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88

Sie wendeten sich nach der Thür. Unter derselben stand der Bauer, das geladene Doppelgewehr in der Hand. Mila hatte es ihm schnell gebracht. Hinter ihm hielten seine männlichen Dienstboten, welche bewaffnet herbei geeilt waren.

Der Graf hatte sich an die Seite des Officiers gestellt. Seine Augen blitzten vor Grimm über die Abweisung, welche ihm von Peter Dobronitsch geworden war.

»Schießt den Menschen nieder!« gebot er. Und sich zu Dobronitsch wendend, sagte er: »Ergieb Dich, sonst bist Du binnen einer Sekunde eine Leiche!«

Der Bauer antwortete lachend:

»So schnell geht das nicht! Ich bin Besitzer dieses Hauses und kann jeden unberufenen Eindringling nöthigenfalls mit der Waffe in der Hand abwehren. Du wirst bald sehen, daß ein Hallunke ein noch ganz anderer Kerl ist als Du bist.«

»Ich bin der Graf Polikeff, wie ich Dir bereits gesagt habe!«

»Was geht das mich an! Ob Du ein Stromer bist oder ein Graf, das ist mir ganz gleich. Du hast mir nichts zu befehlen. Packe Dich fort!«

Da trat der frühere Derwisch, welcher bis jetzt von dem Angekommenen gar nicht beachtet worden war, heran und sagte:

»Haut den Kerl in Stücke! Er ist ein Ungehorsamer, ein Empörer! Auch gegen mich hat er sich obstinat betragen!«

Der Graf sah den Sprecher an und erkannte ihn. Erstaunt trat er einen Schritt zurück und rief:

»Alle Teufel! Du hier. Du!«

»Ja, ich bin Peter Lomonow, Kaufmann aus Orenburg. Du erkennst mich sofort wieder. Ich begebe mich unter Deinen Schutz gegen diesen aufrührerischen Menschen.«

Er nannte seinen Namen natürlich zu dem Zwecke, daß der Graf sogleich erfahre, für wen und was er sich hier ausgegeben habe.

»Ich werde Dich beschützen,« antworte Polikeff. »Später sprechen wir weiter mit einander. Also fort von der Thür!«

Diese Aufforderung war an den Bauer gerichtet, dem er sich bei diesen Worten drohend näherte. Dobronitsch aber legte das Gewehr an und antwortete:

»Keinen Schritt weiter, sonst schieße ich Dich nieder wie einen Räuber, der mich überfallen und bestehlen will. Weg also von hier!« Eins – zwei – –!«

Der Graf glaubte, der Bauer werde Ernst machen. Er versteckte sich hinter die Kosaken, deren Anführer nun die stolzem Worte an den Bauer richtete:

»Mensch, bist Du denn toll! Siehst Du denn nicht, wer wir sind! Gieb uns Platz!«

»Ihr gingt mich bis jetzt noch gar nichts an! Ich hatte es nur mit dem Menschen zu thun, der sich einen Grafen nennt und sich doch wie ein Flegel beträgt. Ich brauche nicht einen jeden Lump zu mir zu lassen. Oder sag, ob mir dieser Kerl etwas zu befehlen hat!«

»Das wollen wir jetzt nicht näher erörtern, denn ich sage Dir allen Ernstes, daß – –«

»O ja! Das muß grad erörtert werden!« fiel Dobronitsch ihm in die Rede. »Ich fordere Dich auf, nur zu sagen, ob er mir etwas zu befehlen hat!«

»Das ist hier sehr gleichgiltig!«

»O, das ist für mich grad sehr wichtig. Da könnte ein jeder hergelaufene Mensch, der uns fremd ist, sich einen Grafen nennen und mir Befehle geben wollen!«

»Er ist ein Graf!«

»Ich glaube es nicht. Sein Betragen ist nicht dasjenige eines so vornehmen Herrn!«

»So! Aber daß ich Officier bin, das glaubst Du doch wohl auf alle Fälle?«

»Ja.«

»Nun, so erkläre ich Dir, daß er wirklich der Graf Polikeff ist. Zweifelst Du nun noch?«

»Nein.«

»So gehorche!«

»Gehorchen? Weil er ein Graf ist? Was geht mich der Titel eines solchen Mannes an? Ich verbiete ihm mein Haus, und wenn er dennoch mit Gewalt eindringen will, so bekommt er eine Kugel in den Kopf. Ich habe dazu das Recht, welches mir kein Mensch absprechen kann.«

»Nun, lassen wir das bei Seite gestellt sein. Du wirst doch auf alle Fälle zugeben, daß Du mir zu gehorchen hast?«

»Dir? Das fragt sich.«

»Wie? Das fragt sich?«

»Ja. Ich kenne Dich nicht.«

»Aber Du siehst doch, was ich bin!«

»Du bist Kosakenoberlieutenant. Aber wo stehst Du in Garnison?«

»In Platowa.«

»So gehe dorthin, wenn Du Gehorsam fordern willst. Hier hast Du nichts zu befehlen!«

»Mensch! Du bist wirklich nicht bei Sinnen!«

»Ich bin so sehr bei Sinnen, daß ich ganz genau weiß, daß ich nach Werchnei Udinsk aber nicht nach Platowa gehöre. Nun weißt Du, woran Du mit mir bist.«

»Ah! So willst Du auch mir den Eintritt in Dein Haus verwehren, mir und meinen Leuten?«

»Ja.«

»Und wenn ich ihn erzwinge?«

»Du wirst ihn nicht erzwingen! Ich vertheidige mein Haus gegen jeden unberechtigten Angriff. Ich bin nur ein Bauer, aber ich kenne meine Rechte!«

»Aber wir werden das Haus stürmen!«

»Wie denn? Die Fenster sind zu klein für Mehrere, und es ist nur eine einzige Thür vorhanden, diese da. Ehe es nur einem einzigen Manne von Euch gelingt, einzudringen, seid Ihr alle zusammen niedergeschossen! Ueberlegt Euch die Sache wohl!«

Der Lieutenant wendete sich zu dem Grafen zurück und flüsterte ihm zu:

»Der Kerl ist allerdings in seinem Rechte. Hätte ich nur einen einzigen Mann der hiesigen Besatzung da, so müßte er diesem gehorchen. Wir sind blamirt.«

»Pah! Nur darauf! Ich verantworte es.«

»Das ist sehr schnell und leicht gesagt. Du kannst es nicht verantworten, wenn mir meine Leute niedergeschossen werden. Die Last liegt dann ganz allein auf mir.«

»Es wird ihm gar nicht einfallen, zu schießen.«

»O doch, man sieht es ihm an.«

»Versuche es wenigstens.«

»Ich danke! Dieser Versuch könnte ein oder sogar mehrere Menschenleben kosten, und ich hätte nicht einmal dafür die Genugthuung, mich des Bauers bemächtigen zu dürfen. Er ist, wie gesagt, in seinem Rechte.«

»Hole ihn der Teufel! Wir können doch nicht abwarten wie Schulbuben, welche Prügel bekommen haben!«

»Leider sind wir dazu gezwungen, und daran ist kein Anderer schuld als Du.«

»Ich? Wieso?«

»Du hättest nicht als Gebieter auftreten sollen. Peter Dobronitsch ist Herr seiner Besitzung. Hättest Du höflicher mit ihm gesprochen, so wären wir nicht blamirt worden.«

»Soll ich so einem Kerl gute Worte geben?«

»Er ist kein Kerl, sondern ein freier Mann. Und ich bin zudem ganz überzeugt, daß es gar keiner guten Worte bedurft hätte. Als Bittende brauchen wir nicht zu erscheinen. Auf eine ruhige Darlegung der Sache hätte der Mann sicherlich gehört.«

»Pah! Das bezweifle ich!«

»Und ich bin überzeugt davon.«

»Ich bin vielmehr ganz überzeugt, daß er uns auch nicht in Güte einlassen wird. Sein ganzes Verhalten beweist, daß sich der flüchtige Kosak bei ihm befindet.«

»Und ich glaube, grad weil er seine Ehre in dieser Weise wahrt, hat er mit dem Entflohenen nichts zu schaffen. Ich werde sein Haus genau durchsuchen. Paß auf!«

