Karl May
Durchs wilde Kurdistan
Karl May

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Jetzt führte uns der Pfad bergab. Wir folgten ihm langsam, um die Pferde zu schonen. Unten aber nahmen wir einen schnelleren Schritt an, und als wir die Ebene Newdascht erreichten, gaben wir den Pferden die Sporen, so daß sie mit vogelhafter Schnelligkeit über den dürren Boden, welcher diese Ebene kennzeichnet, dahinbrausten.

Wir kamen in das Dorf Maglana, von welchem Dohub, der Kurde, mit mir gesprochen hatte. Es wird von lauter Kurden bewohnt, welche mit den umliegenden chaldäischen Christen in steter Feindschaft leben. Wir hielten nur an, um uns nach dem Weg zu erkundigen, und dann ging es wieder vorwärts. Wir kamen durch verfallene Ortschaften, bei deren Untergang die Feuersbrunst der Hütten das Blut der Bewohner derselben aufgeleckt hatte. Die Trümmer lagen zerstreut; die Thiere des Waldes hatten die Knochen, welche wir hier und da liegen sahen, abgenagt. Mich schauderte.

In der Ferne, rechts oder links sahen wir zuweilen Rauch aufsteigen; es zeigte sich uns die unbeworfene Mauer eines Hauses; ein einzelner Reiter tauchte vor uns auf, bemerkte uns und schwenkte rasch zur Seite ab. Wir befanden uns auf keinem friedlichen Boden, und er sah, daß wir ihm an Zahl überlegen waren. Genau so geht es den Vögeln des Waldes, die bei jedem Flügelschlage eines Feindes gewärtig sein müssen und dann ihr einziges Heil in der Verborgenheit finden.

Nun dunkelte der Abend herein, und vor uns auf der Ebene sahen wir vielleicht dreißig Häuser zerstreut liegen. Es war das kleine Dorf Tiah, wo wir zu übernachten dachten. Wie der Empfang sein würde, das wußten wir allerdings noch nicht.

Man hatte uns von Weitem erblickt, und eine Anzahl von Männern war zu Pferde gestiegen, um uns entweder als Feind zurückzuweisen oder als Freund zu empfangen. Eine Strecke von ungefähr zweitausend Schritten vor dem Dorfe hielten sie an, um uns zu erwarten.

»Bleibt ein wenig zurück!« sagte ich und ritt voran.

Ich sah, wie sie bei dem Anblick meines Pferdes einander die Köpfe zukehrten, und so stolz mich diese Bewunderung machte, so bedenklich mußte sie mir auch sein. Ein gutes Pferd, schöne Waffen und Geld: – wer eines von diesen drei Dingen besitzt, der ist bei diesen räuberischen Völkerschaften nie sicher, es zu verlieren und das Leben dazu.

Einer von ihnen ritt einige Schritte vor.

»Ivari 'l kher – guten Abend!« grüßte ich ihn.

Nachdem er gedankt hatte, ließ er seinen Blick von meinem Turban bis zu den Hufen meines Pferdes herabgleiten und begann ein Verhör.

»Woher kommst Du?«

»Von Amadijah.«

»Wohin willst Du?«

»Nach Kalah Gumri.«

»Was bist Du? Ein Türke oder Araber?«

»Nein, ich bin – – –«

»Schweig!« gebot er mir. »Ich frage Dich, und Du antwortest! Du redest Kurdisch, aber ein Kurde bist Du nicht. Bist Du ein Grieche, oder ein Russe, oder ein Perser?«

Ich verneinte, und jetzt war er mit seinen Kenntnissen zu Ende. Dieser Mann empfing mich ja wie ein russischer Grenzaufseher! Ich durfte nicht sagen, welchem Volke ich angehöre, sondern er wollte so scharfsinnig sein, es zu erraten. Da ihm dies nicht gelungen war, gab er vor Ärger seinem Pferde mit der Faust einen Schlag über das Auge, daß es vor Schmerz laut aufwieherte.

»Was bist Du denn?« frug er endlich.

»Ein Tschermaka,« antwortete ich mit Stolz.

»Ein Tschermaka?« wiederholte er. »Die Tschermaki kenne ich. Ihr Stamm wohnt an den Ufern des Sees von Urmiah und hat elende Hütten von Schilf.«

Diese Worte waren in einem sehr verächtlichen Tone gesprochen.

»Du irrst,« entgegnete ich. »Die Tschermaki wohnen nicht am Ufer des Urmiahsees und wohnen auch nicht in elenden Schilfhütten.«

»Schweig! Ich kenne die Tschermaki, und wenn Du nicht weißt, wo sie wohnen, so gehörst Du nicht zu ihnen. Wer ist der Kurde dort?« – Und er deutete auf den Engländer.

»Es ist kein Kurde; er trägt nur kurdische Kleidung.«

»Wenn er nur kurdische Kleidung trägt, so ist er ja kein Kurde!«

»Das habe ich bereits gesagt.«

»Und wenn er kein Kurde ist, so darf er auch keine kurdische Kleidung tragen. Das verbieten wir ihm. Was ist er?«

»Ein Inglo,« antwortete ich kurz.

»Ein Inglo? Ich kenne die Ingli. Sie wohnen jenseits des Berges Ararat, sind Karawanenräuber und fressen Gumgumuku gaurana

»Du irrst wieder! Die Ingli wohnen nicht am Berge Ararat; sie sind keine Räuber und fressen auch keine Eidechsen.«

»Schweig! Ich war im Lande der Ingli und habe selbst auch mit ihnen Gumgumuku gaurana und sogar Gumgumuku felana gefressen. Wenn er keine frißt, so ist er kein Inglo. Wer sind die drei andern Reiter?«

»Der Eine ist mein Diener, und die Andern sind Araber.«

»Von welchem Stamme?«

»Sie gehören zum großen Stamme der Schammar.«

Ich sagte die Wahrheit, weil ich mich auf die Feindschaft zwischen den Türken und den Schammar verließ. Ein Feind der Türken mußte ein Freund der Kurden sein. Zwar wußte ich, daß die südlichen Stämme der Schammar mit den südlichen Stämmen der Kurden auch in Feindschaft leben, doch nur in Folge der räuberischen Streifereien der Kurden, welche ja selbst auch wieder mit andern Kurdenstämmen in dem Zustande der Blutrache und des ewigen Streites leben. Hier befanden wir uns in der Mitte Kurdistan's, wo es sicher noch keinen feindlichen Araber gegeben hatte, und daher gab ich meine Antwort in der festen Überzeugung, daß sie uns keinen Schaden bringen werde.

»Ich kenne die Schammar,« hob der Kurde an. »Sie wohnen an der Mündung des Phrath, trinken das Wasser des Meeres und haben böse Augen. Sie heirathen ihre eigenen Mütter und machen Rollen aus dem Fleisch der Schweine.«

»Du irrst abermals. Die Schammar wohnen nicht am Meere und essen niemals Schweinefleisch.«

»Schweig! Ich selbst bin bei ihnen gewesen und habe das Alles gesehen. Wenn diese Männer ihre Mütter nicht geheirathet haben, so sind sie keine Schammar. Auch leben die Schammar in Blutfehde mit den Kurden von Sar Hasan und Zibar, und darum sind sie unsere Feinde. Was wollt Ihr hier?«

»Wir wollen fragen, ob Ihr eine Hütte habt, in welcher wir heut Nacht ruhen können.«

»Wir haben keine Hütten. Wir sind Berwari-Kurden und haben Häuser. Ihr sollt ein Haus haben, wenn Ihr uns beweist, daß Ihr nicht unsere Feinde seid.«

»Womit sollen wir dies beweisen?«

»Dadurch, daß Ihr uns Eure Pferde und Eure Waffen übergebt.«

O Du alter Lügner und Eidechsenfresser! Du hältst die Leute, welche Würste machen, für recht dicke Dummköpfe! Das dachte ich, aber laut sagte ich: »Ein Mann trennt sich nie von seinem Pferde und von seinen Waffen.«

»So dürft Ihr nicht bei uns bleiben,« sagte er barsch.

»So ziehen wir weiter,« erwiderte ich kurzweg und ritt zu meinen Gefährten zurück; auch die Kurden schlossen nun einen Kreis um ihren Führer.

»Was sagte er?« frug mich der Engländer.

»Er will unsere Waffen und Pferde haben, wenn wir hier bleiben wollen.«

»Mag sie sich holen,« knurrte er.

»Um Gottes willen, Sir, heute keinen Schuß! Die Kurden halten die Blutrache noch heiliger als die Araber. Wenn sie uns feindselig behandeln und wir verwunden oder töten Einen von ihnen, so sind wir verloren; denn sie sind mehr als fünfmal so stark als wir.«

»Was aber tun?« fragte er.

»Zunächst unsern Weg fortsetzen und, wenn sie uns daran hindern sollten, verhandeln.«

Ich sagte das alles auch den Übrigen, und sie gaben mir Recht, obgleich kein Feigling unter ihnen war. Diese Kurden gehörten sicher nicht alle zum Dorfe, das keine solche Anzahl erwachsener Krieger haben konnte; sie waren jedenfalls aus irgend einem Grunde hier zusammengekommen, und es schien, daß sie sich in einer sehr kriegerischen Stimmung befänden. Sie lösten jetzt den Kreis auf und bildeten nun einen scheinbar ungeordneten Haufen, der sich nicht von der Stelle bewegte und unsern Entschluß abzuwarten schien.

»Sie wollen uns den Weg versperren,« meinte Mohammed, der Häuptling der Haddedihn.

»Es scheint so,« stimmte ich ihm bei. »Also gebraucht die Waffen nicht, so lange wir uns nicht in wirklicher Lebensgefahr befinden!«

»Wir wollen einen weiten Kreis um das Dorf herum reiten,« schlug mein kleiner arabischer Diener Halef vor.

»Das müssen wir auch. Kommt!«

Wir schwenkten in einem Bogen ab, aber sogleich setzten sich die Kurden auch in Bewegung, und der Anführer kam wieder auf mich zugeritten.

»Wo willst Du hin?« frug er.

»Nach Gumri,« antwortete ich mit Nachdruck.

Meine Antwort mochte dem Kurden-Anführer nicht nach Wunsch sein, und er entgegnete:

»Es ist zu weit, und die Nacht bricht ein. Ihr werdet Gumri nicht erreichen.«

»Wir werden andere Dörfer finden oder im Freien schlafen.«

»Da werden Euch die wilden Thiere anfallen, und Ihr habt schlechte Waffen.«

Das war jedenfalls nur auf den Busch geklopft. Vielleicht war es gut für uns, wenn ich ihn vom Gegentheile überzeugte, trotzdem dies auch das Gelüste, unsere Waffen zu besitzen, in gefährlicher Weise erregen konnte. Darum sagte ich: »Wir haben sehr gute Waffen!«

»Das glaube ich nicht!« lautete seine Antwort.

»Oh, wir haben Waffen, von denen eine einzige genügt, um Euch alle zu töten!«

Er lachte und sagte dann: »Du hast ein sehr großes Maul. Zeige mir einmal eine solche Waffe!«

Ich nahm meinen Revolver heraus und frug den Kurden: »Siehst Du dieses kleine Ding?« – Dann rief ich meinen Diener herbei und befahl ihm: »Brich einen Ast von jenem Strauche, mache die Blätter weg bis auf sechs und halte ihn empor. Ich will darnach schießen!«

Er that es, und da nun die andern Kurden merkten, um was es sich handelte, so kamen sie näher heran. Ich nahm mein Pferd auf die weiteste Distanz zurück und zielte. Die sechs Schüsse wurden schnell hinter einander abgegeben, und dann reichte Halef dem Kurden den Zweig hin.

»Katera Chodeh,« rief er; »sie sind alle sechs getroffen, die Blätter!«

»Das ist nicht schwer,« prahlte ich; »das kann bei den Tschermaki ein jedes Kind. Aber das Wunder besteht darin, daß man mit diesem kleinen Ding so schnell und immerfort schießen kann, ohne zu laden.«

Er gab den Zweig seinen Leuten, und während sie ihn betrachteten, nahm ich sechs Patronen heraus und lud wieder den Revolver hinter dem Halse des Pferdes, ohne daß er es bemerkte.

»Was hast Du noch für Waffen?« frug er nun.

»Siehst Du jenen Tu? Paß auf!«

Ich stieg ab und legte den Henry-Stutzen an. Einer, zwei, drei, fünf, acht, elf Schüsse krachten. Die Kurden erhoben bei einem jeden neuen Schusse einen Ausruf des höchsten Erstaunens und nun setzte ich das Gewehr wieder ab.

»Geht hin und seht Euch den Baum an!«

Alle eilten hin, und die Meisten sprangen, um gut sehen zu können, vom Pferde. Ich erhielt somit Zeit zu neuem Laden. Dasselbe Experiment mit demselben Stutzen hatte mich einst bei den Comanchen in Respekt gesetzt, und auch jetzt erwartete ich eine ähnliche Wirkung mit Zuversicht. Da kam der Anführer wieder auf mich zu und rief:

»Chodih, alle elf Kugeln stecken im Baume, eine unter der andern!«

Daß er mich jetzt mit ›Herr‹ anredete, schien ein gutes Zeichen zu sein.

»Du kennst nun einige von unsern Waffen,« sagte ich, »und wirst mir glauben, daß wir uns vor Euren wilden Thieren nicht fürchten.«

»Zeige uns die andern Waffen auch!«

»Dazu habe ich keine Zeit. Die Sonne ist hinab, und wir müssen weiter.«

»Warte noch ein wenig!«

Er ritt wieder zu seinen Leuten und verhandelte mit ihnen. Dann kehrte er zurück und erklärte: »Ihr dürft bei uns bleiben!«

»Wir geben weder unsere Waffen noch unsere Pferde ab,« erwiderte ich.

»Das sollt Ihr auch nicht. Ihr seid fünf Männer, und fünf von den Unserigen haben sich erboten, je Einen von Euch bei sich aufzunehmen. Du wirst bei mir wohnen.«

Hm, ich mußte vorsichtig sein. Warum gaben sie auf einmal nach? Warum ließen sie uns nicht weiter reiten?

»Wir werden dennoch weiter reiten,« erklärte ich ihm, »weil wir uns theilen sollen. Wir sind Gefährten und werden nur da bleiben, wo wir beisammen wohnen können.«

»So warte noch ein wenig!«

Wieder verhandelte er. Es dauerte etwas länger als vorher, und es schien mir, als ob sie uns mit Absicht hinhalten wollten, bis es zu dunkel zum Weiterreiten geworden sei. Endlich kam er wieder mit der Erklärung: »Chodih, Du sollst Deinen Willen haben. Wir überlassen Euch ein Haus, in welchem Ihr gemeinsam schlafen könnt.«

»Haben auch unsere Pferde Platz?«

»Ja; es ist ein Hof an dem Hause, wo sie stehen können.«

»Werden wir es allein bewohnen?«

»Es soll Niemand darin bleiben dürfen. Siehe, da reitet schon Einer fort, um diesen Befehl zu überbringen. Wollt Ihr die Speisen geschenkt erhalten, oder werdet Ihr sie bezahlen?«

»Wir wünschen, Eure Gäste zu sein. Versprichst Du mir das?«

»Ich verspreche es.«

»Du bist wohl der Nezanum dieses Dorfes?«

»Ja, ich bin es.«

»So reiche mir Deine beiden Hände und sage, daß ich Dein Hemscher bin!«

Er that es, aber doch mit einigem Widerstreben. Jetzt fühlte ich mich sicher und winkte den Gefährten, heranzukommen. Wir wurden von den Kurden in die Mitte genommen und dann gallopirten wir in das Dorf hinein, wo vor einem verhältnißmäßig ansehnlichen Hause Halt gemacht ward.

