Karl May
In den Schluchten des Balkan
Karl May

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Im Konak von Dabila

Durch das Land der Skipetaren.

Reise-Erinnerungen aus dem Türkenreich.

Von Karl May.

(Diese Erzählung, deren Schauplatz Albanien ist, bildet den Schluß in der großen Reisenovellen-Serie, welche schon vor Jahren im "Deutschen Hausschatz" unter dem Gesammttitel "Giölgeda padishanün" zu erscheinen begann. Obwohl in dieser neuen Erzählung die auftretenden Hauptpersonen dieselben sind, wie in der vorausgehenden ("Der letzte Ritt", XIII. Jahrgang), so bildet sie doch ein selbstständiges Ganzes, so daß auch jene Abonnenten, welche die früheren Erzählungen der ganzen Serie nicht besitzen, diese Schlußnovelle mit ungetheiltem Interesse lesen können. Überdies werden wir da, wo es nöthig zu sein scheint, das Verständniß durch Anmerkungen vermitteln. D.R.)

Die unter dem Scepter des Sultans befindlichen Länder gehören zu denjenigen, in welchen der Reisende zu seinem Leidwesen und vielleicht auch zu seinem Schaden sehr oft erfährt, daß die Karten, deren er sich nothwendigerweise bedienen muß, nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen.

Zu einem guten Kartenleser gehört schon Etwas; aber selbst ein solcher findet sich gar oft in größter Verlegenheit, wenn er den Fehler begeht, sich der wahrheitswidrigen Zeichnung anzuvertrauen.

Da ist zum Beispiel auf vielen Karten eine Doppellinie verzeichnet, welche von dem alten, berühmten Seres nordwärts nach Demir-Hissa und Petrowitsch und von da gegen Nordwesten über Ostromdscha und Istib nach Köprili und Uskub führt. Man schließt aus dieser doppelten Linie, daß da eine gut gepflegte, breite Land- oder gar Heerstraße vorhanden sei – aber wie sieht es in Wirklichkeit aus!

Von einer Straße in unserem Sinn ist keine Spur. Als wir aus der Seitenschlucht in das Thal der Strumnitza einbogen, wußte ich gar wohl, daß nach den Karten sich eine wohlangelegte Straße am Ufer dieses Flusses hinziehen sollte; aber was wir fanden, war auf keinen Fall mit einem deutschen Vicinalweg zu vergleichen. Die Wege, auf denen unsere deutschen Bauern auf ihre Felder fahren, sind besser angelegt und unterhalten, als diese Heerstraße es war.

Von da an, wo wir auf diese sogenannte Heerstraße einbogen, mußte man ungefähr fünf Stunden reiten, um Ostromdscha zu erreichen, wenn man die Thiere nicht stark anstrengen wollte. Dieser Ort war das Ziel unseres Rittes an diesem Tag.

Ich hatte einmal ein altes geographisches Werk über die Türkei in den Händen gehabt. Es war Seiner Königlichen Hoheit Karl, dem Fürst-Primas des Rheinischen Bundes, Großherzog von Frankfurt, Erzbischof von Regensburg u.s.w., dem >hochherzigen deutschen Fürsten, Kenner und Freunde der Wissenschaften und großmüthigen Beschützer der Gelehrten< gewidmet gewesen. Indem ich mit meinen Begleitern Osco, Omar Ben Sadek und selbstverständlich mit meinem wackern Halef nun gen Ostromdscha ritt, fiel mir ein, daß laut des erwähnten Werkes dieser Ort an dem Rand eines Hügels liege, auf dessen Höhe ein altes, verwüstetes Schloß stehe. In der Nachbarschaft wurde früher ein berühmter Markt abgehalten, und am Fuß des Berges sollten heiße Quellen zu finden sein. Aber wer kann einem >Panorama der europäischen Türkei< trauen, welches im Jahre 1812 das Licht der Welt erblickte!

Aus neueren Aufzeichnungen wußte ich, daß die Stadt etwa sieben oder acht tausend Einwohner, meist Türken und Bulgaren, haben solle, welche viel Baumwolle und Tabak bauen. Ich war neugierig, wie sich diese Stadt uns präsentiren werde.

Leider fühlte Halef noch immer Schmerzen in der Brust. Von dem letzten Abenteuer im Taubenschlag schien er doch eine, wenn auch nicht gefährliche, innere Verletzung davongetragen zu haben. Er klagte zwar nicht, aber ich ließ dennoch die Pferde nur im langsamen Schritt gehen, damit er sich nicht anstrengen solle.

Links vom Flusse breitete sich die Ebene aus, welche sich dann langsam zu den Welitza-Bergen erhebt, und rechts fielen die Höhen der Plaschkawitza-Planina steil zur Tiefe.

Wir erreichten Radowa, ein trauriges Nest, dessen Bewohner sich bereits dem Bau der edlen Tabakspflanze hinzugeben schienen, und dann führte die sogenannte Straße mittelst einer alten Brücke auf das jenseitige Ufer des Flusses über. Da wir langsam ritten, erreichten wir erst nach der Mittagszeit das Dorf Dabila, welches unsere letzte Station vor Ostromdscha war.

Ich hatte gar wohl bemerkt, daß Halef zuweilen die Lippen schmerzlich zusammenkniff. Darum sah ich mich, als wir durch das Dorf ritten, nach einem zum Ausruhen geeigneten Ort um. Ich bemerkte eine lange, ziemlich hohe, aber sich in sehr schlechtem Zustand befindliche Mauer, hinter welcher Gebäude standen. Ein breites, alterthümliches Thor führte in den Hof. Der obere Theil dieses Thores war weiß übertüncht, und darauf sah ich zu meinem Erstaunen in türkischer Schrift die Worte >Mekian rahatün ile eminlikün ile huzurun< geschrieben.

Diese Inschrift muthete mich fast heimatlich an. Eine Inschrift, eine Firma an einem türkischen Chan ist eine Seltenheit. Diese Worte bedeuten auf Deutsch: »Herberge zur Ruhe, Sicherheit und Bequemlichkeit.« Ob man ihnen wohl trauen konnte?

»Wollen wir hier einmal einkehren?« fragte ich Halef.

»Wenn Du willst, Sihdi,« antwortete er; »ich thue, was Dir gefällt.«

»So kommt herein!«

Wir lenkten durch das Thor in den Hof, welcher von drei niedrigen Gebäuden und von der erwähnten Mauer eingeschlossen wurde.

In der Mitte desselben lag das, was man als die >Goldgrube des Landwirthes< zu bezeichnen pflegt, nämlich die Düngerstelle. Nach ihrer Höhe und nach ihrem Umfang war anzunehmen, daß der Besitzer reich an dem erwähnten edlen Metall sein müsse, zumal eigentlich der ganze Hof auf die Bezeichnung als Goldgrube Anspruch erheben konnte; denn kaum waren wir durch das Thor gelangt, so wadeten unsere Pferde bereits in den tiefen vegetabilischen und animalischen Resten, welche ihre Gegenwart den Geruchsorganen in nicht gerade lieblicher Weise bemerkbar machten.

»Ej gözel koku, ej nimet burundan – o Wohlgeruch, o Wohlthat der Nase!« rief Halef. »Ja, das ist eine Herberge der Bequemlichkeit. Wer sich hier niederlegt, der liegt sehr weich. Sihdi, willst Du es versuchen?«

»Du bist mein Freund und Beschützer; ich werde thun, was Du mir vormachst,« antwortete ich.

Damit war unser Gedankenaustausch zu Ende, denn eine ganze Meute borstiger Hunde kam heulend auf uns zugestürzt. Es sah aus, als ob die Bestien uns zerreißen wollten. Ich gab meinem Rappen die Sporen und schnellte mitten unter sie hinein. Da stoben sie aus einander und flohen davon.

Nach Menschen sahen wir uns vergebens um. Die Gebäude rechts und links von uns schienen landwirthschaftlichen Zwecken zu dienen, während das uns gegenüber liegende Gebäude das Wohnhaus zu sein schien; aber auch nur schien, denn es war nichts zu sehen, was diese Vermuthung zur Gewißheit hätte erheben können. Löcher mit Läden gab es, aber keine Fenster. Auch einen Schornstein sah ich nicht. Die Thüre war eng und niedrig. Dennoch ritten wir hin und stiegen vor derselben ab.

Erst jetzt ließ sich ein menschliches Wesen am Eingang erblicken. Ich wußte nicht zu sagen, ob diese Person eine männliche oder eine weibliche sei. Die Gestalt trug außerordentlich weite, krapprothe Beinkleider, welche oberhalb der Knöchel zusammengebunden waren. Ob die Füße in Schuhen steckten oder ob sie unbekleidet waren, das konnte ich nicht unterscheiden. Schwarz aber waren sie; das war sicher. Von dem Halse ging ein Hemd bis zu den Knieen herab. Es wurde über den Hüften mit einem Riemen zusammen gehalten, und ich vermuthete, daß es einmal eine weiße Fustanella gewesen sei. Jetzt aber sah es aus, als ob es zehn Generationen hindurch den Ahnen und Urahnen eines Stubenmalers als Arbeitskittel gedient habe und dann noch extra durch den Schlamm eines Teiches gezogen worden sei. Hals und Gesicht waren unendlich hager und waren wohl kaum jemals mit Seife und Wasser in Berührung gekommen. Der Kopf wackelte hin und her, wie bei einer chinesischen Pagode. Unter den Tuchfetzen, welche ihn bedeckten, hingen einige graue, wirre Haarsträhnen hervor.

»Güniz chajir ola – guten Tag!« grüßte ich. »Wer bist Du?«

»Im basch dscharije – ich bin die Obermagd,« wurde mir in würdevollem Ton geantwortet.

»Wo ist der Herr?«

»Drinnen.«

Bei diesem Wort deutete die Schaffnerin des gastlichen Hauses mit dem Daumen über ihre Achsel in das Innere des Gebäudes hinein.

»Selamlariz onu – so werden wir ihn begrüßen.«

»Pek ei sultanum – sehr wohl, mein Herr!«

Sie trat heraus, um uns Platz zu machen. Ich mußte mich bücken, um nicht oben anzustoßen. Einen Hausflur gab es nicht, wie ich jetzt bemerkte. Das Gebäude bestand nur aus den vier Umfassungsmauern und aus dem darüber liegenden Strohdach. Das Innere war, wie es in dieser Gegend oft vorkommt, durch Weidengeflechte in mehrere Abtheilungen gesondert.

»Sol tarafda – links!« rief uns die Obermagd nach.

Wir folgten dieser Weisung und traten also in die uns von ihr bezeichnete Abtheilung, in welcher wir aber den Wirth nicht fanden.

Der Raum wurde von zwei Maueröffnungen erhellt, vor welchen die Läden zurückgeschlagen waren. Ein Fenster gab es nicht, wie bereits erwähnt. In der Mitte stand ein Tisch mit vier Bänken rund herum. Er war weiß gescheuert und hatte ein so sauberes Aussehen, daß ich mich schier verwunderte. Nach dem Aussehen der Obermagd hätte ich diese Reinlichkeit nicht erwartet. Auch die Bänke waren rein und fleckenlos. Da ich kein Heiligenbild erblickte, vermuthete ich, daß der Besitzer dieser Herberge ein Moslem sei.

In den Maueröffnungen standen einige blühende Blumenstöcke, welche dem Gemach ein trauliches Aussehen gaben, und der hölzerne, gefüllte Wasserständer in der Ecke war so blank gescheuert, daß man mit Appetit von seinem kühlen Inhalte schöpfen konnte.

Ich klopfte mit dem Knopf der Reitpeitsche auf den Tisch. Sogleich wurde die eine Zwischenwand ein wenig zur Seite geschoben, und es erschien ein Mann, der nach unserem Begehr fragte.

Er war türkisch gekleidet und trug einen rothen Fez auf dem Kopf. Seine Gestalt war kräftig, und der lange, dunkle Vollbart, welcher ihm fast bis auf die Brust wallte, gab ihm ein imponirendes Aussehen.

»Bist Du der Konakdschy?« fragte ich ihn.

»Ja, aber ich beherberge Niemand mehr,« antwortete er.

»So mußt Du die Inschrift Deines Thores entfernen.«

»Das werde ich noch heute thun. Ich lasse sie übertünchen.«

Er sagte das in einem grimmigen Ton, aus welchem zu vermuthen war, daß er als Wirth böse Erfahrungen gemacht habe.

»Wir sind auch nicht gekommen, um hier bei Dir zu bleiben,« erklärte ich ihm. »Wir wollen uns nur ausruhen und Etwas trinken.«

»Das will ich gelten lassen. Auch einen Imbiß könnt Ihr haben.«

»Was hast Du zu trinken?«

»Einen Raki und ein sehr gutes Arpa suju, welches ich Euch empfehlen kann.«

Also Bier hatte er! Hm! Das war ja überraschend.

»Wer hat es gebraut?« fragte ich.

»Ich selbst.«

»Wie bewahrst Du es auf?«

»In großen Krügen. Es wird täglich neues gekocht, da ich es meinen Leuten zu trinken gebe.«

Das war nun freilich keine Empfehlung. Er mochte dies meinem Gesicht ansehen, denn er sagte:

»Du kannst es getrost versuchen. Es ist ganz neu, erst heute früh fertig geworden.«

Er war also wohl der Ansicht, daß das Bier um so besser munde, je jünger es sei. Ich hegte eine ganz andere Meinung, bestellte aber doch von dem Trank; denn ich war neugierig, welch' ein Gebräu man hier mit dem Namen Bier bezeichne.

Er brachte einen großen, gefüllten Krug und setzte denselben auf den Tisch.

»Trink!« munterte er mich auf. »Es gibt Kraft und verscheucht die Sorgen.«

Ich nahm allen meinen Muth zusammen, ergriff den Krug mit beiden Händen und führte ihn zum Mund. Das Zeug roch nicht übel; ich that einen kühnen Zug, noch einen und – trank weiter. Dünn war es, außerordentlich dünn, Münchener Gebräu, mit dem fünffachen Volumen Wasser vermischt, aber es schmeckte doch nicht übel. Es war ein Mittel gegen den Durst, weiter aber nichts.

Auch die Andern tranken und gaben dann ein befriedigendes Gutachten ab, vielleicht nur, weil ich kein abfälliges Urtheil ausgesprochen hatte. Das freute den Wirth sichtlich. Sein finsteres Gesicht heiterte sich für einige Augenblicke auf, und er meinte in selbstbewußtem Ton:

»Ja, ich bin selbst Piwachanedschy. Das thut mir hier Niemand nach.«

»Wo hast Du das gelernt?«

»Von einem Fremden, welcher aus dem Piwamemleketi gebürtig war. Er hatte längere Zeit in Stambul gearbeitet und war eigentlich ein Kunduradschy. Aber in jenem Lande brauen alle Leute Bier, und darum verstand auch er es gut. Er war sehr arm und wanderte in seine Heimat zurück. Ich hatte Mitleid mit ihm und gab ihm für einige Zeit Herberge nebst Speise und Trank. Dafür hat er mir aus Dankbarkeit das Tertib des Bieres gegeben.«

»Wie heißt das Land, aus welchem er stammte?«

»Ich habe mir den Namen ganz genau gemerkt. Es heißt Elanka.«

»Du hast, wie es scheint, Dir den Namen doch nicht ganz genau gemerkt.«

»O doch! Er lautete wirklich Elanka.«

»Oder wohl Erlangen?«

»Erla – – – Herr, Du hast Recht. So wie Du sagst, so heißt das Land. Ich besinne mich. Das Wort ist nicht leicht auszusprechen. Kennst Du es denn?«

»Ja, aber Erlangen ist nicht ein Land, sondern eine Stadt in Bawaria.«

»Ja, ja, Du weißt es ganz genau. Er war ein Bawarialy. Jetzt fällt es mir ein. Bawaria ist ein Theil von Alemanja, wo alle Leute Bier trinken. Sogar die Säuglinge schreien schon danach.«

»Hat Dir das dieser Schuster gesagt?«

»Ja, er that es.«

»Nun, ich kenne ihn nicht und weiß also auch nicht, ob er bereits in so früher Jugend Bier getrunken hat. Jedenfalls aber hat er Dir bewiesen, daß dieser Trank den Menschen nicht undankbar macht. Können wir auch Etwas zu essen bekommen?«

»Ja, Herr; sage nur, was Dein Herz begehrt!«

»Ich weiß doch nicht, was Du hast.«

»Verlange nur – Brod, Fleisch, Geflügel; es ist Alles da, Alles.«

»Hm! Könnten wir nicht ein Jumurta taami bekommen?«

»Ja, das kannst Du haben.«

»Aber wer wird es bereiten?«

»Meine Frau.«

»Nicht die Basch dscharije, die uns draußen empfangen hat?«

»O nein, Herr! Ich weiß, warum Du fragst. Sie ist die Oberste und Fleißigste im Stall, aber mit der Zubereitung der Speisen hat sie gar nichts zu thun.«

»Nun, so wollen wir's versuchen.«

Er ging hinaus, um das Verlangte zu bestellen. Meine Kameraden gaben ihre Befriedigung zu erkennen, daß die wackere Schaffnerin nicht auch zugleich das Amt einer Küchenfee bekleidete.

Als der Wirth zurückkehrte, setzte er sich zu uns, und es schien, daß er uns genauer musterte, als vorher.