»Er duldet es nicht!«

»Er duldet es sicher. Ich beweise es Dir.«

Der Oberlieutenant wendete sich jetzt wieder an Dobronitsch, dieses Mal in ruhigem Tone:

»Ich bin überzeugt, daß Du den Flüchtling, welchen wir suchen, in Deinem Hause versteckt hast!«

»Da irrst Du Dich sehr.«

»Wäre es nicht der Fall, so würdest Du es uns nicht verwehren, nach ihm zu suchen.«

»Ich verwehre es Euch nur aus dem Grunde, daß Ihr Euch das Recht dazu fälschlicher Weise angemaßt habt.«

»So! Wenn wir das nicht gethan hätten, würdest Du Dich wohl gegen die Durchsuchung Deines Hauses nicht gewährt haben?«

»Nein.«

»Nun gut, so lasse uns ein!«

»Erkläre mir vorher bestimmt und deutlich, ob dieser Graf mir auch nur ein einziges Wort zu befehlen hat!«

»Nein.«

»Und ob ich Deinen Befehlen zu gehorchen habe!«

»Auch nicht.«

»So bin ich befriedigt und erlaube Euch, nach dem Flüchtlinge bei mir zu suchen.«

Jetzt, wo es keine Gefahr mehr gab, wollte der Graf sofort eintreten, da der Bauer die Thür freigegeben hatte. Auch der Derwisch eilte herbei.

»Halt!« rief Dobronitsch, indem er sofort sein Gewehr vorstreckte. »Ihr Beiden habt bei mir nichts zu suchen! Ihr seid Civilisten und keine Soldaten! Ihr bleibt vor der Thür. Ja, ich gebiete Euch, binnen einer halben Stunde meinen Grund und Boden ganz zu verlassen. Wenn ich Euch auf demselben betreffe, hetze ich Euch mit Hunden fort!«

»Hallunke!« knirrschte der Graf, aber nicht so laut, daß der Bauer es hätte hören können.

Der Letztere wendete sich zurück an seine Leute und befahl ihnen:

»Laßt die Soldaten eintreten. Mila und das Mütterchen mögen den Herrn Officier überall umherführen. Ich aber bleibe hier, um dafür zu sorgen, daß kein Ungeziefer hereinkomme. Aber das sage ich: Wenn die Aussuchung nur das Geringste in meinem Hause zu Schaden bringt, so werde ich es bestrafen, gleichviel, wer der Betreffende gewesen ist. Ich heiße Peter Dobronitsch und verstehe in solchen Dingen keinen Spaß!«

Der Officier mochte dem Ordnungssinne seiner Kosaken doch nicht recht trauen. Er besorgte, daß sie Unordnungen anrichten würden, für welche er dann verantwortlich sein müsse; darum erklärte er:

»Ich werde mit dem Korporal allein eintreten. Wir brauchen keinen Andern. Die Leute aber mögen hier einen Halbkreis schließen, daß die Thür und der Platz vor dem Hause gut besetzt ist. Auf diese Weise kann uns Niemand entkommen.«

Das geschah.

Die Kosaken zogen von einer Ecke des Hauses bis zur andern einen Bogen, innerhalb dessen sich nun alle Anwesenden befanden. Durch die Thür hätte also Niemand entkommen können. Der Oberlieutenant trat mit dem Unterofficier ein.

Der Graf war vom Eingange zurückgetreten. Er befand sich in größtem Zorne; das war ihm anzusehen. Der Derwisch hatte sich ihm genähert und redete jetzt zu ihm:

»Herr, ist es nicht eine Schande, daß ein Mann, wie Du bist, sich von einem dummen Bauer in dieser Weise behandeln lassen muß!«

»Schweig!« schnauzte der Graf ihn an. »Ich habe jetzt keine Lust zu unnützen Reden.«

»Aber wir müssen uns doch über unser Zusammentreffen aussprechen!«

»Jetzt nicht! Später! Meinst Du etwa, daß ich über Dein Erscheinen hier so sehr entzückt bin!«

»Entzückt? Nein, das verlange ich gar nicht. Aber freuen wirst Du Dich jedenfalls.«

»Kann mir nicht einfallen!«

»Das sagst Du nur im Scherz!«

»Es ist mein Ernst. Nun aber halte das Maul. Ich habe Anderes im Kopfe!«

»Wenn Du wüßtest, was für Neuigkeiten ich Dir zu berichten habe, würdest Du mir nicht den Mund verbieten.«

»Es wird nichts Gescheidtes sein!«

»Hm!«

»Brumme nicht, sondern schweig!«

Er wendete sich zornig ab. Der Derwisch folgte ihm mit einem Blicke, in welchem nichts von Liebe und Zuneigung zu lesen war.

Indessen hatte sich der Oberlieutenant im Hausflur umgesehen. Er zeigte nach der Thür zur linken Hand und fragte:

»Was liegt hier?«

»Die Wohnstube und die Nebenstube,« entgegnete Mila höflich, weil auch er in einem leidlich höflichen Tone gefragt hatte.

»Dürfen wir hinein?«

»Ganz gern.«

Sie öffnete und die Vier traten ein, nämlich sie, ihre Mutter und die beiden Soldaten. Die letzteren untersuchten die beiden Räume ganz genau, konnten aber weder den Gesuchten, noch eine Spur von ihm finden. Nicht das Mindeste deutete an, daß er hier gewesen sei.

»Weiter!« sagte der Officier.

Er begab sich wieder auf den Flur zurück und erkundigte sich, was für ein Raum gegenüber liege.

»Ein kleines Stübchen, neben welchem sich die Räucherkammer befindet.«

Die Räucherkammer! Das Wort klang dem Officier gut in die Ohren. So ein Ort kann ja sehr leicht als Versteck benutzt werden. Er trat mit den drei Andern in das Stübchen und fragte, als er sich vergeblich nach demselben umgesehen hatte und indem er nach dem eisernen Thürchen deutete:

»Da drinnen wird geräuchert?«

»Ja.«

Er schob den Riegel zurück und öffnete die Thür, so weit es ging. Das Tageslicht drang in das feuchte, russige Gelaß. Der Officier sah, als er hineinblickte, zunächst nichts; aber als er den Blick höher hob, erkannte er zwei zusammenkrümmte, affenartige Gestalten, welche neben einander oben auf den Stangen hockten.

»Donnerwetter!« rief er. »Hier werden wohl gar, wie es scheint, Menschen geräuchert!«

»Menschen?« fragte Mila erstaunt.

»Schau einmal hinauf!«

Das Mädchen trat herbei und ihre Mutter mit. Sergius Propow und der Wachtmeister hatten kein Wort gesagt, aber sie bewegten die Arme und Beine, woraus zu ersehen war, daß die beiden Wesen lebendig seien.

Als die beiden Frauen diese Gestalten erblickten, stießen sie laute Schreckensrufe aus und fuhren voller Angst zurück. Der Officier mußte es ihnen ansehen, daß sie von dem Vorhandensein der beiden Gestalten nichts gewußt hatten. Er trat, indem er sich bückte, ganz hinein in die Räucherkammer und fragte:

»Wer seid Ihr? – Antwortet!«

»Ah! Au! Ffffffff, meine Beine!«

Der Eine gab sich Mühe, seine Beine grad zu machen, und der Andere richtete seinen Rücken aus der gekrümmten Lage auf und seufzte dabei vor Schmerzen, als ob er am Spieße stäcke.

