Karl May
Durchs wilde Kurdistan
Karl May

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Wir ritten weiter. Der Weg ging bergab in das Thal von Amadijah hinunter. Dieses Thal wird von einer Sandsteinablagerung gebildet und von sehr vielen Schluchten durchschnitten, in denen rauschende Waldbäche strömen. Sie führen alle ihr Wasser dem Zab entgegen. Die Schluchten und Gelände sind mit kräftigen Eichenwaldungen bestanden, die bedeutende Galläpfelernten liefern, mit denen die Bewohner einen einträglichen Handel treiben. In der Ebene liegen zahlreiche chaldäische Dörfer, die aber entweder öde und verlassen sind, oder nur wenige Bewohner zählen, da die Chaldäer sich vor den Bedrückungen der Türken und den Einfällen räuberischer Kurdenstämme gern in die Berge zurückziehen.

Durch diese Landschaft, deren Eichen mich heimatlich anmutheten, ritten wir unserm Ziele entgegen.

»Darf ich reden?« frug Lindsay leise.

»Ja. Wir sind ja unbelauscht.«

»Aber der Kurde hinter uns?«

»Kommt nicht in Betracht.«

»Well!«

»Dorf hieß Spandareh?«

»Ja.«

»Wie Euch gefallen?«

»Sehr. Und Euch, Sir?«

»Prächtig! Guter Wirth, gute Wirthin, feines Essen, schöner Tanz, prachtvoller Hund!«

Bei dem letzten Worte blickte er auf das Windspiel, welches neben meinem Pferde hertrabte; ich war so vorsichtig gewesen, es mittels einer Leine an meinen Steigbügel zu binden. Übrigens hatte der Hund bereits Freundschaft mit meinem Pferde geschlossen und schien es genau zu wissen, daß ich sein Herr geworden sei. Er blickte mit seinen großen, klugen Augen sehr aufmerksam zu mir empor.

»Ja,« antwortete ich. »Alles war schön, besonders das Essen.«

»Excellent! Sogar Taube und Beefsteaks!«

»Hm! Glaubt Ihr wirklich an die Taube?«

»Well! Warum nicht?«

»Weil es keine war.«

»Nicht? Keine Taube. War welche!«

»War keine!«

»Was sonst?«

»Es war das Thier, das von den Zoologen den lateinischen Namen Vespertilio murinus oder myotis erhalten hat.«

»Bin kein Zoologe. Auch nicht Latein!«

»Diese Taube heißt gewöhnlich Fledermaus.«

»Fleder – – –«

Er hielt inne. Seine Geschmacks- und Verdauungsnerven wurden beim Klange dieses Wortes in eine Anstrengung versetzt, durch welche sein Mund in eine trapezoide und perennirende Höhlenöffnung verwandelt wurde, in welcher man die schönste Entdeckungsreise vornehmen konnte. Sogar die lange Nase schien in Mitleidenschaft gezogen zu sein, denn ihre Spitze bekam jene weiße Färbung, von welcher der Dichter gesungen haben soll: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß mir so traurig ist!«

»Ja, Fledermaus war es, Sir. Fledermaus habt Ihr gegessen.«

Er hielt sein Pferd an und starrte in das Blaue.

Endlich hörte ich einen lauten Klapp; der Mund war wieder zugefallen, und ich ahnte, daß ihm nun auch das Vermögen, seine Gefühle in Worte zu fassen, zurückgekommen sei.

»– – – maus!!!«

Mit dieser kleinen Silbe setzte er das vorhin begonnene »Fleder – – –« fort; dann langte er von seinem Pferde herüber und faßte mich am Arme.

»Sir!«

»Was?«

»Vergeßt die Achtung nicht, die man einem jeden Gentleman schuldig ist!«

»Habe ich sie Euch gegenüber vergessen?«

»Sehr, sage ich!«

»In wie fern?«

»Wie könnt Ihr behaupten, daß Sir David Lindsay Fledermäuse ißt!«

»Fledermäuse? Ich habe nur von einer einzigen gesprochen.«

»Gleich! Eine oder mehrere, die Injurie bleibt sich gleich. Ihr werdet mir Genugthuung geben! Satisfaktion! Well!«

»Die habt Ihr ja bereits!«

»Ich habe? Ich hätte? Ah! Wie?«

»Ihr habt eine Satisfaktion erhalten, die Euch vollständig genügen wird.«

»Welche? Weiß von keiner!«

»Ich habe selbst auch Fledermaus gegessen; auch Mohammed Emin.«

»Auch? Ihr und er? Ah!«

»Ja. Auch ich hielt es für Taube. Als ich mich aber erkundigte, hörte ich, daß es Fledermaus sei.«

»Fledermaus hat Häute!«

»Waren weggeschnitten.«

»Also wirklich wahr?«

»Wirklich.«

»Kein Scherz, kein Spaß?«

»Ernst!«

»Fürchterlich! Oh! Bekomme Kolik, Cholera, Typhus, oh!«

Er machte ein wirkliches Choleragesicht; ich mußte Erbarmen zeigen:

»Fühlt Ihr Euch unwohl, Sir?«

»Sehr! Yes!«

»Soll ich helfen?«

»Schnell! Womit?«

»Mit einem homöopathischen Mittel.«

»Habt Ihr eins? Mir ist wirklich übel! Armselig! Welches Mittel?«

»Similia Similibus.«

»Wieder Zoologe? Latein?«

»Ja. Latein ist es: Gleiches mit Gleichem. Und zoologisch ist es auch, nämlich Heuschrecken.«

»Was! Heuschrecken?«

»Ja, Heuschrecken.«

»Gegen das Übelsein? Soll ich essen?«

»Ihr sollt sie nicht essen, sondern Ihr habt sie bereits gegessen.«

»Habe bereits? Ich?«

»Ja.«

»Dulness, Dummheit! Unmöglich! Wann?«

»Gestern Abend.«

»Ah! Erklärung!«

»Ihr sagtet vorhin, die Beefsteaks seien sehr gut gewesen.«

»Sehr! Ungeheuer gut! Well!«

»Es waren keine Beefsteaks.«

»Keine? Keine Beefsteaks! Bin Englishman! Waren welche!«

»Waren keine! Ich habe ja gefragt.«

»Was sonst?«

»Es waren in Olivenöl gebratene Heuschrecken. Wir Deutsche nennen diese delicaten Springer sogar zuweilen Heupferde.«

»Heu – – –«

Wieder blieb ihm wie vorhin das Wort auf halbem Wege stecken, aber diesmal gestattete er seinem Munde nicht, allzu offenherzig zu werden, sondern er preßte die Lippen mit solcher Charakterstärke zusammen, daß sie ihre Ausdehnung, anstatt in die Weite, so sehr in die Breite nahmen, daß es ihm bei nur einigem guten Willen möglich gewesen wäre, mit jedem Mundwinkel ein Ohrläppchen abzukneipen. Und die Nase war über das Verschwinden der ihr so sympathischen Öffnung so bestürzt, daß sie ihre Spitze weit herunter bog, um nachzusehen, wie dem Verluste abzuhelfen sei.

Da endlich näherten sich die Dimensionen wieder ihrem früheren Zustande; die Restitutio in integrum stellte sich ein, und die Lippen ließen von einander ab.

»– – – pferde!«

So ließ er denn die Fortsetzung seines unterbrochenen »Heu – – –« vernehmen, und die Nasenspitze schnellte sich befriedigt in die Höhe.

»Ja, Heupferde habt Ihr gegessen.«

»Ah! Schauderhaft! Habe sie ja aber gar nicht geschmeckt!« »Wißt Ihr so genau, wie sie schmecken?«

Er machte mit Armen und Beinen eine Bewegung, als wolle er sich auf dem Pferde um seine eigene Achse drehen.

»No, at no time, niemals!«

»Ich versichere Euch, daß es Heuschrecken waren. Sie werden geröstet und zerrieben; dann legt man sie in die Erde, bis sie haut gout erhalten, und schmort sie in dem Öle der friedlichen Olive. Ich habe mir dieses Recept von der Frau des Dorfältesten geben lassen und weiß also sehr genau, was ich sage.«

»Entsetzlich! Bekomme Magenkrampf!«

»Seid Ihr mit meiner Satisfaktion zufrieden?«

»Habt auch Heupferd gegessen?«

»Nein.«

»Nicht? Warum nicht?«

»Weil ich keines vorgesetzt bekam.«

»Nur ich?«

»Nur Ihr allein; jedenfalls als ehrenvolle Auszeichnung für Euch, Sir!«

»Habt Ihr gewußt?«

»Erst nicht. Aber während Ihr aßt, frug ich.«

»Warum mir nicht gleich gesagt?«

»Weil Ihr jedenfalls etwas gethan hättet, wodurch unser Wirth beleidigt worden wäre.«

»Master, will mir das verbitten! Yes! Hinterlist! Heimtücke! Schadenfreude! Werde mich mit Euch schlagen, boxen oder – – –«

Er hielt inne, denn es fiel ein Schuß, und die Kugel riß mir einen Fetzen aus dem Turban.

»Herab, und hinter die Pferde gestellt!« rief ich.

Zugleich warf ich mich vom Pferde, keinen Augenblick zu früh, denn ein zweiter Knall ertönte, und die Kugel pfiff über mich hinweg. Mit einem schnellen Griffe zog ich die Schnur, an welche der Hund gebunden war, aus dem Halsbande desselben.

»Sert – halte fest!«

Nur einen kurzen Laut stieß der Hund aus, der fast so klang, als ob er mir sagen wollte, daß er mich verstanden habe; dann schoß er in das Gebüsch.

Wir befanden uns in einer Schlucht, deren Seiten von dicht stehenden jungen Eichen bewachsen waren. Selbst einzudringen, war zu gefährlich, da wir uns der Waffe des unsichtbaren Schützen ausgesetzt hätten. Wir schützten uns durch die Körper unserer Pferde und horchten.

»Maschallah! Wer mag es sein?« frug Mohammed Emin.

»Der Arnaute,« antwortete ich.

Da hörten wir einen Schrei und gleich darauf ein lautes, rufendes Anschlagen des Hundes.

»Dojan hat den Täter,« meinte ich so ruhig wie möglich. »Buluk Emini, geh hin, und hole ihn!«

»Allah illa Allah! Emir, ich bleibe; es könnten Zehn oder gar Hundert sein, und dann wäre ich verloren!«

»Und Dein Esel wäre ein Waisenkind geworden, Du Hasenfuß! Paß auf die Pferde auf! Kommt!«

Wir drangen in das harte Gestrüpp ein und brauchten nicht weit zu gehen. Ich hatte mich nicht geirrt; es war der Arnaute. Der Hund stand nicht, sondern er lag auf ihm, und zwar in einer Stellung, welche mich über die außergewöhnliche Klugheit des Thieres erstaunen ließ. Der Arnaute hatte nämlich seinen Dolch gezogen, um sich gegen den Angreifer zu vertheidigen; der Hund hatte also eine mehrfache Aufgabe. Darum hatte er ihn niedergerissen und sich so auf den rechten Arm des Arnauten gelegt, daß dieser denselben nicht bewegen konnte. Dabei hielt er ihn mit den Zähnen am Halse, zwar leicht, aber doch so, daß der Überwundene bei der geringsten Bewegung verloren war.

Ich nahm dem Meuchler erst den Dolch aus der Hand und dann die eine Pistole aus dem Gürtel; die andere, abgeschossene lag am Boden; er hatte sie beim Angriffe des Hundes fallen lassen.

»Geri – zurück!«

Auf diesen Befehl ließ Dojan den Arnauten los. Dieser erhob sich und griff sich unwillkürlich an den Hals.

»Mensch, Du mordest ja! Soll ich Dich niederschlagen?«

»Sihdi, befiehl es, und ich hänge ihn auf!« bat Halef.

»Pah! Er hat Keinen von uns getroffen. Laßt ihn laufen!«

»Emir,« meinte Mohammed, »er ist ein wildes Thier, welches unschädlich gemacht werden muß!«

»Er hat auf mich geschossen und wird keine Gelegenheit haben, es wieder zu thun. Packe Dich, Schurke!«

Im Nu war er zwischen den Büschen verschwunden. Der Hund wollte ihm augenblicklich folgen, aber ich hielt ihn zurück.

»Sihdi, wir müssen ihm nach; er ist ein Arnaute und bleibt uns gefährlich!« rief Halef.

»Wo will er uns gefährlich sein? Etwa in Amadijah? Dort darf er sich nicht sehen lassen, sonst lasse ich ihm den Prozeß machen.«

Auch Mohammed und der Engländer erhoben heftigen Widerspruch, aber ich kehrte zu den Pferden zurück und stieg auf. Der Hund folgte mir ungeheißen; ich merkte, daß ich ihn nicht anzubinden brauchte, und fand dies in der Folge auch bestätigt.

Gegen Mittag erreichten wir ein kleines Dorf, Namens Bebadi; es sah sehr ärmlich aus und hatte nestorianische Bewohner, wie ich zu bemerken glaubte. Wir machten da eine kurze Rast und hatten Mühe, zu unserm Proviant einen Schluck Scherbet zu erhalten.

Nun hatten wir den kegelförmigen Berg vor uns, auf welchem Amadijah liegt. Wir erreichten es sehr bald. Zur Rechten und zur Linken des Weges, der uns emporführte, bemerkten wir Fruchtgärten, welche eine leidliche Pflege zu genießen schienen; der Ort selbst aber machte schon von außen keinen sehr imponirenden Eindruck auf uns. Wir ritten durch ein Thor, welches jedenfalls einmal ganz verfallen und dann nur nothdürftig ausgebessert worden war. Einige zerlumpte Arnauten standen da, um Sorge zu tragen, daß kein Feind die Stadt überfalle. Einer von ihnen ergriff mein Pferd, und ein Anderer das des Haddedihn beim Zügel.

»Halt! Wer seid Ihr?« frug er mich.

Ich deutete auf den Buluk Emini.

»Siehst Du nicht, daß wir einen Soldaten des Großherrn bei uns haben? Er wird Dir Antwort geben.«

»Ich habe Dich gefragt, aber nicht ihn!«

»Fort, auf die Seite!«

Bei diesen Worten nahm ich mein Pferd in die Höhe; es that einen Sprung, und der Mann fiel auf die Erde. Mohammed folgte meinem Beispiele, und wir ritten davon. Hinter uns aber hörten wir die Arnauten fluchen und den Baschi-Bozuk sich mit ihnen zanken. Ein Mann begegnete uns, der einen langen Kaftan trug und ein altes Tuch um den Kopf geschlungen hatte.

»Wer bist Du, Mann?« frug ich ihn.

»Herr, ich bin ein Jehudi. Was befiehlst Du mir?«

»Weißt Du, wo der Mutesselim wohnt?«

»Ja, Herr.«

»Führe uns nach seinem Serai!«

Je sicherer man im Oriente auftritt, desto freundlicher wird man behandelt. Zudem war dieser Mann ein Jude, also nur ein in Amadijah Geduldeter; er wagte es nicht, sich zu widersetzen. Wir wurden von ihm durch eine Reihe von Gassen und Bazars geführt, welche alle den Eindruck des Verfalles auf mich machten.

Diese wichtige Grenzfestung schien sehr vernachlässigt zu werden. Es gab kein Leben in den Straßen und Läden; nur wenige Menschen begegneten uns, und diejenigen, welche wir sahen, hatten ein krankhaftes, gedrücktes Aussehen und waren lebende Zeugnisse für die bekannte Ungesundheit dieser Stadt.

Der Serai verdiente seinem Äußern nach den Namen eines Palastes nicht im Geringsten. Er glich einer ausgebesserten Ruine, vor deren Eingang nicht einmal eine Wache zu sehen war. Wir stiegen ab und übergaben Halef, dem Kurden und dem Buluk Emini, welcher uns wieder eingeholt hatte, unsere Pferde. Nachdem der Jude ein Geschenk erhalten hatte, wofür er sich enthusiastisch bedankte, traten wir ein.