»Ich habe Euch nicht sehr freundlich empfangen,« sagte er dann. »Ihr dürft mir das nicht übel nehmen. Es gibt Gäste, welche einem die Lust am Herbergen verleiden.«

»Hast Du schon schlimme Erfahrungen gemacht?«

»Sehr schlimme.«

»Erst kürzlich wohl?«

»Ja, heute Nacht. Ich bin bestohlen worden.«

»Von Gästen? Wie ist das zugegangen?«

»Du mußt wissen, daß ich viel Tabak baue. Zu gewissen Zeiten kommt ein Tütünschü aus Salonik zu mir, um zu kaufen. Gestern war er da und zahlte mir die letzte Rate für die vorjährige Ernte. Es waren grad hundert Pfund. Eben als er sie mir hier auf den Tisch legte, lauter goldene Pfundstücke, kamen drei Fremde, welche mich fragten, ob sie bei mir schlafen könnten. Ich hieß sie willkommen und trug das Geld hinaus, hinüber in mein Jatak odassy. Von dort haben sie es mir gestohlen.«

»Wie haben sie das angefangen? Ist es denn so leicht, in Deine Schlafstube zu gelangen? Hat sie auch nur solche Rutenwände, wie diese Stube hier?«

»O nein. Sie liegt in der hinteren, linken Ecke des Hauses und besteht aus den beiden Umfassungsmauern und aus zwei starken Backsteinwänden, welche bis unter das Dach hinaufgehen. Die Thüre ist stark und sogar mit Eisen beschlagen. Ich habe diese Sicherheitsmaßregel getroffen, weil ich dort Alles aufbewahre, was mir werthvoll ist.«

»Wie sind die Diebe da hineingekommen? Wie haben sie überhaupt wissen können, daß Du das Geld dort aufbewahrst?«

»Du mußt eben bedenken, daß hier alle Wände nur aus Geflecht bestehen und daß sie leicht verschiebbar sind. Dadurch ist es ermöglicht worden, daß mir Einer von den Dreien nachschleichen und da beobachten konnte, wohin ich das Geld trug. Dann ist er schnell hinausgegangen, hinter das Haus, um durch das Fenster zu sehen, wohin ich es stecken werde. Als ich es eingeschlossen hatte, war es mir, als ob ich von draußen her ein Geräusch vernähme. Ich eilte an den offenen Laden und horchte hinaus. Da vernahm ich Schritte, welche sich entfernten. Als ich dann zurückkehrte, fehlte Einer von den Dreien. Er trat nach einigen Augenblicken ein.«

»Ist Dir denn das nicht aufgefallen?«

»Sogleich nicht. Die Schritte, welche ich gehört hatte, konnten ja von einem meiner Knechte herrühren, welche um die betreffende Zeit gewöhnlich hinter dem Hause zu thun haben. Erst später, als ich den Verlust des Geldes bemerkte, fiel mir dieser Umstand ein, und als ich da die Dienstboten befragte, erfuhr ich von einem meiner Taglöhner, daß er genau um die angegebene Zeit nach dem Pferch der Schafe, welcher hinter dem Hause liegt, sich begeben habe und dort dem Fremden begegnet sei, der aus der Richtung meiner Schlafstube gekommen ist.«

»Und weißt Du vielleicht, in welcher Weise der Diebstahl ausgeführt worden ist?«

»Das ist mir noch jetzt ein Räthsel. Als ich schlafen ging, war es sehr spät, einige Stunden nach Mitternacht. Ich hatte Geld gewonnen und wollte es zu dem übrigen thun. Als ich das Schränkchen öffnete, war es leer.«

»Hm! Es war vorher verschlossen? Ich meine, mit einem Schlüssel?«

»So war es.«

»Und die Schlafstube auch?«

»Nein, diese nicht. Sie steht fast immer offen, weil mein Weib und meine Kinder oft hineingehen und ich dann die Mühe hätte, allemal aufzuschließen.«

»Du sagst, daß Du gewonnen habest. Habt Ihr denn gespielt?«

»Ja, ich mit den drei Männern.«

»Nicht auch mit dem Tabakhändler?«

»Nein. Der war noch vor Einbruch der Nacht fortgeritten. Die Gäste waren noch nicht müd und frugen mich, ob ich wohl ein Ojun kiadschady mit ihnen machen wolle. Ich ging darauf ein und gewann beinahe ein Pfund. Ich mußte dabei mit ihnen Raki trinken, und da sie mir sehr fleißig zutranken, so bekam ich nach und nach ein Machmurlutschyk und wurde so müd, daß ich endlich das Spiel aufgeben mußte.«

»Und dann bist Du sogleich in Deine Schlafstube gegangen, um den Gewinn in den Schrank zu thun?«

»Nein. Vorher mußte ich den Dreien das Thor öffnen. Sie meinten, es sei zu spät, um noch schlafen zu gehen. Der Morgen war nahe, und sie zogen vor, sogleich aufzubrechen. Sie bezahlten für das, was sie verzehrt hatten, mehr als ich verlangte, und dann ritten sie fort.«

»Wohin? Haben sie Dir das gesagt?«

»Ja. Sie wollten nach Doiran.«

»Hm, also nach Süden, über Furkoi und Oliwetza. Und woher waren sie gekommen?«

»Von Menlik her.«

»Ah, von Menlik! Und Drei waren es? Hast Du sie genau angesehen?«

»Natürlich! Ich habe ja fast sechs Stunden lang mit ihnen gespielt.«

Es stieg nämlich die Ahnung in mir auf, daß die drei Diebe mit den Männern, welche wir suchten, identisch seien. Darum fragte ich weiter:

»So hast Du auch ihre Pferde in Augenschein genommen?«

»Ja. Es waren drei Schimmel.«

»Peh ne güzel – wie schön, wie schön!« entfuhr es dem kleinen Halef. »Sihdi, ich habe es sofort geahnt, sofort!«

»Ja, Du bist ein scharfsinniger Freund und Beschützer Deines Herrn.«

»Was hat er geahnt, was?« fragte der Wirth schnell.

»Etwas, was Dich später wohl auch noch interessiren wird,« antwortete ich ihm. »Zunächst bitte ich Dich, mir weitere Auskunft zu ertheilen.«

»Betrifft es die Leute, welche mich bestohlen haben?«

»Du hast es errathen.«

»So frage mich nur! Ich werde Dir sehr gern Alles sagen, was Du wissen willst.«

Sein Gesicht nahm einen ganz anderen Ausdruck an. Die Worte des kleinen Hadschi hatten ihn auf die Vermuthung gebracht, daß wir in irgend welcher Beziehung zu den Dieben stünden, und er war nun sehr gespannt, das Weitere zu hören. Man sah es ihm an, daß ihn jetzt eine, wenn auch nur unbestimmte Hoffnung zu erfüllen begann.

»So waren sie also schon fort, als Du den Verlust des Geldes entdecktest,« meinte ich. »Fiel denn Dein Verdacht sofort auf sie?«

»Nein. Ich weckte natürlich sogleich alle meine Leute auf und frug sie aus. Sie Alle sind ehrliche Menschen, und es gibt Keinen unter ihnen, dem ich eine solche That zutraue. Ich suchte bei Allen nach, ohne Etwas zu finden, was nur den geringsten Verdacht erwecken konnte. Dann erst dachte ich an die drei Fremden. Ich fragte nach ihnen und erfuhr nun von dem Taglöhner, daß der Eine grad zu der Zeit, in welcher ich das viele Geld in meine Schlafstube getragen hatte, hinter dem Hause gewesen sei.«

»Aber der Diebstahl kann doch nicht zu dieser Zeit, sondern er muß später ausgeführt worden sein!«

»Natürlich. Das sage ich mir auch.«

»Und mir scheint, daß auch nicht ein einzelner Mann genügt hat, sich des Geldes zu bemächtigen. Es haben wenigstens Zwei dazu gehört. Kannst Du Dich denn nicht besinnen, ob sich einmal Zwei zugleich entfernt haben?«

»Sehr genau sogar. Zunächst ist mir das gar nicht aufgefallen; erst später dachte ich daran.«

»Ist das früh oder spät geschehen?«

»Noch bevor die Meinen schlafen gingen.«

»Deine Familie schläft bei Dir im Zimmer?«

»Natürlich, Alle.«

»So mußte der Diebstahl allerdings ausgeführt werden, bevor sie sich zur Ruhe legten. Die Diebe haben sich das sehr wohl überlegt. Wie aber haben sie es angefangen, Euch Alle abzuhalten, sie zu erwischen?«

»Der Eine von ihnen begann, uns Kiadschady hileleri zu zeigen. Da mir dieselben so wohl gefielen, erlaubte er mir, alle meine Leute herbeizuholen. Während er uns so prächtig unterhielt, entfernten sich die beiden Andern, was mir aber gar nicht aufgefallen ist. Erst als sie zurück kamen, sagte er, daß er uns nun Alles gezeigt habe, was er könne. Dann gingen die Leute wieder fort, und wir spielten weiter.«

Es darf keineswegs Wunder nehmen, daß hier in dem entlegenen türkischen Dorf gespielt worden war. Ich hatte schon oft in der Türkei Karten spielen sehen. Ja, ich war Zuschauer von Kartenkünstlern gewesen, welche sich vor keinem der unserigen zu schämen brauchten. Das waren fast stets Griechen oder Armenier gewesen. Der eigentliche Türke hat nicht die Geduld, welche dazu gehört, sich durch lange Übung die nöthige Gewandtheit anzueignen. Also erstaunt war ich nicht im Mindesten über die Thatsache, daß hier in der Herberge von Dabila dergleichen Kartenkunststücke ausgeführt worden seien; aber neugierig war ich, zu erfahren, welcher von den Dreien sich als Künstler hatte sehen lassen.

Ich ließ mir den Mann von dem Wirth beschreiben und gelangte zu der Ansicht, daß der mitentflohene Gefängnißschließer es gewesen sei. Folglich mußten Manach el Barscha und Barud el Amasat den Diebstahl mit einander ausgeführt haben, und es war natürlich anzunehmen, daß der Schließer von ihrem Vorhaben unterrichtet gewesen sei.

»Also nach Untersuchung und Verhörung der Deinen bist Du zu der Überzeugung gelangt, daß die Fremden die Diebe gewesen seien?« fragte ich weiter. »Was hast Du dann gethan?«

»Ich habe ihnen meine sämtlichen Knechte beritten nachgeschickt.«

»So! Warum bist Du nicht selbst mitgeritten?«

»Ich jagte eiligst nach Ostromdscha zu dem Zabtieh Muschiri, um ihm die Anzeige zu machen und um Khawassen zu bitten. Er gewährte mir die Erfüllung dieses Wunsches erst nach langer Verhandlung und nachdem ich fünfhundert Piaster bezahlt hatte. Ich mußte mich verpflichten, alle Kosten, welche bei Verfolgung der Diebe entstehen würden, zu erstatten und ihm, falls sie erwischt würden, ein Mükiafat von zehn Pfund auszuzahlen.«

»Dieser ehrenwerthe Mann ist ein kluger Verwalter seines eigenen Beutels. Allah erhalte ihn Euch noch lange Zeit!«

»Der Teufel mag ihn zu sich nehmen!« entgegnete der Wirth auf meinen Segensspruch. »Der Prophet will, daß Gerechtigkeit auf Erden herrschen soll. Die Beamten des Großherrn müssen und sollen uns dienen, ohne Geschenke zu fordern, und wenn Du diesem Chordawa ein langes Leben wünschest, so kann ich Dich nicht für einen guten Jünger des Propheten halten.«

»Der bin ich auch nicht.«

»Ah, bist Du etwa Schiit, ein Anhänger der verfälschten Lehre?«

Er rückte ein Stück von mir weg.

»Nein,« antwortete ich. »Ich bin ein Christ.«

»Ein Christ! Das ist viel besser als so ein Schiit, der jedenfalls nach seinem Tod in die Hölle fährt. Ihr Christen könnt, wenn Ihr an Isa Ben Marryam (Jesus) glaubt, doch wenigstens auch in den Himmel kommen, wenn auch nur bis in den dritten; die andern – der vierte bis siebente – sind nur den rechtgläubigen Moslemim vorbehalten. Gegen Euch Christen habe ich nichts, denn der Mann, welcher mich lehrte, Bier zu kochen, war ja auch ein Katolika. Desto mehr aber wundert es mich, daß Du diesem Beamten ein langes Leben wünschest!«

Er rückte langsam wieder näher. Ich antwortete:

»Ich habe das gethan, weil ich wünsche, daß er nicht sterbe, bevor er die Strafe für seine Erpressung erhalten hat. Weißt Du denn, welche Maßregeln er ergreifen will?«

»Ja. Er will alle seine Khawassen aussenden, um auf die Spitzbuben zu fahnden. In allen zwischen hier und Doiran gelegenen Ortschaften soll eine große Jagd nach ihnen veranstaltet werden, und er selbst will sich an die Spitze seiner Häscher stellen.«

»Ich vermuthe sehr, daß er jetzt daheim auf seinem Polster sitzt, um den lieben Tschibuk zu rauchen und Kaffee dazu zu trinken.«

»Wenn ich das wüßte, so sollte es ihm wohl nicht gut bekommen!«

»Du wirst es erfahren, denn Du wirst jetzt mit uns nach Ostromdscha reiten, um ihn aufzusuchen.«

»Ich? Warum?« fragte er erstaunt.

»Davon nachher. Hast Du Dich denn überzeugt, ob er sein Versprechen gehalten und alle seine Khawassen ausgesandt hat?«

»Ich hatte keine Zeit dazu, denn ich mußte wieder heim, um bei der Rückkehr meiner Knechte zugegen zu sein.«

»Sind sie wieder da?«

»Ja. Sie haben sich vertheilt gehabt und sind bis Furkoi und Welitza geritten, ohne eine Spur der Diebe zu entdecken. Da haben sie es für gerathen gehalten, wieder umzukehren. Ich habe sie natürlich tüchtig ausgezankt. Sie sind Söldlinge, welche das Wohl ihres Herrn vernachlässigen.«

»O nein; sie haben recht gehandelt.«

»Meinst Du? Warum?«

»Und wenn sie bis Doiran und noch weiter geritten wären, sie hätten doch Niemanden gefunden.«

»Das sagst Du in einem so bestimmten Ton?«

»Weil ich vollständig überzeugt davon bin. Die Diebe wollen ja gar nicht nach Doiran.«

»Sie sagten es aber doch!«

»Sie haben Dich belogen, um Dich irre zu führen. Meinst Du denn, daß ein Dieb so unvorsichtig ist, die Polizei auf seine Fährte zu lenken?«

»Als sie es sagten, hatten sie mich noch nicht bestohlen!«

»Aber sie beabsichtigten bereits, es zu thun. Auch hatten sie noch einen andern Grund, Dir das wirkliche Ziel ihres Rittes zu verschweigen.«

»Welcher wäre das?«

»Sie werden bereits wegen früherer Thaten verfolgt. Sie haben sich gedacht, daß ihre Verfolger, wenn sie ja nach Dabila kommen sollten, hier bei Dir einkehren würden. Darum gaben sie eine falsche Richtung an. Und – was Du auch noch in Berechnung ziehen mußt – sie haben gesagt, daß sie von Menlik kommen und nach Doiran wollen. Der grade Weg von dem einen Ort zum andern führt südwestlich über die Sultanitza-Berge. Sie aber sind erst grad nach Westen geritten, um nun hier genau nach Süden abzubiegen. Sie haben also einen Umweg gemacht, den ich auf fünf türkische Aghatsch schätze. Wenn man aber flüchtig ist und seine Pferde zu schonen hat, reitet man nicht sechs volle Stunden um.«

Der Wirth musterte mich mit prüfendem Blick.

»Effendi,« fragte er, »bist Du wirklich ein Christ?«

»Ja. Warum fragst Du?«

»Wenn Du nicht ein Christ wärest, so würde ich meinen, Du seist ein Beamter der Polizei.«

»Es gibt genug Khawassen, welche nicht Moslemim sind.«

»Ein gewöhnlicher Khawaß würdest Du nicht sein, sondern einer von den hohen Zabtieh. Und bei denselben werden, so viel ich weiß, keine Christen angestellt.«

»Warum hast Du denn eine so große Lust, mich für einen Polizisten zu halten?«

»Deine Person paßt dazu, und Du sprichst wie Einer, welcher Alles ganz genau weiß, bevor er es gesagt bekommt. Auch Deine Begleiter passen sehr genau zu dieser meiner Vorstellung. Siehe nur diese Beiden an!« – Er zeigte dabei auf Osco und Omar Ben Sadek. – »Wie ernst und gewichtig sie dreinschauen! Ihnen steht die Würde ihres Berufes im Gesicht geschrieben. Und hier der Kleine!« – Er deutete auf Hadschi Halef Omar. – »Sieht er nicht aus, wie die verkörperte Zabtieh? Diese listigen Augen und dieses pfiffige Lächeln! Thut er nicht ganz so, als ob er die ganze Welt arretiren könne, wenn er nur wolle?«

Die drei Genannten lachten laut auf. Ich aber antwortete ernst:

»Du irrst. Wir sind einfache Reisende, welche, wie jeder Andere, auf den Schutz der Polizei angewiesen sind. Aber wir sind durch viele Länder und Gegenden gekommen und haben mehr gesehen und erfahren, als tausend Andere. Darum fällt es uns nicht schwer, uns in Deine Angelegenheit hinein zu denken. Wer stets daheim sitzen bleibt, dessen Sinn bleibt gar leicht ein beschränkter, und passirt ihm einmal etwas Ungewöhnliches, so weiß er sich nur schwer zurecht zu finden.«

»Das mag richtig sein, und – – aber da bringt man Euch Euer Essen. Das sollt Ihr ohne Störung genießen. Wir können dann, wenn Ihr fertig seid, über meine Angelegenheit weiter sprechen. Wünscht Ihr vielleicht, daß ich Euren Pferden Wasser und Futter gebe? Ich habe schönen Mysr budschdajy, welcher gut geschroten ist.«

»Ja, gib ihnen von demselben und sage einem Knecht, er solle ihnen die Sattelung abnehmen und sie sodann mit Wasser begießen. Das wird sie erfrischen. Sie haben uns von Edreneh bis hierher getragen, ohne nur einmal recht ausruhen zu können.«

»Ich habe nicht weit hinter dem Hause einen schönen Balyk gölü, dessen Wasser hell und sauber ist. Wünschest Du, daß die Knechte Eure Pferde hineintreiben?«

»Ich lasse sie bitten, es zu thun.«

Der Mann schien trotz des Schmutzes, welcher fußhoch seinen Hof bedeckte, ein unternehmender und für die hiesigen Verhältnisse auch tüchtiger Landwirth zu sein. Die ihm gestohlenen 100 Pfund, nach deutschem Geld 1850 Mark, waren der Preis für nur einen Theil seiner vorjährigen Tabaksernte. Er war jedenfalls recht wohlhabend. Und daß er sogar einen Fischteich angelegt hatte, dies bewies, daß er den ihm gehörigen Grund und Boden trefflich auszunutzen verstand.

Außerdem wußte er auch anders als der große Haufen der dortigen Einwohner zu leben. Davon sollte ich sogleich einen Beweis erhalten, aus welchem ich zugleich ersah, daß er uns nicht für ganz gewöhnlich Reisende hielt.

Das Essen wurde uns von zwei recht sauber gekleideten Burschen herein gebracht. Es bestand aus mehreren großen, dampfenden und appetitlich duftenden Eierkuchen, zu welchen in Essig gelegte und mit Pfeffer gewürzte Melonen und frische andere Früchte gegeben wurden. Die Speisen lagen, wie ich zu meiner Verwunderung sah, auf reinlichen, weißen Steinguttellern, und nur die große Melonenschüssel war aus braunem Ton gebrannt.