»Das ist Euer Haus für diese Nacht,« erklärte der Nezanum. »Tretet ein!«

Ich besah mir das Gebäude, ehe ich abstieg, von außen. Es hatte nur das Erdgeschoß und auf dem platten Dache eine Art von kleinem Schuppen, in welchem Heu aufbewahrt zu werden schien. Der an das Gebäude stoßende Hofraum wurde von einer breiten Mauer umgeben, welche ungefähr drei Ellen hoch war und von einem schmalen Buschwerk überragt ward, das sich an der hinteren Seite der Mauer hinzog. In diesen Hof konnte man nur durch das Haus gelangen.

»Wir sind zufrieden mit dieser Wohnung. Woher nehmen wir das Futter für unsere Pferde?« fragte ich nun.

»Ich werde es Euch senden,« lautete die Antwort.

»Da oben liegt aber ja Futter,« sagte ich und wies auf den Schuppen.

Er sah sichtlich verlegen empor und antwortete dann:

»Das ist nicht gut; es würde Euren Thieren schaden.«

»Und wer besorgt uns die Speisen?«

»Ich selbst werde sie bringen nebst Licht. Wenn Ihr etwas wünscht, so sagt es mir. Ich wohne in jenem Hause.«

Er zeigte auf ein Gebäude, welches ziemlich in der Nähe stand. Wir stiegen ab und führten unsere Pferde in den Hof. Dann besahen wir uns das Innere des Hauses. Es bestand nur aus einem einzigen Gemache, welches aber durch ein dünnes Flechtwerk von Weide in zwei ungleiche Hälften getheilt war. Jede derselben hatte zwei Löcher, die als Fenster dienten und mit einer Matte verhängt werden konnten. Diese Löcher waren ziemlich hoch, aber so schmal, daß man kaum den Kopf hindurchstecken konnte. Die Diele bestand aus gestampftem Lehm und war an der hintern Seite eines jeden Gemaches mit einem Binsenteppich belegt. Eine weitere Ausstattung gab es nicht.

Die Thüren konnten beide mit einem starken Balken fest verschlossen werden; hier wenigstens also war uns Sicherheit geboten. Im Hofe lag einiges alte Holzwerk nebst etlichen Geräthschaften, deren Zweck ich nicht errathen konnte. –

Wir befanden uns allein, denn auch der Nezanum war draußen geblieben, und nun hielten wir großen Rath.

»Glaubst Du, daß wir sicher sind?« frug mich der Scheik.

»Ich bin im Zweifel darüber. Der Nezanum hat mir Alles versprochen und wird es auch halten. Wir sind seine Gäste und die Gäste des ganzen Dorfes. Aber es waren Viele da, die nicht zu dem Dorfe gehörten.«

»Diese können uns nichts thun,« erwiderte er. »Wenn sie einen von uns tödteten, wären sie der Blutrache des ganzen Dorfes verfallen, dessen Gäste wir sind.«

»Und wenn sie uns nicht tödten, sondern nur bestehlen wollen?«

»Was können sie uns nehmen?«

»Die Pferde, vielleicht die Waffen, vielleicht noch mehr.«

Der ernste Scheik Mohammed Emin streichelte jetzt lächelnd seinen Bart und sagte: »Wir würden uns wehren.«

»Und dabei der Blutrache verfallen,« ergänzte ich.

»Warten wir es ab!« meinte er.

Da trat auch der Engländer ein, welcher draußen im Hofe umhergestöbert hatte. Seine Nase lag auf der rechten und sein Mund auf der linken Seite des Gesichtes, ein ganz sicheres Zeichen, daß ihm etwas Merkwürdiges passirt sei.

»Hm!« räusperte er sich. »Habe etwas gesehen! – Interessant! – Yes!«

»Wo? So erzählt doch nur!«

»Pst! Nicht in die Höhe sehen! War im Hofe. Schmutziger Platz das! Sah die Büsche an der Mauer und stieg hinauf. Schöner Überfall von draußen herein! Würde prächtig gehen. Blicke auch hinauf zum Dache und sehe ein Bein. Well! Eines Mannes Bein. Es guckte einen Augenblick lang aus der Hütte heraus, wo Futter ist.«

»Habt Ihr auch recht gesehen, Sir?«

»Sehr recht! Yes!«

Jetzt erst fiel es mir ein, daß ich weder eine Treppe noch eine Leiter gesehen hatte, um auf das Dach zu gelangen. Wir traten also hinaus in den Hof, um zu suchen. Es fand sich nichts. Auch im Innern des Gebäudes war nicht zu entdecken, ob man von hier aus auf das Dach gelangen könne, und dennoch wurde es Zeit, nachzusehen; denn die Nacht war schon ganz nahe.

Droben über der hinteren Thüre ragte ein Dachbalken etwas aus der Mauer hervor, zwar nicht viel, aber es genügte. Ich nahm den Lasso, knüpfte ihn vierfach zusammen, bildete auf diese Weise eine einzige große Schlinge und warf sie empor. Sie hing am Balken so, daß ich sie unten fassen konnte. Nun zog ich mich an der Schlinge empor, trat in sie hinein und gelangte auf diese Weise auf das Dach. Nun ging ich auf das Behältniß zu, welches bis zum Eingange desselben mit Futter angefüllt war. Ich langte hinein, fühlte aber nichts Verdächtiges; als ich jedoch soweit hineinkroch, daß meine Arme bis ganz hinter langen konnten, faßte ich den Kopf eines Menschen, der sich in die fernste Ecke verkrochen hatte.

»Wer bist Du?« frug ich.

»U – – ah!« erklang es gähnend.

Der Mann wollte mich glauben machen, daß er geschlafen habe.

»Komm heraus!« befahl ich ihm.

»U – – ah!« machte er noch einmal; dann schob er meine Hand von sich ab und kam langsam hervorgekrochen. Es war noch so licht, um deutlich zu sehen, daß dieser Mann nicht einen Augenblick geschlafen habe. Er gaffte mich an und that, als ob er erstaune.

»Ein Fremder! Wer bist Du?« frug er mich.

»Sage nur zuerst, wer Du bist!«

»Dieses Haus ist mein!« antwortete er.

»So! Das ist mir lieb, denn dann kannst Du mir sagen, wie Du heraufgekommen bist.«

»Auf der Leiter.«

»Wo ist sie?«

»Im Hofe.«

»Da ist sie nicht.«

Ich sah mich auf dem Dache erst jetzt näher um und gewahrte sie längs des Dachrandes liegen.

»Mensch, Du bist sehr verschlafen, denn Du hast ganz vergessen, daß Du die Leiter hinter Dir heraufgezogen hast! Hier liegt sie!«

Er blickte sich verdutzt um und sagte dann: »Hier? Ja. Ich habe geschlafen!«

»Nun wache aber. Komm hinab!« – Mit diesen Worten schob ich die Leiter hinunter, und der Mann stieg mir voran und verließ hierauf das Haus, ohne ein Wort zu sagen. Erst that er, als sei er sehr überrascht von der Gegenwart eines fremden Menschen, und nun lief er gemächlich zum Nezanum hinüber, ohne mich weiter über mein Recht, hier in seinem Hause zu sein, im Mindesten zu inquiriren.

»Wer war es?« frug der Engländer.

»Der Besitzer dieses Hauses.«

»Was will er da oben?«

»Er that, als habe er geschlafen.«

»Nicht geschlafen! Kenne den Kerl! War derselbe, welcher fortritt. Ihr konntet das nicht bemerken, weil Ihr mit dem Schießen zu thun hattet. Yes!«

»So ist es sicher, daß man eine feindselige Absicht hegt!«

»Denke es auch. Aber welche?«

»Unser Leben wollen sie nicht, aber unser Eigenthum.«

»Kerl wird hinaufgestiegen sein, um zu sehen, wann wir schlafen. Dann gibt er Zeichen, Andere kommen, holen Pferde und Alles.«

Derselben Ansicht waren auch die anderen Gefährten. Es war jetzt vollständig dunkel in den beiden Stuben, so daß man nicht erkennen konnte, ob man von dem Dache aus auch in das Innere des Hauses gelangen könne; doch schien mir dies wahrscheinlich zu sein. Schon stand ich im Begriff, aus Mangel an irgend einer Beleuchtung ein Stück Holz anzubrennen, als draußen an den Eingang geklopft wurde. Ich ging hinaus und öffnete. Der Nezanum war es mit noch zwei Männern, welche Essen, Wasser und zwei Kerzen brachten. Die Kerzen waren sehr roh aus ungereinigtem Wachs bereitet und konnten nur wenig Helligkeit verbreiten. Ich zündete eine derselben an.

Noch hatte keiner der drei Männer ein anderes Wort gesprochen als die Namen der Gegenstände, welche sie auf den Lehmboden legten. Nun aber frug ich den Dorfvorsteher:

»Ich fand einen Mann auf dem Dache. War es wirklich der Besitzer dieses Hauses?«

»Ja,« antwortete er einsilbig.

»Was wollte er oben?«

»Er schlief.«

»Warum zog er die Leiter empor?«

»Er wollte nicht gestört sein.«

»Du sagtest doch, daß wir allein hier wohnen sollen.«

»Er lag da bereits oben! Das wußte ich nicht, und er wußte auch nicht, daß Gäste da sind.«

»Er hat es gewußt.«

»Woher?« frug er barsch.

»Er war mit draußen vor dem Dorfe, als wir uns trafen.«

»Schweig! Er war daheim.«

Dieser Mann verfiel wieder in seinen befehlshaberischen Ton. Ich aber ließ mich nicht einschüchtern und begann von neuem zu fragen:

»Wo sind die Männer, welche nicht in Dein Dorf gehören?«

»Sie sind nicht mehr da.«

»Sage ihnen, daß sie ja nicht wiederkommen sollen!«

»Warum?«

»Das magst Du errathen.«

»Schweig! Ich rathe nicht.«

Nun ging er wieder fort, und die beiden Anderen folgten ihm.

Das Abendessen war ein sehr frugales: getrocknete Maulbeeren, Brot, in Asche gerösteter Kürbis und Wasser. Glücklicherweise aber hatten wir einigen Vorrath bei uns und brauchten also nicht zu hungern. Während Halef das Essen ordnete, ließ ich den jungen Haddedihn mit der angezündeten zweiten Kerze hinaus auf den Flur gehen. Die Thüre führte nämlich gleich neben der Ecke des Hauses in dasselbe, und der Flur wurde also von der Grundmauer und der Zimmerwand gebildet. Als Amad mit dem Lichte draußen stand, stieg ich auf das Dach und untersuchte den Fußboden desselben sehr genau. Endlich bemerkte ich über dem Flur, welchen das Licht Amad's erhellte, eine sehr dünne Spalte, die ein regelmäßiges Viereck bildete. Ich fuhr mit dem Messer hinein und – hob einen viereckigen Deckel empor. Das Geheimniß war entdeckt.

Nach weiterem Suchen fand ich über den beiden Wohnräumen einige schadhafte Stellen, welche es ermöglichten, hinabzusehen und nicht nur alles zu überblicken, sondern auch das Gespräch der darunter Befindlichen zu belauschen.

Jetzt stieg ich wieder hinab, machte kurzen Prozeß, faßte meinen Rappen beim Zügel und führte ihn in die Stube.

»Halloh!« rief der Engländer. »Was ist los?«

»Holt Euer Pferd auch herein, denn auf diese war es wohl abgesehen. Da draußen über dem Flur ist ein Loch, durch welches man hinabsteigen und die Thüre öffnen kann. Die Kurden hätten gewartet, bis wir schliefen, und wären dann mit unseren Pferden davon gegangen.«

»Ist richtig, sehr richtig! Werden das thun! Yes!«

Auch die Andern waren einverstanden. Die Fenster wurden verhangen, die Pferde in das hintere Gemach gebracht; dann zog ich die Leiter in den Flur und stieg hier mit dem Hunde auf das Dach hinauf. Nun konnten die Kurden immerhin über die Mauer in den Hof steigen; sie fanden ihn leer und mußten wieder abziehen. Vielleicht irrte ich mich auch, und sie hegten gar keine diebischen Absichten; dann war es um so besser.

Jetzt nun konnten wir endlich auch über unsere weiteren Pläne sprechen. In Amadijah war dies nicht geschehen, weil uns da jeder Augenblick etwas Neues bringen konnte, und unterwegs waren wir nur bedacht gewesen, schnell vorwärts zu kommen. Es handelte sich natürlich um den Weg, welcher uns zurück nach dem Tigris führen sollte.

»Der kürzeste Pfad geht durch das Gebiet der Dschesidi,« meinte Mohammed Emin.

»Den dürfen wir nicht nehmen,« antwortete Amad. »Man hat mich da gesehen und würde mich erkennen.«

»Er ist auch in anderer Beziehung nicht sicher,« fügte ich hinzu, »besonders da wir nicht wissen, wie der Gouverneur von Mossul seinen Bericht abgefaßt hat. Direkt nach Westen können wir nicht.«

»So bleiben uns zwei Wege,« erklärte Mohammed. »Der eine geht durch Tijari nach dem Buthan und der andere führt uns auf den Zab hinunter.«

»Beide sind gefährlich, weniger für den entflohenen Gefangenen als vielmehr im Allgemeinen. Aber ich ziehe den Weg nach Süden vor, wenn er uns auch in das Gebiet der Abu Salman bringt.«

Dieser Ansicht stimmten die Anderen bei, und dem Engländer war Alles recht. Es wurde daher beschlossen, über Gumri nach Lizan zu reiten, von da aus dem Flusse zu folgen, bis er seine große Wendung in das Land der Schirwan- und Zibar-Kurden macht, und diesen Bogen durch einen Ritt quer über die Berge von Tura Ghara und Haïr abzuschneiden. Dann mußten wir an die Ufer des Akra gelangen, der uns wieder an den Zab brachte.

Nachdem wir hierüber einig geworden waren, legten wir uns zur Ruhe. Ich schlief sehr fest und erwachte durch einen Stoß, den ich von dem neben mir liegenden Engländer erhielt.

»Master!« flüsterte er. »Schritte draußen! Schleicht Jemand!«

Ich horchte gespannt, aber die Pferde waren nicht sehr ruhig, und so konnte man sich nicht auf das Gehör verlassen.