Erst nachdem wir einige Gänge durchwandert hatten, kam uns ein Mann entgegen, der bei unserem Anblick seinen langsamen Gang in einen schnellen Lauf verwandelte.

»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier?« frug er mit zorniger Stimme.

»Mann, rede anders, sonst werde ich Dir zeigen, was Höflichkeit ist! Wer bist Du?«

»Ich bin der Nazardschi dieses Palastes.«

»Ist der Mutesselim zu sprechen?«

»Nein.«

»Wo ist er?«

»Ausgeritten.«

»Das heißt, er ist daheim und hält seinen Kef!«

»Willst Du ihm gebieten, was er thun und lassen soll?«

»Nein; aber ich will Dir gebieten, mir die Wahrheit zu sagen!«

»Wer bist Du, daß Du so mit mir redest? Bist Du ein Ungläubiger, daß Du es wagst, mit einem Hunde in den Palast des Commandanten einzutreten?«

Er hatte Recht, denn neben mir stand der Windhund und beobachtete uns mit Augen, die mir deutlich sagten, daß er nur auf meinen Wink warte, um sich auf den Türken zu stürzen.

»Stelle Wachen vor das Thor,« antwortete ich ihm; »dann wird Niemand Zutritt erhalten, dem derselbe nicht erlaubt worden ist. In welcher Zeit kann ich mit dem Mutesselim sprechen?«

»Zur Zeit der Abenddämmerung.«

»Gut. So sage ihm, daß ich kommen werde!«

»Und wenn er mich fragt, wer Du bist?«

»So sagst Du, ich sei ein Freund des Mutessarif von Mossul.«

Er wurde verlegen; wir aber kehrten um und stiegen wieder zu Pferde, um uns eine Wohnung zu suchen. Eine solche war eigentlich sehr leicht zu finden, denn wir bemerkten, daß viele Häuser leer standen; doch konnte es nicht meine Absicht sein, heimlich von einem derselben Besitz zu ergreifen.

Indem wir so, die Gebäude musternd, dahinritten, kam uns eine riesige, martialische Gestalt entgegen. Der Mann ging breitspurig wie ein osterländischer Zwölfspänner. Seine Sammtjacke war ebenso wie seine Hose von Goldstickereien bedeckt; seine Waffen hatten keinen geringen Wert, und von dem Tschibuk, welchen er mit großem Selbstbewußtsein im Gehen rauchte, hingen, wie ich später zählte, vierzehn seidene Quasten herab. Er blieb seitwärts von uns stehen, um meinen Rappen mit wichtiger Kennermiene zu betrachten. Ich hielt an und grüßte ihn.

»Sallam!«

»Aaleïkum!« antwortete er mit einem stolzen Neigen seines Hauptes.

»Ich bin hier fremd und mag mit keinem Birkadschi reden. Erlaube, daß ich mich bei Dir erkundige!« sagte ich wenigstens ebenso stolz.

»Deine Rede sagt mir, daß Du ein Effendi bist. Ich werde Deine Frage beantworten.«

»Wer bist Du?«

»Ich bin Selim Agha, der Befehlshaber der Albanesen, welche diese berühmte Festung vertheidigen.«

»Und ich bin Kara Ben Nemsi, ein Schützling des Padischah und Abgesandter des Mutessarif von Mossul. Ich suche mir ein Haus in Amadijah, in dem ich einige Tage wohnen kann. Kannst Du mir eins nennen?«

Er ließ sich zu einer Bewegung militärischer Ehrerbietung herab und meinte:

»Allah segne Deine Hoheit, Effendi! Du bist ein großer Herr, der in dem Palaste des Mutesselim Aufnahme finden muß.«

»Der Aufseher des Palastes hat mich fortgewiesen, und ich – – –«

»Allah verderbe diese Creatur,« unterbrach er mich. »Ich werde gehen, um ihn in Stücke zu zerreißen!«

Er rollte die Augen und fuchtelte mit beiden Armen. Dieser Mann war wohl nur ein Bramarbas gewöhnlicher Sorte.

»Laß diesen Menschen! Er soll nicht die Ehre haben, Gäste bei sich zu sehen, die ihm viel Bakschisch bringen.«

»Bakschisch?« frug der Tapfere. »Du gibst viel Bakschisch?«

»Ich pflege damit nicht zu geizen.«

»Oh, so weiß ich ein Haus, in welchem Du wohnen und rauchen kannst, wie der Schah-in-Schah von Persien. Soll ich Dich führen?«

»Zeige es mir!«

Er wandte sich wieder um und schritt voran. Wir folgten. Er führte uns durch einige leere Bazargassen, bis wir vor einem kleinen offenen Platze hielten.

»Das ist der Meidan jüdschelikün, der ›Platz der Größe‹,« erklärte er.

Dieser Platz hatte alle möglichen Eigenschaften, nur groß war er nicht, und grad darum jedenfalls hatte man ihm diesen hochtrabenden Namen gegeben. Daß ich mich in einer türkischen Stadt befand, sah ich hier sehr genau; denn es lungerten wohl an die zwanzig herrenlose Hunde auf diesem Meidan jüdschelikün herum, unter denen mehrere räudig waren. Bei dem Anblick meines Hundes erhoben sie ein wütendes Geheul, dem aber Dojan, wie ein Pascha einem Haufen von Bettlern gegenüber, keine Aufmerksamkeit schenkte.

»Und hier ist das Haus, welches ich meine,« fügte der Agha hinzu.

Er zeigte dabei auf ein Gebäude, welches die ganze eine Fronte des Platzes einnahm und gar kein übles Aussehen hatte. Es zeigte nach vorn heraus mehrere Pengdscheri, welche mit hölzernen Gitterstäben versehen waren, und um das platte Dach lief ein Schutzgeländer, gewiß ein großer Luxus hier zu Lande.

»Wer wohnt in diesem Hause?« frug ich.

»Ich selbst, Effendi,« antwortete er.

»Und wem gehört es?«

»Mir.«

»Du hast es gekauft oder gemiethet?«

»Keines von beidem. Es war Eigenthum des berühmten Ismaïl Pascha und blieb seitdem herrenlos, bis ich es in Besitz nahm. Komm, ich werde Dir Alles zeigen!«

Dieser wackere Befehlshaber der Arnauten hatte jedenfalls großes Wohlgefallen an meinem Bakschisch gefunden. Doch war mir sein Anerbieten sehr willkommen, da ihn seine Stellung befähigte, mir über alles Nöthige die gewünschte Auskunft zu geben. Wir stiegen vor dem Hause ab und traten ein. Im Flure hockte ein altes Weib, welches Zwiebeln schälte und dabei mit thränenden Augen die abgefallenen Schalen kaute. Ihrem Aussehen nach war sie entweder die Urgroßmutter des ewigen Juden, oder die von dem Tode ganz vergessene Tante von Methusalem.

»Höre, meine süße Mersinah, hier bringe ich Dir Männer!« redete er sie in sehr liebenswürdigem Tone an.

Sie konnte uns vor Thränen nicht sehen und wischte sich daher mit der Zwiebel, die sie grad in der Hand hielt, die Augen aus, so daß das Wasser sich verdoppelte.

»Männer?« frug sie mit einer Stimme, welche dumpf wie die Antwort eines Klopfgeistes aus dem zahnlosen Munde hervorklang.

»Ja, Männer, die in diesem Hause wohnen werden.«

Sie warf die Zwiebeln von sich und sprang mit jugendlicher Schnelligkeit vom Boden auf.

»Wohnen? Hier in diesem Hause? Bist Du toll, Selim Agha?«

»Ja, meine liebliche Mersinah, Du wirst die Meichanedscha dieser Männer sein und sie bedienen.«

»Wirthin? Bedienen? Allah kerihm! Du bist wirklich verrückt geworden! Habe ich nicht bereits Tag und Nacht zu arbeiten, um nur mit Dir allein fertig zu werden! Jage sie fort, fort auf der Stelle; das befehle ich Dir!«

Er wurde ein wenig verlegen; das war ihm anzumerken. Die ›süße, liebliche‹ Mersinah schien hier ein sehr kräftiges Scepter zu führen.

»Deine Arbeit soll nicht größer werden, meine Taube. Ich werde ihnen eine Kyzla halten, die sie bedienen wird.«

»Eine Kyzla?« frug sie, und dabei klang ihre Stimme nicht mehr dumpf und hohl, sondern kreischend und überschnappend, als ob der rosige Mund der lieblichen Taube sich in einen Klarinettenschnabel verwandelt hätte. »Eine Kyzla! Und wohl eine junge, hübsche Kyzla, he?«

»Das kommt auf diese Männer an, Mersinah.«

Sie stemmte die Arme in die Hüften, eine Bewegung, welche dem Oriente ebenso eigenthümlich ist, wie dem Abendlande, und holte tief Athem. Dies war ein Zeichen, daß sie einen bedeutenden Luftvorrath brauchen werde, um ihre angestammte Herrschaft mit dem nothwendigen Nachdrucke vertheidigen zu können.

»Auf diese Männer? Auf mich kommt es an! Hier bin ich die Herrin! Hier habe ich allein zu befehlen! Hier habe ich zu bestimmen, was geschehen soll, und ich gebiete Dir, diese Männer fortzujagen! Hörst Du, Selim Agha? Fort, augenblicklich!«

»Aber es sind ja gar keine Männer, meine einzige Mersinah!«

Mersinah, was im Deutschen Myrte bedeutet, wischte sich die Äuglein abermals aus und betrachtete uns sehr genau. Ich selbst war etwas erstaunt über diese Behauptung des Agha. Was denn eigentlich sollten wir sein, wenn wir keine Männer waren?

»Nein,« antwortete er. »Es sind keine Männer, sondern Effendi's, große Effendi's, die unter dem Schutze des Großherrn stehen.«

»Was geht mich der Großherr an! Hier bin ich die Großherrin, die Sultanin Valide, und was ich sage, das – – –«

»Aber so höre doch! Sie werden ein sehr gutes Bakschisch geben!«

Bakschisch hat im Oriente eine zauberhafte Wirkung; es schien auch hier das richtige erlösende Wort zu sein. Die ›Myrte‹ ließ die Arme sinken, versuchte ein einlenkendes Lächeln, welches aber in ein höhnisches Grinsen ausartete, und wandte sich an Master David Lindsay:

»Ein großes Bakschisch? Ist das wahr?«

Der Gefragte schüttelte den Kopf und deutete auf mich.

»Was ist mit diesem?« frug sie mich. »Ist er übergeschnappt?«

»Nein,« antwortete ich. »Laß Dir sagen, wer wir sind, Du Seele dieses Hauses! Dieser Mann, den Du jetzt fragtest, ist ein sehr frommer Pilger aus Londonistan; er gräbt mit seiner Hacke, die Du hier siehst, in die Erde, um die Sprache der Verstorbenen zu belauschen, und hat ein Gelübde gethan, kein Wort zu reden, bis er die Erlaubniß dazu hat.«

»Ein Frommer, ein Heiliger, ein Zauberer?« frug sie erschrocken.

»Ja. Ich warne Dich, ihn zu beleidigen! Dieser andere Mann ist der Anführer eines großen Volkes weit im Westen von hier, und ich bin ein Emir derjenigen Krieger, welche die Frauen verehren und Bakschisch geben. Du bist die Sultana dieses Hauses. Erlaube uns, es zu besehen, ob wir für einige Tage darinnen wohnen können!«

»Effendi, Deine Rede duftet nach Rosen und Nelken; Dein Mund ist weiser und klüger als das Maul dieses Selim Agha, der stets vergißt, das Richtige zu sagen, und Deine Hand ist wie die Hand Allah's, die Segen spendet. Hast Du viele Diener bei Dir?«

»Nein, denn unser Arm ist stark genug, uns selbst zu beschützen. Wir haben nur drei Begleiter: einen Diener, einen Khawassen des Mutessarif von Mossul und einen Kurden, welcher noch heute Amadijah wieder verlassen wird.«

»So seid Ihr mir willkommen! Seht Euch mein Haus und meinen Garten an, und wenn es Euch bei mir gefällt, so wird mein Auge über Euch wachen und leuchten!«

Sie wischte sich die ›Wachenden‹ und ›Leuchtenden‹ abermals aus und sammelte dann die Zwiebeln vom Boden auf, um uns den Weg zu ebnen. Der tapfere Agha der Arnauten schien mit diesem Ausgange sehr zufrieden zu sein. Er brachte uns zunächst nach einer Stube, welche ihm als Wohnung diente. Sie war sehr geräumig und hatte als einziges Möbel einen alten Teppich, der als Sopha, Bett, Stuhl und Tisch gebraucht wurde. An den Wänden hingen einige Waffen und Tabakspfeifen, und auf dem Boden stand eine Flasche, in deren Nähe einige hohle Eierschalen zu sehen waren.

»Ich heiße Euch willkommen, Ihr Herren,« meinte er. »Laßt uns den Trunk der Freundschaft thun!«

Er bückte sich, um die Flasche nebst den Schalen aufzuheben, und gab von den Letzteren einem Jeden von uns eine in die Hand. Dann schenkte er ein. Es war Raki. Wir tranken aus den hühnerognostischen Pokalen, er aber setzte die Flasche selbst an den Mund und nahm sie nicht eher wieder fort, bis er die beruhigende Überzeugung hatte, daß das scharfe, schwefelsaure Getränk der Bouteille keinen chemischen Schaden mehr thun könne. Dann nahm er uns die Schalen aus der Hand, sog das heraus, was wir noch drin gelassen hatten, und legte sie sehr behutsam auf den Boden nieder.

»Kendim idschad eter – meine eigne Erfindung!« meinte er stolz. »Wundert Ihr Euch, daß ich keine Gläser habe?«

»Du wirst diese schöne Erfindung den Gläsern vorziehen,« antwortete ich.

»Ich ziehe sie vor, weil ich keine Gläser habe. Ich bin Agha der Albanesen und habe als Sold und Taim monatlich dreihundertdreißig Piaster zu bekommen; aber ich warte bereits seit elf Monaten auf dieses Geld. Allah kerihm; Padischah kendisi onu kullar – Gott ist gnädig, und der Sultan braucht es selber!«

Da durfte ich mich allerdings nicht darüber wundern, daß das Wort Bakschisch für ihn eine nachhaltige Bedeutung hatte.

Er führte uns nun in dem Hause herum. Es war geräumig gebaut, aber doch auch bereits in Verfall gerathen. Wir nahmen uns vier Zimmer, eins für Jeden von uns und eins für Halef und den Baschi-Bozuk. Der Preis war gering, fünf Piaster, also eine Mark pro Woche für die Stube.

»Wollt Ihr auch den Garten sehen?« frug er dann.

»Natürlich! Ist er schön?«

»Sehr schön; so schön, wie die Gärten des Paradieses! Du siehst da allerlei Bäume, Kräuter und Gräser, die ich gar nicht kenne. Bei Tage leuchtet über ihm die Sonne, und des Nachts glänzen die Augen der Sterne auf ihn herab. Er ist sehr schön!«

»Regnet es auch auf ihn nieder?« frug ich belustigt.

»Wenn es regnet, erhält er auch sein Theil; ja, es ist zuweilen sogar Schnee auf ihn gefallen. Komm und siehe!«

Im Hofe gab es einen Schuppen, den wir für die Pferde mietheten. Auch er kostete eine Mark. Der Garten maß ungefähr vierzig Schritte im Gevierte, war also sehr unbedeutend. Ich sah eine verkrüppelte Cypresse und einen wilden Apfelbaum. Die ›allerlei Kräuter und Gräser‹ bestanden einfach aus wildem Kendir, ausgewucherter Madanos und einigen notorisch armen Gänseblümchen. Das größte Wunder dieses Gartens aber war ein Beet, auf welchem Soghani, Sarmysak, Kedilan, eine Stachelbeere, mehrere Pilsenkräuter und einige verblühte Veilchen in lieblicher Eintracht neben einander verhungerten.