Der Wirth beobachtete, ob uns Alles auch bequem servirt werde, und befahl dann, als uns sogar ein Körbchen vorgesetzt worden war, welches Messer, Gabeln und Löffel enthielt:

»Geht zur Tscheleba, und sagt ihr, sie solle Euch vier Petschetalar und ebenso viele Peschkiriler geben. Die Männer, welche hier speisen, sind weit gereiste und vornehme Herren. Sie sollen nicht sagen, daß sie beim Konakdschy Ibarek schlecht bedient worden seien.«

Also Ibarek hieß der aufmerksame Mann, welcher sogar Servietten besaß! Ich war überzeugt, daß es uns Allen hier recht gut munden werde. Er entfernte sich, um den Knechten die erwähnten Befehle zu ertheilen. Dann wurden uns die Servietten und Handtücher gebracht, welch letztere mir allerdings überflüssig zu sein schienen; Handtücher zu den Servietten werden selbst in einem abendländischen Gasthof ersten Ranges wohl kaum gereicht.

Als ich nun die Servietten nahm und jedem meiner Gefährten eine reichte, machte es mir heimlich Freude, die Blicke zu sehen, welche fragend auf mich gerichtet waren. Sie wußten nicht, was mit den weißen, reinlichen Dingern anzufangen sei. Der kleine Hadschi war der Einzige, welcher es riskirte, von mir ausgelacht zu werden. Er fragte:

»Sihdi, was sollen wir mit diesen Tüchern? Es ist doch bereits ein großes Sofrajy kurmak über den Tisch gebreitet.«

»Es sind auch keine Tafeltücher.«

»Maschallah, Gottes Wunder! Sollen es etwa Mendiler sein? Es ist doch Keiner von uns mit einem Zükkiam behaftet!«

»Auch das ist's nicht. Diese Tücher werden so vorgebunden, wie ich es Euch zeige, damit man sich nicht mit den Speisen die Kleider beschmutzt.«

»Allah akbar, Gott ist groß! Aber die vornehmen Leute müssen doch rechte Budala achmaklar sein, wenn sie besondere Vorhänge brauchen, um die Speisen in den Mund zu bringen und sie nicht auf die Kleider zu schütten. Ich habe gelernt, anständig zu speisen, und meine Jacke wird vergebens lüstern sein, diesen wohlschmeckenden Saft der Melone zu trinken.«

Ich band mir die Serviette absichtlich möglichst ungeschickt vor, und da die Anderen es genau so nachmachten, wie ich es ihnen vorgemacht hatte, so saßen wir nun da, wie Kinder, welche von der vortrefflichen Mama den dicken Milchbrei eingestopft bekommen. Das machte mir im Stillen großen Spaß.

Während des Essens bemerkte ich, daß die Pferde hinter das Haus geführt wurden. Der Wirth schien es als echter Muselmann für höflich zu halten, uns ohne Zeugen speisen zu lassen. Er trat erst wieder ein, als wir fertig waren, und gab den beiden Burschen den Befehl, abzutragen und uns ein Tekre kurna zu bringen. Auch dieses war von weißem Steingut, und nun kamen auch die Handtücher zu Ehren.

Während wir uns die Hände reinigten, flüsterte mir Halef zu:

»Sihdi, hast Du keine Angst?«

»Wovor?«

»Welch ein Ödejisch wird das geben! Dieses gute Essen, das kühle Bier, Messer, Gabeln und Löffel, ein Tafeltuch, ein Waschbecken, Handtücher und gar noch Brustvorhänge von weißem Bez! Dazu hat die Tscheleba Alles selbst gekocht! Ich glaube, dieser brave Wirth wird grad so viel von uns verlangen, wie die Rechnung des Polizeipräfekten betragen hat.«

»Mache Dir keine Sorge; ich bin überzeugt, daß wir hier gar nichts zu bezahlen brauchen.«

»Meinst Du, daß der Wirth auf diesen prächtigen, menschenfreundlichen Gedanken kommen wird?«

»Ganz gewiß. Wir werden nur den Knechten ein Bakschisch zu geben haben.«

»Wenn er so verständig ist, so will ich auch von ganzem Herzen heute, morgen und auch übermorgen vor dem Einschlafen den Propheten bitten, sich bei dem Engel des Todes für diesen guten Wirth zu verwenden.«

»Warum nur bis übermorgen?«

»Dreimal ist genug. Bis dahin lernen wir wohl wieder andere Leute kennen, welche uns gut bewirthen und also meiner Fürbitte würdig sind.«

Der kleine Hadschi lächelte still und listig vor sich hin, wie es so seine Art und Weise war, wenn er sich einmal als Pfiffikus gezeigt hatte.

Nach der Reinigung lud der Wirth uns ein, uns wieder an den Tisch zu setzen. Er wollte den ziemlich geleerten Bierkrug abermals füllen und bat uns, vorher auszutrinken. Ich aber lehnte es ab und erwiederte:

»Du würdest mich und wohl auch Dich erfreuen, wenn Du mir einmal das Schränkchen zeigtest, aus welchem Dir das Geld gestohlen ward. Wirst Du mir das zu Gefallen thun?«

»Ja. Komm, und folge mir!«

Halef ging mit. Der ihm angeborene Spürsinn erlaubte es ihm nicht, so wie die beiden Andern zurück zu bleiben.

Der Wirth brauchte nur zwei der dünnen, geflochtenen Zwischenwände ein wenig zurückzuschieben, so standen wir schon vor der Thüre seiner Schlafstube. Sie war unverschlossen. Ich überzeugte mich sogleich, daß ein Riegel vorhanden war, mit dessen Hülfe man von innen einem unwillkommenen Öffnen vorbeugen konnte.

Betten gab es nicht. Rund um die Wände lief ein sogenanntes Serir, ein niedriges Lattengestell, auf welchem Polster lagen. Auf diesen schliefen die Hausbewohner, im Sommer gar nicht und im Winter von ihren Decken oder Pelzen zugedeckt. Die Kleider abzulegen, fiel ihnen natürlich gar nicht ein.

Diese Unsitte des Morgenländers, dieser Mangel aller Betttücher und dieses sehr seltene Wechseln der Leibwäsche disponiren nicht nur zu vielen Krankheiten, sondern sind auch der Grund von dem massenhaften Vorhandensein jener zwei Arten blutgieriger Insekten, welche einst ein ungarischer Magnat, dem zwar die lateinischen Namen Pulex und Pediculus, nicht aber die beiden betreffenden deutschen Wörter geläufig waren, mit den sonderbaren Hauptwörtern >Hopphopp< und >Krappele< bezeichnete.

Die Wände waren weiß getüncht. Die einzige Zierde derselben bildete der in arabischer Schrift hart unter dem Strohdach herumlaufende Spruch:

»Der Schlaf des Gerechten wird von Engeln bewacht; am Lager des Ungerechten aber stöhnen die Vorwürfe ihre ängstlichen Klagen.«

Das Gemach hatte nur eine einzige Fensteröffnung. Dieser gegenüber hing das betreffende Schränkchen an der Wand.

»Da drin hat das Geld gelegen,« sagte der Wirth, indem er auf das Schränkchen zeigte. »Ich habe es wieder so zugeschlossen, wie es war, als der Diebstahl geschah.«

»Schließe einmal auf!« begann ich.

Er zog den kleinen Schlüssel aus der Tasche und öffnete. Das Schränkchen war vollständig leer. Ich untersuchte Schlüssel und Schloß. Es war keine der gewöhnlichen, leichten Fabrikwaaren. Auf meine Erkundigung erfuhr ich, daß ein Schlosser in Ostromdscha der Verfertiger sei, und meiner Meinung nach war es nicht durch einen Haken oder Stift zu öffnen gewesen.

Desto unerklärlicher aber war es, wie der Diebstahl hatte vorgenommen werden können.

»Weißt Du denn gewiß, daß Du das Schränkchen wirklich verschlossen hattest?« fragte ich.

»Ja, ganz gewiß.«

»Hm! War nur das Geld darin?«

»Nein, auch der Schmuck meiner Frau und noch einige goldene oder silberne Kleinigkeiten.«

»Sind diese auch mitgestohlen?«

»Ja, Alles ist fort.«

»Das zeigt, daß die Diebe keine Zeit hatten, eine Auswahl zu treffen. Auch wurde der Diebstahl im Dunkel vorgenommen; da konnten die Spitzbuben natürlich nicht sehen, was Werth für sie hatte oder nicht.«

»O, der Kopfschmuck und die Kette meines Weibes bestanden meist aus großen und kleinen Gold- und werthvollen Silber-Münzen. Das werden die Diebe trotz der Dunkelheit gar wohl bemerkt haben. Das Andere waren einige Spangen, Brust-Nadeln und Ringe, was Alles doch einen Werth hat.«

»Aber auch zur Entdeckung führen kann. Der vorsichtige Dieb nimmt solche Sachen nicht mit. Wenn die beiden Männer diese Gegenstände mitgenommen haben, so beweisen sie, daß sie keine vorsichtigen und auch keine zünftigen Einbrecher sind. Aber wir müssen doch unbedingt herausbekommen, auf welche Weise sie das Schränkchen öffneten.«

Ich wollte mir dasselbe genauer betrachten, aber der kleine Hadschi hatte dies bereits gethan.

»Ich hab's, Sihdi,« sagte er. »Da ist's!«

Er deutete in das Innere. Als ich hinblickte, sah ich freilich sehr leicht, daß die Hinterwand nicht genau anhaftete. Jetzt untersuchte ich, in welcher Weise das Schränkchen an die Wand befestigt war. Das war nicht etwa mit Hilfe eines mehr Sicherheit bietenden Bankeisens geschehen, sondern das Behältniß hing ganz einfach an einem Nagel, von welchem es sehr leicht abgenommen werden konnte.

Ich nahm es herab, und nun zeigte es sich viel deutlicher als vorher, daß es durch die Entfernung der Hinterwand geöffnet worden war. Man bemerkte die Spuren, welche wohl durch eine starke, widerstandsfähige Messerklinge hervorgebracht worden.

Die Theile des Schränkchens waren nicht etwa durch Nägel, sondern durch die künstliche, sogenannte Verzinkung vereinigt. Das Lossprengen der Hinterwand hatte also unbedingt ein ganz bedeutendes Geräusch verursachen müssen.

»Habt Ihr denn nichts gehört?« fragte ich.

»Gar nichts.«

»Es hat doch sehr laut krachen müssen. Vielleicht habt Ihr großen Lärm gemacht?«

»O gar nicht. Wir waren auf die Kunststücke so gespannt, daß wir uns im Gegentheil sehr ruhig und still verhalten haben. Vielleicht hatten die Diebe die Thüre nicht offen.«

»Sie werden sich freilich gehütet haben, sie offen zu halten. Jedenfalls haben sie sogar den Thürriegel vorgeschoben, um nicht plötzlich überrascht zu werden.«

»Nun, dann haben wir doch nichts hören können?«

»Doch! Es gibt keine Scheidemauern, sondern nur Weidengeflechte im Haus. Das Lossprengen der Hinterwand hättet Ihr hören müssen. Ich möchte vermuthen, daß – – – hm!«

Ich trat an das Fenster. Es war gerade groß genug, daß ein nicht allzu starker Mann sich hindurchzwängen konnte. Auch das Schränkchen war klein genug, um ganz leicht durch das Fenster gegeben oder genommen zu werden.

»Kommt einmal mit hinaus!« sagte ich, indem ich die Stube verließ.

Sie folgten mir um das Haus herum.

»Hast Du schon außen am Fenster gesucht?« fragte ich den Wirth.

»Nein. Wie hätte ich auf diesen Gedanken kommen sollen! Der Schrank hat im Zimmer gehangen. Dort ist der Diebstahl geschehen; was soll da hier zu finden sein?«

»Vielleicht sucht man doch nicht so vergebens, wie Du denken magst. Wir wollen sehen! Aber überlaßt das mir; kommt dem Fenster nicht zu nahe. Ihr könntet mir die Spuren verderben.«

Als ich den Platz vor dem Fenster erreichte, blieben die beiden Andern ein wenig rückwärts stehen. Hart an der Mauer wucherte ein üppiges Brennesselgestrüpp. Grad unter dem Fenster war es niedergetreten.

»Schau!« sagte ich. »Da siehst Du, daß Jemand aus dem Fenster gestiegen ist.«

»Oder wohl schon vor längerer Zeit. Vielleicht ist's einer meiner Knaben gewesen.«

»Nein. Ein Knabe war es nicht, denn ich sehe hier die Spur eines großen Männerstiefels in dem weichen Boden. Und vor längerer Zeit war es auch nicht. Die geknickten Nesseln sind nicht verwelkt; sie hängen nur matt ihre Blätter. Ich schätze, daß sie erst gestern Abend geknickt wurden. Auch die Fußspuren sind frisch. Die hohen dünnen Kanten der Eindrücke müßten trocken sein, wenn die Spuren alt wären.«

»Wie Du das so wissen kannst!« meinte der Wirth ganz erstaunt.

»Um das zu wissen, braucht man nichts als ein offenes Auge und ein wenig Nachdenken. Schau her! Hier erblickst Du die Stelle, an welcher das Schränkchen gestanden hat. Es ist jedenfalls von dem feuchten Boden beschmutzt, von den klugen Dieben aber trotz der Dunkelheit wieder hübsch abgewischt worden.«

»Woher weißt Du denn auch dieses?«

»Daher, daß ich keine Spur von Schmutz an dem Schränkchen gesehen habe; das ist doch sehr einfach. Wollen weiter sehen!«

Ich suchte am Boden. Vergebens. Jetzt zog ich mein Messer und hieb die Brennesseln hart an der Erde ab. Nachdem ich sie entfernt hatte, betrachtete ich mir nun die leere Stelle. Zwischen den Stoppeln konnte Etwas liegen. Ich hatte ganz richtig vermuthet. Von zwei Punkten glänzte es mir goldig entgegen. Ich hob die beiden Gegenstände auf. Es war ein dünner Fingerreif mit einem Türkis und ein starker, goldener Ohrring von fast anderthalb Zoll Durchmesser; so groß werden sie in der dortigen Gegend von den Frauen getragen.

»Nun, schau,« sagte ich zu dem Wirth. »Hier ist den Spitzbuben doch Etwas entfallen. Kennst Du diese Ringe?«

»Ah! Sie gehören meiner Frau. Ob nicht das andere Ohrgehänge auch da ist?«

»Hilf suchen!«

Aber alle Mühe war vergeblich. Es fand sich weiter nichts. Wir wußten nun, wie der Diebstahl ausgeführt worden war. Die Spitzbuben hatten befürchtet, daß der Lärm gehört würde. Darum war der Eine von ihnen aus dem Fenster gestiegen, um das Schränkchen, welches der Andere ihm nachgereicht hatte, draußen zu öffnen.

Was nun noch zu verhandeln war, konnten wir drinnen besprechen; darum wollten wir uns jetzt wieder hinein in das Zimmer begeben. Vorher aber gingen wir für einige Augenblicke zu unsern Pferden.

Sie waren bereits aus dem Teich heraus geführt und wieder gesattelt. Sie standen mit vorgebundenen Maulsäcken am Ufer und fraßen den für sie delicaten geschrotenen Mais. Ich sagte den Knechten, daß sie die Thiere hier lassen könnten, wo trotz der Nähe des Teiches nicht so viele Fliegen und Mücken waren, wie auf dem schmutzigen Hof. Und es war ein Glück, daß ich auf diesen Einfall kam, wie sich sehr bald zeigen sollte.

Wir waren nämlich kaum in die Stube getreten und schickten uns eben an, wieder an dem Tisch Platz zu nehmen, so sahen wir zwei Reiter in den Hof kommen. Sie sahen nicht eben reputirlich aus. Die Pferde taugten nichts und waren außerdem sichtlich abgetrieben, alte Mähren, für welche ich nicht fünfzig Mark geboten hätte. Und die beiden Männer paßten genau zu ihren Thieren, so zerlumpt und herabgekommen sahen sie aus.

»Du bekommst neue Gäste,« bemerkte Halef dem Wirth.

»An dieser Sorte liegt mir nichts,« antwortete dieser. »Ich werde sie fortweisen.«

»Darfst Du denn das, da Du ein Einkehrhaus besitzest?«

»Wer will mir verwehren, Jemand fort zu weisen, der mir nicht willkommen ist?«

Er wollte hinausgehen, um seinen Vorsatz auszuführen. Ich aber hielt ihn am Arm zurück.

»Halt!« sagte ich. »Laß sie herein!«

»Warum?«

»Ich muß wissen, was diese Leute reden.«

»Kennst Du sie denn?«

»Ja. Aber sie dürfen auf keinen Fall wissen, daß wir uns hier befinden. Darum sollen sie weder uns, noch unsere Pferde sehen.«

»Das kann sehr leicht vermieden werden. Ihr braucht nur in meine Schlafstube zu gehen, bis sie wieder fort sind.«

»Meine Gefährten mögen das thun. Ich aber will sie belauschen.«

»Ich weiß zwar nicht, was Du damit bezweckst, aber das Horchen wird Dir nicht schwer werden. Komm her; ich werde Dich verstecken.«

Er führte mich hinter die eine Scheidewand. An derselben lehnten mehrere große Bündel geschälter Weiden, das Material, aus welchem die Wandgeflechte hergestellt wurden.

»Stecke Dich hinter diese Bündel,« sagte er. »Da kannst Du durch die Zwischenräume des Geflechtes in die Stube sehen. Die Fremden werden Dir so nahe sitzen, daß Du ihre Worte hören kannst, selbst wenn sie nicht allzulaut sprechen.«

»Aber wenn sie nachsehen sollten, ob sie nicht beobachtet werden?«

»Ich werde den Bündeln eine solche Stellung geben, daß Du gar nicht bemerkt werden kannst.«

»Gut! Noch aber muß ich Dir sagen, daß ich eher aufbrechen muß, als die beiden Reiter, welche nach Ostromdscha wollen. Und Du mußt mit!«

»Ich? Warum?«

»Um den Dieben Dein Geld wieder abzunehmen.«

»Sind diese denn in Ostromdscha?«

»Ich habe allen Grund, es zu vermuthen. Laß also sofort satteln und Dein Pferd mit den unserigen an einen Ort schaffen, wo sie nicht von diesen Menschen bemerkt werden können. Sobald ich hier genug gehört habe, schleiche ich mich in Dein Schlafzimmer. Einer Deiner Knechte muß dort bereit sein, uns zu den Pferden zu führen, bei denen Du Dich dann auch schnell einfindest. Jetzt gehe fort, bevor sie kommen.«

Diese Mittheilung war uns nur dadurch ermöglicht worden, daß ich bemerkt hatte, die beiden Reiter schienen sich gar nicht zu beeilen, in die Gaststube zu kommen. Sie waren langsam abgestiegen und dann nach einem der Seitengebäude gegangen, wohl >um zu sehen, ob sie dort nicht Etwas fänden, was sie heimlich mitgehen lassen könnten<, wie der Wirth sich ausdrückte.