»Zum Donnerwetter! Könnt Ihr nicht reden, Ihr Hallunken!«

»O ja, reden können wir,« antwortete der fromme Nachbar. »Au, mein Kreuz!«

»Nun, so antworte! Wer bist Du?«

»Sergius Propow ist mein Name.«

»Was bist Du?«

»Ackerbauer. Mein Grund und Boden liegt ganz in der Nähe. O Himmel, meine Knochen. Es ist, als ob sie alle zusammengewickelt wären. Wo ist denn das Wasser hin, vom Gewitter heut in der Nacht?«

»Ich weiß von keinem Gewitter.«

»Sapperment! Wir sitzen eine ganze Ewigkeit hier oben, weil wir denken, wir müssen ersaufen, und nun stellt es sich heraus, daß es hier in diesem verdammten Loche gar kein Wasser giebt. Oh Jehmineh! Mein Leib, mein Rücken, meine Gelenke!«

»Mensch, Du kommst mir höchst verdächtig vor! Wer ist denn der Andere?«

Die beiden Ausgewässerten befanden sich in einem schauderhaften Zustande. Sie hatten während der ganzen Nacht auf den paar knorrigen Stangen gesessen, welche kaum zureichten, um ihrem ›Sitzpunkte‹ einen Halt zu gewähren. Bis unter die Arme durchnäßt, hatten sie so gefroren, als ob sie ganz von Eis umgeben seien. Ihr Gefühl war ihnen verloren gegangen. Sie vermochten nicht, die Beine auszustrecken, und jede Bewegung verursachte dem betreffenden Gliede Schmerzen.

Auch in ihren Köpfen sah es nicht absonderlich gut aus. Es war wüst und leer darin. Es war beinahe so, als ob sie das Gehirn erfroren hätten. Der Ruß, welcher sich an ihren ganzen Körper gesetzt hatte, war ihnen in alle Oeffnungen, in die Augen und Ohren, in den Mund und in die Nase gedrungen, und der penetrante Geruch desselben umgab sie mit einer Atmosphäre, welche geradezu unausstehlich war.

Dazu kam sodann der moralische Katzenjammer, in welchem sie sich befanden. Sie hatten sich rächen wollen und mit ihrer Rache nur sich selbst getroffen. Sie hatten beabsichtigt, Boroda zu ergreifen und waren doch selbst eingeschlossen und – eingewässert worden.

Nun waren sie jetzt entdeckt. Welch eine Blamage! Und zwar von einem Officiere! Der Wachtmeister hätte sich am Liebsten selbst beohrfeigen mögen, so wilde war er auf sich. Wenn ihn auch nicht grad eine directe Strafe erwartete, so sah er doch einem sehr ernsten, demüthigen Verweise entgegen und einem – Gelächter, welches jedenfalls noch in fernen Zeiten nachhallte. Denn es verstand sich ganz von selbst, daß man ihm die jetzt erlittene Schlappe niemals vergessen, sondern ihn bei jeder Gelegenheit mit derselben aufziehen und foppen werde.

Darum hatte er bis jetzt zu allen Fragen des Officiers geschwiegen. Nun aber, als derselbe sich direct nach ihm erkundigte, war es eigentlich seine Pflicht, selbst zu antworten; doch der Aerger und die Scham waren in ihm so groß, daß er es doch nicht that.

»Es ist mein Freund, der Wachtmeister,« antwortete Propow an seiner Stelle.

»Welcher Wachtmeister?«

»Der Kosakenwachtmeister Wassilei von der nächstliegenden Stanitza.«

»Was! Ein Soldat! Ein Kosak! Und noch dazu ein Wachtmeister! Alle tausend Teufel!«

Der Anzug des Wachtmeisters war vor Ruß allerdings nicht mehr als Uniform zu erkennen. Er sah schrecklich aus.

»Ist das wahr?« fuhr der Oberlieutenant fort. »Rede doch, Kerl! Hast Du die Sprache verloren?«

»Beinahe!« stöhnte der Kosak. »Oh! Oh!«

»Also wirklich ein Kosakenwachtmeister und nicht ein Flüchtling, welchen man etwa hier versteckt hat?«

»O nein.«

»Wie kommt Ihr Esels denn hier herein?«

»Wir wollten den Zobeljäger fangen.«

»Alle Wetter! Ist er denn in der hiesigen Gegend? Sucht man ihn schon hier?«

»Ja. Ich habe ihn hier im Hofe gesehen.«

»Ah! Also ist dieser Peter Dobronitsch doch ein Lügner, ein Heuchler! Aber anstatt den Boroda zu fangen, hast Du Dich hier einsperren lassen! Schön! Das wird Dir manche Suppe versalzen! Kerl, so etwas ist doch gar nicht denkbar! Was fällt Dir denn eigentlich ein. Dich da hinauf zu setzen und fest zu kleben wie ein alter, blinder Hahn auf seiner Stange?«

»Ich wollte nicht ersaufen.«

»Ersaufen? Wo denn? Etwa hier?«

»Ja.«

»Jetzt hört alles auf! Ist denn Wasser hier in diesem Loche gewesen?«

»Ja.«

»Man merkt doch gar nichts davon!«

Der überall an den Wänden und der Decke klebende Ruß verhinderte nämlich, die zurückgebliebene Feuchtigkeit zu bemerken. Und die auf dem Boden handhoch liegende Asche hatte das zurückgebliebene Wasser, welches von dem Schlauche nicht gefaßt worden war, vollständig aufgesaugt. Aus diesem Grunde hatte die Räucherkammer ein ganz trockenes Aussehen.

»Na, wir haben es freilich merken müssen,« behauptete der Wachtmeister. »Wir haben bis unter den Armen in der Fluth gestanden.«

»So hoch soll das Wasser gewesen sein? Unmöglich! Wie soll denn eine solche Menge hier herangekommen sein?«

»Durch die Feueresse.«

»Es hat ja gar nicht geregnet. Und selbst wenn es geregnet hätte, ja wenn es einen richtigen Wolkenbruch gegeben hätte, wäre es unmöglich, daß das Wasser hier mannshoch hätte stehen können.«

»So hat dieser verdammte Dobronitsch es durch seinen Spritzenschlauch hereinlaufen lassen.«

»So! Ah! Ich beginne zu errathen. Der Bauer hat Euch einen Streich gespielt.«

»So muß es sein.«

»Aber warum seid Ihr nicht fortgegangen? Warum seid Ihr hier in der Falle stecken geblieben?«

»Wir konnten nicht fort. Die Thür war hinter uns von Dobronitsch zugeriegelt worden.«

»Weißt Du das genau?«

»Ja, wir haben es gesehen.«

»Ah! Ihr habt es gesehen und geduldet!«

»Wir wollten hier stecken bleiben, um den Boroda abzufangen. Darum blieben wir still.«

»Nun, ich begreife noch Verschiedenes nicht. Du wirst es mir später erklären. Kommt herab!«

Dieser Befehl war viel leichter gegeben als ausgeführt. Der Wachtmeister machte einen Versuch und erklärte dann: Ich kann nicht, ich bin ganz steif. Ich kann kein Glied ausstrecken und grad machen. Wie ich sitze, so sitze ich.«

»Und Du wohl auch, Propow?«

»Ja. Ich hänge fest,« antwortete der Fromme.

»Nun, so werde ich nachhelfen.«

Der Officier nahm die stets bereite Peitsche von seiner Seite und versetzte dem Wachtmeister einen gelinden Hieb.

»Nun, vorwärts!«

»Es geht nicht!« erklärte dieser trotz des Hiebes.

»Also stärker!«

Er holte kräftiger aus und knallte dem Wachtmeister so lange um die Beine, daß dieser vor Schmerz aufschrie und nun den ernsten Versuch machte, sich von den Stangen herab zu lassen. Da ihm aber sämmtliche Gelenke den Dienst versagten, fiel er herab wie ein Apfel vom Baum und blieb unten bewegungslos sitzen.

»Schau, wie es geht!« lachte der Officier. »Und so werden wir auch den Propow herunterbringen.

Er holte aus. Der fromme Nachbar wartete nur den ersten Hieb ab, dann ließ er sich schnell herabfallen und blieb neben dem Wachtmeister in der Asche sitzen. Beide ächzten und stöhnten aus Leibeskräften.

»Nun kommt heraus!« befahl der Officier.

Da sie nicht sofort gehorchten, so schlug er wieder zu. In Folge dieser freundlichen Unterstützung gelang es ihnen, sich halb und halb aufzurichten und die Räucherkammer zu verlassen. Er trieb sie mit der Peitsche vor sich her und zur Hausthür hinaus.