»Bir güzel bagtsche – ein schöner Garten! Nicht wahr?« frug der Agha, indem er eine gewaltige Tabakswolke auspuffte.

»Güzel-zorli – gewaltig schön!« entgegnete ich.

»Pek bereketli – sehr fruchtbar!«

»Ghajet bereketli- äußerst fruchtbar!«

»Ile tschok güzel dikekler – und viele schöne Pflanzen! Nicht?«

»Syz sajyjü – ohne Zahl!«

»Weißt Du, wer hier gewandelt hat?«

»Wer?«

»Die schönste Rose von Kurdistan. Hast Du niemals von Esma Khan gehört, der keine Andere an Schönheit gleich gekommen ist?«

»Sie war das Weib von Ismaïl Pascha, dem letzten erblichen Sohne der abbassidischen Khalifen?«

»Ja; Du weißt es. Sie führte den Ehrentitel ›Khan‹, wie alle Frauen dieser erlauchten Familie. Er wurde, nämlich Ismaïl Pascha, von dem Indscheh Bairakdar Mohammed Pascha belagert; dieser sprengte die Mauern des Schlosses, welches dann im Sturm genommen wurde. Darauf ging Ismaïl mit Esma Khan als Gefangener nach Baghdad. Hier hat sie gelebt und geduftet. Emir, ich wollte, sie wäre noch hier!«

»Hat sie auch diese Petersilie und diesen Knoblauch gepflanzt?«

»Nein,« antwortete er sehr ernsthaft; »das hat Mersinah, meine Wirthschafterin, gethan.«

»So danke Allah, daß Du an Stelle von Esma Khan diese süße Mersinah bei Dir hast!«

»Effendi, sie ist zuweilen sehr bitter!«

»Darüber darfst Du nicht murren, denn Allah theilt die Gaben sehr verschieden aus. Und daß Du den Duft dieser ›Myrte‹ athmen sollst, das stand ja wohl im Buche verzeichnet.«

»So ist es! Aber sage mir, Emir, ob Du diesen Garten pachten willst!«

»Wie viel verlangst Du dafür?«

»Du bezahlst mir zehn Piaster für die Woche. Dann dürft Ihr Alle in den Garten gehen und an die Esma Khan denken, so oft Ihr wollt!«

Ich zögerte mit der Antwort. Der Garten stieß an die Rückwand eines Gebäudes, in welcher ich zwei Reihen kleiner Löcher bemerkte. Das sah mir recht gefängnißmäßig aus. Ich mußte mich erkundigen:

»Ich glaube nicht, daß ich diesen Garten miethen werde.«

»Warum nicht?«

»Weil mich diese Mauer stört.«

»Diese Mauer? Warum, Effendi?«

»Ich liebe es nicht, in der Nähe eines Gefängnisses zu sein.«

»Oh, die Leute, welche da drinnen stecken, können Dich nicht stören. Ihre Löcher sind so tief, daß sie diese kleinen Fenster gar nicht erreichen können.«

»Ist dies das einzige Gefängniß in Amadijah?«

»Ja. Das andere ist eingefallen. Mein Tschausch hat die Aufsicht über die Gefangenen.«

»Und Du glaubst, daß mich diese nicht stören werden?«

»Du wirst nichts von ihnen sehen und keinen Laut von ihnen hören.«

»So werde ich Dir die zehn Piaster geben. Du hast also in Summa für die Woche fünfunddreißig Piaster von uns zu bekommen. Erlaube, daß ich Dich für die erste Woche jetzt gleich bezahle!«

Er schmunzelte bei diesem Anerbieten vor Vergnügen im ganzen Gesichte. Der Engländer bemerkte, daß ich in die Tasche griff, um zu bezahlen. Er schüttelte den Kopf, zog seine eigne Börse hervor und reichte sie mir. Er konnte eine kleine Erleichterung derselben recht wohl verschmerzen; darum nahm ich drei Mahbub-Zechinen hervor und gab sie dem Agha.

»Hier nimm! Das Übrige ist Bakschisch für Dich.«

Das war mehr als das Doppelte von dem, was er zu erhalten hatte; darum machte er ein sehr vergnügtes Gesicht und meinte sehr respektvoll:

»Emir, der Kuran sagt: ›Wer doppelt gibt, dem wird es Allah hundertfach segnen.‹ Allah ist Dein Schuldner; er wird es Dir reichlich vergelten!«

»Wir brauchen nun Teppiche und Pfeifen für unsere Zimmer. Wo kann man diese geliehen bekommen, Agha?« frug ich ihn.

»Herr, wenn Du noch zwei solche Goldstücke gibst, wirst Du Alles erhalten, was Dein Herz begehrt.«

»Hier hast Du sie!«

»Ich eile, um Euch zu bringen, was Du brauchst.«

Wir verließen den Garten. Im Hofe stand Mersinah, die Seele des Palastes. Ihre Hände waren jetzt von Ruß geschwärzt. Sie rührte mit dem Zeigefinger in einem Gefäße voll zerlassener Butter.

»Emir, wirst Du die Zimmer nehmen?«

Bei dieser Frage mochte ihr einfallen, daß der Finger kein integrirender Theil des Napfes sei; sie zog ihn also heraus und strich ihn sehr behutsam an der herausgestreckten Zunge ab.

»Ich werde sie behalten; auch den Schuppen und den Garten.«

»Er hat bereits Alles bezahlt,« bemerkte der Agha nachdrücklich.

»Wie viel?« frug sie.

»Fünfunddreißig Piaster für die erste Woche.«

Von dem Bakschisch sagte der Schalk nichts. Ob er wohl auch in dieser Beziehung unter dem Paputsch seiner ›Myrte‹ stand? Ich nahm noch eine Mahbub-Zechine aus der Börse und gab sie ihr.

»Hier nimm, Du Perle der Gastfreundschaft! Das ist das erste Bakschisch für Dich. Wenn wir mit Dir zufrieden sind, wirst Du mehr erhalten.«

Sie griff höchst eilfertig zu und steckte das Geld in ihren Gürtel.

»Ich danke Dir, o Herr! Ich werde darüber wachen, daß Du Dich in meinem Hause so wohl befindest, wie im Schooße des Erzvaters Ibrahim. Ich sehe, daß Du der Emir der tapfern Krieger bist, welche die Frauen verehren und Bakschisch geben. Geht hinauf in Eure Zimmer! Ich werde Euch einen steifen Pirindsch machen, mit sehr viel zerlassener Butter darüber!«

Dabei fuhr sie selbstvergessen und ›in der Gewohnheit holder Sitte‹ mit dem Finger wieder in den Napf und begann von Neuem zu rühren. Ihr Anerbieten war ein sehr leutseliges, aber – brrrr!

»Deine Güte ist groß,« antwortete ich, »aber wir haben leider keine Zeit, sie anzunehmen, da wir jetzt ausgehen müssen.«

»Aber Du wünschest doch, daß ich die Speisen für Euch bereite, Emir?«

»Du sagtest doch, daß Du Tag und Nacht zu arbeiten hättest, um nur den Agha zu bedienen; wir dürfen Dich also nicht noch mehr belästigen. Übrigens steht zu erwarten, daß wir oft zu Tische geladen werden, und wenn dies nicht der Fall ist, so werden wir unser Essen beim Jemegidschi holen lassen.«

»Aber das Ehrenmahl darfst Du mir doch nicht versagen!«

»Nun wohl, so siede uns einige Eier; etwas Anderes dürfen wir heute nicht essen.«

Das war das Einzige, was man füglicher Weise aus den Händen der zarten ›Myrte‹ genießen konnte.

»Eier? Ja, die sollst Du haben, Effendi,« antwortete sie geschäftig; »aber wenn Ihr sie esset, so schonet der Schalen, denn Agha Selim gebraucht sie als Becher, und dieser Unvorsichtige ist so unbedachtsam, sie alle zu zerbrechen.«

Wir zogen uns für kurze Zeit in unsere Räume zurück, in denen der Agha bald mit den Decken, Teppichen und Pfeifen erschien, die er sich bei den betreffenden Händlern ausgeliehen hatte. Sie waren neu und darum reinlich, so daß wir zufrieden sein konnten. Dann erschien Mersinah mit dem Deckel einer alten Holzschachtel, welcher als Präsentirteller diente. Auf demselben befanden sich die Eier, welche uns zum Ehrenmahle dienen sollten. Daneben lagen einige halb verbrannte Teigfladen und – auch der berühmte Butternapf stand dabei, umgeben von einigen Eierschalen, in denen sich schmutziges Salz, grob gestoßener Pfeffer und ein sehr zweifelhafter Kümmel befand. Messer oder Eierlöffel gab es natürlich nicht.

Diese lukullische Empfangsgasterei, zu welcher wir die Höflichkeit hatten, auch Mersinah einzuladen, wurde bald und glücklich überwunden. Sie bedankte sich höchlichst für die ihr erwiesene, nie geahnte Ehre und ging mit ihrem ›Alfenidegeschirr‹ in die Küche. Auch der Agha erhob sich.

»Weißt Du, Herr, wohin ich jetzt gehen werde?« frug er.

»Ich werde es wohl hören.«

»Zum Mutesselim. Er soll erfahren, was Du für ein vornehmer Emir bist, und wie Dich der Aufseher seines Palastes behandelt hat.«

Er vollendete sein dienstliches Äußere dadurch, daß er sich die Reste der zerlassenen Butter, welche er mit Mersinah allein genossen hatte, aus dem Schnurrbart strich, und brach auf. Jetzt waren wir allein.

»Darf ich reden, Sir?« frug jetzt Lindsay.

»Ja, Master.«

»Kleider kaufen!«

»Jetzt?«

»Ja.«

»Rothkarrirte?«

»Natürlich!«

»So wollen wir zum Bazar gehen!«

»Aber ich nicht reden! Ihr müßt kaufen, Sir. Hier Geld!«

»Kaufen wir uns nur Kleider?«

»Was noch?«

»Einiges Geschirr, welches wir brauchen und klugerweise dem Agha oder der Haushälterin zum Geschenk machen können. Sodann Tabak, Kaffee und ähnliche Dinge, die sich nicht gut entbehren lassen.«

»Well; bezahle Alles!«

»Wir werden uns zunächst Eurer Börse bedienen und sodann mit einander abrechnen.«

»Pshaw! Bezahle Alles! Abgemacht!«

»Gehe ich mit?« frug Mohammed.

»Wie Du willst. Nur denke ich, daß Du besser thust, Dich so wenig wie möglich sehen zu lassen. In Spandareh hat man Dich auch als einen Haddedihn erkannt, gar nicht gerechnet, daß Du Deinem Sohne sehr ähnlich siehst, was mir auch der dortige Dorfälteste versicherte.«

»So bleibe ich zurück!«

Wir brannten unsere Dschibuks an und gingen. Der Hausflur war mit Rauch erfüllt, und in der Küche hustete die ›Myrte‹. Als sie uns bemerkte, kam sie für einen Augenblick hervor.

»Wo sind unsere Leute?« frug ich sie.

»Bei den Pferden. Du willst gehen?«

»Wir begeben uns nach dem Bazar, um Einiges einzukaufen. Laß Dich nicht stören, Du Hüterin der Küche. Dort läuft Dir das Wasser über.«

»Laß es laufen, Herr. Das Essen wird dennoch fertig!«

»Das Essen? Kochst Du es in diesem großen Kessel?«

»Ja.«

»So ist es jedenfalls nicht für Dich und Selim Agha?«

»Nein. Ich habe für die Esirler zu kochen.«

»Ah! Die sich hier nebenan befinden?«

»Ja.«

»Gibt es viele solche Unglückliche in dem Hause?«

»Noch nicht zwanzig.«

»Die sind alle aus Amadijah?«

»O nein. Es sind mehrere arnautische Soldaten, die sich vergangen haben, einige Chaldäer, ein Kurde, ein paar Einwohner von Amadijah und auch ein Araber.«

»Ein Araber? Araber gibt es hier ja gar nicht!«

»Er wurde von Mossul gebracht.«

»Was bekommen sie zu essen?«

»Brotfladen, die ich backe, und dann des Mittags oder des Nachmittags, ganz wie es mir paßt und gefällt, dieses warme Essen.«

»Worin besteht es?«

»Mehl in Wasser gequirlt.«

»Wer bringt es ihnen?«

»Ich selbst. Der Sergeant öffnet mir die Löcher. Hast Du schon einmal ein Gefängniß gesehen, Emir?«

»Nein.«

»Wenn Du es sehen willst, so darfst Du es mir nur sagen; ich nehme Dich mit.«

»Der Sergeant würde es mir nicht erlauben!«

»Er erlaubt es Dir, denn ich bin seine Herrin.«

»Du?«

»Ja. Bin ich nicht die Herrin seines Agha?«

»Das ist wahr! Ich werde mir einmal überlegen, ob es sich für die Würde eines Emir schickt, ein Gefängniß zu besuchen und Denen, welche dies erlauben, ein gutes Bakschisch zu geben.«

»Es schickt sich, Herr; es schickt sich sehr. Du wirst vielleicht Deine Gnade leuchten lassen auch über die Gefangenen, daß sie mir einige Speisen und auch Tabak abkaufen können, was sie sonst nicht haben!«

Nichts konnte mir lieber sein als die Erfahrung, welche ich hier machte; aber ich war so vorsichtig, eingehendere Fragen jetzt noch zu vermeiden, da ich durch dieselben leicht hätte Verdacht erregen können. Halef, der Buluk Emini und der Kurde aus Spandareh wurden gerufen, uns zu begleiten; dann gingen wir.

Die Bazars waren wie ausgestorben. Kaum daß wir eine Kaffeeschenke fanden, wo uns ein Trank gereicht wurde, der mir sehr nach gebrannten Gerstenkörnern schmeckte. Dort erfuhren wir auch, was die Ursache der jetzigen Leblosigkeit in Amadijah war. Trotz der hohen und freien Berge dieser Stadt ist sie nämlich außerordentlich ungesund, so daß sich bei Anbruch der wärmeren Jahreszeit schleichende Fieber erzeugen. Dann verlassen die Einwohner den Ort und begeben sich in die benachbarten Wälder, um dort in Sommerwohnungen zu leben, welche Jilaks genannt werden.

Nachdem wir den mysteriösen Trank überwunden und uns die Pfeifen neu gestopft hatten, begaben wir uns auf den Kleiderhandel. Der Kaffeewirth hatte uns einen Ort beschrieben, an dem wir das Gesuchte finden könnten. Der Handel wurde unter der schweigsamen Assistenz des Engländers und zu seiner sichtbaren Befriedigung abgeschlossen. Er erhielt ein vollständiges, roth und schwarz karrirtes Gewand für einen verhältnißmäßig billigen Preis. Dann wurden auch die übrigen Einkäufe besorgt und die Diener mit denselben nach Hause geschickt. Der Kurde erhielt als Geschenk einen perlengestickten und gefüllten Tabaksbeutel, den er mit stolzer Genugthuung sofort an seinem Gürtel befestigte, damit dieser Beweis seiner männlichen Würde Jedermann in die Augen falle.

Nun begann ich mit dem Engländer allein einen Gang durch die Stadt, um dieselbe einigermaßen kennen zu lernen, und erhielt die Überzeugung, daß diese einst so wichtige Grenzfestung, auf welche die Türken auch heute noch einen nicht geringen Werth legen, von einigen hundert unternehmenden Kurden leicht überrumpelt werden könne. Die wenigen Soldaten, welche wir trafen, sahen hungrig und fieberkrank aus, und die Vertheidigungswerke befanden sich in einem Zustande, der ihnen alles Recht auf diesen Namen raubte.

Als wir heimkehrten, wartete der Agha bereits meiner.

»Emir, ich harre schon lange auf Dich.«

»Warum?«

»Ich soll Dich zum Mutesselim bringen.«

»Bringen?« frug ich mit lächelnder Betonung dieses Wortes.