Dieser entfernte sich, und ich setzte mich nun zwischen der Flechtwand und den Weidenbündeln bequem auf den Boden nieder. Die Zwischenräume der Wand erlaubten mir, die ganze Stube zu überblicken.

Da hörte ich einen nahenden Schritt.

»Sihdi, wo bist Du?« fragte die Stimme des kleinen Hadschi jenseits der Bündel.

»Hier stecke ich. Was willst Du denn? Wie unvorsichtig von Dir!«

»Pah! Die Kerle kommen noch nicht – sie stehen im Stall des Wirthes, um dessen Pferde zu betrachten. Du sagtest, daß Du sie kennst. Ist das wahr?«

»Ja, freilich.«

»Nun, wer sind sie denn?«

»Hast Du sie denn nicht auch erkannt?«

»Nein, Sihdi.«

»Du hast doch sonst ein so gutes Auge! Hast Du nicht die Sapan bemerkt, welche dem Einen von ihnen im Gürtel hängt?«

»Allerdings.«

»Nun, wer trug eine solche?«

»Weiß ich es?«

»Du solltest es wissen. Denk' doch einmal an den Taubenschlag!«

»O, Sihdi, an den mag ich gar nicht denken. Wenn ich mich an diesen traurigen Ort erinnere, möchte ich Dich bitten, mir einige Ohrfeigen zu verleihen.«

»Du hast Dir doch die Männer angesehen, welche unter uns in der Kammer saßen?«

»Auf welche dann die Katze mit sammt den Knüppeln herabkrachte, und die Katze war aber ich? Ja, diese Leute habe ich mir genau betrachtet.«

»Auch die beiden zerlumpten Menschen, welche links an der Mauer saßen? Sie waren Brüder?«

»Ah, Sihdi, jetzt besinne ich mich. Der Eine hatte eine Schleuder. Denkst Du, daß sie es sind?«

»Ja, sie sind es. Ich habe mir ihre Gesichter ganz genau gemerkt.«

»O Allah! Sie sagten, daß sie nach Ostromdscha gehen müßten, um den drei Halunken zu melden, was mit uns geschehen sei, vielleicht gar, daß man uns in das Paradies befördert habe.«

»Das wollten sie. Diesen Auftrag haben sie von Manach el Barscha und Barud el Amasat erhalten.«

»So sind sie also noch nicht nach Ostromdscha gelangt, und die drei Kerle, welche wir suchen und die auch unsern jetzigen Wirth bestohlen haben, denken noch jetzt, daß wir uns nicht mehr auf ihrer Spur befinden. Sihdi, erlaube mir, Dir einen sehr guten und sehr gescheiten Vorschlag zu machen!«

»Welchen?«

»Wollen wir nicht die beiden Kerle, welche Du zu belauschen beabsichtigst, unschädlich machen?«

»Natürlich werden wir das thun.«

»Aber wie?«

»Das werden wir uns überlegen.«

»O, es ist schon überlegt!«

»Deinerseits? Was gedenkst Du zu thun?«

»Ich werde sie ein wenig tödten.«

»Das laß Dir ja nicht einfallen, Halef!«

»O, Sihdi, nur ein wenig! Sie wachen ja sogleich dann in der Hölle wieder auf. Das ist doch wohl kein Todtschlag zu nennen!«

»Laß mich mit solchen Vorschlägen in Ruhe!«

»Ja, ich vergesse zuweilen, daß Du ein Christ bist. Wenn es auf Dich ankäme, so würdest Du Dein Leben für Deinen ärgsten Feind wagen. Diese beiden Halunken stehen ja eben im Begriff, uns in die größte Gefahr zu bringen. Wenn sie die drei Andern in Ostromdscha treffen, so kannst Du sicher sein, daß sie uns auflauern und Jedem von uns eine Kugel geben, bevor wir daran denken können, daß so Etwas unter Umständen wohl schädlich sein kann.«

»Wir werden eben dafür sorgen, daß diese Zwei jene Drei nicht treffen. Oder noch besser, wir werden dafür sorgen, daß sie dieselben treffen können.«

»Bist Du toll?«

»Durchaus nicht.«

»Was denn?«

»Nicht toll, sondern klug, denke ich. Wir wissen nicht, wie die Drei zu finden sind. Wir haben im Taubenschlag nur erlauscht, daß sie sich in der alten Ruine aufhalten. Aber wir kennen diese Ruine nicht. Es kann sehr schwer, vielleicht unmöglich sein, jemanden, der sich dort verborgen hält, aufzufinden.«

»O, ich bin Dein Freund und Beschützer Hadschi Halef Omar. Meine Augen reichen von hier bis nach Ägypten, und meine Nase ist noch viel, viel länger. Mir wird es ein Leichtes sein, diese Menschen anzutreffen.«

»Ebenso leicht oder vielmehr noch wahrscheinlicher ist es, daß Du von ihnen angetroffen wirst, und dann allerdings werden sie Dir keine Zeit lassen, die Sure des Todes zu beten. Nein, wir werden diesen Beiden jetzt nichts thun; wir werden uns gar nicht von ihnen erblicken lassen, damit wir ihnen heimlich folgen und sie beobachten können. Sie, die unser Verderben wollen, müssen grad unsere Führer sein, durch welche uns die andern Drei in die Hand gegeben werden.«

»Allah! Dieser Gedanke ist auch nicht schlecht!«

»Es freut mich, daß Du dieses erkennst! Nun aber entferne Dich, damit Du nicht etwa noch bemerkt wirst. Sage aber dem Wirth, er solle dafür sorgen, daß diese beiden Gäste so lange wie möglich hier zurückgehalten werden, wenn er mit uns hier fortgeritten ist. Man soll sie so verpflegen, daß sie recht lange hier verweilen. Ich will auch gern bezahlen, was es kostet. Sage es ihm, und nun geh!«

»Ja, Sihdi, ich verschwinde! Es scheint Jemand zu kommen.«

Diese letzten Worte sprach er nur noch leise flüsternd. Dann schlich er sich von dannen. Und nun kamen die beiden Erwarteten endlich in die Stube.

Sie fanden dieselbe natürlich leer. Auch Osco und Omar hatten sich längst entfernt, und der Wirth war da gewesen, um den Bierkrug wegzunehmen.

Jetzt konnte ich diese Menschen besser betrachten, als vorgestern Abend. Sie hatten wahre Galgengesichter. Es gibt Menschen, denen man es sofort ansieht, was man von ihnen zu halten hat. Zu diesem Schlag gehörten sie. Ihre Kleidung war die der ärmsten Leute, überdies bis zum Ekel schmutzig und zerrissen; aber ihre Waffen waren desto besser und schienen sehr gut gehalten zu sein.

Während der Eine eine Schleuder an dem zerrissenen Gürtel hangen hatte, trug der Andere die einst so sehr gefürchtete Waffe der vor den Türken in die Wälder geflüchteten Serbier und Walachen, einen Haiduckenczakan, dessen gewundener Schaft mit der perligen Haut des Haifisches überzogen war. Ich kannte diese Waffe nur vom Hörensagen, hatte auch hier und da in Sammlungen Exemplare derselben gesehen, aber Zeuge ihres Gebrauches war ich noch nicht gewesen. Ich dachte nicht, daß ich in kürzester Zeit sogar ein Ziel derselben bilden werde.

Sie schauten sich in dem Raume um.

»Kein Mensch ist da,« knurrte der Schleuderer. »Glaubt man etwa, daß wir den Raki, den wir trinken wollen, nicht bezahlen können?«

»Müssen wir ihn bezahlen?« lachte der Andere. »Sind wir nicht in die Wälder geflüchtet? Besitzen wir nicht die Koptscha, vor der sich Alle fürchten? Wenn wir nicht freiwillig bezahlen wollen, so möchte ich doch sehen, wer es sich einfallen ließe, uns zu zwingen!«

»Schweig' davon! Wir sind nur zu Zweien, und dieser Ibarek hier ist ein reicher Mann, welcher viele Knechte und Arbeiter hat, gegen die wir nicht aufkommen könnten. Wegen einiger Schlücke Raki begebe ich mich nicht in Gefahr. Aber ärgerlich ist es, daß man sich gar nicht nach uns umsieht. Sollten sie es sich etwa einfallen lassen, uns für Vagabunden zu halten?«

»Sind wir etwas Anderes?«

»Gar wohl sind wir etwas Anderes. Wir sind die Helden der Berge und Wälder, welche die Aufgabe haben, das an ihnen begangene Unrecht zu rächen.«

»Gewöhnliche Leute aber sagen Räuber anstatt Helden, was mir jedoch höchst gleichgültig ist. Vielleicht ist nur deßhalb Niemand in der Stube, weil diese guten Leute draußen an den Wänden stehen, um uns durch die Ritzen derselben anzustarren. Das sollte ihnen aber schlecht bekommen. Schauen wir einmal nach!«

Sie traten heraus und schritten an den Weiden-Scheidewänden hin. Als sie an die Wand kamen, hinter welcher ich hockte, meinte der Eine:

»Hier hinter diesen Bündeln kann leicht Jemand sein. Wollen einmal nachfühlen. Mein Messer ist spitz genug.«

Die Art und Weise, in welcher diese Menschen hier auftraten, zeigte deutlich, von welch' rohem Schlag sie waren. Und ebenso, wie sie, sind weitaus die meisten jener Leute, welche sich einen Nimbus damit geben, daß sie, wie der landläufige Ausdruck lautet, >hinaus in die Wälder gehen<. Es mag wohl einige Wenige geben, welche, von der Ungerechtigkeit, von dem Haß und der Verfolgung gezwungen, sich in die Berge flüchten, aber ihre Anzahl ist verschwindend klein gegen die Menge derjenigen, die nur aus roher Brutalität die heiligen Bande zerreißen, welche das Gesetz, das göttliche und das menschliche, geheiligt hat.

Der Urian zog sein Messer und stach zwischen den einzelnen Bündeln hindurch, doch glücklicherweise zu hoch. Wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, mich zu setzen, hätte er mich sicherlich getroffen.

Freilich, ob es mir auch wirklich eingefallen wäre, als Zielscheibe dieses Messerhelden ruhig stehen zu bleiben, das war eine andere Frage. Jedenfalls hätte ich den Stoß nicht abgewartet; aber – mochte ich mich nun gegen die Männer verhalten, wie ich wollte – eine Schande wäre es doch für mich auf alle Fälle gewesen, mich von ihnen aufstöbern zu lassen. Es gibt eben Dinge, welche man, unbeschadet seiner Ehre und seines Selbstgefühles, ganz wohl thun kann, aber – wissen lassen darf man es nicht. Zu diesen Dingen gehört jedenfalls auch das Lauschen.

Horchen ist eine Schande, sagt man allgemein; aber es gibt Lagen, in denen es geradezu eine Pflicht sein kann. Wem sich die gute Gelegenheit bietet, Verbrecher zu belauschen und dadurch eine böse That zu verhüten, der macht sich, wenn er aus falschem Scham- und Ehrgefühl diese Gelegenheit unbenutzt vorübergehen läßt, zum Mitschuldigen dieser That. Und bei mir trat noch die Pflicht der Selbsterhaltung dazu.

»Es ist Niemand da,« meinte der Mann befriedigt. »Wollte es auch Keinem gerathen haben! Komm' herein!«

Sie begaben sich in die Stube zurück und riefen nun laut nach Bedienung. Der Wirth kam herein, begrüßte sie und entschuldigte sich in höflichen Worten, daß er nicht sogleich habe erscheinen können.

»Ich bereitete mich eben zur Reise vor,« erklärte er ihnen. »Da mußtet Ihr leider warten.«

»Wohin willst Du?« fragte derjenige, welcher die Schleuder trug.

»Nach Tekirlik.«

Er war also so klug, grad die entgegengesetzte Richtung anzugeben. Dennoch erkundigte sich der Kerl:

»Was willst Du dort? Willst Du in Geschäften hin?«

»Nein, sondern zu meinem Privatvergnügen. Was befehlt Ihr, daß ich Euch bringen soll?«

»Raki. Bringe aber genug! Wir haben Durst und werden gern bezahlen.«

Wenn diese Menschen den Branntwein gegen den Durst tranken, so hätte ich ihre Gurgeln sehen mögen!

»Bezahlen?« erwiederte der Wirth lächelnd. »Ihr seid heut' meine ersten Gäste, und ich habe die alte Gewohnheit, denjenigen, welche bei mir an dem heutigen Tage die Ersten sind, das, was sie verzehren, umsonst zu geben.«

»So? Was für ein Tag ist denn heute?«

»Mein Wiladet günü

»Dann gratuliren wir Dir und wünschen Dir ein Leben von tausend Jahren. Also, was wir essen und trinken, brauchen wir nicht zu bezahlen?«

»Nein.«

»So bringe nur gleich einen Krug voll Raki. Du sollst mit uns trinken.«

»Das kann ich nicht, da ich sofort aufbrechen werde. Ich will den heutigen Tag mit meinen Verwandten verbringen, welche in Tekirlik wohnen. Aber Bescheid werde ich Euch thun.«

Er entfernte sich, um den Schnaps herbei zu holen.

»Du,« meinte derjenige mit dem Haiduckenbeil. »Das haben wir gut getroffen. Nicht?«

»Ja«, nickte der Andere, vor Vergnügen grinsend. »Wir werden uns eine Güte thun.«

»Der Mann soll, wenn er bei seiner Rückkehr erfährt, was wir verzehrt haben, nicht sagen, daß wir seinen Geburtstag nicht zu feiern verstanden.«

Mich freute es, daß der Wirth so kluger Weise auf diesen Vorwand, die Beiden hier fest zu halten, gekommen war. Er brachte einen Krug, welcher nach meiner Ansicht groß genug war, mit seinem Inhalt zehn Männer betrunken zu machen. Dazu setzte er ein Glas auf den Tisch und wollte eingießen.

»Halt!« gebot der Schleuderer. »Dieses Gefäßchen ist ja nur für Kinder. Wir aber sind Männer und trinken gleich aus dem Krug. Was Allah gibt, das soll man voll genießen. Ich trinke auf Dein Wohl und wünsche Dir dabei Alles, was Du Dir selbst wünschen magst.«

Er that zwei lange Züge, setzte ab, that noch einen Zug und machte dann ein Gesicht, als ob er Nektar getrunken habe. Sein Kamerad folgte seinem Beispiel, trank auch nicht weniger, schnalzte mit der Zunge und meinte, dem Wirth nun den Krug entgegen haltend:

»Trink', Freundchen! Dieses Labsal findet seines Gleichen nicht auf der ganzen Erde. Trink' aber nicht so sehr viel, damit wir als Deine Gäste nicht zu kurz kommen.«

Der Wirth nippte nur und antwortete dann:

»Ihr werdet nicht zu kurz kommen und könnt Euch den Krug wieder füllen lassen.«

»Wird dies auch geschehen, wenn Du Dich nicht mehr hier befindest?«

»Ja. Ich habe dem Knecht, der Euch bedienen wird, den Befehl gegeben, Euch zu geben, was Ihr verlangt, wenn es nämlich vorhanden ist.«

»So wünsche ich Dir zehntausend Jahre anstatt eines einzigen Tausends. Du bist ein sehr frommer und würdiger Sohn des Propheten und führst ein verdienstliches Leben, für welches Dich der Engel des Todes einst in Abraham's Schooß betten wird.«

»Ich danke Euch! Jetzt aber werde ich gehen. Also wendet Euch an den Knecht, wenn ich nicht mehr da bin.«

»Wo befindet er sich denn?«

»Draußen auf dem Hof. Es ist kein Mensch hier im Hause. Die Leute sind alle auf dem Feld, werden aber bald zurückkommen.«

Der Schlaue sagte das, um sie in Sicherheit zu wiegen. Sie sollten nicht argwöhnen, daß sie belauscht würden, sondern vollständig überzeugt sein, daß sie sich ganz gemüthlich und laut unterhalten konnten.

»So wünschen wir Dir gute Reise,« sagte der Besitzer des Beiles. »Vorher aber möchte ich mich bei Dir nach Etwas erkundigen.«

»Was ist das?«

»Sind vielleicht vor einiger Zeit drei Männer eingekehrt, weißt Du, nicht gewöhnliche Männer, sondern vornehme Herren?«

»Hm! Bei mir kehren sehr viele Leute ein. Ihr müßt mir also diese Drei beschreiben.«

»Das ist nicht nothwendig. Wir brauchen Dir nur zu sagen, was für Pferde sie ritten. Es waren drei Schimmel.«

»Ah, richtig! Die sind gestern Abend hier gewesen. Es waren sehr vornehme Männer.«

»Haben sie hier geschlafen?«

»Nein. Sie wollten es zwar thun, aber wir machten ein Spielchen, welches fast bis zum Morgen währte, und da meinten sie dann, daß es besser wäre, sogleich weiter zu reiten.«

»Haben sie Dir gesagt, welches ihr Reiseziel wäre?«

»Ja.«

»Etwa Ostromdscha?«

»O nein! Sie wollten nach Doiran.«

»Ah so! Sind sie denn auch dorthin geritten?«

»Natürlich! Sie haben es ja gesagt. Warum sollten sie denn auf einen andern Gedanken kommen?«

»Ganz richtig! Du hast wohl gesehen, daß sie nach Süden davonritten?«

»Ich? Gesehen?« fragte er erstaunt. »Um das zu sehen, hätte ich ihnen doch durch das ganze Dorf nachlaufen müssen. Welchen Grund sollte ich haben, dies zu thun?«

»Ich frug das nur so nebenbei. Aber weiter! Sind nicht dann auch noch Andere bei Dir eingekehrt, welche aus derselben Richtung kamen?«

Diese Frage galt natürlich mir und meinen Begleitern. Wie ich sie beantwortet hätte, das wußte ich; aber daß sie der Wirth anders beantworten werde, davon war ich vollständig überzeugt. Jedenfalls war es am leichtesten, uns ganz zu verleugnen. Daß wir gar nicht hier durchgekommen seien, war nicht zu behaupten; denn wir waren ganz offen durch die rückwärts liegenden Orte geritten und von vielen Leuten gesehen worden. Die Beiden hatten sich da jedenfalls auch nach uns erkundigt und wußten also, daß wir ihnen voraus waren.