»Es wird nichts zu bedeuten haben,« meinte ich. »Wir sind doch nicht in einer offenen Wildniß, wo jedes Geräusch, von einem Menschen verursacht, das Nahen einer Gefahr verkündet. Man wird im Dorfe wohl noch nicht schlafen gegangen sein.«

»Mögen es thun! Sich auf die Nase legen! Well! Gute Nacht, Master!«

Er drehte sich auf die andere Seite. Nach einiger Zeit aber horchte er wieder auf. Auch ich hatte jetzt deutlich ein Geräusch vom Hofe her vernommen.

»Sind im Hofe,« raunte Lindsay mir zu.

»Es scheint so. Merkt Ihr, was für einen guten Hund ich habe? Er hat verstanden, daß er nur auf das Dach aufzupassen hat, und darum gibt er jetzt noch keinen Laut von sich.«

»Edle Rasse! Will die Kerls nicht verscheuchen, sondern fangen!«

Jetzt aber dauerte es lange, bis wir wieder einzuschlafen vermochten, vielleicht über eine halbe Stunde, da vernahm ich an der Vorderseite des Hauses leise Schritte. Ich stieß Lindsay.

»Höre es schon!« meinte er. »Was aber haben sie vor?«

»Sie werden glauben, daß wir die Pferde in den Flur gezogen haben, und legen nun von außen eine Leiter an, um auf das Dach und durch dasselbe herunter zu den Thieren zu gelangen. Wenn ihnen dies glückte, so brauchten sie nur die vordere Thüre zu öffnen, um mit unseren Pferden davonzugehen.«

»Soll ihnen nicht gelingen!«

Kaum hatte er dies gesagt, so erscholl fast grad über uns der laute Schrei einer menschlichen Stimme und das kurze, kräftige Anschlagen des Hundes.

»Hat ihn!« jubelte Lindsay.

»Pst, leise!« mahnte ich.

Auch die Andern waren aufgewacht und lauschten.

»Werde nachsehen,« meinte der Engländer.

Er erhob sich und schlich hinaus. Es dauerte wohl fünf Minuten, bis er zurückkam.

»Sehr schön! Yes! Ausgezeichnet! War oben. Da liegt ein Kerl und über ihm der Hund. Wagt nicht, zu reden oder sich zu rühren. Und unten auf der Gasse viel Kurden. Sprechen auch nicht.«

»So lange der Hund nicht lauter wird, sind wir in Sicherheit. Aber wenn sie mehrere Leitern anlegen, so müssen wir hinauf.«

Wir lauschten wieder eine lange Zeit. Da erscholl ein fürchterlicher Schrei – es war ein Todesschrei, daran war gar nicht zu zweifeln – und sofort ein zweiter und gleich darauf wieder das laute, Sieg verkündende Bellen des Hundes.

Jetzt konnte es gefährlich werden. Wir erhoben uns. Ich rief Halef zu mir; denn seiner war ich am sichersten. Wir traten leise hinaus auf den Flur und stiegen die Leiter empor auf das Dach. Ein menschlicher Körper lag auf demselben. Ich untersuchte ihn; er war todt; der Hund hatte ihm das Genick zermalmt. Wo dieser sich jetzt befand, verrieth mir ein leiser, leiser Ton, mit dem er mich bewillkommnete. Vielleicht fünf Schritte von dem Todten lag ein zweiter Körper, und auf demselben hatte sich der Hund ausgestreckt. Eine einzige Bewegung brachte dem unter ihm liegenden Menschen den sicheren Tod.

Wenn ich die Augen recht anstrengte, sah ich unten allerdings viele Leute stehen. Es war kein Zweifel, daß sich das ganze Dorf betheiligt hatte, den Pferdediebstahl oder gar noch etwas Anderes auszuführen. Der Erste, welcher das Dach erstiegen hatte, war von dem Hunde niedergerissen worden, und sein Schrei hatte die Andern zur Vorsicht gemahnt. Als aber der Zweite heraufgekommen war, hatte sich der Hund nicht anders zu helfen gewußt, als daß er den Vorigen erbiß, um den Jetzigen packen zu können.

Was sollten wir thun!

Ich stieg hinab und ließ Halef als Wächter oben. Eine kurze Berathung ergab, daß wir uns vollständig schweigsam verhalten wollten, um am Morgen thun zu können, als ob wir gar nichts gehört hätten. Gefährlich war unsere Lage im höchsten Grade, obgleich wir uns selbst gegen einen noch zahlreicheren Feind recht gut hätten vertheidigen können; aber wir hätten das ganze vor uns liegende Land in ein uns feindliches verwandelt, während es uns doch auch nicht möglich war, wieder umzukehren.

Da klopfte es sehr laut an den Eingang des Hauses. Die Kurden hatten Berathung gehalten, und wir sollten nun das Ergebniß derselben erfahren. Wir zündeten eine der Kerzen wieder an und traten mit unseren Waffen hinaus auf den Flur.

»Wer klopft?« erkundigte ich mich.

»Chodih, öffne!« antwortete der Nezanum. Ich erkannte ihn an der Stimme.

»Was willst Du?« frug ich.

»Ich muß Dir etwas Wichtiges sagen.«

»Du kannst es so auch sagen.«

»Ich muß drin bei Euch sein!«

»So komm herein!«

Ich frug ihn gar nicht erst, ob er allein sei; denn es sollte keinem Zweiten gelingen, einzutreten. Die Gefährten legten ihre Gewehre an; ich zog den Balken weg und stellte mich so hinter die Thüre, daß sie nur halb geöffnet werden und also auch nur einem einzelnen Manne den Eintritt lassen konnte. Als er die auf sich gerichteten Waffen sah, blieb er in der Thüröffnung stehen.

»Chodih! Ihr wollt auf mich schießen?«

»Nein. Wir halten uns nur für Alles bereit. Es könnte doch auch ein anderer, ein Feind sein!«

Er kam vollends herein, und ich schob den Balken wieder vor.

»Was willst Du, daß Du uns in unserer Ruhe störst?« begann ich nun.

»Ich will Euch warnen,« antwortete er.

»Warnen! Wovor?«

»Vor einer sehr großen Gefahr. Ihr seid meine Gäste, und daher ist es meine Pflicht, Euch aufmerksam zu machen.«

Sein Blick forschte ringsum und fiel auf die Leiter und auf das geöffnete Loch im Dache.

»Wo habt Ihr Eure Pferde?« frug er.

»Drin in der Stube.«

»In der Stube? Chodih, diese ist doch nur für Menschen gemacht!«

»Ein gutes Pferd ist dem Reisenden mehr werth als ein schlechter Mensch!«

»Der Besitzer dieses Hauses wird zornig sein, denn die Hufe der Thiere werden ihm seine Diele zerstampfen.«

»Wir werden ihn entschädigen.«

»Warum habt Ihr die Leiter hereingenommen?«

»Sie gehört herein, da keine Treppe vorhanden ist.«

»Habt Ihr geschlafen?«

Ich bejahte, und er fragte weiter:

»Habt Ihr Geräusch gehört?«

»Wir hörten draußen vor dem Hause Leute gehen, aber das können wir ihnen nicht verbieten. Doch wir hörten auch Leute in den Hof steigen, und das war uns nicht lieb. Der Hof ist unser. Wären unsere Pferde noch draußen gewesen, so hätten wir auf die Eindringlinge geschossen, da wir sie für Diebe hätten halten müssen.«

»Pferde können nicht über die Mauer fortgeschafft werden, und Du hast ja wohl auch den Hund im Hofe, den ich heute bei Dir gesehen habe.«

Das war eine Wendung, auf die ich nicht einging.

»Das wissen auch wir, daß man die Pferde nicht über die Mauer bringt; aber man konnte sie hier durch den Flur führen.«

»Man kann ja nicht herein!«

»Laß Deine Gedanken etwas weiter reichen, Nezanum! Wenn man auf das Dach und von da hier herunter steigt, so kann man die Hof- und auch die Vorderthüre öffnen und alle Pferde entführen, zumal wenn man die Stubenthüre hier mit dem Riegel verschließt. Wir hätten dann drin gesteckt, ohne uns wehren zu können.«

»Wer sollte auf das Dach steigen!«

»O, es hatte sich ja bereits ein Mann da oben versteckt und die Leiter mit empor gezogen. Das erweckte natürlich unsern Verdacht, und so haben wir die Pferde zu uns hereingenommen. Und wenn auch nun Hundert auf das Dach steigen wollten, sie würden wohl hinauf, aber nicht in das Innere des Hauses kommen, und am Morgen würden ihre Leichen auf dem Dache liegen.«

»Würdet Ihr sie tödten?«

»Nein, wir würden ruhig schlafen; denn wir wissen, daß wir uns auf meinen Hund, der oben ist, verlassen können.«

»Aber ein Hund gehört doch nicht auf das Dach!«

»Ein Hund gehört überall dahin, wo es gilt, wachsam zu sein, und ich will Dir sagen, daß die Hunde der Tschermaki des Nachts sehr gern auf den Dächern spazieren gehen. Aber Du wolltest uns ja warnen! Wovor? Du hast uns die Gefahr noch nicht genannt.«

»Es wurde vorhin einem Bewohner des Dorfes seine Leiter gestohlen, und als er sie suchte, fand er sie an Eurem Hause lehnen. Es standen einige fremde Leute dabei, die aber schnell entflohen. Da dachten wir, daß es Diebe seien, die in Euer Haus eindringen wollten, und daher bin ich gekommen, um es Euch zu sagen.«

»Ich danke Dir! Aber Du kannst ruhig sein und wieder gehen, und auch wir werden uns wieder niederlegen; denn der Hund wird keinen Dieb in das Haus kommen lassen.«

»Aber wenn er einen Menschen tödtet!«

»Einen einzelnen tödtet er nicht; er hält ihn am Boden fest, bis ich komme. Aber wenn ein Zweiter so unvorsichtig wäre, nachzusteigen, so wird er den Ersten allerdings tödten, um den Zweiten packen zu können.«

»Chodih, so ist bereits ein Unglück geschehen!«

»In wie fern denn?«

»Es ist bereits ein Zweiter emporgestiegen!«

»Weißt Du das gewiß?«

»Ganz gewiß.«

»Oh, Nezanum, so bist Du also dabei gewesen, als diese Diebe uns überfallen wollten! Was muß ich von Dir und von Eurer Gastfreundschaft denken!«

»Ich war nicht dabei, sondern man hat es mir gesagt.«

»So ist Jener dabei gewesen, welcher es Dir sagte!«

»Nein, er hat es auch nur erst vernommen.«

»Das bleibt sich gleich. Wer es zuerst gesagt hat, ist doch bei den Dieben gewesen. Aber was gehen mich diese an! Ich habe keinem Menschen erlaubt, auf mein Dach zu steigen, und wer es dennoch thut, der mag auch zusehen, wie er ohne mich wieder herunter kommt. Gute Nacht, Nezanum!«

»So willst Du nicht nachsehen?«

»Ich habe keine Lust dazu!«

»Laß wenigstens mich hinauf!«

»Ich erlaube es Dir, denn Du bist kein Dieb und kommst erst zu mir, um mich darum zu fragen. Aber hüte Dich vor dem Hunde! Wenn er Dich bemerkt, wird er Dich fassen und vorher den Andern todtbeißen, falls schon Einer oben ist.«

»Ich habe Waffen!« meinte er.

»Er ist schneller als Du, und tödten darfst Du ihn ja nicht; denn Du müßtest ein reicher Mann sein, um ihn mir bezahlen zu können!«

»Chodih, gehe mit hinauf! Ich bin der Nezanum, und meine Pflicht gebietet mir, nachzusehen.«

»Wenn Du Deines Amtes zu walten hast, so werde ich Dir diesen Gefallen erweisen. Komm herauf!«

Ich stieg voran, und er folgte. Droben angekommen, sah er sich um und bemerkte den Todten. Unten standen noch ebenso viele Leute, als ich vorhin gesehen hatte.

»Chodih, hier liegt Einer!« rief er.

Ich trat hinzu. Er bückte sich und befühlte den Mann.

»Sere men, er ist todt! O, Herr, was hat Dein Hund gethan!«

»Seine Pflicht. Klage nicht über ihn, sondern lobe ihn. Dieser Mann hat wohl den Besitzer dieses Hauses überfallen wollen und nicht geahnt, daß heute Leute hier wohnen, die sich von keinem Diebe oder Mörder überfallen lassen.«

»Aber wo ist der Hund?« frug er. Ich wies auf die Stelle, und er rief aus:

»O, Chodih, es liegt Einer unter ihm! Rufe den Hund weg!«

»Ich werde mich wohl hüten; aber sage diesem Manne, daß er sich ja nicht rühren und ja kein Wort sprechen soll, sonst ist er verloren.«

»Du kannst ihn doch nicht während der ganzen Nacht hier liegen lassen!«

»Die Leiche werde ich Dir übergeben; aber dieser Lebende bleibt mein.«

»Warum soll er hier bleiben?«

»Wenn noch Jemand wagt, dieses Haus oder diesen Hof zu betreten, so wird er von dem Hunde zerrissen. Dieser Mann bleibt als Geisel hier.«

»Und ich verlange ihn!« sagte der Nezanum barsch.

»Und ich behalte ihn!« lautete meine Antwort.

»Ich bin Nezanum und gebiete es Dir!«

»Laß das Gebieten bleiben! Willst Du die Leiche mitnehmen oder nicht?«

»Ich nehme Beide, den Todten und den Lebendigen!«

»Ich will nicht grausam sein, sondern Dir versprechen, daß dieser Mann nicht in dieser unbequemen Lage bleiben soll. Ich werde ihn mit herunter in die Stube nehmen. Aber jeder Angriff gegen uns würde seinen Tod zur Folge haben!«

Er legte die Hand auf meinen Arm und sagte ernst:

»Schon dieser Eine hier, welchen der Hund erwürgt hat, fordert Euern Tod. Oder kennen die Tschermaki die Blutrache nicht?«

»Was redest Du von Blutrache? Ein Hund hat einen Dieb erbissen. Das ist kein Fall, welcher die Blutrache herausfordert!«

»Er fordert sie, denn Blut ist geflossen, und Euer Thier hat es vergossen.«

»Und wenn es so wäre, so geht es Dich nichts an. Du hast selbst zu mir gesagt, daß diese Diebe Fremdlinge sind.«

»Es geht mich sehr viel an, denn das Blut ist in meinem Dorfe geflossen, und die Anverwandten des Todten werden die Rechenschaft auch von mir und von allen meinen Leuten fordern. Gib Beide heraus!«

»Nur den Todten!«

»Schweig!« rief er nun laut, während wir bisher ziemlich leise gesprochen hatten. »Ich befehle es Dir abermals. Und wenn Du nicht gehorchest, so werde ich mir Gehorsam zu verschaffen wissen!«

»Wie wirst Du das machen?«

»Die Leiter liegt noch am Hause. Ich laß meine Leute heraufkommen; sie werden Dich wohl zwingen!«

»Du vergissest dabei die Hauptsache: – unten befinden sich vier Männer, die sich vor keinem Menschen fürchten, und hier oben bin ich mit meinem Hunde.«

»Auch ich bin oben!«

»Du würdest sofort unten sein. Paß auf!«

Ehe er es vermuthen konnte, faßte ich ihn unter dem rechten Arm und beim linken Oberschenkel und hob ihn empor.