»Nein, sondern begleiten. Ich habe ihm Alles erzählt und diesem Aufseher des Palastes die Fäuste unter die Nase gehalten. Allah beschützte ihn, sonst hätte ich ihn vielleicht gar getödtet oder erwürgt!«

Dabei rollte er die Augen und bog die zehn Finger wie Zangen zusammen.

»Was sagte der Commandant?«

»Emir, soll ich die Wahrheit sagen?«

»Ich erwarte das!«

»Er ist nicht erfreut über Deinen Besuch.«

»Ah! Warum nicht?«

»Er liebt die Fremden nicht und empfängt überhaupt sehr selten Besuche.«

»Ist er ein Einsiedler?«

»Nein. Aber er bekommt als Commandant neben freier Wohnung monatlich sechstausendsiebenhundertachtzig Piaster, und es geht ihm, wie uns Allen: er hat seit elf Monaten nichts erhalten und weiß nicht, was er essen und trinken soll. Kann er sich da freuen, wenn er wichtige Besuche erhält?«

»Ich will ihn sehen und sprechen, aber nicht bei ihm essen!«

»Das geht nicht. Er muß Dich standesgemäß und würdig empfangen, und darum hat er die – die – – –«

Er wurde verlegen.

»Was? Die – die – – –?«

»Die hiesigen Juden zu sich kommen lassen, um fünfhundert Piaster von ihnen zu leihen. Das braucht er, um zu kaufen, was er zu Deinem Empfange nöthig hat.«

»Sie haben es ihm gegeben?«

»Allah illa Allah; sie hatten selbst nichts mehr, denn sie haben ihm bereits Alles geben müssen. Nun hat er sich einen Hammel geborgt und noch Vieles dazu. Das ist sehr schlimm, besonders für mich, Emir!«

»Warum für Dich?«

»Weil ich ihm diese fünfhundert Piaster leihen oder – oder – – –«

»Nun, oder – – –«

»Oder Dich fragen muß, ob Du – Du – – –«

»Sprich doch weiter, Agha!«

»Ob Du reich bist. Oh, Emir, ich hätte ja selbst auch keinen einzigen Para, wenn Du mir heute nichts gegeben hättest! Und davon habe ich an Mersinah fünfunddreißig Piaster geben müssen!«

Zu meinem Empfange dem Mutesselim fünfhundert Piaster borgen, das heißt so viel wie schenken! Das waren ungefähr hundert Mark. Hm, ich war ja durch das Geld, welches ich bei dem Thiere von Abu Seïf gefunden hatte, nicht ganz mittellos, und für unsern Zweck konnte das Wohlwollen des Mutesselim von großem Vortheile sein. Fünfhundert Piaster konnte ich allenfalls geben, und ebensoviel rechnete ich auf Master Lindsay, der für ein Abenteuer sehr gern diese für ihn so geringfügige Summe verausgabte. Daher begab ich mich in die Stube des Engländers, während der Agha auf mich warten mußte.

Sir David war grad mit dem Umkleiden beschäftigt. Sein langes Angesicht strahlte vor Vergnügen.

»Master, wie sehe ich aus?« frug er.

»Ganz Kurde!«

»Well; gut, sehr gut! Ausgezeichnet!«

»Aber wie wickeln Turban?«

»Gebt her das Zeug!«

Er hatte in seinem Leben noch kein Turbantuch in der Hand gehabt. Ich setzte ihm die Mütze auf das strahlende Haupt und schlang ihm das rothschwarze Zeug kunstvoll um dieselbe herum. So brachte ich einen jener riesigen Turbane fertig, wie sie hier zu Lande von Würdenträgern und vornehmen Männern getragen werden. Eine solche Kopfbedeckung hat oft vier Fuß im Durchmesser.

»So, nun ist ein kurdischer Großkhan fertig!«

»Vortrefflich! Herrlich! Schönes Abenteuer! Amad el Ghandur befreien! Alles bezahlen; sehr gut bezahlen!«

»Ist dies Euer Ernst, Sir?«

»Warum nicht Ernst?«

»Ich weiß allerdings, daß Ihr sehr wohlhabend seid und das zur richtigen Zeit auch anzuwenden wißt – – –«

Er blickte mich schnell und forschend an und frug dann:

»Wollt Geld haben?«

»Ja,« antwortete ich einfach.

»Well; sollt es bekommen! Für Euch?«

»Nein. Ich hoffe, daß Ihr mich nicht von einer solchen Seite kennen gelernt habt!«

»Ist richtig, Sir! Also für wen?«

»Für den Mutesselim.«

»Ah! Warum? Wozu?«

»Dieser Mann ist sehr arm. Der Sultan schuldet ihm seit elf Monaten sein Gehalt. Aus diesem Grunde hat er jedenfalls das bekannte System aller türkischen Beamten angewandt und die hiesige Bewohnerschaft so ziemlich ausgesaugt. Nun hat Niemand mehr etwas, und kein Mensch kann ihm borgen. Deßhalb bringt ihn mein Besuch in große Verlegenheit. Er muß mich gastlich empfangen und besitzt die dazu nöthigen Mittel nicht. Darum hat er sich einen Hammel und verschiedenes Andere geborgt und läßt mich unter der Hand fragen, ob ich reich genug bin, ihm fünfhundert Piaster zu leihen. Das ist nun allerdings ganz türkisch gehandelt, und auf das Zurückerstatten darf man nicht rechnen. Da es aber für uns sehr nöthig ist, eine freundliche Gesinnung in ihm zu erwecken, so habe ich beschlossen – – –«

Er unterbrach mich mit einer schnellen Handbewegung.

»Gut! Sollt eine Hundertpfundnote haben!«

»Das ist zu viel, Sir! Das wären ja nach dem Kurse von Konstantinopel elftausend Piaster! Ich will ihm fünfhundert Piaster geben und ersuche Euch, dieselbe Summe hinzuzufügen. Er kann damit zufrieden sein.«

»Tausend Piaster! Zu wenig! Habe ja Araber-Scheiks seidenes Gewand geschenkt! Möchte ihn auch sehen. Wenn mit darf, dann Alles bezahlen; Ihr nichts geben!«

»Mir soll es recht sein.«

»So sagt Agha, er soll uns machen lassen!«

»Und was werden wir machen?«

»Unterwegs Geschenk kaufen; Geld hinein stecken.«

»Aber nicht zuviel, Sir!«

»Wie viel? Fünftausend Piaster?«

»Zweitausend ist mehr als genug!«

»Well; also zweitausend! Fertig!«

Ich kehrte zu Selim Agha zurück.

»Sage dem Commandanten, daß ich mit einem von meinen Begleitern kommen werde!«

»Wann?«

»In Kurzem.«

»Deinen Namen kennt er bereits; welchen Namen soll ich ihm noch sagen?«

»Hadschi Lindsay-Bey.«

»Hadschi Lindsay-Bey. Gut! Und die Piaster, Emir?«

»Wir bitten um die Erlaubniß, ihm ein Geschenk mitbringen zu dürfen.«

»Dann muß er Euch auch eins geben!«

»Wir sind nicht arm; wir haben Alles, was wir brauchen, und werden uns am meisten freuen, wenn er uns nichts als seine Freundschaft schenkt. Sage ihm das!«

Er ging getröstet und zufriedengestellt davon.

Bereits nach fünf Minuten saß ich mit dem Engländer zu Pferde; ich hatte ihm eingeschärft, ja kein Wort zu sprechen. Halef und der Buluk folgten uns. Den Kurden hatten wir mit dem geliehenen Gewande und vielen Grüßen nach Spandareh zurückgeschickt. Wir ritten durch die Bazars, wo wir gesticktes Zeug zu einem Feierkleide und eine hübsche Börse kauften, in welche der Engländer zwanzig goldene Medschidje zu je hundert Piaster legte. In solchen Dingen war mein guter Master Lindsay nie ein Knauser; das hatte ich zu meinem Vortheile sehr oft erfahren.

Nun ritten wir nach dem Palast des Commandanten. Vor demselben standen etwa zweihundert Albanesen in Parade, angeführt von zwei Mulasim unter dem Commando unsers tapfern Selim Agha. Er zog den Sarras und commandirte:

»Ajagda duryn dykkatli – steht genau!«

Sie gaben sich herzliche Mühe, diesem Verlangen nachzukommen, bildeten aber doch eine Art Schlangenlinie, die am Ende der Aufstellung in einen sehr gebogenen Schwanz auslief.

»Tschalghy! Islik tscharyn: – Musik! Pfeift!«

Drei Flöten begannen zu wimmern, und eine türkische Trempete forcirte einen Wirbel, der wie das Leiern einer Kaffeemühle klang.

»Daha giöre! Kuwetlirek! – lauter, stärker!«

Der gute Agha rollte dabei die Augen nach der geschwindesten Ziffer von Melzel's Metronom; die Musikanten thaten es ihm nach, und während dieses künstlerischen und für uns sehr schmeichelhaften Empfanges ritten wir vor den Eingang, um abzusteigen. Die beiden Lieutenants ritten herbei und hielten uns die Steigbügel. Ich griff in die Tasche und gab jedem von ihnen ein silbernes Zehnpiasterstück. Sie steckten es befriedigt zu sich, ohne im Geringsten in ihrer Offiziersehre verletzt zu sein. Der türkische subalterne Offizier ist, besonders in entlegenen Garnisonen, selbst heute noch der Diener seines nächst höheren Vorgesetzten und stets gewohnt, sich als solchen betrachten zu lassen.

Dem Agha gab ich das Zeug und die Börse.

»Melde uns an, und gib dem Commandanten dieses Geschenk!«

Er ging würdevoll voran, und wir folgten. Unter dem Thore stand der Nazardschi des Palastes. Er empfing uns jetzt ganz anders als beim ersten Male. Er kreuzte die Arme über der Brust, verbeugte sich tief und murmelte demüthig:

»Bendeniz el öpir; aghamin size selami wer – Euer Diener küßt die Hand; mein Herr läßt sich Euch empfehlen!«

Ich schritt an ihm vorüber, ohne ihm zu antworten, und auch Lindsay that, als habe er ihn gar nicht bemerkt. Ich muß gestehen, daß mein Master Fowling-bull trotz der schreienden Farbe seines Anzuges einen ganz respektablen Eindruck machte. Der Anzug paßte, wie für ihn gemacht, und das Bewußtsein, ein Engländer und dazu auch reich zu sein, gab seiner Haltung eine Sicherheit, die hier ganz am Platze war.

Der Aufseher nahm trotz seiner offenen Mißachtung doch den Vortritt und führte uns eine Treppe empor in einen Raum, der das Vorzimmer zu bilden schien. Dort saßen die Beamten des Commandanten auf armseligen Teppichen. Sie erhoben sich bei unserm Eintritte und begrüßten uns ehrfurchtsvoll. Es waren meist Türken und einige Kurden dabei. Die Letztern machten, wenigstens in Beziehung auf ihr Äußeres, einen viel bessern Eindruck als die Ersteren, die sich in keiner so guten wirtschaftlichen Lage zu befinden schienen. An einer der Fensteröffnungen stand ein Kurde, den man sofort für einen freien Mann der Berge halten mußte. Er schaute mit finsterer, ungeduldiger Miene hinaus in's Freie. Einer der Türken trat auf mich zu:

»Du bist der Emir Hadschi Kara Ben Nemsi, den der Mutesselim erwartet?«

»Ich bin es.«

»Und dieser Effendi ist Hadschi Lindsay-Bey, welcher das Gelübde gethan hat, nicht zu sprechen?«

»Ja.«

»Ich bin der Basch Kiatib des Commandanten. Er läßt Dich bitten, einige Augenblicke zu warten.«

»Warum? Ich bin nicht gewohnt, zu warten, und er hat gewußt, daß ich komme!«

»Er hat eine wichtige Abhaltung, die nicht lange währen wird.«

Was dies für eine wichtige Abhaltung war, konnte ich bald bemerken. Nämlich ein Diener kam äußerst eilfertig aus dem Zimmer des Mutesselim gestürzt und kehrte nach einiger Zeit mit zwei Büchsen zurück, auf denen die Deckel fehlten. Die größere enthielt Tabak und die kleinere gebrannte Kaffeebohnen. Der Commandant hatte diese nothwendigen Sachen erst nach Empfang unseres Geldes holen lassen können. Vor der Rückkehr seines Dieners trat der Agha aus dem Zimmer des Mutesselim.

»Effendi, verzeihe noch einen Augenblick! Du wirst sofort eintreten können!«

Da wandte sich der am Fenster stehende Kurde zu ihm:

»Und wann endlich werde ich eintreten dürfen?«

»Du wirst noch heute vorgelassen.«

»Noch heute? Ich bin eher dagewesen als dieser Effendi, und auch eher als alle diese Andern. Meine Sache ist nothwendig, und ich muß noch heute wieder aufbrechen!«

Selim Agha rollte die Augen.

»Diese Effendi's sind ein Emir und ein Bey, Du aber bist nur ein Kurde. Du kommst erst nach ihnen!«

»Ich habe ein gleiches Recht wie sie, denn ich bin der Abgesandte eines tapfern Mannes, der auch ein Bey ist!«

Das freimüthige, furchtlose Wesen dieses Kurden gefiel mir ungemein, obgleich seine Beschwerde indirekt gegen mich gerichtet war. Den Agha aber schien sie außerordentlich zu erzürnen; denn er begann seinen Augenwirbel von Neuem und antwortete:

»Du kommst erst später daran, und vielleicht auch gar nicht. Wenn Dir das nicht gefällt, so kannst Du gehen! Dir ist ja nicht einmal das Nothwendigste bekannt, um vor einem großen, einflußreichen Manne erscheinen zu dürfen!«

Ah, der Kurde hatte also das ›Nothwendigste‹, nämlich das Bakschisch, vergessen. Er ließ sich aber nicht einschüchtern, sondern antwortete:

»Weißt Du, was das Nothwendigste für einen Berwari-Kurden ist? Dieser Säbel ist es!« Dabei schlug er an den Griff der genannten Waffe. »Willst Du eine Probe davon versuchen? Mich sendet der Bey von Gumri; es ist eine Beleidigung für ihn, wenn ich immer von Neuem wieder zurückgesetzt werde und warten muß, und er wird wissen, was er darauf zu erwiedern hat. Ich gehe!«

»Halt!« rief ich.

Er befand sich bereits an der Thüre. Der Bey von Gumri, an den mich der Älteste von Spandareh adressirt hatte? Das war eine vortreffliche Gelegenheit, mich vortheilhaft bei ihm anzumelden.

»Was willst Du?« frug er barsch.

Ich schritt auf ihn zu und hielt ihm die Hand entgegen.

»Ich will Dich begrüßen, denn das ist ebenso, als ob Dein Bey meinen Gruß hörte.«

»Kennst Du ihn?«

»Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber man hat mir von ihm erzählt. Er ist ein sehr tapferer Krieger, dem meine Achtung gehört. Willst Du mir eine Botschaft an ihn ausrichten?«

»Ja, wenn ich es kann.«

»Du kannst es. Aber vorher werde ich Dir beweisen, daß ich den Bey zu ehren weiß: Du sollst vor mir zum Mutesselim eintreten dürfen.«

»Ist dies Dein Ernst?«

»Mit einem tapferen Kurden scherzt man nie.«

»Hört Ihr es?« wandte er sich zu den Andern. »Dieser fremde Emir hat gelernt, was Höflichkeit und Achtung bedeutet. Aber ein Berwari kennt die Sitte ebenso.« Und zu mir gerichtet, fügte er hinzu: »Herr, ich danke Dir; Du hast mir mein Herz erfreut! Aber ich werde nun gern warten, bis Du mit dem Mutesselim gesprochen hast.«

Jetzt war er es, der mir die Hand entgegenstreckte. Ich schlug ein.

