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Der Kaperkapitän.

1. Vor Toulon.

Es war am Maternustage des Jahres 1793. Wochenlang hatte man auf die gesegneten Fluren der Provence das Bibelwort anwenden können: »Der Himmel über dir soll sein wie brennendes Erz und die Erde unter dir wie glühendes Eisen«. Heute früh aber hatte sich der Horizont mit dichten, zusammengeballten Wolken umlagert, deren Säume sekundenlang von zuckenden Blitzen erleuchtet wurden, während die krachenden Schläge des Donners die Felsen der Küste erschütterten und an den gischtumspritzten Wogenkämmen ihre Echos zu vertausendfachen schienen.

Der prasselnde Regen goß in solcher Dichtigkeit herab, daß ihm keine Kleidung zu widerstehen vermochte und wohl jedes lebende Wesen sich schon längst unter ein schützendes Obdach zurückgezogen hatte. Ein einziger nur befand sich im freien Felde. Er schritt die Straße dahin, die durch Wein- und Olivenpflanzungen nach dem Städtchen Beausset führt. Sein Gewand war, leicht und sommerlich gearbeitet, vom Regen vollständig durchdrungen, legte sich eng wie eine Haut an seine schlanke, kräftige Gestalt; aber das schien ihn nicht im mindesten zu stören. Sein jugendliches Gesicht lächelte vergnügt in den Gewitterguß hinein und seine federnden Schritte waren ganz diejenigen eines Spaziergängers, der nicht die geringste Veranlassung hat, sich zu beeilen.

Da tauchte vor ihm, an der Seite der Straße, ein kleines Häuschen auf. Zu beiden Seiten der Türe waren je zwei ineinander gesteckte Dreiecke angebracht und darüber stand in halb verwaschenen Lettern zu lesen: » Cabaret du roussillon«.

Er blieb trotz des strömenden Regens ganz gemütlich davor stehen, schob die Mütze in das Genick, stemmte die Fäuste in die Hüften und betrachtete die Inschrift genau.

» Cabaret du roussillon! Ob dieser Roussillon wohl echt sein, wird? Das Haus sieht nicht darnach aus. Nasser werde ich nicht, wenn ich weiter gehe, und ich weiß dann ganz genau, daß ich es mit reinem Gotteswasser zu tun habe. Wasser ist die herrlichste Gabe des Himmels, aber im Wein soll man es nicht finden. Ich werde also weiter segeln und erst in Beausset vor Anker gehen.«

Schon wandte er sich, um seinen Weg fortzusetzen, als die Tür sich öffnete und eine Person erschien, in der man sofort den Wirt erkannte.

» Eh, mon cher, wohin wollen Sie?« erklang eine schrille, fette Weinstimme unter der blauen Nase hervor. »Ist es vielleicht geradezu Ihre Absicht, in diesem Wolkenbruch ertrinken zu wollen?«

»Das weniger,« antwortete der Wandersmann. »Vor diesem Wetter fürchte ich mich nicht, wohl aber vor einem Wolkenbruch aus Ihren Fässern.«

»Dann kommen Sie getrost herein, denn wir haben ganz denselben Geschmack, und ich bin nicht der Mann, der einen guten Bürger mit einem schlechten Wein vergiftet.«

»So will ich Ihrem Wort glauben und auf fünf Minuten beidrehen. Hollah, ein neuer Mann an Bord!« Diese letzten Worte sprach er, bereits in die Stube tretend, wo er sich das Wasser möglichst aus den Kleidern schüttelte, ungefähr wie es ein nasser Pudel macht, und dann auf dem Stuhl Platz nahm, den ihm der Wirt herbeigezogen hatte.

In dem kleinen Raum sah es ordentlich kriegerisch aus. Er war ganz von Soldaten des Nationalkonvents Die Versammlung der Abgeordneten, der während der französischen Revolution nach dem Umsturz des Thrones die gesamte Staatsgewalt zufiel. Der Herausgeber. erfüllt, und außer dem zuletzt Eingetretenen und dem Wirt gehörte nur ein einziger Gast dem Zivil an; dies war ein Missionspriester vom Orden des heiligen Geistes, der im Jahre 1703 von Abbé Desplaces, Vincent le Barbier und J. H. Garnier in Paris gestiftet wurde. Dieser Priester saß still in seiner Ecke und schien sich mehr mit seinen Gedanken als mit seiner Umgebung zu beschäftigen. Er mußte ein ungewöhnlicher und mit einem ganz besonderen Mut begabter Mann sein, sonst hätte er sich nicht unter diese wilde Soldateska gewagt. Man hatte damals in Frankreich bereits alle geistlichen Orden aufgehoben und von sämtlichen Geistlichen die Ablegung des Bürgereids verlangt. Wer diesen Eid verweigerte, wurde als Rebell behandelt. Es war eine Zeit der wildesten Anarchie. Wenige Tage nach dem Beginn unserer Erzählung, nämlich am 6. Oktober 1793, schaffte man die vorherige Zeitrechnung ab; am 10. Dezember führte die Pariser Commune den »Dienst der Vernunft« ein; am 7. Mai 1794 verfügte der Nationalkonvent, daß es keinen Gott mehr gebe, und am 24. desselben Monats befahl dieser Konvent, daß kein Bürger mehr an die Unsterblichkeit der Seele glauben dürfe. Unter diesen Umständen war es gewiß ein Beweis außerordentlichen Mutes, sich im Ordenskleid unter die halb betrunkenen Krieger der Revolution zu wagen, eine Kühnheit, die sehr leicht verhängnisvoll werden konnte.

Ein bärtiger Sergeant-Major war der erste, der den eingetretenen Fremden Anredete: »Holla, Bürger, woher des Wegs?«

»Ein wenig von der Durance herunter.«

»Und wohin, he?«

»Nach Beausset hinein.«

»Was willst du dort?«

»Einen Freund besuchen. Hast du vielleicht etwas dagegen?«

»Hm, vielleicht; vielleicht auch nicht.«

»Aaah!« Er stieß diesen Laut nur langsam und leise aus, aber es wäre wohl nicht möglich gewesen, eine ironische Stimmung deutlicher auszudrücken. Er legte die Beine übereinander, schlug die Arme über der Brust zusammen und blickte den Sergeant-Major mit ein paar Augen an, in denen alles, nur keine Bewunderung zu lesen war. Dieser junge Mann konnte höchstens dreiundzwanzig Jahre zählen, aber seine hohe Stirn, seine breiten Schläfen, die dichten Brauen, der durchdringende Blick, die scharfe Adlernase, der energisch gezeichnete Mund, der sehnige, von der Sonne gebräunte und vom Hemdkragen bloßgelassene Hals, die breiten Schultern, der geschmeidige Gliederbau, das alles machte den Eindruck des Gereiften, des Achtunggebietenden, des Ungewöhnlichen.

»Was wunderst du dich da, Bürger?« fragte der Unteroffizier. »Glaubst du, daß zum Hauptquartier in Beausset ein jeder Zutritt habe, dem es beliebt?«

»Das glaube ich nun freilich nicht; aber glaubst du vielleicht, Bürger Sergeant-Major, daß du es bist, den man um die Erlaubnis zu fragen hat?«

»Schweig! Ein jeder Soldat hat die Pflicht, die Sicherheit des Heeres zu bewachen! Wie ist dein Name, Bürger?«

»Robert Surcouf,« antwortete der Gefragte mit einem etwas spöttischen Zug um die Mundwinkel.

»Was bist du?«

»Seemann.«

»Ah, darum tappst du in aller Seelenruhe wie eine Ente da draußen im Wasser herum! Wer ist der Freund, den du besuchen willst?«

»Der Bürger Grenadier Andoche Junot.«

»Andoche Junot, der Advokat gewesen ist? Das ist ein guter Kamerad. Woher kennst du ihn?«

»Wir sahen uns zu Bussy le Grand, wo er geboren wurde.«

»Das stimmt! Du bist legitimiert, Bürger Surcouf. Junot steht bei meiner Kompagnie; ich werde dich zu ihm bringen. Vorher aber magst du mit uns trinken. Es gibt hier nur eine Sorte: Roussillon; aber er ist stark und lieblich zugleich. Probiere ihn!«

Der Wirt brachte ein großes Humpenglas des berühmten Getränks, und alle Hände streckten sich aus, es auf Rechnung des Fremden anzutrinken. Dieser ließ sich das lachend gefallen; er gab zu, daß man das Glas immer von neuem zu füllen befahl und wieder austrank, und als der Wirt wegen der Bezahlung ein bedenkliches Gesicht zu machen begann, zog er eine Handvoll Assignaten »Anweisungen« = das von der französischen Revolution eingeführte Papiergeld. Der Herausgeber. aus der ledernen Brieftasche und warf davon mehr als nötig auf den Tisch. Bei diesem Anblick erhob sich größer Jubel; der Wirt mußte von neuem füllen, und nun wurde auch der geistliche Herr bedacht, dem man bisher noch keinen Schluck gegönnt hatte. Der Sergeant-Major trat zu ihm, hielt ihm den Humpen entgegen und forderte ihn auf:

»Steh auf, Bürger Confrère, nimm das Glas und trinke auf das Wohl des Konvents, der den Papst zum Lande hinausgeworfen hat!«

Der Priester erhob sich wirklich und ergriff das Glas; aber anstatt den geforderten Toast zu bringen, sprach er mit sanfter, jedoch fester Stimme: »Gott hat uns diese Gabe nicht zur Lästerung gegeben. Im Wein ist Wahrheit und ich will nicht eine Lüge sagen. Ich trinke auf das Wohl des heiligen Vaters in Rom, den die Heerscharen des Himmels beschützen werden!«

Er wollte das Glas zum Munde führen, aber ein Faustschlag des Sergeant-Major schmetterte es ihm aus der Hand, so daß es am Boden in Stücke zerschellte. »Was fällt dir ein, Bürger Confrère!« rief der Unteroffizier. »Weißt du nicht, daß in unserem schönen Frankreich der alte Saint-Père abgesetzt worden ist? Wie lange wird es dauern, so wirft man euch auch selbst hinaus mit allem, was ihr uns weisgemacht habt! Ich befehle dir, deinen Toast zu widerrufen!«

Da drängte sich ein anderer, ein Tambour-Major, hinzu: » Halte-là, Alter! Warum zerschlägst du ihm das Glas? Bürger Wirt, gib ein neues, volles her! Dieser da gehört ganz sicherlich zu denen, die sich weigern, den Bürgereid zu leisten. Wir werden ihn auf die Probe stellen, und wehe ihm, wenn er sie nicht besteht!«

Der Wirt brachte das Verlangte; der Tambour-Major drückte dem Priester das gefüllte Glas in die Hand und befahl ihm: »Jetzt trinke mir zu, Bürger, und rufe laut: »Es lebe die Republik; nieder mit dem Papst!«

Der Bedrängte zeigte nicht die mindeste Angst. Sein Angesicht war bleich, aber seine Augen blitzten, als er, das Glas erhebend, rief: »Es lebe der heilige Vater; nieder mit den Feinden Frankreichs und den seinen!«

Da erhob sich unter der rohen Horde ein wüstes Geschrei; zwanzig Hände streckten sich aus, den mutigen Bekenner seines Glaubens zu ergreifen, um ihn zu mißhandeln, aber man kam nicht dazu: der Fremde hatte sich herbeigedrängt. Niemand konnte sagen, wie es kam aber er stand plötzlich vor dem Priester, den er mit seinem Leibe deckte und rief mit lächelnder Miene: »Bürger, wollt ihr mir einen Gefallen tun?«

»Welchen?«

»Seid so gut und ringt mir erst das Wasser aus der Jacke, ehe ihr euch an diesem Gottesmann vergreift!«

Sie begriffen wirklich seine Absicht nicht sogleich; sie wurden irre an dem Lachen seines Auges und an der Freundlichkeit seines Tones; aber in diesem Auge lag etwas, was sie stutzen machte.

»Deine Jacke?« frug der Sergeant – Major. »Was haben wir mit dieser zu tun? Geh auf die Seite, Bürger Surcouf, wir wollen diesem Heuchler eine Litanei einpauken, die er nicht vergessen soll!«

»So erlaubt wenigstens, daß ich erst einen Schluck mit ihm trinke!« Er nahm dem Priester das Glas aus der Hand und fragte ihn: »Wie ist dein Name, frommer Vater?«

»Ich werde Bruder Martin genannt,« antwortete der Gefragte.

» Eh bien, Bruder Martin, so erlaube, daß ich mit dir trinke auf dein Wohl, auf das Wohl aller mutigen Männer, die sich nicht fürchten, die Wahrheit zu bekennen, auf das Wohl meiner schönen Bretagne, wo ich geboren bin, auf das Wohl meines Vaterlandes, auf den Sieg unseres Glaubens und auf das Wohl aller ehrwürdigen Diener der heiligen Kirche, die Gott der Herr beschützen möge!«

Er setzte das Glas an die Lippen und trank es bis zur Nagelprobe aus. Einige Sekunden lang herrschte tiefe Stille in der Stube, die Stille der Ueberraschung, dann aber brach der Sturm los. Alle Stimmen schrieen, und alle Fäuste ballten sich; man drängte sich zornig heran, aber der lange Tambour-Major breitete die Arme aus und hielt die andern zurück.

»Halt, Bürger Kameraden!« rief er. »Der Soldat, muß bei jedem Angriff nach bestimmten Regeln verfahren. Dieser Mensch, der sich Bürger Surcouf nennen läßt, scheint mir kein Seemann, sondern ein verkappter Emissär des Papstes zu sein. Wir wollen ihn einmal auf die Bank legen und mit dem Stock befragen. Bürger-Sergeant-Major, faß an!«

Die beiden starken Menschen streckten die Hände aus, um Surcouf zu erfassen – flogen aber so schnell nach rechts und links auseinander, daß niemand eigentlich begreifen konnte, wie es geschehen war. Ein Schrei der Wut erscholl ringsum, und nun ließ sich keiner mehr halten, sich auf die beiden Angegriffenen zu werfen. Da aber ertönte ein lautes Krachen; Sourcouf hatte ein Bein vom Tisch gebrochen und schlug damit einen so regelrechten Achter, daß sofort zwei, am Kopf scharf getroffen, zu Boden stürzten, die anderen aber sich schleunigst zurückzogen.

»Glaubt ihr nun, daß ich Seemann bin?« lachte er. »Ein Schiffer weiß so ein petit levier Handspeiche, Brechstange. schon zu gebrauchen! Ist das der Dank, daß ihr meinen Wein getrunken habt, ihr Memmen, die ihr euch an zwei Männer wagt, weil ihr über dreißig zählt? Kommt her und legt den Robert Surcouf auf die Bank, wenn ihr könnt!«

»Drauf auf sie!« brüllte der Sergeant-Major.

Surcouf ließ das Tischbein wieder wirbeln; aber die hinten Stehenden drängten die Vorderen, und es hätte gewiß ein Unglück, gegeben, wenn nicht eben jetzt eine helle, scharfe, gebieterische Stimme von der Tür her gerufen hätte:

» Cessez à l'instant! Was geht hier vor?«

Draußen vor den Fenstern sah man einen kleinen Reitertrupp halten, und unter der Tür stand derjenige, der gesprochen hatte. Er war von kleiner, schmächtiger Gestalt; sein hageres, scharf geschnittenes Gesicht zeigte eine bronzene Färbung; die breite Stirn bedeckte ein Tressenhut, und die Gestalt war in einen weiten Regenrock gehüllt. Beim Anblick dieses Mannes zogen sich die Angreifer erschrocken zurück, indem sie mit der tiefsten. Ehrerbietung salutierten. Er mochte vierundzwanzig Jahre zählen; sein bartloses Gesicht blieb regungslos, aber sein mächtiges Auge blitzte im Kreise umher und blieb dann auf demjenigen haften, der unter den Anwesenden den höchsten Rang bekleidete:

»Bürger Tambour-Major, berichte!«

Der Genannte, dem bereits der Angstschweiß auf die Stirn zu treten begann, erzählte in kurzer, soldatischer Weise: »Hier ist ein Pfaffe, mon colonel, und ein päpstlicher Emissär, die uns beleidigten.«

»Und darauf antwortet ihr mit Schlägen! Welcher ist der Emissär?«

»Der mit dem Tischbein.«

»Woher weißt du, daß er ein Emissär ist?«

»Ich vermute es.«

» Très bien, Bürger Tambour-Major. Du bist fertig; nun mag auch er sprechen!«

Surcouf trat einen Schritt vor und blickte dem Offizier furchtlos in die Augen. »Mein Name ist Surcouf, Bürger Colonel; darf ich um den deinigen bitten?«

»Ich heiße Bonaparte,« erklang es kalt und stolz.

»Also ich heiße Surcouf, Robert Surcouf, bin Seemann und wollte nach Beausset, um meinen Freund Andoche Junot, den Advokat und Bürger Grenadier, zu besuchen. Ich trat hier ein, ließ diese Bürger-Soldaten Wein auf meine Rechnung trinken, bis sie von diesem würdigen Priester verlangten, daß er auf das Verderben seines höchsten Oberhauptes, des heiligen Vaters, trinken solle. Er tat es nicht, und darum wollten sie ihn schlagen. Er ist ein Mann des Friedens und kann sich nicht wehren; darum brach ich dieses Tischbein ab und habe ihn verteidigt. Nun halten sie mich für einen Emissär. Ein braver Seemann aber wird einen jeden verteidigen, der von einer Uebermacht unschuldig angegriffen wird. Es sind noch viele Tischbeine hier!«

Ueber das Gesicht des Obersten zuckte ein leises, ganz leises Lächeln, das aber sofort wieder verschwand. Er wandte sich zu den Soldaten: »Bürger Tambour-Major, du marschierst sofort mit den andern in Arrest!«

Das Wort war kaum gesprochen, so salutierten sämtliche »Bürger-Soldaten« und marschierten zur Tür hinaus. Dann drehte sich der Oberst wieder zu den beiden andern herum. Sein Wort galt zunächst dem Priester:

»Wer bist du?«

»Ich bin Bruder Martin vom Orden der Missionäre des heiligen Geistes,« lautete in bescheidenem Ton die Antwort.

»Es sind alle Orden aufgehoben. Hast du den Bürgereid geleistet?«

»Nein. Mein Eid gehört nur der heiligen Kirche.«

»Das wird sich finden.« Und sich zu dem Seemann wendend, fuhr er fort: »Surcouf? Das klingt mir bekannt! Hm, hast du den Namen »the Runner« gehört?«

»Ja. Das war das englische Avisoschiff, das ich durch die Klippen bringen sollte, aber mit voller Absicht auf eine Sandbank laufen ließ.«

Der Oberst maß den jungen Mann mit einem kurz aufleuchtenden Blick. »Ah, das wärst also du? Wirklich? Weißt du, Bürger Surcouf, daß dein Leben damals an einem Haar hing?«

»Ich weiß es; aber sollte ich den Feind in den Hafen bringen? Ich sprang, sobald der ›Runner‹ auflief, über Bord und kam glücklich an Land, obgleich die Kugeln mir um den Kopf pfiffen. Die Engländer schießen schlecht, Bürger Colonel!«

»Wir werden in diesen Tagen sehen, ob du recht hast. Warum nimmst du dich eines Priesters an, der den Bürgereid nicht leisten will?«

»Weil das meine Pflicht ist. Ich bin ein guter Katholik; ich habe mit ihm auf das Wohl des heiligen Vaters getrunken.«

»Ah, quelle inconsidération! Mußtest du das tun? Brauchtest du mir dies zu sagen, Bürger Surcouf? Ich sah, daß du einige Soldaten verwundet hast.«

»Ja, mit dem Tischbein hier.«

»Gut. Der Fall soll untersucht und bestraft werden. Auch ihr beide seid arretiert. Man wird euch nach Beausset bringen; doch sollst du deinen Freund Junot zu sehen bekommen. Adieu!«

Der klein gebaute Offizier wandte sich scharf auf dem Absatz um und verließ die Stube. Eine Minute später sprengte er mit seinen Begleitern davon; er befand sich jedenfalls auf einem Erkundungsritt. Zu gleicher Zeit aber traten drei Militärs ein, die den beiden sagten, daß sie ihnen nach Beausset zu folgen hätten.

»Das werden wir tun,« meinte Surcouf, indem er sein Tischbein beiseite legte. »Beausset war ohnedies mein Ziel.«

»Aber das meinige nicht,« antwortete Bruder Martin. »Ich wollte hinauf nach Sisteron.«

»Dorthin kannst du auch morgen gehen, mein frommer Bruder. Bis dahin magst du in Beausset mein Gast sein; vorher aber wollen wir hier mit drei tapferen Bürgern noch ein Glas trinken. Ich finde diesen Roussillon sehr gut und muß ja auch mein Tischbein bezahlen.«

Der wackere Seemann schien sich in seine Gefangenschaft sehr leicht zu finden. Es war ihm nicht die mindeste Abnahme seiner guten Laune anzumerken, und als dann später aufgebrochen wurde, ertrug er den strömenden Regen mit derselben Geduld, mit der er ihn vorher ertragen hatte.

Beausset ist noch heute 1882! Der Herausgeber. ein kleiner Ort von nicht viel über 3000 Einwohnern. Es gibt dort eine Wollenweberei und in der Umgegend wird ein gutes Olivenöl, sowie ein leidlicher Rotwein gebaut. Als die beiden Gefangenen dort anlangten, wurden sie nach dem Hause geführt, wo der Oberstkommandierende, General Carteaux, sein Quartier aufgeschlagen hatte, und dort in eine enge, dunkle Kammer eingesperrt, deren einziges Fenster durch den Laden dicht verschlossen, war.

»So, hier liegen wir vor Anker,« lachte Surcouf. »Leider gibt es weder Hängematte noch Daunenbett. Wir müssen uns mit dem Bewußtsein fügen, daß man uns bald aus dieser Koje erlösen wird.«

»Ich wenigstens habe das nicht zu hoffen,« seufzte Bruder Martin. »Weißt du nicht, Bürger Surcouf, daß es jetzt in Frankreich kein größeres Verbrechen gibt, als dem Willen des Konvents zu trotzen? Ich habe meinen priesterlichen Eid abgelegt und kann keinen anderen schwören. Ich sehe böse Tage für mich kommen, aber ich bleibe meinem Schwur treu.«

Da ergriff Surcouf die Hände der Gefährten und seine Stimme klang ganz anders als bisher, indem er nun in bewegtem Tone sagte:, »Das vergelte dir Gott, Bruder Martin! Viele, viele sind abgefallen; aber noch mehr sind freiwillig in die Verbannung gegangen oder bleiben mutig im Lande, um mit der Hydra des Unglaubens und der Vergewaltigung zu kämpfen. Ich bin nicht der sorglose Mann, der ich scheine. Ich sehe eine Zeit kommen, in der man auch das Allerheiligste verleugnen wird, nachdem man vorher das Heiligste beschimpfte, eine Zeit, in der es starker Geister und gewaltiger Arme bedarf, um das Vaterland, von der Herrschaft des Schreckens zu befreien und unserm Volk die ihm von Gott angewiesene Stellung unter den Nationen zu erhalten. Es wird große Kämpfe geben; es werden Ströme Blutes fliehen; es wird ein gigantisches Ringen des einen gegen alle sein. Das Weizenkorn, das unter dem Unkraut der Revolution verborgen liegt, wird aufgehen, doch werden dunkle Wolken es beschatten und Stürme es knicken wollen. Da gilt es, wach und munter zu sein; da gilt es, sich beizeiten im Kampf zu üben und zu stählen, damit ein jeder an seinem Platz sei, wenn die Kräfte gemessen werden. Ich bin ein Sohn des Vaterlandes, und auch ich habe die Pflicht, treu und stark zu ihm zu halten in aller Not und Gefahr. Darum habe ich mich ihm zum Dienst angeboten, aber man hat mich abgewiesen, weil ich offen bekenne, daß ich nicht zu denen gehöre, die den Stuhl Petri stürzen und Christus abermals an das Kreuz schlagen möchten. Wegen einer freimütigen Rede habe ich aus Paris flüchten müssen; ich ging an andere Orte und wurde wieder abgewiesen; nun komme ich nach Toulon, um den letzten Versuch zu machen. Ich werde mit den Generalen Carteaux und Doppet sprechen; ich werde auch mit diesem Colonel Bonaparte reden; er hat das Gesicht eines Mannes, welcher wachsen wird; vielleicht erreiche ich hier am letzten Ort, was mir anderwärts versagt wurde.«

Der Priester hielt seinen Blick erstaunt auf den Sprecher gerichtet. Dieser junge Mann war auf einmal ein ganz anderer geworden; der fröhliche, sorglose, unbekümmerte Jüngling stand plötzlich da als ein Mann, dessen Auge prophetisch in die Ferne blickte, dessen Rede begeistert von den Lippen floß und dessen Aufgabe auf ein großes Ziel gerichtet war.

»Mein Sohn,« sagte Bruder Martin, »ich höre aus deinem Mund Worte eines Mannes, dessen Weg zur Höhe führen muß. Was auch die Zukunft dir beschieden haben mag, sei stets der ewigen Wahrheit eingedenk, daß der Mensch nichts Gutes tut als nur in Gott und daß er einen Richter hat für jeden Gedanken, jedes Wort und jede Tat, die er vollbringt! Dein Fuß wird nicht gewöhnliche Pfade wandeln; laß dich bei jedem Schritt von dem Licht leiten, das kein Konvent und keine Revolution verlöschen kann!« –

Nach längerer Zeit wurde die Tür geöffnet. Man rief Surcouf, um ihn zum kommandierenden General zu führen. Es dauerte lange, ehe er zurückkehrte, und dann wurde Pater Martin abgeführt. Dieser kam sehr bald zurück. Er hatte sich erklären sollen, ob er bereit sei, den Bürgereid zu leisten, und als er sich entschieden weigerte, war ihm eröffnet worden, daß man ihn als Verräter behandeln müsse und ihm also seine Freiheit nicht zurückgeben könne. Surcouf fragte ihn, was er dagegen zu tun entschlossen sei.