Sie konnten sich nicht aufrichten. Es sah aus, als ob Jemand zwei Paviane, die nur nothdürftig auf den Hinterbeinen gehen können, exerzieren lasse. Draußen setzten sie sich allsogleich in das Gras nieder.

Es läßt sich denken, daß das Erscheinen zwei solcher Gestalten bei den Anwesenden ein ungeheures Aufsehen erregte.

»Peter Dobronitsch,« wendete sich der Officier an den Bauer, »kennst Du diese Beiden?«

Der Gefragte trat nahe heran und betrachtete sie sich mit scheuer Miene. Nachdem er ihre mit Ruß dick beklebten Gesichter eine ganze Weile betrachtet hatte, schüttelte er verwundert den Kopf und antwortete:

»Nein, die kenne ich nicht.«

»Sie waren ja in Deinem Hause!«

»Das habe ich freilich bemerkt. Du bringst sie heraus, folglich müssen drin gewesen sein. Aber ich kenne sie nicht und weiß auch nichts wie sie hineingekommen sind.«

»Du hast sie ja eingeschlossen!«

»Ich? Das ist nicht wahr!«

»O doch! In Deine Räucherkammer.«

»Ah, da drin waren sie! Drum sehen sie so schwarz aus. Was haben sie denn da gewollt?«

»Das wirst Du wohl selbst auch wissen!«

»Hm! Die haben sich gewiß eingeschlichen, um zu stehlen, um die Räucherei auszuräumen! Aber es ist glücklicher Weise nichts mehr drin.«

Er machte ein so ehrliches Gesicht, daß es sehr schwer war, ihm zu mißtrauen.

»Sie behaupten aber, daß Du sie eingeschlossen hast!« fuhr der Oberlieutenant fort.

»Da lügen sie!«

»Nein, wir lügen nicht; es ist wahr!« rief der Wachtmeister in zornigem Tone.

Der Bauer blickte ihn kopfschüttelnd an und entgegnete ihm:

»Das müßte ich doch wissen!«

»Du weißt es auch!«

»Nein.«

»Nun, bist Du gestern Abend nicht in das Niederstübchen gekommen, wo das Licht brannte?«

»Ja. Ich pflege vor dem Zubettegehen erst nochmals das ganze Haus zu untersuchen, ob Alles in Ordnung ist.«

»Hast Du da nicht die Thür zur Räucherkammer zugemacht?«

»Die? Ja, jetzt fällt es mir ein! Die habe ich zugeriegelt, weil sie offen stand. Es muß sie Jemand von meinen Leuten offen gelassen haben. Das kann ich nicht leiden, und so habe ich sie zugemacht.«

»Aber uns hast Du dabei eingeschlossen!«

»Euch? Wart Ihr denn in der Räucherei?«

»Ja.«

»Ohne mein Wissen und meine Erlaubniß?«

Der Wachtmeister schwieg.

»Was habt Ihr denn drin gewollt?«

»Wir wollten – – –«

Er sprach den Satz nicht weiter aus.

»Nun, was wolltet Ihr denn drin?«

»Das brauchst Du nicht zu wissen.«

»Oho! Ich brauche es nicht zu wissen, wenn zwei fremde Kerle des Nachts in mein Haus schleichen? Das kann nur Einer sagen, der den Verstand verloren hat. Und wenn ich dann gekommen bin und die Thür zugemacht habe, warum habt Ihr Euch still verhalten? Warum seid Ihr nicht laut geworden? Warum habt Ihr Euch nicht gemeldet und mir gesagt, daß Ihr drin wart? Weil Ihr kein gutes Gewissen hattet und Euch nicht erwischen lassen wolltet. Ihr seid Spitzbuben und habt mich bestehlen wollen!«

»Schweig! Es kann mir nicht einfallen. Dich zu bestehlen; ich, der Wachtmeister Wassilei.«

»Wie? Was? Du bist der Wachtmeister?«

»Ja.«

»Die Stimme ists; das ist richtig. Aber wer ist denn da der Andere?«

»Dein Nachbar Sergius Propow.«

»Der, der! Welch eine Dummheit! Was habt Ihr denn eigentlich bei mir gewollt?«

»Nun, ich kann es Dir ja sagen. Wir wollten den Zobeljäger Boroda ergreifen.«

»Bei mir?«

»Ja. Wir glaubten, daß er wiederkommen werde.«

»Ach so! Aber, Kinderchen, warum habt Ihr mir das nicht auch gesagt! Ich hätte Euch ja gern mitgeholfen, auf ihn zu warten!«

»Du? Dir wäre es eingefallen?«

»Natürlich wäre es mir eingefallen! Ich hätte es mir zum größten Vergnügen gemacht, ihn mit zu fangen. Ist er denn gekommen?«

»Wissen wir es!«

»Ich denke, Ihr habt aufgepaßt?«

»Wir waren ja eingeschlossen!«

»Ja, Kinderchen, da habt Ihr einen großen Fehler begangen. Wenn man Jemand fangen will, darf man nicht sich selbst einschließen lassen. Ich habe natürlich das Recht, meine Thüren zu verschließen; Ihr aber dürft Euch nicht ohne meine Erlaubniß bei mir einschleichen. Ihr seid an Allem selber schuld und wollt Euern Zorn doch auf mich werfen. Ich kann Euch nicht begreifen.«

Der Officier hatte bisher ruhig zugehört. Jetzt ergriff er das Wort, sich an den Bauer wendend:

»Ich kann mir jetzt ein Bild des Geschehenen machen. Diese beiden Männer haben sich bei Dir eingeschlichen, um Boroda zu ergreifen. Sie müssen also geglaubt haben, daß er kommen werde!«

»Wie es scheint!« nickte Dobronitsch, indem er das aufrichtigste Gesicht der Welt machte.

»Das heißt, sie haben angenommen, daß er Schutz bei Dir suchen werde, also müssen sie doch denken, daß Du sein Freund bist.«

»Sein Freund? Wie kann ich der Freund eines Fremden sein, der niemals bei mir war!«

»Er war ja gestern hier!« fiel der Wachtmeister zornig ein.

»Ja, es war ein Fremder hier, welcher sich für einen Sänger ausgab. Der Wachtmeister hat ihn für den Boroda gehalten und ihn ergreifen wollen. Leider aber hat er ihn wieder entwischen lassen. Ich war in der Stadt. Wäre ich daheim gewesen, so hätte ich den Kerl festgehalten, und er wäre uns sicherlich nicht entkommen.

»So sagst Du jetzt!« knurrte der Kosak.

»Brüderchen, ich kann nicht anders sagen, als wie es ist. Wie aber kommt es, daß Sergius Propow den Boroda mit hat ergreifen wollen? Ist er auch Kosak und Polizist? Ich werde mich bei Deinem Sotnik über Dich beschweren, daß Du Deine Instructionen in einer solchen Weise überschreitest. Du wirst dann Deiner Strafe nicht entgehen. Und den Nachbar Propow werde ich ganz einfach anzeigen, daß er bei mir eingedrungen ist. Wer sich des Nachts in mein Haus schleicht, der will mich bestehlen. Das versteht sich ganz von selbst. Ich bin überzeugt, wenn ich Euch nicht zufälliger Weise eingeschlossen hätte, so wäre ich heut Nacht bestohlen worden.«

»Willst Du uns zu Dieben machen!« brauste der Wachtmeister auf.

