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»Was meinen Sie? Wenn es sich um anderthalbtausend Mark handelt, soll man nicht aufgeregt sein. Bringen Sie das etwa fertig? Ich nicht! Sie müssen ein Rothschild sein, wenn Sie da ruhig bleiben können.«

»Die Aufregung nützt nichts auch in dem Falle, daß man arm ist. Ich bedauere ebenso wie Sie den armen, braven Vater des Wechselfälschers. Ich glaube, er thut sich ein Leid an, wenn er es erfährt. Ich will Ihnen zwölfhundert baare Mark für den Wechsel geben.«

Der Mann stand auf, griff wieder nach seinem Hute und rief zornig:

»Ich habe gesagt, daß ich keinen Pfennig herunterlasse, und was ich sage, das gilt. Ich bin kein Luftikus. Soll ich einmal dreihundert Mark einbüßen, so lasse ich auch dann das Ganze schwinden und habe die Genugthuung, den Kerl bestrafen zu lassen. Es ist schon gut und außerordentlich christlich – hören Sie, christlich von mir, daß ich auf die Anzeige verzichten will, falls ich mein Geld erhalte. Wer mehr von mir verlangen will, der mag mir vom Leibe bleiben!«

Er wendete sich nach der Thür.

»Halt, warten Sie!« rief der Agent. »Ich will ihn einlösen.«

»Mit der vollen Summe?«

»Ja.«

»Gut, so können Sie ihn haben. Zählen Sie auf!«

»Lieber Mann, Sie kommandiren ja schrecklich!«

»Ja, Geld will ich sehen, eher gebe ich ihn nicht aus der Hand. Das versteht sich ganz von selbst.«

»Aber höflicher können Sie wohl sein!«

»Wenn ich nur erst mein Geld in der Tasche habe, so sollen Sie sehen, welche Complimente ich Ihnen machen werde!«

Der Agent war ganz glücklich, durch einen so ganz außerordentlichen Zufall den Schließer in seine Hand zu bekommen. Er hatte heute einen so glücklichen Tag wie selten. Zwar hätte er sehr gern etwas weniger bezahlt, aber er hoffte, daß der Pascha ihm diese Auslage zurückerstatten werde. Darum zog er jetzt vom Leder und zählte fünfzehn Hundertmarkscheine hin. Der Andere gab ihm jetzt den Wechsel, steckte die Scheine ein und sagte:

»Gott sei Dank, das Geld ist gerettet! Ich will von einer Anzeige absehen, aber eine Güte will ich mir dennoch thun!«

»So? Was wollen Sie machen?«

»Ich werde zu dem Hallunken gehen und ihm ganz gehörig den Kopf waschen. Er soll niemals wieder für einen Pfennig Credit bei mir haben!«

»Bei mir natürlich auch nicht,« stimmte der Getreidehändler bei. »Er hat meinen Namen und meine Unterschrift gefälscht; ich werde ihm nie wieder trauen können. Ich gehe mit zu ihm und werde bei der Pelzwäsche tüchtig helfen.«

»Thun Sie das in Gottes Namen,« meinte der Agent. »Ich habe gar nichts dagegen und werde jetzt selbst zu ihm gehen und ihm den Standpunkt klar machen.«

Es lag nicht in seinem Interesse, länger zu bleiben. Er entfernte sich, nachdem er seine Zeche an den Wirth bezahlt hatte, der von seinem am Büffet befindlichen Sitze aus verwunderter Zeuge des ganzen Vorganges gewesen war.

»Auf den Leim gegangen,« lachte der vermeintliche Getreidehändler, als der Agent fort war.

»Und zwar gründlich!« stimmte der Andere lustig ein. »Nun glaubt er gewonnenes Spiel zu haben. Jetzt rennt er zum Bäcker!«

»Der ist indeß benachrichtigt worden und wird spaziren gegangen sein, um sich nicht antreffen zu lassen.«

Da kam der Wirth herbei und fragte verwundert:

»Das war wohl eine Finte?«

»Jawohl, mein Lieber.«

»Der Wechsel war gar nicht falsch?«

»Er war sehr falsch. Nicht nur die Unterschrift, sondern Alles war gefälscht.«

»Er hat ihn aber doch bezahlt!«

»Grämen Sie sich nicht um ihn!« lachte der Polizist. »Der Wechsel war ein Netz, in welches dieser Raubfisch glücklich eingegangen ist.«

»Da bin ich freilich neugierig, etwas Näheres zu erfahren!«

»Warten Sie noch! Sie und uns schon sehr oft gefällig gewesen, indem Sie uns beim Fange solcher Kerls unterstützten; aber Alles dürfen wir Ihnen denn doch nicht mittheilen.«

»Das glaube ich wohl. Der Mann ist Agent.«

»Agent, Schwindler und Gurgelabschneider. Bald wird er noch etwas Schlimmeres sein. Dann ziehen wir die Schlinge um seinen Hals zu. Selbst so ein Kluger geht in das Garn!«

In Einem hatte sich der Sprecher doch geirrt. Dem Agenten fiel es gar nicht ein, zu dem Bäcker zu gehen. Heut wollte er sich noch nicht von demselben sehen lassen; aber beobachten wollte er ihn, damit er ihm nicht entfliehe. Es war besser, wenn bis zum Abend Niemand erfuhr, in wessen Hände der Wechsel gerathen sei.

Er begab sich nach seiner neuen Wohnung, welche für ihn außerordentlich gut paßte. Erstens hatte er den Maler neben sich wohnen, und zweitens lag sie an einer einsamen, unbelebten Straße, wo er nicht zu befürchten brauchte, beobachtet zu werden.

Dort angekommen, begab er sich in den Garten, um zu sehen, ob man von da aus die Bewohner des benachbarten Grundstückes beobachten könne. Beide Gärten waren durch ein niedriges Eisenstacket von einander getrennt. Man konnte also ganz leicht aus dem einen in den andern blicken. Gegenwärtig aber war kein Mensch da drüben zu sehen.

Indem er da hinüberschaute, kam ihm ein Gedanke, welcher ihm, je länger er ihn sich zurecht legte, desto annehmbarer vorkam. Wie nun, wenn er zu dem Maler ging, um sich demselben vorzustellen? Das konnte ja gar nicht auffallen. Streng genommen war es eine Pflicht der Höflichkeit und ein Erforderniß

der guten Sitte, dem Besitzer der benachbarten Villa eine Antrittsvisite zu machen.

Er hielt diesen Gedanken fest, überlegte ihn hin und her und beschloß endlich, ihn auszuführen.

Darum kehrte er in sein Zimmer zurück, stellte sich vor den Spiegel, um sein Aeußeres einer Musterung zu unterwerfen, und fand, daß er den Eindruck eines eleganten, sehr wohlhabenden Mannes machen müsse, den man, ohne eine nicht zu entschuldigende Unhöflichkeit zu begehen, gar nicht abweisen könne.

Nun erkundigte er sich bei der Wirthin nach den Nachbarsleuten und erfuhr, daß sie dieselben nicht näher kenne, daß sie sehr zurückgezogen lebten, aber einen gelegentlichen, bescheidenen Gruß über den Zaun hinüber ganz freundlich erwidert hätten.

Er ging. Die Pforte des Vorgartens war verschlossen. Er mußte klingeln. Ein Dienstmädchen kam, um nach seinem Begehr zu fragen. Als er sich erkundigte, ob Herr Maler Normann zu sprechen sei, antwortete sie bejahend und ließ ihn ein. Er wurde in das Vorhaus der Villa geführt und gab da seine Karte ab. Das von der Meldung zurückkehrende Mädchen sagte ihm, daß der Maler ihn in seinem Atelier erwarte und führte ihn nach demselben.

Als er eintrat, kam Normann ihm höflich entgegen, die Karte in der Hand. Auf derselben war zu lesen: »Albin Schubert, Polizeiinspector a. D.«

Das Atelier besaß eine Einrichtung, aus welcher zu entnehmen war, daß der Maler ein gutes Privatvermögen besitzen oder ein Künstler sein müsse, der mit seinen Bildern ausgezeichnete Honorare erziele. Mehrere Staffeleien mit angefangenen Portraits standen im Lichte der breiten und hohen Glasfenster; an den Wänden hingen verschiedene, vortrefflich ausgeführte Charakterköpfe, und da, wo das Licht allzu grell herein drang, wurde es durch wohlangebrachte Vorhänge oder Gruppen seltener Blattpflanzen gemildert und gedämpft.

