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Von Mursuk bis Kaïrwan

1.Der Tedetu.

»Das ist der deutsche Effendi, dessen Ankunft mein Geschäftsfreund mir in Tripolis gemeldet hat,« sagte Manasse Ben Aharab, indem er mich seiner Tochter vorstellte.

Sie reichte mir die Hand und sprach: »Du bist uns sehr willkommen, Effendina. Der Brief, den wir erhielten, hat uns viel von dir erzählt. Wir erfuhren, daß du weit über die Erde gewandert bist und mehr erlebt und erfahren hast, als viele andere Menschen. Ich habe mich auf dein Kommen gefreut, denn wir leben hier sehr einsam, weil wir niemand haben, dem wir Freund sein möchten. Bleib recht, recht lange in unserem Hause, dessen Wirtin ich bin! Ich werde mich bemühen, daß es dir bei uns gefallen möge.«

Das Mädchen war sehr schön. Als ihr Vater mich zu ihr führte, hatte sie sich von einem rotsamtnen Polster erhoben, das sich rundum an die vier Wände des Gemachs schmiegte. Sie trug ein weites, weißseidenes Frauenbeinkleid, das mit goldenen Spangen an den feinen Knöcheln befestigt war und um die Hüften von einem blaßblauen, reich in Gold gestickten Gürteltuch gehalten wurde. Die nackten, rosig schimmernden Füße steckten in niedlichen, violettseidenen Pantöffelchen. Um den Oberkörper schloß sich eine enganliegende, dunkelblauseidene Jacke, die anstatt der Knöpfe von schwergoldenen Ketten zusammengenestelt war. Das blauschwarze, dichte Haar hing in langen, schweren Zöpfen weit herab; Nadeln mit großen, silbernen Knöpfen glänzten darin und über die Stirn breitete sich ein loses Diadem von Goldstücken verschiedener Größe. An den kleinen Händen funkelten Ringe von gewiß sehr hohem Wert.

Nicht dieser Reichtum aber war es, der mich fesseln konnte. Man kann reich sein an Erfahrung, an Ehren, an Bildung – auch an Geld, und gerade dieser letztere Reichtum ist an sich der wertloseste. Allein dieser äußere Reichtum wurde hier unterstützt durch einen Ausdruck von Hoheit und Würde, der aus den feingezeichneten Lippen lagerte; nur aus den mandelförmig geschnittenen, großen, dunklen Augen leuchtete ein ruhiger, offener, nachdenklicher Blick, der noch mehr auf Geist und Gemüt schließen ließ.

Uebrigens zählte Rahel, so hieß das Mädchen, erst fünfzehn Jahre; doch ist dies ein Alter, in dem die Bewohnerinnen des heißen Südens bereits als Erwachsene gelten dürfen.

Ich war von Tripolis nach Mursuk, der Hauptstadt der Provinz Fezzan, gekommen und bei dem reichen jüdischen Handelsherrn Manasse Ben Aharab, an den ich gute Empfehlungen hatte, abgestiegen. Er nahm mich mit großer Gastfreundlichkeit auf und tat es nicht anders, ich mußte in seinem Hause wohnen und wurde geradezu wie ein Sohn gehalten. Das bedeutete einen ungewöhnlichen Vorzug, denn er lebte außerordentlich zurückgezogen, vermutlich aus dem Grunde, weil die Bevölkerung von Mursuk meist aus Mohammedanern besteht, von denen der Jude bekanntlich noch viel geringer als der Christ geachtet wird. Der Moslem erklärt Christus für den größten Propheten nach Mohammed und kann es den Juden nicht vergessen, daß seine Vorfahren Isa Ben Marryam, d. i. Jesus, den Sohn Mariens, gekreuzigt haben.

Manasse war Witwer und Rahel sein einziges Kind. Beide taten alles mögliche, um mir den Aufenthalt in Mursuk angenehm zu machen und ich fand eine Bewirtung, wie ich sie mir in dieser afrikanischen Oase nicht gedacht hatte. Da mich meine Reise tief in die Wüste hinein führen sollte, so war ich gezwungen, zunächst einige kurze und dann immer größere Ausflüge zu unternehmen, um mich wieder an das Wüstenklima zu gewöhnen, und jeder dieser Ausflüge war von einem besorgten Abschied begleitet, während meine Rückkehr stets eine aufrichtige und ungezwungene Freude wachrief.

Um bei diesen meinen Ausflügen nicht völlig allein zu sein, hatte ich mir einen Begleiter gesucht, wobei mir Manasse Ben Aharab einen seiner Diener, namens Ali, empfohlen hatte. Dieser war noch jung, vielleicht 23 Jahre alt, und ein sehr brauchbarer Mensch. Er sprach mehrere arabische Dialekte und hatte keinen Familienanhang, der ihn örtlich binden konnte; er war treu, ergeben und, was die Hauptsache ist, ehrlich.

Nur einen Fehler besaß er, der mir aber mehr Spaß als Verdruß bereitete: er hatte einige Bücher gelesen und glaubte infolgedessen ein sehr gelehrter Mensch zu sein. Auch für einen großen Helden hielt er sich, wozu ich freilich der Wahrheit gemäß bemerken muß, daß er allerdings Mut besaß. Infolge dieses seines Selbstbewußtseins war er mit dem einfachen Namen Ali nicht zufrieden und kam, wie dies dort im Süden so Sitte ist, bei jeder halbwegs passenden Gelegenheit auf seine Vorfahren zu sprechen, indem er seinem Namen diejenigen seiner nächsten Ahnen anhing. Dann hieß er nicht bloß Ali, sondern Ali el Hakemi Ibn Abbas er-Rumi Ben Hafis Omar en-Nasafi Ibn Sadek Kamil el Batal. Je länger solch ein arabischer Name ist, desto größer ist die Ehre für den Betreffenden; wer aber die Namen seiner Vorfahren nicht kennt, wird nicht geachtet. Dazu kam, daß Batal so viel wie »Held« bedeutet; man kann sich also denken, welch gewichtigen Nachdruck er auf dieses Schlußwort legte.

Was mich betrifft, so wurde ich hier, wie schon auf meinen früheren Reisen, Kara Ben Nemsi genannt. Kara klang an meinen Vornamen an und bedeutet »schwarz« und Ben Nemsi heißt »Sohn der Deutschen«. Ich trug einen dunklen Bart und war ein Deutscher; daher dieser Name.

Den letzten Ausflug vor meiner endgültigen Weiterreise wollte ich nach dem Wadi Kouhr machen; ein ziemlich weiter Ritt, der über eine Woche in Anspruch nahm. Wadi heißt Tal und auch Fluß. Meist sind damit diejenigen Wasserläufe gemeint, die sich zur Regenzeit bilden und dann wieder versiegen. Diese Flüsse sind zuweilen gefährlich. Der Regen in den Tropen ist ein ganz anderer als bei uns. Er gießt nicht nur, sondern er fällt wie eine geschlossene Masse vom Himmel herab; im Nu bildet sich der Fluß und stürzt sich gleich einer vorwärtsschießenden Mauer das Tal hernieder. Befindet sich darin ein Zeltlager, so ist alles verloren, was nicht augenblicklich fliehen oder gerettet werden kann.

Man darf sich nämlich die Sahara nicht als ein ununterbrochenes und ödes Sandmeer denken. Ja, es gibt da schier endlose Sandflächen; aber es erheben sich auch einzelne Berge oder steinige Höhenzüge. Und Wasser ist auch vorhanden. Wo ein Quell zutage tritt, da bildet sich eine Oase mit dem üppigsten Pflanzenwuchs. Oft braucht man nur einige Meter tief zu graben, um auf Wasser zu treffen, das freilich meist von keiner guten Beschaffenheit ist; doch wird es um so besser, je tiefer man gräbt; das haben die Franzosen durch ihre artesischen Brunnen bewiesen. Vor Jahrhunderten war die Sahara weit mehr bevölkert und bebaut als jetzt. Noch heut trifft man in der trostlosen Oede auf Römerbauten, die leider der wandernde Sand immer mehr verschüttet.

Eigenartig sind die Bijara mektumin, »geheime« Brunnen, an denen man vorüber, ja über die man sogar hinwegreiten kann, ohne zu ahnen, daß man sich in so großer Nähe des ersehnten Elements befindet. Ein weitab von der Karawanenstraße streifender Beduine entdeckt durch Zufall einen wasserhaltigen Ort, gräbt den Sand auf, füllt seinen Schlauch, tränkt sein Kamel, breitet seine Decke über das schmale Loch und wirft den Sand wieder darauf. Von nun an besitzt er einen Punkt, wo er rasten und sich erholen kann, und hält ihn geheim. Er verrät ihn nur dann, wenn er Nutzen davon haben kann. Diese versteckten Quellen befinden sich meist im Besitz von Räubern oder auch ganzen Raubkarawanen, denen ein solcher Bir Brunnen große Sicherheit bietet, weil sie es dann nicht nötig haben, die an den Karawanenwegen liegenden Brunnen aufzusuchen und sich dabei in Gefahr zu begeben.

Meine jugendliche Wirtin hatte mich vor unserem Aufbruch mit allem Nötigen versehen, ohne daß es mich etwas kostete. Beritten waren wir leidlich, denn ich hatte zwei gute Reitkamele gekauft, sogenannte Hedschihns, während das Lastkamel Dschemel genannt wird. Freilich mußten sie außer uns auch noch die Wasserschläuche tragen, weil ich angewiesen war, sparsam zu sein, und also kein Dschemel kaufen wollte. Es gab, wie gewöhnlich, einen längeren Abschied mit herzlich gemeinten Bitten und Ermahnungen.

»Effendina,« sagte Rahel, »sei nur ja vorsichtig, und nimm dich in acht, denn dein jetziges Ziel liegt nahe der Gegend, wo das Gebiet der räuberischen Tibbu beginnt. Wenn du mit ihnen zusammenträfest, wärest du verloren.«

»Laß dein Herz keine Sorge um mich tragen, o Blume der Oase! Ich fürchte mich nicht.«

»Ja, ich weiß gar wohl, daß du dich nicht fürchtest,« meinte sie eifrig, »aber du bist verwegen, Effendina. Du hast den Löwen und sogar den schwarzen Panther geschossen, der noch weit gefährlicher ist; du hast mit vielen, vielen Feinden gekämpft und bist stets Sieger gewesen; aber dein Körper zeigt noch heut die Narben der Wunden, die du bekommen hast und wie leicht kann ein Messer oder gar eine Kugel tiefer gehen, als bisher. Versprich mir, daß du vorsichtig sein willst; gib mir deine Hand darauf!«

»Hier ist die Hand; ich verspreche es.«

Sie nahm meine Hand in ihre beiden kleinen Hände, sah mir mit feuchten Augen in das Gesicht und fuhr fort: »Du weißt, daß wir dich lieb haben und sehr, sehr traurig sein würden, wenn dir ein Unglück geschähe. Denke ja daran, Effendina!«

»Sei gewiß, daß ich dies keinen Augenblick vergessen werde, o schönste der Rosen von Mursuk!«

»Nicht dieses Wort! Du weißt, daß du mich nicht so nennen sollst. Du sollst nur denken, daß ich gut und deine Freundin bin. Allah jebarik fik; Allah jesellimak – Gott segne dich; Gott erhalte dich!«

Nach diesen Worten wendete sie sich ab und entfernte sich. Ihr Vater entließ mich in gleich freundlicher Weise; dann, ritten wir an den Palmen-, Granaten-, Oliven-, Feigen-, Pfirsich- und Aprikosengärten der Stadt vorüber und zum Tor hinaus. Zwischen Wassermelonenfeldern ging es dann ostwärts weiter, wo bald der Pflanzenwuchs verschwand und unsere Kamele im Sand zu waten begannen.

Was unsere Kleidung und Waffen anbelangt, so trug ich Hose, Weste und Jacke von einem leichten, dunkelgrauen Stoff und darüber den mantelartigen weißen Haïk mit Kapuze. An den Turban hatte ich zum Schutz der Augen vorn einen blauen Schleier befestigt. Ali war ähnlich gekleidet; er besaß außer einem Messer und seinen zwei Pistolen eine lange, einläufige arabische Flinte. Ich hatte meine lang und oft bewährten Waffen bei mir: das Bowiemesser, zwei Revolver, den schweren Bärentöter, aus dem eine gutgezielte Kugel genügte, um einen Löwen niederzustrecken, und endlich meinen Henrystutzen, mit dem ich fünfundzwanzig Schüsse abgeben kann.

Die ersten drei Tage unseres Ritts verliefen ohne jede Störung. Das Wadi Kouhr liegt in der lybischen Wüste, südöstlich von Mursuk und südwestlich von der Oase Kufarah. Die libysche Wüste ist jener Teil der Sahara, der als der unwegsamste und gefährlichste bekannt ist. Uns machte sie zwar ein tiefernstes, aber doch kein feindseliges Gesicht.

Wir hatten seit Mursuk keinen Menschen zu sehen bekommen und wünschten auch nicht, jemandem im Wadi Kouhr zu begegnen. In jenen Gegenden gewöhnt man sich daran, in jedem Menschen, den man trifft, einen Feind zu erblicken. Nach dem Wadi aber mußten wir, denn dort gab es Wasser, um unsere Schläuche, die leer geworden waren, wieder zu füllen. Uebrigens kannte ich das Wadi nicht, und auch Ali war noch niemals dort gewesen.

Der dritte Tag neigte sich zur Rüste; wir waren so schnell geritten, daß wir nach meiner Berechnung das Ziel unbedingt vor Nacht erreichen mußten, wenn wir keine falsche Strecke eingeschlagen hatten, und doch ließ sich nichts sehen, was auf die Nähe des Wadi hätte schließen lassen können. Schon wollte Ali bedenklich werden; er sagte:

»Effendi, wir hätten doch einen Führer mitnehmen sollen. Wenn wir heut das Ziel verfehlen, wissen wir nicht, nach welcher Richtung es zu finden ist, und stehen vor dem Tod des Verdurstens.«

»Hab keine Sorge,« antwortete ich ihm. »Da, schau hinauf gen Himmel, grad vor uns! Da gibt es ein Zeichen, daß wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Kennst du die beiden Vögel, die da ihre Kreise ziehen?«

»Ja; es ist ein Schahin Falke. mit seiner Frau. Sollte der wirklich die Nähe des Wadi bedeuten?«

»Gewiß; leider auch die Nähe von Menschen. Der Schahin folgt gern den Karawanen, und aus der Richtung, in der er dort oben fliegt, kann man folgern, wohin sich unten die Karawane bewegt, obgleich man sie noch nicht zu sehen vermag. Diese beiden Falken schweben langsam im Kreise; sie bewegen sich nicht fort, folglich sind die Menschen unter ihnen nicht im Reiten begriffen, sondern sie lagern.«

»Allah! Wie du das so sicher sagen kannst! Du bist wirklich kein ungeschickter Mensch, Effendi; dieses Lob muß ich dir geben. Was das zu bedeuten hat, wirst du wohl wissen?«

»Ja, nämlich nicht viel.«

»Ajjuha – oho! Ich bin ein Mann, der alles kennt, was es auf Erden gibt; ein solches Lob aus meinem Mund ist also ein Vorzug, der nicht jedem zuteil wird. Ich hoffe jedoch, daß du nicht darüber stolz wirst und dich überhebst, denn die Bescheidenheit ist die größte Zierde wahrhaft großer und gebildeter Männlichkeit. Auch der Prophet ist, was du als Christ nicht wissen kannst, niemals stolz gewesen.«

»Meinst du nicht, daß die Bescheidenheit auch dir zur Zierde gereichen würde?«

»Allerdings,« nickte er. »Besitze ich sie etwa nicht?«

»Ist es bescheiden, wenn du behauptest, alles zu kennen, was es auf Erden gibt?«

»Ja, denn ich habe mich nicht überhoben, sondern die Wahrheit gesagt. Bring mir doch einmal etwas, was ich nicht kenne!«

»Hast du unsern Weg nach dem Wadi gekannt? Kannst du sagen, wer da vor uns lagert?«

Da fuhr er sich mit der Hand hinter das Ohr, kratzte sich dort verlegen und antwortete: »Du verlangst zu viel von mir, Effendi. Wie kann ich alle Menschen, die Väter ihrer Ahnen und die Urahnen ihrer Großväter, kennen! Ich habe gesagt, daß ich alles kenne, aber nicht, daß ich allwissend bin. Doch schau, kommt dort nicht ein Reiter geritten?«

Wir hatten das Wadi vor uns zu suchen; er deutete aber nach rechts, nach Süden, woher ein Reiter nahte. Dieser wollte jedenfalls auch nach dem Wadi; aber als er uns sah, hielt er sein Kamel für einen Augenblick an und verließ dann seine bisherige Richtung, um auf uns zuzulenken.

Als er uns so nahe gekommen war, daß wir ihn und sein Tier deutlich erkennen konnten, sah ich, daß er ein vornehmer und reicher Mann sein müsse, denn er ritt ein graues Bischarihnhedschihn, eines jener kostbarsten Reitkamele, die kaum zu kaufen sind. So ein Hedschihn kann, wenn es eine Stute ist und überhaupt veräußert wird, nach deutschem Geld dreißigtausend Mark und noch mehr kosten; mit einem solchen Tier kann man an einem Tag zwischen neunzig und hundert Kilometer zurücklegen. Ihren Namen haben diese Hedschihns von den Bischarihnnomaden, die am obern Nil wohnen. In der Sahara werden sie meist von den Tibbu gezüchtet, die daraufhin bekannt sind, daß sie die schönsten Reitkamele besitzen.

Und zu diesem Volk der Tibbu schien der Reiter zu gehören, der jetzt aus uns zukam. Seine Hautfarbe war fast so dunkel wie diejenige eines Negers; man hätte ihn leicht für einen solchen halten können, wenn er nicht eine gerade Nase und schmale Lippen gehabt hätte. Seine Gestalt schien, soweit der weiße, faltige Burnus dies erkennen ließ, lang und schlank, aber sehr kräftig zu sein; sein Haar hing ihm in langen Zöpfen auf den Rücken herab. Anstatt des Turbans trug er ein rotes Keffije Kopftuch.; eine lange, einläufige Flinte lag quer vor ihm auf dem Sattel. Zehn Schritte vor uns hielt er sein Hedschihn an, machte eine leichte Handbewegung nach der Brust und grüßte: »Sallam! Wohin geht euer Weg?«

Sein Blick ruhte finster und forschend auf uns. Der Mann gefiel mir nicht. Wenn der Beduine so kurz grüßt, ist das stets ein sicheres Zeichen, daß er keine freundlichen Absichten hegt.

»Sallam,« antwortete ich ebenso kurz. »Wir wollen nach dem Wadi Kouhr.«

»Kennt ihr es?«

»Nein; wir waren noch niemals dort.«

»Maschallah – Wunder Gottes! Wie habt ihr euch zurecht finden können?«

»Allah ist der Führer der Seinen. Wer ihm vertraut, geht niemals irr.«

Er machte eine verächtliche Armbewegung und bemerkte: »Allah wohnt im Himmel. Er wird nicht vor dir hergeritten sein, um dir den Weg zu zeigen. Woher kommt ihr?«

»Von Mursuk.«

Es ging, als ich diesen Ort nannte, ein schnelles Leuchten über sein Gesicht; dann fragte er: »Wohnst du dort?«

»Nein. Ich habe nur längere Zeit dort gerastet.«

»So wirst du dennoch die Stadt und ihre Bewohner kennen gelernt haben. Hast du vielleicht einen jüdischen Tagir Kaufmann. gesehen, der Manasse Ben Aharab heißt?«

»Ja. Ich war sein Gast und habe bei ihm gewohnt.«

Wieder bemerkte ich jenes blitzartige Leuchten, das über sein Gesicht zuckte. Dann erhellten sich seine bisher finsteren Züge, und er sagte in viel freundlicherem Ton: »Danke Allah, daß dem so ist; Manasse ist mein Freund, und da du der seinige bist, heiße ich dich willkommen. Folge mir!«

Er hatte nur zu mir gesprochen, wohl weil er erriet, in welcher Stellung sich Ali zu mir befand. Diesen schien das zu ärgern, denn als der Fremde jetzt sein Kamel wendete, ergriff er schnell das Wort:

»Halt, warte noch! So rasch, wie du meinst, geht das nicht. Wir müssen wissen, wer du bist.«

Da drehte sich der Angeredete wieder nach uns um, betrachtete ihn mit zusammengezogenen Brauen und fragte: »Wer bist denn du, daß du so zu mir zu sprechen wagst?«

»Wagst? Ist es ein Wagnis, mit dir zu reden? Ich kenne keinen Menschen, vor dem ich mich zu fürchten hätte, denn ich bin Ali el Hakemi Ibn Abbas er-Rumi Ben Hafis Omar en-Nasafi Ibn Sadek Kamil el Batal! Verstanden? El Batal, El Batal!«

Er wiederholte diesen Beinamen und betonte ihn stark, weil das Wort, wie bereits bemerkt, »der Held« bedeutet. Der Fremde ließ ein leises Lächeln über seine Mundwinkel gleiten und antwortete:

»Ja, el Batal; ich höre es, du bist der Nachkomme dieses Mannes; aber der Enkel oder Urenkel eines Helden kann ein großer Feigling sein. Was bist du denn?«

»Ich? Ich bin ein großer Krieger und ein großer Alim. Gelehrter. Es gibt auf Erden keine Wissenschaft, die meinem Auge verborgen wäre. Wie ist dein Name und zu welchem Stamm gehörst du?«

Das Lächeln des andern wurde stärker und, wie mir es schien, zugleich spöttischer; er antwortete ihm nicht, sondern wendete sich zu mir: »Ist dieser Mann mit dem langen Namen dein Freund oder dein Diener?«

»Das letztere,« antwortete ich der Wahrheit gemäß und innerlich erstaunt über den Scharfblick, den er durch diese Frage verriet.