Am allerbesten war es jedenfalls, wenn der Wirth eingestand, daß wir hier gewesen seien. Und war er sehr pfiffig, so konnte er sagen, daß wir den Dreien, die vor uns hier eingekehrt, in der Richtung nach Doiran nachgeritten seien. Auf diese Weise erweckte er in den Fragern die Überzeugung, daß von uns einstweilen, und zwar für die Zeit von mehreren Tagen, keinerlei Gefahr zu erwarten sei. Aber, wie gesagt, ich traute ihm diese Klugheit nicht zu. Darum war ich sehr angenehm von dem weiteren Verlauf des Gespräches überrascht. Der Wirth bewies ganz gegen meine Erwartung, daß er wohl auch scharfsinnig sein könne. Er antwortete:

»Es kehrten bei mir seit gestern Abend keine Gäste mehr ein. Ich habe Euch ja bereits gesagt, daß Ihr die Ersten seid.«

»Hm! Aber diejenigen, welche wir meinen, sind ganz gewiß nach Dabila gekommen.«

»So sind sie vielleicht durch den Ort geritten, ohne sich hier aufzuhalten.«

»Jedenfalls. Und das ist uns sehr angenehm, denn wir wollten sie gern einholen. Wir hatten sehr nothwendig mit ihnen zu reden.«

»Waren es Bekannte von Euch?«

»Sogar sehr gute Freunde.«

»So müßt Ihr ihnen nacheilen und dürft Euch hier nicht lange Zeit aufhalten.«

»Leider! Wir möchten aber so gern Deine Gastfreundschaft ehren, indem wir uns Deine Gaben schmecken lassen. Vielleicht treffen wir diese vier Männer noch in Ostromdscha.«

»Vier waren es?«

»Ja.«

»War vielleicht Einer dabei, der einen Rappen von echter Abstammung ritt?«

»Ja, ja! Hast Du ihn gesehen?«

»Gewiß. Er hatte sogar zwei Gewehre anstatt nur eines einzigen?«

»Das stimmt, das stimmt!«

»Unter den drei Anderen befand sich ein kleiner Kerl, dem statt des Bartes zehn oder elf lange, dünne Fäden von dem Gesicht herabhingen.«

»Ganz richtig! Du hast sie gesehen. Aber wo denn, da sie nicht bei Dir eingekehrt sind?«

»Draußen vor dem Thore. Ich stand mit dem Nachbar dort, als sie kamen. Sie wollten freilich bei mir einkehren. Als ich ihnen sagte, daß ich der Wirth sei, fragte mich der Dunkelbärtige, welcher auf dem Araber saß, ob vielleicht drei Männer, die lauter Schimmel ritten, bei mir eingekehrt seien.«

»Scheïtan! Was hast Du geantwortet?«

»Natürlich die Wahrheit.«

»O wehe!«

»Warum denn?«

»Wegen nichts. Es entfuhr mir nur so. Sprich weiter!«

»Der Mann fragte mich, wann die Drei da gewesen, wie lange sie geblieben und wohin sie dann geritten seien.«

»Ah, vortrefflich! Was hast Du ihm geantwortet?«

»Alles, was ich wußte. Ich sagte ihm, daß diejenigen, nach denen er fragte, gen Süden nach Doiran geritten seien. Hätte ich das etwa nicht thun sollen?«

»O doch, o doch! Es war ganz recht von Dir. Was thaten sie dann?«

»Der Reiter sagte, er müsse den Andern schnell folgen und könne deßhalb nicht bei mir absteigen. Er fragte mich sehr genau nach dem Weg, welcher von hier nach Doiran führt.«

»Ist er auf ihm fortgeritten?«

»Ja. Ich habe ihn und seine Begleiter bis vor das Dorf hinaus geführt und ihnen Alles sehr ausführlich erklärt. Dann jagten sie im Galopp davon, gegen Furkoi zu. Sie mußten es außerordentlich eilig haben.«

»Also weißt Du ganz genau, daß sie gegen Süden geritten sind?«

»So genau, wie ich Dich vor mir sehe.«

»Nicht aber gegen Westen, nach Ostromdscha?«

»Ist ihnen nicht eingefallen. Ich habe noch lange dort gestanden und ihnen nachgeschaut, bis sie jenseits des Berges verschwanden. Der Rappe entzückte mich so, daß ich ihn nicht aus den Augen lassen konnte.«

»Ja, er ist ein prachtvolles Pferd; das ist wahr.«

»Nun müßt Ihr jedenfalls auch nach Doiran reiten, da Ihr mit diesen vier Männern reden wollt?«

»Allerdings; doch haben wir nun keine Eile mehr. Da sie dorthin sind, so wissen wir, daß sie auf uns warten werden.«

»So freue ich mich, sie gesehen und mit ihnen gesprochen zu haben, sonst hätte ich Euch gar keine Auskunft geben können. Nun aber muß ich fort. Ihr dürft es mir nicht übel nehmen, daß ich nicht länger bei Euch bleiben kann.«

Ganz im Gegentheil zu ihrem früheren Benehmen versicherten sie ihn in der freundlichsten Weise ihrer Dankbarkeit und verabschiedeten sich von ihm, als ob sie ihm ihre ganze Liebe geschenkt hätten. Als er fort war, schlug der Schleuderer mit der Faust auf den Tisch und rief:

»Welch ein Glück! Jetzt sind wir diese Sorge los. Sie sind nicht nach Ostromdscha.«

»Ja, darüber können wir uns freuen. Wie klug von Manach el Barscha und Barud el Amasat, daß sie den albernen Kerl von Wirth beschwatzt haben, sie wollten nach Doiran! Nun sind die Hunde, welche uns belauschten, auch dorthin und werden vergeblich suchen.«

»Ich war noch nie in Doiran und weiß also nicht, wie weit es bis dorthin ist.«

»Ich glaube, daß man gut sieben Stunden zu reiten hat. Die Kerle werden erst am Abend dort ankommen. Morgen erkundigen sie sich. Dann erfahren sie freilich, daß sie am Narrenseil geführt wurden. Aber vor übermorgen Mittag haben wir sie nicht in Ostromdscha zu erwarten. Wir können also hier essen und trinken so viel und so lange, als es uns beliebt.«

»Das freut mich so, als ob ich selbst heute meinen Geburtstag hätte. Ob aber der Wirth wohl heute wieder zurückkommt?«

»Wird ihm nicht einfallen!«

»Wir hätten ihn doch fragen sollen.«

»Warum?«

»Wüßte ich, daß er erst morgen zurückkehrt, so würde ich vorschlagen, den ganzen Tag hier zu bleiben. Wir sind ja Gäste und bekommen Alles, was wir verlangen, ohne daß wir einen einzigen Para zu zahlen brauchen. So Etwas muß man nach Kräften ausnützen.«

»Was diese Sorge betrifft, so ist sie überflüssig. Der Wirth bleibt jedenfalls bis morgen dort.«

»Meinst Du?«

»Wenn man seinen Geburtstag begeht, so fällt die Hauptfeier doch allemal auf den Abend.«

»Das ist wahr.«

»Wenn sie zu Ende ist, dann ist Mitternacht jedenfalls vorüber. Denkst Du etwa, daß er dann noch sich auf das Pferd setzt, um vier lange Stunden bis nach Hause zu reiten?«

»Dazu wird er wohl keine Lust haben.«

»Vielleicht nicht bloß keine Lust. Man ißt und man trinkt dazu, und das Trinken am Geburtstag ist ein böses Ding. Man trinkt sich da sehr leicht einen Rausch an, in Folge dessen man gern bis in den Tag hinein schläft.«

Das klang grad so, als ob ich mich im lieben deutschen Reich befände, wo sich ganz dieselben Anschauungen vorfinden sollen.

»Du hast Recht,« stimmte der Andere bei, indem er einen gewaltigen Zug aus dem Krug that. »Der Wirth wird trinken und morgen lange schlafen. Es steht zu erwarten, daß er vor Mittag nicht nach Hause kommt. Wir können uns also hier gütlich thun und die Nacht hier bleiben. Die verwünschten vier Kerle sind ja jetzt nicht mehr zu fürchten, und nach Ostromdscha zu kommen, das hat folglich für uns gar keine Eile.«

»Gut! Also bleiben wir! Wenn ich an die vorgestrige Nacht denke, so könnte ich über mich selbst zornig werden. Dieser Mensch, welcher den Rappen reitet, der noch dazu ein Christenhund, ein Ungläubiger sein soll, befand sich in unseren Händen, und wir haben ihn entkommen lassen!«

»Ja, es war unverantwortlich. Ein einziger Messerstich, und der Mensch wäre unschädlich gemacht gewesen!«

»Es kam Alles so plötzlich! Man konnte sich gar nicht besinnen. Kaum waren die Kerle zwischen uns, so waren sie auch schon wieder fort.«

»Wie aber sind sie nur hinauf in den Taubenschlag gekommen?«

»Jedenfalls durch den Raum, in welchem sich das Heu befindet.«

»Aber wie haben sie wissen können, daß es von da aus möglich war, uns zu belauschen? Wer hat ihnen überhaupt gesagt, daß wir eine Versammlung hatten und daß wir uns ihretwegen in der Kammer befanden?«

»Der Teufel hat es ihnen erzählt. Diese Giaurs werden alle vom Teufel geholt. Darum hält er bereits bei Lebzeiten mit ihnen Freundschaft. Kein Anderer hat es ihnen verrathen. Aber wehe ihnen, wenn sie nach Ostromdscha kommen! Sie sollen in die Hölle fahren, alle Vier!«

»Hm! Uns Beide geht die Sache eigentlich gar nichts an. Wir sind nur die Boten und werden dafür bezahlt.«

»Aber wer mich bezahlt, dessen Freund bin ich, und dem stehe ich bei.«

»Auch mit einem Mord?«

»Warum denn nicht, wenn es Geld einbringt? Ist es etwa eine Sünde, einen Giaur zu tödten?«

»Nein, es ist sogar ein sehr verdienstliches Werk. Wer einen Christen tödtet, der steigt dadurch um eine ganze Stufe zum siebenten Himmel höher. Das ist die alte Lehre, auf welche leider die Leute nicht mehr hören wollen. Es juckt mich in den Fingern, diesem Fremden, wenn er nach Ostromdscha kommt, eine Kugel zu geben.«

»Ich bin dabei.«

»Bedenke, welchen Vortheil wir davon hätten! Es würde uns sehr gut bezahlt, und sodann gehörte uns Alles, was er bei sich hat. Sein Pferd allein wäre ein wahres Vermögen für uns. Der Minachor des Padischah würde, wenn wir es zu ihm nach Stambul brächten, uns eine große Summe dafür zahlen.«

»Oder auch gar nichts!«

»Oho!«

»Er würde uns fragen, woher wir es haben.«

»Geerbt natürlich.«

»Wo wäre aber der Stammbaum des Pferdes, den doch jeder Käufer sehen und haben wollte?«

»Den wird der Mensch schon bei sich tragen. Er fiele uns also in die Hände. Ich befürchte nur, daß nicht wir diejenigen sein werden, welche den herrlichen Rappen bekommen.«

»Warum nicht?«

»Manach el Barscha und Barud el Amasat werden ebenso klug sein, wie wir.«

»Hm! Das ist richtig. Aber wir können sie ja leicht betrügen.«

»Wie so denn?«

»Indem wir ihnen verschweigen, daß der Fremde nach Doiran geritten ist. Wir sagen ihnen nur, daß er entkommen sei und sich wahrscheinlich nach – nach – nach irgend einem Ort gewendet habe, dessen Namen wir uns noch aussinnen können. Dann reiten wir übermorgen gegen Doiran und lauern den vier Kerlen auf.«

»Dieser Gedanke ist prächtig. Ich vermuthe nur, daß Manach und Barud sich nicht täuschen lassen werden.«

»Wir müßten es dann sehr dumm anfangen!«

»Wer weiß auch überhaupt, wie lange es dauert, ehe wir sie finden!«

»Keine einzige Stunde.«

»Ich bin vom Gegentheil überzeugt. Wir wissen nur, daß wir zu der Ruine kommen sollen. Aber da können wir lange suchen.«

»Hast Du vergessen, daß wir uns an den alten Mübarek wenden sollen?«

»Das weiß ich sehr wohl. Aber erstens fragt es sich, ob sie ihm ihren Aufenthaltsort wirklich genau mitgetheilt haben, und zweitens kennen wir den Alten nicht. Wer weiß, was für ein Kerl er ist!«

»Er soll ja auch die Koptscha haben, das geheime Zeichen unseres Bundes.«

»Das ist noch kein Grund, uns jedes Geheimniß mitzutheilen.«

»So haben wir das heimliche Wort, welches Barud el Amasat uns sagte und welches er auch dem alten Mübarek geben wird. Es ist das Zeichen, daß er uns den Aufenthaltsort der Verborgenen nennen oder zeigen soll. Also finden werden wir sie sofort. Das macht mir keinen Kummer. Nur fragt es sich, ob sie noch weitere Dienste von uns verlangen werden.«

»Das schlage ich ihnen ab. Wir würden dadurch verhindert werden, den vier Fremden aufzulauern.«

»Abschlagen? Das geht nicht. Wir müssen gehorchen. Du weißt doch, daß Widersetzlichkeit mit dem Tod bestraft wird.«

»Wenn sie erwiesen ist. Aber wenn ich krank bin, so kann ich nicht gehorchen.«

»Ah, Du willst Dich krank stellen? – Das müßte ich dann auch thun, und das würde sehr auffällig sein. Warum sollten wir zufällig alle Beide krank geworden sein?«

»Auch da gibt es eine gute Ausrede. Wir sind unterwegs mit den vier Fremden zusammengetroffen und von ihnen angegriffen worden.«

»Hm! Verwundet also?«

»Ja. Ich verbinde mir den Kopf, und Du thust das Gleiche mit Deinem Arm. Wir sind so matt und angegriffen, daß man zunächst unmöglich einen weiteren Dienst von uns verlangen kann – schau, da reitet der Wirth zum Thore hinaus! Trink', damit wir erfahren können, ob der Knecht uns den Krug auch wirklich wieder füllen wird.«

Sie tranken und tranken und brachten den Krug zu meinem Erstaunen, ich möchte fast sagen zu meinem Entsetzen, wirklich leer. Dann trat der eine an das Fenster und rief hinaus, worauf ein Knecht hereinkam, welcher natürlich von seinem Herrn die nöthige Weisung erhalten hatte.

Die beiden Gäste erfuhren von ihm, daß er ihnen bringen werde, was sie verlangten, und sie gaben ihm den Befehl, zunächst den Krug wieder zu füllen.

Von zwei Krügen solchen Raki's hätte ein Rhinozeros betrunken werden müssen, und so war ich überzeugt, daß sie sehr bald in einen Zustand verfallen würden, welcher meiner Absicht, sie zu belauschen, nicht günstig sein konnte.

Sie saßen, als der volle Krug gebracht wurde, auch wirklich einsilbig bei einander, blickten stier vor sich hin und tranken in kurzen Zwischenräumen. Ich sah ein, daß von ihnen nichts mehr zu erfahren sei, und beschloß, mich jetzt zu entfernen.

Ich war nicht recht befriedigt von meinem Erfolg. Was hatte ich erfahren? Daß der Schut, der geheimnißvolle Anführer derjenigen, die in >die Berge gegangen waren<, seine Unterthanen in einer sehr strengen Zucht hielt, daß er sogar Widersetzlichkeit mit dem Tode bestrafte.

Ferner wußte ich nun genau, daß Barud el Amasat, Manach el Barscha und der mit ihnen aus Adrianopel entflohene Gefängnißschließer in der Ruine von Ostromdscha zu suchen seien. Aber diese Ruine konnte sehr weitläufig sein. Vielleicht befanden sich die Betreffenden auch nur des Nachts oder überhaupt nur zu gewissen Zeiten dort.

Sodann hatte ich erfahren, daß es einen alten Mübarek gebe, einen sogenannten Heiligen, bei welchem die Eingeweihten mit Hilfe eines heimlichen Wortes erfahren konnten, wo sich die drei erwähnten Männer befanden. Aber wer war dieser >Heilige<, welcher trotz seiner Heiligkeit in dem verbrecherischen Bund der Ausgestoßenen eine Stelle einnahm? Wo war er zu finden? Auch in der Ruine? Und welches war das Wort, mit dem man sich bei ihm legitimiren konnte? –

Den >Heiligen< getraute ich mir leicht zu finden. Aber das Wort zu erfahren, dies war jedenfalls außerordentlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Vielleicht gelang es, den Alten zu überrumpeln und ihm dadurch sein Geheimniß zu entreißen.

Jedenfalls aber war ich jetzt überzeugt, daß die beiden Trinker da drin in der Stube für mich bis morgen ganz unschädlich seien. In ganz kurzer Zeit waren sie gewiß so betrunken, daß sie den Verstand verloren hatten. Sie kamen wohl gar nicht dazu, sich Essen geben zu lassen, und wurden in irgend einem Winkel untergebracht, um dort ihren gewaltigen Rausch auszuschlafen.

Das war natürlich von großem Vortheil für mich, denn auf diese Weise blieben die Gesuchten ungewarnt vor uns, und ich konnte die Zeit von heute Nachmittag bis morgen Mittag – denn eher waren die Betrunkenen wohl nicht in Ostromdscha zu erwarten – dazu verwenden, nach den drei Entflohenen zu forschen.

Jetzt nun, da nichts Weiteres mehr zu erlauschen war, schob ich mich, am Boden kriechend, unhörbar hinter den Weidenbündeln hervor und schlich dann nach der Schlafstube. Sie war von innen verriegelt. Als ich leise klopfte, öffnete Halef. Er befand sich mit den beiden Gefährten und einem Knecht darinnen.