»Chodih!« brüllte er.

Ich ließ ihn wieder nieder.

»Was hätte mich gehindert, Dich hinab zu werfen? Nun gehe und sage Deinen Männern, was Du gehört hast!«

»Du gibst diesen Mann nicht heraus?«

»Einstweilen noch nicht!«

»So behalte auch den Todten. Du wirst ihn bezahlen müssen!«

Er stieg nicht wieder in das Innere des Hauses, sondern gleich an der Leiter hinab, welche an der Außenseite des Hauses lehnte.

»Und sage Deinen Leuten,« rief ich ihm noch zu, »daß sie fortgehen und diese Leiter mitnehmen sollen. Ich wünsche, dieses Haus frei zu haben, und werde Jedem, der vor demselben stehen bleibt, eine Kugel senden!«

Er hatte die Erde erreicht und sprach leise mit den Männern. Ebenso leise wurde ihm geantwortet. Ich konnte kein Wort verstehen. Aber nach einiger Zeit wurde die Leiter weggenommen, und die Versammlung zerstreute sich.

Erst jetzt rief ich dem Hunde zu. Er ließ von dem Manne ab, trat aber nur einen Schritt von ihm weg.

»Stehe auf!« sagte ich zu dem Kurden.

Dieser erhob sich schwerfällig und holte tief Athem. Er war sehr schmächtig von Gestalt, und seine Stimme hatte einen jugendlichen Klang, als er rief: »Chodeh

Er sprach nur dieses eine Wort aus, aber es klang aus demselben die ganze Fülle der ausgestandenen Todesangst.

»Hast Du Waffen bei Dir?«

»Ich habe nur diesen Dolch.«

Ich trat zur Sicherheit einen Schritt zurück.

»Lege ihn zu Boden und gehe zwei Schritte von der Stelle weg!«

Er that es, und ich hob den Dolch auf und steckte ihn zu mir.

»Jetzt komm herunter!«

Der Hund blieb oben, und wir stiegen hinab, wo die Andern meiner warteten. Ich erzählte ihnen nun, was sich oben zugetragen hatte. Der Engländer betrachtete sich den Gefangenen, welcher höchstens im Anfang der zwanziger Jahre stehen konnte, und sagte dann:

»Master, dieser Kerl sieht sehr ähnlich! Dem Alten! Yes!«

Jetzt fand ich dies auch; vorher hatte ich es nicht bemerkt.

»Wahrhaftig! Sollte es sein Sohn sein?«

»Sicher! Sehr sicher! Fragt ihn einmal, den Schlingel!«

Verhielt es sich so, dann war allerdings die Sorge des Nezanum um diesen Menschen sehr begründet; aber dann lag auch ein ganz außerordentlicher Bruch der Gastfreundschaft vor.

»Wer bist Du?« frug ich den Gefangenen.

»Ein Kurde,« antwortete er.

»Aus welchem Ort?«

»Aus Mia.«

»Du lügst!«

»Herr, ich sage die Wahrheit!«

»Du bist aus diesem Dorfe!«

Er zögerte nur einen Augenblick, aber es war genug, um mir zu verrathen, daß ich Recht hatte.

»Ich bin aus Mia!« wiederholte er.

»Was thust Du hier so weit von Deiner Heimat?«

»Ich bin als Bote des Nezanum von Mia hier.«

»Ich glaube, Du kennst den Nezanum von Mia nicht so gut wie den hiesigen; denn Du bist der Sohn des Letzteren!«

Jetzt erschrack er förmlich, obgleich er sich Mühe gab, dies nicht merken zu lassen.

»Wer hat Dir diese Lüge gesagt?« frug er.

»Ich lasse mich nicht belügen – weder von Dir noch von Anderen. Ich werde bereits in der Frühe wissen, wer Du bist, und dann gibt es keine Gnade, falls Du mich betrogen hast!«

Er blickte verlegen vor sich nieder. Ich mußte ihm zu Hilfe kommen: »Wie Du Dich verhältst, so wirst Du behandelt. Bist Du aufrichtig, so will ich Dir verzeihen, weil Du zu jung warst, um Dir Alles vorher zu überlegen. Verharrst Du aber in Deiner Verstocktheit, so gibt es keine andere Gesellschaft für Dich als meinen Hund!«

»Chodih, Du wirst es doch erfahren,« antwortete er nun. »Ja, ich bin der Sohn des Nezanum.«

»Was suchtet Ihr in diesem Hause?« fuhr ich in dem Verhöre fort.

»Die Pferde!«

»Wie wolltet Ihr sie fortbringen?«

»Wir hätten Euch eingeriegelt und die beiden Thüren geöffnet; dann waren die Pferde unser.«

Dieses Geständniß war gar nicht beschämend für ihn, denn bei den Kurden gilt der Pferdediebstahl ebenso wie der offene räuberische Überfall für eine ritterliche That.

»Wer ist der Todte, welcher oben liegt?«

»Der Besitzer dieses Hauses.«

»Sehr klug! Er mußte vorangehen, weil er die Schliche am besten kannte. Aber warum bist grad Du ihm gefolgt? Es waren doch noch andere und stärkere Männer vorhanden!«

»Der Hengst, welchen Du rittest, Chodih, sollte meinem Vater gehören, und ich mußte dafür sorgen, daß kein Anderer ihn beim Zügel ergriff; denn wer ein Pferd zuerst ergreift, hat das Recht darauf.«

»Also Dein Vater hat selbst den Diebstahl anbefohlen? Dein Vater, welcher mir die Gastfreundschaft zusagte!«

»Er hat sie Dir zugesagt, aber Ihr seid dennoch nicht unsere Gäste.«

»Warum nicht?« frug ich verwundert.

»Ihr wohnt allein in diesem Hause. Wo habt Ihr den Wirth, dessen Gast Ihr seid? Hättet Ihr verlangt, daß der Besitzer dieser Wohnung in derselben bleiben solle, so wäret Ihr unsere Gäste gewesen.«

Hier bekam ich eine Lehre, welche mir später nützlich sein konnte.

»Aber Dein Vater hat mir ja Sicherheit versprochen und gelobt!«

»Er braucht sein Versprechen nicht zu halten, da Ihr nicht unsere Gäste seid.«

»Mein Hund hat den Wirth getödtet. Ist dies bei Euch ein Grund zur Blutrache?«

Er bejahte es, und ich examinirte weiter:

»Wer ist der Rächer?«

»Der Todte hat einen Sohn hier.«

»Ich bin mit Dir zufrieden. Du kannst nach Hause gehen!«

»Chodih,« rief er freudig erstaunt, »Ist dies Dein Ernst?«

»Ja. Ich habe Dir gesagt, daß Du behandelt werden sollst ganz so, wie Du Dich verhältst. Du bist aufrichtig gewesen, und so sollst Du Deine Freiheit haben. Sage Deinem Vater, daß die Tschermaki sehr friedliche Leute sind, die zwar keinem Menschen nach dem Leben trachten, aber sich auch, wenn man sie beleidigt oder gar angreift, gehörig zu vertheidigen wissen. Daß der Wirth gestorben ist, das thut mir leid; aber er selbst trägt die Schuld daran, und ich werde den Rächer seines Blutes nicht fürchten.«

»Du könntest ihm ja den Preis bezahlen. Ich will mit ihm reden.«

»Ich bezahle nichts. Hätte der Mann uns nicht berauben wollen, so wäre ihm nichts Übles geschehen.«

»Aber Herr, man wird Euch tödten, Einen wie den Andern, sobald der Tag anbricht!«

»Obschon ich Dir die Freiheit und das Leben geschenkt habe?«

»Ja, dennoch! Du bist gut gegen mich, und darum will ich Dich warnen. Man will Eure Pferde, Eure Waffen und auch Euer Geld haben, und so wird man Euch nicht erlauben, das Dorf zu verlassen, bis Ihr dies Alles hergegeben habt. Und außerdem wird der Rächer noch Dein Blut verlangen.«

»Man wird weder unser Geld noch unsere Waffen und Pferde erhalten, und mein Leben steht in der Hand Gottes, aber nicht in der Hand eines Kurden. Ihr habt unsere Waffen gesehen, als ich nach einem Baum und einem Zweige schoß; Ihr werdet ihre volle Wirkung kennen lernen – erst dann, wenn wir auf Menschen zielen.«

»Chodih, Eure Waffen werden uns nichts thun; denn wir werden uns in die beiden Häuser legen, welche hier gegenüber stehen, und können Euch durch die Fenster niederschießen, ohne daß Ihr uns zu sehen bekommt.«

»Also eine Belagerung!« bemerkte ich. »Sie wird nicht lange dauern.«

»Das wissen wir. Ihr habt nichts zu essen und zu trinken und müßt doch endlich geben, was wir verlangen,« meinte der junge Kurde.

»Das fragt sich sehr! Sage Deinem Vater, daß wir Freunde des Bey von Gumri sind.«

»Darauf wird er nicht hören. Ein Pferd ist mehr werth als die Freundschaft eines Bey.«

»So sind wir fertig. Du kannst gehen; hier ist Dein Dolch!«

»Chodih, wir werden Euch die Pferde und alles Andere nehmen, aber wir werden Euch als wackere und gute Männer ehren!«

Das war so naiv, wie nur ein Kurde sein kann. Ich ließ ihn zur Thür hinaus, während sich hinter mir laute Stimmen erhoben.

»Master,« rief Lindsay, »Ihr laßt ihn frei?«

»Weil es besser für uns ist.«

»So erzählt doch! Was sagte er? Muß Alles wissen! Yes!«

Ich berichtete mein ganzes Gespräch mit dem Kurden, und die Nachricht, daß der Nezanum es sei, dem wir den Überfall zu verdanken hatten, brachte mir eine Fluth der kräftigsten Ausdrücke zu Gehör.

»Und Du hast diesen Dieb freigelassen, Emir!« sagte Mohammed Emin vorwurfsvoll. »Aber warum?«

»Zunächst aus Teilnahme für ihn, sodann aber auch aus Berechnung. Behalten wir ihn hier, so ist er uns hinderlich, und wir müssen ihn speisen, während wir selbst Mangel haben. Nun aber ist er voll von Dankbarkeit gegen uns und wird eher zur Sühne als zum Streite rathen. Wir wissen nicht, was vorkommen kann, und werden nur dann sicher sein und ohne Erschwerung handeln können, wenn wir unter uns allein sind.«

Diese Ansicht erhielt die Zustimmung Aller. Vom Schlafe war ohnehin keine Rede mehr, und so beschlossen wir, auf unserer Hut zu sein.

Da stieß mich Halef am Arm und sagte:

»Sihdi, da hast Du doch nun Zeit, an das Geschenk zu denken, welches mir der Mann in Amadijah für Dich gegeben hat.«

Ja richtig, an das Etui hatte ich ja gar nicht mehr gedacht.

»Bringe es her!«

Ich öffnete und konnte einen Ruf der Bewunderung nicht unterdrücken. Das Etui war von sehr schöner, sauberer Arbeit, aber was war es im Vergleich zu seinem Inhalt! Ein persisches Kaliuhn zum Tabakrauchen beim Reiten befand sich darin. Es war eine theuere Pfeife, um deren Besitz mich sogar der Engländer beneiden wollte. Schade, daß ich sie nicht gleich anrauchen konnte, da wir nur einige Schlücke Wasser hatten!

»Gab er Dir auch etwas, Halef?« fragte ich den Diener.

»Ja, Sihdi. Fünf goldene Medschidje. Sihdi, es ist doch manchmal gut, daß Allah auch tolle Kirschen wachsen läßt, wie Du jene Beere nennst. Allah illa Allah! Er weiß am besten, was er thut!« – –

Als der Tag zu grauen begann, begaben wir uns auf das Dach, von wo aus wir den größten Theil des Dorfes überblicken konnten. Wir sahen nur in der Ferne einige Männer stehen, welche unser Haus zu beobachten schienen; in der Nähe aber regte sich Niemand. Nach kurzer Zeit that sich jedoch die Thüre eines der gegenüberliegenden Häuser auf, und es traten zwei Männer hervor, welche zu uns herüber kamen. Auf der Mitte des Weges blieben sie stehen.

»Werdet Ihr schießen?« frug der Eine.

»Nein. Ihr habt uns ja noch nichts gethan,« antwortete ich.

»Wir sind ohne Waffen. Dürfen wir den Todten holen?«

»Kommt herauf!«

Halef stieg hinab, um die Thüre zu öffnen, und die beiden Kurden kamen auf das Dach.

»Seid Ihr verwandt mit dem Todten?« redete ich sie an.

»Nein. Wenn wir Verwandte desselben wären, kämen wir nicht herauf zu Dir, Chodih.«

»Warum nicht?«

»Wir könnten ihn besser rächen, wenn Du uns nicht kennst.«

Wieder eine Lehre, welche mir bewies, wie viel ein Mensch zu lernen hat.

»Schafft ihn fort!« sagte ich.

»Wir haben Dir zuvor eine Botschaft von dem Nezanum auszurichten.«

»Was läßt er uns sagen?«

»Er sendet Dir seinen Dank dafür, daß Du ihm den Sohn geschickt hast, der doch in Deinen Händen war.«

»Ist dies Alles?«

»Sodann fordert er von Euch die Pferde, die Waffen und alles Geld, das Ihr bei Euch habt. Dann sollt Ihr in Frieden ziehen dürfen. Eure Kleider hat er nicht verlangt, weil Du barmherzig gegen seinen Sohn gewesen bist.«

»Sagt ihm, daß er nichts bekommen wird.«

»Du wirst es Dir anders überlegen, Chodih! Aber wir haben Dir auch noch eine andere Botschaft zu bringen.«

»Von wem?«

»Von dem Sohne dieses Todten.«

»Was läßt er mir sagen?«

»Du sollst ihm Dein Leben geben.«

»Ich will es ihm geben.«

»Herr, ist dies wahr?« frug der Mann erstaunt.

»Ja. Sage ihm, er soll zu mir kommen und es sich mitnehmen!«

»Herr, Du scherzest in einer ernsten Sache. Wir haben den Auftrag, Dein Leben oder den Blutpreis zu fordern.«

»Wie viel verlangt er?«

»Vier solche Gewehre, wie Du hast, mit denen man immerfort schießen kann, und fünf solche kleine Pistolen, aus der Du sechs Schüsse thatest. Sodann drei Pferde und zwei Maulthiere.«

»Ich habe diese Sachen nicht!«

»So schickst Du nach ihnen und bleibst so lange hier, bis sie kommen.«

»Ich gebe nichts!«

»So wirst Du sterben müssen. Siehst Du den Gewehrlauf dort aus dem Fenster ragen? Das ist sein Gewehr. Von dem Augenblick an, da ich ihm Deine Antwort bringe, wird er auf Dich schießen.«

»Er mag es thun.«

»Und Ihr wollt auch das Andere nicht geben?«

»Nein. Holt Euch selbst unsere Habe!«

»So mag der Kampf beginnen!«

Sie hoben ihren Todten auf und trugen ihn auf der Leiter hinab und zum Hause hinaus. Wir verriegelten hinter uns die Thüre. Natürlich mußte ich den Gefährten die Forderung der beiden Abgesandten verdolmetschen. Die Araber waren sehr ernst; sie kannten die Tücken und Grausamkeiten der Blutrache zu genau; aber der Engländer schnitt ein vergnügtes Gesicht.