»Ich nehme es an, denn ich weiß, daß Du nicht lange zu warten haben wirst. Aber sage mir, ob Du nach Deiner Unterredung mit dem Commandanten so viel Zeit hast, zu mir zu kommen!«

»Ich werde kommen und dann etwas schneller reiten. Wo wohnest Du?«

»Ich wohne hier bei Selim Agha, dem Obersten der Arnauten.«

Er trat mit einer zustimmenden Kopfbewegung zurück, denn der Diener öffnete die Thüre, um mich und Lindsay eintreten zu lassen.

Das Zimmer, in welches wir gelangten, war mit einer alten verschossenen Papiertapete bekleidet und hatte an seiner hintern Wand eine kaum fußhohe Erhöhung, die mit einem Teppiche belegt war. Dort saß der Commandant. Er war ein langer, hagerer Mann mit einem scharfen, wohl frühzeitig gealterten Angesichte. Sein Blick war verschleiert und nicht Vertrauen erweckend. Er erhob sich bei unserem Eintritte und bedeutete uns durch eine Bewegung seiner Hände, zu beiden Seiten von ihm Platz zu nehmen. Mir fiel dies nicht schwer; Master Lindsay aber hatte einige Mühe, sich mit gebogenen Beinen in jene Stellung zu bringen, welche die Türken ›Ruhen der Glieder‹ nennen. Wer sie nicht gewöhnt ist, dem schlafen die unteren Extremitäten sehr bald ein, so daß man dann gezwungen ist, sich wieder zu erheben. Ich mußte also aus Rücksicht auf den Engländer dafür sorgen, daß die Unterhaltung nicht gar zu lange dauere.

»Chosch geldin demek; ömriniz tschok ola – seid mir willkommen; Euer Leben möge lang sein!« empfing uns der Commandant.

»Grad so, wie das Deinige,« antwortete ich ihm. »Wir sind von fern her gekommen, um Dir zu sagen, daß wir uns freuen, Dein Angesicht zu sehen. Möge Segen in Deinem Hause wohnen und jedes Werk gelingen, das Du unternimmst!«

»Auch Euch wünsche ich Heil und Erfolg in Allem, was Ihr tut! Wie heißt das Land, das Deinen Tag gesehen hat, Emir?«

»Germanistan.«

»Hat es einen großen Sultan?«

»Es hat sehr viele Padischahs.«

»Und wie viele Krieger?«

»Wenn die Padischahs von Germanistan ihre Krieger versammeln, so sehen sie mehrere Millionen Augen auf sich gerichtet.«

»Ich habe dieses Land noch nicht gesehen, aber es muß ein großes und ein berühmtes sein, da Du unter dem Schutze des Großherrn stehest.«

Dies war natürlich ein Wink, mich zu legitimiren. Ich that es sogleich:

»Dein Wort ist richtig. Hier hast Du das Bu-djeruldi des Padischah!«

Er nahm es, drückte es an Stirn, Mund und Brust und las es.

»Hier lautet doch Dein Name anders als Kara Ben Nemsi!«

Ah, das war fatal! Der Umstand, daß ich den mir von Halef gegebenen Namen hier beibehalten hatte, konnte uns schädlich werden; doch faßte ich mich schnell und meinte:

»Willst Du mir einmal den Namen vorlesen, der hier auf dem Pergamente steht?«

Er versuchte es, aber es wollte ihm nicht recht gelingen. Und über den Namen des Heimatortes stolperte er vollends gar hinweg.

»Siehest Du!« erklärte ich. »Kein Türke kann einen Namen aus Germanistan richtig lesen und aussprechen; kein Mufti und kein Mollah bringt dies fertig, denn unsere Sprache ist sehr schwer und wird in einer andern Schrift geschrieben, als die Eurige ist. Ich bin Hadschi Kara Ben Nemsi; das wird Dir auch dieser Brief beweisen, welchen der Mutessarif von Mossul mir für Dich mitgegeben hat.«

Ich reichte ihm das Schreiben hin. Als er es gelesen hatte, war er befriedigt und gab mir das Bu-djeruldi nach der gebräuchlichen Ceremonie zurück.

»Und dieser Effendi ist Hadschi Lindsay-Bey?« frug er dann.

»So ist sein Name.«

»Aus welchem Lande ist er?«

»Aus Londonistan,« antwortete ich, um den bekannteren Namen von England zu vermeiden.

»Er hat gelobt, nicht zu sprechen?«

»Er spricht nicht.«

»Und er kann zaubern?«

»Höre, Mutesselim, von der Magie soll man nicht sprechen, wenigstens nicht zu Jemand, den man noch nicht kennt.«

»Wir werden uns kennen lernen, denn ich bin ein großer Freund der Magie. Glaubst Du, daß man Geld machen kann?«

»Ja, Geld kann man machen.«

»Und daß es einen Stein der Weisen gibt?«

»Es gibt einen, aber er liegt nicht in der Erde, sondern im menschlichen Herzen vergraben und kann also auch nicht durch die Scheidekunst bereitet werden.«

»Du sprichst sehr dunkel; aber ich sehe, daß Du ein Kenner der Magie bist. Es gibt eine weiße und eine schwarze. Kennst Du alle beide?«

Ich konnte nicht anders, ich mußte lustig antworten:

»O, ich kenne auch alle andern Arten.«

»Es gibt noch andere? Welche?«

»Eine blaue, eine grüne und gelbe, auch eine rothe und graue. Dieser Hadschi Lindsay-Bey war erst ein Anhänger der graukarrirten, jetzt aber hat er die schwarzrothe angenommen.«

»Das sieht man an seinem Gewande. Selim Agha hat mir erzählt, daß er eine Kazma bei sich führt, mit welcher er in die Erde schlägt, um die Sprache der Verstorbenen zu erforschen.«

»So ist es. Aber laß uns heute darüber schweigen. Ich bin ein Krieger und Effendi, aber kein Chodscha, der Andere unterrichtet.«

Der brave Commandant hatte alle Hilfsquellen der ausgesaugten Provinz erschöpft und suchte nun sein Heil in der Magie. Es konnte mir nicht einfallen, ihn in seinem Aberglauben zu bestärken, aber ich hatte in den gegenwärtigen Verhältnissen auch keine Veranlassung, sie ihm wegzudisputiren. Oder hatte ihn nur die berühmte Hacke meines Master Fowling-bull auf den Gedanken gebracht, mit mir über die Magie zu verhandeln? Das war auch möglich. Übrigens machten meine letzten Worte wenigstens den Eindruck auf ihn, daß er in die Hände klatschte und Kaffee und Pfeifen bringen ließ.

»Ich hörte, daß der Mutessarif einen Kampf mit den Dschesidi gehabt habe?« begann er ein anderes Thema.

Dasselbe war für mich nicht ungefährlich, aber ich wußte nicht, wie ich es hätte abweisen können. Es begann grad wie ein Verhör: »Ich hörte!« Und doch mußte er als der nächste Untergebene des Gouverneur und als Commandant von Amadijah die Sache nicht bloß vom Hören-Sagen kennen. Ich trat dazu in seine eigenen Fußtapfen:

»Auch ich hörte davon.« Und um einer Frage seinerseits zuvorzukommen, fügte ich hinzu: »Er wird sie gezüchtigt haben, und nun kommen wohl die widerspenstigen Araber an die Reihe.«

Er horchte auf und blickte mich forschend an.

»Woraus vermuthest Du das, Emir?«

»Weil er selbst mit mir davon sprach.«

»Er selbst? Der Mutessarif?«

»Ja.«

»Wann?«

»Als ich bei ihm war, natürlich.«

»Wie kam er dazu?« erkundigte er sich, ohne eine Miene des Unglaubens ganz verbergen zu können.

»Jedenfalls weil er Vertrauen zu mir hatte und gewillt ist, mir in Beziehung auf diesen Kriegszug eine Aufgabe zu ertheilen.«

»Welche?«

»Hast Du einmal etwas von Politik und Diplomatik gehört, Mutesselim?«

Er lächelte überlegen.

»Wäre ich Commandant von Amadijah, wenn ich nicht ein Diplomat wäre?«

»Du hast sehr Recht! Aber warum zeigst Du es mir nicht, daß Du ein solcher bist?«

»Bin ich undiplomatisch gewesen?«

»Sehr.«

»In wiefern?«

»Weil Du mich nach meiner Aufgabe in so direkter Weise fragst, daß ich erstaunen muß. Ich darf von ihr nicht sprechen, und Du hättest es nur durch eine feine und kluge Ausforschung erfahren können.«

»Warum dürftest Du es mir nicht sagen? Der Mutessarif hat kein Geheimniß vor mir!«

»Du mußtest mich fragen, um etwas über diese Angelegenheit zu erfahren; dies ist doch der sicherste Beweis, daß der Mutessarif gegen mich offenherziger gewesen ist, als gegen Dich. Wie nun, wenn ich grad in einer Sache, die auf seinen Einfall in das Gebiet der Araber Bezug hat, nach Amadijah gekommen wäre?«

»Das ist nicht möglich!«

»Das ist sehr möglich! Ich will Dir nur soviel vertrauen, daß der Gouverneur mich nach meiner Rückkehr von Amadijah zu den Weideplätzen der Araber senden wird. Ich soll dort heimlich das Terrain studiren, damit ich ihm meine Vorschläge machen kann.«

»Ist dies wahr?«

»Ich sage es Dir im Vertrauen, folglich ist es wahr.«

»Dann bist Du ein großer Inandschi von ihm!«

»Vermuthlich!«

»Und hast Einfluß auf ihn!«

»Wenn dies der Fall wäre, so dürfte ich es doch nicht behaupten. Sonst könnte ich diesen Einfluß doch sehr leicht verlieren.«

»Emir, Du machst mich besorgt!«

»Warum?«

»Ich weiß, daß die Gnade des Mutessarif nicht über mir leuchtet. Sage mir, ob Du wirklich sein Freund und Vertrauter bist!«

»Er hat mir mitgetheilt, was er Andern vielleicht nicht sagen würde, sogar von seinem Zuge gegen die Dschesidi hat er mir vorher gesagt; ob ich aber sein Freund bin, das ist eine Frage, deren Beantwortung Du mir erlassen mußt.«

»Ich werde Dich auf die Probe stellen, ob Du wirklich mehr weißt, als Andere!«

»Tue es!« sagte ich zuversichtlich, obgleich ich innerlich einige Besorgniß fühlte.

»Auf welchen Stamm der Araber hat er es besonders abgesehen?«

»Auf die Schammar.«

»Und auf welche Abtheilung derselben?«

»Auf die Haddedihn.«

Jetzt nahm sein scharfes Gesicht einen lauernden Ausdruck an.

»Wie heißt der Scheik derselben?«

»Mohammed Emin. Kennst Du ihn?«

»Nein. Aber ich hörte, der Mutessarif soll ihn gefangen genommen haben. Er hat doch sicher davon zu Dir gesprochen, da er Dir sein Vertrauen schenkte und Dich zu den Arabern senden will!«

Dieser gute Mann machte wirklich eine Anstrengung, diplomatisch zu sein! Ich aber lachte ihm in das Gesicht.

»O Mutesselim, Du stellst mich da sehr hart auf die Probe! Ist Amad el Ghandur so alt, daß Du ihn mit Mohammed Emin, seinem Vater, verwechselst!«

»Wie kann ich sie verwechseln, da ich Beide noch nie gesehen habe!«

Ich erhob mich.

»Laß uns unser Gespräch beenden! Ich bin kein Gendschi, den man narren darf. Aber wenn Du den Gefangenen sehen willst, so gehe hinab in das Gefängniß; der Sergeant wird Dir ihn zeigen. Ich sage Dir nur: Halte es geheim, wer er ist, und laß ihn ja nicht entkommen! Solange der zukünftige Scheik der Haddedihn sich in der Gewalt des Mutessarif befindet, kann dieser Letztere den Arabern Bedingungen stellen. Jetzt erlaube, daß ich gehe!«

»Emir, ich wollte Dich nicht beleidigen. Bleibe!«

»Ich habe heute noch Anderes zu thun.«

»Du mußt bleiben, denn ich habe Dir ein Mahl bereiten lassen!«

»Ich kann in meiner Wohnung speisen und danke Dir. Übrigens steht draußen ein Kurde, der nothwendig mit Dir zu sprechen hat. Er war eher da als ich, und darum wollte ich ihm den Vortritt lassen; er war aber so höflich, dies abzulehnen.«

»Er ist ein Bote des Bey von Gumri. Er mag warten!«

»Mutesselim, erlaube, daß ich Dich vor einem Fehler warne!«

»Vor welchem?«

»Du behandelst diesen Bey wie einen Feind oder doch wie einen Mann, den man nicht zu achten oder zu fürchten braucht!«

Ich sah es ihm an, daß er sich Mühe gab, eine zornige Aufwallung zu beherrschen.

»Willst Du mir Lehren geben, Emir, Du, den ich gar nicht kenne?«

»Nein. Wie kann ich es wagen, Dich belehren zu wollen, da Du mehr als mein Alter hast! Bereits als wir von der Magie sprachen, habe ich Dir bewiesen, daß ich Dich für weiser halte, als daß ich Dich belehren könnte. Aber einen Rath darf auch der Jüngere dem Älteren ertheilen!«

»Ich weiß selbst, wie man diese Kurden zu behandeln hat. Sein Vater war Abd el Summit Bey, der meinen Vorgängern und besonders dem armen Selim Zillahi so große Mühe machte!«

»Soll sein Sohn Euch dieselbe Mühe machen? Der Mutessarif braucht seine Truppen gegen die Araber, und einen Theil derselben muß er stets gegen die Dschesidi bereit halten, denen er nicht trauen darf. Was wird er sagen, wenn ich ihm mittheile, daß Du die Kurden von Berwari so behandelst, daß auch hier ein Aufstand zu befürchten steht, wenn sie merken, daß der Gouverneur augenblicklich nicht die Macht besitzt, ihn niederzudrücken? Thue, was Du willst, Mutesselim. Ich werde Dir weder eine Lehre noch einen Rath ertheilen.«

Dieses Argument frappirte ihn; das sah ich ihm an.

»Du meinst, daß ich den Kurden empfangen soll?«

»Thue, was Du willst. Ich wiederhole es!«

»Wenn Du mir versprichst, bei mir zu essen, so werde ich ihn in Deiner Gegenwart hereinkommen lassen.«

»Unter dieser Bedingung kann ich hier bleiben; denn ich gehe meist ja deßhalb, damit er nicht meinetwegen noch länger warten müsse.«

Der Mutesselim klatschte in die Hände, und aus einer Nebenthüre trat der Diener ein, welcher den Befehl erhielt, den Kurden herein zu rufen. Dieser schritt in stolzer Haltung in das Zimmer und grüßte mit einem ›Sellam‹, ohne sich zu bücken.

»Du bist ein Bote des Bey von Gumri?« frug der Commandant.

»Ja.«

»Was hat mir Dein Herr zu sagen?«

»Mein Herr? Ein freier Kurde hat nie einen Herrn. Er ist mein Bey, mein Anführer im Kampfe, nicht aber mein Gebieter. Dieses Wort kennen nur die Türken und Perser.«

»Ich habe Dich nicht rufen lassen, um mich mit Dir zu streiten. Was hast Du an mich auszurichten?«

Der Kurde mochte ahnen, daß ich die Ursache sei, daß er nicht länger zu warten brauchte. Er warf mir einen verständnißvollen Blick zu und antwortete sehr ernst und langsam:

»Mutesselim, ich hatte etwas auszurichten; da ich aber so lange warten mußte, habe ich es vergessen. Der Bey muß Dir also einen andern Boten senden, der es wohl nicht vergessen wird, wenn er nicht zu warten braucht!«

Das letzte Wort sprach er bereits unter der Thüre; dann war er verschwunden. Der Commandant machte ein ganz verblüfftes Gesicht. So etwas hatte er nicht erwartet, während ich mir im Stillen sagte, daß kein europäischer Ambassadeur correcter hätte handeln können, als dieser junge, einfache Kurde. Es zuckte mir förmlich in den Beinen, ihm nachzueilen, um ihm meine Achtung und Anerkennung auszusprechen. Auch der Mutesselim wollte ihm nachspringen, aber in etwas anderer Absicht.