»Was soll ich machen?« sagte er. »Ich bin ein Mann des Wortes, aber nicht ein Mann des Schwerts. Es wird mir gehen wie so vielen anderen; man wird mich nach Paris bringen und dort werde ich verschwinden.«

»Ah, du würdest nicht in Paris, sondern bereits unterwegs verschwinden; aber dies soll nicht geschehen, so wahr ich Robert Surcouf heiße!«

»Wie wolltest du mir helfen? Du bist ja selbst Gefangener!«

»Aber ich werde es nicht immer sein. General Carteaux wollte sich nur vergewissern, ob ich ein Emissär sei oder nicht. Seitdem er einsieht, daß ich ein ehrlicher Seeman bin, handelt es sich nur noch um die kleinen Hiebe, die diese guten Bürger-Soldaten von mir erhalten haben, und darüber soll Colonel Bonaparte urteilen, wurde mir gesagt. Ich werde also baldigst auf freiem Fuß sein.«

»Welcher Mensch kann mit Sicherheit auch nur von dem nächsten Tag sprechen! Ich wollte nach Sisteron, um von da vielleicht über Gap oder Embrun und Briançon aus Frankreich zu kommen; nun aber bin ich gar gefangen!«

»Ueber Gap und Embrun? Oh malheur! Einen solchen Fluchtweg kann nur eine Seele einschlagen, die mehr im Himmel als auf Erden wandelt! An diesen beiden Festungen muß ein jeder hängen bleiben, der nach dieser Richtung hin entkommen will, und überdies wimmelt die ganze Strecke von Toulon bis an die italienische Grenze von Konventstruppen, die schwer zu täuschen sind. Dazu begreife ich nicht, wie man in einem Weinhaus einkehren kann, wenn man den Häschern entgehen will!«

»Der Wirt dieses Hauses ist mein Verwandter; er hielt mich lange Zeit versteckt, und eben wollte ich Abschied nehmen, als das Wetter die Soldaten herbeitrieb.«

»Das hätte nichts zu sagen gehabt; aber dieses geistliche Gewand ist zum Verräter geworden. Ueberhaupt gibt es von hier aus auf dem Landweg kein Entkommen; nur auf der See ist die gesuchte Freiheit zu finden.«

»Aber wie gelangt man ohne Freunde, ohne Mittel und ohne Kenntnis der Fahrgelegenheiten auf ein sicheres Schiff?«

»Durch mich, durch Robert Surcouf. Verlaß dich drauf!«

Er konnte nicht weiter sprechen, denn die Tür wurde abermals geöffnet, und es trat ein Grenadier herein, in dem Surcouf seinen Freund Junot erkannte. Dieser war jetzt noch gewöhnlicher Soldat, aber man weiß, daß er nur drei Tage später Sergeant wurde. Bei der Beschießung von Toulon vom 15. bis 17. Dezember 1793 diktierte ihm Napoleon einen Befehl; da schlug eine Kanonenkugel neben ihnen in den Boden und bespritzte das Blatt mit Erde. »Prächtig,« rief Junot, »so brauchen wir keinen Streusand!« Durch dieses Wort wurde Bonaparte auf ihn aufmerksam und ließ ihn von da an nicht wieder aus den Augen, so daß Junot schon 1804 Divisionsgeneral und Kommandant von Paris wurde.

Dieser Grenadier, der jetzt noch nicht ahnen konnte, daß er einst die Herzogskrone des Abrantes tragen werde, hatte große Freude, seinen Freund Surcouf wieder zu sehen. Er erfuhr, daß dieser sich um eine Anstellung in der Marine bewerbe, und daß er nun auch von General Carteaux abschlägig beschieden worden sei. Junot konnte für den Freund nichts tun, als ihm seine gegenwärtige Haft erleichtern; er sorgte für Speise, Trank und Licht und mußte die beiden dann ihrem Schicksal überlassen.

Erst am Nachmittag des nächsten Tages kam eine Ordonnanz, die den Seemann zu Bonaparte bringen sollte. Dieser befand sich nicht in Beausset, sondern außerhalb des Ortes in einer Schanze, von wo aus die Befestigungen von Toulon beschossen wurden.

Diese Stadt hatte sich der unter Admiral Hood stehenden Flotte der vereinigten Engländer und Spanier übergeben, und der Konvent machte die riesigsten Anstrengungen, diesen hochwichtigen Platz zurückzuerobern. Leider erwiesen sich die Generale Carteaux und Doppet als unfähig; der eine war ein Maler und der andere ein Arzt gewesen; sie waren im Atelier und Lazarett an ihrem Platze, nicht aber vor den gewaltigen Außenwerken eines so großartigen Waffenplatzes, und darum hatte man den jungen Napoleon Bonaparte gesandt, um den beiden Generalen beizustehen.

Der Korse hielt soeben neben den beiden Obergeneralen, als Surcouf zu ihm geführt wurde. Er beachtete den Gefangenen gar nicht und schien nur in das Gespräch vertieft, das er mit seinen zwei Vorgesetzten führte.

»Und ich kann dennoch nicht von meiner Ueberzeugung abgehen,« sagte er. »Wenn wir so fortfahren, werden wir nach Monaten immer noch ohne Erfolg vor Toulon liegen! Was sind unsere Geschütze gegen die Feuerschlünde der Festung und der Flotte! Wir müssen so schnell wie möglich neues Belagerungsgeschütz aus Marseille und den andern Waffenplätzen kommen lassen. Wir dürfen nicht nur die Befestigungen der Stadt beschießen, sondern wir müssen vor allen Dingen die feindlichen Schiffe mit glühenden Kugeln bewerfen. Haben wir die Flotte vernichtet und vertrieben, so kann sich die Stadt unmöglich mehr lange halten. Geben Sie mir Vollmacht, so verspreche ich, daß Toulon sich in vierzehn Tagen in unseren Händen befindet!«

»Nur nicht allzu siegesgewiß!« erwiderte Carteaux in hochfahrendem Ton. »Selbst wenn die Flotte weichen muß, wo haben wir die Mittel, Befestigungen wie Fort Malbosquet, Balagnier und Eguilette zu bezwingen?«

»Man schaffe nur zunächst Geschütze und Munition herbei, verstärke die Belagerungsarmee bis auf vierzigtausend Mann und versehe die Verstärkungen mit dem notwendigen Zubehör! Ich habe das Gelände noch nicht genau studieren können, aber es muß ein Punkt zu finden sein, der die feindlichen Werke beherrscht, und von diesem aus werden wir den Gegner zu bezwingen wissen.«

Surcouf hatte die Worte gehört; er trat mit zwei raschen Schritten an die drei Offiziere heran und sagte: »Pardon, Bürger! Dieser Punkt ist bereits gefunden.«

Carteaux machte eine strenge, zurückweisende Gebärde; auch Doppet drehte sich stolz zur Seite. Napoleon aber überflog den Sprecher mit einem Blitze seines Auges und meinte: »Du bist sehr kühn, Bürger Surcouf! Wenn Offiziere sprechen, hat jeder andere zu schweigen, besonders wenn er gar ein Gefangener ist. Welchen Punkt meinst du?«

»Bürger Colonel, siehe dort den Platz zwischen beiden Häfen der Stadt. Wenn du ihn besetzest, so kannst du die feindliche Flotte in ihrer ganzen Ausdehnung bestreichen. Die Stadt muß sich in zwei oder drei Tagen ergeben, sobald du ihre Festungswerke von dort aus mit Vierundzwanzigpfündern und Mörsern zerschmetterst. Das Auge wird dich lehren, daß von diesem Punkt aus Fort Malbosquet sehr leicht zu bombardieren ist.«

Bonaparte setzte das Fernrohr an und musterte die betreffende Gegend. Als er es wieder absetzte, bewegte sich kein Zug seines ehernen Gesichts. Er blickte lange auf den Horizont hinaus; dann aber wandte er sich plötzlich zu den beiden Generalen: »Dieser Mann hat recht. Ich ersuche die Bürger-Generale, seinen Rat, den ich mit meiner Ueberzeugung unterstütze, in schnelle Erwägung zu ziehen!«

»Den Rat eines Arrestanten!« rief Carteaux. »Schäme dich, Bürger Colonel!«

Auch auf diese beleidigende Antwort zuckte keine Wimper in Napoleons Gesicht; aber seine Stimme klang scharf und schneidig, als er entgegnete: »Allerdings schäme ich mich, Messieurs, aber nicht über den Rat, der uns erteilt wurde, sondern darüber, daß bis jetzt noch nicht gefunden worden ist, was dieser Bürger auf den ersten Blick bemerkte. Ich bin gewohnt, jeden nützlichen Rat anzunehmen, er komme, von wem es auch sei, und bitte, den betreffenden Punkt schleunigst besetzen und befestigen zu lassen. Wenn uns die Engländer zuvorkommen, so wird es uns außerordentliche Opfer kosten, die Unterlassung wieder auszugleichen.«

»Colonel!« brauste Carteaux auf. Er wollte mehr sagen, Doppet aber ergriff ihn am Arm und zog ihn fort.

Bonaparte blickte ihnen mit finsterer Miene nach. »Man wird dennoch tun müssen, was ich will,« murmelte er, und zu Surcouf gewendet, fuhr er fort: »Dein Plan ist gut, Bürger, ich danke dir. Wo hast du diesen Scharfblick, her, du, ein Matrose?«

»Matrose?« lachte der Gefragte. »Ein Schüler der See-Akademie und des Bureau des longitudes! Der Seemann hat ebenso seine Strategie und Taktik, wie der Offizier des Festlands. Bürger Colonel, ich freue mich, mit dir sprechen zu können. Ich bin dein Gefangener; du wirst mich vielleicht bestrafen, weil ich einigen unnützen Burschen den Schädel geklopft habe; ich werde diese Strafe auf mich nehmen; aber wenn ich sie verbüßt habe, so werde ich dich abermals aufsuchen, dann habe ich dir eine Bitte vorzutragen.«

»Sprich sie aus!«

»Heute nicht. Erst muß ich die Strafe hinter mir wissen.«

Bonaparte runzelte leicht die Stirn. »Du sprichst, sehr zuversichtlich! In deinem Alter ist man gern bescheiden, weil man da erst im Begriff steht, das Leben zu beginnen.«

»Bürger,« lächelte der Getadelte, »du beginnst es also vom Colonel an, denn wir werden wohl die gleichen Jahre zählen.«

Napoleon beachtete diesen Einwurf nicht und fuhr fort: »Du hast allerdings Strafe verdient, denn du hast dich an den Soldaten des Konvents vergriffen; aber um des Rates willen, den du uns gegeben hast, soll dir verziehen sein. Jetzt wirst du also wohl Zeit finden, deine Bitte auszusprechen, Bürger Surcouf?«

»Ich danke dir, Bürger Colonel! Meine Bitte ist sehr kurz; sie lautet: gib mir ein Schiff!«

Der Korse blickte erstaunt den Seemann an. »Ein Schiff?« rief er verwundert. »Was willst du mit dem Schiff, und woher soll ich es nehmen?«

»Hier lies zunächst diese Papiere!«

Er zog sein Portefeuille hervor, nahm eine Anzahl groß gesiegelter Zeugnisse hervor und reichte sie Napoleon. Dieser las eines nach dem anderen und gab sie ihm dann mit einer nachdenklichen Miene zurück.

»Ausgezeichnet!« nickte er. »Bürger Surcouf, es wird wenig Männer deines Alters geben, die sich des Besitzes solcher Zeugnisse rühmen können. Du bist klug und kühn; der Konvent wird wohltun, dich im Auge zu behalten.«

»Pah, der Konvent will mich gar nicht haben!«

»Warst du in Paris?«

»Ich war dort; ich war in Le Havre;, ich war in Brest, in Nantes, in La Rochelle, in Bordeaux, Marseille und Lyon; ich war bei allen Marinebehörden bis hinauf zum Minister und habe nur das eine gehört, daß man mich nicht brauchen könne. Die Männer, bei denen ich war, segeln in Nebel, ohne die Augen zu öffnen. Ich habe alles getan, um sie sehend zu machen; ich habe ihnen meine Ansichten entwickelt; ich habe ihnen den Vorhang der Zukunft gelüftet – sie wollten blind bleiben.«

Jetzt lächelte Bonaparte, aber wie ein Riese, der einen Zwerg von Heldentaten sprechen hört. »Welches sind die Ansichten, die du ihnen entwickelt hast?« fragte er.

»Es sind die Ansichten eines einfachen Mannes, der sich durch kein Blendwerk täuschen läßt. Die republikanische Form unserer Regierung steht im Gegensatz zu den Regierungsformen der uns umgebenden Länder; unsere Interessen sind den ihrigen feindlich entgegengesetzt, und der Ausgleich kann nicht auf dem Weg des Friedens geschehen. Ferner gibt es im Innern der Republik selbst tausend noch ungezählte Kräfte und Mächte, die eine gewaltige Ausdehnungskraft besitzen; eine einzige dieser Kräfte ist imstande, den noch unfertigen Bau zu zertrümmern. Die Religion ist das Herz der Nation; die Republik will sich dieses Herz herausreißen; sie wird zum Selbstmörder werden; sie wird sterben, aber ihr Tod wird kein sanfter, sondern ein fürchterlicher sein. Damit habe ich bewiesen, daß Frankreich vor großen Kämpfen steht, vor Kämpfen nach außen und vor Kämpfen nach innen. Hierzu bedarf es einer Land- und Seemacht, die sich nicht nur in gutem Verteidigungszustand befindet, sondern nötigenfalls auch zum Angriff schreiten kann. Wir haben ein tapferes Heer und gute Generäle, aber was wir nicht haben, das ist eine genügende Flotte. »Seeleute hat Frankreich genug, aber es mangelt an Kriegsschiffen und an Seeoffizieren, welche die Fähigkeit besitzen, die kriegerischen Ueberlieferungen unserer Feinde zuschanden zu machen – – –«

»Und ein solcher Offizier bist du?« unterbrach ihn Napoleon.

»Ja,« antwortete der Gefragte mit offener Miene. »Man gebe mir ein Schiff und ich werde es beweisen!«

»Du sprichst sehr stolz, Bürger Surcouf, und läufst Gefahr, daß man dein Selbstbewußtsein für Prahlerei nimmt. Wer einen Kahn zu steuern vermag, ist doch noch nicht ein geborenes Genie zur See!«

Es lag etwas wie Geringschätzung in dem Ton, mit dem diese Worte gesprochen wurden; Surcouf fühlte das, und seine Stimme klang schärfer denn vorher, als er entgegnete:

»Bürger Colonel, du sprichst in dieser Weise zu mir, weil du siehst, daß ich noch nicht das Alter besitze, um Mitglied des Rates der Alten zu sein. Das ist ein schlechter Mann, der mehr von sich hält, als er ist, aber ein noch viel schlechterer Mann ist derjenige, der nicht weiß, was er zu leisten vermag. Wenn ein Maler oder Arzt General werden kann, so ist es auch nicht unwahrscheinlich, daß ein Seemann ein Schiff zu führen vermag. Wir stehen in einer Zeit, die Altes zerschmettert, um Neues zu schaffen. Die Kämpfe, denen wir entgegengehen, erfordern jugendliche Kräfte. Warum soll ich abgewiesen werden?«

»Weil du dir erst verdienen mußt, was du begehrst. Was hast du für den Staat geleistet? Du magst ein guter Seemann sein; du magst dies im privaten Leben auch bewiesen haben; der Marinebehörde aber bist du unbekannt und darfst nicht erwarten, daß man dir ein Schiff anvertraut, ohne dich vorher kennen gelernt zu haben.«

»Aber man will mich nicht kennen lernen; man will keinen Offizier, der den Glauben hat, daß sein Schiff ebenso von Gottes Hand wie von den Winden geleitet wird.«

»So ändere deinen Glauben!«

Surcouf trat einen Schritt zurück und rief: »Bürger Bonaparte, du scherzest! Ich bin ein Katholik und bleibe es. Ich bin ein Franzose und bleibe es, trotzdem mir von England Anerbietungen gemacht worden sind, die mir die Erfüllung meiner sehnlichsten Träume verheißen. Ich werde stets nur für mein Vaterland, niemals aber gegen dasselbe kämpfen, und gibt man mir kein Schiff, so nehme ich es mir!«

Napoleon machte eine abweisende Gebärde. »Das träumst du nur!« meinte er scharf.

»Robert Surcouf träumt nie, Bürger Colonel! Du bist es, auf den ich meine letzte Hoffnung setzte. Gib mir wenigstens ein kleines Fahrzeug, aus dem ich einen Brander herstellen kann, und du sollst sehen, daß ich das feindliche Flaggschiff in die Luft sprenge!«

»Hier, im Hafen von Toulon? Ah, nun bin ich wirklich überzeugt, daß du träumst! Bürger Surcouf, gehe; deine Dienste werden nicht gebraucht!«

»Ist dies dein letztes Wort?«

»Mein letztes!«

»So habe ich meine Schuldigkeit getan und kann nun nach Belieben handeln. Es wird eine Zeit kommen, wo, Frankreichs Ruhm zur See zusammenbricht, wo man vergebens ausschaut nach einem Mann, der unsere Flagge siegreich steigen lassen könnte; aber dieser Mann wird fehlen. Dann, ja dann wird man sich des Bürgers Surcouf erinnern; man wird ihn rufen, doch er wird diesem Ruf nicht Folge leisten.«

»Ah, dein Traum wird zum Fieber! Man wird dich niemals rufen, denn du wirst niemals zu verwenden sein. Und wäre ich selbst es, der hier zu entscheiden hätte, so würde ich der letzte sein, der deinen Namen nennt. Frankreich braucht Männer und besonnene Köpfe, aber nicht Knaben und Phantasten. Heute hast du gesprochen, und bereits morgen wirst du vergessen sein!«

Da trat Surcouf hart an den Offizier heran und legte ihm die Hand schwer aus die Schulter. »Bürger Bonaparte, ich will dir nicht gleiches mit gleichem vergelten; ich sage dir offen, daß ich dich für einen Mann halte, der seinen Weg machen wird; aus diesem Weg aber wird dir einst Robert Surcouf begegnen und dann wirst du bedauern, daß du ihn so schnell vergessen hast. Wir sind geschieden für ewige Zeiten; vorher aber sage mir noch eins: was wirst du mit Pater Martin, meinem Gefährten, tun?«

»Darnach hast du nichts zu fragen. Er hat sich gegen die Verordnungen des Konvents gesträubt und wird seine Strafe erleiden.«

»Er hat Gott mehr gehorcht als den Menschen, und darum wird ihn Gott beschützen. Versucht es immerhin, den Ewigen abzusetzen; es wird euch schwer werden, wider den Stachel zu lecken!« – – –

 

2. Der Blockadebrecher.

Am Abend desselben Tages saß Pater Martin allein in seiner Kammer. Es war ihm gesagt worden, daß sein Gefährte frei sei und nicht wieder zurückkommen werde. Draußen vor dem Ort donnerten die ehernen Stimmen der Geschütze trotz der herrschenden Dunkelheit, und im Hofe erklang der regelmäßige Schritt der Schildwache, die vor dem Fenster des Gefängnisses Wache zu halten hatte.

In den Gassen von Beausset und besonders vor dem Hauptquartier standen Gruppen von Soldaten, die sich über die nächtliche Kanonade unterhielten. Es war dies ein Zeichen, daß mit dem Oberst Bonaparte ein neuer Geist in die Belagerungsarmee getreten sei, und man gab sich der Hoffnung hin, daß man einen baldigen Erfolg bemerken werdet.

Da kam sporenklirrend ein Offizier die Gasse herab und trat in das Haus. Er schritt geradewegs durch den Flur nach dem Hof und blieb vor dem Posten stehen. »Bürger-Soldat, wie heißt du?« fragte er kurz und barsch.

»Etienne Girard« antwortete der Gefragte salutierend.

»Nun wohl, Bürger Girard, öffne mir die Türe, die zu dem Gefangenen führt!«

Der Soldat gehorchte ohne Widerrede. Der Offizier blieb vor dem Eingang stehen und befahl dem Priester:

»Bürger Martin, folge mir! Du sollst die Ehre haben, vor dem General zu erscheinen, der dich draußen in der Schanze sprechen will.«

Der Gefangene erhob sich und verließ still und gehorsam die Kammer. Der Offizier schob dem Soldaten ein versiegeltes Papier in die Hand und gebot ihm: »Hier die Bescheinigung, daß du mir den Gefangenen übergeben hast, Bürger Girard. Du wirst sie dem Bürger Colonel Bonaparte einhändigen, sobald er zurückgekehrt ist, für jetzt aber bist du abgelöst.«

Er entfernte sich mit dem Priester und schritt mit ihm an den Militärposten vorüber, zur Stadt hinaus. Draußen aber änderte er die Richtung und schwenkte links ab in das Feld hinein; an einer einsam gelegenen Stelle angekommen, blieb er halten.

»Bürger Martin, du stehst vor deinem Richter,« sprach er mit derselben strengen Stimme, mit der er vorhin gesprochen hatte.

Der Priester blickte auf. »Du?« frug er. »Du wolltest mein Richter sein?«

»Ja. Aber ich bin dir ein gerechter Richter, ich spreche dich frei.« Und in völlig verändertem Tone setzte er lachend hinzu: » Vraiment, sogar der gute Pater Martin hat mich nicht erkannt!«

Bei dieser Stimme fuhr der Priester überrascht empor. »Robert Surcouf ist es möglich!« rief er.

»Pst, leise!« warnte der andere. »Da drüben gibt es Leute, die sich sehr für uns interessieren.«

»Aber wie kommst du zu mir? In dieser Uniform? Weißt du, daß dein Spiel ein sehr gewagtes ist?«

»Gewagt? Ah pah! Diese Herren Maler und Aerzte, die es sich beikommen lassen, den General zu spielen, sind mir nicht gefährlich; aber vor diesem kleinen Colonel Bonaparte muß man sich ein wenig in acht nehmen. Du fragst, wie ich zu dir komme. Glaubst du etwa, daß Robert Surcouf der Mann ist, sein Versprechen nicht einzulösen? Und diese Uniform? Haha, sieh sie dir einmal genauer an! Es ist der Rock eines Douaniers, eines Zollwächters, der ihn ausgezogen hat, weil er ihn auf dem Schafott nicht mehr brauchte. Ich habe gute Freunde und Bekannte, auf die ich mich verlassen kann. Ich werde ein wenig hinein nach Toulon gehen, um zu sehen, was zu machen ist.«

»Tu dies ja nicht! Du wagst dein Leben!«

»Sorge dich nicht um mich! Ich weiß ganz genau, was ich wage. Jetzt handelt es sich zunächst um dich. Du bist frei. Wohin gedenkst du dich zu wenden?«

»Ehe ich dich traf, hatte ich die Absicht, die italienische Grenze zu erreichen. Drüben wird man für mich sorgen.«

»Du sollst sicher hinüberkommen, mein guter Pater Martin. Ich kenne einige wackere Männer, denen du nach Frejus folgen wirst; sie werden dich auf einem Fahrzeug hinüber bringen.«

Er stieß einen leisen Pfiff aus, worauf zwei Gestalten aus der düsteren Nacht auftauchten.

»Hier ist der würdige Pater Martin, ihr Leute. Ich übergebe ihn euch, weil ich weiß, daß er in euren Händen ebenso sicher ist, wie in den meinigen. Gebt mir nun meinen Rock zurück und nehmt diesen dafür! Und jetzt, frommer Vater, wollen wir Abschied nehmen! Wir werden beide dieses Land verlassen, aber unsere Wege werden wohl nie wieder zusammentreffen. Bete für mich, denn das Gebet eines Gerechten vermag viel, und ich werde es brauchen können!«

»Gott segne dich, mein Sohn! Ich – – –«

Er sprach nicht weiter, denn Surcouf war bereits im Dunkel verschwunden, hatte ihm aber vorher etwas in die Hand gedrückt. Der Priester fühlte, daß es Geld war; er mußte den beiden Schiffern folgen, ohne es zurückweisen zu können. –

Eine halbe Stunde später kehrte Napoleon von der Schanze in das Quartier zurück, und Etienne Girard beeilte sich, ihm das Schreiben zu überreichen. Es enthielt allerdings eine Empfangsbestätigung und lautete:

»An den Bürger Colonel Bonaparte! Ich bestätige hiermit den richtigen Empfang eines Mitgefangenen, des frommen Paters Martin. Ich habe ihm die Freiheit gegeben, um ihn ungerechten Richtern zu entziehen und dem Bürger Bonaparte zu zeigen, daß der Bürger Surcouf nicht bloß zu träumen, sondern auch zu handeln vermag. Er hat versprochen, sich ein Schiff zu holen, wenn man ihm keines gibt, und er wird sein Wort halten. Robert Surcouf.«

Der Korse ließ sich von dem Soldaten das Geschehene berichten und starrte dann lange auf die Zeilen nieder. Sollte er den überlisteten Posten bestrafen? Nein. Er winkte schweigend, und der Mann trat ab. Der Colonel traf nicht einmal Anstalten, den Entflohenen zu verfolgen. Es wurde über die ganze Angelegenheit kein Wort gesprochen.

Napoleon hatte übrigens anderes zu tun, als sich um die Wiederhabhaftwerdung eines Flüchtlings zu bekümmern, dessen Besitz ihm nicht den mindesten Vorteil brachte. Die beiden Generäle Carteaux und Doppet gaben nämlich die Besetzung des Punktes, auf den sie durch Surcouf aufmerksam gemacht worden waren, nicht zu; desto klüger aber waren die Engländer, die plötzlich die Wichtigkeit des Ortes erkannten, 4000 Mann hinlegten und ihn mit furchtbaren Verschanzungen versahen. Diese Befestigungen waren so stark, daß sie den Platz Klein-Gibraltar nannten.