Normann hatte sich seit seinem Aufenthalte in der Türkei wenig oder gar nicht verändert. Seine Haltung und der Ausdruck seines Gesichtes waren selbstbewußter, bedeutender geworden. Aus dem Namen, welcher auf der Karte stand, konnte er nicht auf den Zweck des Besuches schließen. Ein Polizeisecretär außer Dienst konnte ihn doch wohl nicht in dienstlicher Angelegenheit aufsuchen, und die Pension eines solchen Herrn reicht doch nicht aus, theure Kunstwerke zu bestellen.

»Herr Normann?« fragte der Agent, sich verbeugend.

»Zu dienen, mein Herr.«

Er trug einen kurzen, sammetenen Schnurenrock und weise Leinenhosen. Die auf den letzteren befindlichen Farbenflecke verriethen, daß er sich jetzt bei der Arbeit befunden.

»Sie entschuldigen vielleicht die Störung,« sagte Schubert. »Ich komme nicht aus geschäftlichen, oder vielmehr künstlerischen Gründen, sondern aus einer sehr privaten und alltäglichen Ursache. Ich habe mich nämlich in der benachbarten

Villa eingemiethet und halte es für meine Pflicht, mich Ihnen vorzustellen.«

Er verbeugte sich; auch Normann machte eine Verneigung, doch zogen sich dabei seine Brauen ein wenig in die Höhe. Vielleicht war dies ein Zeichen, daß ihm an einem nachbarlichen Verkehr nicht viel oder auch gar nichts liege. Doch war er so gebildet und rücksichtsvoll, dies durch kein Wort anzudeuten.

Der Agent bemerkte die Bewegung der Augenbrauen sehr wohl. Er beurtheilte sie ganz richtig und beeilte sich daher, zu seinen Worten hinzuzufügen:

»Natürlich beabsichtige ich keineswegs, aus dieser ganz zufälligen Nachbarschaft für sie irgend welche persönliche oder gesellschaftliche Verpflichtung abzuleiten, zumal ich weiß, daß ein viel umworbener Künstler seine eigenen, selbstständigen Wege gehen muß und keine Fessel kennen darf: aber wenn man so neben einander wohnt, so sieht man sich gegenseitig, besonders beim Promeniren im Garten, und da ist es dann immer wünschenswerth, zu wissen, wen man neben sich hat.«

Jetzt nickte Normann zustimmend und antwortete:

»Sie haben Recht und ich bin Ihnen für Ihren freundlichen Besuch verpflichtet. Leider bin ich allerdings kein Gesellschaftsmensch. Ich suche nicht nach Freunden und Bekannten; ich bin kein Anhänger der gewöhnlichen Suche nach Zerstreuung; ich lebe nur meiner Kunst und meiner Häuslichkeit und besitze daher die schlimme Eigenschaft, für Andere ein ziemlich schlechter und langweiliger Gesellschafter und Kamerad zu sein.«

Das war deutlich genug. Er sagte dadurch auf das Allerverständlichste, daß er diesen Besuch zwar gestatte, aber eine Fortsetzung desselben nicht wünsche. Schubert war darüber im Stillen ziemlich erzürnt, ließ sich aber nichts merken, sondern sagte unter einem verbindlichen Lächeln:

»Sie zeichnen sich da wohl mit zu düsteren Farben. Wem die Zufriedenheit so aus den Augen strahlt, wie Ihnen, der kann ja niemals langweilig sein.«

»Diese Zufriedenheit ist eine Folge meines streng zurückgezogenen Lebens. Was ich habe, das genügt mir vollständig. Ich fühle mich glücklich und trachte also nicht nach Anderem. Aber bitte, nehmen Sie doch Platz und brennen Sie sich eine von meinen Cigarren an!«

Er schob dem Gaste einen Sessel an den Tisch, auf welchem ein offenes Cigarrenkistchen stand. Er selbst hatte eine brennende Havannah in der Hand.

»Setzen will ich mich wohl für einen kurzen Augenblick, nur um nicht unhöflich zu erscheinen,« meinte Schubert, »aber rauchen, nein, das werde ich doch lieber unterlassen.«

Er nahm Platz.

»Warum? Sind Sie nicht Raucher?«

»Sogar ein leidenschaftlicher.«

»So nehmen Sie nur! Ich weiß wohl, daß man bei einem Höflichkeitsbesuche nicht rauchen soll, aber ich hasse alles Gezwungene und dulde an mir selbst keinen Zwang. Darum habe ich, als Sie mir gemeldet wurden, die Cigarre in der Hand behalten. Rauchen Sie also immerhin! Sie erklären mir ja, daß Sie sich dadurch, daß ich selbst ungenirt weiter rauche, nicht beleidigt fühlen.«

»Von Beleidigung kann keine Rede sein, und um Ihnen das zu beweisen, werde ich Ihrem Wunsche nachkommen, aber eben auch nur aus diesem Grunde.«

Der Maler gab ihm Feuer und schob ihm den Aschenbecher zu, aber das Alles auf eine Art und Weise, daß zu ersehen war, er thue das nur, um selbst fortrauchen zu können.

Schubert war ergrimmt darüber. Er hatte nicht erwartet, daß man es ihm mit solcher Deutlichkeit merken lassen werde, daß er besser gethan hätte, zu Hause zu bleiben. Aber Leute seines Schlages verstehen es, sich über solche Dinge hinweg zu setzen. Er zeigte ein sehr unbefangenes, zufriedenes Gesicht, warf den Blick im Atelier umher, ließ ihn an einem halb vollendeten Gemälde hangen und fragte, indem er sich die Miene eines Kunstkenners zu geben versuchte:

»Ein herrlicher Kopf! Wohl nach dem Leben?«

»Allerdings.«

»Dann muß diese Dame eine Schönheit ersten Ranges sein, falls Sie nicht allzuviel geschmeichelt haben.«

»Ich schmeichle nie. Es ist mir im Gegentheile schon oft der Vorwurf gemacht worden, daß ich mich zu streng an die Wahrheit halte.«

»Das ist ein Vorzug, den man Ihnen nicht streitig machen sollte. Dieser Damenkopf hat orientalische Gesichtszüge, oder irre ich mich?«

»Nein. Das Original ist eine Orientalin.«

»Sie hat Ihnen gesessen?«

»Ja.«

»Ah! Ich denke, daß die Damen des Orients sich nicht sehen lassen dürfen!«

»Sie befindet sich nicht mehr dort.«

»Also wohl hier?«

Der Agent ahnte, daß er das Bild entweder von Tschita oder von Zykyma vor sich habe.

»Sie hat schon längst das Abend- mit dem Morgenlande vertauscht,« antwortete Normann ausweichend.

Dabei trat er an das Bild heran, griff zu der Palette, tauchte den Pinsel in die Farbe und that einige Striche, jedenfalls nicht absichtslos, sondern um anzudeuten, daß er zu arbeiten und also allein zu sein wünsche.

Der Agent preßte die Zähne zusammen. Er war ergrimmt über diese wiederholte Mahnung, daß er unwillkommen sei, durfte aber seine Gefühle nicht in Worten ausdrücken. Er erhob sich und sagte in leichtem Tone:

»Sie rauchen eine prachtvolle Cigarre; aber zwei Raucher in einem Atelier sind zu viel. Der Rauch schadet den Bildern. Die Farben dunkeln nach.«

Ein etwas satyrisches Lächeln glitt über Normann's ernste, männlich schöne Züge, doch fiel es ihm nicht ein, den unwillkommenen Gast eines Andern zu belehren. Er ergriff vielmehr dessen Bemerkung gleich direkt beim Kopfe und antwortete:

»Sie wollen gehen? Nun, so nehmen Sie meinen Dank für Ihre freundliche Aufmerksamkeit!«

»O bitte, ich that meine Pflicht, weiter nichts!«

Jetzt ließ der Agent auch ein ironisches Lächeln sehen und blickte sich dabei wie suchend im Kreise um.

»Ich verstehe!« meinte Normann unter einem leichten, diplomatischen Achselzucken. »Ich hätte Ihnen, der Sie unser Nachbar geworden sind, meine Frau zeigen sollen. Das ist aber leider ganz und gar unmöglich. Sie ist so häßlich, daß sie sich vor Jedermann verbirgt.«

Er sagte das in einem so ernsten Tone, daß Schubert ihn ganz bestürzt anblickte.

»Ist das wahr?« fragte er.