»Schurke!« rief er aufspringend. »Ich werde – – –«

Er besann sich aber doch und blieb stehen. Ich stopfte mir sehr gleichmütig meinen Tschibuk und brannte an.

»Was sagst Du dazu, Emir?«

»Daß ich es so kommen sah. Ein Kurde ist kein heuchelnder Grieche und auch kein schmutziger Jude, der sich nicht einmal krümmt, wenn man ihn tritt. Was wird der Bey von Gumri thun, und was wird der Mutessarif sagen!«

»Du wirst es ihm erzählen?«

»Ich werde schweigen, aber er wird die Folgen sehen.«

»Ich lasse diesen Kurden zurückrufen!«

»Er wird nicht kommen.«

»Ich will ihm ja nicht zürnen!«

»Er wird das nicht glauben. Es gibt nur einen Einzigen, der ihn bewegen kann, zurückzukehren.«

»Wer ist das?«

»Ich bin es.«

»Du?«

»Ja. Ich bin sein Freund; er wird vielleicht auf meine Stimme hören.«

»Du bist sein Freund? Du kennst ihn?«

»Ich habe ihn in Deinem Vorzimmer zum ersten Male gesehen. Aber ich sprach zu ihm wie zu einem Manne, welcher der Bote eines Bey ist, und das hat ihn sicher zu meinem Freund gemacht.«

»Du weißt jedoch nicht, wo er sich befindet!«

»Ich weiß es.«

»Wo ist er? Fort von Amadijah. Sein Pferd stand unten.«

»Er ist in meiner Wohnung, wohin ich ihn eingeladen habe.«

»Du hast ihn eingeladen? Soll er bei Dir essen?«

»Ich werde ihn als Gast empfangen; die Hauptsache aber ist, daß ich ihm eine Botschaft an den Bey anzuvertrauen habe.«

Der Mutesselim staunte immer mehr.

»Was für eine Botschaft?«

»Ich denke, Du bist ein Diplomat? Frage den Mutessarif!«

»Emir, Du sprichst in lauter Räthseln!«

»Deine Weisheit wird sie sehr bald zu lösen wissen. Ich will Dir aufrichtig sagen, daß Du einen Fehler begangen hast, und da Du weder eine Lehre noch einen Rath von mir annehmen willst, so erlaube mir wenigstens, diesen Fehler wieder gut zu machen, indem ich dem Bey von Gumri eine sehr friedliche Botschaft sende!«

»Ich darf sie nicht wissen?«

»Ich will es Dir im Vertrauen mittheilen, trotzdem es ein diplomatisches Geheimniß ist: Ich habe ihm ein Geschenk zu übermitteln.«

»Ein Geschenk? Von wem?«

»Das darf ich allerdings nicht sagen, aber Du kannst es vielleicht errathen, wenn ich Dir gestehe, daß der betreffende Beamte und Gebieter, von dem es kommt, im Westen von Amadijah wohnt und sehr wünscht, daß der Bey von Gumri ihm nicht feindlich gesinnt werde.«

»Herr, jetzt sehe ich, daß Du wirklich der Vertraute des Mutessarif von Mossul bist; denn von ihm kommt das Geschenk, Du magst es nun sagen oder nicht!«

Der Mann war ein Schwachkopf und ganz unfähig für sein Amt. Ich erfuhr später, daß er die Creatur seines Vorgängers gewesen war, der selbst auch den Sprung vom Nefus Emini in Zillah in Kleinasien zum Mutesselim von Amadijah gethan hatte. Mein Besuch bei diesem Commandanten hatte eine ganz unerwartete, frappante Wendung erhalten. Für was er mich nahm, das konnte ich zwar hören und vermuthen, nicht aber sicher behaupten; und doch führte mich der eigenthümliche Gang unsers Gespräches dazu, ihm Dinge zu sagen, Dinge wissen oder ahnen zu lassen, von denen er recht wohl auf die Absicht unserer Anwesenheit hätte schließen können. Er hatte wohl kaum das rechte Zeug, ein guter Dorfältester, viel weniger aber Mutesselim zu sein; und doch dauerte er mich im Geheimen, wenn ich an die Verlegenheit dachte, in welche ihn das Gelingen unsers Vorhabens bringen mußte. Die Möglichkeit, ihn dabei zu schonen, wäre mir willkommen gewesen; aber es gab sie ja nicht.

Die Fortsetzung unseres Gespräches wurde aufgeschoben, da man das Essen brachte. Es bestand aus einigen Stücken des geliehenen Hammels und einem mageren Pillau. Der Commandant langte fleißig zu und vergaß dabei das Sprechen; als er sich aber gesättigt hatte, frug er:

»Du wirst den Kurden wirklich bei Dir treffen?«

»Ja; denn ich glaube, daß er sein Wort hält.«

»Und ihn wieder zu mir schicken?«

»Wenn Du es haben willst, ja.

»Wird er auf Dich warten?«

Dies war ein leiser Fingerzeig, der seinen Grund nicht in einem Mangel an Gastfreundlichkeit, sondern in der Besorgniß hatte, daß der Bote die Geduld auch bei mir verlieren werde. Darum antwortete ich:

»Er will bald aufbrechen, und darum wird es gerathen sein, daß ich ihn nicht ermüde. Erlaubst Du, daß wir gehen?«

»Unter der Bedingung, daß Du mir versprichst, heute Abend abermals mein Gast zu sein.«

»Ich verspreche es. Wann wünschest Du, daß ich komme?«

»Ich werde es Dir durch Selim Agha wissen lassen. Überhaupt bist Du mir willkommen, wann und so oft Du kommst.«

Unser Gastmahl hatte also nicht lange Zeit in Anspruch genommen. Wir brachen auf und wurden in sehr höflicher Weise von ihm bis hinunter vor das Thor begleitet. Dort warteten unsere beiden Begleiter mit den Pferden auf uns.

»Du hast einen Baschi-Bozuk bei Dir?« frug der Commandant.

»Ja, als Khawaß. Der Mutessarif bot mir ein großes Gefolge an, doch ich bin gewohnt, mich selbst zu beschützen.«

Jetzt erblickte er den Rappen.

»Welch ein Pferd! Hast Du es gekauft oder groß gezogen?«

»Es ist ein Geschenk.«

»Ein Geschenk! Herr, der es Dir schenkte, ist ein Fürst gewesen! Wer war es?«

»Auch das ist ein Geheimniß; aber Du wirst ihn vielleicht bald sehen.«

Wir stiegen auf, und sofort brüllte Selim Agha seiner Wachtparade, die auf uns gewartet hatte, den Befehl entgegen:

»Silahlarile nischanlaryn – zielt mit den Gewehren!«

Sie legten an, aber nicht zwei von den Flinten bildeten eine Linie mit einander.

»Tschalghy, schamataji kylyn – Musik, macht Lärm!«

Das vorige Wimmern und Kaffeemahlen begann.

»Hepsi herbiri halan atyn – schießt Alle zugleich los!«

O weh! Kaum die Hälfte dieser Mordgewehre hatte den Muth, einen Laut von sich zu geben. Der Agha rollte die Augen; die Träger der confusen Schießinstrumente rollten auch die Augen und bearbeiteten die Schlösser ihrer Vorderlader, aber erst nachdem wir bereits um die nächste Ecke gebogen waren, erklang hier und da ein leises Gekläff, welches uns vermuthen ließ, daß wieder einmal ein Pfropfen aus dem Laufe geschlingert worden sei.

Als wir zu Hause anlangten, saß der Kurde in meinem Zimmer auf meinem Teppich und rauchte aus meiner Pfeife meinen Tabak. Das freute mich, denn es bewies mir, daß unsere Ansichten über Gastlichkeit ganz dieselben seien.

»Kheïr att, hemscher – willkommen, Freund!« begrüßte ich ihn.

»Wie, Du redest kurdisch?« frug er erfreut.

»Ein wenig nur, aber wir wollen es versuchen!«

Ich hatte Halef den Befehl gegeben, für mich und den Gast bei irgend einem Speisewirthe etwas Eßbares aufzutreiben und konnte mich also dem Boten des Bey von Gumri ruhig widmen. Ich steckte mir nun auch eine Pfeife an und ließ mich an seiner Seite nieder.

»Ich habe Dich länger warten lassen, als ich wollte,« begann ich; »ich mußte mit dem Mutesselim essen.«

»Herr, ich habe gern gewartet. Die schöne Jungfrau, welche Deine Wirthin ist, mußte mir eine Pfeife reichen, und dann habe ich mir von Deinem Tabak genommen. Ich hatte Dein Angesicht gesehen und wußte, daß Du mir nicht darüber zürnen würdest.«

»Du bist ein Krieger des Bey von Gumri; was mein ist, das ist auch Dein. Auch muß ich Dir danken für das Vergnügen, welches Du mir bereitet hast, als ich mich bei dem Commandanten befand.«

»Welches?«

»Du bist ein Jüngling, aber Du hast als Mann gehandelt, als Du ihm Deine Antwort gabst.«

Er lächelte und sagte:

»Ich hätte anders mit ihm gesprochen, wenn ich allein gewesen wäre.«

»Strenger?«

»Nein, sondern milder. Da aber ein Zeuge zugegen war, so mußte ich die Ehre Dessen wahren, der mich gesendet hat.«

»Du hast Deinen Zweck erreicht. Der Mutesselim wünscht, daß Du zu ihm zurückkehrst, um Deine Botschaft auszurichten.«

»Ich werde ihm diesen Gefallen nicht erweisen.«

»Auch mir nicht?«

Er blickte auf.

»Wünschest Du es?«

»Ich bitte Dich darum. Ich habe ihm versprochen, diese Bitte an Dich zu richten.«

»Kennst Du ihn? Bist Du sein Freund?«

»Ich habe ihn noch niemals gesehen und war heute zum ersten Male bei ihm.«

»So will ich Dir sagen, was für ein Mann er ist. Eigentlich schildere ich Dir diesen Mann am besten, wenn ich Dir weiter nichts sage, als daß der Saliahn jetzt nur kaum zwanzigtausend Piaster für Amadijah einbringt, und daß er nicht, wie es doch an der Regel wäre, die Pacht der Steuern hat. Die hat man ihm genommen. Der Sultan hört selten eine Beschwerde an; hier aber hat er hören müssen, denn es war zu himmelschreiend. Er plünderte die Einwohner dermaßen, daß sie auch im Winter im Gebirge blieben und sich nicht in die Stadt zurückwagten. Nun ist der ganze Distrikt verarmt, und der Hunger ist ein steter Gast der Leute geworden. Der Mutesselim braucht immer Geld und borgt, und wer ihm da nicht zu Willen ist, der hat seine Rache zu befürchten. Übrigens ist er ein feiger Mensch, der nur gegen den Schwachen muthig ist. Seine Soldaten hungern und frieren, weil sie weder Speise noch Kleidung erhalten, und ihre guten Gewehre hat er gegen schlechte umgetauscht, um den Profit für sich zu nehmen, und wenn für die paar Kanonen, welche die Festung vertheidigen sollen, das Pulver kommt, so verkauft er es an uns, um Geld zu erhalten.«

Das war also eine echt türkische Wirthschaft! Nun brauchte ich mich nicht über die effectvolle Schießübung zu wundern, deren Augen- und Ohrenzeuge ich gewesen war.

»Und wie steht er mit Deinem Bey?« erkundigte ich mich.

»Nicht gut. Es kommen viele Kurden nach der Stadt, entweder um hier einzukaufen oder Lebensmittel zu verkaufen. Für diese hat er eine hohe Steuer eingeführt, die der Bey nicht leiden will. Auch maßt er sich in vielen Fällen eine Gewalt über uns an, die ihm gar nicht gehört. Zwei Kurden haben sich kürzlich in Amadijah Blei und Pulver gekauft, und man verlangte ihnen am Thore eine Steuer dafür ab. Das war noch nie vorgekommen; sie hatten nicht genug Geld zur Bezahlung der Steuer, welche noch höher war, als der Preis der so schon theuren Ware, und so wurden sie in das Gefängniß gesteckt. Der Bey verlangte ihre Freiheit und gab zu, daß man das Pulver und Blei confisciren möge; aber der Mutesselim ging nicht darauf ein. Er verlangte die confiscirte Waare, den Zoll, eine Strafsumme und dann auch noch Bezahlung der Untersuchungs- und Gefängnißkosten, so daß aus zwanzig Piastern hundertundvierzig geworden sind. Ehe diese nicht bezahlt werden, gibt er die Leute nicht los und rechnet ihnen zehn Piaster für den Tag als Verpflegungsgelder an.«

»In dieser Angelegenheit wolltest Du mit ihm reden?«

»Ja.«

»Solltest Du die Summe bezahlen?«

»Nein.«

»Nur unterhandeln? Das würde zu nichts führen.«

»Ich soll ihm sagen, daß wir jeden Mann aus Amadijah, der unser Gebiet betritt, gefangen nehmen und zurückhalten werden, bis die beiden Männer wieder bei uns sind.«

»Also Repressalien! Das würde keine großen Folgen haben, denn ihm ist es wohl sehr gleich, ob ein Bewohner Amadijah's Euer Gefangener ist oder nicht. Und sodann müßt Ihr bedenken, daß aus einem solchen Verfahren sehr leicht bedeutende Conflicte entstehen können. Das beste würde sein, wenn es diesen Männern gelänge, zu entfliehen.«

»Das sagt auch der Bey; aber eine Flucht ist nicht möglich.«

»Warum nicht? Ist die Bewachung so streng?«

»O, die Wächter machen uns keine Sorge. Es ist ein Sergeant mit drei Männern, die wir bald überwältigt hätten; aber das könnte einen Lärm ergeben, der uns gefährlich werden möchte.«

»Gefährlich? Hm!«

»Die Hauptsache aber: es ist ganz unmöglich, in das Gefängniß zu kommen.«

»Warum?«

»Die Mauern sind zu stark, und der Eingang mit zwei Thüren verschlossen, die mit starkem Eisen beschlagen sind. Das Gefängniß stößt an den Garten dieses Hauses, wo der Agha der Arnauten wohnt; jedes ungewöhnliche Geräusch kann ihn aufmerksam machen und uns verderblich werden. Wir müssen auf den Gedanken einer Flucht verzichten.«

»Auch wenn Ihr einen Mann findet, der bereit ist, Euch behilflich zu sein?«

»Wer wäre dies?«

»Ich!«

»Du, Emir? O, das wäre gut! Und wie wollte ich Dir danken! Die beiden Männer sind mein Vater und mein Bruder.«

»Wie ist Dein Name?«

»Dohub. Meine Mutter ist eine Kurdin von dem Stamme der Dohubi.«

»Ich muß Dir sagen, daß ich selbst hier fremd bin und also nicht weiß, wie eine Flucht zu bewerkstelligen ist; aber Dein Bey wurde mir empfohlen, und auch Dir bin ich gewogen. Ich werde bereits morgen forschen, was man in dieser Angelegenheit unternehmen kann.«

Hinter dieser Zusicherung versteckte sich allerdings auch ein kleiner Eigennutz. Es war ja sehr leicht möglich, daß wir der Unterstützung des Bey von Gumri bedurften, und dieser konnten wir uns am besten versichern, wenn wir seine eigenen Leute in Schutz nahmen.