Voll Aerger über diesen Fehler fertigte Napoleon einen Bericht an den Konvent ab, infolgedessen der Oberbefehl im November dem tapferen und einsichtsvollen Dugommier übertragen wurde. Dieser erkannte, welchen Mann er in dem jungen Korsen besaß, und gab seinen Vorschlägen offenes Gehör. Es wurden ganz in der Stille die nötigen Vorkehrungen getroffen, die volle drei Wochen in Anspruch nahmen; hierauf begann ein dreitägiges entsetzliches Bombardement auf Klein-Gibraltar, das dann im Sturm genommen wurde.

Unter den Bewohnern der Stadt herrschte natürlich eine große Aufregung. Viele Tausende hatten sich an dem Aufstand gegen den Konvent beteiligt und die Engländer willkommen geheißen, als deren Flotte kam, um Toulon »im Namen Ludwigs des Siebzehnten von Frankreich« in Besitz zu nehmen. Sie alle waren verloren, wenn die Verteidigung nicht gelang. O'Hara, der Stadtkommandant, machte die riesigsten Anstrengungen, um die Belagerung abzuweisen; aber als Klein-Gibraltar verloren war, erkannte er die Vergeblichkeit jeder Mühe. Auch der Befehlshaber der englischen Flotte, Admiral Lord Hood, erklärte, daß Toulon nun nicht mehr zu halten sei, und verließ den Hafen. Er kreuzte draußen auf der Reede und nahm die Truppen nebst denjenigen Einwohnern auf, die sich bloßgestellt hatten. Wohl an die vierzehntausend Menschen verließen auf diese Weise die Stadt, um sich der Rache des Konvents zu entziehen, von dem man wußte, daß er nicht zur Milde geneigt sein werde.

In einem engen Gäßchen, unweit des inneren Hafens gelegen, gab es eine Weinschenke, die nur von Matrosen besseren Schlags besucht wurde. Oncle Carditon, wie der Wirt genannt wurde, war ein anständiger Mann, der alles Gesindel von seinem Hause fernzuhalten wußte. Dabei war er ein guter Christ und ein eifriger Patriot.

Es war einen Tag vor dem Sturm auf Klein-Gibraltar, als ein fremder Mann in die Schenke trat, in der zurzeit kein anderer Gast weilte. Er trug die Kleidung eines englischen Marinematrosen und zeigte auch die dreiste Ungezwungenheit dieser Leute, denn er legte, nachdem er sich gesetzt hatte, die schmutzigen Füße auf den mit einem weißen Linnen gedeckten Tisch und stieß, mit der Faust aufschlagend, einen lauten Fluch aus, um den Wirt herbeizurufen.

Dieser trat heran und erkundigte sich in aller Höflichkeit nach dem Begehr des Gastes.

»Wein!« sagte dieser.

»Habt Ihr ein Gefäß bei Euch, damit Ihr das Getränk mit fortnehmen könnt?«

»Wer sagt Euch denn, daß ich den Wein fortschleppen will? Ich bin Gast und werde ihn hier trinken.«

»Wenn Ihr von meinem Wein trinken wollt, so müßt Ihr ihn allerdings mit fortnehmen, denn hier trinken könnt Ihr ihn nicht. Wer mein Gast sein will, der hat sich so zu betragen, daß ich mich seiner nicht zu schämen brauche. In meinem Hause pflegt man nämlich die Beine hübsch unter den Tisch zu tun.«

»Was gilt die Wette: Ich lasse die Beine, wo sie sind, und bin Euch doch willkommen!«

»Daran denkt kein Mensch! Ich ersuche Euch, schleunigst abzusegeln!«

»Auch, wenn man mich hierher bestellt hat?«

»Wer?«

»Robert Surcouf.«

»Surcouf? Der? Einen Engländer? Ah, das ist etwas anderes. Erlaubt, daß ich Euch ein Glas bringe!«

»Nun, wer hat Recht?« lachte der Fremde. »Jetzt aber sehe ich ein, daß ich an die richtige Adresse gekommen und werde manierlicher sein. Habt keine Sorge. Oncle Carditon, ich bin kein Engländer, sondern ein Kind unserer guten Bretagne; ich war nur gezwungen, mich in dieser Verkleidung durch die Feinde hindurchzuschmuggeln. Ist Surcouf daheim?«

»Er ist da. Welchen Namen soll ich ihm nennen?«

»Bert Ervillard.«

»Ervillard!« rief der Wirt erfreut. »Wirklich? O, warum sagtest du das nicht gleich!«

»Weil ich zum Spaß sehen wollte, ob du wirklich ein so großer Brummbär bist, wie man sagt, Oncle Carditon.«

»Es ist nicht so schlimm; aber ich kann nun einmal die Engländer nicht leiden. Wo hat dich unser Bote getroffen?«

»In Tropez. Surcouf wußte, daß ich dort zu finden war. Hat er etwas gefunden?«

»Ich weiß es nicht. Er ist sehr verschwiegen, was ich nicht tadeln kann.«

»Wie ich ihn kenne, ist er bereits im klaren. Ich bin erst vor zwei Stunden angekommen und weiß dennoch bereits, was ich tun würde. Da sah ich zum Beispiel eine Brigantine, scharf auf den Kiel gebaut, schlank wie eine Taube und glatt wie ein Falke; sie hatte zwanzig Stückpforten und schien ganz vor kurzem vom Stapel gekommen zu sein. Das wäre eine Prise, he!«

Der Wirt lächelte geheimnisvoll schelmisch. »Du meinst ›The hen‹, die da drüben vor Anker liegt? Ja, ein feines Schiff! ›La Poule‹ würde besser klingen als ›The hen‹, das ist wahr. Na, wer weiß, was sich ereignen kann. Surcouf sagte, daß ihm nichts zu schwer sei, wenn du ihm helfen würdest. Komm, ich will dich zu ihm führen!«

Er leitete Ervillard eine Treppe empor, und als er zurückkehrte, bekam er weitere Arbeit, da ein Trupp Hafenarbeiter hereinstürmte und seine Dienste in Anspruch nahm. Kurze Zeit später trat ein Mann ein, der in stolzer Haltung die vordere Stube durchschritt und in dem hinteren Zimmer verschwand, das den Aufenthalt der Kapitäne und Steuerleute bildete. Er besaß eine hohe, plumpe, ungeschlachte Gestalt, und sein aufgedunsenes Gesicht hatte jene bläulich-rote Färbung, die man vorzugsweise an Schnapstrinkern zu beobachten pflegt.

In dem Angesicht des Wirts zuckte es eigentümlich, als er, ohne erst aus die Bestellung zu warten, dem neuen Gast ein großes Glas voll Kognak nachtrug. Er grüßte ehrerbietig, aber ein aufmerksamer Beobachter hätte vielleicht doch einen verstohlenen Blick belauscht, der auf eine ganz andere Gesinnung schließen ließ.

»Nun?« frug der Gast kurz, nachdem er den Inhalt seines Glases auf einmal hinabgegossen hatte.

»Ich habe nachgesehen, Kapitän, und – – –«

»Still!«, gebot ihm der andere. »Laß deinen Kapitän beiseite! Es braucht niemand zu hören, wer ich bin. Also du hast nachgesehen?«

»Ja.«

»Und – –?«

»Es wird gehen. Nur müßt Ihr Euch mit genug Arbeitskräften versehen. Die Mauer ist sehr schwer zu durchbrechen, und lange Zeit darf der Vorgang doch nicht in Anspruch nehmen.«

»Das ist richtig. Hast du niemand, der helfen kann?«,

»Nein. Ich will überhaupt dabei ganz aus dem Spiel bleiben. Ich darf nicht das Geringste wissen, versteht Ihr? Es würde um mich geschehen sein, wenn man ahnte, daß ich im Einverständnis bin.«

»Aber woher die Leute nehmen! Diese Bürger-Soldaten schießen so sicher, daß ich bereits den dritten Teil meiner Leute eingebüßt habe. Wie viele Personen werden erforderlich sein?«

»Zwanzig ganz sicher.«

»Ah, und ich habe insgesamt nicht mehr als vierzig! Ich brauche überhaupt neue Hände an Deck, und hier ist niemand zu bekommen. Weißt du keinen, der Lust hat, es einmal auf einem Engländer zu versuchen? Ich zahle dir für jeden eine Guinee.«

»Hm, vielleicht; aber ein Engländer ist es nicht.«

»Ein Franzose?«

»Ja, doch hat er es sehr eilig, aus dem Lande zu kommen.«

»Das ist mir lieb; solche Leute sind am besten zu gebrauchen. Wo ist der Kerl?«

»Hm! Er muß noch hier, im Hause sein. Und wenn ich mich nicht täusche, hat er auch einige Kameraden, die sich vielleicht bereden lassen, auch an Bord zu gehen.«

»So schaffe ihn mir einmal herbei, aber schnell; ich habe nicht viel Zeit! Vorher jedoch bringe mir eine ganze Flasche Kognak; denn ein guter Schluck macht solche Leute willfährig.«

Der Wirt brachte das Bestellte und stieg dann abermals die Treppe empor. Dort oben gab es ein kleines verstecktes Zimmer, an dessen Tür Oncle Carditon klopfte. Es würde geöffnet, und zwar von Surcouf, der sich mit Ervillard ganz allein in dem Raum befand.

»Was gibt es?« fragte der erstere.

»Der Kapitän ist da,« antwortete Oncle Carditon. »Er arbeitet uns ganz außerordentlich in die Hände. Er braucht Matrosen und hat mir eine Guinee versprochen für einen jeden, den ich ihm verschaffe.«

»Ah, Bert Ervillard, was meinst du dazu? Willst du erster Offizier auf ›the hen‹ werden?«

Die Augen des Gefragten strahlten vor Vergnügen, als er erwiderte: »Robert Surcouf, du kannst dich auf mich verlassen. Sage mir, was ich zu tun habe!«

»Es freut mich, daß du dein Auge grad so wie ich auf ›The hen‹ geworfen hast. Sie ist die schmuckste Seglerin, die ich jemals gesehen habe, und darum soll sie unser werden. Ihr Kommando führt der Kapitän zur See, William Harton, kein ehrlicher Seemann, sondern ein Spitzbube, dem wir auf die Finger klopfen werden. Er weiß, daß Toulon nicht zu halten ist und daß die ganze Flotte in einigen Tagen den Hafen verlassen wird; natürlich sticht auch er in See, will aber vorher erst einen Streich ausführen, der an und für sich schändlich ist, uns aber trefflich zustatten kommt. Das Haus unseres Oncle Carditon stößt nämlich an die Banque orientale, in deren Kellern sich bedeutende Summen vermuten lassen. Das Eigentum der Bank steht natürlich unter öffentlichem Schutz; von außen ist ihm nicht beizukommen. Da hat sich nun dieser ehrliche Kapitän an Oncle Carditon gemacht, um ihn vorsichtig auszuforschen. Carditon ist scheinbar auf seine Absichten eingegangen, und so haben beide beschlossen, von der Taverne aus mit Brechwerkzeugen in die Keller einzudringen. Das soll in der Nacht geschehen, bevor die Flotte den Hafen verläßt. Bei Oncle Carditon darf man natürlich nichts finden; den ihm gehörigen Anteil will der Kapitän in Barcelona deponieren. Was sagst du dazu, Bert Ervillard?«

»Ich sage, daß dieser William Harton ein großer Schurke und ein noch größerer Dummkopf ist. Es gehört eine ungeheure Verblendung dazu, unsern Oncle Carditon für so schuftig und so albern zu halten, auf ein solches Geschäft einzugehen.«

»Das ist richtig. Ich glaube, dieser Kapitän hat einen großen Teil seines Verstandes vertrunken. Die Sache ist jedoch sehr vorteilhaft für uns. Um die Mauern zu bewältigen, braucht er eine ziemliche Anzahl kräftiger Arme; er wird dazu seine eigenen Leute nehmen und also die Brigantine von Männern entblößen; ist dies geschehen, so werden wir handeln.«

»Sind wir zahlreich genug?«

»Habe keine Sorge! Ich kenne eine Anzahl braver Burschen, die sich zwar zerstreut in der Stadt befinden, aber in einer Viertelstunde zur Stelle sind, wenn ich sie brauche. Jetzt sagt uns Oncle Carditon, daß der Engländer Matrosen brauche. Willst du dich melden, Bert Ervillard? Wenn du mit einigen meiner Jungens an Deck der Brigantine kommen könntest, so wäre das Unternehmen schon zur Hälfte gelungen.«

»Ich bin bereit.«

»So hast du keine Zeit zu verlieren. Als Engländer darfst du ihm natürlich nicht kommen. Sage ihm, daß du einige Bekannte in der Nähe hast, die auch gern einige Meilen Wasser zwischen sich und Frankreich bringen möchten. Am besten wäre es, wenn er euch für Landratten hält; er kann dann weniger leicht Mißtrauen schöpfen. Laß dir von Oncle Carditon ein anderes Gewand geben, und komm dann wieder herauf!« –

Während sich dieser in die Schenke begab, rollte der Donner des Bombardements über die Stadt und die Reede hin; er schwieg selbst während der Nacht nicht still, und am andern Morgen rüsteten sich die Truppen des Konvents zum Sturm. Es war noch dunkel, als Dugommier und Napoleon ihre Kolonnen gegen die Werke von Klein-Gibraltar führten. Das Tirailleurfeuer und die Kartätschen der Engländer wüteten in einer Weise unter den Franzosen, daß Dugommier, der sonst so Unerschrockene, sich mit den Worten »Wir sind verloren!« zurückzog. Napoleon hatte sich aber im fürchterlichsten Kugelregen einen Weg in die feindliche Feldschanze gebahnt, und bald befand sich Klein-Gibraltar in seinen Händen. Dann stürmte er die beiden Forts Balagnier und Eguillette, und nicht viel später erschienen bei ihm die Bevollmächtigten des Konvents, um ihm ihren Dank auszusprechen. Er hatte heute die erste große Stufe zum Konsulat und zum Kaiserthron erstiegen.

Admiral Hood zog sich zurück. Zunächst lichteten die größeren Schiffe die Anker; dann sollten die kleineren folgen. Die Reeden und das Meer waren von Schaluppen und andern Fahrzeugen bedeckt, die sich mit Truppen und fliehenden Einwohnern an Bord des Geschwaders begaben. Unterdessen dauerte die französische Kanonade gegen die übrigen Befestigungswerke Toulons ununterbrochen fort. Die Erde zitterte unter dem Donner der Geschütze; die See schäumte unter den peitschenden Schlägen von tausend Rudern, und die Luft zischte hinter den zahllosen Geschossen, die sie nach allen Richtungen durchkreuzten. In der Stadt herrschte eine fieberhafte Aufregung. Man war auf den Gassen und Straßen seines Lebens nicht sicher. Wer den Konvent zu fürchten hatte, der floh, und wer zurückblieb, der verbarrikadierte sich in seinem Hause aus Furcht vor den Plünderern, die in größeren und kleineren Trupps ihr räuberisches Handwerk trieben.

Diejenigen Schiffe, die noch in dem innern Hafen lagen, mußten an den Befestigungen vorüber, welche sich jetzt in den Händen der Konventtruppen befanden. Mehrere von ihnen wurden von den Artilleristen Napoleons in den Grund gebohrt; darum blieben die übrigen zurück, um den Schutz der Nacht zu erwarten, wo sie meinten, mit größerer Sicherheit auslaufen zu können. Zu ihnen gehörte auch die Brigantine ›The hen‹.

Als der Abend hereingebrochen, war, stellte sich Kapitän Harton bei Oncle Carditon ein. Es befand sich kein einziger Gast in der Schenke, denn es gab niemand, der Lust gehabt hätte, in dieser Zeit der Not die Seinen zu verlassen, um nach alter Gewohnheit beim Glase zu sitzen.

»Wie steht es; ist alles sicher?« fragte er den Wirt.

»Alles,« antwortete dieser.

»Und drüben in der Bank?«

»Man hat Wächter in die oberen Räume gestellt, nach unten aber können diese nicht. Uebrigens ist die Kanonade so stark; daß kein Lauscher Eure Arbeit vernehmen kann. Habt Ihr genug Leute mit?«

»Ja. Oeffne deinen Keller, sie werden gleich kommen. Weiter kümmerst du dich nicht um uns!«

»Hier ist der Schlüssel. Und ich gebe Euch mein Wort, daß ich es nicht bin, der Euch belästigen wird. Aber sagt vorher eins: habt Ihr die versprochenen Männer an Deck bekommen?«

»Ja. Es sind elf lauter junge, unerfahrene Leute, die nur deshalb zu Schiffe gehen, weil ihnen hier der Boden unter den Sohlen brennt; aber ich bin doch froh, sie bekommen zu haben. Andere sind weniger glücklich wie ich, und die neunschwänzige Katze ist der beste Lehrmeister, den es gibt.«

»Ihr verwendet die Neulinge doch nicht zu dem jetzigen Unternehmen?«

»Fällt mir gar nicht ein! Sie sind mir nicht sicher genug; auf meine Teerjacken aber kann ich mich verlassen.«

Er nahm den Schlüssel und ging hinaus. Der Wirt nickte befriedigt vor sich hin und brummte:

»Wirst dich wundern, alter Spitzbube!«

Nach einiger Zeit vernahm er draußen ein Geräusch zahlreicher Schritte, und wenige Minuten später trat Robert Surcouf ein. »Gefangen!« lachte dieser. »Jetzt, Oncle Carditon, gib uns noch einen guten Schluck; dann brechen wir auf.«

»Stecken sie fest?«

»Fest! Wir haben so viele Tonnen auf die Tür gewälzt, daß sie diese vom Keller aus gar nicht zu öffnen vermögen. Auch habe ich dafür gesorgt, daß sie von der Bank aus gut empfangen werden. Es sind über zwanzig Männer; ›The hen‹ ist von Leuten entblößt, und so zweifle ich nicht, daß unser Streich gelingen wird.«

»Ihr werdet sofort in See stechen?«

»Nein, Robert Surcouf ist kein Einbrecher, der nur im Dunkel der Nacht sein Wesen treibt. Ich werde am hellen Tage und mit offener, französischer Flagge den Hafen verlassen.«

»Das würde keine Kühnheit, sondern Wahnsinn sein!«

»Desto sicherer wird es gelingen. Habe Dank für deine Hilfe, mein guter Oncle Carditon. Du wirst von mir und den Meinigen bald hören!«

Draußen im Flur standen gegen dreißig Männer, die sich tagsüber in den oberen Räumen des Hauses versammelt hatten. Sie tranken auf das Gelingen ihres Vorhabens und verabschiedeten sich dann von dem Wirt. Mit Surcouf an der Spitze begaben sie sich an das Wasser, wo sie die Boote fanden, auf denen Kapitän Harton mit seinen Leuten angekommen war. Sie bestiegen diese und ruderten auf ›The hen‹ zu. Sie hatten die Brigantine noch nicht ganz erreicht, so hörten sie, daß an deren Boot jemand ein Liedchen pfiff.

»Das ist das Zeichen,« flüsterte Surcouf. »Die Unsrigen haben ihre Schuldigkeit getan und sich in den Besitz des Fahrzeugs gesetzt. – Ahoi, Brigantine!« fügte er laut hinzu.

Da bog sich ein Kopf über die Regeling des Schiffes herab, und die Stimme Bert Ervillards fragte: »Boote ahoi! Welche Männer sind es?«

»Die richtigen!« antwortete Surcouf.

» Grâce à Dieu! Laßt die Treppen herab, Jungens! Der Kapitän kommt!«

Die Ankommenden stiegen an Bord und zogen dann die Boote nach. Bert Ervillard hatte die Besatzung des Schiffs hinunter in den Kielraum gelockt und dort eingeschlossen. Die Brigantine befand sich in der Gewalt Surcoufs, und eine nähere Untersuchung ergab, daß ihre Ausrüstung bis auf das Allerkleinste eine ganz vorzügliche war. Der schwierigste Teil der Aufgabe freilich war noch zu lösen: es galt, das so leicht eroberte Fahrzeug nun auch zu behaupten.

Während der Nacht versuchten mehrere Schiffe, an den Batterien der Franzosen unbemerkt vorüberzukommen, aber die Kanoniere waren aufmerksam und ließen sich nicht täuschen. Surcouf blieb ruhig vor Anker liegen und verwendete auch den ganzen Vor- und Nachmittag nur darauf, die Brigantine für seine Zwecke einzurichten und ihr den möglichst hohen Grad Seetüchtigkeit zu geben. Durch einen Boten, den er in Oncle Carditons Schenke sandte, erfuhr er, daß die Engländer noch immer als Gefangene im Keller steckten und auch nicht eher hervorkommen dürften, als bis ›The hen‹ in See gegangen sei.

Endlich am späten Nachmittag gab das Admiralsschiff den noch in den Häfen befindlichen Fahrzeugen das Zeichen, schleunigst in See zu gehen, und zu gleicher Zeit sah man die Besatzung von dreizehn französischen Orlogschiffen, die sich an dem Aufstand gegen den Konvent beteiligt hatte, ihre Fahrzeuge verlassen, um sich an Bord der Engländer zu begeben.

Bei diesem Anblick ballte Surcouf die Faust. »Treulose Feiglinge!« sagte er zu Bert Ervillard, seinem Leutnant. »Wir wagen das Leben, um dem Feind eine kleine Brigantine abzunehmen, und sie lassen neun Linienschiffe und vier Fregatten im Stich, eine ganze Flotte, mit der ich diese Engländer um die Erde jagen würde!«

»Sie verdienen, an die große Rahe gehängt zu werden!« antwortete Ervillard. »Aber ein Trost ist es, daß ihre Schiffe der Nation verbleiben werden, denn der Konvent wird sie schleunigst in Besitz nehmen.«

»Meinst du wirklich? Ich sage dir, daß auf jedem dieser Schiffe bereits die Lunte brennt; in kurzer Zeit wirst du dreizehn riesige Flammen leuchten sehen.«

»Ist es nicht möglich, wenigstens eines davon zu retten und in Besitz zu nehmen?«

Surcouf schüttelte den Kopf. »Ich tue es nicht. Der Konvent hat mich abgewiesen; ich habe kein Recht, mich eines seiner Schiffe zu bemächtigen, und also auch keine Verpflichtung, ihm eines zu retten. Uebrigens sind wir zu wenig Mannen, mit einem Orlogschiff zu manövrieren; unsere kleine Brigantine entspricht meinen Zwecken viel besser, und ich halte es für geratener, dem Feind ein Fahrzeug vor der Nase wegzunehmen, als den Retter zu spielen, wenn ich weiß, daß ich statt des Lohns nur Undank ernte. Ich habe diesem Colonel Bonaparte gesagt, daß Frankreichs Flagge sich senken werde; er hat mich ausgelacht; aber bereits heute beginnt die Trauer unserer Marine, denn das Meer wird dreizehn ihrer besten Schiffe im Wert von vielen Millionen verschlingen. Vielleicht denkt der Colonel, wenn er die Flammen lodern sieht, an mich, obgleich er mich so schnell vergessen wollte.« –

Der Abend neigte sich auf die unglückliche Stadt Toulon und kaum hatte sein Dunkel die Umrisse der Plätze und Straßen umhüllt, so ertönte ein Donnerschlag, der Erde und Wogen erbeben machte: das Hauptmagazin war explodiert und in die Luft geflogen, und zu gleicher Zeit stiegen aus dem Zeughause fünf mächtige Flammensäulen zum Himmel auf. Kaum war dies geschehen, so liefen auch an den Masten der dreizehn französischen Kriegsschiffe züngelnde Feuerschlangen empor.

Die ganze Stadt und die Häfen wurden von diesen gewaltigen Feuern tageshell erleuchtet. Alles, was Ruder und Segel besaß, flüchtete hinaus auf die offene See, und nur die Brigantine blieb ruhig liegen. Sie war von den eroberten Forts aus ganz gut zu beobachten; man konnte von dort mit den Ferngläsern sogar die Bemannung erkennen, die sich auf den Rahen und im Takelwerk befand, um den Anblick des feurigen Panoramas besser genießen zu können. Das Verhalten dieses Fahrzeugs mußte natürlich auffallen; man konnte sich keinen Grund denken, weshalb sich dieser Engländer nicht auch in Sicherheit brachte und behielt ihn scharf und mißtrauisch im Auge, bis nach einigen Stunden die Flammen erloschen und die Dunkelheit sich wieder über Land und See ausbreitete.

Bereits mit Tagesanbruch stand Napoleon in einer der den Hafen beherrschenden Batterien. Er hatte während der Nacht nicht geschlafen, so wenig wie General Dugommier, der sich an seiner Seite befand. Sie hatten die Fernrohre an den Augen und beobachteten das Fort La Malgue, das ihnen noch Sorgen bereitete. Es schien verlassen zu sein, aber man konnte annehmen, daß es vorher unterminiert worden war. Bei dieser Gelegenheit richtete Napoleon sein Glas auch auf die Brigantine, die sich soeben aus dem aufsteigenden Nebel abzuzeichnen begann.

»Was ist das!« rief er. »Bürger-General, welcher Name hat gestern am Bug dieser Brigantine gestanden, die uns so viel zu denken gibt?«

» The hen,« antwortete der Gefragte.

»Man hat während der Nacht diesen Namen überstrichen und geändert. Das Wort ist ganz deutlich durch das Rohr zu erkennen.«

Der General richtete sein Glas, las und schüttelte den Kopf. »Unbegreiflich!« meinte er. »Da steht geschrieben ›le faucon‹; es ist aus der englischen ›Henne‹ ein französischer ›Falke‹ geworden. Was hat dies zu bedeuten?«

»Nichts anderes, als eine List, ein Verrat gegen uns.«

»Pah, dieses kleine Fahrzeug kann uns nichts tun! Ah, jetzt hißt es die Segel! Mille tonnèrres, die Wimpel haben französische Farbe! Man hebt den Anker; die Morgenluft bläht die Leinwand; die Brigantine will in See stechen!«

»Das will ich ihr verbieten!« meinte Napoleon. Er trat an eine der Kanonen, deren Lauf er eigenhändig richtete; dann lächelte er, seiner Sache gewiß: »Sie muß in Schußlinie vorüber. Man wird sehen, ob der Bürger Bonaparte noch zu schießen vermag.«

Der General gab mit der Hand ein verneinendes Zeichen. »Der Mann da auf dem Hinterdeck kommt mir nicht wie ein Engländer vor. Ich bin kein Seemann, aber das sehe ich, daß sich das Schiff in ausgezeichneten Händen befindet; es gehorcht wie ein Vollblutpferd dem leisesten Steuerdruck. Uebrigens beobachtet uns der Kapitän ebenso durch das Rohr, wie wir ihn.«

Bonaparte nahm sein Glas abermals vor und blickte hindurch; dann zog er es rasch vom Auge, wischte es ab und schaute noch einmal nach dem Befehlshaber der Brigantine. Dieser hatte ihn durch das Rohr erkannt, schwang sich in den Wanten empor und schwenkte grüßend seine Mütze.