»O, herrlich! Belagerung! Bombardement! Bresche schießen! Sturm laufen! Well! Werden es aber nicht thun, Sir!«

»Sie werden es thun, Master Lindsay; sie werden uns bombardiren und auf uns schießen, sobald wir uns sehen lassen, denn – – –«

Als augenblickliche Bestätigung meiner Worte fiel ein Schuß, noch einer, drei, vier – – – und dazu hörten wir Dojan laut auf dem Dache bellen. Ich eilte zur Leiter empor und steckte den Kopf vorsichtig aus der Bodenöffnung heraus. Es bot sich mir ein spaßhafter Anblick. Man schoß aus den beiden Häusern da drüben auf den Hund. Dieser merkte das und bellte die an ihm vorüberfliegenden Kugeln an. Ich rief ihn zu mir her, nahm ihn auf die Arme und trug ihn hinab.

»Seht Ihr's, Master, daß ich Recht habe? Sie schossen bereits auf den Hund.«

»Well! Werde probiren, ob auch auf Menschen!«

Er öffnete die Thüre des Hauses und trat zwei Schritte vor dasselbe hinaus.

»Was fällt Euch ein, Sir! Wollt Ihr gleich hereinkommen?«

»Pshaw! Haben schlechtes Pulver. Hätten sonst den Hund getroffen!«

Drüben krachte ein Schuß, und die Kugel flog in die Mauer. Lindsay sah sich um und deutete mit dem Zeigefinger auf das Loch, welches sie gebohrt hatte, um dem Schützen zu zeigen, daß er auf beinahe vier Ellen weit gefehlt habe. Eine zweite Kugel hätte ihn beinahe getroffen; da trat ich hinaus, faßte ihn und schob ihn hinein. Nun erscholl drüben ein lauter Schrei; ein dritter Schuß krachte, und die Kugel traf ganz in der Nähe meiner Achsel die Kante der Thüre. Das war sicher des Todten Sohn gewesen, welcher mir durch seinen Ruf andeuten wollte, daß die Kugel aus dem Gewehre des Bluträchers komme. Es war also nun wirklich Ernst geworden.

»Sihdi,« meinte Halef, »schießen wir nicht auch?«

»Jetzt noch nicht.«

»Warum jetzt nicht? Wir schießen besser wie sie, und wenn wir auf ihre Fenster zielen, so werden sie sich sehr in Acht zu nehmen haben.«

»Das weiß ich. Aber wir wollen zunächst sehen, ob wir ihnen nicht entrinnen können, ohne Einen von ihnen tödten zu müssen. Es ist genug an dem Erbissenen.«

»Wie wollen wir entrinnen? Sobald wir mit den Pferden vor die Thüre kommen, werden wir Kugeln erhalten.«

»Aber diese Leute wollen ja die Pferde haben und werden diese also nicht treffen wollen. Wenn wir uns hinter die Thiere verstecken, so schießen sie vielleicht nicht.«

»O, Sihdi, ehe sie uns mit den Pferden entkommen lassen, werden sie dieselben lieber tödten!«

Das war allerdings wahr. Ich sann und sann, um ein Mittel zu finden, uns ohne Blutvergießen aus dieser fatalen Lage zu befreien; vergeblich! Da erbarmte sich der Engländer meiner.

»Worüber nachdenken, Sir?«

Ich sagte es ihm.

»Warum sollen wir nicht schießen, wenn sie schießen? Dann sind einige kurdische Diebe weniger! Was weiter? Könnten fortkommen, ganz gut! Ohne einen Schuß! – Hm! Geht aber nicht!«

»Warum nicht?«

»Blamiren uns! Würde aussehen wie Flucht! Wäre scandalös!«

»Das kann uns gleichgültig sein. Ihr wißt, Sir, daß ich mich gewiß nicht zu etwas entschließen werde, was uns in Wirklichkeit blamirt. Also sagt mir Euern Plan.«

»Müssen erst wissen, ob wir auch von hinten belagert werden.«

»Da gibt es keine Gebäude.«

»Aber vom Felde aus!«

»Nun, weiter!«

»Könnten ja ein Loch in die Mauer machen!«

»Ah, wirklich; das ist kein übler Gedanke!«

»Well! Sehr gut! Ausgezeichnet! Kommt von Master Lindsay! Yes!«

»Aber die Werkzeuge fehlen uns!«

»Habe ja meine Hacke!«

Allerdings hatte er sein ›Häcklein‹ stets am Sattel mit sich geführt; das Ding aber paßte wohl, um das Loch für eine Pflanze in ein Gartenbeet zu machen, nicht aber, um eine Mauer einzureißen.

»Diese Hacke ist zu schwach, Sir. Vielleicht ist im Hofe ein Werkzeug zu finden. Kommt heraus!«

Ich theilte den Andern den Plan des Engländers mit, und sie begleiteten uns. Ich stieg auf die Mauer und sah, daß man dieser Seite des Hauses gar keine Beachtung geschenkt habe; denn nirgends war ein Mensch zu sehen. Die Kurden nahmen jedenfalls an, daß wir der Pferde wegen das Haus nur durch den vorderen Eingang verlassen könnten, und daß sie in Folge dessen nur diesen zu blokiren brauchten, um uns in der Falle zu fangen.

»Hier!« hörte ich Lindsay rufen. »Hier ist etwas, Sir!«

Das Ding, welches er triumphirend in die Höhe hob, glich einem an seiner Spitze mit Eisen beschlagenen Hebebaume und war ganz geeignet, ein Stück der alten Mauer in Bresche zu legen.

»Das geht! Nun haben wir dafür zu sorgen, daß wir ungestört arbeiten können und bei den Schützen da drüben keinen Verdacht erwecken. Halef mag die Pferde in den Hof schaffen; Amad legt sich auf das Dach, um Wache zu halten, damit Niemand bemerkt, was wir hier thun. Ich und Lindsay werfen die Mauer um, und Mohammed mag zuweilen durch das Fenster einen Schuß abgeben, damit sie denken, daß wir uns alle in der Stube befinden. Gelingt es uns, auf diese Weise hinauszukommen, so brauchen wir doch darum noch keine ehrlose Flucht zu ergreifen, sondern wir reiten in Parade an ihnen vorüber. Sie werden vor Erstaunen ganz sicher das Schießen vergessen.«

Diese Arbeitstheilung bewährte sich ganz vortrefflich. Halef beschäftigte sich mit den Pferden; der Haddedihn hielt in aller Gemüthsruhe seine Schießübungen, und der Engländer bohrte energisch an der Mauer herum. Es galt dabei, das Zerstören der Mauer nicht oben, wo es sehr leicht geworden wäre, zu beginnen; denn das hätte uns verrathen können. Wir mußten von innen und unten arbeiten, damit man unsere Absicht erst dann bemerken könnte, wenn einige kräftige Stöße genügten, das Werk zu vollenden.

Endlich hatten wir den ersten, großen Stein heraus, und nun folgten die andern Steine bald nach. Als wir fast zu Ende waren, wurden die beiden Haddedihn gerufen. Ein Jeder stellte sich an sein Pferd. Master Lindsay ergriff den Hebebaum zum letzten Stoße.

»Jetzt alles umrennen! Yes!«

Er nahm einen Anlauf, stürzte vorwärts und prallte mit solcher Wucht an die Mauer, daß er niederstürzte; aber die letzten Steine prasselten auch zu Boden. Nun wurde in dem Schutt noch ein wenig Bahn gebrochen, dann stiegen wir auf die Pferde. Ein tüchtiger Satz brachte uns über das Geröll hinweg und durch die Bresche hinaus in's Freie. Die Noth war zu Ende, noch ehe sie begonnen hatte, und wir verließen eine Herberge, ohne die Rechnung berichtigen zu müssen.

»Wohin jetzt?« frug Lindsay.

»Im langsamen Trab um die Ecke des Hauses herum und dann im Schritt durch das Dorf. Reitet Ihr voran!«

Er that es. Ihm folgten die drei Araber, und ich machte den Schluß. Wir kamen zwischen unserer verlassenen Wohnung und den beiden Häusern, aus denen man auf uns geschossen hatte, hindurch, und meine Voraussetzung traf wirklich ein: – es fiel kein einziger Schuß auf uns. Aber wir waren noch gar nicht weit gekommen, so erhoben sich hinter uns laute Rufe. Jetzt gaben wir den Pferden die Sporen und jagten zum Dorfe hinaus.

Hier sahen wir, daß die sämmtlichen Pferde des Dorfes sich auf der Weide befanden. Sie graseten in ziemlicher Entfernung von dem Dorfe, so daß wir hoffentlich einen guten Vorsprung gewannen, ehe sie von ihren Reitern bestiegen werden konnten.

Der Weg ging durch ebenes, aber wohl bewässertes Land, welches uns Gelegenheit gab, die Schnelligkeit unserer Pferde vollständig zur Entfaltung zu bringen; nur nicht in Beziehung auf meinen Rappen, der verlangend in die Zügel knirschte und doch gezügelt wurde, weil sonst die Andern weit zurückgeblieben wären.

Endlich bemerkten wir hinter uns eine breite Linie von Reitern, welche uns verfolgten.

Mohammed Emin warf jetzt einen besorgten Blick auf das Pferd, welches sein Sohn ritt, und sagte: »Wenn wir dieses Pferd nicht hätten, so würden sie uns wohl nicht erreichen.«

Er hatte Recht. Es war das beste Pferd, welches in Amadijah überhaupt zu bekommen gewesen, und dennoch hatte es einen harten Gang und eine mühsame Athmung, daß es bei einem langen Schnellritt sicherlich sehr bald zusammengebrochen wäre.

»Sihdi,« frug Halef, »Du willst keinen Kurden tödten?«

»So lange es zu vermeiden ist, nein.«

»Aber auf ihre Pferde können wir doch wohl schießen?«

»Es wird uns nichts Anderes übrig bleiben.«

Er nahm seine lange, arabische Flinte von der Schulter und sah nach dem Schlosse. Auf fünfhundert Schritt Entfernung hatte er mit diesem Gewehre sein Ziel noch nie verfehlt, und meine Büchse trug noch weiter.

Die Verfolger kamen uns immer näher. Ihr lautes Geschrei klang ganz anders, als dasjenige, welches man bei einer Phantasia, einem Dscheridwerfen, einem Scheingefechte zu hören bekommt: sie machten Ernst. Einer ritt allen Andern voran. Sie näherten sich auf vielleicht fünfhundertfünfzig Schritt; er aber jagte näher, hielt sein Roß an, zielte und schoß. Dieser Mann besaß eine gute Flinte. Wir sahen ganz in unserer Nähe von einem Steine, welchen die Kugel getroffen hatte, einige Splitter abfliegen. Es war ein noch junger Kurde, vielleicht der Bluträcher.

»Well!« meinte der Engländer, indem er seine Büchse nahm und das Pferd herumwandte; »geh herunter, Boy!«

Er legte an und drückte ab. Das Pferd des Kurden that einen Satz, taumelte und brach zusammen.

»Kann nach Hause gehen! Yes!«

Diesem kaltblütigen, sicheren Schusse folgte ein lautes Schreien der Kurden. Sie hielten an und sprachen mit einander, folgten uns aber alsbald wieder nach. In kurzer Zeit erreichten wir einen breiten Bach, über den es keine Brücke gab. Er war reißend und tief, so daß wir eine Stelle suchen mußten, an welcher der Übergang sich am besten bewerkstelligen ließ. Dies gab uns natürlich Blößen. Die Kurden hielten. Einige von ihnen aber ritten etwas vor, saßen ab und stellten sich hinter ihre Pferde. Wir sahen, daß sie die Läufe ihrer Flinten über die Rücken ihrer Pferde legten.

Schnell waren wir auch von unseren Thieren und thaten dasselbe. Einen Augenblick nach ihren Schüssen – nur ich schoß noch nicht – krachten auch die unserigen, welche zeigten, daß wir die besseren Schießeisen besaßen. Von unseren vier Schüssen erreichten drei ihr Ziel, während nur eine einzige Kurdenkugel das Pferd des Engländers am Schwanz gestreift hatte. Lindsay schüttelte den Kopf.

»Haben schlechte Begriffe!« meinte er. »Miserable Begriffe! Wollen ein Pferd von hinten erschießen! Kann nur Kurden passiren!«

»Sucht eine Furt!« rieth ich nun. »Halef und ich werden die Kerle in Respekt halten!«

Die Besitzer der getroffenen Pferde waren eilig zu den Ihrigen zurückgekehrt. Zwei aber hielten noch Stand. Ich sah, daß sie wieder luden.

»Sihdi, schieße nicht,« bat Halef. »Laß mir allein die Ehre!«

»Gut so!«

Er lud seinen abgeschossenen Flintenlauf wieder und legte an. Gleichzeitig mit ihren Schüssen ließ er auch zweimal hinter einander krachen. Der kleine Hadschi hatte ganz gut getroffen. Eines der Pferde brach an Ort und Stelle zusammen – er hatte es wohl durch den Kopf geschossen – und das andere sprang wiehernd in langen Sätzen über die Ebene dahin. Von den Kugeln der beiden Kurden aber hatten wir nichts gespürt.

»Wenn dies so fortgeht, Sihdi,« lachte Halef, »so haben sie sehr bald keine Pferde mehr und tragen das Sattelzeug selbst nach Hause. Siehst Du, wie sie zurücklaufen zu den Andern? Sag' diesen doch, daß auch sie sich zu nahe herangewagt haben!«

»Eine Warnung sollen sie allerdings haben.«

Sie hielten wieder beisammen, und einige Schritte vor ihnen befand sich der Nezanum, welcher eifrig mit ihnen sprach. Sie hatten wohl noch kein Gewehr gekannt, dessen Kugel eine solche Strecke, wie die zwischen uns liegende, zu durchfliegen vermochte, und hielten sich also für vollständig sicher. Sie sahen daher auch erstaunt nach mir, als ich hinter meinem Pferde hervortrat und die Büchse anlegte. Ein Knall – und im nächsten Moment lag der Nezanum am Boden, und sein Pferd wälzte sich über ihm. Ich zielte etwas weiter nach rechts und traf auch das nächste Pferd. Die Kurden jagten nun mit einem lauten Geschrei weit zurück, und die pferdelosen Reiter sprangen unter Verwünschungen hinter ihnen drein. Diese Leute hatten von gestern her zu viel Respekt vor unsern Waffen, sonst wären wir doch verloren gewesen.