»Leider ja.«

»Sie ein Künstler, ein Maler, noch dazu ein Porträter, haben eine häßliche Frau?«

»Allerdings.«

»Mir kommt es im Gegentheil sehr natürlich vor.«

»Darf ich fragen, warum?«

»Gewiß.«

»Mann und Frau sollen sich äußerlich und innerlich ergänzen; darin liegt ja das Glück der Ehe. Je größer die Unterschiede sind, desto inniger streben die beiden so verschiedenen Pole einander zu.«

»Das ist mir neu!« rief der Agent erstaunt.

»Mir nicht. Haben Sie diese Beobachtung noch nicht gemacht, so bringen Sie mich in die nicht sehr angenehme Lage, zu zweifeln, daß Sie das sind, was ein Polizeibeamter doch sein muß, nämlich ein guter Psycholog. Blonde und Brünette suchen sich gegenseitig –«

»Das habe ich freilich beobachtet,« fiel der Agent schnell ein, um wenigstens einen Theil seiner psychologischen Ehre zu retten.

»Unsereiner hat es Jahr aus Jahr ein mit dem sogenannten Schönheitsideale zu thun. Schönheit und Schönheit und immer wieder Schönheit! Das ermüdet unendlich. Da thut es Einem gradezu wohl, zuweilen in ein nicht schönes, sondern gewöhnliches, vielleicht sogar häßliches Frauenangesicht blicken zu können.«

»Und doch habe ich gehört, daß Ihre Frau eine große Schönheit sei, wenigstens betheuerte dieses meine Wirthin!« entfuhr es unvorsichtiger Weise dem Agenten.

»So! Also haben Sie dieselbe gefragt?«

»Nein. Sie sprach unaufgefordert von den neben ihr wohnenden Herrschaften.«

»Ach so! Ich liebe es nämlich nicht, der Gegenstand besonderer oder gar absichtlicher Aufmerksamkeit zu sein. Empfehle mich, Herr Polizeiinspector!«

Er machte eine kalte, sehr förmliche Verbeugung und drehte sich um, gar nicht beachtend, ob diese Verbeugung erwiedert werde. Dem Agenten blieb nichts übrig, als zu gehen. Er wurde nicht einmal von Normann bis vor die Thüre des Ateliers begleitet.

Als er dieselbe hinter sich zugemacht hatte, blieb er stehen, drohte mit der Faust und murmelte:

»Das sollst Du mir entgelten, Mensch! Ach, wenn Du wüßtest, was ich thun kann! Wenn ich noch gezweifelt hätte, ob ich es thun soll, jetzt wäre ich doppelt dazu entschlossen!«

Da hörte er unten im Erdgeschosse Thüren gehen. Liebliche Frauenstimmen wurden laut.

»Ach! Schöner Zufall!« dachte er. »Jetzt sollen sie mir Farbe bekennen. Ich muß es doch erfahren.«

Er schritt die Treppe hinab und sah, daß die zum Vorsaale führende Thür offen stand. Drei Frauengestalten waren herausgetreten, Tschita, Zykyma und die Amme, welcher die Zunge herausgeschnitten worden war. Sie wohnte bei Tschita.

Der Agent blieb stehen, ganz erstaunt über die unvergleichliche Schönheit der beiden Erstgenannten.

Sein Gesicht war in diesem Augenblicke so wenig geistreich, daß sie in ein lustiges Lachen ausbrachen.

Er sammelte sich schnell und zeigte ein anderes Gesicht. Er erkannte in Zykyma das Original des Porträts, welches er oben im Atelier gesehen hatte. Sie war seiner Ansicht nach nicht die Frau Normanns; darum wendete er sich an Tschita:

»Verzeihung, Frau Normann?«

»Nein,« lachte sie, einer plötzlichen Eingebung folgend, da sie so heiter gestimmt war.

»So sind Sie es?«

Diese Frage war an Zykyma gerichtet.

»Auch nicht,« antwortete diese.

Er machte ein ziemlich verblüfftes Gesicht und meinte im höchsten Grade enttäuscht:

»Aber wer ist es denn?«

»Diese Dame hier.«

Dabei deutete Tschita auf die Amme.

»Diese? Donnerwetter!«

Er war ganz erschrocken. Sollte Normann wirklich dieses alte Weib geheirathet haben.

»Warum erschrecken Sie so?« fragte Tschita, der es ebenso schwer wie ihrer Freundin wurde, nicht grad hinaus zu lachen.

»Erschrecken? Ach! Oh! Ueber gar nichts.«

Und da er doch fühlte, daß er die Verpflichtung habe, nachdem er nach der Frau des Hauses gefragt hatte, ihr einige Worte zu sagen, wendete er sich unter einer höflichen Verbeugung an die Amme:

»Verzeihung, gnädige Frau! Ich komme von ihrem Herrn Gemahle und dachte –«

Er hielt inne, in der Erwartung, von ihr ein aufmunterndes Wort zu hören. Da sie ihn aber schweigend anblickte, fuhr er fort:

»Und dachte, daß es meine Pflicht sei, mich auch Ihnen vorzustellen. Gestatten Sie es?«

Sie nickte.

»Ich bin Polizeiinspector in Pension, heiße Schubert und wohne hier nebenan. Hoffentlich fühlen Sie sich, wenn ich mich einmal im Garten befinde, durch meine Gegenwart nicht belästigt!«

Wieder erwartete er eine Antwort. Er hörte nur ein unartikulirtes Lallen, welches aus ihrem Munde drang.

»Herrgott!« rief er. »Ist die Dame stumm?«

»Leider!« antwortete Tschita.

Jetzt war es aus mit seiner Fassung.

»Und die hat einen solchen Mann bekommen?« fragte er. »Entschuldigung, meine Damen! Sind Sie verwandt mit ihr?«

»Nein, aber mit mir!« ertönte es lachend von oben herab.

Der Agent blickte zur Treppe hinauf. Droben stand Normann, der durch das Gelächter der Damen herausgelockt worden war. Als Schubert ihn erblickte, stieg in ihm eine Ahnung auf. Er fragte in zornigem Tone:

»Was haben Sie zu lachen?«

»Was haben Sie sich um uns zu kümmern?« ertönte es von oben herab. »Wenn Sie es noch nicht verstanden haben, daß wir auf Ihre Gegenwart verzichten, so will ich es Ihnen hiermit deutlicher sagen.«

»Alle Teufel, Herr, das ist eine Beleidigung!«

»Natürlich!«

»Sie werden mir Genugthuung geben.«

»Mit dem Küchenbesen? Ja, gern. Ich werde den Befehl dazu sofort ertheilen.«

Er kam herab.

»Hole Sie der Teufel!« schrie der Agent und machte sich davon, und zwar sehr schnell.

»Wer ist der Mann?« fragte Tschita.

»Auf seiner Karte steht Polizeiinspector außer Dienst. Er ist heut im Nebenhause eingezogen und kam, sich vorzustellen.«

»Und Du behandelst ihn gegen Deine sonstige Höflichkeit in dieser Weise?«

»Bist etwa Du höflicher gewesen?« fragte er lächelnd.

»Nun, ausgelacht haben wir ihn gehörig. Er war aber auch gar zu komisch.«

»Ihm ist sein Recht geschehen. Er ist ein abgesetzter und bestrafter Beamter. Es würde uns sehr blamiren, ihn bei uns zu empfangen.«

»Kennst Du ihn denn?«

»Nein; aber während eines Spazierganges mit dem Bürgermeister begegnete er uns, und ich wurde auf ihn aufmerksam gemacht. Er treibt allerhand dunkle und zweideutige Geschäfte, und daß er so ganz gegen die Gepflogenheit eines Badeortes zu mir kommt, nur um mir zu sagen, daß er drüben bei der Wittfrau wohnt, das läßt mich vermuthen, daß er mit seinem Besuche eine gewisse Absicht verbindet.«

»Welche könnte das sein?«

»Ich weiß es natürlich nicht.«

»Paul, es droht uns doch nicht etwa gar eine Gefahr!«

»O nein! Für Euch giebt es keine Gefahren mehr. Wenn dieser Mensch seine Absichten auf uns gerichtet hat, so sind die Gründe jedenfalls nicht in Euren früheren Verhältnissen zu suchen. Ich werde ihm meine Aufmerksamkeit schenken.«

Der, von dem sie sprachen, war in seine Wohnung zurückgekehrt. Er schritt wüthend in derselben auf und ab, stieß die zornigsten Flüche aus und schmiedete allerhand Rachepläne, welche aber lauter Luftschlösser waren, die bei reiflicher Ueberlegung in sich zusammenfielen. Er hielt an dem Hauptgedanken fest:

»Die beiden jungen Damen waren Tschita und Zykyma; das ist sicher. Sie haben mich ausgelacht und sollen das bereuen. Ich spiele sie dem Pascha in die Hände und werde dafür sorgen, daß er sie glücklich nach Constantinopel bringt. Das soll meine Rache an diesem Normann sein.«

Er machte es sich nun behaglich und dachte diesen Gedanken vollständig aus. Dann, als es dunkel zu werden begann, begab er sich nach dem Pavillon, um den Pascha dort zu erwarten. Dieser kam sehr bald nach ihm, und die Beiden sorgten dafür, daß eine lange Zeit verging, bis sie sich draußen trafen. Der Agent verließ, wie ausgemacht worden war, das Lokal zuerst, und der Pascha kam dann schnell nach.