»Schweig! Ihr habt nichts bei mir zu suchen. Ihr habt Euch, um eine Ausrede zu haben, das mit dem Boroda nur ausgesonnen. Wenn Ihr nicht habt stehlen wollen, so seid Ihr aus einem noch schlimmeren Grunde gekommen. Jeder von Euch Beiden hat es auf Mila, meine Tochter abgesehen gehabt, und als Ihr abgewiesen worden seid, habt Ihr drohende Reden fallen lassen. Vielleicht habt Ihr Euch vereint, um diese Drohungen auszuführen. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn ich nicht den Riegel vorgeschoben hätte! Leuten, welche sich nächtlicher Weise einschleichen, ist Alles zuzutrauen. Ich werde die Angelegenheit von dem Richter untersuchen lassen.«

Diese Ausführung verfehlte nicht, den beabsichtigten Eindruck auf den Oberlieutenant zu machen. Er wendete sich in zürnendem Tone an den Wachtmeister:

»Ist das wirklich wahr, daß Du den Boroda hast fangen wollen?«

»Ja.«

»Warum nimmst Du da einen Bauer dazu? Es war Deine Pflicht, es dem Sotnik zu melden.«

»Weil – weil ich mir die Prämie selbst verdienen wollte.«

»Ach so! Das ist freilich ganz gegen Deine Verpflichtung. Du hast erfahren, wozu eine solche Insubordination führt. Also Du wolltest die Prämie nur mit Sergius Propow theilen?«

»Nein. Er wollte sie mir lassen.«

»So muß er einen andern Grund gehabt haben, sich Dir anzuschließen. Sage die Wahrheit!«

»Er wollte sich an Dobronitsch rächen, weil dieser ihm seine Tochter nicht gegeben hatte.«

»Ah, so hat Dobronitsch also Recht! Ihr habt Euch rächen wollen. Kerl, Du hast die Knute verdient. Es ist Dein Glück, daß ich nicht Dein Vorgesetzter bin. Und was ist denn das mit dem Wasser gewesen? Es soll Euch bis an die Achseln gegangen sein, und jetzt ist keins mehr da. Das ist mir völlig unbegreiflich.«

»Herr, fühle unsere Kleider an! Sie sind noch ganz feucht.«

»Das ist kein Wunder, wenn man eine ganze Nacht in einem solchen Loche zubringt. Ich will die Sache nicht untersuchen. Dein Sotnik wird das thun, und ich werde ihm meine Meldung darüber zugehen lassen. Ein Soldat, noch dazu Wachtmeister, welcher sich in einem solchen Aufzuge ertappen läßt, hat eine exemplarische Strafe verdient. Geh zum Brunnen und wasche Dich! Dann meldest Du Dich wieder bei mir!«

Der Kosak wollte sich erheben; aber mit den steifen Gliedern ging das nicht so schnell.

»Nun vorwärts! Wird es bald!«

Bei diesen Worten versetzte der Officier ihm einige so kräftige Hiebe, daß er schnell auffuhr und davonsprang.

»Und Du, Schuft, mache Dich schleunigst von dannen!« schrie der Oberlieutenant Propow an, indem er tüchtig auf ihn einschlug.

Der Bauer brüllte vor Schmerz laut auf und wollte fort. Da aber ergriff Dobronitsch ihn am Arme und sagte

»Halt, Nachbarchen! Der Herr Officier hat Dich zwar aufgefordert, zu gehen, aber ich kann es Dir nicht erlauben. Ich habe Dich in meiner Wohnung ertappt, in welche Du des Nachts heimlich eingedrungen bist. Es ist auch durch den Wachtmeister als Zeugen erwiesen, daß Du Dich hast rächen wollen, und so habe ich keine Lust, Dich so gemüthlich nach Hause gehen zu lassen. Du bleibst hier. Ich werde Dich dem Gericht übergeben und deshalb sogleich nach der Stadt schicken. Ich kann mich ja meines Lebens gar nicht mehr sicher fühlen und werde Dir, bis die Polizei kommt, dasselbe Logis anweisen, welches Du selbst Dir gestern auserwählt hast!«

Der Fromme erschrak auf das Höchste. Das hatte er sich freilich nicht gedacht.

»Wie, Nachbar, Du willst mich anzeigen?« stammelte er. »Ich habe Dir ja gar nichts gethan!«

»Das wird sich finden.«

»Und in die Räucherkammer willst Du mich stecken? Herrgott! Mir das! Dem frommen, Gott wohlgefälligen Sergius Propow! Ich bin ja in meinem ganzen Leben noch niemals arretirt worden!«

»So wirst Du heut erfahren, wie es ist, wenn man eingesteckt wird. Komm, folge mir!«

»Peter Dobronitsch!«

»Pah! Ich spaße nicht. Vorwärts!«

»Ich gehe nicht!«

»So muß ich Gewalt anwenden!«

»Das darfst Du nicht!«

»Soll ich Dich etwa um Erlaubniß fragen? Du berufest Dich darauf, daß Du mein Nachbar bist, und ich sage, es ist schlimm genug, wenn ein Nachbar sich an dem Andern rächen will. Du nennst Dich fromm. Nun wohl, ich werde Dir in der Räucherkammer Gelegenheit geben, recht ungestört andächtige Betrachtungen anzustellen. Steckt ihn hinein und vergeßt es nicht, den Riegel vorzuschieben!«

Diese letztere Aufforderung war an seine Knechte gerichtet. Sie wollten Propow ergreifen, und er wehrte sich dagegen. Da aber zog der Officier ihm einige tüchtige Hiebe über und sagte:

»Hund, willst Du gleich gehorchen! Du hast es verdient und Peter Dobronitsch ist in seinem vollen Rechte. Wenn Du nicht freiwillig mitgehst, werden meine Kosaken helfen.«

Jetzt ließ sich der Gott Wohlgefällige abführen und in die Räucherkammer schließen.

Da diese Angelegenheit beendet war, dachte der Officier wieder an die seinige, nämlich an die Aussuchung des Bauerngutes nach dem entflohenen Kosaken Nummer Zehn. Er wendete sich an den Besitzer:

»Peter Dobronitsch, jetzt möchte ich einmal die obern Räume und die Keller Deines Hauses sehen, ob der Gesuchte sich darinnen befindet.«

»Ich werde Dir Alles aufschließen lassen.«

»Am Besten ist es doch, daß Du selbst mitgehest.«

»Ich muß hier bleiben, damit kein Unwillkommener Zutritt nimmt.«

»Das ist nicht mehr nothwendig. Du siehst ja, daß sich Alles freundlich für Dich gestaltet hat, und ich gebe Dir mein Wort, daß Niemand, dem Du es verboten hast, in Dein Haus treten wird.«

»Wenn Du es sagst, so vertraue ich Dir.«

Sie traten mit einander ein, und der Korporal folgte ihnen. Der Oberlieutenant durchsuchte die genannten Räume alle sehr genau, doch vergeblich, und nun ging es an die Nebengebäude, welche der Bauer ihm auch alle getrost öffnen konnte.

Indessen hatte der Graf sich mit dem einstigen Derwisch leise und heimlich unterhalten. Der Inhalt ihres Gespräches schien kein freundlicher zu sein. Ihre Gesichter waren sehr ernst, und es schien, daß sie sich gegenseitige Vorwürfe machten.

Der Graf zürnte dem Derwisch, daß er nach Sibirien gekommen war. Er sagte:

»Als Du von Amerika zurückkehrtest, wo Du nur mit genauer Noth jenem Steinbach entkommen warst, wandtest Du Dich an mich, und ich gab Dir Geld. Ich knüpfte an diese Gabe die Bedingung, daß Du fortan meinen Weg nicht mehr kreuzen solltest, und Du versprachst mir, Dich fortan an einen abgelegenen Ort zurückzuziehen. Hier nun trittst Du mir wieder in den Weg!«

»Kann ich dafür? Ich habe mein Wort gehalten.«

»Nein.«

»Nun, habe ich mich nicht an einen sehr abgelegenen Ort zurückgezogen? Ist Sibirien nicht abgelegen genug?«

»Ja, aber Du wußtest, daß ich nach Sibirien gehen wollte und bist mir nachgereist.«

»Hm!«

Indem der Derwisch so vor sich hinbrummte, zeigte sein Gesicht den Ausdruck eines verschlagenen, beutegierigen Raubthieres.

»Kannst Du es leugnen?« fragte der Graf.