»Wir mußten natürlich zuriegeln, Sihdi,« erklärte er leise. »Die Halunken hätten ja auf den Gedanken kommen können, nachzusehen, ob sich Jemand hier befinde.«

»Ganz recht. Wo sind die Bewohner des Hauses?«

»Sie haben sich versteckt, weil der Wirth erzählt hat, daß Alle sich auf dem Felde befänden.«

»So wollen wir aufbrechen. Geh Du voran und sorge dafür, daß wir nicht entdeckt werden.«

Der Knecht, an welchen diese Aufforderung gerichtet war, ließ uns heraustreten, schloß dann die Thüre zu, zog den Schlüssel ab und huschte uns voran.

Der andere Knecht, welcher die Gäste bediente, stand auch bereit. Er ging zu ihnen hinein, um, laut mit ihnen sprechend, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und so wurde es für uns sehr leicht, aus dem Hause hinaus und auf den Hof zu gelangen.

Von hier aus kamen wir dann schnell nach der hinteren Seite des Gebäudes und wurden von dem Knecht eine Strecke weit auf das Feld geführt, wo der Wirth mit einigen Knechten und mit unsern Pferden auf uns wartete.

»Endlich!« sagte er. »Dir ist die Zeit wohl nicht so lang geworden, als mir. Nun aber wollen wir aufbrechen. Steigt auf!«

»Vorher will ich bezahlen. Sage uns, was wir Dir schuldig sind!«

»Ihr mir schuldig?« lachte er. »Nichts, gar nichts!«

»Das dürfen wir nicht annehmen!«

»Doch! Ihr waret meine Gäste.«

»Nein. Wir sind ungeladen zu Dir gekommen und haben sogar Alles, was wir aßen und tranken, von Dir verlangt.«

»Effendi, sprich nicht weiter! Thu mir die Schande nicht an, meine Gastfreundschaft von Dir zu weisen. Wenn ich zwei solchen Halunken, wie jenen in der Stube, gebe, was ihr Herz begehrt, so kann ich wohl Euch bitten, so zu thun, als ob Ihr bezahlt hättet.«

»Aber grad das, was diese Beiden erhielten, habe auch ich bestellt. Ich habe sogar versprochen, es zu bezahlen.«

»Herr, willst Du mich erzürnen? Du willst mir mein Geld wieder verschaffen, und ich soll einige lumpige Piaster von Dir für Bier und zwei Eier verlangen? Das thue ich auf keinen Fall!«

Ich hätte mich gleich beim ersten Wort nicht geweigert und hatte mich nur Halef's wegen nicht sofort beruhigt. Ich wollte sein Gesicht sehen, über welches es unaufhörlich zuckte und zerrte. Er mochte befürchten, daß ich doch bezahlen werde. Darum sagte er jetzt hastig:

»Sihdi, Du kennst den Kuran und alle seine Auslegungen. Warum handelst Du gegen diese vom Engel Gabriel diktirten Lehren? Siehst Du nicht ein, daß es gottlos ist, eine offene und mildthätige Hand von sich zu weisen? Wer ein Almosen gibt, der gibt es Allah, und wer eine Gabe zurückweist, der beleidigt Allah. Ich hoffe, daß Du die Härte Deines Herzens bereuest und dem Propheten die Ehre gibst. Steig' also auf, und bekümmere Dich nicht um die Piaster, welche kein Mensch haben will!«

Das war so ernst und eifrig hervorgebracht, als ob es sich um Tod und Leben, um Verdammniß und Seligkeit handelte. Ich gab lachend nach und reichte nur den Knechten ein Bakschisch, eine Kleinigkeit, von welcher sie aber so entzückt waren, daß sie der Reihe nach mir die Hand küßten, was ich trotz aller Anstrengung nicht verhindern konnte. Dann ritten wir davon, zunächst ein Stück hinter dem Dorf hin, und dann bogen wir zu der nach Ostromdscha führenden Straße ein, welche aber keine Straße war.

Nur sehr kurze Zeit ritten wir auf derselben hin; dann aber, als wir das Dorf hinter uns hatten, fragte ich unseren Wirth:

»Ist diese sogenannte Straße der einzige Weg, welcher nach Ostromdscha führt?«

»Der gradeste ist sie. Es gibt aber noch andere Wege, welche freilich längere Zeit erfordern.«

»Suchen wir uns einen solchen Weg aus! Ich möchte gern diese Straße vermeiden.«

»Warum?«

»Weil morgen, wenn uns die beiden Kerle nachkommen – –«

»Morgen?« unterbrach er mich.

»Ja, sie wollen so lange bei Dir bleiben, weil sie nichts bezahlen dürfen. Sie erwarten Dich nicht vor morgen zurück, weil Du zu Deinem Geburtstag ihrer Ansicht nach heute Abend tüchtig trinken wirst.«

»Diese Schurken! Ich werde sie überraschen und ihnen mittheilen, daß ich heute meinen Geburtstag gar nicht habe.«

»Das wirst Du wohl nicht thun.«

»So? Warum nicht?«

»Weil es auch in Deinem Interesse liegt, daß sie nicht vor morgen Mittag nach Ostromdscha kommen. Du wirst das noch erfahren. Wenn sie uns dann nachkommen, könnten sie zufällig inne werden, daß wir doch nach Ostromdscha ritten und nicht nach Doiran. Dies könnte alle meine Pläne zu Nichte machen.«

»Gut! Wenn Du es wünschest, so reiten wir anders. Gleich hier führt ein Weg links ab in die Felder und Wiesen. Wir werden so reiten, daß wir auf die Straße von Kusturlu gelangen. Dort kennt uns kein Mensch.«

Wir bogen also seitwärts ein. Doch war das Ding, welches er einen Weg genannt hatte, alles Andere, aber kein Weg. Man sah es dem Boden an, daß hier zuweilen Menschen gegangen waren, aber eine Bahn gab es nicht.

Rechts und links waren Felder zu sehen, meist mit Tabak bebaut. Auch einige kleine, kümmerliche Baumwollenpflanzungen erblickte ich. Dann gab es wieder braches Land und endlich Wald, durch welchen wir ritten, ohne einen Pfad zu sehen.

Bisher waren wir schweigsam gewesen, nun aber konnte der >Herbergsvater< seine Neugierde nicht länger zügeln. Er fragte:

»Hast Du gehört, was ich mit den Rakitrinkern gesprochen habe?«

»Alles.«

»Ihre Fragen und meine Antworten?«

»Es ist mir nichts entgangen.«

»Nun, wie bist Du mit mir zufrieden?«

»Du hast Deine Sache ganz vortrefflich gemacht. Ich muß Dich wirklich loben.«

»Das freut mich sehr. Es war gar nicht so leicht für mich, das Richtige zu treffen.«

»Das weiß ich sehr wohl, und darum habe ich mich doppelt über Deinen Scharfsinn gefreut. Du hast bewiesen, daß Du ein tüchtiger Kachpodschludschy bist.«

»Herr, ich bin entzückt, das aus Deinem Mund zu hören, denn ein Lob von Dir ist zehnfach mehr werth, als aus einem andern Mund.«

»So? Warum?«

»Weil Du ein Gelehrter bist, der Alles weiß, von der Sonne herab bis auf das Körnchen im Sand, und ein Held, den noch Niemand hat besiegen können. Du kennst Kaiser und Könige, welche Dich verehren, und reitest unter dem Schatten des Großherrn, mit welchem Du von einem Teller gegessen hast.«

»Wer hat Dir das gesagt?«

»Einer, der es weiß.«

Ich ahnte sogleich, daß mein kleiner, sonst so braver Hadschi hier wieder einmal eine seiner Aufschneidereien losgelassen habe. Er nannte sich meinen Freund und Beschützer, und je höher er mich herausstrich, desto bedeutender war der Abglanz, der von mir auf ihn fallen mußte. Ein Blick nach ihm zeigte mir, daß er, wohl eine Art von Gewitter ahnend, gleich bei Beginn der Rede des Wirthes ein Stück zurückgeblieben war.

Daß der Wirth meine Frage nicht direkt beantwortete, war mir ein Beweis, daß Halef ihm verboten hatte, ihn zu nennen.

»Wer ist es denn also, der Etwas weiß, wovon nicht einmal ich selbst eine Ahnung habe?« fragte ich weiter.

»Ich soll ihn nicht nennen.«

»Gut! So werde ich ihn nennen. Hat er Dir seinen Namen gesagt?«

»Ja, Effendi.«

»Es ist ein sehr langer. Heißt der kleine Halunke etwa Hadschi Halef Omar – – und so weiter?«

»Effendi, frage mich nicht!«

»Und doch muß ich Dich fragen.«

»Aber ich habe ihm versprechen müssen, seinen Namen nicht zu nennen.«

»Dieses Versprechen mußt Du halten. Den Namen brauchst Du nicht zu nennen. Sage nur ja oder nein! War es der Hadschi?«

Er zögerte noch verlegen, aber als ich ihm einen strengen, zornigen Blick zuwarf, antwortete er:

»Ja, er hat es gesagt.«

»Nun, so will ich Dir mittheilen, daß er ein ganz gewaltiger Lügner ist.«

»Herr, das sagst Du aus Bescheidenheit!«

»Nein. Laß Dir das nicht einfallen. Ich bin ganz und gar nicht bescheiden; das kannst Du schon daraus ersehen, daß ich Deine prächtige Eierspeise gegessen habe, ohne sie zu bezahlen –«

»Herr, sei still!« fiel er mir in die Rede.

»Nein, ich muß sprechen, um den Fehler dieses Hadschi Halef Omar wieder gut zu machen. Er hat gradezu gelogen. Ich habe den Padischah gesehen, aber nicht mit ihm von einem Teller gegessen. Ich kenne Kaiser und Könige, ja, nämlich dem Namen nach, habe auch wohl Einen oder den Andern von ihnen erblickt, aber sie verehren mich ganz und gar nicht; sie kennen nicht einmal meinen Namen. Ich bin für sie gar nicht vorhanden.«

Er sah mir mit einem Ausdruck ins Gesicht, aus dem ich erkannte, daß er der Aufschneiderei des Kleinen weit mehr Glauben schenkte, als meinem offenen Geständniß.

»Und was meine Gelehrsamkeit betrifft,« fuhr ich fort, »so ist sie gar nicht weit her. Ich soll Alles wissen, von der Sonne bis zum Sandkorn herab? Nun ja, das Sandkorn kenne ich, wie jeder Andere; aber von der Sonne weiß ich weiter nichts, als daß die Erde sich um sie dreht, wie weit wir von ihr entfernt sind, welchen Umfang, welch' ein muthmaßliches Gewicht, welchen Durchmesser sie hat, wie – – –«

»Maschallah! Maschallah!« schrie der Mann laut auf, indem er mich ganz ängstlich anblickte und sein Pferd von dem meinigen wegrückte.

»Was schreist Du denn?« fragte ich.

»Das weißt Du? Was Du jetzt gesagt hast?«

»Ja.«

»Wie weit die Sonne von uns entfernt ist?«

»Ungefähr zwanzig Millionen Meilen.«

»Daß wir uns um sie drehen?«

»Natürlich!«

»Wie stark und wie dick sie ist, das weißt Du auch?«

»Ja.«

»Und sogar wie schwer sie wiegt?«

»Ungefähr. Auf eine Million Zentner kommt es dabei gar nicht an.«

Er machte jetzt ein völlig entsetztes Gesicht und hielt sein Pferd an.

»Herr,« sagte er, »ich bin einmal in Istambul gewesen und habe dort mit einem gelehrten Derwisch gesprochen, welcher wieder mit vielen gelehrten Männern anderer Länder zusammengetroffen war. Der hat mir bei dem Propheten und dessen Bart zugeschworen, daß die Sonne und die Sterne nicht so klein sind, wie es scheint, sondern viel, viel größer als die Erde. Sie scheinen so klein zu sein, weil sie so gar unendlich weit von uns entfernt sind. Ich war ganz erschrocken darüber. Du aber willst diese Entfernungen wissen und auch alles Andere dazu! Kennst Du denn auch den Mond?«

»Das versteht sich!«

»Wie weit er von uns entfernt ist?«

»Sechsundachtzigtausend türkische Aghatsch.«

»O Allah, wallah, tallah! Effendi, mir graut vor Dir!«

Er starrte mich förmlich an. Da kam Halef herbei, hielt bei uns an und sagte:

»O, mein Sihdi weiß noch mehr, noch viel, viel mehr. Er weiß, daß es Sterne gibt, die wir noch gar nicht sehen, und daß es Sterne nicht mehr gibt, die wir noch alle Nächte erblicken. Er hat es mir selbst gesagt und es mir auch erklärt. Ich aber habe es wieder vergessen, denn mein Kopf ist viel zu klein für eine solche Menge von Sonnen und Sternen.«

»Ist das wirklich wahr?« schrie der Türke laut auf.

»Ja. Frage ihn selbst!«

Da ließ der Mann die Zügel auf die Kniee fallen, hob die Hände bis zum Gesicht empor und hielt sie so, daß alle zehn Fingerspitzen nach mir wiesen. Das thut man in der Levante, wenn man sich gegen den bösen Blick und Zauberei vertheidigen will.

»Nein!« rief er dazu. »Ich frage ihn nicht. Ich will nichts wissen. Ich will ganz und gar nichts mehr erfahren. Allah behüte meinen Kopf vor solchen Dingen und solchen Zahlen. Er würde zerplatzen, wie ein alter Mörser, in den man zu viel Pulver gesteckt hat. Laßt uns lieber weiter reiten!«

Er nahm die Zügel wieder auf und setzte sein Pferd in Bewegung. Dabei murmelte er:

»Und da nennst Du den Hadschi einen Lügner? Er hat noch viel zu wenig von Dir gesagt!«

»Ibarek, was Du jetzt von mir gehört hast, das weiß in meinem Vaterland jedes Kind.«

»Maschallah! Ich danke für so ein Land, in welchem schon die Kinder die Sterne wiegen und messen müssen. Welch ein Glück, daß ich nicht in Alemannia geboren bin! Der Schuster, von welchem ich das Bier kochen lernte, hat mir davon nichts gesagt, und das war sehr klug von ihm. Laß uns von etwas Anderem reden. – Ich sagte, daß Dein Lob mich doppelt erfreue, eben weil es aus Deinem Munde kommt. Du bist mit mir zufrieden gewesen, und das gibt mir die Hoffnung, daß ich mein Geld wieder erlangen werde.«

»Wenn mich meine Hoffnung nicht betrügt, so bekommst Du es wieder.«

»Hoffnung? Du hoffst es bloß?«

»Ja. Was sonst?«

»Du hoffst es nicht, sondern Du weißt es genau.«

»Da irrst Du Dich.«

»Nein. Ich kann darauf schwören, daß Du es genau weißt.«

»Du würdest einen falschen Eid schwören.«

»Nein, Effendi! Wer in der Wüste, im Wald und auf dem Feld die Spuren von Leuten lesen kann, welche längst verschwunden sind, der weiß auch ganz genau, wo sich mein gestohlenes Geld befindet.«

Jetzt wurde ich ernstlich zornig. Der kleine Hadschi konnte mich leicht einmal durch seine unbedachten Lobeserhebungen in die übelste Lage bringen.

»Das hat Dir natürlich Halef auch gesagt?« fragte ich.

Er nickte zustimmend.

Jetzt wandte ich mich zu dem Kleinen:

»Halef, warum bleibst Du zurück? Komm doch einmal her!«

»Was soll ich, Sihdi?« fragte er freundlich, wie ein Hund, welcher weiß, daß er gerufen wird, um Prügel zu bekommen, und dabei doch mit dem Schwanze wedelt.

»Die Kurbatsch solltest Du bekommen, die Nilhautpeitsche! Weiß Du, warum?«

»Sihdi, Deinen treuen Halef schlägst Du niemals. Das weiß ich genau!«

»Das ist eben das Unglück, daß Du meinst, ich könne Dich nicht bestrafen. Es gibt aber noch ganz andere Strafen als das Peitschen. Kostentziehung sollst Du haben! Nichts zu essen bekommst Du, während wir gebratene Hühner speisen!«

Ich sagte das sehr drohend und im Ton des Zornes. Gebratenes Huhn war sein ganzes Leben! Er aber antwortete lächelnd:

»Sihdi, lieber äßest Du selber nichts, mir aber gäbst Du die ganze Henne.«

»Schweig! Wenn nichts Anderes hilft, so jage ich Dich fort!«

»Effendi, Du weißt, daß ich Dir doch nachlaufen würde. Ich bin Dein Diener. Wir haben zusammen gehungert und gedürstet, geschwitzt und gefroren, geweint und gelacht – Sihdi, zwei solche Leute sind nur schwer zu trennen.«

Der gute Kerl hatte freilich Recht. Er wußte ganz genau, was erfolgte, wenn er diese Saite anschlug. Mein Zorn legte sich sofort.

»Aber, Halef, Du sollst nicht so flunkern!«

»Sihdi, war es geflunkert? Das habe ich wirklich nicht gewußt. Wie kannst Du doch so zornig werden, wenn ich sage, Du habest mit dem Sultan von einem Teller gegessen?«

»Es ist ja eine Lüge!«

»Das kannst Du nicht behaupten!«

»Nun, hast Du nicht in Stambul beim Kasi Askeri gespeist?«

»Was hat das aber mit Deiner Aufschneiderei zu thun?«

»Gar viel. Speist der Sultan denn nicht einmal auch beim Kasi Askeri?«

»Offiziell nicht.«

»Also heimlich. Nun, so habe ich ganz und gar nicht Unrecht. Wie leicht kann der Sultan einmal grad den Teller, auf welchem auch Du gegessen hast, schon bekommen haben! Du siehst, Sihdi, daß Dein treuer Halef ganz genau weiß, was er sagt. Aber Du bist wie die Trafula, ganz genau so. Sie ist eine große Delicatesse und wird theuer bezahlt, aber sie versteckt sich unter die Erde, weil man ja nicht von ihr reden soll. Ich allein kenne Dich, und da ich Dein Angesicht wieder freundlich leuchten sehe, so ist mein Herz wieder leicht und froh. Allah gibt Wolken, und Allah gibt Sonnenschein. Der Mensch muß nehmen, was Allah gibt.«

Natürlich leuchtete mein Gesicht. Der Kuckuck mag ernst bleiben, wenn man auf eine so geistreiche Weise mit einer Trüffel verglichen wird. Ich mußte natürlich lachen, und der kleine Hadschi lachte mit. Das war das jedesmalige sichere Ende, wenn ich einmal begann, ein Ungewitter über ihn loszulassen.