»Nun,« fragte der Letztere. »Haben Sie etwas in der Angelegenheit zu thun vermocht?«

»Glücklicher Weise, ja, doch wir wollen nicht hier davon sprechen. Kommen Sie!«

Er führte ihn nach seiner Wohnung. Als er den Schlüssel in die jetzt verschlossene Gartenpforte steckte, sagte der Pascha:

»Da hinein führen Sie mich? Sie thun ja, als ob Sie hier zu Hause seien!«

»Das bin ich auch.«

»Wie? Ich denke, Sie wohnen im ›Schwan‹?«

»Bis heut Vormittag. Dieses neue Logis habe ich mir Ihretwegen gemiethet.

»Wieso?«

»Das werden Sie gleich hören.«

Er verschloß die Pforte hinter sich und führte den Pascha hinein in die Wohnung. Diese war jetzt unerleuchtet; darum brannte er eine Lampe an und schob dann seinem Gaste die Cigarren hin.

Dieser blickte sich im Zimmer um und meinte:

»Also hier wohnen Sie meinetwegen! Ich möchte wohl die Gründe dazu kennen lernen.«

»Das sollen Sie. Tschita und Zykyma wohnen hier nebenan.«

»Was? Tschita und Zykyma hier nebenan?«

»Ja, so wie ich es sage.«

»Nebenan im Zimmer?«

»O nein,« lachte der Agent. »Gar so bequem haben wir es freilich nicht. Uebrigens dürften Sie da nicht so schreien wie jetzt.«

»Ja, richtig, richtig! Ich war ganz außer mir. Sie meinen wohl im Hause nebenan?«

»Ja.«

»Ach, das ist herrlich, herrlich! Aber irren Sie nicht etwa? Wissen Sie es genau?«

»So gewiß, daß gar kein Irrthum möglich ist.«

»Haben Sie sie gesehen?«

»Gesehen und sogar gesprochen.«

»Alle Teufel! Ist es wahr?«

»O, ich habe mich sogar so gut mit Ihnen unterhalten, daß sie herzlich gelacht haben.«

»So waren Sie bei ihnen?«

»Versteht sich. Ich miethete mir dieses Logis und stellte mich dann dem Maler vor.«

»Wie wurden Sie aufgenommen?«

»Wie ein Hundsfott.«

Er erzählte alles genau, wie es sich zugetragen hatte. Als er fertig war, sagte der Pascha:

»Es stimmt. Jetzt weiß ich genau, daß es die Richtigen sind. Die Alte war die Amme.«

»Amme? Donnerwetter!«

»Ja. Die Kleinere, die Blonde, war Tschita.«

»Das soll mir das Volk entgelten! Er lebt so glücklich mit ihr. Er will nichts als sie und seine Kunst! Man weiß also, in welcher Weise man sich am Besten an ihr rächen kann!«

Der Pascha hörte diesen Zornesausbruch mit sehr großem Vergnügen. Er gewann dadurch die Ueberzeugung, daß der Agent Alles thun werde um den Raub der beiden Frauen zu ermöglichen.

»Ja,« sagte er, »man hat sich ungeheuer lustig über Sie gemacht. Darum sind Sie diesen Leuten eine Erkenntlichkeit schuldig.«

»Die sollen sie haben! Aber kennen Sie denn diese Amme auch?«

»Ja.«

»War sie auch in Constantinopel?«

»Versteht sich.«

»Und auch schon stumm?«

»Sie war stumm. Sprechen wir nicht davon, sondern von der Hauptsache. Wird es möglich sein, die beiden Frauen zu entführen?«

»Ich hoffe es.«

»Aber weit wird man nicht mit ihnen kommen.«

»O doch! Es giebt ein vortreffliches Mittel.«

»Ich finde keines, obgleich ich sehr darüber nachgedacht habe.«

»Ja, Sie!« lachte Schubert. »Sie sind auch nicht Polizist gewesen wie ich. Das Mittel besteht in einem Verhaftsbefehl.«

»Ah! Verhaftsbefehl! Das ist freilich ein wunderbar vortrefflicher Gedanke. Aber wessen wollen Sie die Frauen anklagen?«

»Wegen nichts.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Das höre ich. Meinen Sie, ich will sie von der hiesigen Polizei verhaften lassen? Das würde ja ganz zwecklos sein. Erstens giebt es keinen Grund zur Verhaftung und zweitens wären wir, wenn sie im Gefängnisse stäken, nicht weiter als jetzt.«

»Und doch sprechen Sie von einem Verhaftsbefehle? Erklären Sie sich!«

»Wir rauben sie und fahren sie in einem uns eigenthümlich gehörenden Wagen davon. Ich fälsche einen Verhaftsbefehl, welchen wir nöthigenfalls vorzeigen. Er wird uns legitimiren und uns sogar ermächtigen, den Schutz sämmtlicher Behörden des In- und Auslandes zu requiriren.«

»So, also so ist es! Hm! Wird man die Fälschung nicht etwa entdecken?«

»Nein. Es ist ein wirklicher Verhaftsbefehl; das einzige Falsche daran ist, das er sich in unseren Händen befindet und nicht in denen eines wirklichen Polizisten!«

»Schön! Vortrefflich! Und wenn soll das geschehen?«

»Sachte, sachte! So weit sind wir noch nicht.«

»Ich möchte keine Zeit verlieren.«

»Haben Sie denn weiter nichts vor?«

»Ach ja! Ich will mich doch an Steinbach machen und den Derwisch befreien. Haben Sie über diesen Etwas erfahren?«

»Ja, und zwar etwas Gutes.«

»Das ist mir lieb. Was denn?«

»Wir können noch heut mit ihm reden.«

»Das ist ja herrlich! Sie sind wirklich ein Kapitalmensch. Aber nur sprechen können wir mit ihm?«

»Zunächst weiter nichts.«

»Es ist eigentlich wenig.«

»O bitte! Heut haben Sie mir den Auftrag ertheilt, und bereits heut habe ich es so weit gebracht, daß Sie mit ihm sprechen können! Das ist genug. Wollen Sie bedenken, daß er noch stärker bewacht wird als ein jeder andere Gefangne!«

»Das ist freilich wahr. Hoffentlich aber kommen wir noch weiter als blos mit ihm zu sprechen!«

»Ganz gewiß und nicht nur hoffentlich!«

»Das sagen sie in einem so zuversichtlichen Tone? Wissen Sie bereits mehr?«

»Ja, und zwar, daß wir den Derwisch befreien werden, falls Sie gewillt sind, diesen Wechsel einzulösen.«

Dabei hatte er die Anweisung hervorgezogen und gab sie dem Pascha. Dieser konnte Deutsch besser sprechen als lesen. Der Agent mußte die Schrift vorlesen. Sodann erklärte er, wie er zu dem Papiere gekommen war.

Der Pascha stand auf und schritt in dem Zimmer auf und ab. Er knöpfte den Rock auf, als ob es ihm zu warm werde.