»Soll ich aufrichtig sein?«

»Ich verlange das sogar von Dir!«

»So will ich gestehen, daß ich hierhergekommen bin, um Dich zu treffen.«

»Donnerwetter! So habe ich also richtig vermuthet. Du bist mir in voller Absicht nachgereist.«

»Ja.«

»Und welches ist Deine Absicht?«

»Ein einziges Wort, Geld!«

»Dachte es mir! Du wirst aber diese Absicht dieses Mal bei mir keineswegs erreichen.«

»Das befürchte ich nicht.«

»Gewiß! Du bekommst keinen Rubel.«

»Das wäre sehr unklug von Dir.«

»Ich kann nichts Klügeres thun.«

»Wenn Du nicht zahlst, verrathe ich alles!«

»Und wenn ich zahle, so kommst Du immer wieder. Du saugest mich aus wie ein Blutegel.«

»Es ist das letzte Mal.«

»Das sagest Du stets.«

»Dieses Mal ist es wahr.«

»So! Wie viel brauchest Du?«

»Hm! Da es das letzte Mal sein soll, so muß ich mich vorsehen. Ich kann nicht zu wenig verlangen.«

»Das kann ich mir freilich denken. Du bist ja unersättlich. Sage die Summe!«

»Du wirst über sie erschrecken!«

»Wollen sehen. Also?«

»Fünfzigtausend Rubel.«

»Du bist fünfzigtausendmal verrückt.«

»Ich glaube nicht. Kann ich verrückt genannt werden, wenn ich gut für mich sorge?«

»Ah! Du spottest auch noch?«

»Nein. Wir brauchen uns ja gar nicht aufzuregen. Sage mir kurz, ob Du willst oder nicht. Dann sind wir fertig.«

»Und wenn ich nicht will?«

»So sage ich es Steinbach, wo Du bist.«

»Steinbach? Ah! Ehe Du diesen findest, habe ich dieses gelobte Sibirien längst verlassen.«

»Täusche Dich nicht. Er ist an einem Orte, an welchem Du ihn jedenfalls nicht vermuthest.«

»In Amerika oder Deutschland.«

»O nein. Meinst Du, er wisse nicht auch, daß Du nach Sibirien gegangen bist?«

»Wer soll es ihm gesagt haben.«

»Das weiß ich nicht; aber er hat Deine Spur.«

»Männchen, mache mir nichts weiß! Mich bringst Du nicht so schnell zum Fürchten.«

»Glaube es, oder glaube es nicht!«

»Ich glaube es eben nicht.«

»So wirst Du es bereuen.«

»O, ich weiß, woran ich bin. Du willst einen gelinden Druck auf meinen Beutel ausüben.«

»Das beabsichtige ich allerdings, wie ich offen gestehen will; aber das, was ich von Steinbach sage, ist wahr.«

»So beweise es; aber sage mir keine Lüge.«

»Ich brauche mir nichts auszusinnen. Ich weiß, daß er sich ganz in der Nähe befindet.«

»In der Nähe des Mückenflusses?«

»Ja.«

»Mensch, das ist ja lächerlich!«

»O, vielleicht trifft er schon heut hier ein!«

»Meinst Du, daß ich das glaube? Ich lasse mich nicht in das Bockshorn jagen.«

»Nun, so ist es unnütz, weiter mit Dir zu reden. Du glaub mir nicht, und so will ich mir weiter keine Mühe geben.«

Er that, als ob er sich abwenden wolle. Der Graf fühlte doch eine kleine Besorgniß, er faßte ihn am Arme, hielt ihn zurück und fragte:

»Sage mir, wo er sein soll!«

»Du glaubst es doch nicht.«

»Vielleicht halte ich es für wahr.«

»Nun, er ist in Platowa.«

»Unsinn!« rief der Graf, laut auflachend.

»Siehst Du, daß ich umsonst rede! Du lachst sogar über das, was ich Dir sage.«

»Muß ich nicht?«

»Nein. Du hast keine Ursache zum Lachen.«

»Wie kann er in Platowa sein!«

»Ebenso wie wir Beide dort gewesen sind.«

»Ich müßte es erfahren haben.«

»Das ist nicht grad nöthig.«

»Weißt Du es denn gewiß?«

»Ja.«

»So hast Du ihn gesehen?«

»Nein.«

»Sapperment! Wie kannst Du da wissen, daß er sich dort befindet!« »Ich weiß es, obgleich ich ihn weder gesehen, noch es von Anderen gehört habe, daß er dort ist. Ich habe Personen gesehen, die sich stets in seiner Nähe befinden.«

»Seine Dienerschaft?«

»Nein. Er reist ohne Diener. Ich sah mehrere Kameraden von ihm, die ich genau kenne.«

»So! Wer waren sie? Kenne ich sie auch?

»Hast Du jemals den Namen Sam Bart gehört?«

»Ja.«

»Jim und Tim Snaker?«

»Auch. Das sind ja die drei Kerls, welche Dir in Amerika so viel zu schaffen gemacht haben.«

»Ja, wo sie sind, da ist auch er.«

»Sind sie denn in Platowa?«

»Ja.«

»Mensch, für wie dumm hältst Du mich denn, daß Du glaubst, mir einen so ungeheuren Bären aufbinden zu können!«

»Für dumm halte ich Dich freilich nicht.«

»So komme mir auch nicht mit solchem Unsinn.«

»So denke, was Du willst. Ich aber werde mich sehr bald aus dem Staube machen, damit ich nicht etwa von ihm gesehen werde.«

»Du sprichst da freilich in einem Tone, als ob Du Deiner Sache ganz sicher seist.«

»Natürlich bin ich das.«

»Höre, ich will Dir Etwas sagen. Scherz bei Seite! Die Sache ist ernst.«

»Das meine ich auch.«

»Es ist natürlich gradezu unglaublich, daß dieser Steinbach in Sibirien sein kann. So ein Deutscher, welcher – – –«

»Pah!« unterbrach ihn der Derwisch. »Soll er etwa, weil er ein Deutscher ist, nicht nach hier kommen? Grad diese verfluchten Deutschen sind es, denen man auf Schritt und Tritt und an allen Ecken und Enden begegnet, ich wüßte nicht, was er in Sibirien wollte.«

Der Derwisch lachte höhnisch auf.

»Graf Polikeff, Du bist wirklich nicht so klug, wie ich dachte. Hast Du vergessen, daß Steinbach den Diener Nena damals in der Wüste gerettet hat?«

»Das weiß ich noch.«

»Nena wird ihm Alles gesagt haben.

»Schwerlich!«

»Gewiß, ganz gewiß!«

»O nein. Nena hat uns damals mit geholfen. Er wird doch nicht von seiner eignen Schuld erzählen.«

»Warum nicht, wenn er Lohn findet anstatt der Bestrafung.«

»Pah! Lohn!«

»Jedenfalls. Er hat bereut. Er hat Alles erzählt, um sich Steinbach dankbar zu erweisen.«

»Ich glaube es nicht.«

»Nun, ich bin gewöhnt, mit allen Ziffern zu rechnen. Ich weiß, daß Nena ursprünglich ein guter Kerl war. Dein Geld hat ihn verführt. Dann hast Du es ihm schlecht gelohnt und ihn an die Araber verkauft – – –«

»Um ihn los zu werden.«

»Natürlich. Das aber hat er Dir ebenso natürlich übel genommen. Er hat Rache gekocht. Da wurde er von Steinbach, Deinem Todfeind errettet. Was ist einfacher, als daß er aus Dankbarkeit für ihn und aus Rache gegen Dich ihm Alles verrathen?«

»Mensch, so wie Du es darstellst, ist die Sache freilich plausibel.«

»Mir erscheint sie nicht etwa nur wahrscheinlich sondern unumstößlich sicher und gewiß.«

»Ja, je mehr ich es mir überlege, desto mehr möchte ich daran glauben.«

»Thue es; ich rathe es Dir!«

»Donnerwetter! Wenn es so wäre!«

»Es ist jedenfalls so.«

»Nena weiß, daß der Maharadscha sich als Verbannter hier in Sibirien befindet.«

»Ja. Was ist die Folge? Steinbach wird nach Sibirien kommen, um ihn zu befreien.«

»Alle Teufel!«

»Und Gökala zu heirathen!«

»Lieber tödte ich sie!«

»Wenn Du kannst!«

»Ich kann das in jedem Augenblick.«

»Wo ist sie denn jetzt?«

»In Platowa.«

»Alle Teufel! Also in Sibirien? Aber was fällt Dir denn ein, sie mit nach Sibirien zu schleppen?«