»So sag ihm, daß ein freier Mann sich nicht von einem Menschen, der bezahlt wird, ausfragen läßt. Du bist der Herr, und dir will ich Auskunft geben: Ich bin ein Tedetu und werde Tahaf genannt. Und nun komm; ich werde dich zu meinen Leuten führen.«

Er wendete abermals um und ritt davon. Während wir ihm folgten, drängte Ali sein Kamel nahe an das meinige und raunte mir zu:

»Was hast du getan, Effendi! Du hast mein Angesicht schamrot gemacht. Mußtest du ihm sagen, daß ich dein Diener bin?«

»Ja,« antwortete ich.

»Warum?«

»Weil es dir nichts schaden kann, wenn du einmal an die Wahrheit erinnert wirst, Prahlhans.«

»So gibst du also nicht zu, daß ich ein Gelehrter bin?«

»Nein.«

Um weiteren Vorwürfen zu entgehen, lenkte ich mein Kamel von ihm weg und an die Seite des Tedetu. Tedetu ist die Einzahl von Tibbu; ein einzelner Mann vom Tibbuvolk wird also nicht Tibbu, sondern Tedetu genannt. Er beobachtete mich, als ich nun neben ihm ritt, scharf von der Seite her. Ich sah, daß sein Blick besonders an meinen beiden Gewehren hing; solche Massen waren ihm natürlich unbekannt. Er redete nichts, und auch ich hielt es nicht für nötig, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Erst nach längerer Zeit sagte er:

»Du wirst unser Gast sein und kennst meinen Namen. Willst du mir nicht den deinigen nennen?«

»Ich heiße Kara Ben Nemsi.«

»Ben Nemsi? So bist du wohl aus einem fremden Lande?«

»Ja, aus dem Bilad el Alman. Deutschland.

»Also kein Fransawi?« Franzose.

»Nein.«

»Ich habe von dem Belad el Alman gehört. Es regiert da ein großer Sultan, der Wi-hel Wilhelm. heißt und die Fransawi besiegt hat. Diese sind unsere Feinde; darum ist jeder Almani unser Freund, und meine Leute werden sich freuen, dich zu sehen. Natürlich bist auch du ein Krieger?«

»Eigentlich nicht.«

»Was denn? Ich sehe doch, daß du viele Waffen trägst.«

»Ich habe sie nur, um mich zu verteidigen, wenn ich angegriffen werde. Ich bin ein Musannif Schriftsteller., also ein Mann des Friedens.«

Da maß er mich mit einem halb verächtlichen, halb mitleidigen Blick und rief aus: »Allah erhalte dir den Verstand! Du trinkst daheim schwarze Tinte und trägst hier zwei Flinten auf dem Rücken? Hat dir die Glut der Sonne das Gehirn verbrannt? Wer kein Krieger ist, ist auch kein Mann. Ein Musannif muß bei den alten Weibern sitzen. Du bist doch stark und kräftig; der Prophet muß dich schlecht erleuchtet haben!«

Das war grob. Ich antwortete: »Ich verlange kein Licht von ihm, denn ich bin kein Moslem, sondern ein Christ.«

Ich wußte recht gut, was ich tat, indem ich ihm das so offen sagte. Dieser Mann mit dem stolzen Auge und dem verächtlichen Lächeln irrte sich in mir. Ich ritt mit so bescheidener Miene neben ihm her; wahrscheinlich lernte er mich recht bald ganz anders kennen. Er drängte sein Hedschihn ein Stück von mir weg und rief aus:

»Allah bewahre mich! Ein Christ bist du, ein verdammter Giaur, den der Teufel – – –«

»Uskut – schweig!« unterbrach ich ihn, indem ich mich im Sattel aufrichtete. »Du hältst deinen Glauben und ich den meinigen für den richtigen. Wenn du mich ungläubig nennst, kann ich dich mit demselben Recht ebenso heißen. Ich tue es nicht, weil wir Christen gewöhnt sind, höflich zu sein. Einen Giaur laß ich mich nicht nennen; das merke dir ja!«

Er sah ganz erstaunt zu mir herüber; ein solches Auftreten hätte er mir nicht zugetraut. Er fragte: »Was wolltest du dagegen tun? Etwa mich erschießen?«

»Nein. Eine Kugel ist ein Beleidiger nicht wert. Ich würde dich einfach mit dieser meiner Faust vom Kamel schlagen.«

Das war nach den Gebräuchen der Sahara eine todeswürdige Beleidigung. Ein Schlag mit der Hand oder mit einem Gegenstand, der keine Waffe ist, und auch die bloße Androhung eines solchen Hiebes ist eine Kränkung, die nur mit Blut abgewaschen werden kann. Er fuhr auch sofort mit der Hand unter den Burnus und rief, indem er seine Pistole hervorzog: »Mich schlagen? Das muß – – –«

Aber noch schneller als er hatte ich den Revolver in der Hand, zielte auf seinen Kopf und fiel ihm in die Rede: »Weg mit der Pistole! Sobald du sie auf mich richtest, fährt dir meine Kugel in den Kopf! Ich werde dir beweisen, daß ein Musannif nicht bei den alten Weibern zu sitzen braucht, sondern auch ein tapferer Mann sein kann. Ich habe dich beleidigt, weil du vorher mich beleidigt hast; wir sind also quitt. Ist dir das nicht recht, so bin ich sofort bereit, vom Kamel zu steigen und mit dir zu kämpfen, wie es sich unter Kriegern ziemt.«

Es ging eine ganz eigentümliche Bewegung über seine erregten Züge; dann steckte er die Pistole zurück und sagte in erzwungen ruhigem Tone: »Wohlan, du hast recht. Wir haben uns gegenseitig beleidigt und sind nun quitt, weil du mein Gast sein sollst. Reiten wir weiter!«

Diese schnelle Beruhigung war nur eine scheinbare; ich ließ mich durch sie nicht täuschen und wußte genau, daß ich, selbst wenn er mir vorher freundlich gesinnt gewesen wäre, nun in ihm einen unversöhnlichen Feind erworben hatte. Am liebsten hätte ich mich von ihm getrennt; das ging aber nicht an, denn er ritt nach dem Wadi, wo wahrscheinlich seine Tibbu lagerten, und ich mußte auch hin, weil wir Wasser brauchten, das mehrere Tagereisen weit an keinem anderen Ort zu finden war. Ich hegte die Ueberzeugung, daß wir einer großen Gefahr entgegengingen, doch hatte ich ganz und gar keine Lust, mich davor zu fürchten.

 

2. »Ich bin der Beschützte!«

Nach einiger Zeit sahen wir am Horizont erst die Kronen und dann die schlanken, hohen Schäfte von Dattelpalmen auftauchen; die bisher ganz ebene Gegend war hügelig geworden, soweit man dort von Hügeln sprechen kann, und mehrere Zeltreihen standen im Schatten dieser Palmen oder zogen sich an den Hügeln hin. Es gab sogar eine bescheidene Anzahl von Erdhütten, die wohl das eigentliche Dorf bildeten. Sie lagen am Rand des jetzt wasserleeren, ganz trockenen Wadi, dessen Grund und Wände aber an vielen Stellen so zerwühlt und zerrissen waren, daß ich annahm, es müsse zu gewissen Zeiten nicht nur Wasser, sondern auch Hochflut darin geben.

Als wir vielleicht noch tausend Männerschritte von dem Dorf entfernt waren, trieb der Tedetu sein Hedschihn plötzlich mit dem Lenkstab in einer Weise an, daß es rasch vorwärtsschoß.

»Effendi, der hat etwas vor!« meinte Ali. »Wollen wir ihm nicht schnell nach?«

»Nein,« erwiderte ich, indem ich im bisherigen Gang weiterritt.

»Aber das, was er beabsichtigt, kann nichts Gutes sein. Du weißt, Allah hat mich mit großer Menschenkenntnis ausgestattet, und ich habe diesem Tahaf in die verborgensten Tiefen seines Herzens geblickt; es sieht ganz schwarz darin aus, und er hat das Gesicht eines Abu Hossein Fuchs., welcher beißen will. Warum reitet er voraus? Jedenfalls nicht, um unsern wohlverdienten Ruhm zu verkünden und die uns gebührende Ehrerbietung für uns zu verlangen. Ich ersuche dich also dringend, auch unseren Ritt zu beschleunigen.«

»Das würde weder Zweck noch Erfolg haben.«

»O wehe, Effendi, wie schwer fällt es dir doch, nachzudenken! Wo man einen Zweck hat, da gibt es auch einen Erfolg; und wo ein Erfolg ist, da hat es stets auch einen Zweck vorher gegeben.«

»Entweder meint es der Tedetu schlecht mit uns oder nicht; reiten wir ihm nach, so erreichen wir doch nichts weiter, als daß wir in ersterem Fall seine bösen Absichten doch nicht verhindern können und in letzterem Fall uns bloßstellen und ihn beleidigen.«

Jetzt hatte Tahas das Dorf erreicht. Wir sahen, daß er auf die Bewohner, die in den Zeltgassen standen, einsprach. Einige von ihnen entfernten sich; sie hatten jedenfalls Aufträge von ihm erhalten; er aber wendete sein Hedschihn um, kam uns entgegen und meldete mir, als er uns erreicht hatte:

»Ich bin vorangeeilt, um dein Nahen zu verkünden. Der ganze Duar (Zeltdorf) ist voller Freude, dich als Gast begrüßen zu dürfen.«

»Ich danke dir,« antwortete ich kühl. »Ich erbitte mir nichts als die Erlaubnis, Wasser zu schöpfen und mich am Rande des Brunnens ausruhen zu dürfen. Ist dies geschehen, so werden wir weiterreiten.«

»Effendi, sind dir die Gesetze der Wüste unbekannt? Weißt du nicht, daß es eine todeswürdige Beleidigung ist, eine gastfreundliche Einladung zurückzuweisen?«

»Ich bin nicht eingeladen worden.«

»So tue ich es jetzt. Du sollst der Gast sein; ich bitte dich darum!«

»Wessen Gast?«

»Der des ganzen Duars.«

Das klang so schön, kam aber mir, der ich Erfahrung hatte, verdächtig vor. Der Gast des ganzen Dorfes? Damit war gar nichts gesagt; das durfte mir nicht genügen. Dann konnte, wenn ich der Hilfe bedurfte, mich einer an den andern weisen, und keiner braucht sich meiner wirklich anzunehmen. Ganz anders aber dann, wenn ich der Gast eines bestimmten Mannes war; dieser durfte mich nicht verleugnen, sondern er mußte sich auf alle Fälle und unter allen Umständen meiner annehmen. Dennoch tat ich; als ob ich erfreut über das Anerbieten des Tedetu sei. Ich wollte mein Mißtrauen nicht schon im Augenblick meiner Ankunft zeigen. Es konnte mir nur zum Vorteil gereichen, wenn ich für unbefangener gehalten wurde, als ich war.

Bekommen Wüstenbewohner den Besuch von Freunden und Bekannten, so geht es, der Sitte gemäß, beim Willkommen sehr laut her. Das ist das sogenannte La'b el Barut oder Schießpulverspiel. Kommen aber Fremde, so verhält man sich ruhig, um sie nicht etwa zu erschrecken, da sie, die Unbekannten, das Schießen ernst und für ein feindseliges Verhalten nehmen könnten. Darum knallte keines der Gewehre, und es ertönte keine laute Stimme, als wir in das Lager einritten; aber alle Zelte und Hütten hatten sich geleert und die Bewohner, alt und jung, Männer und Frauen, Jünglinge, Mädchen und Kinder, drängten sich herbei, uns zu betrachten. In keinem Gesicht war ein feindlicher Zug zu bemerken; aber ich sah auch keine Spur der Freude, von welcher der Tedetu gesprochen hatte.

Dieser leitete uns nach der äußersten Zeltreihe, aus welchem Grund, das erkannte ich erst später. Die Männer, die wir da erblickten, hatten ein ernstes, wortkarges Aussehen und waren, obgleich sie sich daheim und im Frieden befanden, bis an die Zähne bewaffnet. Die Frauen trugen keine Schleier; die Beduinin liebt es nicht, ihr Gesicht zu verhüllen; ihre Gesichter sahen welk und verlebt aus, denn das Weib der Wüste hat alle Arbeit allein auf dem Nacken und altert darum schnell. Aber unter den jungen Mädchen gab es einige, die man mit Wohlgefallen betrachten konnte. Ihr Haar war mit bunten Bändern und Perlenschnüren in lange, hinten herabhängende Zöpfe geflochten; in ihren Ohren trugen sie schwere Ringe, an den Handgelenken mancherlei Spangen und über den Knöcheln kupferne Ringe, die man sah, weil die Röcke oder Schalwars (Frauenbeinkleider) nur bis dorthin reichten und die Füße unbekleidet waren. Schön, zierlich waren diese nackten Füße freilich nicht, sondern breit ausgetreten, und an mancher Zehe sah ich deutlich die Spuren der Verwüstung, die der böse Wüstenfloh anrichtet. Er gräbt sich unter die Fußnägel ein und läßt dort seine Brut zurück, die bei der dadurch entstehenden, ebenso häßlichen wie schmerzhaften Zehengeschwulst nur mit dem Messer entfernt werden kann.

Ich war von meinen früheren Reisen her gewöhnt, ein freundliches »Marhaba« Willkommen. zu hören, doch fand sich hier kein Mund, der dieses Wort aussprach. Und doch sollte ich der Gast des ganzen Dorfes sein. Da hätten sie doch eigentlich alle »Marhaba« rufen müssen!

Der Tedetu ließ sein Hedschihn niederknien, um aus dem Sattel zu steigen, und Ali und ich sprangen ebenfalls ab. Der erstere erteilte einen Befehl, den ich nicht verstand, weil er sich dabei des Tibbudialekts und nicht des Arabischen bediente; aber ich sah sogleich, was er geboten hatte, denn es traten einige Männer herbei, um sich unserer Kamele zu bemächtigen. Ich wehrte ab und fragte:

»Was wollen sie mit den Tieren?«

»Zur Tränke schaffen,« antwortete Tahas.

»Das pflege ich stets selbst zu tun.«

»Du selbst?« fragte, er verwundert. »Das ist doch nicht deiner Würde gemäß?«

»Es entspricht der Würde jedermanns, nicht nur gegen Menschen gütig zu sein, sondern auch das Tier, das ihm gehört, mit Aufmerksamkeit zu behandeln.«

»Aber er braucht trotzdem nicht selbst die Arbeit eines Knechts zu verrichten!«

»Soll ich deine freien Krieger für Knechte erklären, indem ich ihnen diese Arbeit auftrage? Das sei fern von mir! Wo ist der Brunnen? Wir werden unsere Tiere selbst hinführen!«

Er zog die Brauen finster zusammen, drehte sich zu seinen Leuten um und warf ihnen einige Tibbuworte zu. Dies benutzte ich, dem neben mir stehenden Ali rasch zuzuflüstern: »Tu ganz genau das, was ich tue!«

Er nickte und nahm seine lange Flinte in die Rechte, so wie ich meinen schweren Bärentöter hatte. Den Henrystutzen trug ich am Riemen über dem Rücken. Mein Verdacht hatte sich zur Gewißheit gesteigert. Die Zeltreihe, an deren Eingang wir standen, schien von Personen bewohnt zu sein, die ausgesprochene Tibbugesichter hatten und sich dadurch von den meisten andern Dorfbewohnern unterschieden. Das waren wilde, und, wie es schien, gewalttätige Kerls, denen ich nicht weniger als alles zutrauen konnte. Es fiel mir auf, daß die Insassen der übrigen Zelte zwar beobachtend nahe standen, aber doch nicht ganz herankamen. Es war, als ob diese äußere Zeltreihe gar nicht zum eigentlichen Dorf gehöre. War der Tedetu etwa ein Fremder hier? Er wendete sich, kaum daß ich meinem Diener die wenigen Worte zugeraunt hatte, wieder nach mir um und sagte in einem keineswegs freundlichen Ton:

»Wir können unmöglich dulden, daß du so niedrige Dienste verrichtest. Dein Diener mag sein Kamel tränken; er mag gehen; du aber wirst das deinige uns überlassen, denn du bist unser Gast, der Gast des ganzen Duars.«

Ah! Ali sollte gehen; man wollte uns voneinander trennen! Darum antwortete ich: »Ali el Hakemi bleibt bei mir! Und der Gast des ganzen Dorfes soll ich sein? Bin ich ein gefräßiger Kuku Kuschu Kuckuck., den fünfzig andere Vögel füttern müssen? Ich will der Gast eines einzigen Mannes sein, und den werde ich mir selbst auswählen. Wo ist der Scheik el Beled, der Aelteste des Duar?«

»Der bin ich selbst, und du sollst bei mir wohnen. Komm also mit!«

»Du?« fragte ich im Tone des Unglaubens. Ich hatte ihn bereits vorhin für einen Fremden gehalten, und als er sich jetzt mit lauter, erregter Stimme, die jenseits der Zeltreihe gehört werden konnte, für den Scheik ausgab, bemerkte ich, daß dort viele ihre Augen auf einen alten, ehrwürdig aussehenden Mann richteten, der selbst verwundert oder gar mißbilligend dreinschaute. Ich nahm sofort an, daß dieser Greis der Scheik sei; daher mein fragendes »Du?«

»Ja, ich!« versicherte der Tedetu mit Nachdruck. »Also komm!«

Er ergriff mich am linken Arm, um mich mit sich fortzuziehen. Ich aber blieb fest stehen und sagte:

»Erlaube zunächst, mich einmal da drüben zu erkundigen!«

Ich deutete bei diesen Worten zu dem Greis hinüber; aber da gab er seinen Leuten einen entschiedenen Wink und rief zornig aus:

»Willst du mich beleidigen, indem du meiner Versicherung keinen Glauben schenkst! Ich bin der Scheik, also vorwärts mit dir!«

Er faßte mich wieder an, um mich nun mit Gewalt fortzuziehen und zugleich wurde ich mit Ali von den Tibbu umringt, die uns vorwärts drängten; es waren wohl an die zwanzig Mann. Das konnte ich mir denn doch nicht gefallen lassen, wenn es nicht um uns geschehen sein sollte. Darum forderte ich in drohendem Ton:

»Laßt ab und gebt uns frei, sonst schaffen wir uns Bahn!«

Die Kerls lachten mich laut aus und schoben weiter, und der Tedetu antwortete, ebenso höhnisch lachend: »Komm nur, Knabe! Deine Bahn schreibe ich dir vor!«

Da faßte ich den Bärentöter mit beiden Fäusten, legte ihn mir trotz des dichten Gedränges vorn quer über den Leib, daß er links und rechts hervorragte und drehte mich mit einer raschen, kräftigen Bewegung um. Dadurch wurden der Tedetu und einige andere vom Kolben und vom Lauf der Büchse gefaßt und fortgeschleudert. Ich bekam Luft und benützte dies sofort, das Gewehr um den Kopf zu wirbeln und zu rufen: »Schreib einmal vor, Betrüger! Ob ich dir folgen werde!«

»Lakkadam, lakkadam – vorwärts, vorwärts, drauf!« brüllte er wütend. »Entreißt ihm das Gewehr!«

Sie wollten ihm gehorchen, bekamen aber solche Kolbenhiebe, daß sie noch weiter zurückwichen, als vorher. Nun war ich gewiß, mir eine Gasse bahnen zu können, und rief meinem Ali zu: »Komm, rasch, eng hinter mir her!«

Der Tedetu war der Anstifter dieses harten Tanzes, folglich mußte ihn der Taktstock treffen. Ich fällte den Kolben und stieß ihm diesen in die Seite, daß er lautlos zusammenbrach; die hinter ihm Stehenden wichen zurück; noch drei, vier tüchtige Stöße und Hiebe, der Weg aus dem Menschenknäuel öffnete sich, und ich sprang, von Ali gefolgt, fort, zwischen den zwei nächsten Zelten hindurch und zu dem alten Mann hinüber, den ich für den Dorfältesten hielt. Das Volk, das bei ihm stand, hatte sprachlos vor Erstaunen zugesehen und wich jetzt schnell zurück, aus Angst, auch Hiebe zu bekommen. Ich hielt bei ihm an und fragte ihn:

»Inte el Scheik – bist du der Scheik?«

»Aiba, Sihdim – ja, mein Herr,« antwortete er.