Jetzt ließen sie uns Muse, eine Furt zu suchen, die wir auch bald fanden. Wir gingen über den Bach und eilten dann so schnell vorwärts, als das Pferd Amad's laufen konnte.

Das Thal von Berwari wird durch viele Flüßchen bewässert, welche von dem Gebirge herabströmen und sich mit einem Arme des Khabur vereinigen, der in den großen Zab mündet. Diese Wasserläufe sind mit Gebüsch umsäumt und die zwischen ihnen liegenden Ebenen von zahlreichen Eichen, Pappeln und anderen Laubbäumen bestanden. Bewohnt wird das Thal theils von Berwari-Kurden, theils von nestorianischen Christen; doch sind die Dörfer der Letzteren meist verlassen.

Wir hatten die Verfolger aus dem Gesicht verloren und kamen zu einigen Dörfern, die wir aber in einem möglichst weiten Bogen umritten, da wir nicht wissen konnten, wie man uns begegnen werde. Einige einzelne Männer, welche im Freien beschäftigt waren, bemerkten uns aber doch. Wir ritten rasch weiter.

Leider kannten wir den Weg nicht genau, welchen wir einzuschlagen hatten. Ich wußte nur, daß Gumri im Norden liege; dies war die einzige Kenntniß, die uns als Führer dienen konnte. Die vielen Wasserläufe, welche wir passirten, hielten uns auf und nöthigten uns zu manchem Umweg. Endlich gelangten wir an ein Dorf, welches nur aus einigen Häusern bestand. Es war nicht gut zu umreiten, weil es auf der einen Seite an das tiefe Bett eines Baches und auf der andern Seite an ein ziemlich dichtes Gehölz stieß. Das Dorf schien ganz verödet zu sein, und wir ritten völlig unbesorgt darauf los.

Schon waren wir an dem ersten Hause vorbei, da krachten Schüsse. Sie kamen aus den Fensteröffnungen der Häuser. –

»Zounds!« rief der Engländer und griff sich an den linken Oberarm.

Eine Kugel hatte ihn getroffen. Ich selbst lag am Boden, und mein Pferd rannte im Galopp davon. Ich stand auf, eilte ihm nach und kam glücklich zum Dorfe hinaus, obgleich auch aus den anderen Häusern mehrere Schüsse auf mich fielen. Eine Blutspur zeigte mir, daß mein Rappe verwundet worden sei. Da dachte ich nicht mehr an die Gefährten; ohne umzublicken, rannte ich vorwärts und fand das Pferd an dem Rande jenes Gehölzes, wo es stehen geblieben war. Die Kugel hatte es hart hinter dem Genick am oberen Hals gestreift und eine zwar nicht gefährliche, aber doch schmerzhafte Wunde gerissen. Ich war noch mit der Untersuchung derselben beschäftigt, als die Gefährten mich erreichten. Sie hatten einige unnütze Kugeln verschossen und waren mir dann gefolgt, ohne weiteren Schaden zu erleiden. Der Engländer blutete am Oberarm.

»Ist's gefährlich, Sir?« frug ich ihn.

»Nein. Ging nur ins Fleisch. Wißt Ihr, wer es war? Der Nezanum!«

»Nicht möglich!«

»Schoß vom Dache herab. Habe ihn deutlich gesehen!«

»So haben sie uns den Weg abgeschnitten und uns in diesem verlassenen Dorf einen Hinterhalt gelegt. Ein Glück für uns, daß sie sich nicht alle auf die Dächer postirten! Wir wären verloren gewesen. Aus den Fensterspalten aber kann man auf Vorüberreitende keinen sichern Schuß haben.«

»Seid schön heruntergeflogen, Master!« neckte er mich. »War sehr interessant, als man Euch dem Gaul nachlaufen sah! Yes!«

»Ich gönne Euch diese Freude, Sir. Doch vorwärts jetzt!«

»Vorwärts? Ich denke, wir müssen ihnen vorher unsern Dank abstatten!«

»Damit würden wir uns in neue Gefahr begeben, und übrigens ist es nothwendig, Euch zu verbinden, und dies muß doch nicht hier in so unmittelbarer Nähe des Feindes geschehen!«

»Well! So kommt!«

Der kleine Hadschi Halef Omar war damit nicht einverstanden.

»Sihdi,« meinte er, »wollen wir diesen Kurden nicht eine Lehre geben und es ihnen unmöglich machen, uns weiter zu verfolgen?«

»Wie willst Du dies thun?«

»Wo glaubst Du, daß sie ihre Pferde haben?«

»Einige davon vielleicht in den Häusern, die anderen aber ganz sicher außerhalb des Dorfes in irgend einem Versteck.«

»So laß uns diesen Versteck suchen und ihnen die Thiere wegnehmen! Schwer wird dies nicht sein; sie getrauen sich im offenen Felde nicht an uns heran und haben wohl auch keine zahlreiche Bewachung bei den Pferden gelassen.«

»Willst Du ein Pferdedieb werden, Halef?«

»Nein, Sihdi. Aber willst Du das, was ich Dir vorschlage, einen Diebstahl nennen?«

»In diesem Fall der Nothwehr wohl nicht; doch wäre es wenigstens sehr unvorsichtig gehandelt. Wir würden Zeit brauchen, um das Versteck zu finden, und müßten vielleicht mit den Wächtern kämpfen, was ganz unnöthig ist, da wir Gumri bald erreichen werden und uns alsdann in Sicherheit befinden.«

Wir setzten also unsern Ritt fort und bemerkten nach einiger Zeit, daß die Kurden uns wieder folgten. Sie hielten sich so weit von uns entfernt, daß wir uns in vollständiger und gegenseitiger Sicherheit befanden. Später verloren wir sie an einer Krümmung aus dem Auge und erblickten sie dann wieder vor uns. Sie hatten uns umritten, um entweder uns abermals den Weg zu verlegen, oder um uns in Gumri zuvor zu kommen. Wir bemerkten sehr bald, daß Letzteres beabsichtigt sein müsse; denn vor uns stiegen nun, allerdings in noch weiter Entfernung, die Umrisse des isolirten Felsens empor, auf welchem Kalah Gumri liegt. Dieses ist eigentlich nur ein schwaches, aus Lehm erbautes Fort, mit dem einige wenige Geschütze leicht fertig werden könnten; es wird aber von den Kurden für eine sehr starke Festung gehalten.

Wir hatten uns diesem Ort bis auf eine Entfernung von vielleicht einer englischen Meile genähert, als uns plötzlich ein wildes Geschrei umtobte und aus den nahen Büschen mehrere hundert kurdische Krieger hervorsprangen und auf uns eindrangen. Lindsay riß die Büchse empor.

»Um Gottes willen, Sir, nicht schießen!« rief ich ihm zu und schlug ihm den Lauf des Gewehres nieder.

»Warum?« frug er. »Fürchtet Ihr Euch, Master?«

Ich hatte keine Zeit zur Antwort. Die Kurden waren schon bei uns und zwischen uns und drängten uns aus einander. Ein junger Mensch trat auf meinen im Steigbügel ruhenden Fuß, schwang sich empor und holte mit dem Dolch zum Stoße aus. Ich riß ihm die Waffe aus der Hand und schleuderte ihn hinab. Dann packte ich einen Anderen beim Arm.

»Du bist mein Beschützer!« rief ich ihm zu.

Er schüttelte den Kopf.

»Du bist bewaffnet!« antwortete er.

»Ich vertraue Dir alle Waffen an. Hier, nimm sie!«

Er nahm meine Waffen an und legte dann die Hand auf mich.

»Dieser ist mein auf den ganzen Tag,« erklärte er laut.

»Und die Andern auch,« fügte ich hinzu.

»Sie haben nicht um Schutz gebeten,« wehrte er ab.

»Ich thue es an ihrer Stelle. Sie reden Eure Sprache nicht.«

»So mögen sie ihre Waffen ablegen, dann will ich ihr Hal-am›Hal‹ = Onkel von mütterlicher, ›Am‹ = Onkel von väterlicher Seite. Die Zusammenziehung dieser beiden Worte bedeutet Beschützer sein.«

Die Entwaffnung ging sehr schnell vor sich, obgleich keiner der Gefährten mit meinem Verfahren zufrieden war. Ausgenommen den Einen, welcher den Dolch auf mich gezückt hatte, schien es, als ob die Kurden jetzt weniger nach unserem Leben als vielmehr darnach trachteten, unsere Personen in ihre Gewalt zu bekommen. Jener Eine aber fixirte mich mit so grimmigen Blicken, daß ich in ihm den Bluträcher vermuthen mußte, und dies bestätigte sich auch sehr bald; denn als wir uns in Bewegung setzten, ersah er die Gelegenheit, zog den Chantscher und warf sich auf meinen Hund. Doch dieser war schneller als der Mann. Er fuhr zurück, um dem Stoße auszuweichen, und faßte dann den Feind gleich über dem Griffe des Dolches am Handgelenk. Wir hörten zwischen den gewaltigen Zähnen des Thieres die Knochen knirschen. Der Kurde stieß einen Schrei aus und ließ den Dolch fallen. Sofort riß ihn der Hund zu Boden und packte ihn an der Kehle. Einige Dutzend Flinten richteten sich auf das muthige Thier.

»Katera Chodeh!« rief ich. »Um Gottes willen die Flinten weg, sonst erwürgt er ihn!«

Eine Kugel, welche den Hund nicht augenblicklich tödtete, wäre der Tod des Kurden gewesen. Die Krieger sahen das ein, und da keiner von ihnen seines Schusses ganz sicher sein mochte, so senkten sie die Gewehre.

»Rufe den Hund weg!« gebot mir Einer.

»Diese Bestie war es, die meinen Dschiran tödtete!« rief eine andere Stimme. Dieselbe gehörte dem Nezanum an, der hinter einem Strauch hervortrat. Er hatte die weise Vorsicht gebraucht, sich bis jetzt in gehöriger Entfernung zu halten.

»Du hast recht, Nezanum,« antwortete ich. »Und er wird auch das Genick dieses Mannes zermalmen, wenn ich es ihm gebiete.«

»Rufe ihn weg!« wiederholte der vorige Sprecher.

»Sage mir zuvor, ob dieser Mann da der Rächer ist!«

»Er ist es, der den Heif hat.«

»So will ich Euch zeigen, daß ich ihn nicht fürchte. – Dojan, geri – zurück!«

Der Hund ließ von dem Kurden ab. Dieser erhob sich. Der Schmerz seiner Hand war so groß, daß er ihn kaum verwinden konnte; noch größer aber war seine Wuth. Er trat hart zu mir heran und schüttelte drohend das verwundete Glied.

»Dein Hund hat mir die Kraft meines Armes genommen,« knirschte er. »Aber glaube ja nicht, daß ich nun die Rache einem Andern überlassen werde. Ez heïfi cho-e desti cho-e bigerim tera – ich werde mit eigener Hand an Dir Rache nehmen!«

»Du redest wie ein Bak, vor dessen Quaken sich Niemand fürchten kann!« antwortete ich. »Reiche mir Deinen Arm, daß ich ihn untersuche und verbinde!«

»Du bist ein Arzt? Ich mag von Dir kein Derman haben, und wenn ich sterben müßte. Aber Du wirst DermanDerman heißt im Kurmangdschi Schießpulver; Derman oder Dareman heißt aber auch Medizin, Heilmittel von mir erhalten, und zwar so viel, daß Du genug daran haben sollst. Das verspreche ich Dir!«

»Ich höre, daß Dich bereits das Ta ergriffen hat, sonst würdest Du Deine Hand zu retten suchen.«

»Die Deka von Gumri wird mir helfen. Sie ist ein größerer Arzt als Du!« antwortete er verächtlich. »Du und dieser Tazi, Ihr seid zwei Hunde und sollt auch wie Hunde sterben!«

Er wickelte die Hand in einen Zipfel seines Dschil und hob den Dolch auf. Wir wurden in die Mitte genommen, und der Zug setzte sich in Bewegung. Keiner der Kurden hatte ein Pferd bei sich; die Thiere waren in Gumri zurückgelassen worden. Ich war ein wenig besorgt um uns, aber wirkliche Angst empfand ich nicht.

Schweigend schritten die Kurden neben uns her und waren augenscheinlich nur darauf bedacht, uns nicht entfliehen zu lassen. Auch mein kleiner Halef und die beiden Araber sprachen kein Wort, aber der Engländer konnte seinen Ärger nicht ganz verwinden.

»Schöne Suppe, Sir, die Ihr uns eingebrockt habt!« brummte er; »hätten die Kerle alle erschießen sollen!«

»Das hätten wir nicht fertig gebracht, Sir. Sie kamen zu schnell über uns.«

»Yes! Und nun sind sie um uns herum und wir in ihnen drin. Die Waffen abgegeben! Fatale Geschichte! Schauderhaft! Werde mit Euch wieder einmal nach Kurdistan gehen. Wie heißt Esel auf Kurdisch, Master?«

»Ker. Und Eselein, ein junger, ein kleiner Esel heißt Daschik.«

»Well! So haben wir Vier wie Daschiks und Ihr habt wie ein sehr alter und sehr großer Ker gehandelt. Verstanden?«

»Sehr verbunden, Master Lindsay! Nehmt meinen innigsten Dank für die Anerkennung! Wollt Ihr denn nicht bedenken, daß es geradezu ein Wahnsinn genannt werden müßte, wenn fünf Männer sich einbilden, mit Zweihundert, die ihnen bereits bis auf den Frack gerückt sind, fertig zu werden?«

»Wir hatten bessere Waffen als sie!«

»Konnten wir sie in solcher Nähe gebrauchen? Und hätten wir uns diese Kurden damit vom Leibe gehalten, so wäre jedenfalls viel Blut geflossen; das unserige wohl auch mit. Und dann die Blutrache! Wo denkt Ihr hin!«

Da bemerkten wir einen Reiter, der uns im Galopp entgegenkam. Als er sich soweit genähert hatte, daß seine Gesichtszüge zu sehen waren, erkannte ich Dohub, den Kurden, dessen Verwandte in Amadijah gefangen gewesen waren. Unser Trupp hielt bei seinem Erscheinen an. Er drängte sich ungestüm bis zu mir hindurch und reichte mir die Hand.

