überlief mich ein Schauder, den ich nicht abschütteln konnte.

»Pir Kamek, Deine Gabe ist groß; fast kann ich sie nicht annehmen!«

»Emir, ich liebe Dich. Du wirst das Buch erhalten, und wenn Dein Blick auf die Worte fällt, die meine Hand geschrieben hat, so denke an das letzte Wort, welches diese Hand schreiben wird in das Buch, darinnen verzeichnet steht die blutige Geschichte der Dschesidi, der Verachteten und Verfolgten.«

Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn umarmen.

»Ich danke Dir, Pir Kamek! Auch ich liebe Dich, und wenn ich Dein Buch öffne, so wird vor mich treten Deine Gestalt, und ich werde hören alle Worte Deines Mundes, die Du zu mir gesprochen hast. Jetzt aber solltest Du Scheik Adi verlassen, denn noch ist es nicht zu spät!«

»Sieh dort das Heiligthum, in welchem Der begraben liegt, welcher verfolgt und getödtet wurde. Er ist nie geflohen. Steht nicht auch in Deinem Kitab, daß man sich nicht fürchten soll vor Jenen, die nur den Leib tödten können? Ich bleibe hier, da ich weiß, daß die Osmanly mir nicht zu schaden vermögen. Und wenn sie mich tödteten, was wäre es? Muß nicht der Tropfen emporsteigen zur Sonne? Stirbt nicht El Schems, der Glänzende, täglich, um auch täglich wieder aufzuerstehen? Ist nicht der Tod der Eingang in eine lichtere, in eine reinere Welt? Hast Du jemals gehört, daß ein Dschesidi von einem Andern sagt, daß er gestorben sei? Er sagt nur, daß er verwandelt sei; denn es gibt weder Tod noch Grab, sondern Leben, nichts als Leben. Darum weiß ich auch, daß ich Dich einst wiedersehen werde!«

Nach diesen Worten schritt er schnell davon und kam hinter der Außenmauer des Grabmales außer Sicht.

Ich trat in das Gebäude und ging nach der Plattform. Droben vernahm ich Stimmen. Halef und Ifra redeten mit einander.

»Ganz allein?« hörte ich den Letzteren fragen.

»Ja.«

»Wohin sind die Andern, die Vielen, die Tausende?«

»Wer weiß es!«

»Aber warum sind sie fort?«

»Sie sind geflohen.«

»Vor wem?«

»Vor Euch.«

»Vor uns? Hadschi Halef Omar, ich verstehe nicht, was Du sagest!«

»So will ich Dir es deutlicher sagen: Sie sind geflohen vor Deinem Mutessarif und vor Deinem Miralai Omar Amed.«

»Aber warum denn?«

»Weil der Miralai kommt, um Scheik Adi zu überfallen.«

»Allah akbar, Gott ist groß, und die Hand des Mutessarif ist mächtig! Sage mir, ob ich bei unserem Emir bleiben darf, oder ob ich unter dem Miralai kämpfen muß!«

»Du mußt bei uns bleiben.«

»Hamdullillah, Preis und Dank sei Allah, denn es ist gut sein bei unserm Emir, den ich zu beschützen habe!«

»Du? Wann hast Du ihn denn beschützt?«

»Stets, so lange er unter meinem Schirme wandelt!«

Halef lachte und erwiederte:

»Ja, Du bist der Mann dazu! Weißt Du, wer der Beschützer des Emir ist?«

»Ich!«

»Nein, ich!«

»Hat ihn nicht der Mutessarif selbst in meine Obhut gegeben?«

»Hat er sich nicht selbst unter meinen Schutz begeben? Und wer gilt da mehr, der Sihdi oder Dein SuzhitschWörtlich: Ohnenichts, also nichts, gar nichts, nicht einmal nichts, der geringschätzendste Ausdruck, dessen sich ein Türke bedienen kann von Mutessarif?«

»Halef Omar, hüte Deine Zunge! Wenn ich dieses Wort dem Mutessarif sage!«

»Glaubst Du, ich werde mich dann vor ihm fürchten? Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah!«

»Und ich heiße Ifra, gehöre zu den tapfern Baschi-Bozuk des Großherrn und wurde für meine Heldenthaten zum Buluk Emini ernannt! Für Dich sorgt nur eine Person, für mich aber sorgt der Padischah und der ganze Staat, den man den osmanischen nennt!«

»Ich möchte wirklich wissen, welchen Vortheil Du von dieser Fürsorge hast!«

»Welchen Vortheil? – Ich will es Dir auseinandersetzen! Ich erhalte einen Monatssold von fünfunddreißig Piastern und täglich zwei Pfund Brot, siebzehn Loth Fleisch, drei Loth Butter, fünf Loth Reis, ein Loth Salz, anderthalb Loth Zuthaten nebst Seife, Öl und Stiefelschmiere!«

»Und dafür verrichtest Du Heldenthaten?«

»Ja, sehr viele und sehr große!«

»Die möchte ich sehen!«

»Was? Du glaubst das nicht! Wie bin ich da zum Beispiel um meine Nase gekommen, welche ich nicht mehr habe! Das war nämlich bei einem Streite zwischen den Drusen und Maroniten des Dschebel Libanon. Wir wurden hingeschickt, um Ruhe und Achtung der Gesetze zu erkämpfen. In einer dieser Schlachten schlug ich wie wütend um mich herum. Da holte ein Feind nach meinem Kopfe aus. Ich wollte ausweichen und trat zurück, und nun traf der Hieb statt meinen Kopf meine Na- – – oooh – aaah – – was war das?«

»Ja, was war das? Ein Kanonenschuß!«

Halef hatte recht; es war ein Kanonenschuß, der den kleinen Buluk Emini um den Schluß seiner interessanten Erzählung gebracht hatte. Das war jedenfalls der Signalschuß, den unsere Artilleristen abgegeben hatten, um uns anzuzeigen, daß der Adjutant des Miralai von ihnen gefangen genommen worden sei. Die beiden Diener kamen sofort von oben herunter geeilt.

»Sihdi, man schießt!« rief Halef, nach den Hähnen seiner Pistolen sehend.

»Mit Kanonen!« fügte Ifra hinzu.

»Schön! Holt die Thiere herein und schafft sie nach dem innern Hof!«

»Auch meinen Esel?«

»Ja. Dann schließt Ihr die Thür!«

Ich selbst holte den weißen Shawl und breitete ihn oben auf der Plattform aus. Dann ließ ich mir einige Decken kommen und legte mich in der Weise darauf, daß ich von unten nicht bemerkt werden konnte. Die beiden Diener nahmen später unweit von mir Platz.

Es war mittlerweile so licht geworden, daß man ziemlich deutlich sehen konnte. Der Nebel wallte bereits im Thale auf; aber noch immer brannten die Lichter und Flammen des Heiligthums, ein Anblick, welcher dem Auge wehe zu thun begann.

So vergingen fünf, ja zehn erwartungsvolle Minuten. Da hörte ich drüben am Abhange ein Pferd wiehern, noch eins, und dann antwortete ein drittes hüben von der andern Seite. Es war klar: die Truppen rückten zu gleicher Zeit an beiden Seiten in das Thal hernieder. Die Befehle des Miralai wurden mit großer Pünktlichkeit befolgt.

»Sie kommen!« meinte Halef.

»Ja, sie kommen!« bestätigte Ifra. »Herr, wenn sie uns nun für Dschesidi halten und auf uns schießen?«

»Dann lässest Du Deinen Esel hinaus, an welchem sie Dich sofort erkennen werden!«

Kavallerie war jedenfalls nicht dabei; die Pferde, welche gewiehert hatten, waren Offizierspferde. Man hätte das Pferdegetrappel hören müssen. Nach und nach aber ließ sich ein Geräusch bemerken, welches immer hörbarer wurde. Es war der Tritt vieler Menschen, die näher kamen.

Endlich ertönten Stimmen von dem Grabmale her, und zwei Minuten später vernahmen wir den Marschschritt einer geschlossenen Kolonne. Ich erhob den Kopf und schaute hinab. Es waren vielleicht zweihundert Arnauten, prächtige Gestalten mit wilden Angesichtern, angeführt von einem Alai Emini und zwei Hauptleuten. Sie zogen in geschlossenen Gliedern das Thal hinab. Hinter ihnen aber kam eine Bande Baschi-Bozuk, welche sich nach rechts und links zerstreute, um die unsichtbaren Bewohner des Thales aufzusuchen. Dann folgte eine kleine Cavalcade von lauter Offizieren: zwei Jüs Baschi, zwei Alai Emini, zwei Bimbaschi, ein Kaimakam, mehrere Kol Agassi und an der Spitze der Truppe ein langer, hagerer Mensch, mit einem außerordentlich grob zugehackten Gesichte, in der reichen, von Gold strotzenden Uniform eines Regimentscommandeur.

»Das ist der Miralai Omar Amed!« meinte Ifra in achtungsvollem Tone.

»Wer ist der Civilist an seiner Seite?« frug ich.

An der Seite des Obersten nämlich ritt ein Mann, dessen Züge höchst auffällig waren. Ich weiß, daß man einen Menschen nicht mit einem Wesen aus dem Thierreiche vergleichen soll; aber es gibt wirklich menschliche Physiognomien, welche ganz unwillkürlich an bestimmte Thiere erinnern. Ich habe Gesichter gesehen, die etwas Affen-, Bullenbeißer- und Katzenartiges hatten; ich habe bei gewissen Gesichtsschnitten sofort an einen Ochsen, einen Esel, eine Eule, ein Wiesel, ein Rüsselthier oder einen Fuchs oder Bären denken müssen. Mag man nun Phrenolog und Physiognomiker sein oder nicht, man wird doch bald bemerken, daß auch die Haltung, der Gang, die Ausdrucksweise, das ganze Thun und Treiben eines solchen Menschen eine gewisse Ähnlichkeit mit der Art und Weise desjenigen Thieres besitzt, an welches man durch die Physiognomie erinnert wurde. Das Gesicht des Mannes nun, den ich jetzt sah, hatte etwas Raubvogelähnliches; es war ganz das eines Stößers.

»Es ist der Makredsch von Mossul, der Vertraute des Mutessarif,« antwortete der Buluk Emini.

Was wollte, oder was sollte dieser Makredsch mit den Truppen hier? Ich konnte meinen Vermuthungen darüber nicht nachhängen, denn jetzt ertönte plötzlich ein Kanonenschuß und noch einer. Ein wirres Heulen, Schreien und Rufen erscholl, und dann hörte ich ein Stampfen, als ob viele Menschen im Galoppe herbeigesprungen kämen. Die Cavalcade hatte grad unter meinem Beobachtungsposten angehalten.

»Was war das?« rief der Miralai.

»Zwei Kanonenschüsse!« antwortete der Makredsch.

»Sehr richtig!« bemerkte der Oberst spöttisch. »Ein Offizier wäre wohl schwerlich auf diese Antwort gekommen. Aber, Allah, was ist das!«

Die Arnauten, welche soeben erst vorüber marschirt waren, kamen in größter Unordnung und schreiend zurückgeflohen; Viele unter ihnen blutig und zerfetzt, Alle aber von höchstem Schreck ergriffen.

»Halt!« donnerte der Oberst. »Was ist geschehen?«

»Man hat mit Kartätschen auf uns geschossen. Der Alai Emini ist todt und ebenso Einer der Hauptleute; der Andere liegt verwundet dort.«

»Allah onlari boza-uz – Allah vernichte sie! Auf ihre eigenen Leute zu feuern! Ich lasse sie Alle todt peitschen. Nasir Agassi, reite vor und kläre diese Hunde auf!«

Dieser Befehl war an einen der Kol Agassi gerichtet, welche sich in seinem Gefolge befanden. Es war derselbe, den ich am Bache von Baadri überrascht und dem ich dann wieder zu seiner Freiheit verholfen hatte. Er gab seinem Pferde die Sporen, kehrte aber in kürzester Zeit wieder zurück.

»Herr, es sind nicht die Unserigen, sondern es sind Dschesidi, welche geschossen haben. Sie ließen mich herankommen und riefen es mir zu.«

»Wo sind unsere Geschütze?«

»Die befinden sich in ihren Händen; mit ihnen haben sie geschossen; sie haben die Geschütze heute Nacht dem Jüs Baschi abgenommen.«

Der Oberst stieß einen fürchterlichen Fluch hervor.

»Dieser Halunke soll es mir büßen! Wo ist er?«

»Gefangen mit allen seinen Leuten.«

»Gefangen? Mit Allen? Also ohne sich gewehrt zu haben!«

Er stieß seinem Pferde vor Wuth die Sporen so in die Weichen, daß es kerzengerade emporstieg, dann frug er weiter:

»Wo sind diese Dschesidi, die Teufelsmänner, diese Giaurs unter den Giaurs? Ich wollte sie fangen, peitschen, tödten, aber Keiner läßt sich sehen! Sind sie verschwunden? Man wird sie finden. Vorher aber holt mir die Geschütze zurück! Die von Diarbekir haben sich geschlossen. Vorwärts mit ihnen, und dann die Hunde von Kjerkjuk hinterher!«

Der Kol Agassi sprengte zurück, und sofort setzten sich die Infanteristen von Diarbekir in Bewegung. Der Oberst ging mit seinem Stab zur Seite. Sie marschirten an ihm vorüber. Weiter konnte ich nichts sehen, da das Thal eine Wendung machte; aber kaum war eine Minute vorüber, so dröhnte ein Kanonenschuß, ein zweiter, dritter und vierter, und dann erfolgte ganz dieselbe Scene wie vorher: die Verschonten und Leichtverwundeten kamen zurückgeflohen, indem sie die Toten und Schwerverwundeten hinter sich ließen. Der Oberst ritt mitten unter sie hinein und züchtigte sie mit der flachen Klinge seines Säbels.

»Steht, Ihr Feiglinge; steht, sonst schicke ich Euch mit eigener Hand in die Dschehennah! Agassi, die Dragoner herunter!«

Der Adjutant eilte davon. Die Flüchtigen sammelten sich, und Viele der Baschi-Bozuk kamen herbei, um zu melden, daß sie alle Gebäude leer gefunden hätten.

»Zerstört die Nester; brennt Alles nieder, und sucht mir Spuren. Ich muß wissen, wo diese Ungläubigen hingekommen sind!«

Jetzt war es Zeit für mich, wenn ich überhaupt hier etwas nützen sollte.

»Halef, wenn mir etwas Übles geschieht, so nimmst Du dieses weiße Tuch hinweg. Es ist ein Zeichen für Ali Bey!«

Nach diesen Worten richtete ich mich empor und wurde sofort bemerkt.

»Ah,« rief der Miralai, »da ist ja Einer! Komm herunter, Du Sohn eines Hundes; ich will Auskunft haben!«

Ich nickte und trat zurück.

»Halef, Du verschließest die Thüre hinter mir und lässest ohne meine Erlaubniß Niemand ein. Wenn ich Deinen Namen rufe, öffnest Du sofort!«

Ich nahm ihn mit hinab und trat vor das Haus; die Thüre schloß sich hinter mir. Sofort hatten die Offiziere einen Kreis um mich gebildet.

»Kurd, sen – Wurm, der Du bist, antworte auf meine Fragen, sonst lasse ich Dich schlachten!« befahl mir der Oberst.

»Wurm?« frug ich ruhig. »Nimm und lies!«

Er blitzte mich wüthend an, ergriff aber doch den großherrlichen Ferman. Als er das Siegel erblickte, drückte er das Pergament an seine Stirn, aber nur leicht und beinahe verächtlich, und überflog den Inhalt.