»Jalla, dakilah ya Scheik – wohlan, ich bin der Beschützte, o Scheik!«

»Dakilah bardi ya Scheik – auch ich bin der Beschützte, o Scheik!« rief auch Ali, ihn bei der linken Hand nehmend, während ich seine Rechte ergriffen hatte.

Der Alte war erstaunt, um Schutz angerufen zu werden, faßte sich aber schnell, zog seine Hände aus den unsrigen, legte die eine mir und die andere Ali auf den Kopf und erklärte mit lauter Stimme: »Ahdahn meftihn, ya ridschal; haida dachli, haida dachli – macht die Ohren auf, ihr Männer; dieser ist mein Schützling, und dieser ist mein Schützling!«

Die Tibbu waren uns heulend und fluchend nachgesprungen, um sich unser auf alle Fälle, selbst unter Aufbietung äußerster Gewalt, zu bemächtigen, aber als sie diese Worte hörten, blieben sie stehen und taten keinen weiteren Schritt vorwärts, denn das Wort Dakilah ist selbst dem rohesten Wüstenbewohner ein heiliges Wort, dessen Bedeutung er kennt und unbedingt achtet. Es öffnet dem Bedrängten selbst in der größten Todesnot und mitten unter Feinden einen Rettungsweg. Wer sich im Kampf mit einer überlegenen Zahl von Gegnern befindet, ruft einem von ihnen, womöglich dem Aeltesten, das Wort Dakilah – »ich bin der Beschützte« – zu, und sofort wird dieser ihn mit dem größten Nachdruck gegen jedermann, selbst gegen die eigenen Freunde und Verwandten beschützen. Der Beduine nimmt sich selbst seines Todfeindes für den Augenblick an, wenn dieser ihm das Zauberwort zuruft und, was dabei freilich die Hauptsache ist, sich mit seinem Körper in Berührung setzt. Ich und Ali hatten die Hände des Scheiks ergriffen, sonst hätte die Anrufung uns nichts genützt.

Dieser heilig gehaltene Gebrauch ist bei den ewigen Fehden jener Völker von einer großen, die Härten mildernden Bedeutung. Selbst die Blutrache muß augenblicklich schweigen, wenn das Opfer, bevor es von dem siegreichen Rächer den Todesstoß erhält, diesem das Wort Dakilah zuruft und ihn dabei anfaßt. Freilich wird der Ueberlegene sich alle Mühe geben, dieses Anfassen unmöglich zu machen, aber es genügt die kürzeste und geringste Berührung.

Also blieben die Tibbu stehen und wagten sich nicht weiter zu uns heran. Der Scheik rief ihnen gebieterisch zu: »Weicht zurück! Solange diese beiden Männer sich im Bereich unseres Duars befinden, dürft ihr sie nicht antasten, denn ihr seid unsere Gäste, und sie sind es auch!«

Sie wendeten sich ab und entfernten sich, indem sie nach ihrer Zeltreihe gingen, wo ich ihren Anführer liegen sah, niedergeworfen von meinem Kolbenstoß; er war noch nicht wieder zu sich gekommen. Sie hoben ihn auf, um ihn verdrossen nach seinem Zelt zu schaffen.

Jetzt wendete sich der Scheik wieder zu mir und Ali und erklärte uns: »Diese Tibbu kamen heut in unser Duar, um Wasser zu nehmen und bei uns zu lagern. Sie sind Räuber, wie wir vermuten, und gehen uns nichts an. Willst du das glauben, Herr?«

»Ich glaube es,« antwortete ich.

»Wir sind Nachkommen der alten, berühmten Uelad Sliman,« fuhr er fort. »Da wir keine Reichtümer besitzen, brauchen wir diese Räuber nicht zu fürchten; du aber scheinst wohlhabend zu sein. Nimm dich in acht!«

»Auch ich bin nicht reich; ich trage keine Schätze bei mir, würde mich aber auf keinen Fall vor ihnen fürchten, wie du wohl gesehen hast.«

»Ich habe es gesehen. Du hast klug, vorsichtig und kraftvoll gehandelt, sie dir aber zu Todfeinden gemacht; sie werden dir nach dem Leben trachten und nicht eher ruhen, bis sie es dir genommen habend«

»Sie werden es nicht bekommen!«

»Du sprichst sehr stolz. Doch solange du dich hier bei uns befindest, bist du sicher. Tretet in mein Zelt, und nehmt fürlieb mit meiner Armut. Ihr seid die Beschützten, und wir werden eure Kamele tränken und füttern, wenn ihr sie mir anvertraut.«

»Dir überlassen wir sie gern, denn dein Angesicht ist ein ehrliches, und was dein Mund redet, das ist wahr.«

Er führte uns in sein Zelt, dessen Ausstattung allerdings nicht auf Reichtum schließen ließ. Wir bekamen zum Willkomm Wasser, mit Dattelsaft vermischt, und dann sahen wir, daß ein Hammel geschlachtet wurde, der am Spieß gebraten werden sollte.

Das Zelt bestand aus zwei Abteilungen. In der einen saßen wir mit dem Scheik, und in der anderen hörten wir sein Weib hantieren. Sie war als »Müllerin« beschäftigt, indem sie Negerhirse zwischen zwei Steinen zu Mehl zerrieb. Noch war der Braten nicht fertig da trat einer von den Dorfbewohnern herein und meldete:

»Es ist einer von den Tibbu draußen, der mit dir sprechen will, o Scheik.«

»Er mag hereinkommen,« antwortete dieser.

»Das will er nicht. Er hat mit dir allein zu reden.«

»Worüber?«

»Ueber diese deine Gäste.«

»So muß ich erst recht verlangen, daß er hereinkommt, denn sie haben das Recht, zu hören, was von ihnen gesprochen wird. Der Prophet und das Gesetz der Wüste gebieten, den Gast zu achten und zu beschützen. Dieses Gebot werde ich erfüllen, und sollte es mir das Leben kosten.«

Der Mann entfernte sich. Ich hatte mich in dem Scheik nicht getäuscht; er war ein braver, ehrlicher Beduine, auf den wir uns verlassen konnten. Wir hörten einen halblauten Wortwechsel draußen; dann kam der von Tahas gesandte Tedetu herein. Er würdigte mich und Ali keines Blickes und fuhr den Scheik in zornigem Ton an:

»Warum kamst du nicht hinaus, wie ich dir sagen ließ?«

»Weil ich der Oberste meines Lagers und der Herr und Besitzer dieses Zeltes bin und nichts anderes tue, als das, was mir beliebt. Ich ehre meine Gäste!«

»Auch wir sind deine Gäste, die du zu achten hast.«

»Wohnt ihr in meinem Zelt? Habt ihr vielleicht das ›Dakilah‹ zu uns gesagt?«

»Das brauchen wir nicht. Wir sind freie Tibbu, die keinen Menschen um etwas zu bitten brauchen. Wir sind gewohnt, zu befehlen und daß man diesen Befehlen Gehorsam leistet.«

Er legte bei diesen Worten die Hand an den Griff seines Messers und seine Miene wurde noch drohender als vorher. Ich sah, daß der Schelk sich eingeschüchtert fühlte; er sagte aber doch, seiner Würde gemäß:

»Befehlt, wo ihr wollt, doch hier in meinem Duar nicht! Was hast du mir mitzuteilen?«

»Tahaf, unser berühmter Anführer, sendet mich. Er verlangt die Auslieferung dieser beiden Giaurs!« Bei diesen Worten zeigte er auf mich und Ali, doch ohne uns eines Blicks zu würdigen.

»Ich bin kein Giaur, sondern ein gläubiger Anhänger des Propheten!« fuhr Ali auf, ohne daß der Tedetu diesen Worten die geringste Beachtung schenkte.

»Willst du mein Gesicht schamrot machen?« fragte der Scheik. »Welches Gesetz erlaubt, einen Gast auszuliefern?«

»Es gibt kein Gesetz, das einen Giaur beschützt!«

»Ich bin kein Giaur!« wiederholte Ali zornig.

Jetzt beachtete der Tedetu den Einwand doch; er warf dem Sprecher die verächtlichen Worte zu: »Du hast zu schweigen. Wer einem Ungläubigen dient, der ist nicht nur ein Giaur, sondern sogar noch viel verächtlicher als ein solcher. Also gibst du sie heraus, o Scheik?«

Diese Frage war wieder an den Scheik gerichtet. Er antwortete in nicht ganz zu verbergender Verlegenheit: »Das könnt ihr nicht von mir verlangen!«

»Wir verlangen es aber! Diese räudigen Anhänger einer anderen Lehre sollen erfahren, daß – – –«

Er wurde unterbrochen. Ali, der, wie bereits bemerkt, kein feiger Bursche war, sprang auf und rief, indem er ihm in die Rede fiel: »Schweig! Ich bin kein Anhänger einer falschen Lehre. Weißt du, wer ich bin? Mein Name lautet Ali el Hakemi Ibn Abbas er-Rumi Ben Hafis Omar en-Nasafi Ibn Sadak Kamil el Batal. Wer mich beleidigt, den werde ich es – – –«

»Schweig du, Giaur!« schnitt ihm nun seinerseits der Tedetu die Rede ab. »Ihr seid stinkende Hunde, die von den Hyänen und Geiern zerrissen werden müssen!«

Ich hatte mich bisher schweigsam verhalten; nun aber mußte ich einschreiten, sonst war trotz des guten, ehrlichen Willens des Scheiks zu befürchten, daß er aus Angst vor den Tibbu nachgiebig werden könne. Ich stand also mit einer raschen Bewegung auf, stellte mich vor den Tedetu hin und sagte in warnendem, und dabei festem Ton: »Höre, Mann, wag' nicht zu viel! Es ist mir zwar sonst sehr gleichgültig, was ein Mensch, wie du bist, redet, aber Giaur und Hund, diese Worte kann ich nicht vertragen. Wiederholst du nur noch einmal eines von ihnen, so schlage ich dich nieder!«

Was ich auf diese Beleidigung hin erwarten mußte, das geschah: er riß sein Messer aus der Hüftschnur und schrie mir wütend zu: »Du bist ein Hund, der Sohn eines Hundes und der Enkel eines Hundesohnes. Hier hast du meine Klinge!«

Er holte zum Stoß aus. Mit einem von unten herauf geführten Hieb schmetterte ich ihm das Messer aus der Hand, und als er sich schnell darnach bückte, schlug ich ihm meine Faust in das Genick, daß er zusammenbrach.

»Um Allahs willen, was hast du da getan!«, rief voller Angst der Scheik, indem er nun auch von seinem Sitz auffuhr. »Die Tibbu werden es an dir und an uns blutig rächen!«

»Fürchte dich nicht!« antwortete ich ruhig. »Sie werden euch nichts tun, denn ich werde euch beschützen.«

»Du – – – uns – – –?« fragte er erstaunt.

»Ja. Erst stand ich unter deinem Schutz, und nun stehst du unter dem meinigen. Glaubst du etwa, ich habe mich aus Angst vor diesen Tibbu zu euch gerettet? Das denke ja nicht! Ich bin gewöhnt, mich selbst zu beschützen, und nur deshalb euer Gast geworden, um das Recht zu besitzen, euch von diesen Halunken zu befreien.«

»Du – – – uns – – –?« wiederholte er in ganz demselben ungläubigen und erstaunten Ton wie vorher. »Wie wäre das möglich! Du bist mit uns, und wir sind mit dir verloren. Sie werden keine Gnade walten lassen!«

»Ich verlange keine Gnade von ihnen; sie aber werden froh sein, wenn sie die meinige erlangen.«

»Ja, so ist es; dieser mein Sihdi hat recht,« stimmte mir Ali bei. »Er fürchtet sich vor keinem Menschen und vor keinem Tier; er hat den Löwen geschossen und den schwarzen Panther ganz allein und mitten in der Nacht getötet. Er hat den Salzsee des Verderbens durchquert, ohne sein Leben zu verlieren; er schießt mit seinen Gewehren tausendfach, ohne daß er zu laden braucht. Hast du noch niemals seinen Namen gehört? Du mußt ihn kennen, denn er ist schon oft in der Wüste gewesen und hat noch niemals einer Raubkarawane seinen Rücken gezeigt.«

Diese allerdings außerordentlich übertriebene Schilderung brachte eine erstaunliche Wirkung hervor: der Scheik erhob mit einer Bewegung der Ueberraschung seine Hände, zog die Brauen erwartungsvoll empor und fragte: »Wie ist dieser Name? Schnell, sage ihn mir!«

»Er heißt Emir Kara Ben Nemsi und ist – – –«

»Kara Ben Nemsi Effendi!« fiel ihm der Uelad Sliman in die Rede. »Allah akbar, Gott ist groß! So ist dieser dein Effendi der Fremdling, der über die Salzkruste des Schott Dscherid nach Kbilli geritten ist?«

»Derselbe.«

»Der dann den Krumir über den Schott gejagt und ihn gefangen genommen hat?«

»Ja.«

»Der später in der Mahara er rad, in der Höhle des Donners, den schwarzen Panther erschossen hat, um das Kind des Dschellad zu erretten?«

»Der ist es.«

»Hamdulillah, Preis und Dank sei Allah! Da weiß ich allerdings, daß wir nichts zu fürchten haben. Ich bin in jenen Gegenden gewesen und habe mir von diesem Emir Kara Ben Nemsi viel erzählen lassen; ich weiß, daß er Zaubergewehre besitzt und von keinem Feind jemals überwunden werden kann, sondern sie alle besiegt.« Und sich zu mir wendend, fuhr er fort: »O Effendina, verzeihe mir, daß ich Angst hatte! Ich wußte nicht, was für einen Gast ich in meinem armen Zelt habe. Nun brauche ich die Tibbu allerdings nicht zu fürchten.«

»So ist es,« bestätigte ich, um ihn in seinem Vertrauen zu bestärken. »Ihr habt von dieser Tibbuschar nichts zu befürchten. Du wirst gleich sehen, wie ich mit diesem Menschen hier umspringen werde, der es gewagt hat, mich zu bedrohen.«

Es ist kaum glaublich, wie in jenen Gegenden, wo die Nachrichten nur von Mund zu Munde gehen können, die Fama selbst eine ganz gewöhnliche Tat, ein alltägliches Vorkommnis zu vergrößern vermag. Jeder Erzähler fügt etwas hinzu, und da die Phantasie des Beduinen eine außerordentliche ist und er sich überhaupt sehr gern in Ueberschwenglichkeiten ergeht, so wird aus einer einfachen Begebenheit bald ein großartiges Ereignis und aus diesem Ereignis dann eine ungeheuerliche Heldentat, der jedermann Glauben schenkt. So war aus meinem Repetierstutzen ein Zaubergewehr geworden, aus dem ich tausendmal hintereinander schießen konnte, ohne laden zu müssen. So lächerlich dies klang, so lieb war es mir, weil mir im Fall einer Gefahr diese Fabel mehr Schutz bot, als die Waffe selbst.

Der besinnungslos am Boden liegende Tedetu begann sich zu regen; ich knüpfte seine Hüftschnur los und band ihm damit die Arme fest an den Leib. Er kam zu sich, wollte auf und konnte nicht; er starrte eine Weile fassungslos um sich; dann kam ihm die Erinnerung dessen, was geschehen war. Er machte abermals eine Anstrengung, aufzustehen und als auch dies keinen Erfolg hatte, weil er sich seiner Hände nicht bedienen konnte, stieß er einen Fluch aus und fauchte mich katzenraubtierartig an:

»Was hast du mit mir vor, du Hund? Warum hast du mich gebunden? Gib mich augenblicklich frei, wenn dich Tahaf, unser Anführer, nicht vernichten soll!«

»Hund?« antwortete ich, bückte mich nieder, faßte ihn mit der Linken bei der Achsel, hob ihn auf, gab ihm mit der Rechten zwei kräftige Ohrfeigen und ließ ihn wieder niederfallen. »So, Bube, werde ich dir diese Sprache abgewöhnen; merke es dir!«

Die Wut trieb ihm beinahe die Augen aus dem Kopf; zwischen seinen Lippen erschien roter Schaum; er wollte sprechen, brachte aber kein Wort hervor; es war nur ein Lallen zu hören.

»Und nun paß auf, was ich dir sage!« fuhr ich fort. »Dein Anführer fordert meine Auslieferung; wahrscheinlich will er mich kennen lernen, weil er mich noch nicht kennt. Das kann aber auch ganz gut und leicht geschehen, indem ich hier im Zelt bei meinem Gastfreund bleibe. Ich werde dich jetzt gehen lassen, damit du diesem Tahaf folgernde Antwort bringst: Ich bin der Gast des Scheiks und bleibe hier; ihr habt nicht um Gastfreundschaft gebeten und geht also fort. Ihr habt euch das Recht, hier zu lagern, angemaßt und ich werde euch zeigen, daß ihr es nicht besitzt. Ich befehle euch, dieses Duar augenblicklich zu verlassen.«

»Zwing uns doch!« zischte er mich an. »Wir werden dich vernichten und in die Dschehennah schicken!«

»Ja, ich zwinge euch und wenn jemand von uns in die Dschehennah geht, so werdet ihr es sein.« Ich zog ihn wieder empor, deutete zur Zelttür hinaus und erklärte ihm: »Siehst du euer größtes Zelt da drüben? Es ist jedenfalls dasjenige, das Tahaf gehört. An der Querstange sind acht Trinkgefäße aus Kürbisschale an dünnen Riemen aufgehängt. Ich werde diese Riemen mit meiner Zauberbüchse zerschießen, so daß die Kürbisse herunterfallen. Paß auf, ich tue es!«

»Das kann kein Mensch!«

»Ich kann es sogar, ohne daß ich lade.«

Ich legte den Stutzen an und zielte kurz. Acht Schüsse und es hing kein Kürbis mehr an der Stange. »Maschallah! Allah ja 'lam el Geb – Gottes Wunder! Allah kennt das Verborgene!« rief der Tedetu aus, ganz baff vor Erstaunen. »Wahrhaftig, das ist ein Zaubergewehr, das nur der Scheitan für dich angefertigt haben kann. Allah verbrenne dich!«

»Nicht mich, sondern euch wird er verbrennen. Siehst du, daß eure Männer kommen und das Wunder anstaunen? Geh jetzt zu ihnen und sag Tahaf, daß er fortziehen soll! Ich werde hier in diesem Zelt verborgen sein und aus ihm zu euch herüberschießen. Um euch Zeit zu geben, die Zelte abzubrechen und die Kamele zu satteln, gewähre ich euch eine Viertelstunde, doch nicht mehr; seid ihr dann noch nicht zum Aufbruch fertig, so schieße ich, erst ein Kamel, dann einen Mann, dann wieder ein Kamel, und wieder einen Mann, bis ihr entweder fort oder alle erschossen seid mitsamt euren Tieren.«

Er sah mir starr in das Gesicht; er hätte gern einen Zweifel oder eine Drohung ausgesprochen, wagte es aber nach dem Vorangegangenen nicht.

»Also geh und melde es! Beim Bart eures Propheten, ich halte Wort!«

»Wir werden uns wehren!« stieß er jetzt doch hervor.