»Er salutiert zu uns heraus,« meinte der General. »Er muß einen von uns beiden kennen.«

»Ich bin es, den er kennt,« antwortete Bonaparte.

»Ah! Wer ist es?«

»Bürger-General, das ist eine Geschichte, die ich erzählen werde, wenn mir mehr Muße dazu bleibt. Dieser junge Mensch wollte von dem Konvent ein Schiff haben; man hat es ihm verweigert, und nun hat er sich selbst eins genommen, und zwar mitten aus der englischen Flotte heraus.«

»Außerordentlich! Wie hat er dies angefangen?«

»Mir unbegreiflich!«

»Wir werden es erfahren. Er hat jedenfalls die Bemannung zu überwältigen gewußt. Ein kühner Bursche! Leider aber wird er seinem Verderben entgegengehen. Draußen liegen die englischen Schiffe: sie werden ihn zusammenschießen.«

»Leider! Hätte er den Namen des Schiffes nicht so augenfällig verändert, so wäre es ihm möglich, hindurchzukommen.«

Jetzt kam die Brigantine in das Bereich der Batterie. Mit einem lauten Kommandoruf brachte Surcouf seine Leute hinauf auf die Rahen, wo sie, sich die Hände reichend, Parade bildeten. Zu gleicher Zeit flog die französische Flagge empor, und aus den Stückpforten krachte die gebräuchliche Zahl der Begrüßungsschüsse. Dies alles geschah mit einer solchen Gewandtheit und zierlichen Genauigkeit, daß selbst der sonst so kalte Bonaparte hingerissen wurde. Er kommandierte Feuer und gab mit geladenen Kanonen Antwort auf den Gruß des Mannes, den zu vergessen er sich vorgenommen hatte. Natürlich waren die Kugeln jetzt nicht gezielt; sie flogen weit an der Brigantine vorüber, die mit zierlicher Schwenkung aus dem Bereich der Batterie segelte.

Kaum war sie vorüber, so wurde ein Mann am Bug herabgelassen, der sich mit der Inschrift zu schaffen machte. Jetzt sahen die beiden in der Schanze befindlichen Offiziere, daß der ursprüngliche Name nicht vertilgt, sondern nur mit einem Papier überklebt worden war, auf dem die zwei Worte ›le faucon‹ standen. Diese Worte wurden jetzt entfernt, und nun kam wieder der frühere Name ›The hen‹ zum Vorschein.

» Ah diable, er hat uns betrogen!« rief General Dugommier. »Die ganze Szene war nur Komödie, um unangefochten an der Batterie vorüber zu kommen. Man hat ihm kein Schiff gegeben, und nun ist er zum Feind übergegangen.«

»Das glaube ich nicht,« antwortete Napoleon. »Dieser Surcouf ist keines Verrats an seiner Nation fähig, denn er ist eigentümlicherweise ein frommer Christ und guter Katholik. Diese Art von Leuten hat neben anderen Eigenschaften auch die, daß man auf sie rechnen kann. Ich glaube eher, daß er beabsichtigt, die Engländer zu übertölpeln.«

»Das werden wir sehen, sobald er in das Bereich ihrer Kanonen kommt.«

Die Brigantine flog mit vollen Segeln und zierlich sich zur Seite neigend über die Reede dahin. Draußen kreuzten die Dreimaster der Engländer; man konnte mit dem bloßen Auge jedes einzelne Schiff erkennen. Am deutlichsten war das Flaggschiff zu unterscheiden, auf dem sich Admiral Hood in eigener Person befand. Die Brigantine hielt grad auf diese zu; sie wurde noch immer von den Fernrohren der beiden Offiziere verfolgt.

»Er segelt das Signalschiff an; er ist wirklich ein Abtrünniger,« sagte General Dugommier.

»Wir wollen noch warten,« meinte Napoleon. »Diese Begebenheit ist wirklich spannend!«

»Könnte er sich in die Nähe des Flaggschiffes wagen, wenn er den Engländern wirklich entkommen will?«

»Das scheinbar Schwierigste ist zuweilen just das Leichteste. Ah, was ist das?«

»Die Leute, die wieder durch die Luken heraufsteigen?

»Ja. Sie gingen vor zwei Minuten hinab; jetzt, da sie zurückkehren, tragen sie die Uniform englischer Seeleute. Mir ahnt, was dieser verteufelte Surcouf beabsichtigt. Wenn meine Vermutung in Erfüllung geht, so ist dieser junge Bretagner allerdings ein Mann, dem man ein Schiff hätte anvertrauen sollen!«

Die Wangen des Korsen röteten sich; die Brigantine nahm jetzt sein regstes Interesse in Anspruch. Er dachte nicht an Toulon, an die gewaltigen Werke, die vor ihm lagen, sondern er sah nur das kleine Fahrzeug, das keck und kühn den stolzen Linienschiffen Englands in die Zähne segelte.

»Der Mensch wird doch nicht so verrückt sein, zu glauben, daß er an diesem Punkt die Linie durchbrechen kann!« hob der General wieder an. »Er müßte sich weiter nach Ost halten, um dem Feinde den Wind abzugewinnen.«

»Wer weiß, welcher Berechnung er folgt! Vielleicht hat er trotz der kurzen Zeit ›The hen‹ genau kennen gelernt, um zu wissen, was er mit ihr wagen kann. Voilà, da dreht das Flaggschiff bei! Er hat das Zeichen gegeben, daß er mit dem Admiral reden will.«

Jetzt kam ein Augenblick der größten Spannung. Das Flaggschiff hatte sich genähert, indem es den einen Teil seiner Segel voll im Winde ließ, den andern aber so braßte, daß der Wind von außen empfangen wurde. Nun hätte man erwarten sollen, daß die Brigantine ihre Segel fallen ließ; statt dessen aber setzte Surcouf ein Sternsegel nahe am Wind bei und ließ den Helmstock des Steuerruders an der Leeseite festbinden. Dadurch wurde der Vorderteil des Schiffes der hohen See zugekehrt, und die beiden Fahrzeuge trieben einander langsam entgegen.

Napoleon sah durch das Rohr Surcouf auf dem Hinterdeck stehen, in englischer Uniform und das Sprachrohr in der Hand, aber in einer solchen Haltung, daß man vom Flaggschiff aus sein Gesicht noch nicht zu sehen vermochte. Kaum noch fünf oder sechs ihrer eigenen Längen war die Brigantine von dem Dreimaster entfernt, da winkte Surcouf mit dem Rohr. Sofort riß der Mann am Steuer das Tau vom Ruder, und das Sternsegel wurde gerefft: ›The hen‹ nahm frischen Wind und kam wieder in schnelle Fahrt. Statt anzuhalten, strich sie mit ziemlicher Schnelligkeit an dem Dreimaster vorüber. Napoleon sah, daß Surcouf abermals den Arm erhob. In diesem Augenblick legte sich die Brigantine schwer zur Seite und die französische Flagge flog empor. Zunächst erblickten die beiden Offiziere einen lichten Rauch, welcher der Breitseite des kleinen Fahrzeugs entquoll; dann sahen sie das großes stolze Flaggschiff bis an die Spitze seiner Masten erzittern, und einige Augenblicke später hörten sie den Donner der Kanonen, mit denen der kühne Bretagner das Orlogschiff begrüßt hatte.

Eine Minute später faßte die Brigantine vollen Wind, und ehe man auf dem Linienschiff sich vom Erstaunen erholt hatte, war sie bereits aus sicherer Schußweite gekommen. Man sah, welche Verwirrung dieser außergewöhnliche Zwischenfall auf dem Admiralschiff hervorrief; es wendete mühsam und jagte dem Flüchtling eine Breitseite nach, aber ohne zu treffen; dann flogen Signale an den Leinen empor, die von den anderen Schiffen beantwortet wurden, und bald befanden sich alle verfügbaren Fahrzeuge auf der Jagd nach dem verwegenen Zwerg, der es gewagt hatte, den Riesen zu täuschen und mit ihm anzubinden.

» Ah, excellent, excellentissime!« rief General Dugomier, indem er tief aufatmete. »Dieser Mensch ist wirklich ein kleiner Teufel, der alles Lob verdient.«

»Lob?« erwiderte Bonaparte. »Bürger General, was dieser Robert Surcouf geleistet hat, ist über alles Lob erhaben; ich, Napoleon Bonaparte, sage, daß er eine Schlacht gewonnen hat. Ich wünsche von Herzen, daß er entkommt. Stände ich an der Spitze der Marineangelegenheiten, so würde ich ihn zurückrufen, um ihm eine Flotte anzuvertrauen. Ich habe mich in diesem Genie getäuscht!« –

Drei Tage später trat ein korsischer Fischer aus Calbi bei ihm ein. Dieser hatte die Brigantine ›le faucon‹ getroffen und von deren Befehlshaber einen Brief erhalten, um ihn bei Napoleon abzugeben. Sein Inhalt lautete:

»An den Bürger Colonel Bonaparte. Ich habe mein Wort gehalten und mir ein Schiff genommen. Wenn Gott mich beschützt, so daß ich unbeschädigt an Gibraltar vorüberkomme, wird man bald weiteres von meinen Träumen hören. Robert Surcouf.«

Napoleon Bonaparte faltete das Papier langsam und nachdenklich zusammen. Und doch ahnte er noch nicht, daß er einen der größten Fehler seines Lebens begangen hatte, als er diesem Mann seine Gunst verweigerte. – – –

 

3. Der Flug des Falken.

Seit den letzterzählten Ereignissen waren 7 Jahre vergangen. Napoleon hatte in Italien seine Adler steigen lassen, in Aegypten seine Siege erfochten und war erster Konsul geworden. Der kleine Korse regierte mit Cambacères und Lebrun das Land, war jedoch in Wirklichkeit bereits der einzige Regent Frankreichs.

Die Prophezeiung Robert Surcoufs hatte sich aber dennoch erfüllt. Die Nation war von inneren Kämpfen zerrissen und von äußeren Kriegen geschwächt worden; zu Lande war ihr der Sieg treu geblieben, zur See aber hatte sie sich stets schwach gezeigt. Napoleon war ein großer Feldherr, aber ein schlechter Admiral; es fehlte Frankreich an einem Geist, der berufen gewesen wäre, ein Bonaparte zur See zu sein.

Die Marine war Frankreichs schwächste Seite, und darum war England sein gefürchtetster Gegner. Der eines großen Geistes würdige Plan Napoleons, England in Aegypten und Indien anzugreifen, war an der Unfähigkeit des Admirals Brueys gescheitert, der sich trotz seiner Uebermacht von Nelson bei Abukir schlagen ließ. Das stolze Albion beherrschte alle Meere; sein Krämersinn übte auf die Schiffahrt aller Nationen einen Druck, der sich kaum ertragen ließ. England schrieb Gesetze vor und änderte diese nach Belieben; es trachtete nach dem Monopol des Handels, nach der Beherrschung des Weltverkehrs und erzwang sich auf diesem Weg des Drucks und der Pressung ungeheure Summen, mit denen es wieder imstande war, sich die Kabinette zu erkaufen und somit die Regierungen von sich abhängig zu machen.

England schien unverwundbar zu sein. Es besaß neben Nelson Hunderte von Seemännern, denen Frankreich nicht einen einzigen entgegenstellen konnte; es lachte der Anstrengungen seiner Feinde; es erlaubte sich die brutalsten Eingriffe in das Völkerrecht; es konnte dies ungestraft tun; es konnte die aufrichtig gemeinten Friedensanerbietungen des ersten Konsuls mit verächtlichem Schweigen oder mit beleidigenden Floskeln beantworten, denn der einzige Franzose, den es fürchtete, wirklich fürchtete, schwamm in einem kleinen, unansehnlichen Fahrzeug auf fernen Meeren und hatte sich selbst aus seiner Heimat verbannt, weil er von ihr verstoßen worden war und da draußen in der Fremde Menschen gefunden hatte, die ihn liebten und verehrten, die ohne seinen Schutz nicht leben konnten und ohne seine Hilfe elend umgekommen wären. Und dieser einzige war kein anderer als Robert Surcouf, der kühne Sohn der Bretagne. –

Es war an einem lichten Sommertag. Die Sonne Indiens neigte sich dem Untergang entgegen, so daß die Schatten der Masten riesenhaft über die Wogen fielen. Während des Tages hatte die glühende Hitze keinen erfrischenden Windhauch aufkommen lassen; jetzt aber erhob sich ein leises Lüftchen, das von Viertelstunde zu Viertelstunde immer stärker wurde und im Hafen von Pondichéry die warmen Fluten zu kräuseln begann.

Pondichéry, ursprünglich eine französische Kolonie, war den Franzosen 1793 von den Briten abgenommen und dem Nabob von Karnatik übergeben worden. Man hatte die Festungswerke geschleift und auch alle übrigen Erinnerungen an Frankreich zu verlöschen gesucht. Gerade jetzt lag der Hafen voller Schiffe; der in dieser Jahreszeit herrschende Südwestmonsum hatte sie herbeigeführt und bot ihnen treffliche Gelegenheit, ihren Weg nach Osten weiter fortzusetzen. Es waren Fahrzeuge aller Nationen vorhanden, nur kein französisches; denn den Schiffen dieser Nationalität erschwerte man durch allerlei Schikanen die Einfahrt, und gar ein französisches Kriegsschiff brauchte den Versuch, hier die Anker zu werfen, schon gar nicht zu machen.

Etwas weiter vom Land entfernt als die andern Schiffe, lag eine kleine Brigg mit Schoonertakelage. Es war ein Yankee, der die Aufmerksamkeit der anwesenden Kapitäne nicht wenig in Anspruch nahm. Die Brigg hatte die neue amerikanische Bauart; scharfes bis an die Gallion verlängertes Vorderteil, schmale Brust und ungewöhnlich schlanken Körper. Sie zeichnete sich jedenfalls durch ihre feinen Wasserlinien und eine Schnelligkeit aus, die man recht gut auf sechzehn bis siebzehn Seemeilen für die Stunde annehmen konnte. Diese Brigg war gewiß ein ausgezeichneter Küstenfahrer; aber es gehörte ein kühner trefflicher Seemann dazu, sich mit einem so leicht dem Kentern ausgesetzten Fahrzeug über den großen Ozean zu wagen. Und dieser Seemann war noch so jung; er konnte kaum dreißig Jahre zählen. Er hatte Wein und Spirituosen geladen, die er gegen Opium und Indigo umzutauschen beabsichtigte; aber er hatte seine Ladung noch niemand angeboten.

Ganz in der Nähe dieser Brigg lag ein Engländer, ein großes dreimastiges Kauffahrteischiff. Es hatte hier ausgezeichnete Geschäfte gemacht und wollte morgen den Anker lichten; für heut abend aber gab der Kapitän seinen Handelsfreunden ein Abschiedsfest, zu dem auch die Kapitäne der naheliegenden Schiffe geladen waren.

Als der Abend hereingebrochen war, ließ der Engländer einige Raketen steigen, worauf die Geladenen von ihren Schiffen stießen, um bei ihm an Deck zu kommen. Auch der Amerikaner stellte sich ein. Vom Lande kamen die Gäste herbeigerudert und brachten ihre Frauen und Töchter mit. Eine Musikkapelle war schon an Bord. Nach kurzer Zeit klangen ihre lustigen Weisen über die Wogen dahin. Das Vorderdeck war zum Tanzen geräumt, und im Hinterteil stand die lange Speisetafel nebst den Büfetts, an denen man sich nach Belieben erfrischen konnte.

Am muntersten ging es während der Tafel zu. Festreden und Trinksprüche wechselten; die Herren waren bereits ein wenig angeheitert und ließen sich nach Seemannsart mehr gehen, als es eigentlich die Anwesenheit der Frauen gestattet hätte. Natürlich wurden allerlei merkwürdige Seegeschichten erzählt; ein jeder hatte etwas Ungewöhnliches erlebt, und es kam manche Münchhauseniade zum Vorschein, über die herzlich gelacht wurde. Aber man erzählte auch Ernsthaftes, z. B. von berühmten Kaperschiffen. Bei diesem Thema schlug einer der Kapitäne mit der Faust auf den Tisch und sagte:

»Geht mir mit euren Kapers und Privateers Englischer Ausdruck für Kaperschiff. Der Herausgeber.! Sie alle sind doch nichts gegen den ›Falken am Aequator‹. Wer unter euch hat ihn gesehen?«

Keiner antwortete und der Sprecher fuhr fort: »So bin ich es allein, der ihm begegnet ist.«

»Begegnet? Wirklich?« rief es rundum. »Still! Ruhig! Erzählt, Kapitän! Wie sah er aus? Wie benahm er sich?«

»Das war vor zwei Jahren, unter fünf Grad nördlicher Breite und ungefähr auf der Länge von Adaman. Wir hatten einen Sturm, wie ich ihn nie erlebt hatte, und das will viel sagen. Der Tag war finster wie die Nacht; der Orkan schien aus allen Richtungen auf uns einzufahren; der Himmel hing bis auf die Wasser nieder, und die Wogen stiegen bis in die Wolken empor. Da plötzlich sahen wir beim Schein der Blitze ein fremdes Fahrzeug, dessen Schnabel gerade gegen unseren Bug gerichtet war. Seine Segel glänzten weiß wie das Federfell eines Schwanes, und – glaubt's oder glaubt's nicht! – der Halunke hatte kein einziges Reff gelegt; er fuhr mit voller Leinwand auf uns ein. Es war ein zweimastiges Fahrzeug, ungefähr so, was man eine Brigantine nennt. Natürlich hatte ich Angst vor dem Zusammenprall und befahl dem Mann am Steuer, einen Strich abzufallen. Da schoß der Fremde an uns vorüber, so nahe, daß ich ihn mit der Hand greifen konnte. Ich nahm das Sprachrohr an den Mund und rief ihn an: ›Schiff ahoi! Welches Fahrzeug?‹ Ich sah keine Menschenseele auf dem Deck; ein einziger Mann hing in den Backbordwanten. Dieser brauchte kein Rohr; er legte die eine Hand an den Mund und rief herüber, als ob das Brüllen des Sturmes nur ein leises Säuseln sei: ›Der Falke des Aequators, Kapitän Surcouf. Gebt ihm eins! Feuer!‹ Da erst sehe ich drüben die französische Flagge und unter ihr die blutrote Kaperflagge wehen; es tun sich sechs Geschützpforten auf und wir bekommen die Kugeln in den Rumpf, während der Franzose im Dunkel des Wetters verschwindet. Na, wir haben die Löcher verstopft und weiter keinen großen Schaden gehabt; aber wenn der Kerl bei solchem Sturm den Spaß nicht lassen kann, wie mag es dann erst gehen, wenn er bei sicherer See einmal ernst macht!«

»Ja,« meinte einer der Zuhörer, »er soll ein entsetzlicher Mensch sein. Admiral Seymour sagte von ihm: ›Er hat eine jährliche Rente von 365 gekaperten Schiffen‹, und das ist genug gesagt. Er segelt mit seinem Zweimaster die größten Schiffe an und soll selbst ein Orlogschiff ersten Ranges nicht fürchten.«

»Oho!« rief der Kapitän, der den Wirt machte. »Mir sollte er nicht kommen; ich würde ihn schlimm heimschicken, so wahr ich James Sarald heiße!«

»Sprecht nicht zu viel, Kapitän!« warnte einer. »Kennt Ihr die Angriffsweise dieses Robert Surcouf?«

»Nun?«

»Er ist kein Seeräuber; er zeigt Euch ganz ehrlich seine Flagge und kommt an Euch heran, ohne einen Schuß zu tun. Bord an Bord aber springt er mit zwanzig Mann zu Euch an Deck. Wehrt Ihr Euch, so braucht er seine Waffen; ergebt Ihr Euch aber, so geschieht Euch kein Leid. Er führt Euer Schiff nach dem Hafen der nächsten französischen Kolonie, wo es im Namen Frankreichs mit Beschlag belegt wird. Ihr erhaltet richtige Bescheinigung und Reisegeld, um nach Hause zu kommen.«

»Weiter nichts? Mit zwanzig Mann? Pah!«

»Lacht ja nicht, Kapitän Sarald!« rief ein anderer. »In der Nähe des Ambra-Vorgebirgs hat er mit zwanzig Mann den ›Bananian‹ geentert, ein Schiff der ostindischen Kompagnie mit 26 Kanonen schwersten Kalibers und über 200 Mann Besatzung, alle gut bewaffnet. Diese Tat ist geschichtlich wahr, so unglaublich sie auch klingen mag. Ich möchte ihm nicht begegnen!«

»Und ich wünsche nun gerade, ihm zu begegnen!« behauptete Sarald.

»Sprecht diesen Wunsch nicht aus, denn er könnte in Erfüllung gehen!« meinte sehr ernst der Amerikaner, der bisher schweigend zugehört hatte. »Es soll mit Surcouf nicht zu scherzen sein.«

»Oh, Ihr mögt Euch vor ihm fürchten, Ihr mit Eurer Nußschale,« antwortete Sarald; »ich aber würde ihm nur mit der neunschwänzigen Katze antworten.«

Der Yankee lächelte, indem er kopfschüttelnd bemerkte: »Darauf könnte sehr leicht eine Gegenantwort erfolgen, die noch schlimmer als die Katze wirkt. Was aber meine ›Nußschale‹ betrifft, so dürfte sich dieselbe mehr Ansehen erwerben, als Euer Dreimaster.«

»Oho! Soll das eine Beleidigung sein?«

»Ich bin Euer Gast und pflege einen Gastfreund zu ehren, aber nicht zu beleidigen. Um Euch jedoch zu beweisen, daß ich auf meine Nußschale stolz sein kann, will ich Euch einmal ein Manöver von ihr zeigen, das mir nicht leicht einer nachmachen soll.«

»Was wäre das?«

»Paßt auf!« Er trat an die Reling, legte die Hand an den Mund und rief nach Lee hinüber, wo in einer Entfernung von vielleicht fünfhundert Faden seine Brigg lag: »Ahoi. Ervillard!«

»Ahoi!« antwortete es durch ein Sprachrohr von drüben herüber.

»Anker auf!«

»Aye, Master!«

Die Versammlung war im höchsten Grad neugierig, was geschehen werde. Man erhob sich und drängte nach der Leeseite, um die Brigg zu beobachten. Man sah, daß sie den Anker hob und ihre Leinwand entfaltete; dann rief der Yankee:

»Mesch'schurs, darf ich bitten, mir einmal nach dem Achterbord zu folgen? Ich kann dort am besten mein Manöver erklären.«

Sie folgten ihm ohne Ausnahme nach dem hochgebauten Hinterteil des Schiffes, so daß sich vom Spriet bis an den Besan nur die Musikanten befanden, einige Matrosen ausgenommen, welche die Gäste zu bedienen hatten; die anderen Deckhände befanden sich im Unterraum, wo sie sich heut beim Grog gütlich tun durften.

»Seht,« meinte der Yankee, »wie meine Brigg dem einen Segel gehorcht! Ein unvergleichliches Fahrzeug! Ein solcher Segler würde für Surcouf passen. Aber à propos, es wurde vorhin nicht geglaubt, daß er mit zwanzig Burschen ein Schiff mit zweihundert Mann und sechsundzwanzig Kanonen weggenommen hat. Was ist wohl schwieriger, Mesch'schurs, ein solches Schiff zu nehmen oder mitten in einem besuchten Hafen mit zwanzig Mann einen gut bewehrten Dreimaster zu entern?«

»Das letztere ist geradezu unmöglich,« antwortete ein alter Seemann, der wohl bereits über fünfzig Jahre lang die See gepflügt hatte.

»Wirklich, Kapitän? Es soll Leute geben, die auch dieses Stück dem Surcouf zutrauen.«

»Mit zwanzig Mann?«

»Ja. Wir haben ja gehört, daß er die Gewohnheit hat, nur mit zwanzig Mann anzugreifen. Aber das sollen auch Burschen sein, die sich nicht fürchten, die Großmutter des Teufels aus der Hölle zu holen. Seht, da kommt die Brigg! Wie spöttisch sie herantänzelt, gerade als ob sie sich über den mächtigen Dreimaster lustig machen wollte, der kleine David über den Goliath!«

»Aber was soll das?« fragte Kapitän Sarald. »Was soll die Brigg so nahe bei mir?«

»Es ist das Manöver, zu dem ich euch hier auf dem Achterdeck versammelt habe. Seht, jetzt ist sie da; sie läßt das Segel fallen, und nun springen meine Jungens an Deck!«

»Aber ich frage noch einmal, wozu dieses Manöver? Was sollen Eure Jungens an meinem Bord?«

»Zählt einmal! Es werden genau zwanzig sein. Meine Herren und Damen, ich gebe mir die Ehre, mich vorzustellen. Ich bin kein Amerikaner, der Weine und Spiritus geladen hat. Ich habe geladen einige hundert Enterbeile, verschiedene Zentner Pulver, ein ganzes Arsenal vortrefflicher Waffen und zwanzig Kanonen, bei denen genug Leute stehen, um diesen guten Dreimaster in den Grund zu bohren. Mein Name ist Robert Surcouf!«

Es läßt sich nicht beschreiben, welche Wirkung diese Worte auf die Versammlung hervorbrachten. Die harten, unerschrockenen Männer, die so manchen Gefahren furchtlos in das Auge geschaut hatten, verstummten vor dem Namen, den sie soeben gehört hatten. Sie blieben sogar unbeweglich, als einige der Leute Surcoufs aufs schleunigste die Luken besetzten, damit die Matrosen des Kauffahrers nicht an Deck kommen könnten. Kapitän Sarald faßte sich zuerst.