Schubert beobachtete ihn eine Weile und fragte dann besorgt:

»Was ist Ihnen?«

»Warm ist es mir, sogar heiß!«

»Warum? Sind sie unwohl?«

»Sehr wohl, sehr wohl ist mir.«

»Aber den Wechsel einzulösen, das macht Ihnen wohl Schmerzen?«

»Gar keine, gar keine! Sie sollen Ihr Geld haben, und zwar gleich. Ich bin nur so erregt, weil dieses Gelingen so plötzlich kommt. Ich habe mich Jahre lang vergeblich abgemüht, und kaum habe ich Ihnen ein Wort gesagt, so ist die Sache bereits abgemacht. Ich bin außerordentlich mit Ihnen zufrieden, ganz außerordentlich! Es fehlt blos noch Eins.«

»Was wäre das?«

»Steinbach müßten wir haben, aber leider ist dieser nicht da.«

»Er kommt. Seine Ankunft ist ja bereits gemeldet.«

»Aber, wenn er wirklich Prinz ist, wie will ich mich da an ihm rächen können!«

»Abwarten! Kommt Zeit, kommt Rath! Wir werden es so einrichten, daß Alles, was wir vorhaben, auf einmal geschieht.«

»Wenn wir es fertig bringen!«

»Ich garantire. Greifen wir zunächst zum Allernächsten. Sie wollen Zykyma und Tschita sehen. Kommen Sie herunter in den Garten.«

»Befinden sie sich denn dort?«

»Nein. Wenigstens habe ich keinen Grund zu glauben, daß sie da sind. Wir müssen Sie vielleicht trüben aufsuchen. Wir müssen sehen, in welcher Weise es möglich ist, sie zu Gesicht zu bekommen. Dabei aber wollen wir vorsichtig sein. Selbst meine Wirthin braucht nicht zu wissen, daß wir uns im Garten befinden.«

Er verlöschte die Lampe, und dann begaben sich die Beiden möglichst leise in den Garten.

Es war kurz nach der Zeit des Neumondes, also ganz dunkel. Niemand konnte die zwei Männer sehen. Sie schlichen sich längs des Verbindungszaunes hin und horchten; aber es ließ sich gar nichts hören. Sie gelangten zu der Ueberzeugung, daß sich Niemand im Nachbargarten befinde.

»Können Sie klettern?« fragte Schubert.

»Ein Wenig. Wollen Sie hinüber?«

»Ja.«

»Nun, ein Eichhörnchen bin ich grade nicht.«

»Schadet nichts. Ich helfe Ihnen.«

Nach einiger Mühe gelang es dem Agenten, den dicken Pascha über das Stacket zu schaffen. Nun schlichen sie durch den nachbarlichen Garten nach der Giebelseite der Villa.

Dort gab es eine Veranda, welche mit Glasscheiben verschlossen war. Eine Ampel brannte in derselben und warf ihr Licht heraus in die Finsterniß des Gartens.

Drinnen saßen Tschita und Zykyma, beide mit weiblichen Arbeiten beschäftigt.

»Allah w' Allah!« sagte der Pascha, indem er den Arm Schubert's ergriff. »Sie sind es.«

»Erkennen Sie sie also?«

»Ja, ja.«

»Sind sie noch so schön wie früher.«

»Schöner fast, viel schöner als vordem!«

Er knirrschte mit den Zähnen.

»Ach, da habe ich Euch endlich!« zischte er. »Ihr sollt nicht mehr lange hier sitzen. Ihr werdet mir folgen müssen, und dann, dann sollt Ihr empfinden, was es heißt, Ibrahim Pascha heimlich zu verlassen, und mit solch einem Laffen davon zu laufen!«

Er befand sich in einer großen Wuth. Der Agent ergriff ihn am Arme und flüsterte:

»Still! Jetzt gilt es nicht, zu räsonniren. Wir möchten am Liebsten Etwas hören. Aber sie sitzen so still beisammen. Horch!«

Eine Glocke ertönte.

»Das ist die Glocke am vorderen Pförtchen.«

»Kennen Sie den Ton?« fragte der Pascha.

»Ja, ich habe mir ihn sehr genau gemerkt. Es kommt jedenfalls Jemand.«

Man hörte eine Thür öffnen, dann gingen leichte Schritte vom Hause nach der Gartenpforte.

»Das Dienstmädchen,« sagte der Agent.

Bald hörte man nahende Schritte.

»Wo sind sie?« fragte eine Männerstimme.

»In der Veranda,« antwortete das Mädchen.

Die Hausflur wurde hinter Beiden verschlossen. Kurze Zeit darauf öffnete sich die Thür, welche von der Wohnung nach der Veranda führte, und ein junger, sehr fein gekleideter Mann trat ein.

»Teufel!« knirrschte der Pascha.

»Kennen Sie ihn?«

»Ja.«

»Wer ist er?«

»Jener Hermann Wallert, welcher, pst!«

Drinnen wurde gesprochen.

»Guten Abend!« grüßte Wallert. »Wo ist denn unser Paul?« Er meinte Normann.

»Er ging einmal nach der Stadt,« antwortete Tschita, »wird aber nicht lange bleiben.«

»Schade, schade!«

»Warum?«

»Ich habe eine wichtige Nachricht für ihn.«

»Nur für ihn, nicht auch für uns?«

»Für uns alle. Schaut her!«

Er hielt ein zusammengefaltetes Papier empor, an welchem ein Siegel zu sehen war.

»Ein Telegramm?« fragte Tschita.

»Ja, ein herrliches, prächtiges Telegramm.«

»Woher?«

»Aus Königsberg.«

»Ah! Wer könnte Dir von dort aus telegraphiren? Hast Du Bekannte dort?«

»Nein. Der Verfasser des Telegrammes hat sich nur auf der Durchreise dort befunden; doch ich will es Euch vorlesen.«

Er öffnete das Papier und las:

»In Königsberg angekommen. Uebermorgen bin ich bei Euch. Bringe auch Jemanden mit. Herzlichen Gruß! Steinbach.«

»Ach, Steinbach!« rief Tschita jubelnd.

»Steinbach!« rief auch Zykyma, die Händchen zusammenschlagend.

»Ja, Steinbach!« lachte Hermann glücklich. »Endlich, endlich kommt er! Und wenn Ihr wüßtet, was für eine Ueberraschung er mitbringt!«

»Für wen? Für uns alle?«

»Für uns Alle und ganz besonders für Zykyma.«

Die Genannte blickte zu ihm auf und fragte:

»Für mich? Was wäre das?«

»Du mußt nicht fragen, was, sondern wer wäre das.«

»Wer? Also eine Person?«

»Ja, eine Person ist's, die er Dir mitbringt.«

Sie schüttelte nachsinnend den Kopf.

»Ich wüßte nicht, wer das sein könnte!«

»Aber ich weiß es.«

»Nun, wer ist es?«

»Das werde ich nicht sagen, sondern lieber vorlesen. Ich habe nämlich zwei Depeschen erhalten anstatt nur einer.«

»Lies, lies!« bat Tschita.

Er zog noch ein ähnliches Papier hervor und faltete es aus einander. Dabei bemerkte er:

»Zykyma, ich bitte Dich, nicht zu erschrecken!«

»Ist's etwas Schlimmes?« fragte sie ängstlich.

»Nein. Es ist im Gegentheile etwas unendlich Glückliches.«

»So erschrecke ich nicht, bitte, lies vor!«

»So will ich erinnern, daß Steinbach telegraphirt, er werde Jemand mitbringen. Darauf bezieht sich nun dieses zweite Telegramm.«

»Meine Geliebten. Dieser Jemand, von welchem Steinbach telegraphirt, bin ich. Euer endlich gefundener Georg von Adlerhorst.«

Tschita stieß einen Freudenschrei aus.

»Mein Bruder, mein Bruder! Ist's wahr, Hermann, ist's wahr?«

»Ja, Tschita, es ist wahr.«

»Zeig her, zeig her!«

Sie wollte ihm das Telegramm aus der Hand nehmen.

»Halt!« sagte er. »Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Es steht noch Etwas drin.«

»Das muß ich auch wissen.«

»Nein, jetzt noch nicht.«

»Warum nicht?«

»Es muß noch Geheimniß bleiben, bis wir unsere Zvkyma darauf –«

Er wendete sich nach Zykyma um. Sie war nicht mehr da. Sie hatte, als er das letztere Telegramm vorgelesen hatte, mit beiden Händen nach dem Herzen gegriffen und sich an die Wand gelehnt, als ob sie von einer plötzlichen Schwäche ergriffen worden sei. Dann hatte sie sich, während die beiden Andern mit einander sprachen, sich heimlich aus der Veranda geschlichen.

»Sie ist fort,« sagte Hermann von Adlerhorst.

»Das ist erklärlich,« meinte Tschita, mit bedeutungsvollem, ernsten Kopfnicken.

»Ja,« antwortete seufzend der junge Mann, »auch ich begreife es.« Tschita öffnete die Thür, durch welche Zykyma verschwunden war, blickte hinein, schloß sie dann wieder zu und sagte:

»Sie ist auch nicht mehr da drinnen. Wir können also sprechen. Wir haben so lange Zeit nichts davon erwähnt. Hermann, lieber Bruder, liebst Du sie immer noch?«

»Mehr als je!« betheuerte er.