»Du bist ein Franke?«

»Ein Nemtsche.«

»Das ist gleich! Was thust Du hier?«

»Ich kam, um die Gebräuche der Dschesidi zu studiren,« antwortete ich, indem ich den Paß wieder in Empfang nahm.

»Wozu das! Was geht mich dieses Bu-djeruldi an! Warst Du in Mossul beim Mutessarif?«

»Ja.«

»Hast Du von ihm die Erlaubnis, hier zu sein?«

»Ja. Hier ist sie.«

Ich reichte ihm das zweite Blatt entgegen; er las es und gab es mir wieder.

»Das ist richtig; aber – – –«

Er hielt inne, denn es prasselte jetzt drüben am Abhang ein sehr kräftiges Gewehrfeuer los, und zu gleicher Zeit vernahmen wir den Hufschlag schnell gehender Pferde.

»Scheïtan! Was ist das da oben?«

Diese Frage war halb an mich gerichtet; daher antwortete ich:

»Es sind die Dschesidi. Du bist umzingelt, und jeder Widerstand ist vergebens.«

Er richtete sich im Sattel auf.

»Hund!« brüllte er mich an.

»Laß dieses Wort, Miralai! Sagst Du es noch einmal, so gehe ich!«

»Du bleibst!«

»Wer will mich halten? Ich werde Dir jede Auskunft ertheilen, aber wisse, daß ich nicht gewohnt bin, mich unter einen Miralai zu stellen. Ich habe Dir gezeigt, unter welchem Schutze ich stehe, und sollte dies nicht helfen, so weiß ich mich selbst zu schützen!«

»Ah!«

Er erhob die Hand, um nach mir zu schlagen.

»Halef!«

Mit diesem lauten Rufe drängte ich mich zwischen die Pferde hindurch; die Thüre öffnete sich, und kaum hatte ich sie hinter mir zugeschoben, so knirschte die Kugel einer Pistole im Holze. Der Miralai hatte auf mich geschossen.

»Das galt Dir, Sihdi!« meinte Halef besorgt.

»Komm herauf!«

Noch während wir die Treppe erstiegen, vernahmen wir draußen ein wirres Rufen, untermischt mit Rossegestampf, und als ich oben anlangte, sah ich die Nachhut der Dragoner hinter der Krümmung des Thales verschwinden. Es war der reine Wahnsinn, sie gegen die Geschütze zu jagen, die nur durch einen Schützenangriff von den Seiten des Berges aus hätten zum Schweigen gebracht werden können. Der Miralai war sich über seine Situation ja gar nicht klar, und ein Glück war es für ihn, daß Ali Bey das Leben der Menschen schonen wollte; denn droben am Heiligthume und auf den Pfaden bis zur halben Höhe des Berges standen die Türken so dicht, daß jede Kugel der Dschesidi ein oder gar mehrere Opfer finden mußte.

Da erdröhnte der Donner der Kanonen von Neuem. Die Kartätschen und Granaten mußten, wenn gut gerichtet war, eine fürchterliche Verwüstung unter den Reitern hervorbringen, und dies bestätigte sich nur gar zu bald; denn der ganze untere Theil des Thales bedeckte sich mit fliehenden Reitern, laufenden Dragonern und reiterlosen Pferden.

Jetzt war der Miralai ganz steif vor Wuth und Entsetzen; aber es mochte ihm dabei die Erkenntniß kommen, daß er anders zu handeln habe. Er bemerkte meinen Kopf, der nach unten schaute, und winkte mir. Ich erhob mich wieder.

»Komm herab!«

»Wozu?«

»Ich habe Dich zu fragen.«

»Und auf mich zu schießen?«

»Es galt nicht Dir!«

»Nun wohl, so frage! Ich werde Dir von oben antworten; Du hörst dann meine Worte ebenso deutlich, als wenn ich bei Dir stünde. Aber« – und dabei gab ich Halef, der mich sofort verstand, einen Wink – »aber siehst Du diesen Mann? Er ist mein Diener; er hat die Büchse in der Hand und zielt auf Dich. Sobald sich eine einzige Waffe gegen mich erhebt, erschießt er Dich, Miralai, und dann werde ich grad so sagen wie Du, nämlich: Es galt nicht Dir!«

Halef kniete hart am Rande der Plattform und hielt seine Büchse auf den Kopf des Obersten gerichtet. Dieser wechselte die Farbe, ob vor Angst oder vor Wuth, das weiß ich nicht.

»Thut das Gewehr fort!« rief er.

»Es bleibt!«

»Mensch, ich habe fast zweitausend Soldaten hier; ich kann Dich zermalmen!«

»Und ich habe diesen einen bei mir; ich kann Dich mit einem Winke zu Deinen Vätern senden!«

»Die Meinen würden mich fürchterlich rächen!«

»Es würden viele von ihnen zu Grunde gehen, ehe es ihnen gelänge, in dieses Haus zu dringen. Übrigens ist das Thal von viertausend Kriegern umschlossen, denen es ein Leichtes ist, Euch innerhalb einer halben Stunde aufzureiben.«

»Wie viele, sagst Du?«

»Viertausend. Schau hinauf auf die Höhen! Siehst Du nicht Kopf an Kopf? Dort steigt ein Mann hernieder, der mit seinem weißen Turbantuche weht. Es ist gewiß ein Bote des Bey von Baadri, der mit Dir verhandeln soll. Gewähre ihm ein sicheres Geleite und empfange ihn der Sitte gemäß; das wird zu Deinem Besten dienen!«

»Ich brauche Deine Lehren nicht. Die Rebellen sollen nur kommen! Wo sind die Dschesidi alle?«

»Laß Dir erzählen! Ali Bey hörte, daß Du die Pilger überfallen solltest. Er sandte Boten aus und ließ die Truppen aus Mossul, Diarbekir und Kjerkjuk beobachten. Die Frauen und Kinder wurden in Sicherheit gebracht. Er stellte Deinem Anzuge nichts in den Weg, aber er verließ das Thal und schloß dasselbe ein. Er ist Dir weit überlegen an Anzahl der Krieger und auch in Beziehung auf das Terrain. Er befindet sich in Besitz Deiner Artillerie mit ihrer ganzen Munition. Du bist verloren, wenn Du nicht freundlich mit seinem Abgesandten verhandelst!«

»Ich danke Dir, Franke! Ich werde erst mit ihm verhandeln und dann auch mit Dir. Du hast das Bu-djeruldi des Großherrn und den Ferman des Mutessarif und machst doch gemeinschaftliche Sache mit ihren Feinden. Du bist ein Verräther und wirst Deine Strafe finden!«

Da drängte Nasir Agassi, der Adjutant, sein Pferd zu ihm heran und sagte ihm einige Worte. Der Oberst deutete auf mich und frug:

»Dieser wäre es gewesen?«

»Er war es. Er gehört nicht zu den Feinden; er ist zufällig ihr Gast und hat mir das Leben gerettet.«

»So werden wir weiter darüber reden. Jetzt aber kommt in jenes Gebäude!«

Sie ritten nach dem Tempel der Sonne, stiegen vor demselben ab und traten ein.

Mittlerweile war der Parlamentair von Fels zu Fels springend, in grader Linie herab in das Thal und über den Bach herübergekommen. Er trat auch in den Tempel ein. Kein Schuß fiel; es herrschte Ruhe, und nur der Schritt der Soldaten ertönte, welche sich von dem oberen Theile des Thales, wo sie sich zu sehr bloßgestellt sahen, mehr nach unten ausbreiteten.

Wohl über eine halbe Stunde verging. Da trat der Parlamentair wieder in das Freie, aber nicht allein, sondern er wurde – geführt. Man hatte ihn gebunden. Der Miralai, welcher auch am Eingange des Gebäudes erschien, blickte sich um, sah den Scheiterhaufen und deutete auf denselben. Es wurden zehn Arnauten herbei gerufen; diese nahmen den Mann in ihre Mitte und schleppten ihn zum Holzstoß. Während Mehrere ihn hielten, griffen die anderen nach ihren Gewehren – er sollte erschossen werden.

»Halt!« rief ich zum Obersten hinüber. »Was willst Du thun? Er ist ein Abgesandter, also eine unverletzliche Person!«

»Er ist ein Rebell, wie Du. Erst er, dann Du; denn nun wissen wir, wer die Artilleristen überfallen hat!«

Er winkte; die Schüsse krachten; der Mann war todt. Da aber geschah etwas, was ich nicht erwartet hatte: durch die Soldaten drängte sich ein Mann. Es war der Pir Kamek. Er erreichte den Scheiterhaufen und kniete bei dem Toten nieder.

»Ah, ein Zweiter!« rief der Oberst und schritt hinzu. »Erhebe Dich, und antworte mir!«

Weiter konnte ich nichts hören, denn die Entfernung wurde zu groß. Ich sah nur die feierlichen Gesten des Pir und die zornigen des Miralai. Dann bemerkte ich, daß der Erstere die Hände in den Haufen steckte, und einige Sekunden später züngelte eine Flamme blitzschnell an demselben empor. Eine Ahnung durchzuckte mich. Großer Gott, sollte er ein solches Opfer, eine solche Strafe, eine solche Rache an dem Mörder seiner Söhne und seines Weibes gemeint haben!

Er wurde ergriffen und von dem Haufen weggerissen, aber bereits war es zu spät, die Flamme zu löschen, die in dem Erdpeche eine furchtbare Nahrung gefunden hatte. In der Zeit von kaum einer Minute war sie bereits zur hellen Lohe geworden, welche hoch zum Himmel schlug.

Der Pir stand umringt und festgehalten; der Miralai schien den Platz verlassen zu wollen. Da aber kehrte er um und ging zu dem Priester zurück. Sie sprachen zusammen, der Oberst erregt, der Pir aber ruhig und mit geschlossenen Augen. Doch plötzlich öffnete er sie, warf die Zwei, welche ihn hielten, von sich und packte den Oberst. Mit der Körperkraft eines Riesen hob er ihn empor – zwei Sprünge, und er stand vor dem Scheiterhaufen; noch einer – sie verschwanden in der lohenden Gluth, die über ihnen zusammenschlug. Eine Bewegung im Innern derselben ließ vermuthen, daß die beiden dem Flammentode Geweihten, mit einander kämpften; der Eine, um sein Leben zu retten, und der Andere, um ihn sterbend festzuhalten.

Es war mir, als sei ich bei der grimmigsten Winterkälte in das Wasser gestürzt. Also darum war dieser Tag ›der wichtigste seines Lebens‹, wie er, der Priester, zu mir gesagt hatte? Ja, der wichtigste Tag des Lebens ist derjenige, an welchem man dieses Leben verläßt, um sich den brandenden Fluthen der Ewigkeit anzuvertrauen. Also diese fürchterliche Rache an dem Miralai war das ›letzte Wort‹, welches seine Hand verzeichnen sollte in jenes Buch, darinnen verzeichnet steht die blutige Geschichte der Dschesidi, der Verachteten und Verfolgten? Also dieses Feuer war das ›Element‹, in dem sein Leib begraben werden sollte, und dem er darum auch sein Kleid überlassen wollte?

Schrecklich! Ich schloß die Augen. Ich mochte nichts mehr sehen, nichts mehr wissen; ich ging hinunter in die Stube und legte mich auf das Polster, mit dem Gesicht an die Wand. Noch einige Zeit lang war es draußen verhältnismäßig ruhig, dann aber begann das Schießen von Neuem. Mich ging das nichts an. Wenn mir Gefahr drohte, würde mich Halef ganz sicher benachrichtigen. Ich sah nur die langen weißen Haare, den wallenden schwarzen Bart und die goldblitzende Uniform in dem Brodem des Scheiterhaufens verschwinden. Mein Gott, wie werthvoll, wie unendlich kostbar ist ein Menschenleben, und dennoch, – dennoch – dennoch – – –!

So verging eine geraume Zeit; da hörte das Schießen auf, und ich vernahm Schritte auf der Treppe. Halef trat ein.

»Sihdi, Du sollst auf das Dach kommen!«

»Weßhalb?«

»Ein Offizier verlangt nach Dir.«

Ich stand auf und begab mich wieder hinauf. Ein einziger Blick belehrte mich über den Stand der Dinge. Die Dschesidi hielten nicht mehr die Höhen besetzt, sie waren vielmehr nach und nach hernieder gestiegen. Hinter jedem Stein, hinter jedem Baum oder Strauch hielt sich Einer verborgen, um aus dieser sichern Stellung seine Kugel zu versenden. Im untern Theile des Thales hatten sie sogar, durch die Geschütze gedeckt, bereits die Sohle erreicht und sich in dem Gebüsch am Bache eingenistet. Es fehlte nur noch Eins: wenn die Geschütze nur eine kurze Strecke noch herauf avancirten, so konnten mit einigen Salven sämmtliche Türken vernichtet werden.

Vor dem Hause stand Nasir Agassi.

»Herr, wirst Du noch einmal mit uns sprechen?« frug er.

»Was habt Ihr mir zu sagen?«

»Wir wollen einen Boten zu Ali Bey senden, und weil der Miralai, dem Allah das Paradies schenken möge« – er deutete dabei nach dem noch immer qualmenden Scheiterhaufen – »den Boten der Dschesidi getödtet hat, so kann Keiner von uns gehen. Willst Du es thun?«

»Ich will. Was soll ich sagen?«

»Der Kaimakam wird es Dir befehlen. Er führt jetzt das Commando und ist in jenem Hause. Komm herüber!«

»Befehlen? Euer Kaimakam hat mir nicht das Mindeste zu befehlen. Was ich thue, das thue ich freiwillig. Der Kaimakam mag kommen und mir sagen, was er mir zu sagen hat. Dieses Haus steht ihm offen, aber nur ihm und höchstens noch einer zweiten Person. Wer sich sonst naht, den lasse ich niederschießen.«

»Wer ist außer Dir im Hause?«

»Mein Diener und ein Kawaß des Mutessarif, ein Baschi-Bozuk.«

»Wie heißt er?«

»Er ist der Buluk Emini Ifra.«

»Ifra? Mit seinem Esel?«

»Ja,« lachte ich.

»So bist Du der Fremdling, welcher den arnautischen Offizieren die Bastonnade erlassen hat und die Freundschaft des Mutessarif erlangte?«

»Ich bin es.«

»So warte ein wenig, Herr! Der Kaimakam wird gleich kommen.«

Es währte wirklich nur kurze Zeit, so trat der Kaimakam drüben aus dem Tempel und kam auf das Haus zu. Nur der Makredsch begleitete ihn.

»Halef, öffne ihnen, und führe sie in die Stube. Die Thür schließest Du wieder, und dann kehrst Du hieher zurück. Sollte sich ein Unberufener dem Hause nähern, so schießest Du auf ihn!«

Ich ging hinab. Die beiden Männer traten ein. Sie waren hohe Beamte; das durfte mich jedoch nicht kümmern; ich empfing sie daher in sehr gemessener Haltung und winkte ihnen nur, sich niederzulassen. Als sie dies gethan hatten, frug ich, ohne sie besonders willkommen zu heißen:

»Mein Diener hat Euch eingelassen. Hat er Euch gesagt, wie man mich zu nennen hat?«

»Nein.«

»Man nennt mich hier Hadschi Emir Kara Ben Nemsi. Wer Ihr seid, weiß ich. Was habt Ihr mir zu sagen?«

»Du bist ein Hadschi?« frug der Makredsch.