»Robert Surcouf?« fragte er. »Seid Ihr wirklich Surcouf?«

»Ich bin es. Und diese Brigg ist der ›Falke des Aequators‹, Seht meine Leute an, Messieurs! Diese werden sehr höflich sein, so lange ihr es verdient; an demjenigen aber, der zu widerstreben wagt, werden sie die Schärfe ihrer Waffen erproben. Bedenkt, daß ihr es mit zwanzig Burschen zu tun habt, die nicht gewöhnt sind, ihre Feinde zu zählen, und bedenkt, daß hier an der Seite dieses Schiffes zwanzig Kanonen auf mein Kommando warten, dieses Schiff in den Grund zu schießen. Ihr habt von Surcouf gehört, aber ihr habt ihn noch nicht gesehen; heut soll euch die Ehre zuteil werden, ihn kennen zu lernen. Es sind Frauen an Bord, und Robert Surcouf ist ein Franzose, wird also nicht die Achtung und Ehrerbietung verletzen, die er Frauen schuldig ist. Darum will ich heut einmal nicht daran denken, daß ihr zu den Feinden meines Volks gehört und daß mein Schiff ein Kaper ist, dem ihr verfallen seid. Was ich verlange, könnt ihr leicht gewähren. Ich wünsche, daß meine braven Jungens an dem Fest teilnehmen dürfen, das ihr gebt; ich wünsche ferner, daß ihnen ein Tänzchen erlaubt sei mit den Frauen, die das Fest verschönern. Wenn ihr mir dies gewährt, so verspreche ich, daß euch kein Haar auf eurem Haupt gekrümmt wird, daß ihr nicht den mindesten Verlust zu erleiden habt, und daß unser geselliges Beisammensein so fröhlich enden wird, wie es begonnen hat. Surcouf hat lauter anständige Männer an Bord; der letzte seiner Leute ist ein Kavalier. Jetzt habt ihr zu entscheiden. Tut es schnell!«

Er verbeugte sich und trat einige Schritte zurück, um mit den beiden Pistolen zu spielen, die er aus der Tasche zog. Die Männer, die ohne Ausnahme waffenlos waren, steckten verlegen und flüsternd die Köpfe zusammen; die Weiblichkeiten aber betrachteten mit furchtsamer Neugier den berühmten Kaperkapitän und seine Untergebenen, die, bis an die Zähne bewaffnet, das Achterdeck von dem übrigen Raum abgesperrt hielten.

Die Beratung der Männer war zu Ende, und der Aelteste von ihnen nahm das Wort: »Kapitän Surcouf, wir gestehen, daß Ihr uns in eine zweifelhafte Lage gebracht habt. Unsere Pflicht wäre, mit Euch zu kämpfen; halt!« – unterbrach er sich, als er sah, daß Surcouf bei dem letzten Wort die Hähne seiner Pistole aufzog – »laßt mich ausreden! Wir sollten eigentlich mit Euch kämpfen; aber Ihr selbst sagt mit Recht, daß die Gegenwart unserer Frauen und Töchter einige Rücksicht erfordert. Es soll daher zwischen uns ein Waffenstillstand geschlossen werden, der bis zum Anbruch des Morgens dauert; dagegen verlangen wir jedoch, daß das uns von Euch gegebene Versprechen buchstäblich erfüllt wird!«

»Es wird erfüllt; ich gebe euch mein Ehrenwort,« antwortete Surcouf. »Doch werdet ihr mir eine notwendige Bedingung gestatten. So lange ich mich bei euch befinde, darf kein Mensch ohne meine ausdrückliche Erlaubnis an Bord kommen, noch von Bord gehen, oder sonst etwas unternehmen, was meine Sicherheit gefährdet und dadurch auch euch in Gefahr bringen würde. Mein Schiff bleibt längsseits bei dem eurigen liegen, um die Erfüllung meiner Bedingungen zu überwachen, und sobald die Sonne am Horizont steht, ist der Waffenstillstand abgelaufen. Reichen wir uns als Ehrenmänner zum Zeichen des Einverständnisses die Hände!«

Diese Bedingungen wurden angenommen, und ein jeder bekräftigte durch Handschlag, sie zu halten. Nun gab Kapitän Sarald ein Zeichen, und die Musik begann. aufs neue. Männer und Frauen durften das Vorderdeck wieder betreten; Freund und Feind mischten sich untereinander. Die Leute des »Falken« zeigten sich gegen die Frauen so zart und anständig, daß das Vergnügen nicht durch den geringsten Hauch getrübt wurde.

Endlich, lange nach Mitternacht, gab Surcouf während einer Pause das Zeichen, daß er sprechen wolle. Man bildete einen Kreis um ihn. » Messieurs und Mesdames«, sagte er, »ich stehe im Begriff, mich von euch zu verabschieden. Ich danke euch für die Ehre, die ihr mir durch die Erlaubnis, an eurem Vergnügen teilzunehmen, erwiesen habt; noch mehr aber danke ich euch dafür, daß ich nicht gezwungen worden bin, von meinen Waffen Gebrauch zu machen. Ich liebe den Frieden, doch fürchte ich den Kampf nicht. Hättet ihr meine Vorschläge abgewiesen, so lebten viele von euch nicht mehr, und dieses Schiff befände sich jetzt als meine Prise auf dem Weg nach einem französischen Hafen. Sucht unter euren Bekannten meine Bitte zu verbreiten, mir nicht unvorsichtig zu widerstreben, wenn ich meine Flagge zeige. Das Schiff, das ich einmal als Feind betreten, verlasse ich entweder als Sieger, oder es fliegt mit mir und seiner Bemannung in die Luft; dieser unerschütterliche Entschluß ist das Geheimnis meiner Unüberwindlichkeit. England bereitet meinem Vaterland einen fortdauernden, unersetzlichen Schaden; zürnt also nicht mir, wenn man Gegenmaßregeln gebraucht. England hat uns die besten Schiffe unserer Marine genommen oder zerstört; verdenkt es nicht mir, wenn nun auch ich ein jedes britische Fahrzeug nehme, dem ich begegne. Wir scheiden jetzt im Frieden; wünschen wir um euretwillen nicht, daß wir uns auf offener See wiedersehen, denn dann würde ich es sein, der aufspielen läßt, aber zu einem weniger friedlichen Tanz. Kapitän Sarald mag jedoch überzeugt sein, daß sein Schiff der einzige Engländer ist, den Robert Surcouf betreten hat, ohne ihn ins Schlepptau zu nehmen. Er hat dies den Frauen zu verdanken. Lebt wohl!«

Fünf Minuten später flog der »Falke« mit vollen Segeln hinaus in die offene See; die Kapitäne kehrten auf ihre Fahrzeuge zurück, um die Erfahrung reicher, daß Frankreich einen Seemann besitze, der für einen höheren Wirkungskreis geboren sei Auch der Ballabend auf dem englischen Dreimaster ist geschichtliche Tatsache.. Er hatte in ihnen neue und eifrige Verbreiter, seines Ruhms gefunden. –

Wenig über eine Woche ging in Pondichéry die Nachricht ein, daß Robert Surcouf auf der Höhe von Colombo ein englisches Handelsschiff weggenommen habe. Darauf sei er einer Korvette mit fünfundzwanzig Kanonen begegnet, die ihm die Prise wieder abnehmen wollte; aber er habe auch diese Korvette geentert und dann beide Schiffe nach Mauritius gebracht. Diese vollständig verbürgte Nachricht trug nicht dazu bei, die Furcht vor dem kühnen Kaper zu vermindern. Das indische Gouvernement traf Maßregeln über Maßregeln; es sandte Kriegsschiffe aus, um Surcouf zu fangen oder zu töten; es setzte sogar einen hohen Preis auf seinen Kopf, aber diese Bemühungen blieben alle ohne Erfolg.

Napoleons Plan, England in Indien anzugreifen, war an der Unfähigkeit seines Admirals gescheitert. Und hier brachte ein einzelner Mann, der nur ein kleines Fahrzeug befehligte, einen Schrecken über alle indischen Besitzungen des stolzen Albion, einen Schrecken, der den Handel Englands ungemein schädigte, da man sich mit reicher Fracht kaum mehr in jene Breiten getraute und die Versicherungsbanken ganz bedeutende Prämien forderten, ehe sie die Garantie einer Ladung übernahmen, die nach dem Jagdgebiet Surcoufs bestimmt war.

Natürlich war der Ruhm seiner Taten längst nach Frankreich gedrungen, besonders durch den Gouverneur von Mauritius, bei dem er seine Prisen abzuliefern pflegte, und von dem auch die daraus gelösten Summen nach Paris übermittelt wurden. Man ward auf ihn aufmerksam; die Marinebehörde trat unter der Hand mit ihm in Unterhandlung; sie ließ ihm durch dritte und vierte Stelle immer höher steigende Anerbietungen machen; er aber tat, als ob er diese Angebote nicht verstehe oder nur für eine leere Phrase halte.

Da plötzlich tauchte das Gerücht auf, daß ein berühmter englischer Parteigänger mit Kaperbriefen nach Indien gekommen sei, um sich den auf Surcouf gesetzten Preis zu verdienen. Er hatte sein Schiff »Eagle«, also »Adler« genannt, um anzudeuten, wie sehr er dem »Falken« überlegen sein werde. Dieser Kapitän hieß Shooter, hatte eine sehr bewegte Vergangenheit hinter sich und war besonders berüchtigt durch die Härte, mit der er die Disziplin auf seinem Schiffe handhabte.

Die Wahrheit dieses Gerüchts bewährte sich, denn man hörte sehr bald, daß Shooter einige kleine französische Kauffahrer weggenommen hatte. Die Mannschaft hatte er über die Klinge springen lassen, trotzdem sie völlig unbewaffnet in seine Hände gefallen war. Diese Grausamkeit verstieß gegen alles völkerrechtliche Uebereinkommen und rief die Mißbilligung aller menschlich Denkenden hervor; noch entrüsteter aber wurde man über ihn, als man erfuhr, daß er einen förmlichen und zwar mitleidslosen Krieg mit allen Menschen führe, die Franzosen waren. Er suchte die Inseln und Küsten des indischen Meeres gründlich ab, und fand er in irgend einer Niederlassung einen Ansiedler französischer Nationalität, so war es um diesen und sein Eigentum geschehen. Ganz besonders hatte er es auf die Missionäre katholischen Bekenntnisses abgesehen. Fiel ein solcher Glaubensbote in seine Hände, so war dieser unbedingt verloren; man erzählte sich sogar, daß er solche Gefangene gewöhnlich den wilden Inselbewohnern ausgeliefert habe, wo sie vor dem Tod die furchtbarsten Martern zu erdulden gehabt hätten. Auf diese Weise verschwand damals mancher Priester der Mission, der sich vereinzelt in jene Breiten gewagt hatte und nun auf Borneo, Celebes oder Timor einem fürchterlichen Schicksal erlag.

 

4. Falke und Adler.

Um diese Zeit lag in dem kleinen javanischen Hafen Kalima ein kleiner Klipper vor Anker, an dessen Brust man den Namen »Jeffrouw Hannje« lesen konnte. Nach diesem Namen zu urteilen, schien er niederländischer Nationalität zu sein, trotzdem sein Bau sehr von dem in Holland gebräuchlichen abwich. Es kümmerte sich übrigens kein Mensch um ihn, denn Kalima war damals erst im Entstehen begriffen, und man hatte mehr zu tun, als die Schiffspapiere eines friedlichen, kleinen Seefahrers zu prüfen.

Der bedeutendste Ansiedler Kalimas war ein gewisser Davidson, der mit dem Kapitän der »Jeffrouw Hannje« Geschäfte haben mußte, denn dieser hatte sich bei ihm einlogiert, während seine Leute ohne Ausnahme an Deck hatten bleiben müssen. Die beiden Männer saßen in einer offenen Veranda, deren Blätterdach genügenden Schutz vor den Sonnenstrahlen bot, rauchten eine Sumatra und lasen in den neuesten Zeitungen, deren Datum, aber trotzdem mehrere Monate älter war. Damals bedurfte es fast eines Vierteljahrs, um eine europäische Zeitung nach Java zu expedieren.

»Also hört, Kapitän Surcouf, der Napoleon ist zum lebenslänglichen Konsul ernannt worden,« bemerkte der Ansiedler.

»Ich las es bereits vorhin,« nickte der Angeredete, »Man wird nächstens die Nachricht erhalten, daß er König oder Kaiser geworden ist.«

»Sprecht Ihr im Ernst?«

»Vollständig! Dieser Konsul Bonaparte ist ein Mann, der nicht auf halbem Wege stehen bleibt.«

»Ah, Ihr seid ein Bewunderer von ihm?«

»Nein, obgleich ich anerkenne, daß er ein Genie ist. Ich diene meinem Vaterland und achte einen jeden, der sich bemüht, es von dem Druck Englands zu befreien. In diesem Punkt besitzt der Konsul meine vollste Sympathie. Nur weiß ich nicht, ob er den allein richtigen Weg zum Ziel einschlagen wird. Die Macht Englands wurzelt in seinen Kolonien und in dem Vorrang, den es sich in Angelegenheiten des Welthandels angemaßt hat. Man nehme ihm diese Kolonien; man führe seinen merkantilischen Einfluß auf das richtige Maß zurück; man schwäche seine Verbündeten und stärke seine Gegner, was weiß ich noch! Ich bin nicht Konsul, und es genügt ja, wenn nur er das Richtige trifft. Die Hauptsache aber ist die Schaffung einer Flotte, welche Achtung zu gebieten vermag. Der Konsul ist seinem Land und seinem Volk die Politik des Friedens schuldig. Und wenn er dies beherzigt, so kennt er nur einen einzigen wirklichen Feind, und der heißt England. Dieser Gegner aber ist erfolgreich nur zur See zu bekämpfen.«

»Wie Ihr es im Kleinen, tut, Kapitän. Uebrigens muß es für einen Mann von Euren Fähigkeiten mit einer gewissen Ueberwindung verbunden sein, friedliche Kauffahrer wegzunehmen.«

»Warum? Meint Ihr vielleicht, weil dieses Verfahren der Piraterie ähnlich sieht? Kennt Ihr einen größeren Piraten, als England? Es untersucht und konfisziert nach Belieben die Handelsschiffe friedlicher Mächte; es schließt die Häfen der Nationen nach Gutdünken; es tötet den Handel und dadurch das Gewerbe der Völker; es macht auf diese Weise Millionen fleißiger Arbeiter brotlos, nur um alles an sich selbst zu reißen. Was es im Großen tut, tue ich im Kleinen; während es gegen Nationen sündigt, die kein Verschulden trifft, gehe ich ehrlich und offen gegen einen Feind vor, der sich ebenso rücksichtslos und unversöhnlich zeigt. Verurteilt mich, wenn Ihr es könnt! Hat England nicht Hunderte von Kapern unter Segel? Und was für Männer sind dies? Denkt nur an den nichtswürdigen Shooter, der kein Mensch, sondern ein Teufel ist! Sollen wir die Waffen senken, um uns feig und wehrlos ersticken zu lassen? Ich habe heilige Verpflichtungen zu erfüllen. Auf meinem Schiff befinden sich vierzig wackere Männer, die ich zu ernähren habe, und glaubt ja nicht, daß dies meine ganze Familie ist! In Bengalen habe ich Greise, die in den französischen Kolonien dienten und nun von den Engländern keine Rente empfangen; ich habe zahlreiche Ansiedlerfamilien, die durch die englischen Koloniekriege zugrunde gerichtet wurden; ich habe arme Franzosen, die mittellos in die Fremde gingen, weil sie durch die Revolution vertrieben wurden, und die nun etwas Geld brauchen, um ein wenig Land urbar zu machen; ich habe fromme Männer, die unter die Heiden gingen, um das Wort Gottes zu predigen, durch die Kälte und den Unglauben der gegenwärtigen Richtung aber ihren Unterhalt bedroht sehen. Nun wohl, ich bin ihrer aller Versorger. Ich gebe den Invaliden Pensionen, den zugrunde Gerichteten Entschädigungen, den Ansiedlern Unterstützungen, den Missionären Schutz und Lebensunterhalt. Frankreich tut es nicht, wenn ich es nicht tue; in Paris wird keiner der Briefe geöffnet, in denen die fernen Landeskinder um Hilfe flehen. Was soll aus ihnen werden, wenn Robert Surcouf die Waffen niederlegt und dann gezwungen ist, seine Hand von ihnen zu ziehen!«

Davidson sprang auf, um dem braven Seemann seine Hand zu reichen. »Kapitän, ich weiß das alles,« rief er, »denn auch durch meine Vermittlung fließen ja so viele Eurer Gaben. Frankreich hat keine Ahnung, welchen Mann es hier in diesem Winkel der Erde besitzt, und – – –«

Er wurde unterbrochen; es trat ein Matrose Surcoufs herein und meldete seinem Herrn, daß der »Eagle« am Ostende der Insel vorgestern eine Pflanzung überfallen und einen Priester mit sich genommen habe.

»Wer sagt es?« fragte der Kapitän.

»Soeben hat ein holländischer Sluger Zweimaster mit Gaffelsegel und einer Schraube als Auxiliarkraft. Anker geworfen, von dem erfuhren wir es.«

»So ist es keine Erfindung. Ihr seht, Davidson, daß ich nicht ruhen darf! Dieser Mensch will sich den Preis verdienen, den die Herren Engländer auf meinen Kopf gesetzt haben; ich aber habe seine Spur bis heute vergeblich gesucht. Jetzt finde ich sie, und nun will ich ihm meinen Kopf zeigen. Lebt wohl, Davidson! Ich lasse alles im Stich, denn ich weiß, daß wir uns baldigst wiedersehen.«

Der Kaperkapitän eilte in einer Stimmung, die man fast Begeisterung nennen mochte, nach dem Hafen und auf sein Schiff. In weniger als einer Viertelstunde segelte er bereits aus dem kleinen Hafen hinaus, und kaum hatte er Kalima hinter sich, so ließen sich zwei Männer am Bug herab, die den Namen »Jeffrouw Hannje« überstreichen mußten. Dies war in kurzer Zeit geschehen, und dann wurde der eigentliche Name des Fahrzeugs » le faucon« Surcouf nannte sein Schiff zuweilen auch anders, z. B. nach seiner Heimat, der Bretagne, » le breton«. wieder angebracht.

Der Wind wehte günstig und so erreichte der »Falke« bereits nach drei Stunden die Ostspitze Javas, wo die betreffende Niederlassung zu suchen war. Zwischen hier und der Insel Bali hindurch, auf Kap Butur zuhaltend, gewahrten sie am Ausfluß eines Baches die Trümmer mehrerer verbrannter Häuser, neben denen einige Leute bereits beschäftigt waren, neue zu errichten. Surcouf ließ die Segel fallen, fuhr möglichst nahe an das Land und bestieg sodann ein Boot, um sich zur Küste rudern zu lassen. Die Leute waren aufmerksam auf das Schiff und das nahende Boot geworden und hatten sich schleunigst in den Schutz eines nahen Eisenbaumwaldes zurückgezogen. Als der Kapitän landete, sah er wohl verbrannte Hütten, verwüstete Gärten, zerstörte Felder, aber keinen Menschen, der ihm Auskunft zu geben vermochte. Erst nach langem Rufen vernahm er aus der Ferne einen menschlichen Ton als Antwort und dann hörte er die Frage:

»Was ist das für ein Schiff?«

»Ein Franzose,« antwortete er.

Er hatte aus Vorsicht unterlassen, die Flagge aufzuziehen. Auf seine Antwort jedoch rauschte es bald in den Büschen, und er sah einen Mann hervortreten, der einen kräftigen Knüttel in der Rechten hielt; es war ein Weißer.

»Kommt näher und fürchtet Euch nicht,« sagte der Kapitän. »Ich bin ein Freund aller friedfertigen Leute und werde Euch nichts Schlimmes, sondern nur Gutes erweisen. Uebrigens seht Ihr ja, daß ich allein bin. Meine beiden Ruderer sind im Boot zurückgeblieben.«

Da kam der Fremde heran. Es war eine hohe, breite muskulöse Gestalt mit einem klugen Gesicht, worin jedoch ein Zug tiefer Schwermut vorherrschend zu sein schien. Bekleidet war er nur mit dünnen, weißen Hosen und mit einer weißen Bluse. »Euer Fahrzeug kam uns verdächtig vor,« entschuldigte er sich, »darum zogen wir uns zurück.«

»Was an meinem Schiff hat Euren Verdacht erregt?« fragte Surcouf.

»Hm, eben nichts Bestimmtes. In diesen Breiten sind vier Schiffe unter zehn sicherlich Seeräuber und nach den Erfahrungen, die wir gemacht, haben, ist es eine Kunst, Vertrauen zu besitzen.«

»Ich habe vernommen, daß der ›Eagle‹ hier gewesen ist?«

»Ich gehörte zu seiner Bemannung und habe die Gelegenheit benutzt, hier am Land zurückzubleiben.«

»Ah!« machte Surcouf erstaunt. »Ihr seid mit Shooter gefahren?«

»Leider! Er hat mich gepreßt, und es ist mir schlecht genug ergangen, ehe es mir gelang, mich zu flüchten.«

»Wenn das so ist, so seht Euch einmal mein Schiff an. Hier habt Ihr mein Rohr dazu.«

Der Mann nahm das Fernrohr; kaum aber hatte er es auf die Brigg gerichtet, so nahm er es mit einem lauten Ausruf des Erstaunens wieder vom Auge: » Le faucon! Ist es möglich! Le faucon, Kapitän Robert Surcouf?«

»Allerdings. Surcouf bin ich selbst.«

»Ihr, Ihr seid es! O Herr, dann segne ich die Stunde, in der ich vom ›Adler‹ entflohen bin, denn nun weiß ich, daß dieser fürchterliche Shooter seinen Lohn empfangen wird!«

»Soweit es in meiner Macht liegt, soll er ihn erhalten. Erzählt zunächst, was hier geschah!«

»Erlaubt mir vorher, die andern zu benachrichtigen, damit sie nicht länger in Sorge sind.«

Er entfernte sich und kehrte bald mit zwölf Personen, acht Erwachsenen und vier Kindern zurück, die Surcouf mit Jubel willkommen hießen. Die kleine Kolonie hatte aus zwei verheirateten Holländern, drei, Franzosen, einem Belgier und einem Schweden bestanden. Bei dem Ueberfall war der letztere, der sich zur Wehr gesetzt hatte, getötet worden.

»Ich denke, es ist auch ein Priester bei euch gewesen?« fragte Surcouf.

»Allerdings,« lautete die Antwort. »Er kam von Djokjokarta, um sich mit den Javanesen zu beschäftigen, die hier in der Nähe in den Wäldern wohnen.«

»So war er ein Missionär?«

»Ja; er war ein Missionspriester vom Orden des heiligen Geistes. Wir mußten ihn Vater Martin nennen.«

»Ah!« rief Surcouf, indem er von dem Stein emporfuhr, auf den er sich niedergelassen hatte. »Vater Martin vom Orden des heiligen Geistes? Das ist wunderbar! Den kenne ich; der darf unmöglich in den Händen dieses Menschen bleiben! Erzählt!«

Der entflohene Seemann berichtete: »Wir lagen vor Palembang, als wir hörten, daß der ›Falke‹ jedenfalls an der Nordküste von Java kreuze. Kapitän Shooter hatte geschworen, den ›Falken‹ zu bekommen, und lichtete sofort die Anker. Wir segelten die Küste entlang, ohne Euer Schiff zu entdecken, Kapitän, sichteten aber dafür diese kleine Niederlassung. Shooter erkundete sie durch das Rohr und gewahrte einen Priester. Dies war für ihn sofort der Grund, die Ansiedlung zu überfallen.«

»Wie kann die Anwesenheit eines Priesters die alleinige und genügende Ursache einer so traurigen Tat sein!« rief Surcouf.