»Chodih, Du kommst; Du bist gefangen!«

»Wie Du siehst!«

»O, verzeihe! Ich war fort von Gumri, und als ich jetzt heimkehrte, erfuhr ich, daß man fünf fremde Männer fangen wolle. Ich dachte gleich an Dich und bin eilig herbeigekommen, um zu sehen, ob meine Gedanken richtig gewesen sind. Chodih, az kolame ta – Herr, ich bin Dein Diener. Befiehl, was Du von mir wünschest!«

»Ich danke Dir! Aber ich bedarf Deiner Hülfe nicht, denn dieser Mann ist bereits unser Beschützer.«

»Für welche Zeit?«

»Für einen Tag.«

»Emir, erlaube mir, daß ich es sei für alle Tage, so lange ich lebe!«

»Wird er es Dir gestatten?«

»Ja. Du bist unser Aller Freund, denn Du wirst der Mivan des Bey sein. Er hat auf Dich geharrt und freut sich, Dich und die Deinen willkommen zu heißen.«

»Ich werde nicht zu ihm gehen können.«

»Warum nicht?«

»Kann ein Emir sich ohne Waffen sehen lassen?«

»Ich sah bereits, daß man sie Euch genommen hat.« Und er wandte sich zu unserer Escorte mit den Worten: »Gebt die Waffen zurück!«

Dagegen erhob der verwundete Kurde Einspruch:

»Sie sind Gefangene und dürfen keine Waffen tragen!«

»Sie sind frei, denn sie sind die Gäste des Bey!« lautete die Gegenrede.

»Der Bey hat uns selbst befohlen, sie gefangen zu nehmen und zu entwaffnen!«

»Er hat nicht gewußt, daß es die Männer sind, die er erwartet.«

»Sie haben mir den Vater ermordet. Und siehe diese Hand. Ihr Hund hat sie mir zerbissen!«

»So mache das mit ihnen ab, sobald sie nicht mehr Gäste des Bey sind. Komm, Chodih, nimm Deine Waffen und erlaube, daß ich Dich führe!«

Wir erhielten Alles zurück, was wir abgegeben hatten; dann trennten wir uns von den Andern und ritten in raschem Tempo nach Gumri hinauf.

»Nun, Sir,« frug ich Lindsay, »was denkt Ihr jetzt von dem Ker und dem Daschik?«

»Habe von Eurem Gerede nichts verstanden!«

»Aber die Waffen habt Ihr doch bereits zurück!«

»Well! Und was weiter?«

»Wir werden die Gäste des Bey von Gumri sein.«

»Will Euch Satisfaction geben, Master: der Esel, der war ich!«

»Danke, Sir! Gratulire zu dieser edlen Selbsterkenntniß!«

Jetzt war alle Besorgniß verschwunden, und mit erleichtertem Herzen ritt ich durch das enge Thor des Ortes ein. Dennoch aber konnte ich mich eines Grauens nicht erwehren bei den Anblick der Residenz des berüchtigten Abd el Summit Bey, der in Verbindung mit Beder Khan Bey und Nur Ullah Bey die christlichen Bewohner von Tijari zu Tausenden hingemordet hatte. Der Ort sah sehr kriegerisch aus. Die engen Gassen waren von bewaffneten Kurden so belebt, daß die Mehrzahl dieser Leute wohl nicht zu den Bewohnern von Gumri gehören konnte. In dieser Beziehung machte die kleine Berwari-Festung einen ganz andern Eindruck als das öde, leblose Amadijah.

Da schritt, die lange Schilflanze in der Hand, der Kurde von Serdascht uns entgegen. Er machte den Eindruck eines armen Schluckers gegenüber den Balani und Schadi, die ich hier nicht vermuthet hätte. Ein Alegankurde vom Bohtangebirge plauderte mit einem Omerigan, der aus der Gegend von Diarbekr herbeigekommen war. Dann begegneten uns zwei Angehörige des Amadi-manan-Stammes, zwischen denen ein Dilmamikan-Kurde aus Esi schritt. Da gab es Krieger vom Stamme der Bulanuh, der Hadir-sohr, der Hasananluh, der Delmamikan, der Karatschiur und Kartuschi-baschi. Sogar Leute aus Kazikan, Semsat, Kurduk und Kendali waren zu sehen.

»Wie kommen diese Fremden nach Gumri?« frug ich Dohub.

»Es sind meist Bluträcher, welche hier zusammenkommen, um sich gegenseitig auszugleichen, und Boten aus vielen Gegenden, in denen man einen Aufstand der Christen befürchtet.«

»Habt Ihr hier eine ähnliche Befürchtung zu hegen?«

»Ja, Emir. Die Christen in den Tijaribergen heulen wie die Hunde, welche man angekettet hat. Sie wollen gern los sein, aber ihr Bellen hilft ihnen nichts. Wir haben vernommen, daß sie in das Thal von Berwari einfallen wollen; ja, sie haben bereits einige Männer unsers Stammes getödtet; aber das Blut derselben wird sehr bald über sie kommen. Ich war heute in Mia, wo morgen eine Bärenjagd abgehalten werden soll, und fand das ganze untere Dorf verlassen.«

»Es gibt wohl zwei Dörfer, welche Mia heißen?«

»Ja; sie gehören unserm Bey. Das obere Dorf wird nur von ächten Moslemim und das untere nur von christlichen Nestorah bewohnt. Diese Letzteren sind plötzlich verschwunden.«

»Warum ?«

»Man weiß es nicht. Aber, Chodih, hier ist die Wohnung des Bey. Steige ab mit den Deinen und erlaube, daß ich dem Bey Deine Ankunft verkündige!«

Wir hielten vor einem langen, unscheinbaren Gebäude, dessen Ausdehnung allein verrieth, daß es die Wohnung eines Anführers sei. Auf ein Wort Dohub's kamen einige Kurden herbei, um unsere Pferde in Empfang zu nehmen und in den Stall zu führen. Er selbst aber kehrte bereits nach wenigen Augenblicken zurück und führte uns zu dem Bey. Wir fanden denselben in einem großen Empfangsraume, bis zu dessen Thüre er uns entgegenkam. Einige Dutzend Kurden, die sich bei unserm Eintritte erhoben, waren bei ihm. Er war ein Mann am Ende der zwanziger Jahre, hoch und breit gewachsen; sein edles Angesicht zeigte den reinen kaukasischen Typus und wurde von einem starken, schwarzen Vollbart eingerahmt. Sein Turban hatte wenigstens zwei Ellen im Durchmesser; an seinem Halse hingen an einer silbernen Kette verschiedene Talismane und Amulette; seine Jacke war ebenso wie seine Hose mit reicher Stickerei versehen, und in seinem Gürtel funkelte neben einem Dolche und zwei mit Silber ausgelegten Pistolen ein wunderschön damaszirter Schyur ohne Scheide. Der Bey machte nicht den Eindruck eines halbwilden Anführers von Räubern und Pferdedieben; seine Züge waren bei aller Männlichkeit doch weich und sanft, und seine Stimme klang freundlich und angenehm, als er uns begrüßte:

»Sei mir willkommen, Emir! Du bist mein Bruder, und Deine Gefährten sind meine Freunde.«

Er reichte uns Allen die Hand. Auf seinen Wink wurden beinahe sämmtliche Kissen, welche sich in dem Raume befanden, zusammengetragen, um uns als Sitz zu dienen. Wir nahmen Platz, während die Andern stehen blieben.

»Ich habe gehört, daß ich mit Dir in kurdischer Sprache reden kann?« frug er.

»Diese Sprache ist mir nur sehr wenig verständlich, und meine Freunde verstehen sie gar nicht,« antwortete ich.

»So erlaube, daß ich türkisch oder arabisch mit Dir spreche!«

»Bediene Dich derjenigen Sprache, welche Deine Leute hier verstehen,« sagte ich zu ihm aus Höflichkeit.

»Oh, Emir, Ihr seid meine Gäste, und so wollen wir so sprechen, daß Deine Freunde mitreden können. Welche Sprache reden sie am liebsten?«

»Die arabische. Aber, Bey, befiehl vorher Deinen Leuten, daß sie sich setzen! Sie sind nicht Türken und Perser, sondern freie Kurden, die nur zum Gruße sich zu erheben brauchen.«

»Chondekar, ich sehe, daß Du ein Mann bist, welcher die Kurden kennt und ehrt; ich werde ihnen erlauben, sich niederzulassen.«

Er gab ihnen ein Zeichen, und die Blicke, welche sie sich beim Niedersetzen zuwarfen, sagten mir, daß sie meine Höflichkeit anerkannten. Ich hatte es hier jedenfalls mit einem intelligenten Häuptling zu thun, denn im Innern von Kurdistan ist ein Mann, der neben einigen Dialekten seiner Muttersprache auch das Türkische und Arabische versteht, eine Seltenheit. Es ließ sich erwarten, daß der Bey sich auch noch des Persischen zu bedienen verstand, und im Verlaufe meines leider nur sehr kurzen Beisammenseins mit ihm erfuhr ich, daß ich mit dieser Vermuthung das Richtige getroffen hatte.

Es wurden Pfeifen gebracht, zu denen man uns einen lieblich schmeckenden Reisbranntwein kredenzte, dem die Kurden mit großem Eifer zusprachen.

»Was denkst Du von den Kurden von Berwari?« frug mich der Bey.

Diese Frage sollte wohl ohne alle Verfänglichkeit nur als Einleitung dienen.

»Wenn Alle so sind wie Du, dann werde ich von ihnen nur Gutes erzählen können.«

»Ich weiß, was Du mir sagen willst. Du hast bisher nur Übles von ihnen erfahren,« bemerkte er.

»Oh nein! Habe ich nicht an Dohub und seinen beiden Verwandten nur Freunde gefunden?«

»Du hast Dir ihre Freundschaft und auch die meinige sehr reichlich verdient. Wir aber haben Dir mit Undank vergolten. Willst Du mir verzeihen? Ich wußte nicht, daß Du es warst.«

»Verzeihe auch Du mir! Es hat Einer von Deinen Leuten sein Leben eingebüßt; aber wir tragen keine Schuld daran.«

»Erzähle mir, wie es zugegangen ist!«

Ich gab ihm einen ausführlichen Bericht und frug ihn dann, ob hier ein Grund zur Blutrache vorliege.

»Nach der Sitte dieses Landes muß er allerdings den Tod seines Vaters rächen, wenn er sich nicht die Verachtung Aller erwerben will.«

»Es wird ihm wohl schwer gelingen!«

»Du bist mein Gast, und so lange Du Dich bei mir und in meinem Lande befindest, bist Du vollständig sicher. Aber er wird Dir später folgen auf Schritt und Tritt, auch wenn Du bis an das Ende der Erde gehen wolltest.«

»Ich fürchte ihn nicht.«

»Du magst stark genug sein, um ihn im offenen Kampfe zu überwinden; dann aber würden neue Rächer erstehen. Und kannst Du Dich gegen eine Kugel wehren, die aus dem Verborgenen abgeschossen wird? Willst Du nicht den Preis bezahlen?«

»Nein!« antwortete ich mit Nachdruck.

»Allah gab Dir vielen Muth, einen Rächer zu verachten. Ich werde dafür sorgen, daß dieser Muth Dich nicht in das Verderben bringt – Du warst bei dem Vater meines Weibes in Spandareh?«

»Ich war sein Gast und wurde sein Freund.«

»Ich weiß es. Wärest Du nicht sein Freund, so hätte er Dir nicht das Geschenk für uns anvertraut. Allah hat Wohlgefallen an Dir, denn er läßt Dich überall Freunde finden.«

»Allah gibt Gutes und Böses; er erfreut die Seinen und betrübt sie auch zuweilen, um sie zu prüfen. Ich habe auch Feinde in Amadijah gefunden.«

»Wer war Dein Feind? Der Mutesselim?«

»Dieser war mir weder Freund noch Feind; er fürchtete mich. Aber es kam ein Mann zu ihm, der mich haßte und die Schuld trug, daß ich sogar gefangen genommen werden sollte.«

»Wer war es?«

»Der Makredsch von Mossul.«

»Der Makredsch?« frug der Bey sehr aufmerksam. »Er ist ein Feind der Kurden; er ist ein Feind aller Menschen. Was wollte er in Amadijah?«

»Er befand sich auf der Flucht nach Persien; denn der Anadoli Kasi Askeri ist gekommen, um ihn und den Mutessarif von Mossul abzusetzen.«

Diese Kunde erregte die allergrößte Überraschung bei dem Bey. Er theilte die Neuigkeit sofort den Seinigen mit, von denen sie mit demselben Erstaunen aufgenommen wurde. Ich mußte Alles sehr ausführlich erzählen.

»So wird der Mutesselim wohl auch abgesetzt?« frug der Bey.

»Das kann man nicht wissen. Er war der Kerkermeister des Mutessarif, der einen Jeden, der aus Mossul verschwinden sollte, nach Amadijah sandte.«

»Doch wohl nur Verbrecher?«

»Nein. Hast Du nicht gehört von Amad el Ghandur, dem Sohne des Scheik der Haddedihn?«

»Ist auch er gefangen genommen und nach Amadijah geschickt worden?«

»Ja. Er hat nichts von ihrer Hinterlist geahnt.«

»Dann ist es ihm zu gönnen.«

»Warum? Sind die Araber nicht Feinde der Kurden?«

»Sie sind freie Männer, die Türken aber sind Betrüger und Verräther. Wäre ich ein Haddedihn, so zöge ich nach Amadijah, um den Sohn meines Scheik zu befreien.«

»Bey, das ist eine schwere Sache!«

»Und dennoch würde ich es thun. Die List ist oft eine bessere Waffe als die Gewalt.«

»So wisse denn, daß es einen Haddedihn gibt, welcher nach Amadijah gegangen ist.«

»Einen Einzigen?«

Ich bejahte es.

»So kann ihm nichts gelingen,« meinte der Bey. »Zu einem solchen Werke gehören Viele.«

»Und dennoch ist es ihm gelungen,« entgegnete ich.

»Tu katischt nezani – was Du nicht weißt! Er hat den Sohn des Scheik wirklich befreit? Durch List oder Gewalt?«

»Durch List.«

»So ist er ein tapferer und entschlossener, aber auch ein kluger Mann gewesen. War er ein einfacher Krieger?«

»Nein. Es war der Scheik Mohammed Emin selbst.«

»Chodih, Du berichtest mir ein Wunder! Aber ich glaube es, weil Du es sagest. Werden sie unangefochten nach ihren Weideplätzen kommen?«

»Das weiß nur Allah und Du.«

»Ich? Wie meinst Du das?«

»Ja, Du. Ich habe gehört, daß sie sich nicht nach Westen, sondern in das Land Berwari wenden werden, um den Zab zu erreichen und auf ihm hinab zu fahren.«

»Emir, das ist ein großes Abenteuer. Die beiden Helden sollten mir willkommen sein, wenn sie zu mir kämen. Wann ist die Flucht gelungen?«

»In der Nacht vor gestern.«

»Woher weißt Du dies so genau? Hast Du sie gesehen?«

»Beide. Auch Du siehst sie, denn sie sitzen an Deiner Seite. Dieser Mann ist Mohammed Emin, der Scheik der Haddedihn, und dieser ist Amed el Ghandur, sein Sohn.«

Der Kurdenhäuptling sprang auf und frug:

»Wer ist dieser Andere?«

»Mein Diener.«

»Und dieser?«

»Mein Freund, ein Mann aus dem Abendlande. Wir haben uns vereinigt und den Gefangenen aus Amadijah geholt,« sagte ich ohne Prahlerei.