»Ja.«

»Du warst also in Mekka?«

»Ja. Siehst Du nicht den Kuran an meinem Halse hangen und das kleine Fläschchen mit dem Wasser des Zem-Zem?«

»Wir glaubten, Du seist ein Giaur!«

»Seid Ihr gekommen, mir dies zu sagen?«

»Nein. Wir bitten Dich, in unserem Auftrage zu Ali Bey zu gehen.«

»Werdet Ihr mir sicheres Geleite geben?«

»Ja.«

»Mir und meinen Dienern?«

»Ja.«

»Was soll ich ihm sagen?«

»Daß er die Waffen strecken und zum Gehorsam gegen den Mutessarif zurückkehren möge.«

»Und dann?« frug ich, neugierig, was noch kommen werde.

»Dann soll die Buße, welche der Gouverneur über ihn verhängt, so gnädig wie möglich sein.«

»Du bist der Makredsch von Mossul, und dieser Mann ist Kaimakam und Befehlshaber der Truppen, welche hier stehen. Er ist es, welcher mir seine Aufträge zu ertheilen hat, nicht aber Du.«

»Ich bin bei ihm als Beauftragter des Mutessarif.«

Der Mann mit der Stößerphysiognomie warf sich bei diesen Worten so viel wie möglich in die Brust.

»Hast Du schriftliche Vollmacht?«

»Nein.«

»So giltst Du hier so wenig wie jeder Andere!«

»Der Kaimakam wird es mir bezeugen!«

»Nur eine schriftliche Vollmacht kann Dich legitimiren, sonst nichts. Geh und hole Dir dieselbe. Der Mutessarif von Mossul wird nur einem Manne von Kenntnissen erlauben, ihn zu vertreten.«

»Willst Du mich beleidigen?«

»Nein. Ich will nur bestätigen, daß Du kein Offizier bist, von militärischen Dingen nichts verstehst und hier also schweigst.«

»Emir!« rief er, indem er mir einen wüthenden Blick zuwarf.

»Soll ich Dir die Wahrheit meiner Worte beweisen? Ihr seid so eingeschlossen, daß kein Einziger von Euch entkommen kann; es bedarf nur einer kleinen halben Stunde, so seid Ihr hilflos in die Erde hineingeschossen. Und bei einem solchen Stande der Dinge soll ich dem Bey sagen, daß er die Waffen strecken soll? Er würde mich für wahnsinnig halten. Der Miralai, dem Allah gnädig und barmherzig sein möge, hat fünfzehnhundert wackere Krieger durch seine Unvorsichtigkeit in das Verderben geführt. Dem Kaimakam fällt die ehrenvolle Aufgabe zu, sie diesem Verderben zu entreißen; wenn ihm dies gelingt, so hat er wie ein guter Offizier und wie ein Held gehandelt. Mit hochtrabenden Worten aber, hinter denen Furcht und Heimtücke lauern, wird es ihm nicht gelingen. Ich habe nur mit ihm zu reden. In militärischen Angelegenheiten soll nur ein Krieger zu bestimmen haben.«

»Und doch sollst Du auch mich anhören!«

»Ich wüßte nicht, worin!«

»Es sind auch Dinge zu verhandeln, welche das Gesetz betreffen, und ich bin ein Makredsch!«

»Sei, was Du willst! Du kannst mir keine Vollmacht zeigen, und darum sind wir mit einander fertig!«

Ich hatte einen entschiedenen Widerwillen gegen diesen Menschen, aber es wäre mir nicht eingefallen, demselben einen so kräftigen Ausdruck zu geben, wenn er anders aufgetreten wäre und ich nicht eine sehr deutliche Ahnung gehabt hätte, daß er die meiste Schuld an den gegenwärtigen Verhältnissen trage. Warum hatte sich dieser Gerichtsmensch überhaupt der Expedition angeschlossen? Doch wohl nur, um den Dschesidi nach ihrer etwaigen Überwindung auf dem Wege des moslemitischen Gesetzes die Übermacht der Osmanly fühlbarer zu machen.

Ich wandte mich nun an den Kaimakam:

»Was soll ich dem Bey sagen, wenn er mich fragt, warum Ihr Scheik Adi überfallen habt?«

»Weil wir uns zwei Mörder holen wollen, und weil die Dschesidi den Haradsch nicht regelmäßig bezahlen.«

»Er wird sich über die Gründe sehr wundern. Die Mörder müßt Ihr bei Euch selbst suchen; das wird er Euch beweisen, und den Haradsch konntet Ihr auf einem andern Wege erlangen. Was soll ich ihm von Deinen jetzigen Entschlüssen sagen?«

»Sage ihm, daß er mir einen Mann senden möge, mit dem ich über die Bedingungen verhandeln kann, unter denen ich abziehe!«

»Und wenn er mich nach der Grundlage dieser Bedingungen fragt?«

»Ich verlange im Namen des Mutessarif unsere Geschütze zurück; ich verlange für jeden unserer Todten oder Verwundeten ein Sühnegeld; ich verlange den verweigerten Haradsch, und ich verlange die Auszahlung einer Summe, die ich noch bestimmen werde, als Brandschatzung.«

»Allah kerihm, Gott ist gütig! Er hat Dir einen Mund gegeben, welcher sehr gut zu fordern weiß. Du brauchst mir weiter nichts zu sagen; es ist genug, und das Übrige magst Du Ali Bey selbst mittheilen. Ich werde sofort zu ihm gehen und Euch die Antwort entweder selbst bringen oder sie Euch durch einen Boten wissen lassen.«

»Sage ihm nur noch, daß er unsere Artilleristen frei lassen und ihnen ihren Schreck vergüten muß!«

»Ich werde ihm auch dies noch mittheilen; aber ich befürchte, daß er von Euch auch eine Vergütung der Überraschung verlangt, welche Ihr ihm bereitet habt. Jetzt sind wir fertig; ich werde mich aufmachen, warne Euch aber vorher noch in einer Beziehung. Wenn Ihr in Scheik Adi Schaden anrichtet, dann wird der Bey gegen Euch keine Schonung kennen.«

Ich stand auf. Sie thaten dasselbe und gingen.

Jetzt rief ich Halef und Ifra herab, welche die Thiere satteln mußten. Dies nahm nur kurze Zeit in Anspruch. Dann verließen wir das Haus und stiegen auf.

»Haltet hier; ich komme gleich zurück!«

Nach diesen Worten ritt ich zunächst ein Stück das Thal hinab, um die Wirkung der Geschütze in Augenschein zu nehmen. Sie war eine grauenhafte, doch wurde sie dadurch gemildert, daß die Dschesidi die verwundeten Türken aufgehoben hatten, um ihnen möglichst Hilfe angedeihen zu lassen. Wie anders wäre es wohl gewesen, wenn den Osmanly ihr Überfall geglückt wäre! Ich wandte mich ab, trotzdem mir die Sieger von ihrer Verschanzung her erfreut zuriefen, nahm Halef und Ifra auf und ritt nun am Bache hinan, um auf den Weg nach Baadri zu gelangen; denn da oben auf dieser Seite mußte ich den Bey vermuthen.

Als ich an dem Tempel vorüberkam, stand der Kaimakam mit seinem Stabe vor demselben. Er winkte mir, und ich ritt zu ihm hin.

»Sage dem Scheik noch, daß er eine Summe bezahlen muß als Sühne für den Tod des Miralai!«

»Ich glaube sehr, daß der Makredsch von Mossul sich große Mühe gibt, immer neue Forderungen zu entdecken, und ich vermuthe, daß der Bey eine sehr bedeutende Sühne verlangen wird für seinen ermordeten Parlamentär. Doch werde ich ihm Deine Worte sagen.«

»Du hast einen Baschi-Bozuk bei Dir?«

»Wie Du siehst!«

»Wer hat ihn Dir gegeben?«

»Der Mutessarif.«

»Brauchst Du ihn noch?«

»Ja.«

»Wir brauchen ihn auch.«

»So hole Dir einen Befehl vom Gouverneur. Wenn Du mir diesen vorzeigst, werde ich Dir den Buluk Emini zurückgeben!«

Ich ritt weiter und kam an lauter finsteren Gesichtern vorüber. Gar manche Hand zuckte nach dem Dolche, aber Nasir Agassi begleitete mich, bis ich in Sicherheit war, dann aber nahm er Abschied.

Der Abschied war kurz, denn die Zeit drängte.

»Effendi, werden wir uns wiedersehen?« frug Nasir Agassi.

»Allah weiß Alles, auch dieses, wir aber nicht.«

»Du bist mein Retter; ich werde Dich nie vergessen und danke Dir. Sollten wir uns einmal wiedersehen, so sage mir dann, ob ich Dir dienen kann.«

»Gott schütze Dich! Vielleicht sehe ich Dich einmal als Miralai; dann möge Deiner ein besseres Kismet warten, als das des Omar Amed!«

Wir reichten einander die Hände und schieden. Auch ihn habe ich zu einer Zeit wieder gesehen, wo ich am wenigsten an ihn dachte.

Nur wenige Schritte weiter empor trafen wir hinter einem Busche den ersten Dschesidi, welcher sich so weit herangewagt hatte, um beim Wiederbeginn des Kampfes ein sicheres Ziel zu haben. Es war der Sohn Selek's, mein Dolmetscher.

»Emir, bist Du wohl erhalten?« rief er mir entgegen.

»Ganz wohl. Hast Du das Buch des Pir Kamek bei Dir?«

»Nein. Ich habe es an einem Ort versteckt, an dem es keinen Schaden leiden kann.«

»Aber wenn Du gefallen wärest, so wäre es verloren gewesen!«

»Nein, Effendi. Ich habe Mehreren offenbart, wo es liegt, und diese hätten Dir es mitgetheilt.«

»Wo ist der Bey?«

»Oben auf der Klippe, von welcher aus man das Thal am besten überblicken kann. Erlaube, daß ich Dich führe!«

Er nahm das Gewehr über die Schulter und schritt voran. Wir erreichten die Höhe, und es war von Interesse, hier hinabzublicken auf die Verstecke, hinter denen die Dschesidi standen, saßen, hockten und lagen, ganz bereit, bei dem Zeichen ihres Anführers den Kampf nun im vollen Ernste zu beginnen. Hier kam man noch besser als unten zu der Überzeugung, daß die Türken verloren wären, wenn es ihnen nicht gelänge, mit ihren Belagerern einig zu werden. Hier an derselben Stelle hatte ich mit Ali Bey gestanden, als wir die vermeintlichen Sterne beobachteten, und jetzt, nur wenige Stunden später, stand die kleine Secte, welche es gewagt hatte, den Kampf mit den Truppen des Großherrn aufzunehmen, bereits als Sieger da.

Wir ritten nun links weiter, bis wir zu einem Felsen gelangten, der sich ein weniges über den Rand des Thales hervorstreckte. Hier saß der Bey mit seinem Stabe, welcher nur aus drei barfüßigen Dschesidi bestand. Er kam mir erfreut entgegen.

»Ich danke dem Allgütigen, der Dich gesund und unversehrt erhalten hat!« sagte er herzlich. »Ist Dir Übles begegnet?«

»Nein, sonst hätte ich Dir das Zeichen gegeben.«

»Komm her!«

Ich stieg ab und folgte ihm auf den Felsen. Man konnte von hier aus Alles deutlich sehen, das Heiligtum, das Haus des Bey, da unten die Batterie hinter der Verschanzung und die beiden Seitenwände des Thales.

»Siehst Du die weiße Stelle auf meinem Hause?« frug er.

»Ja. Es ist der Shawl.«

»Wäre er verschwunden, so hätte ich ein Zeichen gegeben, und fünfhundert meiner Leute wären Sturm hinabgelaufen, unter dem Schutze der Kanonen, welche den Feind zurückgehalten hätten.«

»Ich danke Dir, Bey. Es ist mir nichts geschehen, als daß der Miralai einmal nach mir schoß; aber ohne mich zu treffen.«

»Das soll er büßen!«

»Er hat es bereits gebüßt.«

Ich erzählte ihm Alles, was ich gesehen hatte, und berichtete ihm auch die Worte, in denen der Abschied des Pir von mir enthalten war. Er hörte aufmerksam und in tiefster Bewegung zu; aber als ich geendet hatte, sagte er nichts als:

»Er war ein Held!«

Dann versank er in ein tiefes Sinnen, aus welchem er erst nach einer Weile wieder erwachte.

»Und was sagst Du? Sie haben meinen Boten getödtet?«

»Sie haben ihn hingerichtet, erschossen.«

»Wer hat den Befehl dazu ertheilt?«

»Jedenfalls der Miralai.«

»O lebte er noch!« knirschte er. »Ich ahnte, daß dem Boten etwas widerfahre. Ich hatte ihm gesagt, daß ich den Kampf wieder beginnen werde, wenn er binnen einer halben Stunde nicht zurückgekehrt sei. Aber ich werde ihn rächen; ich werde jetzt das Zeichen geben, daß nun endlich Ernst gemacht werden soll!«

»Warte noch, denn ich habe vorher mit Dir zu reden. Der Kaimakam, welcher jetzt das Commando führt, hat mich zu Dir gesandt.«

Ich erzählte ihm nun wortgetreu meine ganze Unterredung mit dem Oberstlieutenant und dem Makredsch. Als ich den Letzteren in Erwähnung brachte, zog er die Brauen finster zusammen, doch hörte er mich ruhig bis zu Ende an.

»Also der Makredsch ist dabei! O, nun weiß ich, wem wir das Alles zu verdanken haben! Er ist der schlimmste Feind der Dschesidi; er haßt sie; er ist ihr Vampyr, ihr Blutsauger, und er hat auch jenem Morde die Wendung gegeben, welche zur Handhabe geworden ist, durch diesen Überfall eine Contribution von uns zu erzwingen. Aber meine Gesandtschaft, welche nach Stambul gegangen ist, wird auch zum Anadoli Kasi Askeri gehen, um ihm einen Brief von mir zu überbringen, den mir der Pir Kamek noch geschrieben hat. Beide kannten sich und hatten sich lieb, und der Pir ist lange Zeit sein Gast gewesen. Er weiß die Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden und wird uns Hilfe bringen.«

»Das wünsche ich Dir von Herzen. Aber wen wirst Du zu dem Kaimakam senden? Ein gewöhnlicher Mann darf es nicht sein, sonst wird er überlistet.«

»Wen ich senden werde, fragest Du? Niemand werde ich senden, keinen Menschen. Nur ich selbst werde mit ihnen sprechen. Ich bin das Haupt der Meinen; er ist der Anführer der Seinen, und wir Beide haben zu entscheiden. Aber ich bin der Sieger, und er ist der Besiegte; er mag zu mir kommen!«

»So ist es recht!«

»Ich werde ihn hier erwarten. Ich werde ihm freies Geleit geben; aber wenn er in dreißig Minuten noch nicht zur Stelle ist, so lasse ich die Beschießung beginnen und halte nicht eher ein, als bis keiner der Osmanly mehr lebt!«

Er trat zu seinen Adjutanten und sprach kurze Zeit mit ihnen. Darauf entfernten sich zwei von ihnen. Der Eine ergriff einen weißen Shawl, legte seine Waffen ab und stieg links da hinab, wo ich jetzt heraufgekommen war; der Andere aber schritt längs des Randes der Höhe hin und klimmte dann rechts hinab nach dem Punkte hin, an welchem die Geschütze standen.