»Ich weiß nicht; aber Tatsache ist es, daß Shooter beim Anblick jedes Priesters in Wut gerät. Man erzählt sich, daß er selber früher Mitglied eines Ordens gewesen sei; er wurde wegen schwerer Verfehlungen ausgestoßen und damit hängt sein Priesterhaß zusammen, der bei ihm zur wirklichen Manie geworden ist. Er ist der gottloseste Mensch, den ich gesehen habe, ein unmäßiger Trinker, ein lästerlicher Flucher, ein Barbar gegen seine Untergebenen. Ich bin ein Deutscher, heiße Holmers, und gehörte einem jener unglücklichen Regimenter an, die von verblendeten Fürsten den Engländern zu Hilfe gesandt wurden, um in Amerika die Gedanken der Freiheit und Gerechtigkeit ausrotten zu helfen. Ich mußte meine Braut und meine Eltern im Stich lassen und desertierte, wie so viele, welche nicht für die Engländer kämpfen wollten, die nur die eine Politik verfolgen, sich wie ein Blutegel an dem Wohlstand anderer Völker vollzusaugen. Das war mein Unglück. Ich konnte nicht in das Vaterland zurück; die Braut heiratete einen anderen; die Eltern starben und mein Erbteil wurde beschlagnahmt. Ich ging zur See. Seit dieser Zeit habe ich alle Meere befahren, bis ich mich am Kap niederließ. Da kamen vor fünf Jahren die Engländer, und nahmen es in Besitz. Ich zog mit anderen weiter an der Küste hinauf, wo wir uns niederließen. Vor zwei Monaten ankerte Kapitän Shooter bei uns. Wir hielten ihn für einen Kauffahrer, und ich ging an Bord, um mit ihm über die Preise des Schlachtviehs, das er von uns kaufen wollte, zu verhandeln. Wir wurden nicht einig, und zur Strafe dafür, daß ich ihm nicht zu willen sein konnte, behielt er mich als Matrosen an Bord. Ich habe die schlimmste Zeit meines Lebens bei ihm zugebracht und stets Gelegenheit zur Flucht gesucht; erst vorgestern ist sie mir gelungen. Er beorderte dreißig Mann ans Land, um diese Ansiedlung zu überfallen, den Priester gefangen zu nehmen und die Wohnungen nach ihrer Beraubung niederzubrennen. Die Leute hier flohen; ein einziger, ein Schwede, hielt nebst dem Priester aus. Der erstere wurde niedergeschossen, und der letztere, der vermitteln wollte, gebunden auf das Schiff geschleppt. Es gelang mir, nach dem Eisenbaumwald zu entkommen, und diese Leute haben mich bereitwillig bei sich aufgenommen, trotzdem ich vom Piratenschiff zu ihnen kam.«

»Welchen Plan verfolgt Ihr nun in Beziehung auf Euere weitere Zukunft?«

»Ich werde suchen, nach meiner kleinen Besitzung am Kap zurückzukommen. Vorher aber bitte ich Euch, mich mit an Bord zu nehmen. Ich möchte dabei sein, wenn Ihr mit Shooter Abrechnung haltet.«

»Diesen Wunsch erfülle ich Euch gern. Was für ein Schiff ist der ›Adler‹?«

»Ein Orlog-Kutter von dreißig Kanonen; doch macht er nur dreizehn Meilen in der Stunde. Wenn Ihr keine Zeit versäumt, Kapitän, so werdet Ihr ihn in der Mangkassarstraße finden. Er pflegt seine Gefangenen den wilden Dayaks, welche die Sukuruberge auf Borneo bewohnen, zu übergeben und dafür Goldsand einzutauschen. Bei diesen Gelegenheiten landet er auf einer Insel der Sukurubai. Die Dayaks bezahlen weiße Gefangene sehr teuer, um sie mit vornehmen Toten lebendig zu begraben oder ihren Götzen als Opfer darzubringen.«

Diese Mitteilung trieb Surcous zur höchsten Eile an. Rasch landete er noch verschiedene Sämereien, Werkzeuge und andere Gegenstände, die er den Ansiedlern schenkte, um ihrer zerstörten Niederlassung wieder aufzuhelfen; dann aber ging er sofort in See, um noch vor Nacht den nördlichen Teil des Sundameers zu gewinnen und, dort kreuzend, dem »Eagle« den südlichen Ausgang aus der Mangkassarstraße zu verlegen. Dies gelang ihm vollständig, und da er während der Nacht kein Schiff in Sicht bekam, so ging er am Morgen zwischen Borneo und den Balabalagan-Inseln nach Norden. Am Mittag kam er an Koti Lama vorüber und kreuzte mit günstigem Wind immer weiter nach Norden – links lag Borneo und rechts Celebes – ohne daß ihm ein Schiff begegnet wäre. So war er sicher, den »Adler« noch vor sich zu haben, da Shooter den »Falken« an der Küste von Java suchen und also nicht durch die Mangkassarstraße hinauf in das Sulu-Meer, sondern wieder zurück nach dem Sunda-See gehen würde.

Die Sonne war bereits am Horizont, als der »Falke« die südliche Spitze der Sukurubai erreichte. Jetzt galt es, vorsichtig zu sein. Surcouf stieg zum Masthaupt hinauf, um die Bai mit seinem Fernrohr abzusuchen. Da sah er im Norden eine Insel vor sich liegen, und in einem kleinen Busen an deren Westufer ragten die Masten eines Schiffes empor, dessen Segel beschlagen waren, ein Zeichen, daß es während der Nacht diese Stelle nicht verlassen würde. Um nicht gesehen zu werden, ließ er augenblicklich wenden und hinter der ihn verbergenden Landspitze Anker werfen.

Dort blieb er, bis es dunkel geworden war. Dann wurde der Anker wieder gelichtet, und der »Falke« steuerte nach Nordost, um an die unbewachte Seite der Insel zu kommen. Die Nacht war so finster, daß man kaum eine Schiffslänge weit zu sehen vermochte. An Deck brannte kein einziges Licht. Es war die größte Vorsicht geboten, und als Surcouf glaubte, auf gleicher Höhe mit der Insel angekommen zu sein, ließ er gerade auf West wenden. Er folgte dieser Richtung, indem er nur soviel Segelwerk beibehielt, als notwendig war, um das Fahrzeug langsam fortzubewegen. Sobald er die richtige Zeit gekommen glaubte, setzte er die Barkasse aus, die mit umwickelten Riemen Seemannsausdruck für Ruder. Der Herausgeber., von dem »Falken« her die Bahn zu sondieren hatte.

So erreichte man die Ostseite der Insel; dort entdeckte die Barkasse eine kleine Einbuchtung, wo der Schooner vor Anker gehen konnte. Dies war kaum geschehen, so bestieg Surcouf mit zwanzig Mann, der Hälfte seiner Mannschaft, die Boote, um die Südseite der Insel zu umfahren, und ließ die übrigen zur Bewachung des Schiffes zurück. Da sämtliche Ruder genügend umwickelt waren, so verursachten sie kein Geräusch und auch die Männer selbst beobachteten die tiefste Stille.

Der Kapitän fuhr in der Schaluppe den andern voran. Alle waren nur mit Messer und Enterbeil bewaffnet, weil Surcouf die Absicht hegte, die Boote in gehöriger Entfernung zurückzulassen und dann den »Adler« anzuschwimmen; doch ist das Enterbeil die gefährlichste Waffe in der Hand eines kräftigen Seemanns. Sie waren noch nicht zehn Minuten lang gefahren, so sahen sie die Schiffslaterne des gesuchten Fahrzeugs leuchten. Surcouf gab ein Zeichen, zu halten, und glitt leise aus der Schaluppe in das Wasser.

Es war notwendig, sorgfältig Ausschau zu halten, denn noch wußte man nicht, ob es auch wirklich der »Eagle« sei; und wenn er es war, so galt es, zu erfahren, ob sich alle Mannen an Bord befanden und in welcher Weise die Wache gehandhabt wurde. Surcouf war ein ausgezeichneter Schwimmer; er zerteilte die Flut, ohne diese mehr als ein Fisch zu bewegen. In der Nähe des Schiffes tauchte er und kam erst hart an dessen Wand wieder empor. Er umschwamm es langsam und vorsichtig, und überzeugte sich, daß es der »Adler« sei. Das Schiff stand nur an einem Anker, und zwar an dem am Kranbalken befindlichen Nachtanker, und neben dem Tau hing die Ankertalje Schiffswinde, Hißtau zum Aufwinden des Ankers. Der Herausgeber. bis in das Wasser nieder.

Surcouf zog an der Talje und bemerkte, daß sie oben angefixt sei und ihn also tragen werde. Er griff sich empor und hütete sich dabei sehr, durch ein Anstreifen an der Bugwand das kleinste Geräusch zu verursachen. Als sein Auge in Bordhöhe gelangte, bemerkte er, daß sich nur zwei Männer an Deck befanden, nämlich die Vorder- und Hinterdeckwache. Er hatte genug gesehen, glitt wieder hinab und kehrte zu seinen Booten zurück. Er schwamm zunächst nicht zu seiner Schaluppe, sondern zur Barkasse, die Leutnant Ervillard befehligte und zu deren Bemannung auch Holmers gehörte.

Nun wurde eine kurze Beratung gehalten, deren Ergebnis darin bestand, daß Surcouf mit dem Deutschen und dem Leutnant zunächst allein an Bord klettern wollte, um die beiden Wachen zu beschleichen und unschädlich zu machen; dies sollte durch einfache Knebelung und nur im äußersten Fall durch Tötung geschehen; dann erst sollten die anderen nachfolgen, indem sie, an der Ankertalje kletternd oder am Ankertau reitend, emporkämen. Sodann hatte man den Kapitän und die Offiziere zu überrumpeln, die Waffen- und Pulverkammern zu besetzen, und nach diesen Vorbereitungen durfte man hoffen, mit der übrigen Bemannung leichter fertig zu werden.

Nachdem einem jeden seine Rolle zugeteilt war, wurden die Boote an die Insel gerudert, wo sie unter der Aufsicht eines einzigen Mannes zurückblieben. Die übrigen, mit dem Kapitän grad zwanzig Mann, gingen in das Wasser und schwammen, einer immer hinter dem anderen, dem Engländer entgegen, den sie auch wirklich unbemerkt erreichten. Eine Minute später standen die drei Führer bereits hinter der Bugverkleidung. Die Vorderdeckwache lehnte am Fockmast, ihnen den Rücken zukehrend.

»Es steht gut,« flüsterte Surcouf dem Deutschen zu. »Leise hinan, und nimm ihm die Kehle fest zusammen. Er darf keinen Laut ausstoßen!«

Der Angeredete schlich sich nach dem Mast; ein rascher Griff seiner kräftigen Hände genügte, und in den nächsten Sekunden hatte die Wache einen Knebel im Mund und war mit Armen und Beinen an den Mast gebunden. Die Hinterwache wurde ebenso glücklich überrascht, und nun gab Surcouf den unten im Wasser harrenden Leuten das Zeichen, emporzuklettern. Dies geschah so vorsichtig, daß diejenigen, die am Ankertau emporritten, nur ein fast ganz unmerkliches Neigen des Buges hervorbrachten. Kaum waren alle an Deck, so schlich ein jeder sofort nach seinem Posten.

Der Kapitän ließ sich mit dem Leutnant von dem Deutschen nach der Kapitänskajüte führen. Die Tür war von innen verriegelt, und Surcouf klopfte leise.

»Wer ist's?« erscholl drinnen die schläfrige Frage.

»Der Leutnant,« antwortete Bert Ervillard in englischer Sprache.

»Was gibt's?«

»Pst, Kapt'n, redet nicht laut! Es muß an Bord irgend eine Teufelei los sein, die wir belauschen können. Steht auf und kommt schnell!«

»Ah! Bin gleich fertig!«

Man hörte seine hastigen Bewegungen und das Klirren einer Waffe; zugleich sah man durch eine schmale Ritze, daß er Licht machte.

»Vorsicht!« flüsterte Surcouf. »Er darf nicht schießen, sonst weckt er alle Mannen. Nehmt Ihr sofort seine beiden Hände, Holmers, während du, Ervillard, ihn bei der Gurgel fassest. Das übrige besorge ich.«

Jetzt wurde der Riegel zurückgeschoben und die Tür öffnete sich. In ihrem hellen Raum war Shooter mit vollster Deutlichkeit zu erkennen; er hatte einen Degen umgelegt und trug in jeder Hand eine Pistole, deren Hähne glücklicherweise noch nicht gespannt waren. Ehe sein Auge die auf der Kajütentreppe herrschende Dunkelheit zu durchdringen vermochte, war er sowohl an beiden Händen als auch am Halse gepackt. Die Pistolen entfielen ihm; ein leises Gurgeln drang aus seiner Kehle; dann wurde er in die Kajüte zurückgedrängt, auf sein Lager gelegt, gebunden und geknebelt.

Ganz denselben Verlauf nahm die Ueberwältigung des Leutnants in der Backbordkoje; Holmers, der jeden Winkel des Schiffes ganz genau kannte, diente als Führer. Hierauf versicherte man sich der Waffen- und Munitionsvorräte. Nun wurden die vorgefundenen Gewehre geladen und dann stieg man durch die Vorderluke hinab in das Mannschaftsquartier.

Hier brannte eine Lampe, deren Schein den niedrigen, dumpfen Raum mit den vielen Hängematten nur notdürftig beleuchtete. Das Passieren der schmalen knarrenden Treppe konnte nicht mit der gewünschten Geräuschlosigkeit vor sich gehen; die Leute des »Eagle« wurden aufmerksam und einer von ihnen stieß verdrießlich einen Fluch aus. Er glaubte, es sei die abgelöste Deckwache, fuhr aber doch sehr schnell aus seiner Hängematte empor, als er sah, daß die Störung nicht von den beiden Kameraden, sondern von einer ganzen Anzahl Unbekannter herrühre.

Er rief die andern wach, doch schon stand Surcouf mit den beiden vorgehaltenen Pistolen des Kapitäns am Eingang und gebot mit donnernder Stimme:

»Ein jeder an seinen Platz! Ich bin Kapitän Surcouf, und euer Schiff ist bereits in meiner Gewalt. Wer es wagt, sich zu wehren, den lasse ich an die Fockrahe hängen!«

Bei der Nennung dieses Namens sanken die Arme, die sich bereits erhoben hatten, wieder nieder; keiner der gefürchteten Bemannung des »Eagle« hatte den Mut oder die Geistesgegenwart, zu handeln. Die Sache war ihnen so unglaublich, so unmöglich, und doch sahen sie den gefürchteten Kaperkapitän mit seinen Leuten vor sich; es gehörte Zeit dazu, das zu begreifen, zumal ihr Schiff nicht geentert worden war, und sie an den nassen Kleidern der Franzosen erkannten, daß diese schwimmend herbeigekommen waren. Surcouf fuhr fort:

»Ihr habt euch ohne Bedingung zu übergeben und einzeln hinauf an Deck zu steigen. Vorwärts, marsch!«

Er faßte den ihm zunächst Stehenden bei der Schulter und schob ihn nach der Treppe hin; der Mann gehorchte ganz verblüfft und ebenso ging es mit den übrigen. Sie stiegen in Zwischenräumen – einer hinter dem andern – nach oben und sahen sich dort in Empfang genommen und gefesselt, ehe sie sich noch gänzlich in ihrer Lage zurecht gefunden hatten. Dann wurden sie hinunter in den Ballastraum gebracht, wo sie unter der scharfen Aufsicht einer Wache standen.

Jetzt ließ Surcouf Raketen aus der Pulverkammer kommen; ihr aufsteigendes Licht und ein einziger gelöster Kanonenschuß sollten den »Falken« benachrichtigen, daß der »Eagle« sich in den Händen der Sieger befinde. Diese Zeichen wurden bemerkt und nach einer halben Stunde, während der Surcouf eine eingehende Besichtigung des »Eagle« vornahm, kam der Schooner herbei und warf neben dem Engländer den Hauptanker. Nun wurden auch die drei zurückgelassenen Boote herbeigeholt, und das Unternehmen gegen den »Adler« war glücklich beendet.

Jetzt galt es nur noch, den entführten Missionär ausfindig zu machen. Kein einziger Mann der Schiffsbesatzung hatte Auskunft über ihn gegeben; alle hatten vielmehr jeder Bitte und jeder Drohung ein halsstarriges Stillschweigen entgegengesetzt. Nun wurde der Leutnant vernommen; auch dieser schwieg. Darum schickte Surcouf nach dem Kapitän, der noch immer gefesselt in seiner Kajüte lag, und empfing ihn an Deck, von sämtlichen Leuten des »Falken« umgeben.

Mehrere jetzt an den Masten aufgehängte Laternen verbreiteten ein genügendes Licht, um den berüchtigten Mann genau in Augenschein nehmen zu können. Er hatte eine lange, hagere, vornüber gebeugte Gestalt und ein Gesicht, dessen Ausdruck nichts weniger als vertrauenerweckend war. Man hatte ihm den Knebel abgenommen und die Füße entfesselt; die Hände aber blieben gebunden.

Er schien von dem, was ihn betroffen hatte, und dessen Tragweite er noch gar nicht kannte, keineswegs niedergeschlagen zu sein, sondern sein Auge blitzte, und sein Gesicht war gerötet vor Zorn, als er, in den Kreis tretend, mit barscher Stimme fragte: »Was geht hier vor? Wer ist es, der es wagt, sich auf meinem Schiff als Herr zu gebärden?«

»Auf Eurem Schiffe, Mr. Shooter?« antwortete Surcouf. »Ich denke, daß es das meinige ist!«

»Ah, welche Frechheit! Wer seid Ihr?«

»Ich bin Robert Surcouf, Untertan der französischen Republik, und das Schiff, dessen Licht Ihr hier über Steuerbord seht, ist der ›Falke‹, dessen Bekanntschaft Ihr so gern machen wolltet. Ich erspare Euch, wie Ihr seht, die Mühe, noch längere Zeit erfolglos nach mir zu suchen!«

Als der Kapitän diesen Namen hörte, erbleichte er; doch war dies das einzige Zeichen seines Schreckens, denn er antwortete in stolzem Ton: »Robert Surcouf? Hm! Ja, ich erinnere mich, diesen Namen irgendwo einmal gehört zu haben. Aber was habt Ihr an Bord des ›Eagle‹ zu suchen?«

»Ich suche Kapitän Shooter – – –«

»Nun wohl, der bin ich. Was weiter?«

»Ferner suche ich einen Missionspriester, den Ihr vor einigen Tagen von Java entführt habt. Ihr werdet die Güte haben, mir seinen Aufenthalt zu nennen!«

»Ich werde diese Güte nicht haben, Herr! Ich pflege –«

»Pah!« unterbrach ihn Surcouf mit barscher Stimme. »Was Ihr zu pflegen beliebt, das ist hier vollständig gleichgültig; jetzt gilt nur das, was mir beliebt! Ich ersuche Euch, Robert Surcouf nicht für einen Mann zu halten, mit dem man Komödie spielen darf. Ich nehme an, daß es Euch nicht an Einsicht mangelt, Euere gegenwärtige Lage vollständig zu begreifen. Werdet Ihr mir sagen, wo sich der Missionspriester befindet, oder nicht?«

»Einem Surcouf antwortet Kapitän Shooter nicht!«

»Nun wohl, Ihr seid mein Gefangener! Da Ihr Euch weigert, so wird man Euch den Mund öffnen müssen. Leutnant Ervillard, ein Tauende! Dieser Mann erhält dreißig Hiebe auf den bloßen Rücken!«

Bei diesem Befehl trat Shooter hastig einen Schritt vor. »Was sagt Ihr da?« rief er, vor Grimm bebend. »Schlagen wollt Ihr mich lassen! Mich, einen Offizier! Den Kapitän des ›Eagle‹, vor dem noch jeder Feind erzitterte!«

Surcouf zuckte die Achseln und entgegnete: »Hoffentlich zählt Ihr mich und meine braven Jungens nicht zu den Leuten, von denen Ihr gefürchtet worden seid. Ja, ich werde Euch den Mund mit guten Hieben öffnen lassen!«

Shooter antwortete zunächst nur mit einem heiseren Schrei, dann rief er: »Mensch, das wagt Ihr nicht! Noch gibt es ein Völkerrecht! Ich bin kein Seeräuber, sondern ein Privateer, der mit vollgültigen Kaperbriefen versehen ist. Und wenn diese nicht geachtet werden, so ist Kapitän Shooter der Mann, ihnen Achtung und sich selbst Genugtuung zu verschaffen. Zittert vor meiner Rache! Ihr habt mein Schiff genommen; nun wohl, ich kann nichts dagegen haben, obgleich meine Schlafmützen dies fürchterlich büßen sollen; aber Ihr müßt mich am nächsten Hafen abliefern, und dann, ja dann werde ich Euch zeigen, was es heißt, einem Mann, wie mir, mit dem Tauende zu drohen!«

»Ich sehe, daß der Zorn Euren Anstand auf eine sehr ungünstige Weise beeinflußt,« antwortete Surcouf. »Eigentlich habe ich hier keinem einzigen Menschen gegenüber meine Befehle und Handlungen mit Gründen zu belegen, aber in Rücksicht auf Euer krankhaftes Denkvermögen will ich mich doch zu meiner Erklärung herbeilassen. Ja, es gibt ein Völkerrecht, aber eben dieses Völkerrecht verbietet einem Kaper, ein Pirat zu sein; jedem ehrlichen Kapitän aber gebietet es, einen Piraten auch als Piraten, das heißt, als Seeräuber zu behandeln. Ob Ihr mit Kaperbriefen versehen seid, ist mir durchaus gleichgültig; ich habe die Beweise, daß Ihr wehrlose Ansiedler überfallen und friedliche Seefahrer getötet habt, obgleich diese sich ohne Widerstand ergaben; daß Ihr sogar einen Krieg, einen Vernichtungskrieg gegen fromme Priester führt, die keine anderen Waffen besitzen, als Worte der Liebe oder der Ermahnung. Euere Kaperbriefe kann ich also nicht achten, denn Ihr seid kein Privateer, sondern ein Seeräuber. Auch Genugtuung muß ich Euch versagen, da ein Mensch wie Ihr außerhalb des Ehrenkodex steht. Eure Rache fürchte ich nicht. Und endlich will ich noch bemerken, daß ich keineswegs gezwungen bin, Euch im nächsten Hafen abzuliefern; ich bin vielmehr berechtigt, einen jeden Seeräuber ohne Weiteres baumeln zu lassen. Mit Euch habe ich bereits zu viele Worte gemacht. Euer Schicksal ist einfach folgendes: Beantwortet Ihr mir meine Frage, so werde ich geneigt sein, Euch dem Gouverneur, der nächsten mir im Kurs liegenden französischen Besitzung als eingefangenen Piraten auszuliefern; bleibt Ihr jedoch bei Eurem Schweigens so lasse ich Euch zunächst auspeitschen, sodann kielholen und endlich, wenn auch das zu keinem Ergebnis führt, an die Rahe hängen.«

»Versucht es!« rief Shooter sinnlos vor Wut. »Es soll Euch schlecht bekommen!«

»Leutnant Ervillard, vorwärts!« gebot Surcouf. Auf einen Wink des Leutnants wurde Shooter von sechs kräftigen Fäusten gepackt und nach dem Vorderdeck geschafft.

»Bei Gott, er wagt es!« hörte man ihn rufen. »Führt mich zurück; ich werde die Antwort geben!«

Er wurde zurückgebracht und gestand zähneknirschend, daß er heute morgen den Priester den Sukuru-Dayaks übergeben habe.

»Welchen Preis habt Ihr erhalten?« fragte Surcous.

»Den Beutel mit Goldstaub, den Ihr in meiner Kassette findet,« lautete die Antwort.

»Wo wohnen diese Dayaks?«

»Eine Stunde weit von der Mündung des Flüßchens aufwärts.«

»Gut! Ich habe Euch nur noch zu sagen, daß ich Euch allerdings ausliefern werde, falls es mir gelingt, den Gesuchten unbeschädigt zurückzuerhalten; ist ihm aber das Geringste geschehen, so werdet Ihr dennoch hier aufgeknüpft. Ich handle also in Eurem eigenen Interesse, wenn ich Euch auffordere, mir einen Eurer Leute zu nennen, der geeignet ist, als Bote zu den Dayaks zu gehen; den Beutel soll er mitbekommen, doch werden ihn zwei Männer begleiten, die gewohnt sind, mit diesen Wilden zu verkehren! Nennt den Namen!«

»Untersteuermann Harcroft.«

»Das genügt. Nun will ich Euch noch einen braven Mann vorstellen, der an sich selbst erfahren hat, daß Ihr Seeräuber seid, und dem wir es verdanken, daß wir so schnell und erfolgreich in Euer Kielwasser gekommen sind.«

Er gab einen Wink – die Leute traten auseinander – die Gestalt des Deutschen war zu sehen.

»Holmers! Schurke!« rief der Gefangene und erhob die Fäuste, um sich trotz seiner gefesselten Hände auf den Genannten zu werfen; doch wurde er sofort gefaßt und auf Befehl des Kapitäns hinüber nach dem ›Falken‹ gebracht. –

Sobald der Morgen zu grauen begann, stieß ein Kahn ab, um die drei Boten an das Festland zu bringen. Der Untersteuermann Harcroft hatte ausgesagt, daß er es sei, der mit Karima, dem Häuptling der Dayaks, verhandelt hatte, und die beiden ihm beigegebenen Männer verstanden das Malayische hinlänglich, um ihrem Auftrag genügen zu können.

Es war ausgemacht worden, daß Surcouf bis Mittag warten, dann aber, falls sie noch nicht zurückgekehrt seien, annehmen wollte, daß er ihnen zu Hilfe kommen müsse. Auch Holmers, der Deutsche, erzählte, daß er bei dem vorigen Aufenthalte Shooters hier mit am Lande gewesen sei und die Gegend genügend kenne, um als Führer dienen zu können. Nach seinen Angaben konnte der Kapitän einen Oertlichkeitsplan entwerfen. Er hatte überhaupt diesen Mann trotz der kurzen Zeit ihres Beisammenseins bereits lieb gewonnen. Der Trübsinn des Deutschen war eine Folge seiner Sehnsucht nach dem Vaterland, das er von ganzer Seele liebte und zu dem er als Deserteur doch nicht mehr zurückkehren durfte.

Die abgelaufene Frist verstrich, ohne daß die drei Boten zurückkehrten, und so sah sich Surcouf zu einer kriegerischen Expedition an das Land genötigt. Er übergab dem Leutnant das Kommando der beiden Schiffe und stellte sich selbst an die Spitze der zwanzig Männer, die zur Landung ausersehen waren. Sie wurden mit guten Waffen ausgerüstet, und mußten trotz der hier herrschenden Hitze drei Anzüge übereinander tragen, um das Eindringen der vergifteten Pfeile der Dayaks zu erschweren. Die Schiffe verließen die Insel und warfen in der Nähe des Festlands Anker, damit sie die Küste nötigenfalls mit ihren Kanonen bestreichen könnten. Dann stießen die Boote ab, um an der Bucht zu landen, die von einem kleinen, hier in das Meer mündenden Flüßchen gebildet wurde.