»Und dabei untergehen! Du hast gesehen, wie schnell ich schieße. Ehe ihr herüberkämet, hätten meine Kugeln euch von der Erde weggefressen. Warne deine Tibbu ja, und sage ihnen, daß ich jeden von ihnen, der nur zehn Schritte von euren Zelten nach uns herüber macht, augenblicklich erschießen werde. Ihr habt nach der andern Seite abzuziehen. Geh!«

»So kann ich nicht gehen,« wandte er ein. »Meine Arme sind gebunden. Sollen meine Gefährten sehen, daß ich überwältigt und beschimpft worden bin?«

»Ja, das sollen sie; das ist deine Strafe. Wärst du höflich gewesen, so könntest du jetzt frei von dannen gehen. Du hast diese Behandlung durch deinen ›Giaur‹ und ›Hund‹ verschuldet.«

Er tat einige Schritte, wendete sich dann um und knirschte mir grimmig zu: »Allah verderbe dich in die tiefste Dschehennah hinab!« Hierauf setzte er seinen Weg wankenden Schrittes fort.

»Du wagst viel, Effendi!« warnte mich der Scheik. »Wenn sie nun alle plötzlich herüberkommen?«

»Stehe ich nicht hier mit der Zauberbüchse in der Hand? Und wenn sie noch so rasch wären, meine Kugeln würden doch noch schneller sein. Du brauchst keine Sorge zu haben.«

»Ja, wir fürchten weder Tahaf noch seine Wut,« stimmte Ali bei. »Wir sind groß und erhaben in allen Dingen. Wir kennen alle Wissenschaften im Himmel und auf Erden und sogar alles, was sich unter der Erde befindet. Niemand kann uns widerstehen!«

Der Prahlhans! Mir war gar nicht so wohl zu Mute, wie ich mich stellte. Ja, ich fürchtete mich freilich nicht; ich wußte, daß ich mit Hilfe meines Henrystutzens mit allen diesen Tibbu fertig werden würde, wenn ich sie töten wollte; aber das wollte ich nicht. Ein Menschenleben zerstört man nicht so leichten Herzens. Wenn ich mich so kaltblütig stellte, so rechnete ich auf die Angst, die sie vor meinem Gewehr haben würden; das war meine ganze Ueberlegenheit.

Ich sah den Tedetu zu den Seinen treten, die alle vor dem einen Zelt standen und die Flaschenkürbisse betrachteten. Sie staunten natürlich darüber, ihn in Fesseln kommen zu sehen. Er erzählte. Sie gestikulierten heftig und schrieen dazu. Sie griffen nach ihren Waffen und schienen herüberkommen zu wollen. Da steckte ich den Lauf meines Gewehrs zu dem Zelt hinaus; sie sahen das und blieben halten. Sie berieten, und kamen zu keinem Ergebnis. Entweder nahmen sie meine Drohung nicht ernst, weil sie den Stutzen doch noch nicht kannten, oder ihr Stolz sträubte sich dagegen, vor einem einzelnen Menschen davonzulaufen.

So vergingen fünf Minuten, zehn Minuten – eine Viertelstunde. Wenn ich meinen Zweck erreichen wollte, so durfte ich nicht schwach, nicht nachsichtig sein. Sie mußten erfahren, daß ich mein Wort hielt. Ein Kamel mußte zum Opfer fallen. Schade um das Tier, aber es ging nicht anders.

Ich zielte auf eines ihrer Hedschihns und drückte ab; es brach augenblicklich zusammen. Ein vielstimmiger Wutschrei war die Antwort, doch machten sie noch immer keine Anstalt, aufzubrechen. Nun gut! Ich, trat vor das Zelt hinaus und rief hinüber: »Hört, ihr Söhne vom Tibbustamm! Ich habe gesprochen, und werde nun handeln. Diesesmal sei noch das Leben geschont, ich will nur verwunden, nicht töten. Beim nächstenmal aber gibt es keine Gnade. Meine Kugel trifft Tahaf in den rechten Ellenbogen.«

Zugleich mit dem letzten Worte krachte ein Schuß. Tahaf zuckte zusammen und schrie laut auf. Die Kugel war ihm genau durch den Ellbogen gegangen. Im nächsten Augenblick war kein Tedetu mehr zu sehen. Sie hatten sich hinter ihre Zelte geflüchtet, die sich bald darauf zu bewegen begannen; man brach sie also ab. Meine Strenge hatte endlich die beabsichtigte Wirkung hervorgebracht. Ich hätte freilich noch strenger sein und Tahaf erschießen können, wenn mir ein Menschenleben weniger gegolten hätte.

Ich spielte trotz alledem ein gewagtes Spiel. Die Tibbu sind die wildesten und brutalsten Mohammedaner, die es nur geben kann; dazu kam, daß ich ihren Anführer verwundet hatte. Es war fast ein Wunder zu nennen, daß sie nicht trotz eines vielschüssigen Gewehrs herübergerannt kamen, um mich umzubringen. Mein Verhalten gegen ihren Boten mußte einen solchen Eindruck auf sie hervorgebracht haben, daß sie sich doch vor mir, dem einzelnen Mann, fürchteten.

Das war mir aber noch nicht genug; die augenblickliche Angst konnte schwinden, so daß sie den Angriff auf mich doch noch versuchten; ich mußte sie in Atem halten, indem ich noch eines ihrer Kamele erschoß. Sie brauchten ihre Tiere so notwendig, daß sie dann gewiß kein weiteres meinen Kugeln aussetzten. Ich wartete also nur noch eine oder zwei Minuten und gab dann den nächsten Schuß ab, der sein Ziel so genau wie die vorigen traf.

Als das Kamel niederstürzte, antwortete abermals ein vielstimmiger Schrei; dann wurde es für kurze Zeit sehr ruhig; man schien zu beraten. Hierauf trat ein Tedetu hinter dem Zelt hervor, hob wie abwehrend oder bittend die Arme in die Höhe und rief aus: »Halt ein! Schieß nicht mehr! Wir reiten fort.«

»Aber schnell, sonst schieße ich dennoch!« antwortete ich, indem ich das Gewehr im Anschlag behielt.

Jetzt arbeiteten sie außerordentlich schnell an dem Niederlegen der Zelte und an dem Zusammenbinden der Leinwand und der Stangen. Dabei konnten sie sich nicht verstecken; sie mußten sich sehen lassen, so daß es mir leicht gewesen wäre, noch einige von ihnen zu erschießen. Das tat ich natürlich nicht; ich war vielmehr froh, daß sie nichts Feindseliges gegen mich unternahmen. Ich stand zwar im Innern des Zeltes, aber der Lauf meines Gewehrs, der aus diesem hervorragte, mußte ihnen die Stellung, die ich einnahm, verraten, so daß es jedem von ihnen leicht gewesen wäre, mich aus einem verborgenen Hinterhalt mit einer Kugel zu treffen. Doch wagte keiner, dies zu tun, ein sicheres Zeichen der Angst, in die ich sie versetzt hatte.

Nach kurzer Zeit waren sie fertig und beluden ihre Kamele mit den Zeltteilen und sonstigen Gerätschaften, worauf sie aufstiegen und davonritten. Tahas war der letzte von ihnen. Ich sah, daß er sich seinen zerschossenen Ellbogen hatte verbinden lassen. Wegen dieser Verwundung konnte er nicht ohne Hilfe in den Sattel steigen; er mußte sich dabei unterstützen lassen. Als er oben saß, drehte er sich nach dem Zelt, in dem ich mich befand, um, erhob den unverletzten linken Arm, machte eine Faust und rief in drohendem Ton zu mir herüber:

»Allah rhinalek – Gott verfluche dich! Wir müssen jetzt weichen; aber wir sehen dich wieder, und dann werde ich mit dir Abrechnung halten!«

»Schieß ihn nieder, Sihdi,« forderte Ali mich auf.

»Nein,« antwortete ich, indem ich das Gewehr senkte, das ich bis jetzt im Anschlag gehalten hatte.

»Warum nicht? Er hat dich bedroht!«

»Drohungen schaden nichts.«

»Effendi, sei nicht allzu zuversichtlich!« warnte mich der Scheik. »Dieser Tahaf wird nicht ruhen, bis er sich gerächt hat! Du hast sein Blut vergossen. Denk an das Gesetz der Wüste: Ed dem b'ed dem, en nefs b'en nefs – Blut um Blut, Gleiches mit Gleichem!«

»Ich denke daran. Er wird sein Blut von mir fordern. Heute nacht wird er uns zu überfallen suchen.«

»Ja, Effendi, diesen Vorsatz hat er ganz gewiß gefaßt. Wir müssen uns auf einen Angriff vorbereiten. Am besten ist's, wir brechen unsere Zelte auch ab und entfernen uns, bis die Tibbu diese Gegend verlassen haben.«

»Das ist nicht nötig. Ich werde euch beschützen. Verlaß dich auf mich!«

Er schüttelte bedächtig den Kopf und sagte: »Effendi, du weißt, daß ich von dir gehört habe und dich für einen tapferen Krieger halte; aber wie kannst du, ein einzelner Mann, unser ganzes Duar in Schutz nehmen?«

Da fiel Ali schnell ein: »Wie er das tun wird? Das laß nur Sache meines Sihdi sein! Er und ich, wir beide sind die größten Helden, die es in der großen Wüste gibt, und wenn wir versprechen, daß wir euch beschützen werden, so könnt ihr sicher sein, daß – – –«

»– – – daß es für dich viel besser ist, zu schweigen, als solche Reden zu halten,« unterbrach ich ihn. Und mich an den Scheik wendend, fuhr ich fort: »Ich muß zunächst erfahren, wo die Tibbu lagern werden; ich werde ihnen also folgen. Dazu taugen unsere Kamele nichts. Willst du mir zwei Pferde leihen?«

»Gern. Aber warum zwei?«

»Weil ich nicht allein reite; es soll mich einer von deinen Kriegern begleiten, den du auswählen wirst. Er muß ein tapferer, listiger und gewandter Mann sein und die Sprache der Tibbu gut verstehen.«

»Warum das?«

»Weil ich sie belauschen möchte.«

»Um Allahs willen, tut das nicht, denn sie werden euch bemerken und erwischen!«

»Nein. Ich habe gelernt, mich einem Feind unbemerkt zu nähern.«

Er hatte keine Ahnung von der Art und Weise, in welcher z. B. ein nordamerikanischer Indianer seinen Gegner beschleicht und belauscht, und es dauerte noch einige Zeit, ehe er denjenigen bestimmte, der mich begleiten sollte. Am liebsten hätte ich Ali mitgenommen; aber dieser war der Tibbusprache nicht so mächtig, wie ich es für notwendig hielt. Eben verschwanden die Tibbu am östlichen Horizont, als wir uns auf die Pferde setzten und ihnen nachritten. Ich hatte mein Fernrohr bei mir und konnte die Feinde also aus so weiter Entfernung beobachten, daß sie mich nicht zu sehen vermochten.

 

3. Der Mann aus Bilad Amirika.

Der Uelad Sliman, den mir der Scheik mitgegeben hatte, war zwar ein noch ziemlich junger Mann; doch stellte es sich heraus, daß die Wahl eine sehr gute gewesen war.

Mit Hilfe des Fernrohrs konnte ich den Tibbu vollständig unbemerkt folgen. Es verstand sich ganz von selbst, daß sie die östliche Richtung eingeschlagen hatten, um uns zu täuschen. Als ich dies meinem Begleiter sagte, antwortete er: »Da hast du ganz recht, Effendi, denn Kaïrwan liegt doch nicht im Osten von hier.«

»Kaïrwan?« fragte ich. »Wie kommst du auf diesen Ort zu sprechen?«

»Kennst du diese Stadt?«

»Nein. Ich bin noch nicht dort gewesen.«

»Das glaube ich, denn das wäre ein Wagnis, das du wahrscheinlich mit dem Tod bezahlt hättest. Kaïrwan gehört zu jenen Städten der Gläubigen, die kein Nichtmohammedaner betreten darf. Jemand, der dort als Christ oder Jude erkannt wird, ist unbedingt verloren. Wie die Anhänger des Propheten nach Mekka und Medina pilgern, so wandern sie auch nach Kaïirwan. Die Okba-Moschee dort ist eines der heiligsten Gotteshäuser des Islam, das allerheiligste in Afrika, denn in ihr liegt El-Waib begraben, welcher der Busenfreund und stetige Begleiter des Propheten war. Wer Kaïrwan besucht hat, darf sich ebenso gut Hadschi nennen, als ob er in Mekka oder Medina gewesen wäre.«

»Was haben diese Tibbu damit zu tun?«

»Was? Hast du nicht den grünen Sandschak Fahne des Propheten. gesehen, der über dem Zelt Tahafs wehte?«

»Allerdings.«

»Und daß nicht nur die Tibbu, sondern auch ihre Kamele ihre Mesabih Rosenkränze. an den Hälsen hängen hatten?«

»Auch das?«

»Nun, daraus konntest du erkennen, daß sie auf der Hadsch Pilgerreise. nach Kaïrwan begriffen sind.«

»Gut! Kaïrwan liegt in Tunis, nordwestlich von hier. Wenn die Tibbu nach Osten reiten, so wollen sie uns täuschen. Sie werden einen Bogen reiten und über Süden nach dem Wadi zurückkehren. Paß auf!«

»Das denke ich auch, Effendi. Ich möchte sogar sagen, daß ich den Ort kenne, wo sie lagern werden.«

»Wo ist das?«

»Sie sind fortgeritten, ohne ihre Schläuche gefüllt zu haben, und brauchen also Wasser. Der eigentliche Brunnen von Wadi Kouhr liegt bei unserem Duar; aber zwei kleine Reitstunden östlich davon gibt es auch eine Stelle, wo man Wasser findet, wenn auch weniger als bei uns. Dort stehen auch Fitna-Sträucher Eine Akazienart., mit denen sie sich ein Feuer anzünden können. Diese Stelle werden sie aufsuchen, um dort zu lagern und in der Nacht nach unserem Duar zu kommen und uns zu überfallen.«

»Ganz richtig! Ich sehe soeben durch mein Fernrohr, daß sie nach Süden umbiegen.«

»Wollen wir nicht auch diese Richtung nehmen?«

»Nein. Wir bleiben hinter ihnen, ganz genau auf ihrer Spur; das ist besser.«

Soeben hatte die sinkende Sonne den Horizont erreicht, und die in jenen Gegenden sehr kurze Dämmerung begann; ich betrachtete deshalb den Tibbutrupp jetzt schärfer als bisher, um mir die Gegend, wohin er ritt, genau zu merken, und da sah ich, daß er sich nicht mehr in Bewegung befand, sondern angehalten hatte. Wir hemmten also die Schritte unserer Pferde auch, bis unsere Gegner weiterritten. Das geschah, als es so dunkel geworden war, daß ich sie kaum noch erkennen konnte.

Nun durften wir uns mehr nähern als bisher. Wir ritten also im Trab auf die Stelle zu, wo sie angehalten hatten. Mein Ortssinn war geübt genug, diesen Platz trotz der Dunkelheit nicht zu verfehlen. Als wir ihn erreichten, schnaubten unsere Pferde und wollten nicht weiter. Wir sahen einige Gegenstände vor uns liegen und stiegen ab, um zu untersuchen, was es sei.

»Roob-Allah – Schreck Gottes! Das sind Leichen!« rief der Uelad erschrocken aus.

Er hatte recht; es waren drei Leichen. Hatten sie schon dagelegen, als die Tibbu hier vorüberkamen? Ich untersuchte sie. Sie waren noch ziemlich warm und ich fühlte Blut an meinen Händen.

»Diese Leute sind von den Tibbu ermordet worden!« erklärte ich. »Sie begegneten ihnen und wurden getötet und wahrscheinlich ausgeraubt.«

»Weißt du das gewiß?«

»Werden gleich sehen.«

Ich untersuchte die Taschen der drei Leichen; sie waren alle leer, und auch in ihren Gürtelschnuren befand sich oder hing nicht der geringste Gegenstand.

»Ja, sie sind von den Tibbu ermordet und beraubt worden,« wiederholte ich. »Wer mögen sie gewesen sein?«

Der Uelad Sliman betastete sie und ihre Kleidungsstücke sehr sorgfältig und behauptete dann: »Es scheinen Leute aus Kufra zu sein. Was wollen die aber in dieser Gegend?«

»Kommt von dort niemand hierher?«

»Ganz selten, und dann nur als Führer von fremden Reisenden, die sie begleiten.«

»Wenn dies auch hier der Fall wäre, so hätten also die Tibbu den oder die Fremden mit sich fortgeschleppt!«

»Ja, um ein Lösegeld zu erpressen und die Gefangenen dann dennoch nicht freizugeben. Wer diesen Wüstenräubern in die Hände fällt, ist verloren.«

»Dann müssen wir ihnen schnell nach. Hier können wir nicht mehr helfen. Wollen keine Zeit versäumen. Getraust du dir, trotz der Dunkelheit die Wasserstelle zu finden, von der du vorhin gesprochen hast?«

»Ja, ich werde sie nicht verfehlen.«

»Dann fort von hier! Vielleicht ist es uns möglich, ein Menschenleben zu retten.«

So wenig wir hier getan hatten, es war doch während der Untersuchung der Leichen eine Viertelstunde vergangen, die wir einholen mußten. Wir durften uns freilich nicht allzusehr beeilen, wenn wir den Tibbu nicht so nahe kommen wollten, daß sie uns hörten oder überhaupt bemerkten, ehe sie den Lagerplatz erreichten. Ich mußte mich da ganz auf den Uelad Sliman verlassen. Die Sterne waren zwar aufgegangen, aber sie leuchteten noch nicht hell; die mahlenden Schritte unserer Pferde im tiefen Sand waren weiter zu hören, als wir sehen könnten.

Mein Begleiter rechtfertigte das Vertrauen, das ich in ihn setzte. Wir mochten, seit wir das Duar verlassen hatten, ungefähr zwei Stunden geritten sein, da leuchtete grad vor uns eine kleine Flamme auf, die um so größer und heller wurde, je mehr wir uns ihr näherten.

»Das ist das Lagerfeuer, das die Tibbu angebrannt haben. Wir reiten doch nicht ganz hin?« fragte mein Führer.

»Beschreib mir die Stelle! Also es gibt Sträucher dort. Ist die Gegend eben?«

»Nein, denn der Ort stößt an die obere, äußere Seite des Wadi, an deren innerer Seite da unten rechts unser Duar liegt. Diese äußere Talwand ist eingebogen wie eine kleine, enge Bucht, die von Fitna-Sträuchern eingefaßt wird. Das Wasser steht im Hintergrund dieser Bucht.«

»So werden sie da hinten lagern. Hast du den Mut, durch diese Sträucher bis in den Rücken der Tibbu zu kriechen?«

»Ich bin nicht furchtsam, Effendi, und da du bei mir bist, so habe ich erst recht keine Angst.«,

»So wollen wir erst seitwärts reiten, um eine Stelle zu suchen, wo wir unsere Pferde lassen können.«

Ein solcher Ort war bald gefunden. Wir kamen an die Felsenhügel, welche die Nordseite des Wadi bildeten, und fanden einige große Steine, an die wir die Pferde banden. Hierauf unterrichtete ich den Uelad Sliman eingehend, wie er sich zu verhalten hatte, und dann schlichen wir uns, ich voran und er hinter mir, nach dem Lagerplatz der Tibbu hin. Als wir nahe genug gekommen waren, legten, wir uns nieder, um den weiteren Weg kriechend zurückzulegen.

Zu unserm Vorteil war das Feuer nur klein; es leuchtete nur wenige Schritte weit und war doch hell genug, den Schein der Sterne unwirksam zu machen. Erwähnt muß werden, daß wir unsere hellen Haïks Mäntel. im Duar zurückgelassen hatten; nun waren unsere Anzüge so dunkel, daß sie nicht von dem Erdboden unterschieden werden konnten.

Der Lagerplatz hatte die nach außen offene Form eines Hufeisens. Hinten gab es Wasser; weiter vorn brannte das Feuer, um das sich die Tibbu gesetzt und gelegt hatten. Außen, vor dieser Bucht, lagen die Kamele. Diese Halbrundung war mit Büschen besäumt, die aber so dünn standen und so wenig Laub hatten, daß sie uns keine Deckung gewährten. Uns in die Bucht hineinzuschleichen, war also leider nicht möglich. Aber da, wo sie auf unserer Seite begann, sich einwärts zu biegen, gab es einige große Felsstücke, hinter die wir uns verstecken konnten. Wir erreichten sie glücklich und schmiegten uns so eng an sie, daß wir selbst dann, wenn sich ein Tedetu uns näherte, hoffen durften, nicht von ihm bemerkt zu werden.

Die Tibbu ahnten keinen Menschen in der Nähe und sprachen so laut, daß wir jedes Wort hören konnten – – verstehen aber konnte ich nichts; ich beschäftigte also meine Augen mehr als meine Ohren.