Nun gab Ali Bey einigen Dschesidi, welche in der Nähe hielten, den Befehl, ein Zelt für uns zu errichten. Die zu demselben gehörigen Requisiten lagen bereit. Während sie seinem Gebote Folge leisteten, bemerkte ich, daß sich unten die Verschanzung öffnete. Die Kanonen wurden durch die entstandene Lücke vorgezogen und avancirten längs des Baches bis an die Linie derjenigen Dschesidi, welche auf der Sohle des Thales festen Fuß gefaßt hatten. Dort gab es mehrere Felsblöcke, welche mit einigen schnell umgehauenen Bäumen eine neue Verschanzung bildeten.

Es waren seit der Absendung des Dschesidi noch nicht zwanzig Minuten vergangen, so nahte sich der Kaimakam. Er war von drei türkischen Soldaten begleitet, und an seiner Seite ritt – der Makredsch. Das war eine große Unklugheit von dem letzteren; ich sah es dem finsteren Blicke an, mit welchem Ali Bey ihn betrachtete.

Der Bey trat in das Zelt, welches mittlerweile aufgerichtet worden war, und ließ sich auf den Teppich nieder, welcher den Fußboden desselben bildete. Ich empfing die Kommenden. Die drei Soldaten blieben vor dem Zelte halten; die beiden Andern aber traten ein.

»Sallam!« grüßte der Kaimakam.

Der Makredsch grüßte nicht. Er als der Vorsteher eines großherrlichen Gerichtshofes erwartete, daß der Bey der Teufelsanbeter ihn bewillkommnen werde. Dieser aber nahm weder von ihm Notiz, noch beantwortete er den Gruß des Oberstlieutenants. Er deutete nur auf den Teppich und meinte:

»Kaimakam, komar-sen – Du darfst Dich setzen!«

Der Angeredete nahm in würdevoller Weise Platz, und der Makredsch ließ sich an seiner Seite nieder.

»Du hast uns gebeten, zu Dir zu kommen,« begann der Offizier. »Warum bist Du nicht zu uns gekommen?«

»Du irrst!« antwortete Ali Bey sehr ernst. »Ich habe Dich nicht gebeten, sondern ich habe Dir nur kund gethan, daß ich die Osmanly niederkartätschen lassen werde, wenn Du nicht kommst. Ist das eine Bitte? Du fragst ferner, warum ich nicht zu Dir gekommen bin. Wenn ich von Scheik Adi nach Mossul komme, werde ich Dich aufsuchen und nicht verlangen, daß Du Dich zu mir bemühest; Du bist von Mossul nach Scheik Adi gekommen und wirst die Gesetze der Höflichkeit kennen, welche Dir gebieten, Dich zu mir zu bemühen. Deine Frage veranlaßt mich übrigens, Dir gleich die Stellung klar zu machen, von welcher aus wir gegenseitig zu einander sprechen werden. Du bist ein Diener, ein Beamter des Großherrn und des Mutessarif, ein Offizier, der im günstigen Falle ein Regiment commandirt; ich aber bin ein freier Fürst der Kurden und Oberfeldherr aller meiner Krieger. Glaube darum nicht, daß Dein Rang höher sei, als der meinige –«

»Ich bin nicht ein Diener des – – –«

»Sus ol – schweige! Ich bin gewohnt, daß man mich hört und mich ausreden läßt; merke Dir das, Kaimakam! Du bist ohne alles Recht und ohne vorherige Ankündigung in mein Gebiet eingebrochen, wie ein Dieb, wie ein Räuber mit bewaffneter Hand. Einen Räuber fange und tödte ich, ganz wie es mir gefällt; da Du aber ein Diener des Großherrn und des Mutessarif bist, so will ich vorher, ehe ich meine ganze Macht entwickle, in Güte mit Dir reden. Daß Du noch lebst, Du und die Deinen, das habt Ihr nur meiner Milde und Nachsicht zu verdanken. Nun sage, wer das Recht hat, zu erwarten, daß der andere zu ihm komme, Du oder ich!«

Der Kaimakam machte ein ganz erstauntes Gesicht, denn eine solche Ausführung hatte er jedenfalls nicht erwartet. Er besann sich noch, was er sagen solle; doch der Makredsch, über dessen Stößerphysiognomie es wie ein flammender Grimm zuckte, ergriff das Wort:

»Ali Bey, was wagest Du! Du nennst uns Diebe und Mörder, uns, die wir als Vertreter des Padischah und des Generalgouverneur hier sitzen! Nimm Dich in acht, sonst wirst Du es bereuen!«

Der Bey wandte sich in vollkommenster Ruhe an den Offizier:

»Kaimakam, kim bu katschyk – Oberstlieutenant, wer ist dieser Verrückte?«

Der Gefragte machte eine erschrockene Geberde.

»Wahre Deine Zunge, Ali Bey! Dieser Effendi ist der Makredsch von Mossul!«

»Du scherzest! Ein Makredsch muß im Besitze seiner Besinnung sein. Der Makredsch von Mossul hat den Mutessarif zu dem Kriegszuge gegen mich beredet; er würde, wenn er nicht verrückt ist, es nie wagen, zu mir zu kommen; denn er muß wissen, was in diesem Falle seiner wartet!«

»Ich scherze nicht. Er ist es wirklich.«

»Ich sehe, daß Du weder träumst, noch betrunken bist; darum muß ich Dir glauben. Aber bedenke, daß ich nur Dich allein zu mir gefordert habe!«

»Er ist mit mir gegangen als Vertreter und Abgesandter des Mutessarif.«

»Das ist möglich, denn Du sagest es; aber kannst Du mir es beweisen?«

»Ich sage und bezeuge es!«

»Das darf hier nichts gelten. Ich vertraue Dir; aber ein jeder Andere, der in einer solchen oder in einer ähnlichen Angelegenheit zu mir kommt, muß beweisen können, daß er das Recht und den Auftrag hat, mit mir zu verhandeln; sonst läuft er Gefahr, daß ich ihn so behandle, wie Ihr meinen ersten Boten behandelt habt.«

»Ein Makredsch kann niemals in eine solche Gefahr kommen!«

»Ich werde Dir das Gegentheil beweisen!«

Er klatschte in die Hände, und sogleich trat der Dschesidi ein, welcher den Kaimakam geholt hatte.

»Hast Du dem Kaimakam ein sicheres Geleite versprochen?«

»Ja, Herr.«

»Wem noch?«

»Keinem.«

»Den drei Soldaten nicht, welche draußen stehen?«

»Nein, und dem Makredsch auch nicht.«

»Die Drei werden abgeführt; sie sind gefangen; und diesen Mann, welcher sich für den Makredsch von Mossul ausgibt, nimmst Du auch mit. Er ist Schuld an Allem, auch an der Ermordung meines Parlamentärs.«

»Ich protestire!« rief der Kaimakam.

»Ich werde mich zu vertheidigen und auch zu rächen wissen,« drohte der Makredsch, indem er einen Dolch zog, den er im Gürtel stecken hatte.

In demselben Augenblick aber hatte sich Ali Bey emporgeschnellt und schlug ihm die Faust mit solcher Gewalt in das Gesicht, daß der Getroffene rückwärts niederstürzte.

»Hund, wagst Du es, in meinem Zelte die Waffe gegen mich zu ziehen! Fort, hinaus mit ihm!«

»Halt!« gebot der Kaimakam. »Wir sind gekommen, zu unterhandeln; es darf uns nichts geschehen!«

»Auch mein Bote kam zu Euch, um zu unterhandeln, und dennoch habt Ihr ihn ermordet, habt ihn als einen Verräther hingerichtet. Hinaus mit diesem Menschen!«

Der anwesende Dschesidi faßte den Makredsch und schaffte ihn fort.

»So werde auch ich gehen!« drohte der Kaimakam.

»So gehe! Du wirst die Deinen unverletzt erreichen; aber ehe Du zu ihnen kommst, werden ihrer Viele getödtet sein. Emir Kara Ben Nemsi, tritt hinaus auf den Felsen und erhebe die Rechte. Es ist das Zeichen, daß die Kanonade beginnen soll!«

»Bleib!« wandte sich der Kaimakam schnell zu mir. »Ihr dürft nicht schießen.«

»Warum nicht?« frug Ali Bey.

»Das wäre Mord, denn wir können uns nicht wehren.«

»Das wäre kein Mord, sondern Strafe und Vergeltung. Ihr wolltet uns überfallen, ohne daß wir eine Ahnung davon hatten; Ihr kamt mit Säbeln, Flinten und Kanonen, um uns niederzuhauen, niederzukartätschen. Nun aber Eure Kanonen sich in unseren Händen befinden, nun Ihr von uns gebührender Weise empfangen worden seid, sagt Ihr, derjenige, welcher schießt, sei ein Mörder! Kaimakam, lasse Dir zürnen, aber lasse Dich nicht verlachen!«

»Du wirst den Makredsch freigeben!«

»Er ist Repressalie für den gemordeten Parlamentär!«

»Du wirst ihn tödten?«

»Vielleicht. Es kommt ganz darauf an, ob wir Beide uns verständigen.«

»Was verlangst Du von mir?«

»Ich bin bereit, Deine Zugeständnisse zu vernehmen.«

»Zugeständnisse? Wir sind gekommen, um Forderungen zu machen!«

»Ich habe Dich bereits gebeten, Dich nicht auslachen zu lassen! Sage mir zunächst, aus welchem Grunde Ihr uns überfallen habt!«

»Es sind Mörder unter Euch.«

»Ich weiß, welchen Fall Du meinst, aber ich sage Dir, daß Du falsch unterrichtet bist: nicht zwei von den Unserigen haben einen der Eurigen, sondern drei der Eurigen haben zwei der Unserigen ermordet. Ich habe bereits dafür gesorgt, Euch dies beweisen zu können; denn der Kiajah des Ortes, wo die That geschehen ist, wird in kurzer Zeit mit den Angehörigen der Ermordeten hier sein.«

»Vielleicht ist dies ein anderer Fall!«

»Es ist nur der nämliche, aber der Makredsch hat ihn verdreht. Er wird es nicht wieder thun. Und wenn es so wäre, wie Du sagst, so ist dies ganz und gar kein Grund, mit bewaffneter Macht unser Gebiet zu überfallen.«

»Wir haben noch einen zweiten Grund.«

»Welchen?«

»Ihr habt den Haradsch nicht bezahlt.«

»Wir haben ihn bezahlt. Was nennst Du überhaupt Haradsch? Wir sind freie Kurden; was wir zahlen, das zahlen wir freiwillig. Wir haben die Kopfsteuer bezahlt, welche Jeder, der nicht ein Moslem ist, für seine Befreiung vom Militärdienste zu entrichten hat. Nun wollt Ihr auch den Haradsch, und doch ist dieser nichts Anderes als diese bereits entrichtete Kopfsteuer! Und wenn Ihr in Eurem Rechte wäret, und wenn wir dem Mutessarif eine Steuer schuldig geblieben wären, ist dies eine genügende Veranlassung, uns zu überfallen? Muß er da just Scheik Adi überfallen, wo jetzt Tausende von Menschen sind, die nicht nach Mossul gehören, und die ihm auf keinen Fall etwas schuldig sind? Kaimakam, Du und ich, wir Beide wissen sehr genau, was es eigentlich ist, was der Gouverneur von uns will: Geld und Beute. Es ist ihm nicht gelungen, uns zu berauben, und so wollen wir also nicht weiter über seine Gründe sprechen. Du bist weder ein Jurist noch ein Steuereinnehmer; Du bist Offizier, und darum habe ich mit Dir nur das zu besprechen, was Deine militärische Aufgabe betrifft. Du sollst reden, und ich werde hören!«

»Ich habe von Dir den Haradsch und die Mörder zu verlangen, sonst muß ich auf Befehl des Mutessarif Scheik Adi und alle Ortschaften der Dschesidi zerstören und einen Jeden tödten, der mir Widerstand leistet.«

»Und Alles mit Dir nehmen, was die Dschesidi besitzen?«

»Alles!«

»So lautet der Befehl des Gouverneur?«

»So lautet er.«

»Und Du wirst ihn erfüllen?«

»Mit allen Kräften.«

»Thue es!«

Er erhob sich, zum Zeichen, daß die Unterredung beendet sei. Der Kaimakam machte eine Bewegung, ihn zurückzuhalten.

»Was wirst Du beginnen, Bey?«

»Du wirst die Dörfer der Dschesidi zerstören und die Einwohner derselben berauben, und ich, das Oberhaupt der Dschesidi, werde meine Unterthanen zu beschützen wissen. Ihr seid ohne vorherige Anmeldung bei mir eingebrochen; Ihr vertheidigt das mit Gründen, welche Lügen sind; Ihr wollt sengen und brennen, rauben und morden; Ihr habt sogar meinen Boten getödtet, eine That, welche ganz und gar gegen das Recht der Völker ist. Daraus folgt, daß ich Euch nicht als Krieger betrachten kann, sondern als Räuber behandeln muß; Räuber aber schießt man einfach über den Haufen. Wir sind fertig! Kehre zu den Deinen zurück. Jetzt stehst Du noch unter meinem Schutze; dann aber bist Du vogelfrei!«

Er verließ das Zelt und erhob den Arm. Die Artilleristen mochten längst auf dieses Zeichen gewartet haben – ein Kanonenschuß krachte, und noch einer.

»Herr, was thust Du?« rief der Kaimakam. »Du brichst den Waffenstillstand, noch während ich bei Dir bin!«

»Haben wir einen Waffenstillstand abgeschlossen? Habe ich Dir nicht gesagt, daß wir fertig sind? Hörst Du? Das waren Kartätschen – und das Granaten; dieselben Geschosse, welche für uns bestimmt waren; nun aber treffen sie Euch. Allah hat gerichtet; er trifft den Sünder mit demselben Streiche, mit dem dieser gesündigt hat. Du hörst das Schreien Deiner Leute. Gehe zu ihnen, und befiehl ihnen, unsere Dörfer zu zerstören!«

Wirklich schien der dritte und vierte Schuß außerordentlich gewirkt zu haben; das konnte man aus dem wilden Heulen schließen, welches aus der Tiefe scholl.

»Halt ein, Ali Bey! Gib das Zeichen, mit dem Feuer wieder einzuhalten, damit wir weiter verhandeln können!«

»Du kennst den Befehl des Mutessarif, und ich kenne meine Pflicht; wir sind fertig.«

»Der Mutessarif hat seine Befehle nicht mir, sondern dem Miralai gegeben, und nun ist es meine Pflicht, meine Leute nicht wehrlos niederschießen zu lassen. Ich muß sie zu retten suchen.«

»Willst Du diesen Gedanken festhalten, so bin ich bereit, die Verhandlung wieder aufzunehmen.«

»So komm herein!«

Ali Bey wand sein Turbantuch los und wehete damit nach unten, dann ging er wieder in das Zelt.

»Was verlangst Du von mir?« frug der Kaimakam.

Der Bey blickte nachdenklich zur Erde, dann antwortete er:

»Nicht Du bist es, dem ich zürne, und darum möchte ich Dich schonen; jedes endgiltige Übereinkommen aber, welches wir treffen könnten, würde Dein Verderben sein, weil meine Bedingungen für Euch mehr als ungünstig sind. Darum werde ich nur mit dem Mutessarif selbst verhandeln, und Du bist aller Verantwortung ledig.«

»Ich danke Dir, Bey!«

Der Kaimakam schien kein schlimmer Mann zu sein; er war froh, daß der Angelegenheit eine solche Wendung gegeben wurde, und darum kam sein Dank ganz sichtlich aus einem aufrichtigen Herzen.