»Soll ich sie daheim lassen! Damit sie mir entweicht.«

»Fällt ihr nicht ein! Die bleibt dort sitzen, wo Du sie hinsetzest; dafür hast Du gesorgt.«

»Meinst Du?«

»Ja. Sie glaubt wirklich, daß ihr Vater verloren ist, wenn sie Dich verläßt.«

»Diese Lüge war das einzige Band, mit welchem ich sie an meine Person binden konnte.«

»Also konntest Du sie an einem sicheren Orte lassen, anstatt sie mit nach hier zu nehmen.«

»Es ist auf alle Fälle besser, sie befindet sich bei mir. Das ist meine Ueberzeugung.«

»Und meine Ueberzeugung ist, daß diese Liebe Dich noch einmal unglücklich machen wird.«

»Du, rege mich nicht auf!«

»Das beabsichtige ich nicht; ich will nur den Fall von allen Seiten möglichst beleuchten.«

»Der Gedanke, daß Steinbach sie findet, könnte mich wahnsinnig machen.«

»Und ist er denn so unwahrscheinlich?«

»Nein. Aber sie ist glücklicher Weise bei Leuten, auf welche ich mich verlassen kann.«

»Bei wem?«

»Beim Kreishauptmann.«

»Ah, bei diesem Menschen! Na, da gratulire ich Dir von ganzem Herzen.«

»Warum?«

»Dieser Mann ist mir wie ein geltgieriger Filz vorgekommen.«

»Das ist er auch.«

»Bei ihm ist mit Geld Alles zu erreichen, und – – Steinbach muß Geld haben, viel Geld.«

»Donnerwetter! Hätte ich sie doch lieber mit hierher genommen!«

»Das wäre gescheidter gewesen.«

»Ich möchte am allerliebsten gleich wieder zurück, um sie nachzuholen.«

»Schau! Erst glaubtest Du mir kein Wort, und jetzt bist Du ganz Feuer und Flamme!«

»Es ist auch darnach!«

»Was willst Du denn eigentlich hier am Mückenflusse?«

»Das ist ein Geheimniß.«

»Für mich auch?«

»Ja.«

»Ich will es Dir nicht entlocken. Ich weiß genug von Dir, um Dich fest in der Hand zu haben; das darfst Du nicht vergessen.«

»Ja, Du bist wie ein böses Gewissen. Dich werde ich nicht los!«

»Und selbst in dieses Geheimniß dringe ich ein, ohne daß Du mir es zu sagen brauchst.«

»Schwerlich!«

»Pah! Es ist sehr leicht zu errathen.«

»So rathe einmal!«

»Was könntest Du hier in Sibirien zu thun haben? Wen könntest Du suchen? Es ist kein anderer Mensch hier, für den Du Dich interessirst als der Maharadscha.«

»Du bist wirklich scharfsinnig,« lachte der Graf.

Er wollte nicht zugeben, daß der Derwisch Recht hatte. Aber sein Lachen klang so gepreßt, daß dieser sogleich bemerkte, daß er sehr richtig gerathen habe.

Beide waren so in ihr Gespräch vertieft, daß sie auf weiter nichts achteten, als daß sie weit genug von den Uebrigen standen. So hatten sie auch nicht bemerkt, daß der Zobeljäger Nummer fünf aufgestanden und hinter das Haus gegangen war. Er ging hinter demselben herum und blieb an der Ecke stehen, an deren anderen Seite sie standen.

Dort lehnte er sich scheinbar sehr gleichgiltig an die Wand und nahm eine Miene an, als ob er nur in sich selbst allein versunken sei. Die Beiden wußten nicht, daß Jemand dastand, und sie sprachen so laut, daß er Alles hörte.

»Nun, habe ich das Richtige getroffen?« fragte der Derwisch.

»Nein.«

»O gewiß!«

»Nein, nein. Du irrst Dich. Ich habe hier noch ganz andere Dinge zu thun. Was geht mich der Maharadscha an! Er ist abgethan.«

»Oder auch nicht.«

»Oho! Ich weiß ja gar nicht einmal, wo er sich befindet.«

»So kann man ihn suchen.«

»Ich kenne seine Nummer nicht.«

»Die ist zu erfahren bei irgend einem Beamten, den Du wohl kennen wirst.«

»Ich kenne keinen, der mir Auskunft geben könne.«

»Und ich kenne Dich. Mich täuschest Du nicht. Nimm Dich in Acht, daß Dir Steinbach nicht auf den Pelz kommt!«

»Er soll es wagen!«

Der Graf sagte das in drohendem Tone. Der Andere aber meinte ziemlich höhnisch:

»Ich glaube nicht, daß er viel wagen würde.«

»O, ich würde ihn vernichten.«

»Warum hast Du ihn da nicht schon längst vernichtet? Du hast ihn ja oft getroffen.«

»Es paßte nicht.«

»So wird es auch hier wieder nicht passen. Er ist ein ganz anderer Mann als Du.«

»Willst Du mich beleidigen!«

»Nein; aber die Erfahrung hat bewiesen, daß, wenn Ihr Beide einander begegnet, ist er es nicht, der sich in Gefahr befindet.«

»Ganz dasselbe ist auch mit Dir der Fall.«

»Das bestreite ich nicht. Wir sind ihm eben nicht gewachsen, alle Beide mit einander nicht.«

»Das ist zu viel gesagt.«

»O nein. Ich kenne Dich, mich und ihn.«

»Ich will Dich keineswegs um Deine vortreffliche Selbsterkenntniß bringen.«

»Es würde auch alle darauf bezügliche Mühe vollständig nutzlos sein.«

»Streiten wir uns nicht! Ich vermuthe sehr, daß wir uns ganz vergeblich wegen ihm ängstigen. Es fragt sich, ob er da ist.«

»Ich möchte darauf schwören. Was wollten jene Amerikaner hier, wenn er nicht bei ihnen wäre?«

»Vielleicht hast Du sie verkannt.«

»Nein; das weiß ich ganz bestimmt.«

»Wo hast Du sie denn gesehen?«

»Auf dem Jahrmarkte. Ich erblickte sie alle Drei und hatte kaum Zeit, hinter einigen Zelten zu verschwinden und mich schleunigst davonzumachen.«

»Sie waren es wirklich?«

»Ja. Sie trugen sogar die Kleidung, in der ich sie drüben kennen gelernt habe.«

»Sapperment! So ist es freilich wahrscheinlich, daß er sich auch in Platowa befindet. Hoffentlich bist Du nicht von ihnen gesehen worden?«

»Ich möchte im Gegentheile behaupten, daß sie mich gesehen haben.«

»Das wäre dumm.«

»Freilich, denn sie werden mich verfolgen.«

»Pah! Sie haben Dich vielleicht gesehen aber nicht erkannt.«

»Haben sie mich einmal gesehen, so haben sie mich auch erkannt. Das ist sicher.«

»Aber wie wollen sie Dich verfolgen? Wissen sie, wie Du Dich hier nennst?«

»Nein, aber sie werden es bald erfahren.«

»Das dürfte ihnen sehr schwer fallen!«

»Denen? O so Etwas fällt solchen Leuten nicht schwer, sondern ganz entsetzlich leicht.«

»Sie sind doch keine Geheimpolizisten!«

»Aber noch viel schlimmer als diese. Gieb so einem Prairiejäger einen halben Fußtapfen, so braucht er gar keine Fährte; er findet Dich durch den Geruch.«

»So schlimm ist es doch wohl nicht.«

»O, ich kenne sie.«

»Es ist ein Unterschied zwischen dem Verfolgen einer sichtbaren Fährte und dem Aufsuchen eines Menschen, von dem man gar nichts in den Händen hat. Dazu gehört eine Divinationsgabe, die nicht Jeder hat.«

»Diese Kerls haben sie in hohem Maße. Sie hatten in Amerika auch keine sichtbare Fährte von mir und haben mich doch sicher aufgestöbert.«

»Hier ists dennoch etwas Anderes!«

»Ja, dann ist es hier viel leichter.«

»Schwerer!«

»Nein, leichter. Drüben gab es keinen Beamten, dem man die Legitimation vorzeigen mußte, und bei welchem sie sich nur zu erkundigen brauchten. Hier aber, wenn sie zu dem Kreishauptmann gehen, erfahren sie Alles.«