Tahaf saß aufrecht am Feuer und trug seinen rechten Arm in einer notdürftigen Binde. Neben ihm saß finsteren Blicks ein Mann, dessen Hände und Füße gefesselt waren. Er mochte dreißig Jahre alt sein. Sein von einem schönen, blonden Vollbart umrahmtes Gesicht war von der Sonne dunkel gebrannt. Die Farbe seiner Augen zu erkennen, war mir nicht möglich; aber ein Gesicht mit einem solchen Bart konnte nur blaue Augen haben. Wer war dieser Mann? Ein Beduine jedenfalls nicht. Wohl gar ein Europäer! Es stand sofort bei mir fest, daß ich diesen Ort nicht verlassen würde, ohne ihn befreit zu haben. Aber wie?

Die Räuber unterhielten sich, wie schon erwähnt, sehr eifrig und verzehrten dabei ihr einfaches Abendessen. Dieses bestand aus Kuskussu, d. i. Mehl, das sie mit den Fingern in kaltem Wässer einrührten und dann auch so mit den Fingern aßen. Die Gefäße, deren sie sich dabei bedienten, waren solche ausgehöhlten Kürbisschalen, wie ich heut einige von der Zeltstange geschossen hatte. Seitwärts von dem Feuer und zwar außerhalb des Kreises, den die Tibbu bildeten, lag ein kleiner Haufen von Gegenständen, um die sich ihr Gespräch zu drehen schien. Das wären jedenfalls die Sachen, die sie dem Gefangenen und seinen Begleitern abgenommen hatten.

Tahaf aß von demselben Gericht wie seine Leute. Den Blicken, die er dabei auf den Blonden warf, sah ich es an, daß er vorhatte, ihn nach dem Essen ins Verhör zu nehmen; darum stieß ich meinen Gefährten an, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, und fragte ihn: »Verstehst du, was sie sprechen?«

»Ja.«

»Wovon reden sie?«

»Von dem Fremden. Sie wissen nicht, wer er ist; er hat es ihnen nicht gesagt.«

»Was soll mit ihm geschehen?.«

»Sie wollen Lösegeld verlangen. Sagt er aber jetzt nach dem Essen nicht, wer er ist und ob er reich ist, so wird er sofort getötet.«

»Wir helfen ihm!«

»Maschallah – Wunder Gottes! Auf welche Weise?«

»Ich habe keine Zeit, zu warten und zu überlegen; ich sehe nur eine Möglichkeit, ihn und zugleich sein Eigentum zu retten. Ich werde Tahaf packen und festnehmen.«

»Effendi, das ist wahnsinnig! Wir würden den Gefangenen nicht befreien, sondern mit ihm verloren sein.«

»Nein. Ich weiß, wie man so etwas zu machen hat, wenn es auch nicht ungefährlich ist. Die Hauptsache ist, daß du tust, was ich dir sage. Du bist doch kräftig genug, einen Menschen zu tragen?«

»Ja, Effendi.«

»So hast du hier meine Gewehre; halte sie einstweilen! Sie würden mir nur hinderlich sein. Paß genau auf! Ich springe mitten unter die Tibbu hinein und hole Tahaf heraus. Du bleibst hier versteckt, bis ich ihn bringe. Da gibst du mir die Gewehre wieder, nimmst ihn und trägst ihn so rasch wie möglich zu unseren Pferden – – –«

»Er wird sich wehren!« unterbrach er mich.

»Nein, denn er wird bewußtlos sein. Bei den Pferden angekommen, legst du ihn hin, bindest sie los und wartest, bis ich komme. Ich steige auf; du hebst ihn zu mir hinauf und springst auch in den Sattel; dann reiten wir fort!«

»Aber, Effendi, das ist ja – – –«

»Still!« fiel ich ihm in die Rede. »Ich sehe, daß Tahaf beginnen will. Hier nimm die Gewehre! Kein Wort weiter! Es wird alles leicht und schnell vonstatten gehen!«

Ich konnte mich nicht länger mit dem Uelad Sliman abgeben, denn ich sah und hörte, daß Tahaf mit dem Gefangenen zu reden begann, und zwar in der Tibbusprache, die dieser nicht zu verstehen schien, denn er antwortete nicht. Da bediente sich der Tedetu des Arabischen; ich hörte ihn sagen:

»Dein Leben hängt an diesem Augenblick. Antwortest du nicht, so fährst du in einigen Minuten in die Dschehennah. Also sag uns, wer du bist!«

»Ich bin ein Mann, der Raubmördern keine Auskunft gibt.«

Das war kühn! Ich stand sprungfertig.

»Hund!« fuhr Tahaf ihn an, indem er aufstand, sich drohend vor ihn hinstellte und die linke Hand zur Faust ballte. »Es kostet mich nur einen Wink, so bist du eine Leiche! Sag augenblicklich, woher du kommst!«

»Das brauchst du nicht zu wissen!«

»Bist du reich?«

Die nächste Antwort entschied über Leben und Tod, das sah ich! Wenn der Fremde die Auskunft wieder verweigerte, so gab Tahaf den von ihm erwähnten Wink. Ich durfte nicht zögern. Der Anführer der Tibbu stand vielleicht zwölf Schritte von mir entfernt, und zwar mit dem Rücken nach mir gerichtet. Aller Augen hingen an ihm und dem Gefangenen. Fünf, sechs schnelle Schritte, und ich stand hinter ihm, nahm ihn mit der linken Hand bei der Kehle, schlug ihm die rechte Faust an die Schläfe, warf ihn mir über die Schulter und eilte zurück.

»Hier hast du ihn! Meine Gewehre her, und fort, fort!«

Ich bekam die Flinte, und der Uelad Sliman packte den besinnungslosen Tedetu, um mit ihm fortzueilen. Das war so schnell geschehen, daß bis jetzt kein einziger der Tibbu sich bewegt oder einen Laut von sich gegeben hätte. Sie saßen starr. Der Felsen deckte mich; ich legte hinter ihm hervor den Henrystutzen auf sie an und rief:

»Seht hier die Zauberflinte! Wer sich von der Stelle bewegt, den trifft die Kugel. Bleibt ihr aber sitzen, so wird keinem Menschen und auch Tahaf nichts geschehen!«

Sie saßen noch immer wie versteinert.

»Wer ist nach Tahaf der Oberste von euch?« fragte ich.

Niemand antwortete.

»Antwortet, sonst frißt euch mein Zaubergewehr! Wer ist der Oberste von euch?«

»Dieser,« antwortete endlich einer, indem er auf denjenigen Tedetu zeigte, der heut als Bote in dem Zelt des Scheiks bei uns gewesen war.

»Ah, du also?« wendete ich mich an diesen. »Ich spreche mit dir und du wirst mir antworten, sonst muß ich dich niederschießen. Du kannst dir denken, daß ich nicht allein hier bin. Tahaf ist schon fortgeschafft; er ist verloren, wenn ihr mir nicht gehorcht. Binde dem Gefangenen augenblicklich die Hände und Füße los!«

Die Angst trieb ihn, diesem Befehl nachzukommen; schon hatte er die Hände dazu ausgestreckt; da zog er sie wieder zurück.

»Vorwärts, schnell! Ich zähle nur bis drei: Eins, – zwei – – –«

Jetzt gehorchte er. Der Fremde war nicht mehr gefesselt.

»Herr, wer bist du?« fragte dieser; »wem danke ich diese Rettung?«

»Das wirst du erfahren. Komm jetzt herüber und bringe die Riemen mit, mit denen du gebunden warst!«

»Ich kann nicht gehen, ein Schuß hat mich ins Bein getroffen, als diese Tibbu uns überfielen.«

»So bleibe vorläufig! Sie mögen dich gut verbinden, wenn sie das Leben Tahafs retten wollen. – Ihr Männer vom Tibbustamm, dieser Mann wird über Nacht bei euch bleiben und muß frei ruhen und schlafen können, nichts darf ihm geschehen! Fügt ihm kein Leid zu, sonst ist das Leben eures Anführers verwirkt! Hütet euch, diesen Platz vor der Morgenröte zu verlassen! Sobald die Morgenröte erscheint, kommen zwei von euch mit dem Fremden nach dem Duar und bleiben fünfhundert Schritte davor halten. Er muß alles wiederbekommen, was ihr ihm genommen habt. Fehlt nur ein einziger Gegenstand, so kommt Tahas nicht frei. Habt ihr es gehört?«

»Wir sind nicht taub! Allah vernichte dich!« antwortete der Unteranführer.

»So sind wir für heute fertig!«

Ich trat hinter den Felsen zurück und blieb einige Augenblicke lauschend stehen. Keiner bewegte sich; sie hatten Angst. Da sprang ich fort, nach der Stelle, wo der Uelad Sliman mich, erwartete.

»Hamdulillah, daß du kommst, Emir!« empfing er mich. »Du bist ihnen entgangen? Welch ein Wunder!«

»Es war leichter, als du denkst. Du hast deine Sache gut gemacht; ich muß dich loben!«

»O, ich war kaum hier angelangt, so kam dieser Tahas schon wieder zu sich. Ich habe ihn aber schnell gefesselt und ihm einen Knebel in den Mund gesteckt.«

»Das war recht! Hattest du Riemen oder Stricke? Ich wollte mir welche geben lassen.«

»Ein Ben Arab Araber. hat stets so etwas bei sich. Wann reiten wir fort von hier?«

»Sogleich. Reich mir den Kerl herauf!«

Ich stieg in den Sattel und nahm den Gefangenen quer vor mich hin; dann ging es im Trab nach dem Duar zurück. Es läßt sich denken, welches Aufsehen wir mit der Erzählung dessen, was geschehen war, erregten. Die guten Leute erschraken zunächst; sie fürchteten die Rache der Tibbu; als ich ihnen aber erklärte, daß ich Tahaf nicht eher freilassen würde, als bis er den heiligsten Eid abgelegt hatte, sich nicht zu rächen, da beruhigten sie sich.

Der Gefangene wurde in das Zelt des Scheiks geschafft und da festgebunden, wo auch ich wieder mein Unterkommen fand. Man hatte bis jetzt mit dem Essen auf uns gewartet und es läßt sich denken, daß ich es mir nach dem gelungenen Streich sehr gut schmecken ließ.

Die Uelad Sliman waren nicht ganz ohne Sorge, daß die Tibbu doch kommen könnten, um ihren Anführer zu befreien; ich aber war überzeugt, daß sie dies nicht wagen würden, weil sie dadurch sein Leben in die größte Gefahr bringen mußten, und es gelang mir, den Scheik zu beruhigen. Selbstverständlich aber wurden Wachen ausgestellt.

Tahaf befand sich in einem Zustand ohnmächtiger Wut und überschüttete mich zunächst mit Schmähungen, die ich so ruhig hinnahm, als ob ich gar nichts hörte. Nach und nach aber kam er zur Einsicht, daß ihm dies keinen Vorteil bringe; er nahm einen anderen Ton an und versuchte, mit mir zu verhandeln.

»Dieser Fremde soll euch gegen mich ausgeliefert werden,« sagte er, »aber die Beute, die wir gemacht haben, geben wir nicht wieder her!«

»Laß dich nicht auslachen,« antwortete ich. »Wir geben dich frei und du behältst alles, was du bei dir trägst, und ihr laßt ihn frei mit allem, was ihm gehört.«

»Da mache ich nicht mit!«

»Ob du mitmachen willst oder nicht, darauf kommt es nicht an; du hast hier gar keinen Willen. Sei froh, daß ich nicht viel strengere Bedingungen gestellt habe!«

»Was könnte strenger sein?«

»Der Blutpreis für die drei, die ihr getötet habt!«

»Fahr zur Hölle!«

Ohne diesen frommen, Wunsch zu beachten, fuhr ich fort: »Ich bleibe streng bei meiner Forderung. Du wirst gegen ihn ausgewechselt: er bekommt sein sämtliches Eigentum, und du schwörst bei Allah, dem Propheten und allen Kalifen, daß du diese Gegend sofort verlassen und dich an den Bewohnern des Duars nie rächen wirst.«

Er fuhr trotz seiner Fesseln halb empor und fragte höhnisch: »Etwa auch nicht an dir?«

»Meine Person kommt gar nicht in Betracht. Räche dich an mir, so oft und so sehr du willst! Ueber die Rache eines Wurms, wie du bist, lache ich.«

»So lache jetzt! Es wird die Zeit kommen, wo du nicht mehr lachen wirst!«

Diese Drohung ließ mich natürlich kalt und raubte mir keine Minute von dem Schlaf, der mich dann in die Arme nahm. Während ich schlief, saß neben mir ein Uelad Sliman, der Tahaf streng zu bewachen hatte und uns bei Tagesgrauen wecken mußte.

Als dies letztere geschehen war, nahmen wir den Gefangenen entscheidend vor. Er weigerte sich wieder, auf meine Bedingungen einzugehen.

»Gut, so ziehe ich das, was ich gesagt und versprochen habe, nun wieder zurück,« erklärte ich. »Ich gebe dich also nicht frei. Du wirst unser Gefangener bleiben und wegen der drei Männer, die ihr gestern ermordet habt, zur Rechenschaft gezogen und auf das strengste bestraft werden.«

»Und unser Gefangener wird das mit dem Leben bezahlen müssen,« antwortete er höhnisch.

»Da verrechnest du dich! Dieser Gefangene wird in sehr kurzer Zeit seine Freiheit zurückerhalten.«

»Meine Krieger geben ihn nicht her, wenn ich nicht dabei bin und es ihnen erlaube.«

»Dich brauche ich nicht dabei. Du weißt, was ich zu ihnen gesagt habe. Es werden nur zwei von ihnen kommen und ihn bringen. Mit diesen beiden werde ich schnell fertig. Ich bedarf nicht der geringsten Hilfe dabei.«

»Entweder bist du der Scheïtan Teufel. selbst, oder die Schejatin Mehrzahl von Scheïtan. geben dir diese Gedanken ein!« fuhr er mich wütend an.

»Beleidige mich nicht, ich warne dich! Du siehst daß es Tag werden will, ich gehe, um deine beiden Krieger zu empfangen, und frage dich zum allerletztenmal: Willst du tun, was ich von dir verlange?«

»Nein!«

»So sind wir fertig!«

Ich stand auf und nahm meine Gewehre zur Hand; der Scheik und Ali taten dasselbe. Sie verließen das Zelt, und ich folgte ihnen. Eben ließ ich den Türvorhang hinter mir fallen, da beeilte er sich, uns nachzurufen:

»Halt, kommt zurück! Ich will einverstanden sein!«

Wir gingen wieder hinein, und er bequemte sich endlich zu den Versprechungen, die ich von ihm gefordert hatte, und die er mit einem Schwur, den ihm der Scheik als Mohammedaner vorsagte, bekräftigen mußte. Hierauf banden wir ihn von der Zeltstange los und führten ihn gefesselt mit hinaus.

Es schlief kein Mensch mehr, sondern alle Bewohner des Duar waren wach, um zu sehen, ob die Auswechslung der beiden Gefangenen so glatt vor sich gehen würde, wie ich gesagt hatte. Alt und jung, Mann, Weib und Kind lief mit hinaus vor das Zeltdorf. Eben begann der Himmel, sich zu röten, und aller Blicke waren gegen Osten gerichtet, da sahen wir eine Reiterschar von dorther langsam näherkommen. Es waren die Tibbu. Sie blieben, als sie uns bemerkten, halten, und von ihnen trennten sich drei Reiter, die drei ledige Kamele mit sich führten und ungefähr fünfhundert Schritte von uns anhielten. Diese ledigen Kamele hatten den drei ermordeten Begleitern ihres Gefangenen gehört. Sie mußten natürlich mit ausgeliefert werden.

Der Scheik und ich nahmen Tahaf, der an den Händen gefesselt war, in die Mitte und gingen ihnen entgegen. Fünfzig Schritte vor ihnen blieben wir stehen. Ich nahm meinen Stutzen in die Höhe und rief ihnen zu »Wir kommen im Frieden; aber bei der geringsten verdächtigen Bewegung werde ich Tahaf und euch erschießen! Hat euer Gefangener alles von euch zurückerhalten?«

»Ich habe alles,« antwortete er selbst. »Es fehlt nichts.«

»Ist deine Wunde verbunden worden?«

»Ja. Man hat mich deinen Weisungen entsprechend gut behandelt!«

»Willst du deine drei toten Gefährten rächen oder forderst du nur den Blutpreis von den Mördern?«

»Nein. Ich kannte die Männer nicht näher; sie hatten sich nur zufällig zu mir gesellt.«

»So sind wir mit diesen Tibbu fertig. Komm her mit den drei Kamelen! Tahaf mag auch gehen!«

Dies geschah. Die beiden begegneten sich auf der Mitte zwischen den Parteien. Die Tibbu zerschnitten die Fesseln ihres Anführers; er bestieg sein Kamel, und dann ritten sie davon; nicht gen Osten wie gestern, sondern nach Westen zu. Der Fremde ließ sein Kamel niederknien, stieg ab, kam auf mich zu, ergriff meine beiden Hände und sagte:

»Endlich bin ich frei und kann dir danken! Du hast mich vom sicheren Tod errettet, Herr. Wie glücklich würde ich sein, wenn ich es dir vergelten könnte! Wer sind diese Leute?«

»Die Bewohner dieses Duar. Sie gehören zu dem berühmten Stamm der Uelad Sliman.«

»Du auch?«

»Nein. Ich bin ebenso ihr Gast, wie du es sein wirst.«

»Ja, sei unser Gast! Wir heißen dich willkommen!« sagte der Scheik zu ihm, indem er ihn bei der Hand ergriff. »Komm mit in mein Zelt!«

Er führte ihn in das Duar und in sein Zelt. Die Frauen sangen laut ihr »Ahla wa sahla wa marhaba« Willkommgruß. und auch die Kinder stimmten ein.

Ich war gewöhnt, stets vorsichtig zu sein, und bat den Scheik, den Tibbu einige Reiter nachzusenden. Wir mußten wissen, ob sie wirklich fortritten oder die Absicht hatten, das gegebene Versprechen zu brechen und Rache an den Uelad Sliman zu nehmen. Die Boten brachten dann am nächsten Tag die beruhigende Nachricht, daß die Feinde ohne Aufenthalt westwärts geritten seien.

Natürlich hätten wir gar zu gern gewußt, wer und was der Fremde war; aber das Gesetz der Wüste verbot, sofort darnach zu fragen. Wir beobachteten einander während des ganzen Vormittags, und ich machte da die Bemerkung, daß er aus mir ebensowenig klug wurde, wie ich sein Wer und Was erraten konnte. Es kam erst dann zur Aufklärung, als es zu Mittag wieder einen gebratenen Hammel gab und wir das Mahl nach mohammedanischer Weise mit dem gebräuchlichen »El Hamd ul illah« einleiteten. Er sprach diesen Ausruf nicht mit aus und entschuldigte sich:

»Ihr dürft mir mein Schweigen nicht übelnehmen; ich bin kein Moslem, sondern ein Christ.«

»Ein Christ?« fragte ich. »Also wohl auch kein Orientale?«

»Nein. Meine Heimat liegt im Bilad Amirika.«

»Wohl gar in den Vereinigten Staaten?«

»Wie, du kennst dieses Land?« fragte er verwundert.

»O, ich kenne die Dschigrafja« Geographie., stellte ich mich stolz. »Nenne mir nun einmal deinen Namen und die Stadt, die deine Heimat ist!«

Er hielt mich für einen Beduinen, lächelte ein wenig und antwortete: »Ich heiße Dixon und bin in Stenton geboren.«

»In Stenton? Also in Arkansas?« antwortete ich.

»Was? Wie? Du kennst sogar diesen Namen?« fragte er im höchsten Grad verwundert.

Sein Erstaunen war mir ein Vergnügen. Da fuhr mir aber mein schwatzhafter Ali drein, der dem Amerikaner zurief: »Natürlich kennt er sie! Mein Effendi ist ja auch ein Christ und zwar ein Almani!«

»Ein Almani? Ein Deutscher?«

»Allerdings,« lachte ich jetzt und fuhr in englischer Sprache fort: »Aber auch in Eurer Muttersprache können Wir uns unterhalten!«

»Dieses Zusammentreffen ist ja großartig!« frohlockte er. »Ihr müßt mir erzählen, wie Ihr hierher gekommen seid. Was mich betrifft, so bin ich Aegyptolog und Arabist, wenn ich es so nennen darf, der in diesem merkwürdigen Land aus eigener Neigung Forschungen anstellt; mein Vater ist ein Bankier und seine Mittel ermöglichen es mir, meinem Beruf ohne Sorge ums tägliche Brot nachzugehen. Den Orient bereise ich nun schon vier Jahre und war jetzt unterwegs von Erbehna nach Mursuk.«

»Um so mehr freut es mich, Euch hier kennen zu lernen, denn auch mein Weg führt nach Mursuk zurück.« Ich nannte ihm nun auch meinen Namen und fuhr fort: »Mursuk ist mir bekannt und wenn es Euch recht ist, werdet Ihr mit mir bei meinem Gastfreund Manasse Ben Aharab absteigen.«

»Das ist der jüdische Handelsherr?« fragte er, indem ihm eine tiefe Röte ins Gesicht schoß und dann schnell wieder daraus verschwand.