»Aber eine Bedingung habe ich natürlich auch an Dich,« fuhr Ali fort.

»Welche?«

»Du betrachtest Dich und Deine Truppen als kriegsgefangen und bleibst mit ihnen in Scheik Adi, bis ich mich mit dem Mutessarif geeinigt habe.«

»Darauf gehe ich ein, denn ich kann es verantworten. Der Miralai ist an Allem Schuld; er ist zu unvorsichtig vorgegangen.«

»Du gibst also die Waffen ab?«

»Das ist schimpflich!«

»Könnt Ihr als Kriegsgefangene die Waffen behalten?«

»Ich erkläre mich nur insoweit für kriegsgefangen, als ich in Scheik Adi bleibe und keinen Durchbruch versuche, bis ich weiß, wie der Mutessarif über uns verfügen wird.«

»Der Durchbruch würde Dein Verderben sein; er würde Euch aufreiben.«

»Bey, ich will ehrlich sein und zugeben, daß unsere Lage eine sehr schlimme ist; aber weißt Du, was tausend Mann vermögen, wenn sie zur Verzweiflung getrieben werden?«

»Ich weiß es, aber es kommt dennoch Keiner von Euch davon.«

»Aber es wird auch Mancher von Euch fallen! Und bedenke, daß dem Mutessarif noch das Linien- und Dragonerregiment zur Verfügung steht, dessen größter Theil in Mossul zurückgeblieben ist. Rechne dazu die Hilfe, welche er aus Kjerkjuk und Diarbekir, aus Sulimanijah und andern Garnisonen erhalten kann; rechne dazu die Artillerie, welche ihm noch zur Verfügung steht, und Du wirst einsehen, daß Du zwar Herr der jetzigen Situation bist, es aber wohl nicht bleiben wirst.«

»Soll ich auf einen Sieg und seine Ausnutzung verzichten, weil ich später vielleicht geschlagen werden kann? Der Mutessarif mag mit seinen Regimentern kommen; ich werde ihm sagen lassen, daß es Euch das Leben kostet, wenn er mich nochmals angreift. Und wenn ihm weitere Hilfe zur Verfügung steht, so ist dies bei mir ebenso der Fall. Du weißt, daß es nur meines Aufrufes bedarf, um so manchen tapfern Stamm der Kurden zur Erhebung gegen ihn zu bringen. Doch ich liebe den Frieden und nicht den Krieg. Ich habe zwar heute Dschesidi aus ganz Kurdistan und den angrenzenden Provinzen um mich versammelt und könnte die Fackel des Aufstandes unter sie schleudern; aber ich thue es nicht, sobald der Mutessarif mir erlaubt, die Rechte der Meinigen zu wahren. Ich will Dir und Deinen Truppen jetzt noch die Waffen lassen; aber ich habe einem Verbündeten Gewehre versprochen, und die wird der Gouverneur auf alle Fälle liefern müssen.«

»Wer ist dieser Verbündete?«

»Kein Dschesidi verräth seinen Freund. Also Du behältst Deine Waffen, aber alle Munition lieferst Du mir ab, und dafür verspreche ich Dir, für den Proviant zu sorgen, dessen Du bedarfst.«

»Gebe ich Dir die Munition, so ist es genau so, als ob Du auch die Waffen hättest!«

Ali Bey lächelte.

»Wohl, so sollst Du auch die Munition behalten; doch sage ich Dir: wenn Deine Leute Hunger bekommen und Du mich um Proviant bittest, so werde ich Dir denselben nur gegen Flinten, Pistolen, Degen und Messer verkaufen. Also auf diese Weise seid Ihr nicht kriegsgefangen, sondern wir schließen nur einen Waffenstillstand ab.«

»So ist es, und darauf kann ich eingehen.«

»Du siehst, daß ich sehr nachsichtig bin. Nun aber höre meine Bedingungen: Ihr bleibt im Thale Scheik Adi; Ihr bleibt ohne alle Verbindung mit außen; Ihr enthaltet Euch aller Feindseligkeit gegen die Meinigen; Ihr ehrt unsere Heiligthümer und unsere Wohnungen; Erstere dürft Ihr gar nicht betreten und die Letzteren nur mit meiner Erlaubnis; der Waffenstillstand dauert so lange, bis Euch ein Befehl des Mutessarif zugeht, und zwar wird dieser Befehl Euch in meiner Gegenwart gegeben; jeder Fluchtversuch, auch eines Einzelnen, und jede Zuwiderhandlung gegen unsere Vereinbarung hebt den Waffenstillstand sofort auf; Ihr behaltet Eure gegenwärtige Stellung und ich die meinige. Dagegen mache ich mich verbindlich, daß ich bis zu der angegebenen Zeit mich aller Feindseligkeiten enthalten werde. Bist Du einverstanden?«

Nach einem kurzen Bedenken und einigen unwesentlichen Hinzufügungen und Ausführungen nahm der Kaimakam die Bedingungen an. Er verwandte sich sehr für den Makredsch und verlangte die Auslieferung desselben, doch ging Ali nicht darauf ein. Es wurde Papier herbeigeschafft; ich entwarf den Vertrag, und Beide unterzeichneten, der eine durch die Unterschrift seines Namens und der andere mit seinem Bu-kendimWörtlich: ›Dieses ich selbst‹ oder ›Dieses bin ich selbst‹ – ein statt der Namensunterschrift geltendes zeichen. Dann kehrte der Offizier in das Thal zurück, wobei es ihm erlaubt wurde, seine drei Soldaten wieder mitzunehmen.

Nun wartete Pali auf die Befehle seines Vorgesetzten.

»Willst Du mir einen Brief an den Mutessarif schreiben?« frug mich dieser.

»Gern! Was willst Du ihm mittheilen?«

»Die jetzige Lage seiner Truppen. Dann sollst Du ihm sagen, daß ich mit ihm zu verhandeln wünsche, daß ich ihn entweder hier erwarte oder in Dscherraijah mit ihm zusammentreffen will. Er darf aber eine Begleitung von höchstens fünfzig Mann mitbringen und hat sich aller Feindseligkeiten zu enthalten. Die Zusammenkunft findet übermorgen bis zum Mittag Statt. Versäumt er, zu kommen, so tödte ich den Makredsch und lasse seine Truppen ihre eigenen Kartätschen fühlen. Dies geschieht auch dann, sobald ich bemerke, daß er gesonnen ist, die Feindseligkeiten fortzusetzen. Kannst Du dies schreiben?«

»Ja.«

»Ich werde Pali noch ganz besondere Aufträge ertheilen. Schreibe so schnell wie möglich, damit er bald aufbrechen kann!«

Einige Minuten später saß ich im Zelte und schrieb mit meinem Bleistifte, nach orientalischer Manier das Papier auf dem Knie, von der Rechten zur Linken hinüber den Brief an den Gouverneur, der sicher beim Lesen desselben keine Ahnung hatte, daß er von seinem Schützlinge verfaßt worden war. Und kaum eine halbe Stunde später jagte das Pferd, welches Pali trug, im Galopp auf dem Wege nach Baadri hin. –

Das Fest der Dschesidi hatte eine außerordentliche Störung erfahren, aber das Bedauern darüber war nicht so groß, wie die Freude, daß es gelungen war, das große Unglück abzuwenden, welches der Versammlung in Scheik Adi gedroht hatte.

»Was wird nun aus dem Feste?« frug ich Ali Bey. »Die Osmanly können noch mehrere Tage lang da unten verweilen müssen, und eine so lange Zeit dürften die Dschesidi doch nicht warten wollen.«

»Ich werde ihnen ein Fest geben, welches größer ist, als sie erwartet haben,« antwortete er. »Weißt Du den Weg nach dem Thale Idiz noch genau?«

»Ja.«

»Du hast Zeit. Reite hin und hole Mir Scheik Khan mit den Scheiks und Kawals herbei. Wir wollen sehen, ob sich die Überreste des Pir Kamek finden lassen, und sie im Thale Idiz begraben.«

Das war allerdings ein Gedanke, welcher bei den Dschesidi zünden mußte, und mir war es außerordentlich lieb, bei dem Begräbnisse eines Dschesidi gegenwärtig sein zu können. Ich nahm nur Halef mit, den Buluk Emini aber ließ ich zurück.

Zwar hatte ich gesagt, daß der Weg nach dem Thale Idiz mir bekannt sei, aber ich war ja nicht von Scheik Adi, sondern von Baadri aus dorthin gekommen. Jedenfalls glaubte der Bey, daß ich mit dem Sohne Selek's über Scheik Adi geritten sei, und ich klärte ihn nicht auf, weil es mir Vergnügen machte, zu sehen, ob ich das Thal finden werde, ohne den Weg zu kennen. In der Richtung konnte ich mich nicht irren, und die Spuren der Dschesidi vom Tage vorher mußten mich ja ganz genau führen. Ich ritt also an der Kante des Thales hin, bis ich oberhalb des Heiligthumes anlangte. Bis hierher kam ich an zahlreichen Dschesidi vorüber, welche den Abhang eng besetzt hielten; dann aber wandte ich mich links in den Wald hinein. Einem geübten Auge war es selbst vom Pferde herab nicht schwer, die Spur zu erkennen. Wir folgten ihr und langten bald an der Stelle an, an welcher ich mit meinem Dolmetscher hinabgestiegen war. Hier stand eine Wache, welche den Auftrag hatte, jeden Unberufenen abzuweisen. Wir stiegen von den Pferden und ließen dieselben oben.

Als wir die Steilung hinunterkletterten, bot sich uns ein seltsamer, lebensvoller Anblick dar. Tausende von Frauen und Kindern hatten sich in den malerischsten Stellungen dort unten gelagert. Pferde grasten; Rinder weideten; Schafe und Ziegen kletterten an den Felsen herum; aber kein Laut war zu hören, denn ein Jeder redete leise, damit das Versteck ja nicht durch einen unvorsichtigen Laut verrathen werde. Am Wasser saß Mir Scheik Khan mit seinen Priestern. Sie empfingen mich mit großer Freude; denn sie hatten bisher nur erfahren, daß der Angriff des Feindes allerdings mißlungen sei, aber einen ausführlichen Bericht hatten sie noch nicht erhalten.

»Ist das Heiligthum erhalten?«

Das war die erste Frage, die der Khan an mich richtete.

»Das Heiligthum ist unversehrt, und ebenso alle anderen Gebäude.«

»Wir hörten das Schießen. Ist viel Blut geflossen?«

»Nur das der Osmanly.«

»Und die Unsrigen?«

»Ich habe nicht gehört, daß Einer während des Kampfes verletzt worden sei. Zwei allerdings sind todt, doch starben sie nicht im Streite.«

»Wer ist es?«

»Der Sarradsch Hefi aus Baazoni und – –«

»Hefi aus Baazoni? Ein frommer, fleißiger und tapferer Mann. Nicht im Kampfe? Wie starb er denn?«

»Der Bey sandte ihn als Parlamentär zu den Osmanly, und sie erschossen ihn. Ich mußte zusehen, ohne ihn retten zu können.«

Die Priester neigten die Häupter, falteten die Hände und schwiegen. Nur Mir Scheik Khan sagte mit ernster, tiefer Stimme:

»Er ist verwandelt. El Schems wird ihm hier nicht mehr leuchten, aber er wandelt unter den Strahlen einer höheren Sonne in einem Lande, wo wir ihn wiedersehen werden. Orata ölüm ne mozar ne, adschy ne tasa ne; orata ebedi atschyk ile zewk – dort gibt es weder Tod noch Grab, weder Schmerz noch Kummer; dort ist ewig Licht und Wonne; zira tanry jakin dir – denn er ist bei Gott!«

Diese Art und Weise, die Nachricht von dem Tode eines Freundes hinzunehmen, war ergreifend. Nicht ein böses Wort traf die Mörder. Diese Priester trauerten, aber sie gönnten dem Todten seine Verwandlung. Einer solchen Ergebenheit ist der Islam niemals fähig; sie konnte nur eine Folge der christlichen Ideen und Anschauungen sein, welche die Dschesidi aufgenommen und festgehalten haben.

»Und wer ist der Andere?« frug nun der Khan.

»Du wirst erschrecken!«

»Ein Mann erschrickt nie vor dem Tode, denn der Tod ist ›dost insanün, son günahnun, iptida saadetün‹ – der Freund des Menschen, das Ende der Sünde und der Anfang der Seligkeit. Wer ist es?«

»Pir Kamek.«

Sie zuckten dennoch Alle wie unter einem plötzlichen Schmerze, aber Keiner sagte ein Wort. Auch jetzt sprach Mir Scheik Khan zuerst wieder:

»Ewlija dejischtirmis – der Heilige ist verwandelt. Chüda bujurdi – Gott hat es gewollt! Erzähle uns seinen Tod!«

Ich berichtete so ausführlich, als ich nur konnte. Sie hörten Alle tief ergriffen zu, und dann bat der Khan:

»Kardaschlar, fikirimiz ona jakin ol – Brüder, laßt uns seiner gedenken!«Wörtlich: ›Unser Gedanke sei bei ihm

Sie senkten die Köpfe tief herab. Beteten sie? Ich weiß es nicht; aber ich sah, daß die Augen Mehrerer sich befeuchteten und daß ihre Rührung wohl eine wahre und herzliche war. Man hat behauptet, daß nur der Deutsche das besitze, was man »Gemüth« nennt. Wenn dies wahr sein sollte, so waren diese Dschesidi den Deutschen sehr ähnlich. Wie wollte ich es ihnen gönnen, wenn die göttliche Milde und Klarheit des Christenthums die Schatten ihrer Thäler erleuchten und die Spitzen ihrer Berge vergolden dürfte!

Erst nach einer längeren Weile wich ihre Andacht der gewöhnlichen Stimmung, so daß ich wieder zu ihnen reden konnte.

»Nun sendet mich Ali Bey, um Euch zu ihm zu holen. Er will es versuchen, ob die Überreste des Heiligen noch zu finden sind, damit sie in diesem Falle heute noch begraben werden.«

»Ja, das ist eine wichtige Aufgabe, welche wir zu lösen haben. Die Gebeine des Pir dürfen nicht da ruhen, wo diejenigen des Miralai liegen!«

»Ich befürchte sehr, daß wir nicht Gebeine, sondern nur Asche finden werden!«

»So laßt uns eilen!«

Wir brachen auf, das heißt, sämmtliche Priester und Kawals; die Fakirs aber blieben zur Beaufsichtigung von Idiz zurück. Als wir oberhalb Scheik Adi bei dem Zelte des Bey anlangten, sprach dieser mit einem Mann, den er an den Kaimakam mit der Frage gesendet hatte, ob die Türken den Priestern der Dschesidi erlauben würden, den Scheiterhaufen zu untersuchen. Der Offizier hatte bejahend geantwortet und nur die Bedingung ausgesprochen, daß die betreffenden Personen keine Waffen bei sich führen sollten.

Ali Bey konnte die Scheiks nicht begleiten, da er stets anderweit zur Disposition sein mußte. Ich bat, mich anschließen zu dürfen, und das wurde mir gern gestattet. Fast hätte man die Hauptsache vergessen: ein Gefäß, welches die Asche des Heiligen aufnehmen sollte. Auf eine darauf bezügliche Frage zeigte der Bey, daß er auch bereits an diesen Umstand gedacht habe.