Wir ritten weiter. Ich bemerkte aus den Blicken, welche mir der Türke zuwarf, und aus dem Umstand, daß er sein Pferd stets ein wenig zurückhielt, daß er einen gewaltigen Respekt vor mir hatte. Er schien große Lust zu haben, mich für ein Weltwunder zu halten.

Der Wald ging bald zu Ende, und wir trabten nun über eine weite, ebene Brache, die unseren Pferden freien Spielraum bot. Da regte sich die Neugierde des Wirthes wieder.

»Effendi,« hob er an, »ich werde doch heute wieder zurückkehren können?«

»Ich glaube es schwerlich.«

»Warum?«

»Nun, Du willst doch Dein Geld mitnehmen?«

»Natürlich.«

»So wirst Du wohl länger bleiben müssen. Wir müssen doch die Spitzbuben haben, ehe wir es ihnen abnehmen können.«

»Aber Du weißt ja, wo sie sind!«

»Nein.«

»Der Hadschi sagte es!«

»Laß Dir von ihm nichts aufbinden. Ich weiß, daß sie sich in Ostromdscha versteckt halten, weiter nichts. Ich werde sie suchen müssen.«

»So fragen wir nach ihnen!«

»Das wäre vergeblich. Sie werden sich wohl von Niemand sehen lassen.«

»Waih! So finden auch wir sie nicht!«

»Vielleicht doch. Ich habe eine Spur von ihnen.«

»Hier auf der Erde?«

Der gute Mann hatte von Halef gehört, daß ich geschickt im Lesen der Fährten sei. Nun glaubte er, ich müsse so ein Ding hier vor mir auf dem Boden haben.

»Nein,« antwortete ich und deutete dabei auf meine Stirn. »Hier liegt die Spur, welche wir verfolgen werden. Bist Du vielleicht in Ostromdscha gut bekannt?«

»Ja. Es ist doch die nächste Stadt bei meinem Dorf.«

»Gibt es einen Berg daselbst?«

»Einen hohen.«

»Und eine Ruine darauf?«

»Einen ganzen Haufen von Trümmern.«

»Woher stammen sie?«

»Das weiß man nicht genau. Die Bulgaren sagen, sie hätten einst ein großes Reich hier gehabt und einer ihrer berühmten Fürsten habe in dieser Burg gewohnt. Dann sind die Feinde gekommen, welche die Burg eroberten und dann zerstörten.«

»Wohl die Türken?«

»So meinen Einige. Andere aber sagen, die Griechen seien es gewesen.«

»Das ist uns gleich. Kann man leicht hinauf zur Ruine?«

»Ja, sehr leicht.«

»Und es ist nicht verboten, hinauf zu steigen?«

»O nein. Jedermann darf hinauf, aber dennoch sind es nur Wenige, welche dies thun.«

»Warum?«

»Weil böse Geister oben wohnen.«

»Ah so! Nun, die werden wir uns wohl einmal ansehen!«

»Effendi, bist Du toll?«

»Ganz und gar nicht. Ich habe mich schon längst gesehnt, einmal einen solchen Geist zu erblicken. Jetzt freue ich mich, daß dieser Wunsch mir in Erfüllung gehen soll.«

»Herr, laß das bleiben!«

»Pah! Ich werde es versuchen.«

»Bedenke, daß am Tage kein Geist zu finden ist!«

»Ich suche ihn ja auch nicht am Tage.«

»O Allah! Du willst des Nachts hinauf?«

»Wahrscheinlich.«

»So wirst Du nie wieder herunterkommen. Die Geister werden Dich vernichten!«

»Ich bin neugierig, wie sie das anfangen werden.«

»Spotte nicht, Effendi! Die bösen Geister fragen leider nicht darnach, ob Du den Mond und die Sterne messen kannst, auch nicht, von welchem großherrlichen Teller Du gegessen hast. Sie fragen überhaupt gar nicht, sondern sie packen Dich beim Schopf und drehen Dir das Gesicht auf den Rücken.«

»Oho!«

»Ja, ja!« nickte er.

»Hat es denn bereits solche Fälle gegeben?«

»Mehrere!«

»Oben in der Ruine?«

»Ja. Man hat am Morgen Leute zwischen den Trümmern gefunden, denen das Gesicht auf dem Rücken stand.«

»Lebten sie denn noch?«

»Wie Du so fragen kannst! Wem das Gesicht auf dem Rücken steht, dem ist doch der Hals gebrochen. Sie sind also todt gewesen.«

»Ah so! Du sprachst von Leuten, aber nicht von Leichen. Kannte man diese Menschen?«

»Nein. Es waren stets Fremde. Nur einmal war es Einer aus Ostromdscha. Er war ein neuer Khawaß und sagte, er glaube nicht an Geister. Er steckte sein Messer und seine Pistolen zu sich und stieg in der Dämmerung hinauf. Am andern Tage lag er ebenso oben, wie die Anderen. Sein Gesicht war blauroth angelaufen, und die Zunge hing ihm weit aus dem Hals heraus.«

»Ist das lange her?«

»Noch nicht zwei volle Jahre. Ich selbst habe diesen tollkühnen Mann gesehen.«

»Als er noch lebte?«

»Ja, dann aber auch seine Leiche. Das wollte ich Dir sagen.«

»Freut mich unendlich! Beschreibe mir doch einmal seine Leiche!«

»Sie sah schrecklich aus!«

»Ist das die ganze Beschreibung, welche ich von Dir zu erwarten habe?«

»Nein. Man hatte sie in einen alten Kaftan gewickelt, als man sie von dem Berg herabbrachte. Ich war früh nach der Stadt geritten, um mir Tabakssamen zu kaufen, und kam grad recht, den Leichnam zu sehen.«

»Ich wünsche ganz besonders zu wissen, wie sein Hals aussah.«

»Entsetzlich!«

»Beschreibe es doch! Waren Wunden daran?«

»Nein. Aber man konnte ganz deutlich sehen, wie die Geister ihn mit ihren Krallen gepackt hatten.«

»Hm! Waren diese Krallen etwa in den Hals eingedrungen gewesen?«

»Was denkst Du! Die Geister können kein Blut ersehen. Sie verursachen niemals eine Wunde. Sie verletzen nicht einmal die Haut. Aber man erblickte ganz deutlich die Spuren der Krallen. Mir schauderte vor der Leiche; aber ich habe sie dennoch ganz genau betrachtet, und viele Andere thaten es.«

»Wie sahen denn diese Krallenspuren aus?«

»Wie lange, schmale, rothunterlaufene Eindrücke, hinten zwei und vorn acht.«

»Habe es mir gedacht.«

»Hast Du denn auch einmal Einen gesehen, der von den Geistern umgebracht worden ist?«

»Nein, niemals. Die Geister meines Vaterlandes bringen keinen Menschen um. Sie sind sehr friedfertiger Natur. Es gibt ihrer drei Arten. Man nennt sie Plagegeister, Schöngeister und Salmiakgeister. Nur die erstere Sorte kann unbequem werden. Die Andern thun nichts.«

»Wie glücklich ist Dein Vaterland, Effendi, daß es nur solche Geister hat! Die Unserigen sind böser, viel böser. Sie drehen Einem gleich den Hals um. Dann ist man todt.«

»Ja, ich glaube selbst, daß man dann todt ist.«

»Natürlich! Darum bitte ich Dich um Allah's willen, ja nicht des Nachts auf diesen bösen Berg zu steigen. Du müßtest sonst auch als Leiche herabgeholt werden.«

»Nun, ich werde es mir überlegen.«

»Da gibt es gar nichts zu überlegen. Wenn Jemand mich fragt, ob ich leben bleiben oder ob ich sterben will, so habe ich gar nichts zu überlegen. Ich bleibe leben.«

»Gut! Auch ich werde leben bleiben!«

»So ist es recht! Nun wird mir das Herz wieder leicht. Du hast mir große Angst gemacht.«

»So wollen wir gar nicht mehr von der Ruine reden. Sage mir lieber, ob es in Ostromdscha einen Menschen gibt, den man den alten Mübarek nennt!«

»Freilich gibt es ihn.«

»Kennst Du ihn?«

»Sehr genau.«

»Ist es auch für mich möglich, ihn zu sehen?«

»Wenn er daheim ist, ja. Jeder darf zu ihm.«

»So warst auch Du bei ihm?«

»Oft. Ich habe ihm manchen Piaster hingetragen.«

»Wofür?«

»Für seine Heilmittel.«

»Ah, er ist ein Hekim?«

»Nein.«

»Oder ein Apotheker?«

»Auch nicht. Er ist ein Heiliger.«

»Aber ein Heiliger handelt doch nicht etwa mit Heilmitteln?«

»Warum nicht? Wer sollte es ihm verbieten? Niemand. Alle Leute sind im Gegentheil froh, daß der alte Mübarek da ist. Wo kein Hekim und kein Ezadschi helfen kann, da hilft er gewiß.«

»Also hat er auch Dir geholfen?«

»Sogar sehr, sehr oft, mir, den Meinen und auch meinem Vieh.«

»So ist er also Arzt für Thiere und für Menschen. Das ist höchst interessant.«

»O, er selbst ist noch viel interessanter.«

»Wie so?«

»Er ist über fünfhundert Jahre alt.«

»Soll ich erschrecken?«

»Nein, Du brauchst nicht zu erschrecken. Es ist sehr wahr.«

»Aber ich glaube es nicht.«

»Sage ihm das nicht, sonst bist Du verloren!«

»Ist es denn so gefährlich, von ihm zu reden?«

»Ja. Er hat einen Geist, welcher überall umher fliegt, um zu hören, was man von dem alten Mübarek redet.«

»Wunderbar! Höchst wunderbar! Weißt Du nicht, ob man diesen Geist sehen kann?«

»Natürlich! Er hat ihn ja bei sich. Es ist ein sehr großer Karga, schwarz wie die Nacht.«

»Hm! Hat er nicht auch eine große, schwarze Katze bei sich?«

»Allerdings! Woher weißt Du das?«

»Ich vermuthe es. Warst Du auch in seinem Gemach, in welchem er seine Mittel bereitet?«

»Ja. Aber woher weißt Du denn, daß er ein besonderes Gemach dazu hat?«

»Auch das vermuthe ich. Hast Du dort nicht die ausgestopften Vögel gesehen?«

»Ja.«

»Die Schlangen?«

»Auch.«

»Die Unken in den Gläsern? Die Fledermäuse, welche an der Decke hängen?«

»Allah w'Allah! Ja, ja!«

»Sodann die Todtenköpfe und Todtenknochen?«

Bei einer jeden Frage, welche ich stellte, wurde sein Gesicht erstaunter.

»Herr,« rief er jetzt, »kennst Du den Mübarek?«

»Nein.«

»Aber Du weißt ja ganz genau, wie es in seinem Gemach aussieht.«

»Das kommt daher, weil ich andere Mübareks kennen gelernt habe.«

»Hat denn jeder Mübarek ein solches Gemach?«

»Die Meisten haben ein solches. Ja, es hat auch Viele gegeben, welche mehrere hundert Jahre alt waren.«

»Und bei diesem glaubst Du es nicht?«

»Nein, gewiß nicht.«

»So begreife ich es nicht.«

»Ist dieser Mann schon lange bei Euch?«

»Nein. Erst seit sechs Jahren.«

»So, so! Seit wann hat es denn so böse Geister in der Ruine gegeben?«

»O, zu allen Zeiten.«

»Haben sie auch immer den Leuten den Hals umgedreht?«

»Nein. Das hat erst seit einigen Jahren angefangen.«

»Sonderbar! Weißt Du vielleicht die Zahl der Jahre? Es wäre mir das sehr lieb.«

»Der Erste, welchem das Gesicht auf den Rücken gedreht wurde, war ein Grieche, der am Tag vorher auch bei mir hausirte. Am andern Morgen lag er todt unterhalb der Ruine. Ferner weiß ich, daß seitdem fünf oder sechs Jahre verflossen sind.«

»Also grad so lange, wie der Mübarek in Ostromdscha wohnt. Hat dieser alte Heilige vielleicht sonst noch besondere Eigenschaften?«

»Nein, außer daß er niemals ißt oder trinkt.«

»Und dennoch lebt er?«

»Er sagt: eben weil er gar nichts esse und trinke, sei er über fünfhundert Jahre alt geworden. Allah esse nie Etwas und sei deßhalb ewig. Der Mübarek hat auch niemals Zähne gehabt, eben weil er niemals gegessen hat.«

»Vielleicht hat er sie verloren?«

»Nein, nein! Wer ihn darum bittet, dem zeigt er seinen Mund. Das Zahnfleisch hat gar keine Lücke, und keine Spur von einem Zahn ist vorhanden.«

»So beginne ich jetzt, zu glauben, daß er ein sehr großer Heiliger sei.«

»Das ist er ganz gewiß. Allah liebt ihn und hat ihm darum die Gabe verliehen, sich unsichtbar zu machen.«

»Wirklich! Nun, das ist ja eine ganz besondere Eigenschaft! Und vorhin sagtest Du, daß er keine weiteren Eigenschaften besitze.«

»Ja, wenn Du mit diesem Wort solche Gaben meinst, so hat er freilich noch mehrere ganz besondere Eigenschaften.«

»Willst Du mir nichts darüber mittheilen?«

»Sie fallen mir nicht sogleich ein. Es gibt so sehr viel von ihm zu sagen, daß man ganz irre wird.«

»Bist Du vielleicht auch einmal Zeuge gewesen, daß er sich unsichtbar machen kann?«

»Das will ich meinen!«

»Erzähle es mir!«

»Ich wußte, daß der Sohn meines mir gegenüber wohnenden Nachbars krank war und daß der alte Mübarek zu ihm kommen würde. Mein Weib hatte böse Schmerzen im Kopf und sie wollte sich von dem Alten ein Amulet schreiben lassen. Darum stellte ich mich zur Zeit, als der Mübarek kommen sollte, vor die Thüre meines Hofes. Er kam. Ich rief ihn bei seinem Namen. Er aber antwortete nicht. Ich rief ihn abermals, und als er auch dann nicht antwortete, so ging ich über den Weg zu ihm hin, grüßte ihn und sagte ihm, daß meine Frau seiner Hülfe bedürfe. Er blickte mich sehr grimmig an und fragte mich, für wen ich ihn halte. Als ich ihm nun antwortete, daß er der berühmte Heilige sei, lachte er mich aus, gab aber keine Antwort und ging in den Hof des Nachbars. Ich wartete lange, lange Zeit, aber er kam nicht wieder heraus. Nur Busra, der Krüppel, den ich aber gar nicht hatte hineintreten sehen, kam auf seinen beiden Krücken heraus gehinkt. Als ich dann den Nachbar aufsuchte, um nach dem Heiligen zu fragen, sagte er, derselbe sei gar nicht dagewesen. Ich schwor, daß ich ihn hatte hinein gehen sehen, und er schwor, daß nur der Krüppel bei ihm gewesen sei. Der alte Mübarek aber war verschwunden. Was sagst Du dazu, Effendi?«

»Zunächst gar nichts.«

»Warum zunächst?«

»Um ein Urtheil haben zu können, müßte man den Heiligen längere Zeit beobachtet haben. Aber die Sache läßt sich vielleicht auf das Allereinfachste erklären.«

»Wie denn, Effendi?«

»Der Heilige ist bei Deinem Nachbar vorn hinein und hinten wieder hinaus gegangen.«

»Das kann er nicht. Der Hof liegt vorn, und hinter dem Hause gibt es gar keinen Garten und keinen Ausgang. Das Thor, durch welches ich ihn hineingehen sah, ist der einzige Weg, auf welchem er wieder herauskommen kann.«

»Vielleicht hatte er sich versteckt.«

»Wo denn? Das Häuschen des Nachbars ist ja so klein, daß man einen Jeden, der sich verstecken wollte, sofort sehen würde.«

»Dann ist die Sache allerdings höchst geheimnißvoll. Ich kann sie nicht erklären.«

»Es ist zu erklären, und zwar so, wie ich bereits sagte. Der Mübarek kann sich unsichtbar machen. Glaubst Du es nicht?«

Die ganze Geschichte war natürlich Schwindel. Aber sollte ich mich mit dem Wirth streiten, der zwar geistig sehr gut veranlagt zu sein schien, aber doch von dem Wahnglauben des Orientes befangen war? Vielleicht war es auch im Interesse der Sache selbst besser, wenn ich ihn bei seiner Meinung ließ. Darum antwortete ich:

»Wer über solche Sachen noch nicht nachgedacht und auch nichts Ähnliches gesehen hat, der kann da weder Ja noch Nein sagen.«

»Aber ich sage Ja!« meinte Halef, der Alles mit angehört hatte, wobei mir aus seinen Augen gar manch ein pfiffiger Blick zugekommen war.

»Du? Also Du glaubst es?«

»Steif und fest.«

»Das wundert mich.«

»Warum, Sihdi?«

»Weil Du meines Wissens auch noch Niemanden kennen gelernt hast, welcher die Macht gehabt hätte, sich unsichtbar zu machen.«

»Ich? Niemanden kennen gelernt? O, Sihdi, wie befindest Du Dich da im Irrthum!«

»Nun, wann hast Du eine solche Bekanntschaft gemacht?«

»Sehr oft, und zuletzt erst heute wieder.«

Ich ahnte, daß er wieder im Begriff stehe, eine seiner Schelmereien loszulassen. Darum schwieg ich. Der Türke aber fing sofort Feuer. Er glaubte, einen Beleg zu seinem Aberglauben erlangen zu können, und fragte schnell:

»Heute? Etwa unterwegs?«

»O nein!«

»Dann wohl bei mir?«

»Du hast es errathen.«

»Allah! Bei mir hätte es Einen gegeben, der auch so schnell unsichtbar geworden wäre?«

»Ja, bei Dir.«

»Habe auch ich ihn gesehen?«

»Natürlich.«

»Etwa einer von den beiden Strolchen?«

»Fällt keinem von ihnen ein.«

»Nun, wer denn?«

»Der Eierkuchen. Du sahst ihn ganz deutlich bei mir eintreten; dann aber war er verschwunden.«

Der Wirth machte zunächst ein sehr verblüfftes, dann ein enttäuschtes und endlich gar ein zorniges Gesicht und rief dem Kleinen zu:

»Hadschi, Du willst in Mekka, der Stadt des Propheten gewesen sein?«

»So ist es wirklich.«

»Das glaube ich nicht.«

»Willst Du mich beleidigen?«

»Nein; aber dennoch sage ich, daß ich es nicht glaube.«

»Frage meinen Sihdi! Er weiß es sehr genau, denn er war – –«

Ich warf ihm einen warnenden Blick zu, so daß er mitten in seiner Rede inne hielt. Der Wirth war ein Moslem und brauchte nicht zu erfahren, was für ein Abenteuer wir damals bei dem Heiligthum der Muhamedaner erlebt hatten.