»Du meinst also, daß ich zum Mutesselim gehen soll?«

»Ja, gehe zu ihm und versuche Dein Heil noch einmal durch Verhandlung; ich habe mir Mühe gegeben, ihn zu bearbeiten, daß er Deine Verwandten vielleicht freiwillig entläßt.«

»Herr, hättest Du dies wirklich gethan?«

»Ja.«

»Wie hast Du es angefangen?«

»Dir dies zu sagen, würde zu weit führen; aber ich werde Dir einige Worte aufschreiben, die Dir vielleicht von Nutzen sein werden, wenn Du meinem Rathe Folge leistest.«

»Welchen Rath gibst Du mir?«

»Sprich nicht zu ihm von Repressalien. Sage zu ihm, wenn er die Gefangenen nicht heute noch freigäbe, so würdest Du sofort zum Mutessarif nach Mossul reiten und ihm sagen, daß die Berwari-Kurden sich erheben werden. Dabei mußt Du vorübergehend erwähnen, daß Du durch das Gebiet der Dschesidi reiten und mit Ali Bey, ihrem Feldherrn, reden wirst.«

»Herr, das ist zuviel gesagt und auch zuviel gewagt!«

»Tue es dennoch; ich rathe es Dir und habe meinen Grund dazu. Er hält die Gefangenen wohl meist deßhalb so fest, weil er Euch Geld abpressen will, welches er sehr nöthig brauchte; jetzt aber fällt dieser Grund fort, weil wir ihm ein bedeutendes Geschenk an Piastern gemacht haben.«

»So werde ich zu ihm gehen!«

»Und zwar jetzt gleich. Dann aber kommst Du wieder zu mir, damit ich Dir meine Botschaft an den Bey sagen kann!«

Ich schrieb auf ein Blatt meines Notizbuches folgende Worte in türkischer Sprache: »Erlaube mir, Dir das Anliegen dieses Kurden an das Herz zu legen, und vermeide es, den Mutessarif zu erzürnen!« Nachdem ich meinen Namen hinzugefügt hatte, übergab ich Dohub diese Zeilen, mit denen er sich eilig entfernte.

Ich hatte die Kühnheit, mich als einflußreiche Persönlichkeit zu fühlen; ich handelte abenteuerlich, das ist wahr; aber der Zufall hatte mich nun einmal, so zu sagen, an eine Kletterstange gestellt und mich bis über die Hälfte derselben emporgeschoben; sollte ich wieder herabrutschen und den Preis aufgeben, da es doch nur einer Motion bedurfte, um vollends empor zu kommen?

Da kam Halef zurück und brachte eine solche Ladung kalter Speisen und Früchte, als habe er uns für eine Woche zu verproviantiren.

»Sehr reichlich, Hadschi Halef Omar!« sagte ich.

»Allah akbar; Allah ist groß, Sihdi, aber mein Hunger ist noch größer. Weißt Du, daß ich und der kleine Ifra seit heute morgen in Spandareh gar nichts gegessen haben?«

»So eßt! Aber trage vor allen Dingen hier auf, damit mein Gast nicht hungrig von mir geht. Hast Du Wein?«

»Nein. Du bist ein echter Gläubiger geworden und willst noch immer den Trank der Ungläubigen genießen! Allah kerihm; ich bin ein Moslem und soll in Amadijah Wein verlangen?«

»So werde ich mir selbst welchen holen. Verstehest Du!«

»Nein, Sihdi, das sollst Du nicht; aber hier reden viele Leute kurdisch, was ich gar nicht verstehe, und das Türkische kenne ich nur wenig. Ich kann also nur Dinge kaufen, deren Namen ich weiß.«

»Wein heißt türkisch Scharab und kurdisch Scherab; das ist sehr leicht zu merken. Master Lindsay will welchen haben; also geh und hole!«

Er ging. Als sich dabei die Thür öffnete, hörte ich unten die scheltende Stimme Mersinah's, in welche sich die bittende Stimme eines Mannes mischte, und gleich darauf kehrte Halef zurück.

»Sihdi, es ist ein Mann unten, den die Wirthin nicht herauf lassen wollte.«

»Wer ist es?«

»Ein Bewohner von Amadijah, dessen Tochter krank ist.«

»Was hat dies mit uns zu thun?«

»Verzeihe, Sihdi! Als ich vorhin Brod kaufte, kam ein Mann gerannt, der mich beinahe über den Haufen riß. Ich fragte ihn, was er so eilig zu laufen habe, und er sagte mir, daß er nach einem Hekim suche, weil seine Tochter ganz plötzlich krank geworden sei und vielleicht sterben müsse. Da rieth ich ihm, zu Dir zu kommen, wenn er keinen Arzt finden könne, und nun ist er da.«

»Das hast Du dumm gemacht, Halef. Du weißt ja, daß ich die kleine Apotheke, aus welcher ich am Nil kurirte, gar nicht mehr besitze!«

»O, Sihdi, Du bist ein großer Gelehrter und kannst einen Kranken auch ohne die Körner gesund machen, die Du damals gabst.«

»Aber ich bin doch eigentlich kein Arzt!«

»Du kannst Alles!«

Was war zu thun? Halef hatte in Erinnerung an die damaligen Backschisch jedenfalls wieder einmal sehr Großes von mir berichtet, und ich war nun Derjenige, der den angeschnittenen Apfel zu verspeisen hatte.

»Die Wirthin ist klüger wie Du, Halef! Aber gehe und hole den Mann herauf!«

Er ging und schob bald nachher einen Fremden herein, dem der Schweiß von der Stirn in den Bart herabtropfte. Es war ein Kurde; das sah man an dem Tolik, der ihm unter dem etwas gelüpften Turban hervor über die Stirne herabfiel; doch trug er türkische Kleidung.

»Sallam!« grüßte er eilig. »O Herr, komm schnell, sonst stirbt meine Tochter, die bereits von dem Himmel redet!«

»Was fehlt ihr?«

»Sie ist von einem bösen Geist besessen, der sie umbringen wird.«

»Wer sagte das?«

»Der alte türkische Hekim, den ich holte. Er hat ihr ein Amulett umgehangen, aber er meinte, daß es nicht helfen werde.«

»Wie alt ist Deine Tochter?«

»Sechzehn Jahre.«

»Leidet sie an Krämpfen oder Fallsucht?«

»Nein, sie ist niemals krank gewesen bis auf den heutigen Tag.«

»Was thut der böse Geist mit ihr?«

»Er ist ihr in den Mund gefahren, denn sie klagte, daß er ihr den Hals zerkratze; dann machte er ihr die Augen größer, damit er herausgucken könne. Ihr Mund ist roth und auch ihr Gesicht, und nun liegt sie da und redet von den Schönheiten des Himmels, in den sie blicken kann.«

Hier war schleunige Hilfe nöthig, denn es lag jedenfalls eine Vergiftung vor.

»Ich will sehen, ob ich Dir helfen kann. Wohnest Du weit von hier?«

»Nein.«

»Gibt es außer dem alten Hekim noch einen Arzt?«

»Nein.«

»So komm schnell!«

Wir eilten fort. Er führte mich durch drei Gassen und dann in ein Haus, dessen Äußeres eine gewisse Stattlichkeit zeigte. Der Besitzer desselben konnte nicht zu den ärmeren Leuten gehören. Wir passirten zwei Zimmer und traten dann in ein drittes. Auf einem niedrigen Polster lag ein Mädchen lang ausgestreckt auf dem Rücken. An ihrer Seite knieten einige weinende Frauen, und in der Nähe hockte ein alter Mann, der seinen Turban abgenommen hatte und, gegen die Kranke gerichtet, laute Gebete murmelte.

»Bist Du der Hekim?« frug ich ihn.

»Ja.«

»Was fehlt dieser Kranken?«

»Der Teufel ist in sie gefahren, Herr!«

»Albernheit! Wenn der Teufel in ihr steckte, würde sie nicht von dem Himmel sprechen.«

»Herr, das verstehest Du nicht! Er hat ihr das Essen und Trinken verboten und sie schwindelig gemacht.«

»Laßt mich sie sehen!«

Ich schob die Weiber beiseite und kniete neben ihr nieder. Es war ein sehr schönes Mädchen.

»Herr, rette meine Tochter vom Tode,« jammerte eine der Frauen, »und wir werden Dir Alles geben, was wir besitzen.«

»Ja,« bestätigte der Mann, welcher mich geholt hatte. »Alles, Alles sollst Du haben, denn sie ist unser einziges Kind, unser Leben.«

»Rette sie,« ertönte eine Stimme aus dem Hintergrunde des Raumes; »so sollst Du Reichthum besitzen und Gottes Liebling sein!«

Ich schaute nach dieser Gegend hin und sah eine alte Frau, deren Äußeres mich schaudern machte. Sie schien ihre hundert Jahre zu zählen; ihre Gestalt war tief gebeugt und bestand wohl nur aus Haut und Knochen; ihr fürchterlich hageres Gesicht machte geradezu den Eindruck eines Todtenkopfes, aber von ihrem Haupte hingen zwei schwere weiße Haarzöpfe fast bis auf den Boden herab.

»Ja, rette sie, rette mein Urenkelkind!« wiederholte sie, indem sie bittend die gefalteten, ausgedorrten Hände erhob, von denen ein Rosenkranz hernieder hing. »Ich werde niederknieen und zur schmerzensreichen Mutter Gottes bitten, daß es Dir gelingen möge.«

Eine Katholikin! Hier unter den Kurden und Türken!

»Bete,« antwortete ich ergriffen; »ich werde versuchen, ob hier ein Mensch noch helfen kann!«

Die Kranke lag da mit offenen, heiteren Augen; aber ihre Pupillen waren sehr erweitert. Ihr Angesicht war stark geröthet, Athem und Puls gingen schnell, und ihr Hals bewegte sich unter einem krampfhaften Würgen. Ich frug gar nicht, wann die Krankheit ausgebrochen sei; ich war Laie, aber ich hatte die Überzeugung, daß die Kranke Belladonna oder Stramonium genossen habe.

»Hat Deine Tochter gebrochen?« frug ich den Mann.

»Nein.«

»Hast Du einen Spiegel?«

»Einen kleinen hier.«

»Gib ihn her!«

Der alte Hekim lachte heiser:

»Der böse Geist soll sich im Glase besehen!«

Ich antwortete ihm gar nicht und ließ das durch die Fensteröffnung eindringende Licht der bereits niedersteigenden Sonne so auf den Spiegel fallen, daß es auf das Gesicht der Kranken gebrochen wurde. Der blendende Strahl übte keine Wirkung auf die Iris der Kranken aus.

»Wann hat Deine Tochter zum letzten Male gegessen?« frug ich.

»Das weiß ich nicht,« antwortete der Vater. »Sie war allein.«

»Wo?«

»Hier.«

»Es ist kein böser Geist in sie gefahren, sondern sie hat ein Aghy gegessen oder getrunken!«

»Allah il Allah! Ist das wahr, Herr?«

»Ja.«

»Glaubt es nicht!« mahnte der Hekim. »Der Teufel ist in ihr.«

»Schweig, alter Narr! Habt ihr Citronen hier?«

»Nein.«

»Kaffee?«

»Ja.«

»Könnt ihr Galläpfel bekommen?«

»Deren wachsen viel in unsern Wäldern. Wir haben welche im Hause.«

»Macht schnell einen sehr starken, heißen Kaffee fertig und kocht Galläpfel in Wasser. Schickt auch nach Citronen!«

»Ha, er will den Teufel mit Galläpfeln, Citronen und Kaffee füttern!« verwunderte sich der Hekim, indem er vor Entsetzen die Hände zusammenschlug.

Ich steckte in Ermangelung von etwas Anderm den Finger in den Mund der Kranken, um sie zum Erbrechen zu reizen, wobei ich den Finger durch den Griff meines Messers vor ihren Zähnen schützte. Nach einiger Mühe gelang das Experiment, wenn auch unter der schmerzlichsten Anstrengung des Mädchens. Ich wiederholte es, doch war die Entleerung nicht hinlänglich.

»Gibt es eine Etschzaga in der Nähe?« frug ich, da ein Vomitiv nothwendig war.

»In derselben Gasse.«

»Komm schnell; führe mich!«

Wir gingen. Mein Führer blieb vor einem kleinen Laden stehen.

»Hier wohnt der Attar!« sagte er.

Ich trat in die kleine Budika und sah mich von einem Chaos von allerlei nöthigen und unnöthigen Dingen umgeben. Ranzige Pommaden, Pfeifenrohre, alte, vertrocknete Pflaster und Talglichter, Rhabarber und brauner Zucker in einem Kasten, Kaffeebohnen neben Lindenblüten, Pfefferkörner und geschabte Kreide, Sennesblätter in einer Büchse, auf welcher ›Honig‹ stand; Drahtnägel, Ingwer und Kupfervitriol, Seife, Tabak und Salz, Brillen, Essig, Charpie, Spießglanz, Tinte, Hanfsamen, Gallizenstein, Zwirn, Gummi, Baldrian, Knöpfe und Schnallen, Theer, eingemachte Wallnüsse, Teufelsdreck und Feigen. – Alles lag hier friedlich bei-, neben-, unter-, über- und durcheinander, und dabei saß ein schmutziges Männlein, welches grad so aussah, als habe es alle diese Mittel und Ingredienzien so eben innerlich und äußerlich an sich selbst probirt. Welches Unheil hatte dieser Attar wohl bereits angerichtet!

Ich konnte für meine Zwecke nur Kupfervitriol bekommen und nahm noch ein Fläschchen Salmiakgeist mit. Das Erstere wirkte nach unserer Rückkehr zur Kranken recht befriedigend. Dann gab ich ihr starken Kaffee mit Citronensaft und dann den Galläpfelaufguß. Hierauf schärfte ich zur Verhütung eines etwaigen Steck- und Schlagflusses ihren Verwandten ein, sie durch Schütteln, Bespritzen mit kaltem Wasser und Riechenlassen an dem Salmiakgeist möglichst am Einschlafen zu verhindern, und versprach baldigst wiederzukommen.

Diese Behandlung war wohl keine ganz richtige, aber ich verstand es nicht besser, und – sie hatte Erfolg. Nun konnte ich, da die augenblickliche Gefahr entfernt zu sein schien, auch an Anderes denken. Ich blickte mich im Zimmer genau um und sah ein kleines Körbchen in der Ecke stehen, welches noch ziemlich mit Maulbeeren gefüllt war. Zwischen diesen sah ich mehrere – Tollkirschen liegen.

»Willst Du den bösen Geist sehen, der in die Kranke gefahren ist?« fragte ich den Hekim.

»Einen Geist kann man nicht sehen. Und selbst wenn dies möglich wäre, könntest Du ihn mir nicht zeigen, da Du nicht an ihn glaubst. Wenn das Mädchen nicht stirbt, so hat mein Amulett geholfen.«

»Hast Du nicht gesehen, daß ich es ihr sofort vom Halse nahm? Hier liegt es, ich werde es öffnen.«

»Das darfst Du nicht!« rief er, schnell zugreifend.

»Laß ab, Alter! Meine Hand ist kräftiger als die Deinige. Warum darf ich es nicht öffnen?«

»Weil ein Zauber darinnen ist. Du würdest sofort von demselben Geiste besessen werden, der in dem Mädchen steckt!«

»Wollen sehen!«

Er wollte es verhindern, aber ich öffnete das viereckig zusammengenähte Stück Kalbleder – und fand darinnen eine todte Fliege.

»Laß Dich nicht auslachen mit diesem unschuldigen Thierchen!« lachte ich, indem ich die Fliege zu Boden fallen ließ und zertrat. »Nun, wo ist Dein Geist, der mich befallen soll?«

»Warte nur, er wird kommen!«

»Ich werde Dir den Teufel zeigen, der diese Krankheit verschuldet hat. Schau her! Was ist das? Du bist ein Hekim und mußt diese Beeren kennen!«

Ich hielt ihm die Tollkirsche entgegen, und er erschrack.

»Allah sei uns gnädig! Das ist ja die Ölüm kires! Wer diese ißt, der muß sterben, der ist verloren, der kann nicht gerettet werden!«

»Nun, von diesen Früchten hat die Kranke gegessen; das habe ich an ihren Augen gesehen. Wer von ihnen genießt, dessen Augen werden größer; das merke Dir! Und nun setz Deinen Turban auf und mache Dich von hinnen, sonst zwinge ich Dich, von diesen Todeskirschen zu genießen, damit Du siehest, ob Dir eine Sin-ek das Leben retten wird!«

Ich nahm die Kirschen in die Hand und schritt auf ihn zu. Da stülpte er in wahrer Todesangst den Turban auf sein kahl geschorenes Haupt und nahm sehr eilig und ohne allen Abschied Reißaus.