»Sie werden doch nicht!«

»O, ich traue es ihnen sehr zu!«

»Daß sie Dir nach dem Mückenflusse folgen?«

»Ja.«

»So kannst Du nur schleunigst aufbrechen, sonst erwischen sie Dich!«

»Dasselbe ist auch mit Dir der Fall. Ich habe mich, wie ich bereits sagte, sofort aus dem Staube gemacht. Es war ein Glück, daß ich mir einen tüchtigen Führer engagirt hatte.«

»Was beabsichtigest Du denn eigentlich hier in Sibirien?«

»Zobel fangen.«

»Aber wozu denn nur?«

»Eigenthümliche Frage! Ich will die Felle verkaufen, um mir Geld zu verdienen.«

»Wie aber bist Du grad auf den Gedanken gekommen, Zobeljäger zu werden?«

»Nur so nebenbei. Die Hauptsache war, ich wußte, daß Du nach Sibirien gegangen warst. Ich wollte Dich finden.«

»Diesen Zweck hast Du erreicht; aber einen Nutzen hast Du freilich nicht davon.«

»Ich hoffe doch!«

»O nein. Geld bekommst Du nicht.«

»So bleibe ich hier sicher und warte, bis Steinbach kommt. Dem sage ich Alles.«

»Dann bin ich fort.«

»O, wenn ich diesen Schweißhund auf Deine Spur stelle, so holt er Dich ein. Du magst gehen, wohin Du willst.«

»Ich werde meine Spur zu verwischen wissen.«

»Aber an ihn kommst Du doch nicht.«

»Mag sein.«

»Vielleicht auch an mich nicht.«

»Oho! Ueberhebe Dich nicht!«

»Ist gar nicht nöthig. Ich kann Dir sehr leicht beweisen, daß ich Dir sehr über bin.«

»So sei so gut und beweise es einmal!«

»Schön! Warum hast Du mir gesagt, wo Gökala sich befindet?«

»Warum hätte ich es Dir nicht sagen sollen? Es kann mir ja gar nichts schaden!«

»Sehr viel! Ich brauche ja blos die Ankunft Steinbachs zu erwarten und ihm zu sagen, wo sie ist.«

»Das wirst Du nicht thun.«

»Ich werde es ihm aber grade sagen, grad, wenn Du mir kein Geld zahlen willst.«

»Mensch, Du bist ein Schuft!«

»Richtig! Jeder Mensch ist mehr oder weniger Schuft. Du bist nicht der kleinste.«

»Kerl, mäßige Dich!

»Pah! Wir kennen uns. Ich brauche Geld, und Du wirst mir welches geben.«

»Den Teufel werde ich! Fällt mir gar nicht ein! Ich brauche mein Geld selber.«

»Nun, so behalte es! Mir kann es gleich sein, wer Gökala bekommt, er oder Du!«

»Wer sie bekommt? Davon ist doch wohl keine Rede, sondern davon, wer sie hat, und der bin ich!«

»Auch davon kann die Rede nicht sein, sondern davon, wer sie behält. Vielleicht hat er sie sich schon jetzt in diesem Augenblicke von dem Kreishauptmanne geholt.«

»Der giebt sie ihm nicht.«

»Hm! Er liebt das Geld.«

»Grad deshalb giebt er sie ihm nicht. Er hat Geld von mir zu erwarten, wenn er treu ist.«

»Ach so! Also ihm giebst Du Geld, mir aber nicht. Jetzt weiß ich, was ich wissen muß.«

»Das ist etwas Anderes. Er leistet mir Etwas für das, was er erhält. Du aber forderst immer und immer wieder Geld für Das, was Du mir vor langer Zeit geleistet hast und was ich Dir längst doppelt und dreifach bezahlt habe.«

»Ich bin bereit. Dir auch jetzt noch zu leisten.«

»Ich danke! Ich brauche Dich nicht mehr.«

»Ach so! Vielleicht kommt die Zeit, in welcher Du mich sehr gut gebrauchen könntest, und wirst mich aber nicht haben.«

»Ich glaube nicht, daß eine solche Zeit noch kommen wird.«

»Sie ist vielleicht schon nahe.«

»Das bezweifle ich!«

»Nun, ich setze zum Beispiel den Fall, daß Steinbach Dich verfolgt. Wie dann?«

»Da kannst Du mir nicht helfen.«

»Du würdest natürlich fliehen?«

»Dazu brauchtest Du einen tüchtigen Führer, einen Mann, der Steinbach gewachsen ist.«

»Willst etwa Du der sein?«

»Nein. Aber ich könnte Dir da einen Dienst erweisen, indem ich Dir meinen Führer abtrete.«

»Ist der Mann so ausgezeichnet?«

»Ja. Er ist der berühmteste Zobeljäger, den es giebt.«

»Wie heißt er?«

»Gar nicht, er trägt die Nummer fünf.«

»Donnerwetter!«

Indem der Graf diesen Fluch ausstieß, fuhr er zwei Schritte zurück. Er machte ein Gesicht, als ob er etwas ganz Erstaunliches und zugleich Erfreuliches gehört habe. Der Derwisch sah das natürlich und fragte:

»Kennst Du ihn?«

»Nein,« antwortete der Graf, indem er sich ein ruhiges Aussehen gab.

»Es sah aber grad so aus.«

»Gehört habe ich von diesem Nummer Fünf.«

»Was hat man Dir erzählt?«

»Nun eben daß er ein großer Zobeljäger sei. Ich möchte ihn einmal sehen. Wo ist er?«

»Dort unter meinen Leuten,« fügte aber dann rasch hinzu: »Er ist nicht dort. Er muß einmal fortgegangen sein.«

»Wird wohl wiederkommen,« sagte der Graf, welcher sich Mühe gab, gleichgiltig zu erscheinen. »Was ist er denn im Umgang für ein Mann?«

»Einsilbig und zurückhaltend.«

»Erzählt er seine Erlebnisse?«

»Nie.«

»Diese Leute berichten aber doch sonst so sehr gern von ihren Abenteuern.«

»Der nicht.«

»Spricht er auch nicht von seiner Vergangenheit?«

»Noch mit keinem Laute.«

»So weißt Du also wohl auch nicht, was er früher gewesen ist?«

»Nein.«

»Oder weshalb er verbannt wurde?«

»Ebenso wenig. Ich weiß von ihm nur Dreierlei: daß er ein Verbannter ist, welcher die Nummer fünf führt, daß er ein großer Zobeljäger ist, und daß seine Begleiter einen gewaltigen Respect vor ihm haben. Warum erkundigest Du Dich so angelegentlich nach ihm?«

»Weil ich ein passionirter Jagdliebhaber bin und mich also für einen Jeden interessiren muß, den man einen berühmten Zobeljäger nennt.«

»So, so! Schau, dort kommt er.«

Sobald nämlich Nummer Fünf hörte, daß von ihm die Rede sei und daß man sein Verschwinden bemerkt habe, verließ er seinen Lauscherposten. Er wollte nicht nach sich suchen lassen, weil sonst leicht entdeckt werden konnte, daß er gehorcht.

Er hatte Dinge gehört, welche für ihn von der allergrößten Wichtigkeit waren. Nur Eins blieb ihm ein Räthsel, nämlich der Name Gökala. Wer hieß so? Seine Tochter hatte Semawa geheißen. Gökala hatte ganz dieselbe Bedeutung. Semawa ist arabisch und Gökala türkisch; Beides bedeutet soviel wie himmelblau.

Er nahm seinen Sitz wieder ein und versank in tiefes Nachdenken. Er wußte, daß der Graf nun auf ihn sprechen werde, und nahm sich vor, so zu thun, als ob er ihn gar nicht erkenne.

Er hatte ganz recht vermuthet. Bereits nach kurzer Zeit ging der Graf an ihm vorüber und gab ihm einen heimlichen Wink, ihm zu folgen. Er aber that, als ob er ihn gar nicht verstanden habe.

*


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