»Ihr kennt ihn ebenfalls?«

»Ja – – – dehnte er verlegen.

» Well!« lenkte ich ab. »Ist vorläufig Nebensache. Jetzt sind wir nicht in Mursuk, sondern noch hier und wollen uns den Hammel schmecken lassen. Wir haben während dieser Erkennungsszene unsern Gastfreund ganz vergessen und dürfen nicht länger nachlässig gegen ihn sein.«

Ich langte tapfer zu; Dixon aber aß fast gar nicht mehr; aus welchem Grund? Aus Freude über unser Zusammentreffen oder weil ich den Namen Manasse Ben Aharab genannt hatte? Mir schien, das letztere war der Fall.

Die braven Uelad Sliman wünschten, daß wir längere Zeit bei ihnen blieben; ich wäre am liebsten bald wieder fortgeritten, weil ich meiner jungen Freundin Rahel versprochen hatte, bald zurückzukehren; aber in der folgenden Nacht stellte sich bei Dixon ein Wundfieber ein, das, obgleich es sich nur um einen Streifschuß handelte, länger anhielt, und selbst dann, als es überstanden war, durfte bei dem dortigen Klima an einen dreitägigen Ritt nicht gedacht werden. Wir blieben also eine volle Woche und verabschiedeten uns dann in der herzlichsten Weise von den Beduinen, die uns so freundlich aufgenommen hatten und nur ungern ziehen ließen. Dixon ließ ihnen die drei Kamele mit allem Zubehör zurück und beschenkte sie auch noch mit anderen Gegenständen. Von mir erhielt jeder ein aufrichtiges Allah jusallimak »Gott segne dich!«.; mehr konnte ich nicht geben, denn ich hatte keinen Vater, der Bankier zu Stenton in Arkansas war. – – –

 

Manasse Ben Aharabs Tod.

Und wieder sah ich Mursuk vor mir liegen mit seinen Melonenpflanzungen, seinen Granaten- und Feigengärten und seinen Palmenwäldern. Von der letzteren Pflanze hat der ebenso berühmte wie unglückliche Afrikareisende Vogel in der Umgegend der Stadt beinahe vierzig Abarten gezählt.

Wir waren wegen der Wunde Dixons langsam geritten und darum fast vier Tage unterwegs gewesen. Die Reise schien ihn keineswegs angegriffen zu haben, und doch befand er sich in einem Zustand, der einem Fieber, wenn auch nicht dem Febris traumatica Wundsfieber. zu gleichen schien. Er war innerlich aufgeregt; das bemerkte ich, obgleich er sich Mühe gab, es mir zu verbergen.

Er hatte sich unterwegs vielfach mit mir über Mursuk unterhalten; aber so oft ich aus Manasse Ben Aharab zu sprechen kam, hatte sich sein Gesicht verdüstert und er war augenblicklich in Schweigen verfallen. Das Zartgefühl verbot mir, eine Frage auszusprechen; aber es mußte zwischen dem Juden und ihm etwas vorgefallen sein, was ihn noch heut unangenehm berührte. War es eine Geldverlegenheit? Gewiß nicht! Ja, Manasse war einer der bedeutendsten Geldmänner von Fezzan, und ich durfte annehmen, daß Dixon ihn aus geschäftlichen Gründen aufgesucht hatte; aber beide waren reich: ein Zerwürfnis in dieser Beziehung konnte nicht vorliegen. Wenn Manasse wirklich der Gegenstand von Dixons Mißmut war, so war die Ursache, gewiß auf einem ganz anderen Gebiet zu suchen. Ich mußte an die liebe, schöne Rahel denken.

Auch ihren Namen erwähnte ich einigemale und da war er stets tief errötet. Lag es hier? Ah!

Als wir jetzt die aus Erde gestampften Umfassungsmauern der Stadt vor uns sahen, über die der gewaltige Bau des Residenzschlosses emporragte, durfte ich nicht länger zögern; ich mußte wissen, ob er mit bei Manasse Ben Aharab absteigen wollte oder nicht. Darum sagte ich: »Endlich sind wir da! Wer wird Euch ein Habakek »Sei willkommen!«. zurufen? Wo ich wohnen werde, das wißt Ihr. Wollen wir nicht beisammenbleiben, Mr. Dixon?«

Er hätte wohl gern ja gesagt; das sah ich ihm an; aber seine Antwort lautete: »Zwei Gäste in einem Hause, das ist selbst für einen wohlhabenden Mann, wenn auch nicht zuviel, so doch störend. Ich werde wieder bei meinem Mamluken Alaf wohnen.«

In Mursuk versteht man unter Mamluken die Abkömmlinge von weißen Renegaten; sie bilden den dortigen Adel.

»Ganz wie Ihr wollt, bester Freund. Das wird ja nicht verhindern, daß wir uns täglich sehen.«

»Nein. Ihr seid mir jederzeit willkommen; das brauche ich Euch nicht zu sagen.«

»Ihr mir ebenso. Wir werden uns gegenseitig besuchen.«

Er antwortete nichts darauf, und so wußte ich, woran ich war. Ich sollte ihn besuchen; er aber wollte nicht zu mir kommen; er war also mit Manasse Ben Aharab verfeindet. Wir ritten durch die erste der sehr breiten Straßen nach der zweiten, wo das Haus seines Gastfreundes lag; dort verabschiedete ich mich von ihm und setzte mit Ali meinen Weg bis zum Schloß fort, in dessen Nähe Manasse wohnte. Vor seinem nach dortiger Bauart einstöckigen, aber sehr geräumigen Hause ließen wir die Kamele niederknien und stiegen ab. Das weite Tor war verschlossen; ich bewegte den schweren, ehernen Klopfer, worauf einer der schwarzen Sklaven das Tor öffnete. Er kreuzte die Arme über der Brust und verbeugte sich tief.

»Ist der Herr daheim?« fragte ich.

»Nein, Effendi; er ist zum Pascha geritten.«

»Und die Bint el Bet?« Tochter des Hauses.

»Sie ist verschwunden, niemand weiß, wohin!«

»Was sagst du? Ist etwas vorgefallen?«

»Ja, Effendina. Issit Fräulein. Rebekka wird es dir sagen.«

Er fuhr sich mit dem Arm über die Augen und trat auf die Seite zu Ali, um diesem behilflich zu sein, die Kamele in den Hof zu schaffen; ich aber eilte spornstreichs zu Rebekka, der alten Wirtschafterin, deren ganz besonderer Liebling Rahel war. Ich fand sie in der Küche, wo sie beschäftigt war, einen Teig zu kneten. Als sie mich eintreten sah, unterbrach sie sofort ihre Arbeit, kam mit hoch erhobenen Händen auf mich zu und rief in jammerndem Ton:

»O, Effendi, wie sehnsüchtig haben wir auf dich gewartet, und wie froh ist meine Seele, daß du endlich kommst!«

Bei diesen Worten schoß auch schon ein Tränenstrom aus ihren Augen, die sie sich mit ihren teigigen Händen zu trocknen versuchte, was aber zur ganz natürlichen Folge hatte, daß sie sich diese fast vollständig verklebte.

»Was ist denn geschehen, meine gute Rebekka?« fragte ich sie. »Warum weinst du?«

»Denke dir, Rahel ist fort, fort, fort! Sie ist verschwunden, sie, die Blume unseres Hauses, der Liebling unserer Herzen. Niemand weiß wo sie sich befindet!«

»Seit wann ist sie verschwunden?«

»Wohl eine Woche schon, Effendi. Warte einmal; ich will es ausrechnen. Heut haben wir Jom el Arba'a Mittwoch. und am Jom el Chamis Donnerstag. nachts ist es geschehen; es sind also sechs Tage vergangen.«

»Und wie ist es gekommen? Erzähle mir doch!«

Sie fuhr sich wieder mit den Teighänden in die Augen, die von neuem zu tränen begannen, und antwortete: »Wie kann ich es dir erzählen? Ich bin ja nicht dabeigewesen und weiß also nicht, wie es geschehen ist.«

»Hm! Wo hast du sie denn am Donnerstag zum letztenmal gesehen?«

»Am Abend draußen im Hof. Ich holte Wasser und kehrte damit in die Küche zurück; da begegnete sie mir und sagte, daß sie noch ein wenig in den Garten gehen wolle.«

»So! Hat sie das getan? Hast du sie hineingehen sehen?«

»Ja, denn ich blieb stehen und blickte ihr, die mein Liebling ist, nach.«

»Und dann hast du sie nicht wiedergesehen? Sie ist nicht aus dem Garten zurückgekehrt?«

»Nein. Du weißt ja auch, Effendi, daß sie täglich des Abends vor dem Schlafengehen in den Garten ging. Wenn sie aus ihm zurückkehrte, kam sie, stets zu mir herein, um mir Gute Nacht zu sagen. Das hätte sie jedenfalls auch an diesem Abend getan, sie hat es nie versäumt.«

»Wann habt ihr sie vermißt? Am andern Morgen?«

»O nein, schon in der Nacht. Eben weil sie nicht zu mir kam, blieb ich wach, um auf, sie zu warten. Da sie noch immer nicht erschien, so ging ich in den Garten, um sie zu suchen; sie war nicht mehr da. Ich weckte den Herrn, dem sie den gewöhnlichen Nachtgruß auch nicht gebracht hatte. Wir suchten in ihrem Schlafzimmer, doch vergeblich. Da sandten wir Boten durch die Stadt, mein Liebling war aber nirgends zu finden.«

»Gab es im Garten keine Spur?«

»Nein. Der Herr hat es dem Pascha gemeldet. Dieser kam selbst und brachte viele Asaker und Subbat Soldaten und Polizisten. mit, welche nachforschen mußten; es wurde nichts gefunden. Dann wurde die ganze Umgegend abgesucht, doch auch vergeblich. Oh, Sihdi, wie sehnsüchtig haben wir auf dich gewartet, damit du uns helfen und raten kannst.«

»Jetzt nach sechs Tagen ist wohl jede Spur verwischt. Der Herr ist beim Pascha?«

»Ja. Er geht täglich mehreremale zu ihm, um ihn zu fragen, ob noch nichts gefunden ist, und ihn zu neuem Forschen anzuspornen. Horch! Man führt sein Pferd in den Hof; er ist also zurückgekehrt. Sprich mit ihm, Effendi, sprich mit ihm! Vielleicht gelingt es dir, eine Spur zu entdecken.«

Manasse Ben Aharab empfing mich mit einem Ausruf der Freude; er sah sehr angegriffen aus; das unerklärliche Verschwinden seiner Tochter zehrte an seinem Körper und auch an seiner Seele; das sah ich ihm sofort an. Er mußte erzählen; leider konnte er mir auch nicht mehr sagen, als was ich schon von Rebekka erfahren hatte, setzte aber trotzdem große Hoffnungen auf mich.

»Effendi, fordere von mir, was du willst, ich werde es dir geben, nur bring mir den Glanz meiner Augen, das Licht meiner Seele wieder!« bat er mich.

»Manasse, ich fühle mit dir und bin von dem, was ich erfahren habe, selbst tief erschüttert,« antwortete ich ihm; »aber wie kann ich, der hier Fremde, dir diejenige wiedergeben, die du verloren hast, nachdem alle Bemühungen des Pascha und seiner Leute vollständig vergeblich gewesen sind?«

»O, ich weiß, daß du viel erlebt und viel erfahren hast.« Du hast so manches fertig gebracht, was keinem andern gelingen wollte, und wirst auch hier einen Weg finden, der zum Ziel führt.«

»Leider muß ich das bezweifeln, doch wollen wir nichts unversucht lassen. Kommt mit mir nach dem Garten!«

Wir gingen hinaus, und ich durchsuchte jeden Winkel; ich betrachtete jeden Strauch, jeden Mauerstein auf das Genaueste, doch umsonst; es war inzwischen zuviel Zeit vergangen.

»Wir können gar nichts anderes als eine Entführung annehmen,« sagte ich. »Deine Tochter ist über die Mauer geholt worden. Ich zweifle gar nicht daran, daß irgend ein Zeichen zu entdecken gewesen wäre; das aber ist durch die Leute des Pascha verwischt und unkenntlich gemacht worden. Sie verstehen sich nicht darauf. Glaubst auch du an eine Entführung?«

»Ja.«

»Und hast du keinen Verdacht?«

»Ich habe einen. Der Pascha hat mir verboten, davon zu sprechen, weil ich dadurch leicht alles verderben kann; dir jedoch darf ich mein Vertrauen schenken, denn du bist verschwiegen. Es gibt nämlich einen, der meine Tochter zu seinem Weibe machen wollte.«'

»Ah! Wer ist das?«

»Ein Gharib Fremder., der mein Gast war und mir die Gastfreundschaft dadurch vergalt, daß er mir das Herz meines Kindes entfremdete.«

»Entfremdete? So ist es ihm gelungen, sich die Zuneigung Rahels zu erwerben?«

»Ja. Ich wies ihm die Tür. Ehe er mein Haus verließ, gelang es ihm, Rahel zu beruhigen und sie zu überzeugen, daß sie trotzdem sein Weib sein werde. Daher war sie später heiter und grämte sich nicht. Sie hatte sogar den Mut, später zuweilen mit mir von ihm zu sprechen.«

»Verließ er Mursuk gleich?«

»O nein, sondern er zog zu einem Mamluken, bei dem er noch mehrere Wochen wohnte.«

Ich mußte an Dixon denken und fragte: »Wie heißt der Mamluk?«

»Alaf.«

»Ah! Und der Fremde?«

»Er nannte sich Dixon und war aus dem Bilad Amirika.«

»Maschallah! Also der!« rief ich aus.

»Kennst du ihn?« erkundigte er sich schnell.

Ehe ich antworten konnte, kam ein Schwarzer in den Garten und meldete seinem Herrn, daß er schnell zu dem Pascha kommen solle, der ihm Wichtiges mitzuteilen habe.

»Da gehst du mit, Effendi!« forderte mich Manasse auf. »Du mußt es mit hören und dann mitberaten.«

Zehn Minuten später standen wir vor dem höchsten Beamten des Padischah. Er teilte dem Juden mit, daß der Entführer ergriffen sei, und auf ein Zeichen von ihm brachte man den Missetäter gefesselt hereingeführt. Und der Missetäter war – Dixon!

Dieser befand sich in einem Zustand größter Aufregung. Als er mich erblickte, zerrte er an seinen Fesseln und rief mir in englischer Sprache zu: »Welch ein Glück, daß Ihr da seid! Denkt Euch: Kaum bin ich bei meinem Wirt abgestiegen, so schickt dieser Kerl fort, und es kommen Soldaten, die mich verhaften! Ich soll Rahel, die Tochter Manasses, heimlich entführt haben.«

»Ich weiß es, Ihr liebt dieses Mädchen?«

»Ja. Ich habe es Euch verschwiegen, bin aber jetzt gezwungen, es zu gestehen. Ist sie wirklich fort?«

»Ja. Wohin, weiß niemand.«

»Alle Teufel! Macht mich von diesen Fesseln frei und ich werde sofort beginnen, ganz Tripolis zu durchsuchen und nicht eher ruhen, als bis ich sie gefunden habe!«

Es wurde mir nicht schwer, seine stürmische Bitte zu erfüllen, denn ich konnte bezeugen, daß er sich am Tag der Entführung weit weg von hier und bei mir befunden hatte. Dem Pascha war es freilich nicht angenehm zu hören, auf was für einem Irrweg er sich befunden hatte. Dixon zürnte natürlich dem Vater seiner Geliebten, der daran schuld war, und dieser konnte nicht umhin, ihn um Verzeihung zu bitten, und so kam es, daß beide sich versöhnten, noch ehe sie die Residenz des Pascha verlassen hatten.

Nun waren wir genau so klug wie vorher und kehrten nach Manasses Wohnung zurück, um zu beraten. Wir kamen aber zu keinem Ergebnis, bis Dixon Manasse fragte: »Gibt es hier in Mursuk jemand, der sie zu besitzen begehrte? Vielleicht ist sie noch hier in der Stadt verborgen.«

»Ich wüßte keinen.«

»Gab es auch sonst keinen Bewerber außer meinem Freund hier?« erkundigte ich mich.

»Nein, denn den Tedetu darf ich nicht als einen solchen betrachten.«

»Der Tedetu? Wer ist das?«

»Ein Anführer der Tibbu, der früher in Geschäften einigemale bei mir war.«

»Was!? Hieß der Mensch Tahaf?«

»Ja. Du kennst ihn, Effendi?«

»Ja. Sag schnell, wann er zum letztenmal bei dir war! Es ist von großer Wichtigkeit.«

»Am Tage, bevor mein Kind verschwand. Er wollte mit mir von dir sprechen.«

»Von mir? Was? Und das sagst du mir erst jetzt?«

»Ich wollte es ganz verschweigen, weil ich glaubte, dich damit beleidigen zu können.«

»Mich beleidigen? Was war es denn?«

»Er hielt dich für den Afik Geliebter, Verlobter. meiner Tochter.«

Mich? Wie kam er auf diesen sonderbaren Gedanken?«

»Er hatte es von dem Wirt des Karawanserais gehört. Darf ich ganz aufrichtig mit dir sein, Effendi, da es sich um eine so wichtige Sache handelt?«

»Ich fordere es sogar von dir!«

»Du bist mehrere Wochen mein Gast gewesen, und meine Dienerschaft hat erzählt, wie gut und freundlich du gegen Rahel warst.«

»Und da hat man mich für ihren Verlobten gehalten?«

»Ja, doch ohne daß ich es ahnte. Du verzeihst es doch?«

»Ich habe nichts zu verzeihen. Sag mir vor allen Dingen, in welcher Beziehung du zu dem Tedetu Tahaf standest!«

»Ich hatte einigemale Tauschgeschäfte mit ihm und war der Ansicht, daß er so ein wenig Räuber sei; da aber die Tibbu alle den Raub für keine Schande und kein Verbrechen halten, so ging es mich nichts an.«

»War er bei seinen geschäftlichen Besuchen stets nur kurze Zeit bei dir?«

»Nein, sondern er war zuweilen auch mein Gast.«

»So kannte er wohl Rahels Gewohnheit, des Abends in den Garten zu gehen?«

»Ja; er hat sie dahin begleitet und mit ihr gesprochen, doch nur in meiner Gegenwart.«

»Sie hat ihm gefallen?«

»So sehr, daß er sie zur Frau begehrte.«

»Er, der Mohammedaner?«

»Die Tibbu sagen, daß das Weib keine Seele habe; eine Frau könne nicht in das Paradies gelangen; darum sei es gleichgültig, ob sie an Mohammed glaubt oder nicht.«

»Du hast ihn natürlich abgewiesen?«

»Ja.«

»Erregte das nicht seinen Zorn, seine Rache?«

»Er ließ sich nichts merken, kam aber dann nicht mehr zu mir. Bei seinem Besuch in voriger Woche habe ich ihn seitdem zum erstenmal wiedergesehen.«

»War er denn nicht leidend?«

»Er trug den rechten Arm in der Binde und sah aus wie ein Mensch, der krank gewesen ist.«

»Ah! Er muß eine sehr starke Natur besitzen, da er trotz seiner Verwundung geradewegs und ohne längeres Ausruhen nach Mursuk geritten ist?«

»Du weißt, daß er verwundet ist?«

»Ja; wir werden es dir erzählen. Zunächst aber möchte ich wissen, auf welche Weise er mich kennen gelernt haben will. Das muß er dir doch gesagt haben, da er eigens zu dir gekommen ist, um von mir zu reden.«

»Er begegnete dir in der Wüste und sagte dir, daß er nach Mursuk wolle; da gabst du ihm den Auftrag, zu mir zu gehen und Rahel und mich von dir zu grüßen.«