»Ich glaubte, Du würdest dieses mächtige Gefühl nach und nach besiegen können.«

»Das ist unmöglich, Schwester. Würdest Du Dir Deine Liebe zu Normann aus dem Herzen reißen können?«

»Nie!«

»Schau, so geht es auch mir.«

»Wie unglücklich für Dich!«

»Leider, leider! Sie liebt noch immer jenen russischen Officier, jenen Georg Orzelschasta, der natürlich kein Anderer ist als unser jetzt so glücklich heimkehrender Bruder.«

»Kann das ein Trost für Dich sein, Hermann?«

»Ja. Ich will sie lieber an der Seite meines Bruders als in den Armen eines Anderen glücklich sehen.«

»Aber dieses Sehen muß Dir Schmerz bereiten.«

»Er wird nicht so groß sein, wie derjenige, welcher ihr bevorsteht.«

»Ihr? Ein Schmerz?«

»Ja, ein Schmerz, ein großes, schweres Leid. Darum las ich die Depesche nicht aus. Da Zykyma nicht da ist, kann ich sie Dir vorlesen. Sie lautet vollständig:

»Meine Geliebten. Dieser Jemand, von welchem Steinbach telegraphirt, bin ich. Ich kehre mit ihm heim zu Euch und bringe meine Braut mit, die ich Eurer innigsten Liebe empfehle. Euer endlich wiedergefundener Bruder Georg von Adlerhorst.«

»Mein Gott!« rief Tschita. »Er hat eine Braut!«

»Eine Braut, ja!« nickte Hermann. Er hat Zykyma vergessen.«

»Das sagst Du in einem solchen Tone!«

»Soll ich mich darüber freuen?«

»Du liebst sie und freust Dich nicht darüber, daß sie frei wird?«

»Ich liebe sie und will sie glücklich sehen. Kann sie aber glücklich sein, wenn sie erfährt, daß er ihr untreu geworden ist?«

»Das ist edel, sehr edel von Dir gedacht. Aber ich glaube nicht, daß ein Adlerhorst untreu sein kann.«

»Er ist untreu; er telegraphirt es sogar!«

»So ist er vielleicht nicht jener so viel von uns besprochene Orzelschasta.«

»O doch. Es ist gar kein Zweifel daran. Aber ich denke mir, daß es sich bei ihm gar nicht um eine bindende Liebe gehandelt hat. Sie haben sich gekannt, wie man sich eben zuweilen kennen lernt; er ist freundlich zu ihr gewesen; sie aber hat das für Liebe gehalten und sich als für immer und ewig an ihn gebunden betrachtet.«

»So ist's, ja, so ist's, lieber Bruder.«

»Sie hat stets an ihn gedacht und nur in seinem Andenken gelebt. Wie fürchterlich muß sie nun die Nachricht treffen, daß er verlobt ist!«

»Es wird entsetzlich für sie sein! Was thun wir nur, um es ihr weniger schwer erscheinen zu lassen?«

»Zunächst können wir nichts thun, als sie darauf vorbereiten.«

»Wer soll das thun?«

»Natürlich Du.«

»Ich?« rief Tschita. »Bruder, dazu habe ich kein Geschick.«

»Geschick oder nicht. So etwas ist Frauensache.«

»Wenn ich es ihr sage, so bricht sie sofort verzweifelt zusammen. Sage Du es ihr!«

»Ich?« fragte er verwundert. »Wie käme ich dazu?«

»Es mag schwer für Dich sein; ich glaube es; aber es ist dennoch besser, daß sie es aus Deinem Munde erfährt, als aus dem meinigen.«

»Warum?«

»Sie wird sich scheuen, ihren Schmerz vor Dir sehen zu lassen. Sie wird sich also zu beherrschen suchen, und das hilft ihr über den ersten Schreck hinweg.«

»Hm! Wie klug Du bist!«

»Ist's nicht wahr?«

»Ja, wahr ist es. Und dabei gelingt es Dir, diese schwierige Aufgabe von Deinen zarten Achseln auf meine breiten Schultern zu legen.«

Er lächelte ihr entgegen. Sie fragte auch lächelnd:

»Also, willst Du es thun, lieber Bruder?«

»Da Du es wünschest, ja.«

»Ich werde lauschen, wo sie ist.«

Sie entfernte sich durch die Thür, durch welche auch Zykyma gegangen war. Hermann setzte sich nieder.

»Das Licht schien grad in sein Gesicht. Auch er war männlicher und ausgeprägter geworden. Trotz seiner noch jugendlichen Züge sah man, daß ein stilles, schweres Entsagen tief in seinem Innern wohnte.

»Das ist der verfluchte Hallunke!« flüsterte der Pascha. »Hermann Wallert nannte er sich, Hermann Adlerhorst aber heißt er.«

»Also ein Glied jener Familie!«

»Jener verfluchten Sippe, die Allah verdammen möge. Auch er soll zu Grunde gehen mit den Anderen.«

»Wenn ich recht vermuthe, so wohnt er in dem Häuschen im Parke.«

»Woher weißt Du es?«

»Ich erkundigte mich. Horch!«

Es ging wieder eine Thür. Man hörte leichte Schritte, welche sich jenseits der Ecke näherten.

»Es kommt Jemand. Rasch fort!« flüsterte der Agent.

Er zog den Pascha mit sich von der Veranda fort, weiter in den Garten hinein.

»Warum so weit?« meinte dieser. »Es ist ja so dunkel, daß man uns gar nicht sehen kann, wenn wir uns nur niederducken. – Bleiben wir.«

»Nein, wir bleiben nicht. Schauen Sie! Ein weißes Kleid. Das ist Zykyma. Sie geht in den Garten, um allein zu sein. Er aber will mit ihr reden; es steht also zu erwarten, daß er ihr nachkommt.«

»Richtig, richtig! Vielleicht erlauschen wir da etwas. Kommen Sie!«

Sie zogen sich weiter und weiter zurück. Zykyma folgte ihnen, als ob sie sie gesehen habe, in derselben Richtung.

Endlich konnten sie nicht weiter. Sie waren in der Ecke angelangt. Dort standen mehrere niedrige, junge Tannen, deren Aeste über eine Bank ragten.

»Der Teufel soll mich holen, wenn sie sich nicht hier niedersetzt,« meinte Schubert. »Bleiben wir da?«

»Aber nicht auf der Bank!«

»Da würde sie uns bemerken. Nein. Wir stecken uns hinter dieselbe. Kommen Sie.«

Sie krochen unter die Bäume und setzten sich in das Moos nieder. Kaum war dies geschehen, so kam Zykyma herbei. Sie blieb einige Augenblicke nachdenklich stehen und setzte sich dann nieder.

»Dachte es mir!« flüsterte Schubert. »Nun wird es gar nicht lange dauern, daß auch er kommt.«

Der Agent hatte ganz richtig geahnt. Es waren noch nicht fünf Minuten vergangen, so hörte man Schritte. Zykyma stand auf und machte eine Bewegung, als ob sie sich entfernen wollte, setzte sich aber doch wieder nieder.

Es war Julius. Langsam kam er herbei. Er konnte nicht fehl gehen, da er ihr Kleid schimmern sah.

»Zykyma, Du hier?« sagte er. »Tschita sucht Dich überall.«

»Ich komme gleich,« antwortete sie.

»Heißt das, daß ich gehen soll?«

»Nein. Das wollte ich nicht sagen.«

»So darf ich mich ein wenig zu Dir setzen?«

»Setze Dich.«

Er nahm neben ihr Platz, doch so, daß eine Lücke zwischen ihnen blieb. Sie saßen ein kleines Weilchen still neben einander. Dann fragte er:

»Freust Du Dich nicht auf Steinbach?«

»O, von ganzem Herzen! Er hat so Großes an uns gethan, daß es entzückend ist, zu hören, daß wir ihn bald wiedersehen werden.«

»Ja, Du hast Recht. Er hat wirklich Großes an uns gethan. Ohne ihn hätte ich Tschita nicht entführen können: ohne ihn wärest auch Du die Sclavin dieses Ibrahim Pascha geblieben. Er ist unsere Vorsehung gewesen. Und nun bringt er uns sogar den Bruder. Hast Du gewußt, daß er nach Rußland ging, ihn zu suchen?«

»Nein.«

»Wir auch nicht. Aber im Stillen ahnte ich es gar wohl. Wo mag er ihn gefunden haben?«

»Vielleicht im Kaukasus.«

»Dort? Meinst Du, daß der Bruder sich in letzter Zeit dort befunden hat?«

»Ich denke es.«

Sie gab ihre Antworten nicht in freudigem, sondern in einem mehr gedrückten Tone, den er nicht zu begreifen vermochte. Sie liebte Georg, sie wußte noch nicht, daß er mit einer Braut kommen werde; also mußte sie sich doch nicht nur darüber, daß er endlich kam, freuen, sondern ganz entzückt davon sein! Hermann verstand ihr kleinlautes Wesen nicht.