Die Anwesenden sahen ein, daß ich Recht hatte. Auch ohne meine Worte sagte es ihnen die günstige Veränderung, welche mit der Kranken vorgegangen war. Sie ergingen sich in den ehrfurchtsvollsten Dankesbezeigungen, denen ich nur dadurch ein Ende machen konnte, daß ich mich schnell entfernte. Ich hinterließ die Weisung, mich bei einer etwaigen Verschlimmerung gleich holen zu lassen.

Als ich in meiner Wohnung anlangte, traf ich Mersinah, welche soeben mit wüthender Geberde und mit einem großen Löffel in der Hand aus der Küche geschossen kam. Hinter ihr flog ein großer, nasser Hader, der so vortrefflich gezielt war, daß er ihre kleinen, wirren Knackwurstzöpfe erreichte und sich sehr liebevoll um ihr ehrwürdiges Haupt herumschlang. Zugleich ertönte aus dem Innern des auf solche Weise entweihten Heiligthums die Stimme von Hadschi Halef Omar hervor:

»Warte, alter Drache!« rief er; »Du sollst mir noch einmal über meinen guten Kaffee kommen!«

Sie wickelte sich aus der feuchten Umarmung des Haders heraus und ballte denselben zusammen, jedenfalls um ihn in eine rückgängige Bewegung zu versetzen; da erblickte sie mich.

»O, Emir, wie gut ist es, daß Du kommst! Errette mich von diesem wüthenden Menschen!«

»Was gibt es denn, o Rose von Amadijah!«

»Er sagte, er hätte in Deiner Büchse meinen Kaffee gefunden und in meiner Tüte den Deinigen.«

»Das ist wohl auch wahr?«

»Wahr? Ich schwöre es Dir bei Ayescha, der Mutter aller Heiligen, daß ich Deine Büchse nicht angerührt habe!«

»So, Du Großmutter aller Lügnerinnen und Spitzbuben!« ertönte es aus der Küche. »Du bist nicht über unsern Kaffee gerathen, von dem mich zweihundert Drem fünfundzwanzig gute Piaster kosten? Ich werde es dem Sihdi doch beweisen!«

Er kam aus der Küche, in der Rechten die neugekaufte Kaffeebüchse und in der Linken eine große, geöffnete Papiertüte.

»Sihdi, Du kennst den Kaffee von Harimah?«

»Du weißt es, daß ich ihn kenne.«

»Suche einmal, wo er ist!«

Ich unterwarf die Büchse und auch die Tüte einer sehr eingehenden und ernsthaften Ocularinspection.

»Er ist in allen Beiden, aber mit schlechteren Bohnen und gedörrten Schalen vermischt.«

»Siehst Du wohl, Effendi! Ich habe guten Harimah gekauft, und hier diese Mutter und Urgroßmutter eines Räubers und Spitzbuben kocht nur schlechten Kaffee, mit Schalen vermengt. Siehst Du nun, daß sie über meine Büchse gerathen ist!«

»Sihdi, Du bist ein gewaltiger Krieger, ein großer Gelehrter und der weiseste aller Richter,« entgegnete die ›Myrte‹, indem sie dem Hadschi ihren Hader sehr unternehmend vor der Nase herumschwenkte. »Du wirst diesen Vater eines Übelthäters und Sohn eines Verleumders streng bestrafen!«

»Bestrafen?« rief Halef ganz erstaunt. »Auch noch!«

»Ja,« entschied sie sehr bestimmt; »denn er ist es, der über meine Tüte gerathen ist und mich betrogen hat. Nur er allein hat den Kaffee vermischt, um mir und meinem Hause vor Deinen Augen Schande zu bereiten!«

»O, Du Ausbund aller neununddreißig Laster!« zürnte Halef ganz ergrimmt; »Du willst es wagen, mich, mich zum Diebe zu machen? Wärest Du nicht ein Weib, so würde ich Dich – – –«

»Halt, Halef, zanke nicht, denn ich bin da und werde ein gerechtes Urtheil sprechen! Mersinah, Du behauptest, daß dieser Halef Omar die beiden Arten des Kaffees unter einander gemengt hat?«

»Ja, Emir!«

»So hat er das Seinige zu diesem schwierigen Rechtsfalle beigetragen. Nun thue Du auch das Deinige und lies die Sorten wieder aus einander! Ich werde bald nachsehen, ob es geschehen ist, und dann mein Urtheil sprechen.«

Sie öffnete den Mund, um mir mitzutheilen, daß sie gesonnen sei, Einspruch oder Nichtigkeitsbeschwerde zu erheben, doch Halef kam ihr zuvor:

»Das muß aber schnell geschehen, denn wir brauchen den Kaffee sehr nothwendig!«

»Warum?« frug ich.

»Du hast ja Gäste oben!«

»Wen?«

»Drei Kurden, welche auf Dich warten. Derjenige, welcher Dich bereits besuchte, ist dabei.«

»So hole einstweilen rasch andern Kaffee!«

Ich stieg hastig die Treppe empor, denn die zwei andern Kurden konnten doch wohl nur die beiden Gefangenen sein. Diese Vermuthung bestätigte sich. Als ich eintrat, erhoben sie sich, und Dohub sprach:

»Hier ist der Emir, der Euch gerettet hat! O Effendi, der Mutesselim hat Deine Worte gelesen und mir den Vater und den Bruder zurückgegeben!«

»Sagtest Du ihm, daß Du nach Mossul gehen würdest?«

»Ja. Dein Rath war gut, denn der Commandant wurde sofort freundlicher, und als ich ihm Deinen Brief gab, ließ er Selim Agha rufen, der die Gefangenen bringen mußte.«

»Wie ist es mit dem Zoll und der Strafe?«

»Er hat uns Alles erlassen, aber das Pulver und Blei erhielten wir nicht zurück. Emir, sage uns, wie wir Dir danken sollen!«

»Kennst Du den Nezanum von Spandareh?«

»O, sehr gut! Seine Tochter ist das Weib unseres Bey, und er kommt sehr oft nach Gumri, um Beide zu besuchen.«

»Er ist auch mein Freund. Ich war bis heute früh bei ihm, und er bat mich, den Bey zu besuchen, wenn ich nach Gumri komme.«

»Komm, Herr, komm zu uns. Dein Empfang soll besser sein, als wenn der Mutesselim oder der Mutessarif käme!«

»Ich werde vielleicht kommen; aber bis dahin dürften wohl noch einige Tage vergehen. Der Nezanum hat mir ein Packet übergeben, welches ich dem Bey überreichen sollte. Es darf nicht lange hier liegen bleiben, und darum bitte ich Euch, es mit nach Gumri zu nehmen. Grüßt mir den Bey und sagt ihm, daß ich sein Freund sei und ihm alles Glück und Gute wünsche!«

»Das ist die Botschaft, die Du uns aufzutragen hast?«

»Ja.«

»Es ist zu wenig, Herr!«

»Vielleicht könnt Ihr mir später eine Liebe erweisen.«

»Wir thun es. Komm nur und befiehl, was Du von uns wünschest!«

»Würdet Ihr einem Freunde von mir Schutz gewähren, wenn er von dem Mutesselim verfolgt wird und sich zu Euch flüchtet?«

»Der Commandant würde ihn nie zu sehen bekommen!«

Ich wandte mich zu dem Älteren der beiden andern, denen man die Entbehrungen anmerkte, denen sie während ihrer Gefangenschaft unterworfen gewesen waren.

»Wißt Ihr, wer mit Euch gefangen war?«

»Nein,« antwortete er. »Ich stack in einem finsteren Loche, welches nur ganz wenig Licht erhielt, und ich konnte weder etwas hören, noch etwas sehen.«

Seinem Sohne war es ebenso ergangen.

»Ist der Sergeant, der Euch bewachte, ein böser Mann?«

»Er hat nie mit uns gesprochen. Die einzige menschliche Stimme, welche wir zu hören bekamen, war diejenige des alten schmutzigen Weibes, welches uns das Essen brachte.«

»Wie sind die Wege von hier nach Gumri?«

»Du mußt zunächst in das Thal von Berwari hinab, und zwar auf einem Pfade, der so steil und gefährlich ist, daß man nicht reiten kann, sondern die Pferde am Zügel führen muß. Das Thal ist reich von Eichen bewaldet und enthält Dörfer, welche theils von Kurden und theils von nestorianischen Chaldäern bewohnt werden. Auch durch die dürre Ebene wirst Du kommen, welche wir Newdascht nennen und in der das kurdische Dorf Maglano liegt; dann erreichest Du den kurdischen Weiler Hajis, in welchem nur einige arme Familien wohnen. Du mußt über viele Gewässer hinweg, die alle dem Zab zufließen, und erblickst Gumri schon von Weitem, da es auf einem hohen Felsen erbaut ist, welcher ganz allein in der Ebene steht.«

Nach diesen und andern nothwendigen Erkundigungen lud ich sie zum Essen ein. Die beiden frei gewordenen Gefangenen langten mit einem Heißhunger zu, der mich wohl erkennen ließ, wie besorgt die alte Mersinah um das leibliche Wohl ihrer Pfleglinge sei. Halef brachte auch Kaffee, ein Getränk, welches die Kurden am schmerzlichsten vermißt hatten, ganz ebenso wie den Tabak, den sie nachher rauchten.

Endlich brachen sie auf, eben als Selim Agha eintrat, um mir zu sagen, daß der Mutesselim bereit sei, mich zu empfangen. Sie nahmen einen herzlichen Abschied von mir und schärften mir nochmals ein, daß ich ja nach Gumri kommen möge. Dohub nahm das Packet des Dorfältesten mit, und ich war überzeugt, daß ich mir Freunde erworben hatte, auf die ich im Falle der Noth wohl sicher rechnen könne.

Ich besuchte nun zunächst meine Patientin und wurde in dem vorderen Zimmer von ihren Eltern mit Freude empfangen.

»Wie geht es Eurer Tochter?« fragte ich.

»O, viel, viel besser bereits, Herr,« antwortete der Mann. »Deine Weisheit ist fast noch größer als unser Dank, denn sie kann bereits wieder vernünftig reden und hat uns auch gesagt, daß sie wirklich von den Kirschen des Todes gegessen habe. Und Deine Güte ist noch größer, als wir verdienen und ahnten; denn ich habe erfahren, daß Du kein Arzt bist, der für Lohn zu den Kranken kommt, sondern ein großer Emir, der ein Liebling des Großherrn und ein Freund des Mutessarif ist.«

»Wer sagte dies?«

»Die ganze Stadt weiß es bereits. Selim Agha ist Deines Lobes voll; der Mutesselim hat Dich mit Parade empfangen und auf Deinen Befehl sogar Gefangene freilassen müssen. Einer sagt es dem Andern, und so haben auch wir es erfahren.«

»Bist Du ein Kind dieser Stadt? Ich sehe doch, daß Du doch wohl eigentlich ein Kurde bist!«

»Du hast richtig gerathen, Effendi. Ich bin ein Kurde von Lizan und für kurze Zeit nach Amadijah gezogen, weil ich mich daheim nicht sicher fühlte.«

»Nicht sicher? Warum?«

»Lizan gehört zu dem Gebiete von Tijari und wird meist von nestorianischen Christen bewohnt. Diese haben große Bedrückungen zu erleiden gehabt, so daß es seit Kurzem unter ihnen gährt, als ob sie sich einmal aufraffen und Rache nehmen wollten. Weil ich nun kein Christ, sondern ein Muhammedaner bin, so habe ich mich in Sicherheit gebracht und kann hier mein Geschäft in Frieden treiben, bis die Gefahr vorüber ist.«

»Welches Geschäft hast Du?«

»Ich kaufe die Galläpfelernten ein und versende sie nach dem Tigris, von wo aus sie dann weiter gehen.«

»Du bist ein Moslem, und doch ist die alte Mutter, welche ich bei Dir sah, eine Christin. Wie kommt das?«

»Emir, das ist eine Geschichte, die mich und mein Weib sehr betrübt. Der Ahne war ein berühmter Melek der Tijaris und nahm die Lehre an von Christus, dem Gekreuzigten. Sein Weib, die Ahne, die Du gesehen hast, that dasselbe. Aber sein Sohn war ein treuer Anhänger des Propheten und trennte sich vom Vater. Dieser starb und der Sohn später auch, der die Würde eines Melek verloren hatte. Er war arm geworden um des Propheten willen, trotzdem sein Vater einer der reichsten Fürsten des Landes war. Seine Kinder blieben auch arm, und als ich mein Weib heirathete, die seine Enkelin ist, hatte sie kaum ein Kleid, um ihre Blöße zu bedecken. Aber wir liebten einander, und Allah segnete uns; wir wurden reich.«

»Und die Ahne?«

»Wir hatten sie nie gesehen, bis sie uns einst in Lizan aufsuchte. Sie zählte über hundert Jahre, glaubte, nun bald sterben zu müssen, und wollte ihre Kindeskinder einmal sehen. Seit jener Zeit hat sie uns jährlich zweimal besucht; aber wir wissen nicht, woher sie kommt und wohin sie geht.«

»Habt Ihr sie nicht gefragt?«

»Einmal nur, aber da antwortete sie nicht und verschwand auf lange Zeit. Seitdem haben wir diese Frage nie wieder ausgesprochen. Sie ist jetzt bei der Kranken. Willst Du diese sehen?«

»Ja; kommt!«

Ich fand die Patientin bedeutend besser. Die Röthe war verschwunden; der Puls ging matt, aber ruhiger, und sie vermochte, wenn auch mit einiger Anstrengung, doch geläufiger zu sprechen, als da ich sie zuerst gesehen hatte, wo sie in der Betäubung fabulirte. Die Pupille hatte sich verengert, aber die Schlingbeschwerden waren noch vorhanden. Sie blickte mir neugierig und dankbar entgegen und erhob die Hand, um mir zu danken.

Ich rieth, mit dem Kaffee und Zitronensaft fortzufahren, und empfahl dabei ein heißes Fußbad; dann wollte ich wieder gehen. Da erhob sich die Gestalt der Alten, die bisher am unteren Ende des Lagers gekauert hatte.

»Herr,« sagte sie, »ich habe Dich für einen Hekim gehalten. Verzeihe, daß ich Dir Lohn versprach!«

»Mein Lohn ist die Freude, Dir Dein Enkelkind erhalten zu dürfen.«

»Gott hat Deine Hand gesegnet, Emir. Er ist mächtig in dem Schwachen und barmherzig in dem Starken. Wie lange wird die Kranke noch leidend sein?«

»Einige Tage sind genug, um ihre gegenwärtige Schwäche zu überwinden.«

»Emir, ich lebe, aber nicht in mir, sondern in diesem Kinde. Ich bin gestorben seit langen, langen Jahren; aber ich stand wieder auf in Der, welche ich bewahrt sehen möchte vor jedem Flecken des Leibes und der Seele. Du hast nicht ihr allein, sondern auch mir das Leben erhalten, und Du weißt nicht, wie gut dies ist für Viele, die Du weder kennst noch jemals gesehen hast. Du wirst wiederkommen?«

»Ja, morgen.«

»So brauche ich Dir heute weiter nichts zu sagen.«

Sie wandte sich ab und setzte sich wieder an ihren früheren Platz. Sie sprach so dunkel und war selbst für ihre Verwandten ein Räthsel. Ich hätte mir Zeit genug wünschen mögen, dieses Räthsel zu lösen. Ich sollte essen und trinken, ehe ich das Haus verließ, aber ich kam eben von dem Mahle her und hatte auch bei dem Mutesselim ein solches zu erwarten; daher mußte ich abschlagen.


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