»Mir Scheik Khan, Du weißt, daß der berühmte Tschömlekdschi Rassat in Baazoni meinem Vater Hussein Bey eine Urne machte, welche einst seinen Staub aufnehmen soll, wenn es Zeit ist, ihn aus dem Mezar zu entfernen, damit er nicht mit dem Mehle des Tabut vermengt und verunreinigt werde. Diese Kilja ist ein Meisterstück des berühmten Töpfers und wohl werth, die Überreste des Heiligen aufzunehmen. Sie steht in meinem Hause zu Baadri, und ich habe bereits Boten ausgesandt, sie herbeizuholen. Sie wird ankommen, noch ehe Ihr am Scheiterhaufen Eure Arbeit beendet habt.«

Dies war genügend, und so setzte sich die Prozession nach niederwärts in Bewegung. Wir kamen bei der Batterie vorüber und langten an dem Orte an, wo der ›Heilige‹ sich und seinen Feind der Rache geopfert hatte. Wir sahen einen Aschenhügel, aus dem die halb verbrannten Stummel starker Hölzer hervorragten. Vor demselben lag die Leiche des erschossenen Parlamentärs. Die Hitze des Feuers hatte wohl seine Kleider, nicht aber seinen Körper zerstört. Er wurde entfernt, eine Arbeit, bei welcher unsere Geruchsnerven nicht wenig zu leiden hatten.

Die Asche war erkaltet. Die nahe liegenden Häuser lieferten die nöthigen Werkzeuge, und nun begann man eine vorsichtige, nur Zoll für Zoll fortschreitende Wegräumung der Aschendecke. Diese Abräumung mußte so sorglich vorgenommen werden, daß sie eine sehr lange Zeit in Anspruch nahm, während welcher ein Dschesidi mit einem Maultiere anlangte, auf dessen Rücken die Urne befestigt war. Ihre Form glich über dem Fuße derjenigen eines umgestürzten Glasschirmes, wie wir sie auf unseren Lampen zu sehen pflegen, und darauf ruhte ein Deckel, welchen eine Sonne krönte. Auf diesem Gefäße waren eine Abbildung und einige Worte im Kurmangdschi eingebrannt. Die Zeichnung stellte einen fliegenden Vogel mit gabelförmigem Schwanz und spitzen Flügeln vor. Welcher Art dieser Vogel sein sollte, sagte mir die Unterschrift: Hadschi Hadschik, der Pilger unter den Pilgern, d. i. die Schwalbe.

Rund um den Vogel und die Unterschrift waren acht Worte in folgender Ordnung zu sehen:

Speïda
Mezaal
Isterik (Abbildung der Schwalbe)
Kabirstan
Adef (Hadschi Hadschik)
Toprasch
Azman
Ross.

In deutscher Sprache würden diese acht Worte also lauten:

Morgenröthe
Grabmal
Stern (Abbildung der Schwalbe)
Kirchhof
Sonne (Hadschi Hadschik)
Erde
Himmel
Tag.

Die Bedeutung dieser Inschrift ist so klar, daß es gar nicht nöthig ist, eine besondere Erklärung derselben zu geben. Ich deutete auf den Vogel und frug einen der Scheiks:

»Ist die Schwalbe ein heiliger Vogel der Dschesidi?«

»Sie ist ein Symbol der irdischen Pilgerschaft. Wenn der Herbst kommt, zieht sie in schönere Länder, und wenn der Sommer des Menschen vorüber ist, so rüstet auch er sich, abzuscheiden von den Bergen, an denen er sein Nest erbaute, und hinüberzugehen in eine bessere Welt. Jenseits des Grabes, des Friedhofes und der Erde geht auf die Morgenröthe und der Tag eines anderen Sternes, einer reineren Sonne, der Tag des Himmels, welcher kein Ende kennt und keine Nacht besitzt. Hier auf dieser Kilja steht es geschrieben.«

Es schien mir ganz unmöglich, die Überreste des ›Heiligen‹ von denen des Scheiterhaufens zu unterscheiden; allein ich sollte mich bei dieser Annahme geirrt haben. Als die Asche beinahe bis zum Boden herab fortgeräumt worden war, wurden zwei formlose Klumpen bloßgelegt, denen die Priester ihre ganze Aufmerksamkeit zuwandten. Sie schienen nicht in's Reine kommen zu können, und Mir Scheik Khan winkte mich hinzu.

Es war keine leichte Aufgabe, diese Gegenstände genau zu untersuchen; man mußte sich Mund und Nase dabei verschließen. Wir hatten wirklich die Körper der beiden Todten vor uns. Sie waren halb verbraten und halb verkohlt, auf ein Drittheil ihrer früheren Größe zusammengeschrumpft und von einer ziemlich starken Kruste umgeben, welche, wie sich bei der näheren Untersuchung ergab, aus den unverbrennlichen Bestandtheilen des Erdpeches und der daran angeklebten Asche bestand.

»Es sind die Todten,« meinte ich. »Ihr habt es diesem Erdpeche zu verdanken, daß Ihr Euren ›Heiligen‹ begraben könnt.«

»Aber welcher ist es?«

»Sucht ihn heraus!«

Ich wollte sehen, wie weit der Scharfsinn dieser Männer gehe. Sie gaben sich die größte Mühe, vermochten es aber nicht, die scheinbar schwierige und doch so leichte Frage zu entscheiden.

»Es ist unmöglich, den Pir zu erkennen,« meinte endlich der Khan in ziemlicher Rathlosigkeit. »Wir müssen entweder darauf verzichten, seiner Asche die gebührende Ehre zu erweisen, oder wir sind gezwungen, beide Körper in die Urne zu legen, Freund und Feind, den Frommen und den Gottlosen. Oder weißt Du einen bessern Rath, Emir Kara Ben Nemsi?«

»Ich weiß einen.«

»Wie lautet er?«

»Nur allein die Gebeine des Pir in die Urne zu thun.«

»Aber Du hast ja gehört, daß wir dieselben nicht von denen des Miralai unterscheiden können!«

»Das ist ja nicht schwer! Dieser hier ist der ›Heilige‹, und dieser hier ist der Türke.«

»Woraus erkennst Du das? Kannst Du es beweisen?«

»So sicher, wie Ihr es nur wünschen möget. Der Pir hatte keine Waffen bei sich; der Miralai aber trug seinen Säbel, einen Dolch und zwei Pistolen. Seht Ihr die krumm gezogenen Pistolenläufe und die Messerklinge an diesem Körper kleben? Die Schäfte und der Griff sind verbrannt. Und hier grad unter ihm sieht die Säbelspitze aus der Asche heraus. Dieser ist also unbedingt der Miralai gewesen.«

Jetzt nun wunderten sich die Dschesidi, daß sie nicht selbst auch auf diesen so einfachen Gedanken gekommen waren. Sie Alle ohne Ausnahme stimmten meiner Ansicht bei und machten sich daran, die Reste des Pir in die Urne zu bringen.

Während des ganzen Vorganges hatte der Kaimakam mit mehreren seiner Offiziere in der Nähe gehalten. Ihm wurde die Leiche seines früheren Vorgesetzten überlassen, und dann kehrten wir wieder zur Höhe zurück. Dort bat Ali Bey den Khan um seine Befehle in Beziehung auf die Bestattungsfeierlichkeit.

»Wir müssen sie auf morgen verschieben,« antwortete dieser.

»Warum?«

»Pir Kamek war der Frömmste und der Weiseste unter den Dschesidi; er soll würdig bestattet werden, und dazu ist es heute zu spät. Ich werde anordnen, daß man ihm im Thale Idiz ein Grabmal errichte, und dieses kann erst Morgen fertig sein.«

»So wirst Du Duwardschi's und Dägerler brauchen?«

»Nein. Wir werden einen einfachen Bau aus Felsblöcken errichten, der keines Kittes bedarf, und jeder Mann, jedes Weib und auch ein jedes Kind soll einen Stein dazu herbeibringen, je nach seinen Kräften, damit keiner der versammelten Pilger ausgeschlossen werde, dem Verwandelten das ihm gebührende Denkmal zu stiften.«

»Aber ich brauche die Krieger zur Bewachung der Türken!« wendete Ali Bey ein.

»Sie werden sich ablösen; dann stehen Dir immer genug von ihnen zu Gebote. Laß uns berathen, welche Gestalt wir dem Baue geben!«

Da ich hierbei unbetheiligt war, suchte ich meinen Dolmetscher auf, um mir das Manuscript des Verstorbenen geben zu lassen. Er hatte es in das Innere eines hohlen Thinarbaumes versteckt, und wir ließen uns in der Nähe desselben nieder, wo ich meinen Sprachübungen ungestört obliegen konnte.

Darüber verging der Tag, und der Abend kam heran. Auf den Höhen, welche das Thal von Scheik Adi umgaben, leuchtete ein Wachtfeuer neben dem andern auf. Es war den Türken unmöglich, zu entkommen, selbst wenn der Kaimakam gegen sein Versprechen die Nacht zu einem Durchbruche hätte benutzen wollen. Die Zeit der Dunkelheit verging ohne alle Störung, und am Morgen kehrte Pali zurück. Die Schnelligkeit und Ausdauer seines guten Pferdes hatte die Entfernung zwischen Scheik Adi und Mossul bedeutend abgekürzt. Ich hatte in dem Zelte des Bey geschlafen und befand mich noch dort, als der Bote eintrat.

»Hast Du den Mutessarif getroffen?« frug ihn Ali.

»Ja, Herr; noch spät am Abend.«

»Was sagte er?«

»Erst wüthete er und wollte mich todt peitschen lassen. Dann ließ er viele Offiziere und seinen Diwan effendisi kommen, mit denen er sich lange Zeit berathen hat. Dann durfte ich zurückkehren.«

»Bei dieser Berathung warest Du nicht zugegen?«

»Nein.«

»Welche Antwort hast Du erhalten?«

»Einen Brief an Dich.«

»Zeige ihn!«

Pali zog ein Schreiben hervor, welches mit dem großen Möhür mutessarifün (5) Siegel der Satthalterschaft"> verschlossen war. Ali Bey öffnete und betrachtete die Zeilen. In dem großen Schreiben lag ein kleiner, offener Brief. Er reichte mir beide Schriftstücke.

»Lies Du, Emir! Ich bin begierig, zu erfahren, was der Mutessarif beschlossen hat.«

Die Zuschrift war von dem Schreiber des Statthalters verfaßt und von dem Letzteren unterzeichnet worden. Er versprach, am andern Morgen mit zehn Mann Begleitung, in Dscherraijah zu sein, und stellte die Bedingung, daß Ali Bey auch nur von einer so geringen Anzahl begleitet werde. Er erwartete, daß der Ausgleich ein friedlicher sein werde, und bat, dem Kaimakam den inneliegenden schriftlichen Befehl zu übergeben. Dieser enthielt die allerdings sehr friedliche Weisung, bis auf Weiteres jede Feindseligkeit einzustellen, den Ort Scheik Adi zu schonen und die Dschesidi als Freunde zu behandeln. Angeschlossen war dann die Bemerkung, diesen Befehl recht genau zu lesen.

Ali Bey nickte befriedigt mit dem Kopfe.

Nach einer kleinen Pause machte der Dschesidi-Häuptling seinem vollen Herzen mit den Worten Luft:

»Wir haben gewonnen und dem Mutessarif eine nachhaltige Lehre ertheilt; merkst Du dies, Emir? Der Kaimakam soll diesen Brief erhalten, und morgen werde ich in Dscherraijah sein.«

»Wozu dem Kaimakam diese Zuschrift geben?«

»Sie gehört ihm.«

»Ist aber überflüssig, da er sich ja bereits verbindlich gemacht hat, das zu thun, was ihm hier geboten wird.«

»Er wird es um so sicherer und treuer thun, wenn er sieht, daß es auch der Wille des Mutessarif ist.«

»Ich muß Dir gestehen, daß dieser schriftliche Befehl meinen Verdacht erweckt.«

»Warum?«

»Weil er überflüssig ist. Und wie eigenthümlich klingen die letzten Worte, daß der Kaimakam den Befehl ja ganz genau lesen möge!«

»Dies soll uns von dem guten Willen des Mutessarif überzeugen und den Kaimakam zum pünktlichsten Gehorsam ermuntern.«

»Diese Pünktlichkeit ist selbstverständlich, und darum scheint mir der Befehl mehr als überflüssig.«

»Dieser Brief gehört nicht mir; der Gouverneur hat ihn meiner Ehrlichkeit anvertraut, und der Kaimakam soll ihn erhalten.«

Es war, als wolle der Zufall diesem Vorsatze des Bey seine ganz besondere Genehmigung ertheilen, denn gerade jetzt meldete ein eintretender Dschesidi:

»Herr, es kommt ein Reiter aus dem Thal herauf.«

Wir gingen hinaus und erkannten nach einiger Zeit in dem Nahenden den Kaimakam, der allerdings ohne alle Begleitung heraufgeritten kam. Wir erwarteten ihn im Freien.

»Seni selamlar-im – ich begrüße Dich!« sagte er beim Absteigen erst zum Bey und dann auch zu mir.

»Chosch geldin-sen, effendi – sei willkommen, Herr!« antwortete Ali. »Welcher Wunsch führt Dich zu mir?«

»Der Wunsch meiner Krieger, welche kein Brod zu essen haben.«

Das war ohne alle Einleitung gesprochen. Ali lächelte leise.

»Ich mußte das erwarten. Aber hast Du Dir gemerkt, daß ich Brod nur gegen Waffen verkaufe?«

»So sagtest Du; aber Du wirst dennoch Geld nehmen!«

»Was der Bey der Dschesidi sagt, das weiß er auch zu halten. Du brauchst Speise, und ich brauche Waffen und Munition. Wir tauschen, und so ist uns Beiden dann geholfen.«

»Du vergissest, daß ich die Waffen und die Munition selbst brauche!«

»Und Du vergissest, daß ich des Brodes selbst bedarf! Es sind viele tausend Dschesidi bei mir versammelt; sie Alle wollen essen und trinken. Und wozu brauchst Du die Waffen? Sind wir nicht Freunde?«

»Doch nur bis zum Schlusse des Waffenstillstandes!«

»Wohl auch noch länger. Emir, ich bitte Dich, ihm den Brief des Gouverneur einmal vorzulesen!«

»Ist ein Brief von ihm angekommen?« frug der Oberstlieutenant schnell.

»Ja. Ich sandte einen Boten, welcher jetzt zurückgekommen ist. Lies, Emir!«

Ich las das Schreiben, das ich noch bei mir hatte, vor. Ich glaubte, in der Miene des Kaimakam eine Enttäuschung zu bemerken.

»So wird also Friede zwischen uns werden!« meinte er.

»Ja,« antwortete der Bey. »Und bis dahin wirst Du Dich freundlich zu uns verhalten, wie Dir der Mutessarif noch besonders gebietet.«

»Besonders?«

»Er hat einen Brief beigelegt, den ich Dir geben soll.«

»Einen Brief? Mir?« rief der Offizier. »Wo ist er?«

»Der Emir hat ihn. Laß ihn Dir geben!«

Schon stand ich im Begriff, ihm das Schreiben hinzureichen; aber die Hast, mit welcher er danach langte, machte mich denn doch stutzig.