Das Ufer zeigte nur einen schmalen sandigen Strich ohne Pflanzenwuchs; dann aber begann ein dichter Urwald, dessen Schlinggewächse das Fortkommen sehr erschwerten. Da fiel zum Beispiel sogleich ein beinahe vierzig Meter hoher Baum in die Augen, der einen Umfang von vielleicht sieben Metern haben mochte. Seine weiße Rinde war rissig, und seine Früchte hatten die Größe einer Pflaume. Das war der fürchterliche Antschar Antiaris toxicaria. , dessen Milchsaft schon durch seine Ausdünstung sehr schmerzhafte Geschwülste hervorbringt; dieser Milchsaft ist das berüchtigte Pohon-Upas, von dem so viel Schreckliches gefabelt wird. Einzig und allein im »Todestal« auf Java soll ein ganzer Wald von solchen Antschar-Bäumen stehen und die Luft meilenweit so verpesten, daß kein anderer Baum, kein Strauch, kein Gras gedeiht und alle lebenden Wesen in seiner Nähe dem Tode verfallen. Das ist nicht wahr; vielmehr findet er sich auch sonst in den Wäldern des indischen Archipels, und man hat sich nur vor der Berührung mit seinem Gift und vor dem längeren Einfluß seiner Ausdünstung zu hüten.

An diesem Baumriesen kletterte eine fast armdicke Schlingpflanze empor, die bis in bedeutende Höhe völlig glatt war, dann aber zwischen ihren eliptischen Blättern grünlich-weiße Blumen zeigte, die einen jasminartigen Geruch ausströmten. Das war der javanische Brechnußbaum Strychnos Tieuté. , dessen Wurzelrinde einen giftigen Saft gewinnen läßt, der unter den Namen Upas-Tschettek oder Upas-Radscha bekannt ist; er führt nach der geringsten Verwundung heftige Krämpfe und einen schmerzhaften Tod herbei.

In der Nähe häuften sich ganze Massen einer zwei Meter hohen Pflanze, die ellenlange, weich behaarte Blätter und einen rötlich-weißen Blütenstrauß trug; es war der indische Galgant Alpinia galanga. . Auch wilder Cassamumar-Ingwer Zingiber Cassamumar. und die strauchige Beißbeere Capsicum. wuchsen da.

Aus diesen fünf Pflanzen nebst einigen anderen bereiten die Bewohner des indischen Archipels ihr berüchtigtes Pfeilgift. Die Bereitung geschieht auf folgende Weise: Man nimmt ein Quantum Antscharsaft, den zehnten Teil der gleichen Menge Saft der Galgant-Alpinie, eben so viel Saft des Cassamumar-Ingwers und der Aronswurzel, den Saft einer Zwiebel, etwas fein gepulverten schwarzen Pfeffer, und vermischt das innig miteinander. Hierauf gibt man den Wurzelrindensaft der javanischen Brechnuß und den Samen der Beißbeere dazu, was ein starkes Aufbrausen verursacht. Hat das Brausen aufgehört und ist die Mischung filtriert, so ist das Gift fertig. Im Magen verursacht es in der Regel höchstens ein heftiges Erbrechen; kommt es jedoch mit dem Blut in Berührung, so wirkt es schnell tödlich.

Daß der dichte Wald auch von gewaltigen Tieren belebt sei, zeigte den Seeleuten eine breite Rhinozerosspur, die längs des Flüßchens aufwärts führte und in die mehrere andere mündeten. In diese lenkte der Führer Holmers ein. Die Gefährlichkeit der Lage erforderte die Bildung einer Vorhut und darum sandte Surcouf fünf Mann voraus, die den Weg und dessen Umgebung auszuspähen hatten.

Man war beinahe ein halbe Stunde lang vorgerückt, als von dieser Vorhut das Zeichen gegeben wurde, daß etwas Auffälliges in Sicht sei. Schnell rückten die anderen nach und gelangten an eine Stelle, wo sich ganz am Ufer des Flüßchens mehrere Rhinozerospferde vereinigten und also ein verhältnismäßig freier Platz gebildet wurde. Dieser war abgeschlossen rechts durch den Fluß, links durch den dichten Urwald und vorn durch – eine mehrfache Reihe bewaffneter Dayaks, die außerdem auch das andere Ufer des Wassers besetzt hielten; sie schwangen ihre Spieße und Blasrohre und erhoben ein mächtiges Geschrei.

»Da,« meinte der Bootsmann, der mit einer Flinte und einer riesigen Keule bewaffnet war, »da haben sie sich uns in das Fahrwasser gelegt. Ich denke, wir segeln sie über den Haufen, Kapitän!«

»Nein,« antwortete der Gefragte. »Noch wissen wir nicht, ob sie uns freundlich oder feindlich gesinnt sind.«

Er ließ die Mehrzahl der Leute zurück und schritt mit Holmers und noch drei anderen vorwärts, bis er sich nur noch in einer Entfernung von vierzig Schritten von den Malayen befand. Er durfte sich sicher fühlen, da die Zurückgebliebenen die Dayaks ganz gut mit ihren Kugeln erreichen konnten. Als die letzteren seine Maßnahme bemerkten, traten auch von ihnen fünf vor. Der eine von ihnen erhob den Wurfspieß und rief:

» Ada tuan-ku?«

Diese Worte bedeuten: »Welcher ist mein Herr?« Sie enthielten eine Höflichkeit und ließen daher vermuten, daß die Dayaks keine feindliche Absicht hegten. Surcouf hatte sich so viel des Malayischen angeeignet, daß er erwidern konnte:

»Ich bin der Anführer dieser Männer. Was führt euch an diese Stelle?«

»Wir wollen dich empfangen,« lautete die Antwort.

»Woher wißt ihr, daß wir kommen?«

»Die drei Männer, die du uns sandtest, haben es uns gesagt.«

»Wo sind sie?«

»Es sind nur noch zwei; sie sind bei uns gefangen.«

»Warum?«

»Sie haben uns einen Mann getötet. Sie kamen zu uns um den Pengadschar Lehrer, Missionar. zurückzuverlangen; ich bin der Häuptling; sie wollten mir mein Gold wiedergeben. Ich aber verlangte ein Gewehr mit Blei und Pulver. Sie wollten nicht, und als sie den Pengadschar erblickten, ergriffen sie ihn, um mit ihm zu fliehen. Wir traten ihnen entgegen; da nahm der eine sein Messer und erstach den Sohn meines Bruders. Mein Bruder war nicht da, darum ergriff ich meinen Spieß und stach dem Mann in die Hand; er starb, denn dieser Speer ist in das Tabu-Upas »Heiliges Upas.« getaucht. Nun haben wir die zwei übrigen gebunden; sie liegen in meiner Hütte, und du kannst sie sehen.«

Die Worte dieses Mannes klangen genau so, als ob er die volle Wahrheit gesagt habe. Die Boten hatten unvorsichtig gehandelt und die Malayen gereizt.

»Und was verlangt ihr jetzt für den Pengadschar?« fragte Surcouf.

»Das, was ich gesagt habe, denn ich rede nicht mit zwei Zungen. Aber den Toten mußt du uns auch bezahlen.«

»Er ist bereits bezahlt, denn du hast seinen Mörder getötet; doch erlaube ich dir, einen Preis zu fordern.«

»Das wird sein Vater tun, der bei seiner Leiche in der Hütte sitzt. Du wirst mit uns gehen müssen.«

»Versprichst du uns volle Sicherheit?«

»Ja. Ihr werdet meine Gäste sein.«

Sie wurden weiter flußabwärts geführt, bis sie ein Tal erreichten, unter dessen Bäumen die dürftigen Wohnungen der Dayaks standen. In der größten, die dem Häuptling gehörte, sollte die Beratung stattfinden; zu der sich die Angesehensten versammelten. Auch der Bruder des Häuptlings erschien; er hatte sich mit allerlei Zeichen seiner Trauer behangen und blieb während der ganzen Verhandlung stumm. Natürlich begehrte Surcouf vor allen Dingen, den Missionspriester und die beiden Boten zu sehen; sein Wunsch wurde ihm gewährt.

Als der Priester gebracht wurde, erkannte der Kapitän sofort den Pater Martin in ihm. Dieser blieb am Eingang stehen, freudig erstaunt, so viele Europäer hier zu erblicken, denn er hatte mit den Boten nicht sprechen dürfen und war also aus die günstige Wendung seiner Lage nicht vorbereitet. Als sein Blick auf den Kapitän fiel, schien er in seiner Erinnerung vergeblich nachzusuchen.

»Ich heiße Surcouf,« begann der Kapitän.

»Robert Surcouf! Kapitän Surcouf! Jetzt erkenne ich Euch trotz Eures mächtigen Bartes und der sonnverbrannten Farbe. Kommt in meine Arme, mein mutiger Wohltäter!«

Der Inhalt ihrer kurzen Unterredung läßt sich denken. Pater Martin war glücklich nach Italien entkommen und hatte dann Europa verlassen, um in Indien für die Bekehrung der Heiden zu wirken. Er erzählte in seiner schlichten Weise, daß er viel Ungemach überwunden habe, das Schlimmste aber sei ihm an Bord der »Eagle« widerfahren, wo man seinen Glauben gelästert und ihn auf die boshafteste Weise verspottet habe. Schließlich sei er gar noch verkauft worden, um bei irgend einem Begräbnis als Totenopfer geschlachtet zu werden. Surcouf konnte ihm natürlich seine Befreiung versprechen und berichtete ihm von der Gefangennahme Shooters.

Als die zwei Boten gebracht wurden, waren es die beiden Leute des »Falken«; der am Upasgift Gestorbene war also der englische Untersteuermann gewesen, der, wie seine Begleiter aussagten; so unvorsichtig kühn gehandelt habe, um sich das Wohlwollen Surcoufs zu erwerben.

Nun begann die Unterhandlung mit den Dayaks. Häuptling Karima schien kein Freund von Umschweifen zu sein, und so wurde bis zur Einigung nicht viel überflüssige Zeit verschwendet. Seine klare prompte Einleitung lautete:

»Wir wollen über unsere Feinde siegen, und dazu brauchen wir Waffen, wie die eurigen sind. Ich werde dir sagen, was du uns geben sollst: eine Büchse und Pulver und Blei für den Getöteten; eine Büchse und Pulver und Blei für den Pengadschar, wenn er nicht hier bleiben will. Bleibt er bei uns, so soll er uns das lehren, was wir nicht wissen. Die Dayaks da oben in den Bergen und im Innern der Insel haben keine Gedanken; wir aber erkennen, daß ihr viel weiser seid als wir; wir wollen von euch lernen und mit euch einen Bund schließen. Wenn du das tust, so werde ich dir Goldsand und schöne Steine zeigen, die wir in den Bergen finden, und du sollst mir sagen, wie viele Flinten, Pulver und Blei, Beile und Messer du uns dafür geben kannst. Auch Tücher und Kleider möchten wir gern. Dann scheiden wir im Frieden und werden uns freuen, wenn du wiederkommst oder uns einen Boten sendest.«

Surcouf war ganz erstaunt ob dieses ebenso friedfertigen wie Gewinn verheißenden Anerbietens.

»Das ist nicht Zufall, das ist Gottes Schickung!« meinte der Priester. »Der Herr hat diesen Häuptling bei der Hand erfaßt, um ihn auf den rechten Weg zu leiten, und mir gibt er einen Fingerzeig für den Ort einer segensreichen Wirksamkeit. Kapitän Surcouf, ich bleibe hier! Wollt Ihr dafür sorgen, daß ich die Verbindung mit der alten Welt nicht ganz verliere?«

»Gern, ich verspreche es Euch,« versicherte Surcouf und wandte sich dann an Karima: »Du hast klug und weise gesprochen, wie ein Mann, welcher der Häuptling vieler werden wird. Das Land, aus dem ich komme, kann dir alles bieten, was du brauchst: Schutz gegen deine Feinde, Waffen, Kleider, Geräte aller Art. Deine Worte haben mich zu deinem Freund gemacht. Ich werde euch alles geben, was du verlangt hast. Einige meiner Leute können gehen, um es zu holen. Ich werde dir eine Büchse, Pulver und Blei für diesen Pengadschar geben, trotzdem er wünscht, hier bei euch zu bleiben. Willst du ihn als deinen Gast behalten und beschützen, so werde ich dir außerdem noch zwei Gewehre, drei Pistolen, drei eiserne Töpfe zum Kochen, ein rotes und ein blaues Kleid für dich, einen Spiegel, der dreimal größer ist als dein Kopf, und allerlei andere Sachen geben. Willst du mir nun den Goldsand und die Steine zeigen?«

Karima gab einen Wink und bald brachten drei Männer das Gewünschte in Säckchen herbei. Der Goldsand war rein und wog vielleicht zwanzig Pfund, und die Steine waren echte Diamanten, manche von der Größe einer dicken Erbse.

»Was verlangst du dafür?« fragte Surcouf.

»Herr, sage selbst, was du denkst!«

»Gut! Ich werde dir dafür geben eine – – höre! – eine Kanone!«

Es war erstaunlich, welche Wirkung dieses Zauberwort auf alle Hörer hervorbrachte. Die braunen Gesichter der Malayen glänzten vor Wonne, und ihr Häuptling rief: »Herr, eine Kanone, ist's möglich?«

»Ich sage es ja! Eine Kanone mit hundert großen Kugeln und Pulver zu hundert Schüssen.«

»Oh, so bist du der beste Freund, den wir besitzen, denn nun müssen alle unsere Feinde vor uns zuschanden werden.«

»So sind wir also einig. Macht euch bereit, mich auf das Schiff zu begleiten; dort sollt ihr alles erhalten, was ich euch versprochen habe!«

In kurzer Zeit setzte sich ein langer Zug in Bewegung und bald mußten die Boote vom Schiffe abstoßen, um die Kameraden und Dayaks an Bord zu bringen. Dort erhielten diese eine Einpfünder-Drehbasse nebst Munition und alles sonst Versprochene.

Surcouf blieb drei Tage in der Sakurubucht, dann nahm er von den Malayen und dem Priester, den er mit allem Nötigen reichlich versehen hatte, einen herzlichen Abschied. Er ließ hier wirkliche Freunde zurück und hatte sich dadurch einen Zufluchtshafen geschaffen, wo er mit seinem Schiff später noch häufig vor Anker ging.

Kapitän Shooter wurde in Mauritius abgeliefert, um dort wegen Piraterie vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden. Man hatte nichts mehr von ihm gehört, und es ist sehr möglich, daß er bald das verdiente Ende fand.

 

5. In Paris.

Die französische Revolution hatte ihren Kreislauf vollendet.

Aus dem Konsulat war ein Kaisertum geworden, und der großgewordene kleine Korse hatte sich mit einem prunkvollen Hofstaat von Großoffizieren und Großwürdenträgern umgeben. Ganz Europa hörte auf seine Stimme und nur das stolze Albion verschmähte es, ihm ein Liniensystem in der Partitur des politischen Konzerts zu gestatten. Wie sein Stern emporgestiegen war, so sollte er auch wieder sinken und verschwinden, plötzlich, aus dem Nichts in das Nichts – ein Meteor, dem keine Rückkehr beschieden ist.

Die Häfen Frankreichs waren von England seit mehreren Jahren so nachdrücklich blockiert worden, daß es kaum einmal einem französischen Schiff gelang, die See zu gewinnen. Diese Sperre legte natürlich den Handel Frankreichs vollständig auf das Trockene. Uebrigens hatte Frankreich fast alle seine Kolonien an England verloren und damit ganz unersetzliche Verluste erlitten. Es hätte diese Schläge zu verhüten oder an den Gegner zurückzugeben vermocht, aber Napoleon war kein Seemann und hegte bereits den großartigen, später so traurig verunglückten Plan, England in Indien über das eroberte Rußland hin anzugreifen. Dazu bedurfte er einer mächtigen Völkerkoalition im Herzen Europas, auf die er sein ganzes Augenmerk richtete, anstatt einen kürzeren, weniger kostspieligen und weniger unsicheren Weg einzuschlagen.

Seine Versuche, an der Küste Großbritanniens zu landen, waren stets gescheitert. Es fehlte an einer tüchtigen Flotte und an Männern, deren Namen man neben denen der damaligen britischen Admirale hätte nennen können. Das Erbauen neuer Schiffe erforderte bedeutende Summen, aber sobald sie in See gingen, wurden sie von den Engländern weggenommen. Und doch hätte sich bereits im Jahre 1801 Napoleon einer Erfindung bereichern können, durch die er England in Furcht versetzt hätte. Robert Fulton, der berühmte amerikanische Mechaniker, war nach Paris gekommen, um zu beweisen, daß es möglich sei, Schiffe mittels der Kraft des Dampfes zu bewegen. Er stellte daselbst im Verein mit dem damaligen amerikanischen Vertreter in Paris, Kanzler Livingston, verschiedene Versuche an, die aber nicht beachtet wurden. Aus diesem Grund ging er nach England, wo er ebenfalls keine Anhänger fand. Dennoch ließ er seinen Gedanken nicht fallen und kehrte zwei Jahre später nach Paris zurück.

Er brachte auf der Seine sein erstes Versuchs-Dampfboot in Gang, wurde aber von keiner Seite unterstützt. Er wandte sich persönlich an den ersten Konsul, und es wurde ihm eine Audienz bewilligt. In einem Zimmer der Tuilerien standen beide einander gegenüber, der Heros der Dampfmaschine und der Held der Schlachten.

»Die Dampfkraft,« sagte Fulton nach einer längeren Debatte über seine Erfindung, »wird der Schiffahrt von ungeheurem Nutzen sein und sie auf ungeahnte Weise heben. Die Entfernungen werden schwinden, die Schwierigkeiten sich vereinfachen, die Gefahren und Unglücksfälle sich vermindern. Die Manövrierfähigkeit eines Schiffes muß sich verzehnfachen, wenn sie nicht mehr von Wind und Segelwerk abhängig ist. Derjenige Fürst, der die ersten Kriegsdampfer baut, wird jeder Marine der Welt überlegen sein.«

Der Konsul hatte schweigsam und mit einem sarkastischen Lächeln um den Mund zugehört. Jetzt ergriff er Fulton beim Arm und zog ihn ans Fenster. Auf die unten wogende Menge der Vorüberkommenden deutend, fragte er in einem spöttischen Ton: »Seht Ihr die neue Erfindung, die viele dieser Leute zwischen den Lippen tragen?«

»Ich sehe sie,« antwortete Fulton. »Es ist die Zigarre, die man jetzt auch in Frankreich zu rauchen beginnt.«

»Nun wohl! Alle diese Raucher sind lebendige Dampfmaschinen; sie entwickeln Dampf, weiter nichts!«

»Ich wage zu bemerken, daß der Rauch nicht mit dem Dampf zu verwechseln ist. Es ist nicht Dampf, was bei dem Rauchen einer Zigarre entsteht.«

Bei diesem Einwand zogen sich die Brauen des ersten Konsuls unmutig zusammen; er war es nicht gewohnt, sich von einem schlichten Mechanikus verbessert zu sehen; darum klang seine Stimme schroffer als bisher: »Dampf oder Rauch, das bleibt sich gleich! Wie kann dem Rauch die Kraft innewohnen, ein Schiff zu treiben? C'est drôle – es ist lächerlich!«

Fulton wagte jetzt keine abermalige Berichtigung, aber er entgegnete im rücksichtsvollsten, höflichsten Ton: »Ich wiederhole jedoch und behaupte ausdrücklich, daß derjenige Herrscher, der die ersten Dampfschiffe besitzt, in kurzer Zeit Herr der Meere sein wird. Einer solchen Aussicht gegenüber sind die Kosten einiger Versuche verschwindend klein zu nennen. Ich erinnere an Englands Haß gegenüber Frankreich. Wenn der Beherrscher der französischen Nation eine Dampferflotte besäße, so würde er in London den Engländern Gesetze vorschreibe können.«

Napoleon trat vom Fenster, an dem beide stehen geblieben waren, zurück und meinte kalt: Mon ami, ich pflege meine Erfolge nicht dem Dampf anzuvertrauen. Ich sehe mich über Euer Projekt vollständig unterrichtet und muß mich ablehnend verhalten.«

Eine stolze verabschiedende Handbewegung sagte Fulton, daß die Audienz beendet sei.

Fulton ging. Er war um eine große Hoffnung ärmer geworden. Der Konsul aber ahnte nicht, daß er als verbannter Kaiser einst dieser Stunde bedauernd gedenken würde.

Aber schon wenig über ein Jahr später sollte er an sie erinnert werden. Der unterdessen Kaiser gewordene Bonaparte hatte in der Nähe von Boulogne und außerdem bei Utrecht eine bedeutende Heeresmacht zusammengezogen, um in England zu landen. Infolgedessen wurde, die Bewachung der französischen Häfen von den Engländern auf eine Weise verschärft, daß keinem französischen Schiff das Entschlüpfen gelingen wollte. Außerdem kreuzten in den Frankreich begrenzenden Meeresteilen englische Flotten, die jedes ihnen begegnende Fahrzeug anhielten und durchsuchten; war es ein Franzose oder hatte es Waren für Frankreich geladen, so wurde es weggenommen. Diese Bedrängnis machte dem Marineminister ungeheuer zu schaffen; er hatte fast täglich Besprechungen mit dem Kaiser, die gewöhnlich mit beiderseitiger Erregung endigten.

Während einer dieser stürmischen Unterredungen, als eben wiederum die Rede von der strengen Blockade der sämtlichen Häfen war, sagte der Minister: »In dieser Notlage ist es eine umso größere Freude, zu erfahren, daß es doch noch Männer gibt, deren Mut und Geschicklichkeit der Aufmerksamkeit dieser britischen Seebären gewachsen ist.«

Der Kaiser blickte auf. »Was ist's?« fragte er. »Hat Hugues etwas getan?«

Admiral Hugues war nämlich einer von den wenigen französischen Seemännern, die zuweilen glücklich operierten.

»Nein,« antwortete der Minister. »Es ist etwas anderes; es ist fast ein kleiner Seeroman.«

»Sprecht, so wenig ich mich sonst für Romane interessiere!«

»Von dem englischen Geschwader des Kommodore Dancy ist eine Fregatte aus Belle-Isle gegenüber Le Palais gelandet, um die kleinen Ortschaften der Insel zu beängstigen. Während die Mannschaften sich am Lande befinden, kommt eine kleine Brigg herangesegelt, zeigt die englische Flagge, legt sich Seite an Seite mit der Fregatte, nimmt sie weg, zieht die französische Flagge auf und segelt davon. Am anderen Morgen kommt dieselbe Fregatte, hinter sich die Brigg mit niederhängender Flagge, als habe sie diese genommen, ganz wohlgemut an das englische Blockadegeschwader vor Brest gesegelt; sie läßt stolz vom hohen Top die englischen Farben wehen und da ein jeder Kapitän die Fregatte kennt, so denkt man, sie sei vom Kommodore Dancy mit irgend einer Botschaft an den Kommandanten des Geschwaders gesandt und habe unterwegs das französische Schiff genommen. Sie salutiert, und alle Schiffe des Geschwaders antworten. Sie segelt das Flaggschiff an und tut, als wolle sie beidrehen, da aber plötzlich sinkt die englische Flagge und die französische fliegt empor, bei der Brigg ebenso. Beide jagen dem englischen Flaggschiff, einem Linienschiff von hundertundzwanzig Kanonen, die Kugeln einer Breitseite in den Riesenleib, strengen im Nu alle Segel an und kommen glücklich unter den Schutz der Batterien von Le Goulet Die enge Einfahrt in die Reede von Brest.. Die Engländer, die sich natürlich zur schleunigen Verfolgung aufmachten, werden von den Kugeln der Batterien gezwungen, umzukehren.«

Die Augen des Kaisers leuchteten. »Das ist ein Heldenstück, an das man kaum glauben kann,« rief er.

»Sire, ich erzähle eine Tatsache!«

»Ich selbst bin allerdings Zeuge eines ähnlichen Heldenstücks gewesen. Ein ganz junger Seemann nahm ein englisches Fahrzeug und segelte damit ganz offen durch die Flotte des Admirals Hood. Dieser Mann hieß Robert Surcouf und ist derselbe, von dessen indischen Taten man mit jeder Post Neues hört. Euer Held muß übrigens die Küste der Bretagne und den Hafen von Brest ganz genau kennen.«

»Dies ist der Fall, denn er ist in der Bretagne geboren.«

»Auch Robert Surcouf ist ein Bretone. Wie ist der Name Eures Mannes? Es ist sehr notwendig, ihn zu merken, denn man wird seinen Besitzer brauchen können.«

»Majestät haben ihn bereits zweimal genannt.«

»Ah! Surcouf ist es? Wirklich Surcouf?«

»Er selbst, Sire.«

»Dann glaube ich an die Wegnahme der Fregatte. Es ist dies ein Meisterstück, das ihm niemand nachmachen wird. Man wird diesen Mann festzuhalten suchen, ihm einstweilen ein Linienschiff und dann eine Eskadre geben. Bemerkt Euch das; es ist mein Wille!«

»Ich danke Ew. Majestät in seinem Namen. Er bringt uns nicht nur die eroberte Fregatte, sondern auch Berichte, Briefe und Gelder von Isle de France Frühere (französische) Bezeichnung für die Insel Mauritius. Der Herausgeber. und Isle Bourbon. Der Gouverneur von Isle de France meldet mir, daß er in den letzten drei Monaten elf Schiffe von Surcouf übernommen hat, die dieser kühne Parteigänger den Engländern wegkaperte. Frankreich hat Surcouf nicht nur diese außerordentliche Schädigung des Feindes, sondern auch die durch den Verkauf dieser Prisen und die Verwertung ihrer Ladungen erlangten großen Summen zu verdanken. Ich bin überzeugt, dieser junge Breton könnte den Engländern furchtbar werden, wenn man ihm erlaubte, sich an der rechten Stelle zu befinden. Und dabei ist er bescheiden und anspruchslos, wie ich selten einen Mann von seinen Verdiensten gefunden habe.«

»Wie, Ihr kennt ihn?« frug der Kaiser rasch.