»Du bist also auch wie ich der Ansicht, daß jener Orzeltschasta mein Bruder sei?« fragte er.

»Ich muß es denken, denn die Namen lauten gleich, und so wie Du Deinen Bruder Georg beschrieben hast, genau so war auch er.«

»Es sollte mich herzlich freuen, wenn wir uns nicht irrten!«

»Wirklich?« fragte sie leise.

»Ja. Georg war ein guter, wackerer Knabe. Er wird ein braver Mann geworden sein, und ich bin überzeugt, daß Du als seine Gattin an seiner Seite glücklich sein wirst.«

»Sprich nicht davon!« bat sie in gepreßtem Tone.

»Warum nicht?«

»Ich mag es nicht hören. Ich denke gerade jetzt an wichtigere Dinge, die mich ganz in Anspruch nehmen.«

Er schwieg eine kleine Weile, dann war es ein sehr verwunderter Ton, in welchem er fragte:

»Was könnte es für Dich Wichtigeres geben, als die Ankunft dessen, welchen wiederzusehen das größte Glück für Dich sein muß?«

Sie antwortete nicht sofort. Dann sagte sie mit leiser, und doch hörbar bewegter Stimme:

»Hermann, ich weiß, daß Du mir Deine stille Freundschaft widmest. Ich möchte Dir etwas anvertrauen, wobei Du dieselbe bethätigen könntest.«

»Sprich, Zykyma! Es soll mich sehr freuen, wenn ich Dir beweisen darf, wie gern ich Alles, Alles für Dich thue.«

»Aber es ist etwas ganz Unerwartetes!«

»Es kann keinen Deiner Wünsche geben, den ich Dir nicht erfülle, wenn ich ihn überhaupt zu erfüllen vermag.«

»Ich bin davon überzeugt, und grad darum wende ich mich an Dich. Ich will nämlich – – fort.«

»Fort?« fragte er, sich von seinem Sitze erhebend. »Fort von hier, von uns? Ist das möglich?«

»Ja; ich will nicht nur, sondern ich muß.«

»Du mußt! Das ist freilich etwas sehr Unerwartetes. Was treibt Dich zu diesem Entschlusse?«

»Darüber möchte ich am liebsten schweigen.«

»Ich werde natürlich nicht in Dich dringen, mir etwas zu sagen, was Du mir nicht gern und freiwillig mittheilst. Aber fragen muß ich Dich doch, wer die Person ist, welche Dir den Aufenthalt bei uns so sehr verleidet hat.«

»Niemand ist es, gar Niemand!«

»Und dennoch willst Du fort? Wenn keine Person es ist, so muß der Grund in unseren Verhältnissen oder in irgend einem Ereignisse liegen.«

»Das Letztere ist der Fall.«

»Ein Ereigniß also! Welches ist es wohl?«

»Frage mich nicht. Ich kann nicht darüber reden.«

Er setzte sich wieder zu ihr nieder, ergriff ihre Hand und sagte in innigem Tone:

»Zykyma, ich bin allerdings bereit, Alles für Dich zu thun; aber ich bitte Dich, einen so wichtigen Schritt nicht unüberlegt zu unternehmen!«

»Ich habe ihn überlegt.«

»Auch reiflich, wirklich reiflich?«

»Ja. Ich habe ihn nach allen Seiten überdacht.«

»Dann können wir freilich nichts, gar nichts dagegen thun. Du bist Deine eigene Herrin, und wir haben kein Recht, über Dich anders zu bestimmen, als Du es wünschest. Aber bedenke, wie lieb wir Dich haben! Du bist uns Allen zur Schwester geworden; wir mögen Dich nicht in unserem Kreise missen, und wenn Du uns verlässest, so wird bei uns und auch in unseren Herzen eine Lücke entstehen, welche wir niemals ausfüllen können. Ueberlege es also doppelt, bevor Du uns ein solches Leid bereitest!«

»Ich habe es überlegt,« wiederholte sie, »und es ist meine Ueberzeugung, daß ich nicht anders kann.«

»Das ist traurig, das ist sehr traurig! Und Du kannst mir also den Grund wirklich nicht mittheilen?«

»Nein; ich darf nicht.«

»Was werden sie sagen, was werden sie sagen!«

Er erhob sich wieder und ging in kurzen Schritten vor der Bank hin und her. Der Gedanke, daß die so innig Geliebte ihn und die Anderen verlassen wolle, erregte ihn außerordentlich.

»Sie dürfen es eben nicht wissen, jetzt nicht!« sagte sie. »Ich habe mich grad deshalb an Dich gewendet.«

»So! Also willst Du heimlich fort?«

»Ja.«

»Und ich soll Dir dabei helfen?«

»Ich bitte Dich darum.«

»Herrgott, ist das möglich!«

Er stieß dies in einem fast zornigen Tone hervor.

»Hermann, beruhige Dich!« bat sie. »Meinst Du, daß es mir so sehr leicht fällt?«

»Nun, sehr schwer kann es Dir nicht werden, sonst würdest Du es nicht thun wollen!«

Das klang vorwurfsvoll. Es war nichts von der Milde und Wärme des Tones zu hören, in welchem er bisher mit ihr verkehrt hatte. Das gab ihr einen Stich durch das Herz. Sie ergriff ihn beim Arme, zog ihn wieder auf die Bank nieder und bat:

»Verzeihe mir, daß ich Euch Schmerzen bereite; es schmerzt mich selbst ja viel mehr als Euch!«

»Nein; das ist nicht möglich.«

»O doch! Aber dennoch muß es geschehen. Willst Du mir Deine Hilfe versagen?«

»Nein,« antwortete er unter einem tiefen Athemzuge. »Ich will Dir behilflich sein.«

»Hab Dank, herzlichen Dank!«

»Aber vorher muß ich mich orientiren. Ich kann Dir nicht wirklich beistehen, wenn ich im Unklaren gelassen werde. Wenn Du so entschlossen bist, von uns fort zu gehen, so mußt Du doch darüber nachgedacht haben, wohin Du Dich wenden willst?«

»Noch nicht.«

»Noch nicht? Also hast Du diesen so unglücklichen Entschluß erst kürzlich gefaßt?«

»Ja.«

»Vielleicht gar erst heute?«

»Ja, heute,« nickte sie.

Er blickte ihr forschend in das Gesicht, obgleich es so finster war, daß er ihre weichen, schönen Züge nicht deutlich erkennen konnte.

»Ah, ich beginne zu ahnen!« sagte er.

»Ahne nichts, bitte, ahne nichts!«

»Kann ich meinen Gedanken wehren? Nein. Zykyma, lasse mich aufrichtig mit Dir sein! Wenn Du unseren Familienkreis verlässest, so trittst Du in eine Dir völlig unbekannte, fremde Welt, welche harte Anforderungen macht. Du befindest Dich nicht mehr im Oriente, wo das Weib die Sclavin des Mannes ist, der aber dafür die Verpflichtung hat, die Sorgen des äußeren Lebens von Dir zu nehmen. Du stehst dann allein, und es tritt ein grinsendes Gespenst an Dich heran, über welches Du erschrecken mußt. Dieses Gespenst heißt – – Arbeit.«

»Ich will arbeiten, gern, so gern,« hauchte sie.

»Gut! Was kannst Du?«

Sie hatte diese Frage nicht erwartet. Sie klang so hart und mitleidslos aus seinem Munde.

»Hermann!« bat sie zagend.