»Erlaube, daß ich ihn Dir vorlese!«

Ich las, aber nur bis zu der letzten Bemerkung, welche meinen Verdacht so sehr erregt hatte. Doch da frug er:

»Ist dies alles? Steht weiter nichts da?«

»Noch zwei Zeilen. Höre sie!«

Ich las nun bis zu Ende und hielt dabei den Blick halb auf ihn gerichtet. Nur einen kurzen Moment lang öffneten sich seine Augen weiter als gewöhnlich, aber ich wußte nun sicher, daß dieser Satz irgend eine uns unbekannte Bedeutung habe.

»Dieser Brief gehört mir. Zeige ihn her!«

Bei diesen Worten griff er so schnell zu, daß ich kaum Zeit behielt, meine Hand mit dem Papiere zurückzuziehen.

»Warum so eilig, Kaimakam?« frug ich, ihn voll ansehend. »Haben diese Zeilen etwas so sehr Wichtiges zu bedeuten, daß Du Deine ganze Selbstbeherrschung verlierst?«

»Nichts, gar nichts haben sie zu bedeuten; aber dieses Schreiben ist doch mein!«

»Der Mutessarif hat es dem Bey gesandt, und auf diesen allein kommt es an, ob er es Dir geben oder Dich nur mit dem Inhalte bekannt machen will.«

»Er hat es Dir ja bereits gesagt, daß ich den Brief erhalten soll!«

»Da dieses Papier Dir so wichtig zu sein scheint, trotzdem Du seinen Inhalt bereits kennst, so wird er mir erlauben, es zuvor einmal genau zu betrachten.«

Mein Verdacht hatte sich noch mehr befestigt. Anstatt gehoben zu werden, war er bereits zu einer bestimmten Vermuthung geworden. Ich hielt das Papier mit seiner Fläche senkrecht zwischen das Auge und die Sonne; ich konnte nichts Auffälliges bemerken. Ich befühlte und beroch es, aber ohne Erfolg. Nun hielt ich es wagrecht so, daß ich die darauf fallenden Sonnenstrahlen mit dem Auge auffing, und da endlich zeigten sich mir mehrere, allerdings nur einem sehr scharfen Blicke bemerkbare Stellen, welche zwar mit der Farbe des Papiers beinahe verschwammen, aber dennoch die Gestalt von Schriftzeichen zu haben schienen.

»Du wirst das Papier nicht bekommen!« sagte ich zum Kaimakam.

»Warum nicht?«

»Weil es eine geheime Schrift enthält, welche ich untersuchen werde.«

Er verfärbte sich.

»Du irrst, Effendi!«

»Ich sehe es genau!« Und um ihn zu versuchen, fügte ich hinzu: »Diese geheime Schrift wird zu lesen sein, wenn ich das Papier in das Wasser halte.«

»Tue es!« antwortete er mit einer sichtbaren Genugtuung.

»Du hast Dich durch die Ruhe Deiner Worte verrathen, Kaimakam. Ich werde das Papier nun nicht in das Wasser, sondern über das Feuer halten.«

Ich hatte es getroffen; das erkannte ich an dem nicht ganz unterdrückten Erschrecken, welches sein zu offenes Gesicht überflog.

»Du wirst den Brief ja dabei verbrennen und zerstören!« mahnte er.

»Trage keine Sorge! Ein Effendi aus dem Abendlande weiß mit solchen Dingen recht wohl umzugehen.«

Der Bey war ganz erstaunt.

»Glaubst Du wirklich, daß dieser Brief eine verborgene Schrift enthält?«

»Laß ein Feuer anmachen, so werde ich es Dir beweisen!«

Noch war Pali zugegen. Auf einen Wink Ali's suchte er dürre Äste zusammen und steckte sie in Brand. Ich kauerte mich nieder und hielt das Papier vorsichtig über die Flammen. Da that der Kaimakam einen schnellen Sprung auf mich zu und suchte, es mir zu entreißen. Ich hatte das erwartet, wich ebenso schnell zur Seite, und er fiel strauchelnd zu Boden. Sofort kniete Ali Bey auf ihm.

»Halt, Kaimakam!« rief er; »Du bist falsch und treulos; Du bist jetzt zu mir gekommen, ohne Dich vorher meines Schutzes zu versichern, und ich mache Dich zu meinem Gefangenen!«

Der Offizier wehrte sich, so gut er es vermochte, aber wir waren ja Drei gegen Einen, und zudem kamen auch andere Dschesidi, welche in der Nähe gehalten hatten, herbei. Er wurde entwaffnet, gebunden und in das Zelt geschafft.

Nun konnte ich mein Experiment vollenden. Die Flamme erhitzte das Papier beinahe bis zum Versengen, und nun kamen sehr deutliche Worte zum Vorscheine, welche an dem Rande der Zeilen standen.

»Ali Bey, siehst Du, daß ich Recht hatte?«

»Emir, Du bist ein Zauberer!«

»Nein; aber ich weiß, wie man solche Schriften sichtbar machen kann.«

»O, Effendi, die Weisheit der Nemtsche ist sehr groß!«

»Hat der Mutessarif dieses Zauberstück nicht ebenso verstanden? Es gibt Stoffe, aus denen man eine Tinte machen kann, welche nach dem Schreiben verschwindet und mit einem andern Mittel gezwungen wird, wieder sichtbar zu werden. Die Wissenschaft, welche diese Mittel kennt, heißt Chemie oder Scheidekunst. Sie wird bei uns mehr gepflegt als bei Euch, und darum haben wir auch bessere Mittel als Ihr. Wir kennen viele Arten von geheimen Schriften, welche sehr schwer zu entdecken sind; die Euren aber sind so einfach, daß keine große Klugheit dazu gehört, Eure unsichtbaren Worte sichtbar zu machen. Rathe einmal, womit diese Worte geschrieben worden sind.«

»Sage es!«

»Mit Harn.«

»Unmöglich!«

»Wenn Du mit dem Harne eines Thieres oder eines Menschen schreibst, so verschwindet die Schrift, sobald sie eingetrocknet ist. Hältst Du das Papier dann über das Feuer, so werden die Züge schwarz, und Du kannst sie lesen.«

»Wie lauten diese Worte?«

»O bir gün gel-yr-im jen-mek itschin – ich komme übermorgen, um zu siegen.«

»Ist dies wahr? Irrest Du Dich nicht?«

»Hier steht es deutlich!«

»Wohlan, so gib mir diesen Brief!«

Er ging in großer Erregung einige Male auf und ab; dann blieb er wieder vor mir stehen.

»Ist dies Verrath oder nicht, Emir?«

»Es ist Heimtücke.«

»Soll ich diesen Mutessarif vernichten? Es liegt in meiner Hand!«

»Du wirst es dann mit dem Padischa zu thun bekommen!«

»Effendi, die Urus haben ein Wort, welches lautet: ›Giöj jüksek, thsaar uzak – der Himmel ist hoch, und der Zar ist weit‹. So ist es auch mit dem Padischah. Ich werde siegen!«

»Aber Du wirst viel Blut vergießen. Sagtest Du mir nicht kürzlich, daß Du den Frieden liebst?«

»Ich liebe ihn, aber man soll ihn mir auch lassen! Diese Türken kamen, um uns die Freiheit, das Eigenthum und das Leben zu rauben; ich habe sie dennoch geschont. Jetzt spinnt man neuen Verrath. Soll ich mich nicht wehren?«

»Du sollst Dich wehren, aber nicht mit dem Säbel!«

»Womit sonst?«

»Mit diesem Briefe. Tritt mit demselben vor den Mutessarif, und er wird besiegt und geschlagen sein.«

»Er wird mir einen Hinterhalt legen und mich gefangen nehmen, wenn ich morgen nach Dscherraijah gehe!«

»Wer hindert Dich, dasselbe auch mit ihm zu thun? Er ist Dir sicherer als Du ihm, denn er hat keine Ahnung, daß Du seine Absichten kennst.«

Ali Bey sah eine ganze Weile nachdenklich vor sich nieder; dann antwortete er:

»Ich werde mich mit Mir Scheik Khan besprechen. Willst Du mit mir nach dem Thale Idiz reiten?«

»Ich reite mit.«

»Vorher aber will ich diese Menschen da unten unschädlich machen. Tritt nicht mit ein, sondern erwarte mich hier!«

Warum sollte ich ihn nicht in das Zelt begleiten? Seine Hand lag am Dolche, und sein Auge blickte entschlossen. Wollte er mich verhindern, eine rasche That zu verhüten? Ich stand wohl eine halbe Stunde allein, und während dieser Zeit hörte ich die zornigen Töne einer sehr erregten Unterhaltung. Endlich kam er wieder. Er hatte ein Papier in der Hand und gab es mir.

»Lies! Ich will hören, ob es ohne Falschheit ist.«

Es enthielt die kurze, gemessene Weisung an die befehligenden Offiziere, alle Waffen und auch die Munition sofort an diejenigen Dschesidi zu übergeben, deren Anführer diesen Befehl vorzeige.

»Es ist richtig. Aber wie hast Du das erlangt?«

»Ich hätte ihn und den Makredsch sofort erschießen lassen und die Kanonade begonnen. In einer Stunde wären wir mit ihnen fertig gewesen.«

»Nun bleibt er gefangen?«

»Ja. Er wird mit dem Makredsch bewacht.«

»Und wenn sich die Seinen nicht fügen?«

»So werde ich meine Drohung wahr machen. Bleibe hier, bis ich zurückkehre, und Du wirst sehen, ob mich die Türken respektiren.«

Er ertheilte noch einige Befehle und stieg dann nach der Batterie hinab. In der Zeit von zehn Minuten waren alle Dschesidi kampfbereit. Die Schützen lagen mit aufgenommenen Schießgewehren in ihren Verstecken, und die Artilleristen standen zum Schusse fertig bei den Geschützen. Ihre Verschanzung öffnete sich, um gegen zweihundert Dschesidi und wohl an die dreißig Maulesel durchzulassen. Diese Thiere bestanden meist aus denen, welche wir mit den Kanonieren gefangen genommen hatten. Dieser Zug blieb in einiger Entfernung halten, während der Anführer desselben vorschritt und den Platz aufsuchte, an welchem sich die Offiziere der Osmanen befanden.

Ich konnte von meinem Standpunkte aus dies Alles sehr genau beobachten. Es gab eine ziemlich lange Zeit der Verhandlung. Dann jedoch traten die Soldaten in Trupps zusammen, welche einer nach dem andern bis in die Nähe der Maulthiere vormarschirten, um dort die Waffen abzulegen. Dies lief nun allerdings nicht ganz glatt und ruhig ab, besonders da auch sämmtliche Chargen gezwungen waren, sich von Säbel und Pistole zu trennen; aber es blieb nur bei leeren Kraftworten, da die Türken wußten, daß jeder thatsächliche Widerstand mit Kartätschen gebrochen werden solle.

Ali Bey war kaum eine Stunde lang entfernt gewesen, so kehrte er zurück. Ihm folgten die mit den Waffen beladenen Maulthiere, deren Treiber beordert waren, die kostbare Beute nach dem Thale Idiz zu bringen. Auch der Kaimakam wurde von einigen Kriegern in Sicherheit gebracht. Man führte ihn dorthin, wo der Makredsch das Glück hatte, die Gesellschaft des dicken Artilleriehauptmannes und seines tapfern Lieutenants zu genießen. Er konnte mit diesen Beiden auf Beförderung warten und unterdessen ›Tabak aus Schiras‹ rauchen.

Nun machten auch wir uns auf den Weg. Halef ritt mit. Mein Baschi-Bozuk war nicht zu sehen; jedenfalls hatte er aus Langeweile seinen Esel spazieren geritten. Auf dem Wege nach dem Thale Idiz begegneten wir einer langen Reihe zurückkehrender Dschesidi. Sie hatten ihren Beitrag zum Baue des Grabmales geleistet und sollten nun zu demselben Zwecke eine gleiche Anzahl ihrer Gefährten ablösen. Sie theilten uns mit, daß der Bau rasch vor sich schreite.

Als wir den Eingang erreichten, bot sich uns das Bild eines sehr bewegten Lebens dar. In der Mitte desselben war eine große Anzahl von Frauen versammelt, welche auf großen, flachen Steinen Mehl aus Körnern bereiteten; Andere saßen an Gruben, welche sie durch Feuer erhitzten, um Brod zu backen; noch Andere machten Fackeln oder richteten die Lampen und Laternen, die man vorgestern aus Scheik Adi mitgenommen hatte, zu der bevorstehenden Feier her. Am regsamsten aber ging es im oberen Theile des Thales zu, wo das Grabmal errichtet wurde. Es stellte eine ungeheure Felspyramide dar, deren hintere Seite sich an die steile Wand des Felsens lehnte. Das Fundament bestand aus großen Blöcken, deren Transport und Aufbau jedenfalls bedeutenden Kraftaufwand gekostet hatte. In der Mitte der voraussichtlichen Höhe war ein hohler Raum gelassen, welcher die Gestalt einer zwölfstrahligen Sonne hatte und von deren Mittelpunkt die Urne aufgenommen werden sollte. Mehrere hundert Männer arbeiteten daran, und noch mehr Frauen und Kinder waren beschäftigt, Steine herbeizuwälzen, oder hingen wie Eichhörnchen an den Vorsprüngen der Felsenwand, um von oben herab dem Baue förderlich zu sein.

Die Priester waren theils mit der Beaufsichtigung des Werkes beschäftigt, theils legten sie selbst mit Hand an. Mir Scheik Khan saß in der Nähe der Pyramide. Wir gingen zu ihm. Ali Bey erzählte ihm die heutigen Vorkommnisse und zeigte ihm auch die beiden Schreiben des Mutessarif. Der Khan versank in tiefes Nachdenken; dann aber frug er:

»Was wirst Du thun, Ali Bey?«

»Du bist der Ältere und der Weisere; ich komme, mir Deinen Rath zu erbitten.«

»Du sagst, ich sei der Ältere. Das Alter liebt die Ruhe und den Frieden. Du sagst, ich sei der Weisere. Die größte Weisheit ist der Gedanke an den Allmächtigen und Allgütigen. Er macht den Schwachen stark; er beschützt den Unterdrückten; er will nicht, daß der Mensch das Blut seines Bruders vergieße.«

»Sind diese Türken unsere Brüder? Sie, die wie wilde Thiere über uns und die Unserigen herfallen?«

»Sie sind unsere Brüder, obgleich sie nicht als Brüder an uns handeln. Tötest Du einen Bruder, der Dir übel will?«

»Nein.«

»Du sprichst mit ihm freundlich oder streng, aber Du forderst nicht sein Leben. So sollst Du auch mit dem Mutessarif reden.«

»Und wenn er nicht auf mich hört?«

»Der Allerbarmer gab dem Menschen den Verstand, um zu denken, und ein Herz, um zu fühlen. Wer nicht die Rede eines Anderen überdenkt, und wer nicht die Gefühle seines Bruders empfindet, der hat den Erbarmenden verlassen und verleugnet, und dann, erst dann darf der Zorn und die Strafe über ihn kommen.«

»Mir Scheik Khan, ich werde nach Deinen Worten handeln!«

»So wiederhole ich meine Frage: Was wirst Du thun?«

»Ich werde mit zehn Männern nach Dscherraijah gehen, mir aber genug Krieger folgen lassen, um den Mutessarif gefangen zu nehmen. Vorher aber, bereits noch heute, werde ich Kundschafter nach Mossul, Kufjundschik, Telkeif, Baaweiza, Ras ul Aïn und Khorsabad senden, welche mich rechtzeitig von seinen Plänen benachrichtigen werden. Ich werde in Liebe mit ihm reden, dann mit Strenge, wenn er nicht hört. Achtet er auch dann nicht auf mich, so lasse ich ihn seinen geheimen Brief sehen und gebe das Zeichen, ihn zu ergreifen. Während ich bei ihm bin, werden meine Männer Dscherraijah umringen. Er kann mir nicht entgehen.«

»Vielleicht wird er auch Kundschafter senden, um zu erfahren, wie Du Dich auf die Zusammenkunft mit ihm vorbereitest.«

»Er wird nichts erfahren, denn meine Leute werden bereits während der Nacht von hier abgehen, und zwar nicht auf der Straße über Baadri, sondern rechts bis fast nach Bozan hinüber. Sie werden am Morgen am Bache im Westen von Dscherraijah sein.«

»Und wer wird während Deiner Abwesenheit in Scheik Adi befehligen?«

»Willst Du es thun?«

»Ich will.«

Das klang so einfach. Hier übergab der weltliche Beherrscher der Dschesidi ihrem geistlichen Regenten seine Gewalt ohne die leiseste Regung einer kleinlichen Eifersucht, ohne alles Mißtrauen und Bedenken. »Willst Du?« frug der Eine. »Ich will,« antwortete der Andere. Welchen Klang mag wohl das Wort ›Culturkampf‹ in einem der Dialekte dieser Teufelsanbeter haben!