Jetzt entstand ein vollständiges Redegewirr von kurdischen Erklärungen, türkischen Ausrufungen und arabischen Begrüßungen. Es kam Alles zur Sprache, was die Kurden von den Haddedihn gehört hatten; auch ihr Kampf im Thale der Stufen. Ich mußte dabei den Dolmetscher machen, gestehe aber gern, daß mir bei dieser Arbeit der Schweiß in hellen Tropfen von der Stirne schoß. Meine Kenntniß des Kurdischen war gering, und das Arabische wurde ebenso wie das Türkische in einem Dialekt gesprochen, bei dem ich die Bedeutung der Worte und der Wortverbindungen mehr errathen als verstehen mußte. Dies gab Veranlassung zu zahlreichen Verwechslungen und Verdrehungen, über welche trotz aller unserer Würde lebhaft gelacht wurde.

Am Schlusse dieser außerordentlich angeregten Unterhaltung gab uns der Bey die Versicherung, daß er Alles thun werde, um unser Fortkommen zu ermöglichen. Er versprach uns die zu mehreren Flößen nothwendigen Häute, einige sichere Führer, welche den Wasserlauf des Khabur und des oberen Zab Ala genau kannten, und auch Empfehlungen an die Schirwan- und Zibarkurden, durch deren Gebiet wir auf dieser Fahrt kommen mußten. Von einem Ritte über das Tura-Gharagebirge nach dem Akraflusse wollte er nichts wissen, da nach dieser Gegend hin sein Schutz uns mehr Schaden als Nutzen bringen würde.

»Dort gibt es,« fügte er hinzu, »sehr viele christliche Nestorah, auch Teufelsanbeter und kleine Kurdenstämme, mit denen die Berwari in Feindschaft leben. Diese Leute sind lauter Räuber und Mörder, und die Gebirge sind so wild und unzugänglich, daß Ihr nie den Zab erreichen würdet. Nun aber ruht Euch aus und erlaubt mir, hier meines Amtes zu warten, bevor wir das Mahl einnehmen. Ich habe heute viel zu verhandeln, da ich morgen nicht in Gumri sein werde.«

»Du willst nach Mia gehen?« frug ich.

»Ja. Wer sagte es Dir?«

»Ich habe von Dohub gehört, daß Du dort einen Hirtsch jagen willst.«

»Einen? Es sind zwei ganze Familien, die den dortigen Heerden sehr viel Abbruch thun. Du mußt nämlich wissen, daß es im Lande der Kurden zahlreiche Bären gibt, und« – fügte er mit einigem Stolze hinzu – »die Giaurs dieses Landes sagen, daß es zwei große Plagen für sie gebe, von denen die eine grad so schlimm sei, wie die andere, nämlich die Kurden und die Bären.«

»Wirst Du uns erlauben, mitzugehen?«

»Ja, wenn Du es wünschest. Ihr sollt zusehen können, ohne dabei in Gefahr zu kommen.«

»Wir wollen nicht zusehen, sondern mitkämpfen!«

»Emir, der Bär ist ein gefährliches Thier!«

»Du irrst. Der Bär, welcher die kurdischen Schluchten und Wälder bewohnt, ist ein sehr unschädliches Wild. Es gibt Länder, in denen die Bären doppelt so groß und stark sind, wie die Eurigen.«

»Ich habe davon gehört. Es soll ein Land geben, wo man nur Eis und Wasser findet, und dort haben die Bären ein weißes Fell und werden von den dortigen Arabern Hirtsch el Buz genannt. Hast Du solche weiße Bären gesehen?«

»Ja, obgleich ich nicht in jenen Ländern gewesen bin. Man fängt dort die Bären, um sie in anderen Gegenden für Geld sehen zu lassen. Aber es gibt noch ein Land mit fürchterlich großen Bären, welche ein graues Fell besitzen; das sind die stärksten und gefährlichsten. Ein solcher Bär ist gegen einen kurdischen wie ein Hasp gegenüber einem Sa, vor dem man sich hütet, ohne ihn grad zu fürchten.«

»Und diesen hast Du auch gesehen?« fragte der Bey verwundert.

»Ich habe mit ihm gekämpft.«

»So bist Du Sieger geblieben, denn Du lebst noch. Ihr sollt auch mit unsern Bären kämpfen.«

Er führte uns jetzt in eine Stube, in deren Mitte ein niedriges Sufra stand, um welches fünf Kissen gelegt waren. Nachdem er uns verlassen hatte, erschien eine Frau, und hinter ihr kamen einige Dienerinnen, welche ein kleines Vorgericht auftrugen, für den Fall, daß wir zu sehr Hunger hätten, um bis zum eigentlichen Mahle warten zu können. Es bestand aus einem Karik, welches zuerst gebraten und dann in Sahne gebacken war; dazu kamen getrocknete Weintrauben, eingelegte Maulbeeren und ein Salat von Pflanzenblättern, die ich nicht kannte; es schien eine Nesselart zu sein.

»Ser sere men at – Ihr seid mir willkommen!« grüßte sie. »Wie habt Ihr meinen Vater verlassen, den Nezanum von Spandareh?«

»Wir haben ihn bei gutem Wohlsein verlassen, und auch die Andern hat Allah gesund erhalten,« antwortete ich.

»Nehmet und esset einstweilen und habt die Güte, mir von Spandareh zu erzählen. Es ist eine lange Zeit, daß ich nichts gehört habe.«

Ich erfüllte ihr den Wunsch so ausführlich wie möglich. Sie war ganz glücklich, mit mir über ihre Heimat plaudern zu können, und ließ sogar den Windhund aus dem Stalle holen, um ihm mit den Resten des Zickleins einen Beweis ihrer Freundschaft zu geben. Es gab hier ein Zusammenhalten der Familienglieder, welches mich sehr angenehm berührte.

Als wir ihrer Dienste nicht mehr bedurften, verließ sie uns, und wir machten es uns auf den an die Wand geschobenen Kissen so bequem wie möglich. In diesem süßen Nichtsthun wurden wir durch den Eintritt eines Mannes gestört, den wir nicht erwartet hatten. Es war der verwundete Kurde. Er trug den Arm in einer Binde, die er sich um den Hals befestigt hatte.

»Was willst Du?« frug ich ihn.

»Ein Bakschisch, Herr!«

»Ein Bakschisch? Wofür?«

»Daß ich Dich nicht tödten werde.«

»Ich höre, daß Dich das Fieber noch nicht verlassen hat. Wenn Einer von uns Beiden aus dem Grunde, welchen Du angibst, ein Bakschisch verdient hat, so bin nur ich es allein. Ich habe Dir nicht bloß versprochen, Dich nicht zu tödten, sondern Dir bereits das Leben erhalten, als Du Dich unter den Zähnen meines Hundes befandest. Was aber hast Du für mich gethan? Nach mir geschossen und gestochen hast Du. Und dafür verlangst Du ein Bakschisch? Gehe schnell fort, damit Du nicht hörest, daß wir über Dich lachen müssen!«

»Herr, nicht dafür, daß ich auf Dich geschossen und nach Dir gestochen habe, verlange ich ein Bakschisch, sondern dafür, daß ich den Blutpreis angenommen habe.«

»Den Blutpreis? Von wem?«

»Vom Bey. Er hat ihn bezahlt.«

»Wie viel hat er gegeben?«

»Ein Pferd, eine Luntenflinte und fünfzig Schafe.«

»Also bedeutend weniger, als Du von mir verlangtest.«

»Er ist mein Scheik; ich mußte auf ihn hören. Aber weil es so wenig ist, darum sollst Du mir ein Bakschisch geben.«

»Wäre ich ein freier, stolzer Kurde, ich würde nicht wie ein türkischer Hammal um ein Bakschisch betteln. Da Du es aber dennoch thust, so sollst Du es erhalten; aber nicht jetzt, sondern erst dann, wenn wir Abschied nehmen.«

»Wie viel wirst Du mir geben?«

»Das kommt ganz darauf an, wie Du Dich gegen uns verhalten wirst.«

»Und wird unser Nezanum auch etwas erhalten?«

»Hat er Dir geboten, mich darüber zu fragen?«

»Ja, er that es.«

»So sage ihm, daß ich nur dann einem Dilendschi etwas gebe, wenn er selbst mich bittet. Ist der Nezanum ein Mann, der von der Empfehlung des Propheten lebt, so soll er von Jedem von uns gern eine Gabe erhalten; aber er mag dann selbst zu uns kommen. Übrigens habe ich ihm bereits das Leben seines Sohnes geschenkt, und das ist mehr als jede andere Gabe.«

Der Kurde ging. Er hatte den Blutpreis erhalten, aber sein Gesicht sah ganz so aus, als ob ich mich hüten müsse, ihm einmal unter andern Umständen zu begegnen.

»Was wollte der Kerl?« frug Lindsay.

»Der Bey hat ihm an unserer Stelle den Blutpreis bezahlt, und nun – –«

»Wie? Der Bey?«

»Aus Gastlichkeit!«

»Nobel! Sehr nobel! Yes! Wie viel?«

»Ein Pferd, eine Luntenflinte und fünfzig Schafe.«

»Wie viel ist dies an Geld?«

»Nicht mehr als fünf Pfund oder hundert Mark.«

»Werde es ihm wiedergeben.«

»Das wäre eine große Beleidigung, Sir. Wir müssen das durch ein Geschenk auszugleichen suchen.«

»Gut! Schön! Was geben wir?«

»Darüber wollen wir uns den Kopf jetzt noch nicht zerbrechen.«

»Und nun verlangt dieser Mensch noch ein Bakschisch? – Master, was heißt auf Kurdisch ein Backenstreich, eine Ohrfeige oder eine Maulschelle?«

»Sileik.«

»Well! Warum habt Ihr ihm nicht einige Sileiks gegeben?«

»Weil es nicht am Platze war. Ich habe ihm im Gegentheil ein Bakschisch versprochen, welches er erhalten soll, sobald wir von hier fortgehen.«

»So erlaubt, daß ich es ihm gebe. Soll ihm zugleich zur Erinnerung und Besserung dienen!«

Als der Bey seine Amtsgeschäfte erledigt hatte, kam er, um uns hinab in den Hof zu führen, wo das Mahl eingenommen werden sollte. Es waren zu demselben wohl an die vierzig Personen geladen, und außerdem kamen noch viele Andere, um sich nach orientalischer Sitte ganz ungenirt selbst zu Gaste zu bitten.

Gegen Ende des Mahles stellte es sich heraus, daß die Speisen nicht für Alle langten, und so erhielten die ›Trollgäste‹ ein lebendiges Schaf, welches sie sich gleich selbst zubereiteten. Der Eine machte ein Loch in die Erde; Andere holten Steine und Holz zur Feuerung herbei. Derjenige, welchen die Wahl getroffen hatte, ergriff das Schaf, schnitt ihm die Kehle durch und hing es mit den zusammengebundenen Vorderbeinen an einen Balkenpflock auf. Die Eingeweide wurden nicht herausgenommen, sondern der Kurde nahm einen Mund voll Wasser, hielt die Lippen an .... des Thieres und blies das Wasser hinein. Er fuhr in dieser possierlichen Beschäftigung so lange fort, bis die Eingeweide vollständig aufgebläht und nach oben hinaus ausgespült waren. Dann wurden die Gedärme in so viele Stücke zerschnitten, als Männer von dem Schafe essen sollten; auch das Fleisch des Schafes wurde in eben so viele Theile zerlegt. Nun wickelte ein jeder sein Stück Darm um sein Fleisch und legte dieses Präparat in das mit den Steinen ausgekleidete Loch, über welches ein Feuer angemacht wurde. Schon nach kurzer Zeit ward dasselbe hinweggenommen, und die halbgaren Stücke gingen zwischen den Zähnen der Kurden ihrer nützlichen Bestimmung entgegen.

Nach dem Essen zeigte uns der Bey seinen Stall. Es befanden sich in demselben über zwanzig Pferde, doch war unter ihnen nur ein Schimmel, der einer besonderen Aufmerksamkeit würdig war. Dann gab es Kampfspiele und Lieder, zu denen ein zweisaitiges Tambur die Begleitung wimmerte, und endlich wurden von einem Manne Märchen und Geschichten erzählt, Geschichten, Tschiroka: Baka ki mir – vom sterbenden Frosch; Gur bu schevan – der Wolf als Hirt; Schyeri kal – der alte Löwe; Ruvi u bizin – der Fuchs und die Ziege.

Die Versammlung hörte diesen Vorträgen mit größter Aufmerksamkeit zu, mir aber war es sehr lieb, als sie zu Ende waren und wir uns zur Ruhe begeben konnten. Zu diesem Zweck führte uns der Bey in eine große Stube, an deren Wänden rundum Diwans standen, welche uns zum Lager dienen sollten. Da in diesem Raume gar nichts Merkwürdiges zu bemerken war, so wunderte ich mich über die gespannten Blicke, mit denen der Bey uns beobachtete. Es waren ganz die Blicke eines Menschen, welcher erwartet, daß man bei ihm eine außerordentliche Entdeckung machen und bewundern werde. Endlich erkannte ich aus der so oft wiederkehrenden Richtung seiner Augen den Gegenstand, den wir entdecken und bewundern sollten, und natürlich brach ich sofort in das größtmögliche Erstaunen aus:

»Was ist das! Oh, Bey, mit welch einem großen Reichthum hat Allah Dich gesegnet! Deine Schätze sind größer als diejenigen des Bey von Rewandoz oder des Beherrschers von Dschulamerik!«

»Was meinst Du, Emir?« frug er mit einer gewissen Koketterie.

»Ich meine das kostbare Dscham, mit welchem Du Deinen Palast geschmückt hast.«

»Ja, es ist sehr selten und theuer,« antwortete er mit stolzer Bescheidenheit.

»Von wem hast Du es?«

»Ich kaufte es von einem Israel, der es aus Mossul brachte, um es dem Schah von Persien zu verehren.«

Es wäre unhöflich gewesen, nach dem Preise zu fragen. Der Jude hatte das Märchen vom persischen Schah erfunden und den Bey jedenfalls ganz tüchtig geprellt. Das Glas war nämlich ein kleines Stück einer zerbrochenen Fensterscheibe und hatte die Größe von kaum zwei Mannshänden. Es war als der größte Schmuck des Zimmers an das geölte Papier des Fensters geklebt worden und ließ den Raum nun allerdings über alle Nebenbuhlerschaft erhaben erscheinen. Der Bey wünschte uns eine gute Nacht in dem Bewußtsein, uns mit diesem Fenster außerordentlich imponirt zu haben.

Wir waren müde und sehnten uns nach Ruhe, die wir nun in vollkommener Sicherheit genießen konnten.

So endete unsere Reise von Amadijah nach Gumri.

Und nun lege ich einstweilen die Feder weg, mit dem Vorbehalte, ein anderes Mal den geneigten Lesern des ›Deutschen Hausschatzes‹ meine ferneren Erlebnisse in Kurdistan zu erzählen.

Wir schliefen gut im Hause des Bey von Gumri.Sieh S. 139 des ›Deutschen Gausschatzes‹ D.R.


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