»Ich weiß, ich weiß!« antwortete er milder. »Bedenke, wie schon diese Frage Dich berührt. Ich habe sie aussprechen müssen. Du hast keinen Begriff von den Ansprüchen des nackten, rücksichtslosen Lebens. Dasselbe verlangt von dem Menschen, daß er seine Kräfte im Ringen um die Existenz bethätige. Es erlaubt ihm keine Ruhe, kein Sichgehenlassen, keine Schlaffheit. Davon weißt Du nichts; aber als ein Freund, der es ehrlich mit Dir meint, muß ich Deinen Blick darauf lenken. Bei uns befindest Du Dich in sicherer Hut und im freundlichen Schooße einer Familie, welche so gern alle Härten und Schroffheiten des Lebens von Dir fern halten möchte. Trittst Du aus diesem Kreise hinaus, so entfernst Du Dich aus unserem Schutze und wir können nichts mehr für Dich thun.«

»Das alles habe ich mir schon selbst gesagt.«

»Und doch bist Du so fest entschlossen? Nun, so ist es nothwendig, Umschau zu halten, was Du beginnen könntest. Es bleibt Dir nichts übrig, als nach einer Anstellung zu suchen.«

Er sagte das in einem trockenen, geschäftlichen Tone, der ihr durch die Seele schnitt.

»Ja,« stimmte sie bei.

»Aber was für eine?«

»Das weiß ich eben nicht.«

»Als Gesellschafterin, Vorleserin, Gouvernante?«

»Das kann ich nicht.«

»Leider, leider! Es ist ja der große Fluch des Orients, daß die Frauen desselben wie Puppen behandelt werden, mit denen man spielen kann. Ihr Daheim besteht in jenem süßen Nichtsthun, in dessen Langweiligkeit der Geist erstirbt, das Herz verödet und auch der Körper entnervt wird. Diese Sünde Deines Vaterlandes hast Du zu büßen, wenn Du es wagst, Dein kleines, schwaches Schiffchen hinaus auf die hohe See treiben zu lassen. Es stehen den Frauen nur wenige Berufsarten offen. Willst Du Verkäuferin werden, Ladenmädchen, Kellnerin, Dienstbote?«

Sie schauderte.

»Hermann, um Gottes willen!« bat sie.

Er zuckte die Achsel und wendete sich halb von ihr ab. Erst nach einer Weile fuhr er fort:

»Du erschrickst, erschrickst vielleicht weniger über die Sache selbst als vielmehr über die Offenheit, mit welcher ich Dir diese Fragen stelle. Ich sage Dir, indem ich es thue, blutet mir das Herz. Aber ich muß es vermeiden, mir später schwere Vorwürfe machen zu müssen. Du hast Dich im Vertrauen an mich gewandt, und ich muß ehrlich gegen Dich sein. Wollte ich Dir das Leben in einem rosigen Lichte darstellen, so wäre das eine Lüge, die Dich in das Verderben führen müßte. Wer so wie Du wünscht, selbstständig zu sein, der muß mit viel Muth, Klugheit, Ausdauer und Arbeitskraft ausgestattet sein und eine Erfahrung besitzen, welche Du Dir erst unter bitteren Enttäuschungen aneignen müßtest.«

Sie schwieg, und auch er blickte sinnend vor sich hin. In beider Herzen wogte ein Kampf, welcher um so schwerer war, je weniger sie gegenseitig ihren Gefühlen Rechnung tragen wollten. Endlich fragte Zykyma in stockendem, zweifelndem Tone:

»So habe ich mich also vergeblich an Dich gewendet?«

»Nein. Du sollst Dich nicht in mir getäuscht haben. Ich werde Alles thun, was ich thun kann. Ich werde einen Platz für Dich suchen, welcher demjenigen ähnlich ist, welchen Du hier bei uns einnimmst. Ich habe Freunde gewonnen. Einer derselben, ein Aristokrat in hoher Stellung, dessen Frau eine fein gebildete, äußerst liebenswürdige Dame ist, wurde mir kürzlich zu einiger Dankbarkeit verpflichtet. Ich werde diesem Freunde schreiben und bin überzeugt, daß er sofort und mit größtem Vergnügen bereit ist, Dir seine Häuslichkeit zu öffnen. Ist Dir das recht?«

»Nein, nein!« antwortete sie schnell.

»Warum nicht?«

»Schreiben, das dauert mir zu lange.«

»Ah, so schnell willst Du fort?«

»Ich muß, ich muß. Bereits morgen schon!«

»Morgen? Das ist ja gar nicht möglich!«

»Es ist nothwendig. Es geht gar nicht anders!«

»Aber Zykyma, bedenke doch – –«

»Ich darf nichts, gar nichts bedenken,« unterbrach sie ihn in eindringlichem, ängstlichem Tone. »Ich muß fort; das ist Alles, was ich weiß und was ich sagen kann. Und wenn Du mir Deinen Beistand versagst, so gehe ich allein, so fliehe ich davon, noch heut Abend, gleich jetzt!«

»Um Gottes willen! Fasse Dich, Zykyma! Du weißt ja gar nicht, was Du unternimmst!«

»Ich weiß es. Ich muß fort, denn ich darf mich unmöglich hier befinden, wenn er über– –«

Sie hielt erschrocken inne. In ihrem Eifer hatte sie mehr gesagt, als sie sagen durfte. Hermann von Adlerhorst ergänzte sich im Stillen ihren unterbrochenen Satz. Er wußte jetzt, daß das, was er bereits vorhin geahnt hatte, richtig sei. Dennoch hielt er noch zurück und bat nur in erwartungsvollem Tone:

»Sprich weiter! Bitte!«

»Nein, nein! Ich darf nicht.«

»Wer ist dieser Er, von welchem Du redest?«

»Bitte, frage mich nicht!«

»Gut, so will ich es Dir sagen, anstatt Dich zu fragen. Du redest von meinem Bru– –«

»Still, still! Sprich es nicht aus!« rief sie in voller Angst, indem sie ihm das kleine, weiche Händchen auf den Mund legte.

Er ergriff diese Hand, hielt sie fest und fuhr fort:

»Zykyma, laß es mich aussprechen! Ich muß es sagen. Es muß zur Klarheit kommen!«

»Nein, nein!«

»Und doch! Du befindest Dich in einem ganz ungewöhnlichen Zustande. Es hat Dich eine Angst erfaßt, welche Deinen sonst so scharfen Blick trübt und es Dir unmöglich macht, das Richtige zu treffen und zu thun. Du fürchtest Dich vor der Ankunft meines Bruders. Du möchtest derselben aus dem Wege gehen. Ist es so?«

Sie antwortete nicht.

»Habe ich das Richtige getroffen? Bitte, sage es mir!«

Sie wollte sich abwenden und ihm ihre Hand entziehen; er aber hielt dieselbe fester als vorher.

»Zykyma, bedenke: Es kommt so viel, ja es kommt Alles darauf an, daß Du mir die Wahrheit sagst! Nur dann ist es mir möglich, Dir wirklich nützlich zu sein. Dein Schweigen würde sich in Zukunft bitter an Dir rächen.«

Und als sie sich selbst zu dieser dringenden Mahnung wortlos verhielt, fügte er hinzu:

»Es ist ja sehr leicht zu errathen, was Dich in solche Aufregung versetzt. Du hast mir gestanden, daß der Gedanke, uns zu verlassen, Dir erst heut gekommen sei. Vielleicht erst heut Abend?«

»Ja,« gestand sie.

»Nachdem ich die Depeschen vorgelesen hatte?«

»Ja, erst dann.«

»Also ist eine der Depeschen die Ursache Deines so raschen Entschlusses! Vor Steinbach aber willst Du doch nicht entweichen?«

»Wie könnte ich das!«

»Ja, Du hast Dich doch so herzlich gefreut, als Du hörtest, daß er kommen werde.«

»Ich würde so glücklich sein, ihn wiedersehen zu können. Ich habe ihm so viel zu verdanken.«

»Nun, so freue Dich ungetrübt. Georg soll Dich nicht in dieser Freude stören dürfen.«

»Aber er kommt doch mit Steinbach!«

»Ja, doch glaube ich nicht, daß Du sein Kommen zu fürchten hast. Du kannst ruhig sein.«

»Nein, o nein!«

Da ergriff er auch ihre andere Hand und sagte:

»Zykyma, ich bitte Dich aus dem Grunde meines Herzens und auch um Deines Glückes und Deiner Ruhe willen, sei aufrichtig mit mir! Willst Du?«

»Wenn ich kann.«

»Du kannst es. Ich bin überzeugt davon. Du hast mir nun bereits zugegeben, daß Georg es ist, dessen Ankunft Dich von dannen treibt. Es gehört so wenig dazu, Deine Aufrichtigkeit zu vervollständigen. Betrachte mich als Deinen Freund, als Deinen Bruder! Magst Du mir diese letztere Bitte erfüllen?«

*


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