Es wurde nun die Verproviantierung der in Scheik Adi eingeschlossenen Türken besprochen und dann das heutige Fest. Unterdessen wanderte ich von Gruppe zu Gruppe, um einen oder den andern sprachlichen Fund zu thun. Da kam es hinter mir heran gekeucht, und eine nach Athem schnappende Stimme rief:

»Weiche aus, Sihdi!«

Ich wandte mich um. Es war mein Halef, der seine ganze Körperkraft anstrengte, ein mächtiges Felsstück vor sich herzurollen.

»Was thust Du hier?« frug ich erstaunt.

»Mein Beitrag zum Monument.«

»Wird er angenommen? Du bist ja kein Dschesidi!«

»Sehr gern! Ich habe gefragt.«

»So hole ich auch einen Stein!«

Nicht weit von unserm Standorte lag ein ziemlicher Felsbrocken. Ich legte die Waffen und das Oberkleid ab und machte mich daran, ihn fortzuschaffen. Er wurde von den Scheiks mit Dank angenommen und, nachdem ich mit dem Dolche meinen Namen eingegraben hatte, mit Anwendung von Seilen empogezogen, wo er seine Stellung grad über der Sonne bekam.

Mittlerweile hatte Ali Bey den Zweck seines Besuches erreicht. Er wollte wieder aufbrechen und frug mich, ob ich ihn begleiten oder lieber hier bleiben wolle.

»Wie werde ich die Feierlichkeit am besten beobachten können?«

»Wenn Du mit mir gehest,« antwortete er. »Die Urne wird heute abend beim Glanze der Fackeln und Laternen von Scheik Adi nach dem Thale Idiz übergeführt.«

»Ich denke, sie ist bereits hier!«

»Nein. Sie steht am kühlen Wasser im Walde und wird erst in das Heiligthum gebracht.«

»Trotz der Türken?«

»Sie können uns nicht hindern.«

»So reite ich mit.«

»Du hast bis zum Abend Zeit. Willst Du mir eine Liebe erweisen?«

»Gern, im Falle es mir möglich ist!«

»Du weißt, daß ich dem Häuptling der Badinan-Kurden Gewehre versprochen habe. Wirst Du den Ort finden, wo er seine Hütten hat?«

»Sehr leicht. Jedenfalls braucht man gar nicht bis dorthin zu reiten, da er den Paß und die Seitenthäler besetzen wollte. Es wird übrigens an der Zeit sein, ihm einmal Nachricht zu geben.«

»Willst Du dies übernehmen?«

»Ja.«

»Und ihm seine Gewehre bringen?«

»Wenn Du sie mir anvertraust!«

»Er soll hundert haben und auch Munition dazu. Drei Maulthiere können dies tragen. Wie viele Männer wünschest Du als Begleitung?«

»Ist ein Angriff oder sonst eine Feindseligkeit zu erwarten?«

»Nein.«

»Gib mir zehn Krieger mit. Ich werde auch Mohammed Emin mitnehmen, der dort von der Höhe kommt.«

Ich hatte vorhin erfahren, daß der Scheik der Haddedihn auf die Jagd gegangen sei. Ich war überhaupt in den letzten Tagen gar nicht mit ihm zusammengetroffen. Er wollte sich so wenig wie möglich zeigen, damit seine Anwesenheit nicht öffentlich zur Sprache komme, und er hatte wohl auch sein Vorurtheil gegen die Teufelsanbeter nicht ganz überwunden. Darum war es ihm lieb, daß er mit mir gleich wieder aufbrechen konnte.

Es währte nur kurze Zeit, so waren die Maulthiere beladen, und unser kleiner Zug setzte sich in Bewegung. Zunächst hielten wir auf Scheik Adi zu, und dann wichen wir links ab, um den Weg nach Kaloni zu gewinnen. Meine Vermuthung bestätigte sich; ich traf eine Anzahl der Badinankurden bereits auf der ersten Höhe hinter Scheik Adi und wurde von ihnen zu ihrem Häuptlinge geführt, der mich dieses Mal mit sehr großer Ehrerbietung empfing. Ich mußte bei ihm bleiben, um ein Mahl einzunehmen, welches uns sein Weib bereitete. Er war mit den Gewehren sehr zufrieden und zeigte sich ganz besonders erfreut über den Säbel des Kaimakam, den Ali Bey mir als Extrageschenk für ihn mitgegeben hatte. Mohammed Emin fand an den Badinankurden ein solches Wohlgefallen, daß er sich entschloß, hier zurückzubleiben und mich zu erwarten, obgleich er nicht Kurdisch verstand. Ich versuchte nicht, ihm abzurathen, da seine Anwesenheit in Scheik Adi doch noch von den Türken bemerkt und dann der eigentliche Zweck unsers Rittes in die Berge gefährdet werden konnte. Ich kehrte also ohne ihn zurück.

Der Tag war doch so ziemlich vergangen, als ich wieder bei Ali Bey anlangte und ihm von den Badinan berichtete. Ich bemerkte, daß die Türken sich mehr nach der Mitte des Thales zurückgezogen und das Heiligthum also freigegeben hatten.

»Wann beginnt die Feier?« frug ich den Bey.

»Sobald es dunkel geworden ist. Nimm Deine Gewehre mit; es wird viel geschossen.«

»Gib mir eins von den Deinigen. Ich muß meine Patronen schonen, die ich hier nicht durch neue ersetzen kann.«

Ich war wirklich sehr neugierig auf diese Begräbnißfeierlichkeit, deren Zeuge ich werden sollte. Es war ja sehr leicht möglich, daß vor mir noch niemals ein Europäer dem Begräbnisse eines der angesehensten Teufelsanbeter beigewohnt hatte. Ich saß an der Kante des Thales und blickte hinab, bis sich die Schatten der Nacht niedersenkten. Da leuchteten rundum die Wachtfeuer wieder auf, und zugleich wuchs über dem Heiligthume langsam eine Doppelpyramide von Lichtern empor, grad so wie am ersten Abend, den ich in Scheik Adi zugebracht hatte. Die beiden Thüren des Grabmales wurden mit Lampen behangen.

»Komm!« ermunterte mich Ali Bey, der mit einigen Bevorzugten zu Pferde stieg.

Der Baschi-Bozuk blieb zurück. Halef begleitete uns. Wir ritten in das Thal hinab und langten vor dem Heiligthume an, welches vollständig erleuchtet worden war. Der Platz vor demselben wurde von einer doppelten Reihe bewaffneter Dschesidi eingeschlossen, um jedem Türken den Zutritt zu versagen. Im Heiligthume selbst befand sich nur Mir Scheik Khan mit den Priestern; Andern außer Ali Bey und mir war der Eintritt nicht gestattet. Im innern Hofe standen zwei eng neben einander gekoppelte Maulthiere, die ein quer über ihre Rücken liegendes Gestell trugen, auf welchem die Urne befestigt war. Um diese beiden Thiere hatten die Priester einen Kreis gebildet. Sie begannen bei unserm Erscheinen in sehr langsamem Tempo einen monotonen Gesang, in welchem die Worte »dschan dedim – ich gebe meine Seele hin« sehr oft wiederkehrten. Nach demselben wurden die Maulthiere mit Wasser aus dem heiligen Brunnen getränkt und erhielten einige Handvoll Körner, um anzudeuten, daß der, den sie trugen, eine weite Reise vor sich habe. Nun machte der Mir Scheik Khan einige Zeichen mit der Hand, deren Bedeutung ich nicht verstand, und jetzt begann ein zweiter Gesang, leise und harmonisch. Er hatte vier Absätze, deren jeder mit den Worten: »Tu Chode dehabini, keif inim – Du liebst Gott, genieße Ruhe« begann. Leider verstand ich zu wenig Kurdisch, um das Ganze begreifen und merken zu können.

Als dieser Gesang beendet war, gab der Khan ein Zeichen. Er stellte sich an die Spitze; zwei Scheiks nahmen die Maulthiere am Zügel; ihnen folgten paarweise die andern Scheiks und Kawals, denen sich Ali Bey mit mir anschloß. Der Zug setzte sich in Bewegung und wurde, als er aus dem Heiligthume trat, von einer Salve der Wachehaltenden empfangen.

Sofort krachten auf den Höhen Hunderte von Schüssen, und aber Hunderte trugen die Botschaft, daß wir aufgebrochen seien, dem Thale Idiz entgegen.

Wir zogen langsam zur Höhe empor. Als wir den Weg nach dem Thale erreichten, bot sich uns ein zauberischer Anblick dar. Die Dschesidi hatten von Scheik Adi bis Idiz ein Spalier gebildet, dessen Doppelglieder ungefähr dreißig Schritte aus einander standen. Jeder dieser Männer trug eine Fackel und eine Flinte, und jedes dieser Glieder schloß sich unter Abfeuern der Gewehre hinter uns an. So bildete sich ein Zug, der mit jedem Augenblicke und mit jedem Schusse immer länger wurde. Das Licht der Fackeln schmückte den dunkeln Wald, welcher hier meist aus hohen Eichen bestand, mit unbeschreiblichen Tinten, und der Donner der Salven wurde von den dunkeln Gründen des tiefen Forstes ununterbrochen zurückgeworfen.

Wahrhaft überwältigend aber wurde das Schauspiel, als wir endlich das Thal erreichten. Dasselbe schien der mächtige Krater eines Vulkanes zu sein, in dessen Grunde riesige Flammen loderten, zwischen denen Tausende von Geistern mit Leuchten und Lichtern irrten. Ein mehrtausendstimmiger Ruf hieß uns willkommen und in der Zeit einiger Sekunden hatten sich sämmtliche Lichter zu beiden Seiten der Thalsohle geordnet. Der große, weite Kessel war förmlich tageshell erleuchtet. Das größte Licht aber verbreiteten zwei gigantische Feuer, deren Flammen, von riesigen Scheiterhaufen genährt, zu beiden Seiten der Felsenpyramide an der nackten Wand des Thales emporkletterten. Es überkam mich jenes ›süße Grauen‹, welches, wohltuend und niederbeugend zu gleicher Zeit, das Menschenherz ergreift, sobald etwas Erhabenes hereingreift in die Grenzen unserer kleinen, inneren Welt.

Wir zogen den Abhang hinunter, zwischen dem wallenden Meere der Fackeln hindurch, und hielten vor dem Denkmale. In der sonnenförmigen Aushöhlung desselben standen zwei Priester, deren weiße Gewänder von dem dunkeln Gestein lebhaft abstachen. Hoch oben hatten sich mehrere Männer postirt, welche die Seile hielten, an denen die Urne emporgezogen werden sollte.

Sobald die Maulthiere vor der Pyramide anlangten, verstummten die Schüsse; es trat eine tiefe Stille ein. Die Urne wurde abgeladen und an die Seile befestigt. Ein anderes Seil, unten an die Urne gebunden, diente dazu, das zerbrechliche Gefäß von den Steinen abzuhalten. Der Mir Scheik Khan winkte, und die Seile wurden angezogen. Die Urne schwebte höher und höher und erreichte die Sonne. Die Priester griffen zu und zogen sie hinein. Sie wurde von ihnen aufgestellt, und dann hingen sie sich selbst an die Seile, um herabgelassen zu werden.

Nun gab der Khan das Zeichen, daß er sprechen wolle. Er hielt eine kurze Rede. Seine langsam, deutlich und sehr laut gesprochenen Worte klangen über das ganze Thal dahin, und obgleich ich die wenigsten derselben verstand, fühlte ich mich doch unter dem Eindrucke des außergewöhnlichen Vorganges tief ergriffen. Als er geendet hatte, begann der Chor der Priester einen freudigen Gesang, von welchem ich nur den Refrain der einzelnen Theile verstehen konnte: »Ro dehele – die Sonne geht auf.« Bei dem letzten Tone erhoben Alle die Hände, und da krachte aus allen Gewehren eine Salve, wie ich eine solche noch nie gehört hatte.

Damit war die eigentliche Feierlichkeit beendet. Nun aber begann sich das Leben erst zu regen. Es gibt nichts, womit ich diese Nacht im Thale Idiz vergleichen könnte, diese Nacht der Flammen und Fackeln zwischen himmelan strebenden Felsen, diese Nacht der Fragen und Klagen unter den Verachteten und Geschmäheten, diese Nacht unter den Bekennern einer Anbetungsform, deren Grundzug in der irre geleiteten und daher unbefriedigten Sehnsucht nach jenem Lichte besteht, das einst den drei Scheiks leuchtete, die, vielleicht aus dem nämlichen Lande, in dem ich mich jetzt befand, nach Bethlehem pilgerten, um vor der Krippe das Bekenntniß abzulegen: »Wir haben im Morgenlande seinen Stern gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten.«

Ich saß bei den Priestern bis lange nach Mitternacht; dann erloschen die Fackeln, und die Feuer fielen zusammen. Nur die beiden Flammen am Denkmale brannten noch, als ich mich unter einem Baume in meinen Burnus wickelte, um den Schlaf zu suchen. Da oben stand die Urne mit den Gebeinen des ›Heiligen‹. Dieser ›Merd-es-Scheïtan‹ war der Unterrichtetste unter allen seinen Glaubensgenossen, und dennoch hatte er den rechten Weg zur Wahrheit nicht finden können.

Wie glücklich sind Jene zu preisen, deren Wiege bereits an diesem Wege steht, und doch wie schwer wird es ihnen oft, dieses Glück zu erkennen und zu schätzen! Ich schloß die Augen, und es gelang mir endlich, einzuschlafen; aber ich träumte von Fackelzügen und Salven, von Scheiterhaufen und Urnen, aus denen Gerippe stiegen, die mich, den Christen, mit Grinsen umtanzten. Sie wollten mich ergreifen; da aber erschien der Pir Kamek, wehrte sie von mir ab und sagte:

»Er hat ein heiliges Kitab, darinnen geschrieben steht: ›Oghuldschikler, sizi oranizde sewyn-iz – Kindlein, liebet Euch unter einander!‹« – – –


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