»So! Du sagtest ihm, daß ich nicht Rahels Verlobter sei?«

»Ja, aber er glaubte es nicht.«

»Schön! So weiß ich nun, woran ich bin. Wir haben die Spur gefunden. Er hat deine Tochter geraubt.«

»Allah! Denkst du das wirklich?«

»Ich bin überzeugt davon. Er will sich rächen an dir, weil du ihm Rahel abgeschlagen hast, und an mir, weil er von mir besiegt worden ist. Den verwundeten Arm, den du gesehen hast, hat er mir zu verdanken.«

»Wer hätte das gedacht! Wie ist das zugegangen?«

Ich erzählte es ihm kurz und fügte hinzu: »Ich behaupte also, daß er der Räuber deiner Tochter ist und denke, daß du mir recht geben wirst.«

»Unrecht kann ich dir freilich nicht geben, aber ein Beweis ist noch nicht vorhanden.«

»Den werden wir sogleich bei dem Wirt des Karawanserais, von dem du vorhin sprachst, holen.«

»Meinst du etwa, daß er diesem etwas von seinem Vorhaben mitgeteilt hat?«

»Nein, das ist ihm gewiß nicht eingefallen.«

»So kann er nichts beweisen!«

»Warte es ab! Ich habe dir doch erzählt, daß die Tibbu als Pilger nach Kaïrwan wollen.«

»Allerdings; aber ich denke, daß sie diesen Vorsatz jetzt aufgegeben haben werden. Sie können eine Gefangene nicht so viele Tagereisen weit mit sich nach Kaïrwan schleppen, sondern sie haben sie nach einem Duar gebracht.«

»Das glaube ich nichts Ein Moslem, der einmal seine Pilgerreise angetreten hat, führt sie auch aus, denn nach seiner Ansicht würde er sich sonst den Zorn Allahs zuziehen.«

»Effendi, indem du dies behauptest, machst du mir das Herz noch viel schwerer, als es vorhin schon war!«

»Tröste dich! Ich gebe zu, daß dem Tedetu deine schöne Tochter am Herzen liegt; noch größeres Verlangen aber wird er nach deinem Geld haben. Deshalb wird er Rahel auf rechtmäßige Weise vor dem Kadi heiraten wollen, um dann als ihr Mann dein Erbe zu sein. Und eben deshalb wird er Rahel mit nach Kaïrwan nehmen, weil er sie dort am sichersten zwingen kann, Mohammedanerin zu werden. Das erfordert aber Zeit, und bis diese vergeht, findet sich Gelegenheit, das Kind zu befreien.«

»Auf welche Weise?«

»Man muß nach Kaïrwan reisen und Rahel heimlich von dort fortschaffen.«

Er starrte mich eine ganze Weile sprachlos an und rief dann erschrocken aus: »Da ist man ja verloren! Kein Andersgläubiger darf diese lebensgefährliche Stadt betreten!«

Da fuhr Dixon ihn zornig an: »Liebst du deine Tochter? Ich, dem du sie versagt hast, bin bereit, sofort hinzugehen, um sie zu retten!«

»Gemach!« beruhigte ich ihn. »Noch weiß man nicht, was geschehen wird. Wir haben noch Erkundigungen einzuziehen.«

»Bei wem?«

»Im Karawanserai und sodann auf dem Weg nach Norden, um zu erfahren, ob die Tibbu diese Richtung eingeschlagen haben und Rahel mit sich führen.«

»So wollen wir das gleich tun und ja keine Zeit verlieren! Wo ist das Serai?«

Manasse führte uns hin. Wir ermittelten dort schließlich, daß Tahaf einen Tachterwan Kamelsänfte. gekauft hatte. Dieser Umstand gab uns die Gewißheit, daß er Rahel geraubt hatte.

Nun galt es noch, zu erfahren, ob seine Leute alle bei ihm waren und welche Richtung er eingeschlagen hatte. Dazu paßte Manasse nicht. Er mußte mir und Dixon zwei gute Reitkamele verschaffen, und am nächsten Tag verließen wir beide Mursuk, um nordwärts gegen Jeded zu reiten.

Gegen Abend trafen wir auf eine kleine Karawane, die sich eben zur Ruhe gelagert hatte. Diese Leute hatten nun allerdings einen Reitertrupp von etwa zwanzig Tibbu gesehen, deren Anführer am rechten Arm verwundet gewesen war; eines ihrer Kamele hatte eine dichtverhangene Frauensänfte getragen.

Wir wußten nun genug und lagerten uns bei dieser Karawane, um mit Tagesgrauen unsere Rückkehr nach Mursuk anzutreten. Ich schlief bald ein; Dixon aber fand keine Ruhe. Kaum hellte sich der östliche Horizont, so weckte er mich. Auch die anderen erwachten und rüsteten sich zum Aufbruch.

Da sahen wir im Süden vor uns, also in der Richtung von Mursuk her, einen Kamelreiter erscheinen, der es sehr eilig zu haben schien. Noch waren wir nicht auf unsere Tiere gestiegen. Er kam uns schnell näher, und da sahen wir, daß es ein Tedetu war:

»Alle Teufel, den kenne ich! Er gehört zu Tahafs Leuten,« sagte Dixon. »Es ist der Unteranführer.«

»Ja,« antwortete ich. »Er kommt von Mursuk.«

»Was mag er dort zu schaffen gehabt haben?«

»Ob er vielleicht die Aufgabe hatte, bei Manasse Ben Aharab wegen eines Lösegelds anzufragen? Immerhin möglich!«

Jetzt war der Mann nur wenige Kamelslängen von uns entfernt. Sein Auge fiel auf mich. »Maschallah, der Giaur!« rief er aus, indem er sein Pferd anhielt. »Allah sei gelobt, daß ich dich treffe, du Hund! Hier ist der Lohn, der dir gehört!«

Er riß seine lange Flinte empor, um auf mich zu schießen; ein Schuß krachte, doch nicht der seinige, denn Dixon war schneller als er und hatte ihm eine Kugel in den Kopf gejagt. Der Tedetu wankte hin und her und stürzte dann tot aus dem hohen Sattel auf die Erde herab.

Dergleichen Vorkommnisse sind nichts Besonderes in der Wüste; der Kerl hatte mich töten wollen und war dafür von meinem Begleiter erschossen worden; das erschien den Beduinen, bei denen wir gelagert hatten, als etwas so ganz und gar Selbstverständliches, daß sie kein Wort darüber verloren. Wir begruben den Tedetu, in dessen Taschen wir nichts für uns Wichtiges finden konnten, und ritten dann, indem wir sein Kamel als die uns zugehörige Beute mitnahmen, rasch nach Mursuk zurück.

Dort erwartete uns eine sehr große und zugleich sehr traurige Ueberraschung.

Manasse Ben Aharab war mir ein lieber Gastfreund gewesen. Aber seine Liebe zu seiner Tochter hatte immer so etwas Ungewisses, Aengstliches an sich gehabt; es war mir manchmal so vorgekommen, als ob er seiner Sache mit diesem Kinde nicht recht sicher sei. Und Rahel hatte ihn lieb gehabt, ja; aber es war eine eigentümlich zurückhaltende Zuneigung, nicht ganz die echte, rechte Kindesliebe gewesen. Das Verhältnis zwischen Vater und Tochter hatte für mich etwas Geheimnisvolles gehabt. Jetzt sollte dieses Rätsel gelöst werden, und zwar in einer Weise, die ich nicht für möglich gehalten hätte.

Als wir beim Hause Manasses ankamen, stand das Tor offen, so daß wir mit dem ersten Blick die Klageweiber sehen konnten, die im Hofe saßen und ihre Köpfe mit Asche bestreut, leise, dumpfe Laute ausstießen. Es mußte sich ein Sterbender in der Wohnung befinden. Ich eilte in die Küche. Da saß Rebekka weinend an der Erde. Als sie mich erblickte, schluchzte sie:

»O, Effendina, was ist geschehen! Der Herr will sterben. Die Atibba Aerzte. sind bei ihm, um ihm die letzte Arznei zu geben, und auch die Schuhuhd Zeuge., um den Wasija Letzter Wille, Testament. niederzuschreiben.«

»Allah jarhamkum – Gott erbarme sich euer! Was ist denn geschehen, Rebekka?«

»Es kam einer von den Tibbu und begehrte mit dem Herrn zu sprechen. Schon nach kurzer Zeit ging er wieder fort und da fanden wir den Herrn in seinem Blute liegen.«

»Der Tedetu hatte ihn verwundet?«

»Ja, er hat ihn erstechen wollen.«

»Warum?«

»Der Herr hat es dem Pascha erzählt, der bald darauf kam. Der Tedetu hat eine Unterschrift verlangt, daß Rahel, mein Liebling, in Kaïrwan Mohammedanerin werden dürfe. Der Herr hat es verweigert und dafür den Stich erhalten. Er wurde verbunden, muß aber sterben. Er liegt seit der Zeit still und kann nur wenig und ganz leise sprechen; er hat nur immer nach euch verlangt.«

»Welch ein Unglück! Wo liegt er? Führe uns zu ihm!«

Sie gehorchte dieser Aufforderung. Als wir eintraten und mein Blick auf Manasse fiel, sah ich sofort, daß wir zu spät kamen; er war tot; er hatte soeben zum letztenmal geatmet. Am Fußende des Lagers kauerten die zwei Quacksalber, die sich Aerzte nannten. Zu Häupten saß ein Beamter mit den drei Zeugen. Er sah uns forschend an, stand langsam und würdevoll auf und fragte:

»Bist du der Fremde Kara Ben Nemsi Effendi, von dem dieser Tote mit mir gesprochen hat?«

»Ja,« antwortete ich.

»Und dein Gefährte ist der Mann aus Amirika?«

»Ja.« »So habe ich euch vor diesen Zeugen etwas zu eröffnen.«

Er winkte den Aerzten; sie entfernten, sich, dann fuhr er fort: »Die Tochter dieses Toten ist nicht seine Tochter; sie ist auch keine Jüdin, sondern eine Christin.«

Welch eine Ueberraschung! Ich ließ einen Ausruf des Erstaunens hören, worauf er erwiderte:

»Dieser Tote hat im Sterben ein Bekenntnis abgelegt. Er kam als armer Händler nach Dschidda, das vor Mekka, der Stadt der Propheten, liegt. Dort forderte el Haua el Assar Cholera. das Leben vieler Menschen. Manasse Ben Aharab sah auf der Gasse einen Sterbenden mit einem schönen kleinen Mädchen liegen. Der Sterbende rief ihn zu sich und sagte ihm, daß er ein Nauti Matrose. aus dem Bilad Fransa» Frankreich. sei, das Kind aber sei das Enkelchen eines berühmten Reïs Kapitän., das er nach dem Bilad Fransa bringen solle, nun aber nicht bringen könne, weil er hier vom Tod überfallen worden sei. Er bat ihn, das Enkelchen nach Suez zum Konsul zu schaffen, und gab ihm ein Gezdahn Brieftasche., das dem Kind gehörte. In ihm waren große Geldscheine und einige Papiere in fremder Sprache. Der Nauti starb nach wenigen Minuten; Manasse nahm das Kind und dessen Eigentum. Er wollte ehrlich sein; jedoch die Geldscheine siegten über sein Gewissen. Er behielt sie und das Kind und vernichtete die fremden Papiere. In Kairo ließ er sich Gold für die Scheine geben und ging dann mit dem Enkelchen des berühmten Reïs erst nach Tunis und dann gar hierher nach Mursuk, weil er glaubte, in dieser abgeschiedenen Gegend könne das, was er getan hatte, nicht entdeckt werden. Er war dem Enkelchen ein guter Vater, konnte aber nie vergessen, daß er es betrogen hatte. Da nahte plötzlich der Tod, und er ließ mich kommen, um mir dies mitzuteilen. Sein Testament liegt hier in meiner Hand; sein Vermögen gehört der Enkelin des berühmten Reïs, welche die Frau des Mannes aus Amirika werden soll.«

Er hielt inne, wir beide standen starr: Endlich fragte ich: »Woher weißt du, daß sie eine Christin ist?«

»Der sterbende Nauti hat es gesagt.«

»Wie hieß ihr Großvater, der berühmte Reïs?«

»Niemand weiß es, denn Manasse hat die Papiere vernichtet, die er nicht lesen konnte.«

»Wer wird Vollstrecker dieses Testaments sein?«

»Der Pascha selbst. Ihr müßt euch an ihn wenden, Manasse Ben Aharab hat noch von einem Higab Amulett. gesprochen, das Rahel am Halse hängen hat. Sie soll es öffnen, um zu sehen, was sich darin befindet. Ich gehe jetzt zum Pascha, um ihm dies alles zu melden und ihm das Testament zu überreichen. Er wird euch kommen lassen, um mit euch zu sprechen.«

Er entfernte sich mit den drei Zeugen und wir waren allein mit dem Toten, den wir für den Vater Rahels gehalten hatten. Wie hatte er sich an ihr vergangen! Er hatte sie und ihr Vermögen den fernen Angehörigen entzogen. Wer waren diese, und wo wohnten sie? In Frankreich? Wer war ihr Großvater, der berühmte Kapitän, gewesen, und wie war sie in die Obhut eines gewöhnlichen Matrosen gekommen? Ob das Amulett wohl diese Fragen zu beantworten vermochte?

Nun war es sicher, daß sie nach Kaïrwan geschleppt wurde. Sie mußte befreit werden. Dixon, dem ich meinen Beistand zugesagt hatte, wäre am liebsten sofort aufgebrochen, denn er hatte große Angst um die Geliebte. Aber wir mußten Manasse Ben Aharab begraben. Und dann galt es, das Erbe Rahels sicherzustellen. Dixon brauchte es nicht, denn er war ein reicher Mann; aber er hielt es für seine Pflicht, das Eigentum der Geliebten ihr möglichst zu erhalten, und ich bestärkte ihn darin. Natürlich floß ein beträchtlicher Teil davon in den Säckel des Paschas und in andere Taschen, und es wäre wohl ganz und gar zu Wasser geworden, wenn die Blutegel in Mursuk nicht doch Angst vor dem amerikanischen Konsul in Tripolis gehabt und die Befürchtung gehegt hätten, später alles und noch mehr wieder herausgeben zu müssen.

Es dauerte sehr lange, bis das alles geordnet war und wir abreisen konnten. Wir mußten nach Tripolis. Das ist ein weiter Weg. Dr. Nachtigall hat siebenunddreißig Tage gebraucht, um diese gefährliche Strecke zurückzulegen. Bei uns ging es zwar schneller, denn Dixon war reich genug, zu diesem Ritt die besten Reitkamele zu kaufen, für seine Sehnsucht nach Rahel aber doch nicht schnell genug.

Dann, als wir in Tripolis angekommen waren, gab es verschiedene Besprechungen mit dem Konsul und der türkischen Behörde, die das Erbe nicht aus dem Lande gehen lassen wollte und es einstweilen mit Beschlag belegte, und zwar mit vollem Recht, weil die Erbin nicht zugegen war, sondern erst aus den Händen der Tibbu befreit werden mußte.

Unmöglich konnten wir daran denken, zu Land nach Kaïrwan zu gehen, denn das wäre ein monatelanger Ritt gewesen; wir mußten uns für den Wasserweg entscheiden. Und da gab es kein Schiff, mit dem wir nach Sufa kommen konnten. Die englischen und französischen Schiffe legten nur in Sfax an, und so waren wir schließlich froh, als wir ein schmutziges, tunesisches Fahrzeug von ungefähr hundert Registertons entdeckten, dessen Kapitän bereit war, uns in Sufa abzusetzen.

Da uns, wenn wir als Nichtmohammedaner erkannt wurden, in Kaïrwan der sichere Tod erwartete, so mußten wir schon vorher verheimlichen, wer wir waren. Darum stellten wir uns dem Kapitän als ägyptische Offiziere vor, die tunesische Zuchtpferde kaufen und bei dieser Gelegenheit die heilige Stadt besuchen wollten. Er war selbst schon dort gewesen und beschrieb sie uns während der Ueberfahrt in der Weise, daß wir uns wenigstens für einigermaßen unterrichtet halten durften. Hinreichend war dies freilich nicht.

Die Seefahrt war außerordentlich langweilig, ging aber glücklich vorüber. Das ruinenhafte Susa konnte uns nur so lange halten, als nötig war, uns Pferde zu kaufen, da wir die Kamele in Tripolis veräußert hatten; dann ging es weiter, dem Bahir Sihdi Krador zu.– –

 

5. Kaïrwan, die heilige Stadt.

Kaïrwan, oder, wie es auch ausgesprochen wird, Keruán, liegt an der Stelle des alten Vicus Augusti in einer sumpfigen Ebene, in der das Auge keinen einzigen Baum erblickt; höchstens daß hier oder da einmal ein einsamer kahler Strauch erscheint, dessen junge Triebe von den Tieren abgefressen worden sind. Der Ritt durch diese Gegend ist kein anregender, und so waren wir froh, als wir gegen Abend des zweiten Tags die Nähe der Stadt erreichten.

Wenn ich sage: froh, so bezieht sich das allerdings nicht auf unsere gegenwärtige innere Grundstimmung, die wir mit dem Wort »froh« nicht bezeichnen konnten. Die Gefahren, vor denen wir jetzt standen, waren so groß, daß wir einander im Gegenteil sehr ernst in die Augen blickten, als wir die ersten Häuser des heiligen Ortes vor uns liegen sahen. Der Anblick, den sie uns boten, war aber kein heiliger, sondern ein sehr würdeloser. Es mochte hier einmal eine Umwallung vorhanden gewesen sein; jetzt lag sie in Trümmern, auf dem Gestrüpp und Unkraut wucherte.

»Hinein werden wir kommen,« meinte ich, »wie und wann aber wieder heraus?«

»Tot oder lebendig, eins von beiden,« antwortete Dixon. »Die Hauptsache für mich ist, ob Rahel sich in diesem heiligen Nest befindet.«

»Ich bin überzeugt, daß sie da ist.«

»Aber wo?«

»Das werden wir erfahren.«

»Von wem?« fragte er weiter und machte dabei ein Gesicht, als ob er sein Haupt schon jetzt dem Henker überliefern müsse.

»Nicht so trübsinnig, Mr. Dixon! Wer etwas mit frischem Mut beginnt, der kommt viel leichter, schneller und sicherer an das Ziel, als derjenige, der zu ängstlich ist.«

»Angst ist es nicht, was mich bedrückt, aber Sorge. Wenn uns einer der Tibbu sieht, werden wir förmlich zerrissen.«

»Wir brauchen uns doch nicht so zur Schau zu stellen, daß uns jedermann sehen muß!«

»Und wo bleiben wir? In einem feinen Hotel oder in einer Herberge für Handwerksburschen?«

»Es gibt hier allerdings Menazil Mehrzahl von Menzil – Gasthaus., aber die müssen wir vermeiden. Wir suchen einen Ort auf, wo nur bevorzugte Leute Zutritt haben.«

»Welcher Ort wäre das?«

»Ihr vergeßt, daß wir jetzt ägyptische Offiziere sind und daß in dieser guten heiligen Stadt es eine Chassa esch schanuf zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Bewachung der Moschee gibt.«

»Eine Ehrengarde? Das ist wahr. Aber, Ihr wollt doch nicht etwa so verwegen, so tollkühn sein –?!«

»Natürlich will ich das. Je größer die Kühnheit, desto kleiner die Gefahr. Wir stellen uns den Herren Offizieren dieser Garde vor.«

»Ein Gedanke, der beinahe an Wahnsinn grenzt!«

»Aber er ist nicht übel. Habt nur Vertrauen zu ihm!«

»Meinetwegen; tut, was Ihr wollt!«

Ich muß bemerken, daß wir uns ganz wie fromme Muselmanen betrugen: sogar Gebetsteppiche hatten wir mit. Alles Europäische, besonders die Revolver, mußten wir verbergen. Die Sonne war im Untergehen, und eben bogen wir in die zweite Straße ein, da ertönte der Klang des Glockenbretts, und der Mueddin rief vom hohen Minareh herab:

»Hai alas salah, ha alal felah; es salah cher min en nom; Allah akbar; la ilaha il Allah – auf zum Gebet, auf zum Heil; das Gebet ist besser als der Schlaf; Gott ist groß; es gibt keinen Gott außer Gott!«

Alle auf der Straße befindlichen Menschen knieten augenblicklich nieder, um zu beten. Wir hielten an, sprangen von den Pferden, breiteten die Teppiche aus und ahmten die vorgeschriebenen Bewegungen nach. Unweit von uns betete ein älter Soldat; ich behielt ihn im Auge, und als die Zeremonie vorüber war, rief ich ihn herbei, stieg wieder in den Sattel und fragte ihn:

»Du weißt, wo der Mudir Stadtverwalter. wohnt?«

»Ja, Herr,« antwortete er.