»Verzeihung, Sire! Ich vergaß, zu sagen, daß er mich gestern um eine Audienz bat, die ich ihm heut gewährte.«

»So befindet er sich in Paris?«

»Er ist hier, um einen Prozeß gegen den Gouverneur von Isle de France zu betreiben, der sich weigert, ihm seinen vollen Anteil vom Erlös einiger Prisen auszuzahlen.«

»Wie hoch ist die Summe?«

»Gegen anderthalb Millionen Francs. Er hat gegen den Gouverneur bereits einen ähnlichen Prozeß gewonnen, wo sich der gesetzgebende Körper für Surcouf entschied. Es handelte sich dabei um rund siebenhunderttausend Francs.«

»Solch ein Kaper verdient ja ungeheure Summen!«

»Nur ein Kaper von dem Unternehmungsgeist und der Einsicht Surcoufs. Aber Majestät mögen geruhen, an die Summen zu denken, die er braucht, um stets seetüchtig zu sein. Uebrigens weiß man genau, daß Surcouf nicht einen Francs für sich behält; er ist der Vater, der Freund, der Schatzmeister unserer indischen Ansiedlungen, die leider so oft allein nur auf seinen Schutz und seine Freigebigkeit angewiesen sind.«

»Wird er seinen Prozeß gewinnen?«

»Ich zweifle keinen Augenblick!«

»So kann ich diese Angelegenheit selbst begleichen, ohne der Gerechtigkeit durch eine Décision arbitraire Eintrag zu tun. Kann man diesen Surcouf einmal wie durch Zufall sehen?«

»Ich habe mit ihm zu sprechen. Wollen Ew. Majestät befehlen, wann dies bei mir zu geschehen hat?«

»Elf Uhr morgen. Ihr werdet dafür sorgen, daß er pünktlich ist. Wie steht es mit seinem Anteil an der Fregatte?«

»Man ist bereits daran, das Fahrzeug zu taxieren.«

»Man kann dies unterlassen; ich selbst werde Surcouf entschädigen!« – – –

In der Vorstadt Poissonière stand ein Gasthaus. Es war zwar kein feines Hotel, aber eine recht angenehme Auberge, und ihr Wirt pflegte, wie allen seinen Besuchern bekannt war, sich nur mit anständigen Leuten zu befassen. Es war der gute Oncle Carditon, der einem jeden seiner Gäste gern und sehr ausführlich erzählte, daß er zuvor eine Taverne in Toulon besessen habe, doch mit Hilfe des berühmten Kapitän Surcouf in seinen Verhältnissen so weit vorwärts gekommen sei, daß er nach Paris ziehen und sich die hübsche Auberge kaufen konnte.

Seit gestern befand sich Oncle Carditon in einer sehr gehobenen Stimmung und zugleich in einer ungewöhnlichen Geschäftigkeit: Robert Surcouf hatte Wohnung bei ihm genommen und zwar nicht allein, sondern mit. seinem Leutnant Bert Ervillard, seinem Segelmeister Holmers und noch einigen Leuten des »Falken«. Dieser liebe Besuch mußte natürlich, auf das Beste und Sorgsamste bedient werden, und darum ist es kein Wunder, daß Oncle Carditon für andere nicht gar viel Zeit übrig hatte. Immerhin fand er wenigstens soviel Muße, den Stammgästen zu erzählen, daß Kapitän Surcouf gestern sofort nach Ankunft zum Minister gefahren sei, und daß auch vorhin ein reich betreßter Diener einen Brief für Surcouf gebracht habe. Es sei noch nie ein Gast bei ihm eingekehrt, der mit den Ministern des Kaisers verkehrt hätte, und es könnten sehr viele vornehme Hotels genannt werden, deren Gäste noch nie mit einem Minister gesprochen hätten.

Der Brief aber enthielt für Surcouf die Weisung, sich am nächsten Vormittag, pünktlich halb elf Uhr, beim Chef des Marinewesens einzufinden. Als er am andern Morgen das Hotel des Ministers betrat, wurde er direkt nach dessen Arbeitszimmer geführt; der hohe Beamte empfing ihn mit der ausgesuchtesten Höflichkeit.

»Ich habe Euch nicht rufen lassen,« begann er, »um über Eure Prozeßangelegenheit zu verhandeln, sondern um mich über einige nautische Fragen, welche die von Euch mit Vorliebe befahrenen Gegenden betreffen, unterrichten zu lassen. Es sind eben jetzt so wenig Männer gegenwärtig, von denen ich die gewünschte Auskunft erhalten könnte, daß ich Eure Anwesenheit nicht unbenutzt vorübergehen lassen darf.«

Und nun brachte er eine Anzahl Seekarten zum Vorschein, über die eine nach und nach immer lebhaftere Unterhaltung geführt wurde. Surcouf hatte Gelegenheit, in stiller, anspruchsloser Weise reiche Erfahrungen zur Geltung zu bringen, und der Minister verbarg es keineswegs, daß ihn der junge Seemann – je länger, desto mehr – interessierte.

Da öffnete sich plötzlich die Tür, und der Diener meldete den Kaiser, der zu gleicher Zeit mit der Meldung eintrat.

»Exzellenz,« sagte er, »ich komme persönlich, um eine höchst wichtige Angelegenheit selbst – – – ah!« unterbrach er sich, »Ihr seid beschäftigt?«

»Ich bin zu Ende und stehe Ew. Majestät überhaupt zu jeder Stunde zur Verfügung,« lautete die Antwort.

Der Kaiser hatte Surcouf scharf in das Auge gefaßt, um zu sehen, welchen Eindruck die plötzliche Gegenwart, des Lenkers Frankreichs aus ihn mache. Wenn er geglaubt hatte, den Kapitän in Verlegenheit zu bringen, so hatte er sich getäuscht, denn dieser zuckte mit keiner Miene, und die Farbe seiner tief gebräunten Wangen blieb ganz die gleiche; er trat nur mit einer tiefen achtungsvollen Verbeugung zur Seite und richtete dann seinen Blick auf den Minister, da er erwartete, verabschiedet zu werden.

»Kapitän Surcouf, Majestät,« stellte dieser ihn vor.

»Kapitän?« frug Napoleon kalt. Und dann fügte er mit scharfer Stimme, als beabsichtige er, einen Verweis zu erteilen, hinzu: »Wer hat Euch zum Kapitän gemacht?«

Dieser Ton und diese Frage, die einen andern verblüfft hätte, brachte den Gefragten nicht im mindesten aus der Fassung; er antwortete ruhig, aber mit einen, beredteren Blick, als die Demut ihn erfordert hätte:

»Frankreich nicht, Sire, sondern der Seegebrauch. Frankreich gab mir kein Schiff, da nahm ich mir ein solches und wurde von diesem Augenblick an Kapitän genannt. Diejenigen, die mich mit diesem Wort beehren, wissen vielleicht kein anderes, das ihnen passend erscheint; denn die Zeit, wo es genügte, einen jeden einfach ›Bürger‹ zu nennen, ist vorüber.«

Er hatte den Ausfall des Kaisers pariert und ihm dafür zwei Hiebe zu gleicher Zeit gegeben. Daß sie getroffen hatten, zeigte das kleine Fältchen, das sich über der Nasenwurzel Napoleons bildete.

»Sehnt Ihr diese Zeit zurück?« frug dieser mit jener Kürze, die er anzuwenden Pflegte, wenn er einem andern in den Grund der Seele zu blicken beabsichtigte.

Die Frage war verfänglich, doch Surcouf antwortete ruhig: »Ich ersehne vor allen Dingen das Glück meines Väterlandes. In jener Zeit war Frankreich nicht glücklich; möge es jetzt anders werden!«

»Was versteht Ihr unter dem Glück eines Volkes, insbesondere unter dem Glück der französischen Nation?« fragte Napoleon mit einem überlegenen Lächeln.

»Nichts anderes, als was ich unter dem Glück der Menschheit verstehe: innerliches und äußerliches Wohlbefinden.«

»Und was ist dazu erforderlich?«

»Ein friedliches Regiment und eine freie Bahn für alle redlichen Erzeugnisse des Geistes und der Hände.«

»Und wenn dieses friedliche Regiment nicht möglich ist?«

»So erzwinge man es durch würdige Mittel, die klug und kraftvoll anzuwenden sind! Kein Friede ohne vorherigen Kampf!«

»Haltet Ihr die Kaperei auch für eines dieser würdigen Mittel?« fragte der Kaiser lächelnd.

»Nein,« erklang die aufrichtige Antwort. »Es wird die Zeit kommen, die diese beklagenswerte Einrichtung verurteilt, und alle seefahrenden Nationen werden sich zu ihrer Abschaffung vereinigen. Ich selbst bin Kaper, doch ohne daß mich mein Gewissen verurteilt, denn ich habe mich zu jeder Zeit bestrebt, bei meinem Tun alle Härten zu vermeiden und es so einzurichten, daß daraus ein Segen für brave Menschen entspringt. Ich darf mich frei von Schuld und Unrecht fühlen, denn ich bin der Mann, der sich unter dem Fuß des Feindes krümmt, der Wurm, dem nicht das Gebiß des Löwen oder die Pranken des Bären gegeben sind.«

»Aber dennoch ein sehr ansehnlicher Wurm,« konnte Napoleon sich nicht enthalten, zu bemerken. »Man hat zuweilen von Euch gehört. Warum tretet Ihr nicht in die Marine ein?«

»Weil die Marine nichts von mir wissen wollte.«

»Vielleicht hat sie ihre Ansicht geändert. Ihr müßt Euch darnach erkundigen!«

»Wer mir seine Tür zeigt, kann nicht erwarten, daß ich es bin, der ihn um Eintritt bittet. Man hat mich allerdings bemerken lassen, daß man mit meinen kleinen Erfolgen zufrieden ist; auch sind mir von anderen Ländern zuweilen Anträge zugegangen, doch habe ich keine Veranlassung, eine Aenderung meiner Gesinnung eintreten zu lassen. Ich habe für mein Vaterland gekämpft, obgleich es mich von sich stieß; ich Werde ihm treu bleiben zu aller Zeit, auch dann, wenn es mir nichts anderes bietet als bisher.«

»Der vermeintliche Undank des Vaterlandes ist bereits für viele der Sporn zu hohem Wirken gewesen; auch Ihr werdet Euch nicht beklagen. Man sagt, daß Ihr einen Prozeß führt?«

»Man enthält mir mein wohlerworbenes Eigentum vor, das ich zum Nutzen derjenigen, zu verwenden habe, die auf keine andere Hilfe rechnen können.«

»Ich bin überzeugt, daß Ihr Gerechtigkeit findet. Ich sehe hier Karten liegen. Hat Exzellenz Eure Erfahrungen in Anspruch genommen?«

»Ich hatte das Glück, einige kleine Antworten geben zu dürfen.«

»Die jedoch für mich von großer Bedeutung waren,« ergänzte der Minister. Kapitän Surcous ist der Mann, an den man sich wenden muß, wenn man sich über unsere indischen Angelegenheiten unterrichten will.«

»Auch ich interessiere mich für diese Angelegenheiten sehr«, bemerkte der Kaiser. »Ich werde Euch die passende Stunde zu einer Besprechung mitteilen lassen.«

Mit einer Handbewegung gab er das Zeichen, daß Surcouf entlassen sei. –

Einige Tage später staunte Oncle Carditon nicht wenig, als vor seiner Tür ein Wagen hielt, aus dem ein Adjutant des Kaisers stieg. Dieser fragte« nach dem Kapitän Surcouf, und als er hörte, daß der Gesuchte nicht anwesend sei, befahl er dem Wirt, ihm zu sagen, daß. Seine Majestät geruhen würden, ihn morgen zur Mittagszeit zu empfangen.

Der Wagen war längst wieder verschwunden, da stand der gute Oncle Carditon noch immer mit offenem Munde vor der Tür. Welch eine Ehre für seine Auberge! Das mußte er sogleich seinen Stammgästen erzählen, obgleich er eigentlich gar keine Zeit dazu hatte!

Am andern Tag stand Surcouf einige Minuten vor der angegebenen Zeit in den Tuilerien und wurde. Punkt 12 Uhr vor den Kaiser geführt. Dieser empfing ihn in demselben Raum, worin Robert Fulton seine verunglückte Audienz gehabt hatte. Der Korse warf einen durchdringenden. Blick auf die stattliche Gestalt des Mannes aus Saint Malo Geburtsort Surcoufs in der Bretagne. Der Herausgeber. und erwiderte dessen tiefe Verneigung nur mit einem kaum bemerkbaren Senken seines Kopfes.

»Kapitän Surcouf,« begann er, »ich habe mich Eurer Angelegenheit angenommen. Man wird Euch die streitige Summe auszahlen, sobald Ihr sie begehrt.«

Er schwieg, als erwarte er, eine Flut von Dankesworten zu vernehmen. Der Seemann aber sagte einfach:

»Sire, ich danke! Ich hatte Frankreichs Richter für so gerecht gehalten, daß meine Angelegenheit Ew. Majestät nicht hätte belästigen, sollen.«

»Ich verstehe Euch nicht,«, fiel der Kaiser rasch ein. »Eure Angelegenheit ist durch mich zwar schneller, aber ganz mit demselben Ergebnis erledigt worden, das sie durch den richterlichen Spruch gefunden hätte. Ebenso ist es mit der von Euch den Engländern abgenommenen Fregatte, deren Wert inzwischen taxiert wurdet Nehmt dieses Portefeuille! Es enthält genau die Summe, die Ihr zu fordern habt.«

Er griff nach der Brieftasche, die aus einem neben ihm stehenden Tischchen lag, und reichte sie ihm entgegen. Surcouf nahm sie unter einer dankbaren Verbeugung und sagte:

»Ich danke abermals, Majestät! Auf diese Weise bin ich eines längeren tatenlosen Aufenthalts in Paris überhoben und kann zur Erfüllung meiner Pflichten zurückkehren.«

»Ihr wollt Frankreich verlassen?«

»Ja.«

»Jetzt, wo alle Häfen gesperrt sind und kein Schiff auszulaufen vermag!«

»Sire«, lächelte Surcouf, »ich bin eingelaufen trotz der Blockade und werde auch wieder die See gewinnen.«

» Eh bien! Kann ich Euch einen Wunsch erfüllen?«

»Es gibt sogar zwei Wünsche, die ich Ew. Majestät zu Füßen legen möchte. Der erste betrifft meinen braven« Leutnant Bert Ervillard. Er ist trotz seiner Jugend einer der tüchtigsten Seeleute, die ich kenne. Ich habe noch kein feindliches Schiff betreten, ohne dessen Meister zu werden, und er ist der Gefährte meiner Siege; er würde der Marine Frankreichs von großem Nutzen sein.«

»Will er Euch verlassen?«

»Er weiß nichts davon, daß ich von Ew. Majestät ein Schiff für ihn begehre.«

»Er soll die Fregatte erhalten, die er mit Euch den Engländern entführt hat! Und Eure zweite Bitte?«

»Sie betrifft meinen Segelmeister. Er ist ein Deutscher und gehörte zu den zwölftausend Hessen, die für England in Nordamerika bluten sollten. Er wollte aber nicht gegen die Union kämpfen und entfloh. Da ihm als Deserteur die Rückkehr in das Vaterland nicht möglich war, verlor er seine geliebte Braut, ein nicht unbedeutendes Vermögen und mußte verzichten, seinen Eltern die Augen zuzudrücken. Er wurde Seemann, befuhr alle Meere, wurde von dem berüchtigten Kapitän Shooter gepreßt und entkam dann glücklich zu mir, wobei er mir den ›Eagle‹ in die Hände lieferte. Seit jener Zeit hat er Frankreich viele Dienste geleistet, denn bei jedem feindlichen Schiff, das ich nahm, ist, er der Vorderste gewesen. Er sehnt sich, in die Heimat zurückzukehren, und hat mich dringend gebeten, Ew. Majestät sein Gesuch um allerhöchste Befürwortung zu unterbreiten.«

»Kapitän, ich habe in dem Vaterland dieses Mannes nichts zu befehlen, aber um Euretwillen soll er heimkehren dürfen. Ich werde diesen Wunsch der betreffenden Stelle zu erkennen geben; dabei aber mag er selbst eine Bittschrift an seine heimatliche Behörde gehen lassen, und ich bin überzeugt, daß dieses Gesuch nicht abschlägig beschieden wird. Seid Ihr zufriedengestellt?«

»Ich empfinde die Gnade Ew. Majestät mit herzlicher Dankbarkeit!«

»Und für Euch selbst, habt Ihr da keinen Wünsch?«

»Sire, gebt meinem Vaterland den Frieden, dessen es bedarf? gewährt ihm, was es braucht, um glücklich zu sein, so sind meine heißesten Wünsche erfüllt!«

»Ihr verlangt für Euch nichts und für Euer Vaterland doch mehr, als ich vielleicht zu geben vermag. Man muß sich dem Schicksal anzupassen suchen. Zum Wohl des Vaterlandes hat ein jeder einzelne nach Kräften beizutragen. Ihr selbst habt scheinbar genug getan, aber es gibt einen Wirkungskreis, in dem Ihr noch Besseres leisten könntet. Soll Euch dieser verschlossen bleiben?«

»Majestät, die Frage macht mich glücklich, aber dennoch muß ich mit einem bitteren ›Ja‹ antworten.«!

»Warum?«

»Ich bin ein Seemann, ein Krieger, aber ich werde niemals ein Kriegsknecht sein können. Ich beklage den Feldherrn, der den Krieg nur um des Krieges willens führt; der Krieg ist eine traurige Notwendigkeit; er soll geführt werden, wenn ihn ein großer Zweck erheischt, und nur so, daß dieser Zweck auch erreicht wird. Wäre dies nicht, der Fall, so würde ich als Offizier meinen Abschied fordern oder nehmen.«

»Ah, ich sehe, daß ich mich in Euch nicht getäuscht habe! Ihr wollt mir einen Rat erteilen, wie damals in Toulon!«

»Ich bin nicht zum Ratgeber eines Kaisers berufen. Zum Bürger Colonel Bonaparte konnte ich ohne Bedenken sprechen, heut aber darf ich nur der Gründe gedenken, die mich abhalten, in die Marine zu treten, und mich zwingen, ein ›Privateer‹ zu bleiben.«

»Surcouf, Ihr, könnt sprechen, ja Ihr sollt sprechen! Ich werde Eure Offenheit ohne Zorn entgegennehmen. Ihr wißt, daß man sagt, ich habe die Absicht, in England zu landen?«

»Ich weiß, Sire, daß Ihr Eure Truppen bei Boulogne zusammenzieht; aber ich weiß ebenso gut, daß diese Truppen nicht nach England kommen werden.«

»Ah! Ihr behauptet kühn!«

»Meine Behauptung hat triftige Gründe. Wo hat Frankreich die Seemänner, die es vermögen, uns den Weg nach England zu öffnen, indem sie die Engländer Von unsern blockierten Häfen vertreiben und ihre Flotten in den Grund schießen? Wo sind die Schiffe, die dazu gehören? Es bedarf langer Jahre, Jahre des Friedens, um Frankreichs Seemacht, von den Wunden zu heilen, die ihr geschlagen worden sind. Frankreich muß mit allen anderen Nationen Frieden haben, um sich auf den großen Schlag vorbereiten zu können, mit dem es Englands Uebermacht demütigt, denn Frankreich hat keinen anderen Feind als nur diesen einzigen: – England. Ach, Sire, warum habt Ihr Robert Fulton von Euch gewiesen? Ohne Prophet zu sein, behaupte ich, daß in wenigen Jahren der Dampf die riesigsten Schiffe über alle Meere treiben wird. Dann werdet Ihr bedauern, die Gelegenheit, der mächtigste Monarch zu sein, von Euch gestoßen zu haben!«

»Pah, Fulton! Er ist ein Träumer und seine Träumerei scheint ansteckend zu sein, da sie sogar Euren Kopf ergriffen hat.«

»Majestät haben mich aufgefordert, zu sprechen, und können überzeugt sein, daß ich nichts sage, von dessen Wahrheit ich nicht ganz durchdrungen bin. Ich bin kein Höfling, sondern ein nüchterner Seemann, und wenn ich Phantasie besitzen sollte, so will ich sie jetzt nur gebrauchen, um zu denken, ich spreche noch zu dem Bürger Colonel Bonaparte. Ein eigennütziges Interesse treibt mich nicht, denn ich werde nach Indien zurückkehren, wo Hunderte meiner bedürfen. Mein Schiff ist der kleine ›Faucon‹; auch ich will klein bleiben; auch ich habe etwas vom Falken an mir; ich muß' mich frei bewegen können, mein Flug muß nur von meinem eigenen Willen abhängig sein; ich bin ein schlechter Untergebener.«

Der Kaiser hatte ruhig zugehört. Kein Zug seines ehernen Angesichts verriet, was er bei den Worten Surcoufs dachte; jetzt aber spielte ein leises Lächeln um seine Lippen und er meinte fast scherzend:

»Surcouf, Eure Heimat ist die rauhe Bretagne, und Ihr seid ein echter Sohn derselben; derb, offen, kühn, fromm, treu und dabei ein klein wenig unhöflich oder gar rücksichtslos. Aber der Bürger Colonel Bonaparte hat einst Wohlgefallen an. Euch gefunden und wünscht jetzt, ein halbes Stündchen mit Euch zu verplaudern. Folgt mir!«

Er schritt voran und der Kapitän trat hinter ihm in ein anderes Gemach. – – –

Eine volle Stunde war seitdem vergangen, und von Minute zu Minute ließ sich Oncle Carditon an der Tür sehen, um den Herrn Kapitän ja sofort empfangen zu können. Und je länger es dauerte, desto, freudiger glänzte das Gesicht des Wirtes, denn welch eine Ehre für seine Auberge, daß sein Gast die kostbare Zeit des Kaisers so lange in Anspruch nehmen durfte!

Endlich kehrte Surcouf zurück. Sein Gesicht war sehr ernst, aber er nickte doch dem Oncle Carditon freundlich zu und begab sich sodann hinauf in seine Wohnung. Ervillard und Holmers hatten auf ihn gewartet; sie kamen sogleich, um sich nach dem Ergebnis der Audienz zu erkundigen.

»Du warst so lange bei dem Kaiser?« fragte der Leutnant.

»Allerdings, Herr Kapitän!«

»Wie? Was? Welchen Kapitän meinst du?«

»Den Fregattenkapitän Bert Ervillard, den ich hiermit herzlich beglückwünsche!«

Ervillard begriff nicht eher, als bis Surcouf ihm seine Ernennung ausführlich erzählte. Aber der Eindruck war ein anderer, als er gedacht hatte.

»Trittst du auch in die Marine?« erkundigte sich der Leutnant.

»Nein; ich gehe nach Indien zurück.«

»So gehe ich mit! Ich bleibe bei dir; sie mögen ihre Fregatte behalten!«

»Das wird sich schon noch finden. Uebrigens hat mir der Kaiser höchst eigenhändig unser Prisengeld ausgezahlt. Laß sehen, wie viel es ist!«

Napoleon hatte kaiserlich honoriert, und als Surcouf sagte, daß auch sein Prozeß bereits günstig entschieden sei, verdoppelte sich die Freude, an der Holmers herzlich teilnahm.

Surcouf reichte ihm die Hand. »Segelmeister,« sagte er, »auch deine Sache steht gut. Du wirst heimkehren dürfen, denn der Kaiser will dein Gesuch befürworten.«

Der Deutsche weinte vor Freude; auch die anderen waren gerührt, und Surcouf gestand:

»Heut hab ich einen Kampf zwischen Ehrgeiz und Prinzipientreue bestehen müssen. Der Kaiser geht nicht nach England; ich glaube vielmehr, daß seine Rüstung Oesterreich und Rußland gilt. Ich sollte eine Eskadre im Mittelmeer befehligen und habe es abgeschlagen, weil ich in England den einzigen Feind Frankreichs erkenne und gegen keine andere Macht kämpfen werde.«

»So hat er dich wohl im Zorn entlasten?« fragte nun Ervillard.

»Nein, sondern in allen Gnaden. Er ist ein großer Geist, ein gewaltiges Genie, aber er wird untergehen, weil er sein Ziel auf einem durchaus falschen Weg sucht.« –

Und wieder am nächsten Tag wurde Oncle Carditon aus seinem Gleichmut, gerissen, denn es erschienen mehrere Equipagen, aus denen reich uniformierte Herren stiegen. Sie ließen sich die Wohnung Surcoufs zeigen, und eine halbe Stunde später erzählte der Oncle allen seinen Gästen atemlos, daß Kapitän Surcouf vom Kaiser das Kreuz der Ehrenlegion und einen von kostbaren Steinen funkelnden Degen erhalten habe. Welche Ehre abermals für die Auberge! Es gab große und größte Hotels, in denen kein einziger Gast den goldenen, fünfstrahligen Stern und einen Ehrendegen erhalten hatte!

Eine Woche später reiste Surcouf nach Brest. Es gelang ihm, die Engländer zu täuschen und mit seinem »Falken« in See zu stechen.

Bert Ervillard ging nur nach Brest mit; er hatte dem selbstlosen Drängen seines bisherigen Kapitäns nachgegeben und sich entschlossen, das Kommando der Fregatte zu übernehmen.

Der Segelmeister Holmers blieb noch kurze Zeit in Paris bei Oncle Carditon wohnen, bis er dann die Erlaubnis erhielt, nach seiner Heimat zurückzukehren. Sein Kapitän hatte für ihn gesorgt. –

Robert Surcouf hat noch lange Jahre den Kampf gegen Albion erfolgreich fortgesetzt. 1827 ist er gestorben.

Napoleons Stern ging unter im Jahre 1815 im Monat Juli, wo er auf dem »Bellerophon« als Gefangener nach England gebracht wurde. Im Kanal begegnete ihm das erste Dampfschiff, das er sah; da wandte er sich an Montholon, der neben ihm stand, und sagte im trübsten Ton:

»Als ich Fulton aus den Tuilerien wies, habe ich meine Kaiserkrone weggegeben!«

Und auf St. Helena, als er, von aller Welt verlassen und von dem englischen Gouverneur Hudson Lowe fortwährend auf das bitterste gekränkt, eines Tages auf der Klippe stand und seinen Blick nach Norden über das Meer schweifen ließ, legte er dem treuen. Bertrand die Hand auf die Schulter und seufzte:

»Jener Robert Surcouf hatte recht: England war mein einziger Feind. Der kühne Kaperkapitän wußte den richtigen Weg, diesen Feind zu besiegen. Adieu, ma belle France!« – – –


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