»Wir sind Zubbat Mehrzahl von Zabit – Offizier.; führe uns zu ihm!«

Er kreuzte die Hände über die Brust, verbeugte sich und gehorchte dann. Es wurde schnell dunkel; so brauchten wir keine Sorge zu haben, erkannt zu werden. Wir wurden durch mehrere Gassen bis in die Nähe der Okba-Moschee geführt. Dort ging es durch ein Tor in einen Hof, wo wir abstiegen. Der Soldat verschwand, und bald darauf kam ein grimmig dreinschauender Kolagasi Hauptmann., der uns nach unseren Wünschen fragte. Ich nannte zwei beliebige Namen und sagte, daß wir ein Mir Ulai und ein Rejjis tabur Oberst und Major. des Vizekönigs von Aegypten seien und uns pflichtschuldigst hier meldeten, um zu fragen, wo wir wohnen könnten. Er bat um ein wenig Geduld, entfernte sich, kam aber schnell wieder und erklärte:

»Der Muschir Feldmarschall. hat eure Meldung mit Wohlgefallen entgegengenommen und läßt euch bitten, zu ihm zu kommen.«

Die Ehrengarde zählte hundert Mann; ihr Kommandant nannte sich Feldmarschall – echt orientalisch! Er war ein alter Degenknopf, der uns, auf einer Matte sitzend, empfing. Wir mußten uns zu ihm setzen und bekamen Kaffee und Tabakspfeifen. Er richtete eine Menge Fragen an uns, von denen eine immer unbeholfener als die andere war. Wir antworteten in bescheidener Weise und machten dadurch einen so guten Eindruck auf ihn, daß er uns einlud, seine Gäste zu sein und bei ihm zu wohnen, was wir natürlich annahmen. Er ließ alle seine »Offiziere« kommen, deren er auf seine hundert Mann nicht weniger als zwanzig hatte. Man aß kaltes Fleisch und unterhielt sich über militärische Fragen, doch in einer Weise, daß wir Mühe hatten, ernst zu bleiben. Das Wohlwollen der »Herren Kameraden« wuchs von Viertelstunde zu Viertelstunde, und jeder von ihnen versprach uns, uns beim Pferdekauf nach Kräften behülflich sein zu wollen. Wir mußten viel vom Khedive erzählen, auch von der Khediva Emineh, welche die schönste Frau Aegyptens sei, doch lange nicht so schön wie die Warda Rose. von Mursuk. Als ich fragte, wer diese Warda sei, antwortete mir ein jüngerer Mulazim Leutnant. ganz begeistert:

»Sie ist erst vor kurzem aus Mursuk hier angekommen, eine Jüdin, die das Weib eines Tedetu werden soll, der sie zum Islam bekehren läßt. Sie geht nach der Art der dortigen Frauen unverschleiert, und jedermann kann die Wonne ihres Angesichts trinken.«

In dieser Weise sprach er einige Zeit fort, und die ändern stimmten ihm bei; sie waren ebenso begeistert wie er. Wir sahen einander heimlich an. Da hatten wir ja schon, was wir wollten! Ich sorgte durch kurze Fragen dafür, daß das Gespräch solange bei diesem Thema blieb, bis wir alles erfahren hätten. Rahel wohnte nicht etwa mit Tahaf zusammen, sondern bei der Frau eines Molla Priester, Lehrer., der ihr Unterricht im Islam erteilte. Tahaf kam nur zuweilen, um sich nach ihren Fortschritten zu erkundigen. Der Mulazim fügte lächelnd hinzu:

»Er hat sie nach der heiligen Stadt gebracht, um eine Moslem aus ihr zu machen und sie dann als sein Weib wieder mitzunehmen; dies wird aber nicht geschehen. Sie ist unendlich schön und wird deshalb von jedermann die Rose von Mursuk genannt. Wenn sie rechtgläubig geworden ist, wird es hundert vornehme Männer hier geben, die sie zu besitzen wünschen und der häßliche Tedetu wird von ihr lassen müssen.« –

Es war sehr spät, als die Versammlung auseinanderging; dann führte uns der »Feldmarschall« höchstpersönlich nach dem Zimmer, wo wir wohnen und schlafen sollten. Die ganze Einrichtung bestand aus einem in der Mitte liegenden Teppich und mehreren Kissen rund an den Wänden. Es läßt sich denken, wie befriedigt wir uns niederlegten. Von der großen Gefahr, in die wir uns begeben hatten, war bis jetzt noch nichts wahrzunehmen gewesen.

Am frühen Morgen führte uns der Mudir nach der großen Moschee. Dieses große Heiligtum war natürlich diejenige Sehenswürdigkeit, die wir zuerst aufsuchen mußten. Er führte uns überall herum und zeigte und erklärte uns alles! Hätte er geahnt, daß wir Christen waren!

Die hohe und mit Türmen versehene Außenmauer ist geschmacklos und läßt den Glanz nicht vermuten, den sie umschließt. Die Moschee ist ein Meisterstück der arabischen Baukunst mit über dreihundert Granit-, Porphyr- und Marmorsäulen: sie hat zwanzig Türen und gegen hundert Kapellen; ihre Länge mag hundertundfünfzig und ihre Breite hundertzwanzig Meter betragen. Leider konnten wir die Schönheit des Bauwerks nicht unbefangen genießen, denn es waren viele Menschen da, und wir befanden uns in immerwährender Sorge, daß ein Tedetu unter ihnen sein und uns verraten könne. Glücklicherweise war dies nicht der Fall. Auf dem kurzen Nachhauseweg kamen wir an einem offenen Tor vorüber; der Mudir deutete hinein und sagte zu unserer freudigen Ueberraschung:

»Da wohnt der Molla, bei dem sich die Rose von Mursuk befindet.«

»Wie heißt dieser fromme Mann?« erkundigte ich mich in möglichst gleichgültigem Ton.

»Sein Ehrenname ist Abu Dijana Vater der Frömmigkeit.. Möchtest du ihn wohl kennen lernen?«

»Es würde meine Seele freuen, einen Allah so wohlgefälligen Gläubigen zu sehen.«

»Er ist mein Freund. Kommt mit herein! Es wird ihn beglücken, zwei so fromme Offiziere aus Masr Ägypten. bei sich zu haben.«

Wir hatten großes, wirklich großes Glück. Wir trafen den Molla daheim; er war ein sehr ehrwürdiger Mann, mit dem wir wohl eine halbe Stunde sprachen. Von Rahel aber war nichts zu sehen und nichts zu hören. Wir durften von der Gunst des Glücks nicht zuviel verlangen.

Wieder daheim angekommen, nahm der Mudir uns mit in seine Wohnung, wo er beim wohlriechenden Tabaksrauch fragte, was wir in bezug auf unsere geschäftlichen Absichten, nämlich auf die Pferdekäufe, zunächst zu tun gedenken. Ich antwortete: »Soviel ich weiß, werden in der Gegend von Kaïrwan die Herden von zwei Stämmen, nämlich der Uelad Krofila und der Uelad Selaß. Welcher Stamm hat bessere Pferde?«

»Sie sind einander gleich; aber die Uelad Selaß sind uns näher, und ihr Scheik ist mir verpflichtet. Er würde euch sicher gut bedienen. Wenn es euch recht ist, reite ich sehr gern mit euch hinaus.«

»Du würdest unsern Dank dadurch erhöhen.«

»So wollen wir aufbrechen, wenn wir zu Mittag gegessen und geschlafen haben.«

Dieser Mann war wirklich höchst gefällig, und es tat mir im stillen leid, daß wir gezwungen, waren, ihn zu täuschen. Als wir uns dann wieder in unserem eigenen Zimmer befanden, sprach Dixon denselben Gedanken aus und fuhr dann fort:

»Wir können mit unseren bisherigen Erfolgen sehr zufrieden sein. Wir wissen, wo Rahel sich befindet. Wie aber kommen wir zu ihr und wie bringen wir sie heraus?«

»Davon später. Erst müssen wir gute Pferde haben; die jetzigen taugen nichts.«

»Bis Susa halten wir schon aus.«

»Bis Susa? Dahin kehren wir nicht zurück. Das wäre unser Verderben.«

»Wieso?«

»Wir werden natürlich verfolgt. Können wir uns in Susa schnell genug auf ein Schiff retten?«

»Nein, das ist wahr! Es müßte ganz zufälligerweise gerade eins da sein.«

»Auch dann ist das Wagnis zu groß, denn wenn die Bemannung mohammedanisch ist, so liefert sie uns aus. Wir können nur aus dem Landweg fliehen, und zwar nach Sfax hinunter.«

»Da sind allerdings sehr gute Pferde nötig.«

»Die wir heut bei den Uelad Selaß kaufen. Wenn wir Rahel aus Kaïrwan entführen, so muß alles vorbereitet sein. Auch einen Anzug für das Mädchen müssen wir haben. Sie kann nicht in Frauenkleidern durch die Stadt gehen oder reiten.«

»Nein. Ich werde diesen Anzug sogleich besorgen; ich gehe nach dem Bazar der Kleiderhändler.«

»Wißt Ihr, wo er ist?«

»Ich werde danach fragen.«

»Aber nehmt Euch in acht, damit Euch keiner von den Tibbu in den Weg kommt!«

Er führte seine Aufgabe auch glücklich aus, denn er brachte schon nach kurzer Zeit einen vollständigen Anzug, der Rahel gewiß paßte; sie mußte darin wie ein hübscher vierzehnjähriger Knabe aussehen.

Nach dem Essen wurde eine kurze Mittagspause gehalten und dann ritten wir nach dem Lager der Uelad Selaß hinaus. Es begleiteten uns außer dem Feldmarschall noch mehrere Offiziere. Wir wurden gut aufgenommen und kauften drei windschnelle Pferde, nebst vollständigem Sattelzeug, nahmen aber nichts mit nach der Stadt; die Tiere blieben draußen auf der Weide, und es wurde ausgemacht, daß wir sie abholen könnten, sobald wir sie brauchten.

Die ahnungslosen Muselmanen hätten sich eigentlich fragen müssen, warum und wozu wir nur drei Pferde, dazu aber außerdem auch Sättel brauchten. Aber ihr Spürsinn sollte auf keine lange Probe gestellt werden, denn die Entscheidung lag uns viel näher, als wir beide dachten. Wir machten, als wir am Abend wieder allein beisammen saßen, verschiedene Pläne und wogen sie gegeneinander ab. Das war aber gar nicht nötig, denn die Frucht fiel ohne unser Zutun ganz von selbst vom Baum.

Wir wurden nämlich am nächsten Morgen von dem »Marschall« aufgefordert, mit ihm wieder die Moschee zu besuchen. Wir taten dies nicht gern, durften uns aber nicht weigern. In einem der Säulengänge trafen wir den Molla, der sich über diese Begegnung freute, uns die hervorragenden Kapellen zeigte und uns dann einlud, ihn nach seiner Wohnung zu begleiten. Er hatte gestern bemerkt, daß ich in der mohammedanischen Literatur bewandert war und wollte mir die selbstgefertigte Abschrift eines religiösen Werkes zeigen. Selbst wenn es möglich gewesen wäre, abzulehnen, hätten wir dies nicht getan, weil wir hofften, etwas über Rahel zu erkunden. Wir gingen also mit.

Da saßen wir vier beisammen, der Molla, der Mudir, Dixon und ich, und sprachen über das Buch; plötzlich ging die Tür auf, und wir sahen – – Rahel, die aus irgend einem Grunde hereinkam. Sie war zu jung und zu unerfahren, als daß sie sich hätte beherrschen und verstellen können, und ich sagte mir sofort, daß die Entscheidung gekommen sei.

Ich sprang auf, Dixon ebenso. Rahel stand einige Augenblicke wie versteinert; dann schrie sie in hellem Entzücken: »Mein Geliebter, mein Geliebter! Hamdulillah, ich bin gerettet! Ich bin erlöst! Du bist gekommen, wie ich dachte, und hast mich gefunden!« Sie flog auf ihn zu und lag im nächsten Augenblick an seiner Brust.

Die beiden Mohammedaner sprangen jetzt auch auf. »Maschallah, sie kennen sich! Was ist das? Sie ist eine Jüdin und liegt in den Armen des Moslem!« rief der »Feldmarschall«.

»Sie, die Verlobte des Tedetu!« fügte der Molla erstaunt hinzu. »Das ist Sünde; das darf nicht gelitten werden!«

Er wollte die beiden auseinanderreißen. Da stieß ihn das Mädchen, kräftig wie ein Mann, von sich und rief: »Fort, du Peiniger! Du wurdest erkauft, mich zu martern, und ich konnte mich nicht wehren; nun aber sind, meine Beschützer, meine Freunde da, diese beiden Christen, die mich befreien werden und – – –«

»Christen – – – Christen – – –!« schrieen der Molla und der Kommandant wie mit einer Stimme.

Sie starrten uns an; dann packte mich der letztere beim Arm und fragte mich:

»Sie nennt dich einen Christen? Soll ich das glauben? Ist das wahr? Sage es bei deiner Seligkeit, ob es wahr ist oder nicht!«

»Ja, wir sind Christen,« antwortete ich gefaßt.

»Christen, Christen, Giaurs, räudige Hunde in der heiligen Stadt Kaïrwan! Sie sind mit in der Moschee gewesen und haben sie geschändet! Sie sollen zerrissen werden, wie man faules Fleisch zerreißt! Ich will –«

Er eilte nach der Tür, die noch offen stand, und der Molla folgte ihm. Sie wollten hinausrufen; aber ich war noch schneller als sie, riß sie zurück und machte die Türe zu.

»Giaur!« donnerte mich der »Marschall« an, und »Giaur« schrie auch der Molla.

Ich antwortete mit der Faust. Zwei Jagdhiebe an ihre Köpfe, und sie stürzten betäubt zu Boden.

»Schnell fort, fort, fort!« sagte Dixon, indem er Rahel bei der Hand ergriff, um sie fortzuziehen.

»Halt!« warnte ich. »Keine Uebereilung, sonst sind wir verloren. Rahel, kennst du die Straßen der Stadt?«

»Fast alle,« antwortete sie mit vor Aufregung fliegendem Atem.

»Auch das südliche Tor, das nach den Weideplätzen der Uelad Selaß führt?«

»Ich kenne es.«

»Geh schnell zu diesem Tor und dann weiter fort, doch langsam, damit du kein Aussehen erregst!«

»Warum – – ich – – ich – –«, stotterte sie.

»Fort, fort! Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, sonst gibts kein Gelingen!«

Dixon wollte eine Einwendung machen; aber ich schob das Mädchen hinaus und hielt ihn zurück. Es gab keine Riemen oder Stricke da; darum riß ich schnell den Turban des Molla in Stücke und band und knebelte ihn und den Kommandanten damit. Dann eilten wir fort, nach dem Hause des letzteren. Ich forderte Dixon auf, alles, was uns gehörte, aus unserm Zimmer zu holen, und ging nach der hinteren Ecke des Hofes, wo unsere beiden Pferde ein Unterkommen gefunden hatten; das Riemenzeug lag dabei, und ich machte mich ans Satteln. Soldaten sahen es und kamen herbei, einige Offiziere auch. Diese fragten mich, wohin ich so schnell wolle; ich gab ihnen ausweichende Antworten. Da kam Dixon; er hatte alles in den Händen. Ich nahm meine beiden Gewehre und stieg aufs Pferd; er folgte diesem Beispiel; wir ritten fort! Jetzt mochten die Militärs ahnen, daß mit uns nicht alles in Ordnung sei. Laute Rufe erschallten hinter uns; wir achteten nicht darauf und ritten zum Tor hinaus, im Schritt; draußen aber begannen wir zu traben.

Wir kannten den Weg nach dem Südtor. Als wir die vierte und fünfte Straße erreichten, sahen wir einen Menschenknäuel darin. Er kam uns entgegen. Dixon stieß einen Schreckensruf aus und deutete darauf hin. Ich sah Tahaf, der Rahel unterwegs getroffen und zum Umkehren gezwungen hatte; es waren noch zwei Tibbu bei ihm. Rahel wehrte sich, das hatte den Auflauf erregt.

»Jagt mitten durch die Menge und dann zum Tor hinaus!« forderte ich Dixon auf.

»Aber Rahel – meine Geliebte!« antwortete er.

»Die bringe ich nach!«

»Die Tibbu halten sie fest!«

»Unsinn! Ich weiß, was ich tue! Verlaßt Euch auf mich! Vorwärts, schnell!«

Diese Worte wirkten; er jagte in den Menschenhaufen hinein und ritt mehrere Personen nieder. Tahaf erkannte ihn. »Ein Christ, ein Christ!« brüllte er, indem er vor Ueberraschung Rahel losließ.

Das benutzte ich und trieb mein Pferd zwischen ihn und sie. Da sah er auch mich und schrie: »Zwei Christen! Zwei Christen! Haltet sie! Tötet sie!«

Seine Tibbu stimmten ein. Ich bückte mich vom Pferd, faßte Rahel mit der rechten Hand, schwang sie zu mir herauf und jagte fort. Hinter mir ertönte ein wütendes Geheul. Mein Pferd flog die Straße hinab, durch die folgende auch und dann zum Tor hinaus. Dort ereilte ich Dixon.

»Gott sei Dank, Ihr habt sie!« rief dieser.

»Keine Worte jetzt,« antwortete ich. »So schnell wie möglich zu den Uelad Selaß!«

Nach fünf Minuten war die Stadt hinter uns verschwunden. Eine Viertelstunde später sahen wir von weitem, rechts von uns, die erste Hammelherde der Selaß. Ich ließ Rahel vom Pferde gleiten und gebot ihr:

»Geh weiter jetzt, immer gerade aus! In kurzer Zeit sind wir wieder bei dir!«

Sie gehorchte, und wir jagten nach dem Lager der Selaß, um unsere Pferde zu verlangen. Sie weigerten sich nicht, sie uns zu geben, obgleich sie sich über unsere große Eile wunderten. Sie halfen uns sogar beim Satteln und erstaunten nicht wenig, als wir ihnen unsere alten Pferde schenkten, ehe wir aus den neuen fortritten.

Eine Viertelstunde, nachdem wir uns von Rahel getrennt hatten, waren wir wieder bei ihr; wir halfen ihr auf das dritte Pferd und jagten weiter, gerade noch zur rechten Zeit, denn wir sahen, im Norden von uns eine Wolke von Reitern erscheinen. Erst zu Mittag hielten wir bei einem Gebüsch an, wo wir uns so viel Zeit nahmen, daß Rahel den Knabenanzug anlegen konnte. Wir waren gerettet. Das Glück der »Rose von Mursuk« und ihres Geliebten »aus dem Bilad Amirika« brauche ich nicht zu beschreiben. –

Wir erreichten wohlbehalten Sfax, wo wir so glücklich waren, einen Dampfer der Societa Rubattino vorzufinden, der uns mit nach Tripolis nahm. Unterwegs erzählten wir Rahel von dem Tode Manasse Ben Aharabs, und daß dieser nicht ihr Vater gewesen. Sie weinte sehr, tröstete sich aber mit dem Glück, nun von dem Geliebten nicht wieder getrennt zu werden. Von den Tibbu war sie zwar unterwegs als Gefangene, aber sonst ganz erträglich behandelt worden. Wie freute sie sich, als mit einer Karawane ihre treue Rebekka aus Mursuk in Tripolis ankam! Das hatte Dixon so veranstaltet. Die gute Seele ging mit dem jungen Paar gern hinüber nach dem »Bilad Amirika«.

Und das Amulett?

Rahel hatte es, soweit sie zurückdenken konnte, stets an einem Kettchen um den Hals hängen gehabt. Es war eine rundum zugenähte kleine Lederkapsel. Als sie diese aufschnitt, kam ein kleines Rundbild zum Vorschein, das einen schönen, charaktervollen Männerkopf in Miniaturmalerei enthielt. Wir konnten die kleine Platte herausnehmen; auf der Rückseite las ich zu meiner Ueberraschung:

»Robert Surcouf, Paris,1804.«

War dieser Mann der »berühmte Kapitän« von dem der sterbende Matrose gesprochen hatte? Höchstwahrscheinlich. Die Nachforschungen, die Dixon und ich anstellten, ergaben leider keine unbedingte Gewißheit. Was ich aber bei diesen Forschungen über die historische Persönlichkeit Robert Surcoufs ermittelte, habe ich in einer Erzählung niedergelegt, die ich folgen lasse.


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