»Und wenn der Effendi es zehnmal beweisen kann,« antwortete der Türke, »so glaube ich es dennoch nicht.«

»Warum aber nicht?«

»Weil ein frommer Hadschi es verschmäht, einem Gläubigen eine solche Nase zu drehen. Ich habe Dich für einen aufrichtigen, guten Menschen gehalten; aber Du bist ein Nichtsnutz, welcher nur auf Spässe sinnt.«

»Höre, Du Sohn dieses schönen Flußtales, weißt Du, wie ich heiße?«

»Ich habe es ja gehört!«

»Nun, wie denn?«

»Halef.«

»Das ist der Name, bei welchem mich nur meine ganz vertrauten Freunde rufen dürfen. Für Andere aber heiße ich Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah. Merke Dir das!«

»So einen langen Namen kann sich Niemand merken, wenigstens ich nicht.«

»Das beweist nur, daß Dein Verstand ein sehr kurzer ist. Aber wenn Du hörst, welch' einen berühmten Namen ich habe, so wirst Du wohl anders von mir denken lernen. Ich bin ein frommer Sohn des Propheten; aber ich weiß, daß das Leben nicht aus lauter Gebetsübungen bestehen kann. Allah will, daß seine Kinder sich freuen. Es ist also keine Sünde, sich einen Spaß zu machen, welcher Keinem einen Schaden bringt. Wenn Du mich aber wegen eines solchen kleinen Scherzes sogleich einen Nichtsnutz nennst, so ist das für mich eine Beleidigung, welche eigentlich nur mit Blut abzuwaschen ist. Da Du aber unser Wirth bist und wir Dir dankbar sein müssen, so will ich einmal meinen Grimm hinunterschlucken und Dir verzeihen.«

Er brachte das in so drolliger Weise vor, daß der Wirth lachen mußte. Die Versöhnung ließ nicht auf sich warten.

»Hältst auch Du meinen Glauben für lächerlich?« fragte mich der zuletzt Genannte.

»O nein! Mag der Mensch das Richtige oder das Falsche glauben, so ist mir Beides sehr ernst. Vielleicht sehe ich den alten Mübarek, und dann ist es wohl möglich, daß ich mir eine Meinung bilde. Wo wohnt er denn eigentlich?«

»Auf dem Berg.«

»Ah! Etwa bei der Ruine?«

»Nicht bei, sondern in derselben.«

»Das ist – ja, das ist mir freilich höchst interessant. Warum ist er denn da hinauf gezogen?«

»Um die bösen Geister zu bannen.«

»Das ist ihm aber leider nicht gelungen.«

»O doch!«

»Sie erscheinen ja immer wieder und drehen den Leuten das Gesicht auf den Rücken.«

»Nur einige von ihnen. Diese Geister sind sehr mächtig. Niemand, selbst nicht der Mübarek, kann sie gleich alle auf einmal zum Verschwinden bringen, zumal es nur eine einzige Nacht im Jahre gibt, in welcher man den Geistern beikommen kann.«

»Welche Nacht ist es?«

»Ich weiß es nicht. In jeder solchen Nacht ist es dem Alten gelungen, einen der Geister zu bezwingen; also jährlich einen.«

»Das sind in Summa sechs?«

»Ja. Wenn Du sie sehen willst, wird man sie Dir zeigen.«

»Ah, man sieht sie noch?«

»Natürlich ihre Leichen.«

»So haben diese Geister auch Leiber gehabt?«

»Ja, sonst könnten sie doch keinem Sterblichen erscheinen! Gewöhnlich haben sie keinen Leib, aber dann, wenn sie sich sichtbar machen wollen, dann brauchen sie einen, und grad in diesem Körper kann man sie fangen, indem man alle Öffnungen verstopft, so daß sie nicht wieder heraus können.«

»Das ist mir neu. Ich werde mir die Leichen dieser sechs Geister ganz gewiß ansehen.«

»Ich werde Dich hinführen. Auch auf den Berg und in die Ruine gehe ich mit, wenn Du es verlangst, aber nur am Tage. Bei Nacht bringt mich kein Mensch hinauf.«

»Vielleicht verlangt auch Niemand eine solche Heldenthat von Dir. Aber ich habe Dich auch noch etwas Anderes zu fragen. Bist Du schon einmal in Radowitsch gewesen?«

»Ja, sehr oft sogar, und auch weiter.«

»Kennst Du den Ort Sbiganzi?«

»Ich war nur einmal dort, für eine kurze, einzige Stunde. Es ist ein kleines Nest und liegt zwischen zwei Flüssen.«

»Ich kenne diese beiden kleinen Wasser. Es sind die Bregalnitza und die Sletowska. Kennst Du vielleicht einige Leute dort?«

»Wenige.«

»Vielleicht den Kassab Tschurak?«

»Den kenne ich nicht.«

»Das ist sehr Schade!«

»Warum, Effendi?«

»Ich wollte mich bei Dir nach ihm erkundigen.«

»So wollen wir in Ostromdscha nach ihm fragen. Ich werde wohl Jemanden finden, der ihn kennt.«

»Das überlaß lieber mir. Diese Erkundigung muß sehr vorsichtig geschehen. Niemand darf wissen, daß ich mich für ihn interessire. Dort oben in der Gegend von Sbiganzi muß es einen Ort geben, welcher Derekuliba genannt wird. Hast Du vielleicht diesen Namen schon gehört?«

»Es ist mir so; aber ich kann mich nicht besinnen.«

»So mag es so sein, als ob ich Dich gar nicht darnach gefragt hätte.«

»Ist denn ein Geheimniß damit verbunden?«

»Allerdings.«

»Sieh, also auch Du hast Geheimnisse! Du bist aber zurückhaltend und sagst nichts von ihnen. Wenn ich jedoch von den meinigen erzähle, so werde ich ausgelacht, zum Beispiel vorhin, als ich von dem alten Mübarek sprach.«

»Da handelte es sich um kein Geheimniß, sondern um ein reines Wunder.«

»O, deren sind noch mehrere an ihm zu bemerken. Er ist zum Beispiel so dürr, daß man seine Knochen klappern hört, wenn er geht.«

»Unmöglich!«

»Ich sage die Wahrheit. Jedermann hat es gehört!«

»Auch Du?«

»Auch ich, mit eigenen Ohren.«

»So bin ich neugierig, ob auch ich das Klappern seiner Knochen höre.«

»Ganz gewiß, wenn Du genau aufpassest.«

»Wie kleidet er sich denn?«

»Er hat nur drei Kleidungsstücke, nämlich einen alten Shawl als Gürtel um den nackten Leib, einen alten weiten Kaftan, in welchem sich aber viele, viele Taschen befinden, und ein altes Tuch um den Kopf.«

»Trägt er keine Schuhe oder Sandalen?«

»Niemals, selbst im Winter nicht.«

»So scheint er kein Freund von Luxus irgend welcher Art zu sein. – – Was ist das? Hier muß sich irgend Jemand befinden.«

Wir waren in eine von lichten Büschen bestandene Gegend gekommen. Mein Rappe hatte jenes Schnauben hören lassen, welches ein sicheres Zeichen war, daß ein fremder Mensch in der Nähe sei.

Ich hielt an und sah mich um. Es war Niemand zu erblicken. Auch die Andern waren halten geblieben.

»Reiten wir weiter!« meinte der Türke. »Was geht es uns an, ob Jemand hier steckt?«

»Vielleicht nichts, vielleicht doch etwas. Ich bin gewohnt, gern zu wissen, wen ich hinter mir habe.«

»So willst Du wohl gar suchen?«

»Nein. Mein Pferd wird es mir sagen.«

»Allah! Willst Du es fragen?«

»Auf jeden Fall.«

»Und es antwortet?«

»Klar und deutlich.«

»Grad wie die Eselin von Baalim! Welch' ein Wunder! Und an meine Wunder wollt Ihr nicht glauben!«

»Hier ist's kein Wunder, denn der Rappe antwortet mir nicht in meiner, sondern in seiner Sprache, wie Du sogleich sehen wirst. Paß auf!«

Das hatten wir natürlich leise gesprochen. Ich trieb mein Pferd einige Schritte vorwärts, und es gehorchte, ohne ein Zeichen des Widerstrebens zu geben. Auch nach links folgte es willig. Aber als ich es dann nach rechts leitete, schnaubte es abermals, spielte mit den Ohren und warf den Schwanz im Kreise.

»Siehst Du!« sagte ich zu dem Wirth. »Da rechts ist Jemand. Das hat der Rappe mir gesagt. Ich werde einmal nachsehen.«

In der sicheren Erwartung, einen Strolch zu erblicken, trieb ich den Rappen zwischen die Büsche hinein. Nach wenigen Schritten bereits sah ich den Mann, welchen mein Pferd gewittert hatte. Er trug die Kleidung und Bewaffnung eines Khawassen und lag ganz gemüthlich im weichen Gras und rauchte seinen Tschibuk. Seiner selbstzufriedenen Miene war es anzusehen, daß er mit Gott, mit der Welt und wohl auch mit sich selbst in der allerschönsten Freundschaft lebe. Selbst das so unerwartete Erscheinen von fünf berittenen Männern schien ihn nicht aus der Fassung zu bringen. Wir hatten ihn jedenfalls in einem sehr tiefen Kef gestört.

»Allah sei mit Dir!« grüßte ich ihn.

»Und mit Euch!« antwortete er.

Er sah nämlich auch die Andern, welche mir bis zu ihm gefolgt waren.

»Wer bist Du, Freund?« fragte ich.

»Siehst Du das nicht?«

»Ein Khawaß?«

»Ja, ein Polizist des Großherrn, dem die ganze Welt unterthan ist. Allah segne ihn!«

»Recht so! Dann fällt auch auf Dich ein Theil des Segens.«

»Aber spärlich! Und dieses Theilchen wird nicht einmal pünktlich ausgezahlt.«

»Wo bist Du angestellt?«

»In Ostromdscha.«

»Wie viele Kameraden hast Du dort?«

»Noch neun.«

»So seid Ihr zehn Khawassen. Habt Ihr viel zu thun?«

»Sehr viel. Die Menschheit ist schlecht. Die Thaten der Ungerechten lassen uns nie zur Ruhe und zum Schlaf kommen. Wir laufen Tag und Nacht, um das Verbrechen zu erreichen.«

»Ja, wir haben Dich eben während eines solchen Dauerlaufes überrascht.«

Er ließ sich durch diese Ironie nicht aus der Fassung bringen, sondern antwortete:

»Ich lief, daß ich schwitzte; allerdings nur in Gedanken. Die Gedanken sind schneller als die Füße des Menschen. Darum soll man lieber mit ihnen gehen, als mit den Beinen. Dann kann kein Verbrecher entkommen.«

»Das ist eine höchst vortreffliche Anschauung von Deinen Obliegenheiten.«

»Ja, ich nehme es stets ernst, denn das ist meine Pflicht.«

»Du liefst also soeben Jemandem nach?«

»Das that ich.«

»Wem denn?«

»Geht Dich das etwas an?«

»Nein.«

»Warum aber fragst Du?«

»Weil Du mir gefällst und weil Du ein Philosoph bist, von dem man lernen kann.«

»Ich weiß nicht genau, wer dieser Feïlessuf ist, aber ich muß ihn schon einmal gesehen haben. Aus Deinen Worten ist leicht zu errathen, daß er ein kluger und vortrefflicher Mensch ist, denn Du sagst, daß man von ihm lernen kann. Darum freut es mich, daß Du mir die Ehre erweisest, mich mit ihm zu vergleichen. Du hast feine Sitten und eine ganz vorzügliche Art des Lebens. Bist Du von hier?«

»Nein.«

»Woher denn?«

»Aus einem fernen Lande, welches weit im Westen von hier liegt.«

»Ah, ich kenne es! Es heißt India.«

»Du bist ein ausgezeichneter Geograph; aber ich habe geglaubt, daß Westen nach einer anderen Richtung liege.«

»Nein, Westen liegt in India. Das ist das einzige Land, wo Westen liegen kann; sonst gibt es nirgends Platz dafür. Aber wenn Du nicht von hier bist, so erfordert es meine Pflicht, Dich nach Deinem Paß zu fragen. Hast Du einen?«

»In der Tasche.«

»Zeige ihn mir!«

Da der Mann bei dieser Aufforderung ruhig liegen blieb und seine Pfeife weiter rauchte, so antwortete ich:

»Willst Du nicht herkommen, um ihn zu sehen?«

»Nein, das schickt sich nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich darf meine Würde nicht beleidigen.«

»Richtig! Ich die meinige aber auch nicht.«

»So fragt es sich, welche von beiden die größere ist. Jedenfalls die meinige.«

»Wie so?«

»Erstens bin ich Polizist, Du aber bist ein Fremder. Zweitens liegt Deine Heimat in einem ganz falschen Westen; also muß ich annehmen, daß bei Euch Alles falsch ist, auch die Pässe. Um mir aber einen falschen Paß anzusehen, erhebe ich keinen Finger, viel weniger mich selbst.«

Ich mußte laut auflachen.

»Du bist ein unvergleichlicher Beamter,« antwortete ich. »Deine Ansichten über Deine Obliegenheiten sind so vortrefflich, daß man meinen sollte, der Prophet habe sie Dir selbst diktirt.«

»Wenn Du das denkst, so steige also ab, und legitimiere Dich!«

Ich stieg auch wirklich ab, zog ein Silberstück hervor, reichte es ihm und sagte:

»Das ist mein Paß.«

Er betrachtete das Geldstück, machte ein freudig erstauntes Gesicht, nahm zum ersten Male die Pfeife aus dem Mund und rief:

»Ein Iki Tscheirek! Ist das wahr?«

»Du siehst es ja!«

»Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passirt, selbst in Stambul nicht. Herr, Deine Sitten sind noch viel feiner, als ich dachte. Du hast die höchste Stufe der Bildung erreicht, und alle Paradiese stehen Dir einst offen.«

»So meinst Du, daß dieser Paß gut sei?«

»Er ist sehr gut. Er ist nicht falsch, wie ich Anfangs befürchtete. Wollen sich Deine Gefährten nicht auch legitimiren?«

»Das ist doch nicht nöthig.«

»In wie fern denn?«

»Sieh Dir nur meinen Paß genauer an! Er ist für uns Alle ausgestellt.«

»Das ist nicht gut. Der Padischah sollte den Befehl ertheilen, daß ein jeder einzelne Fremde sich mit solchen Pässen zu legitimiren habe.«

»Vielleicht thut er es später. Du bist also in Istambul gewesen?«

»Mehrere Jahre.«

»Seit wann bist Du hier?«

»Seit zwei Wochen erst.«

»So ist es erklärlich, daß Du diesen meinen Begleiter nicht kennst, der aus der Umgegend ist.« Ich deutete dabei auf den Wirth. »Du siehst also, daß wir nicht Alle hier fremd sind. Willst Du uns nun erlauben, weiter zu reisen?«

Ganz entgegen meiner Frage hatte ich vielmehr die Absicht, noch zu bleiben. Er antwortete, wie ich erwartet hatte:

»Sehr gern. Aber wenn es Dir beliebt, kannst Du auch noch ein wenig bleiben. Ich unterhalte mich gern mit Leuten, deren Benehmen mich entzückt.«

»Ich bin über das Deinige nicht weniger erfreut. Darf ich vielleicht wissen, wer derjenige war, dem Du vorhin in Gedanken so eilfertig nachliefst?«

»Ich möchte Dir wohl den Gefallen thun, aber das Sprechen fällt mir sehr schwer.«

»Das bemerke ich nicht.«

»O doch! Wenn man in Gedanken so rennt, so geräth man in Schweiß, und die Lunge verliert den Athem. Hast Du nichts, was meine heiße Zunge kühlen könnte?«

Ich verstand ihn sehr wohl, fragte aber doch:

»Was wendest Du am liebsten an?«

»Kaltes Metall, zum Beispiel ein wenig Silber. Das kühlt ausgezeichnet.«

»Wie groß müßte es sein?«

»Ein Beschlik nur.«

»Da kann ich Dir leicht helfen. Hier ist eins!«

Ich zog ein Fünfpiasterstück hervor und gab es ihm. Er steckte es in die Tasche, anstatt es auf seine heiße Zunge zu legen, und sagte:

»Nun kann ich leichter reden, als vorher. Es ist das ein ganz eigenes Ding. Wer es nicht weiß, der kann es nicht verstehen. Wenn man Monate lang warten muß, ehe man seinen Sold erhält, so fällt einem das Leben und auch das Reden schwer, zumal wenn man solche Sprünge machen muß, wie ich. Ich habe nämlich nicht nur einen, sondern drei Verbrecher zu fangen.«

»Das ist viel verlangt!«

»So sehr viel, daß ich nun bereits seit heute früh hier liege und darüber nachdenke, wie ich es anfangen soll, um die Schurken zu bekommen. Ist das nicht schlimm?«

»Sehr!«

»Ich hoffe jedoch, daß mir dieser Tage ein guter Gedanke kommt.«

»Wird man aber nicht vermuthen, daß Du hinter den Verbrechern her seist?«

»Das bin ich doch auch!«

»Ja, in Gedanken! Aber man wird meinen, daß Du sie auch mit den Beinen verfolgst.«

»Nein, das denkt kein vernünftiger Mensch. Wenn ich nun seit heute früh ohne Rast gelaufen wäre, so wäre ich ermattet und abgehetzt und hätte die Verbrecher doch nicht erwischt. Lieber habe ich mich hierher gelegt und dann darüber nachgedacht, wie weit sie wohl bereits gekommen sein werden.«

»Weißt Du denn nicht, wohin sie geflohen sind?«

»Wer soll das wissen?«

»Nicht einmal die Richtung?«

»Es wurde gesagt, daß sie sich nach Doiran gewendet hätten. Wer aber klug genug ist, der sagt sich, daß sie es nicht verrathen werden, wohin sie sich nach vollbrachter That wenden werden.«

»Da hast Du vollkommen recht. Hat man Dir denn keine Anhaltspunkte gegeben?«

»O doch! Sie reiten auf Schimmeln und haben hundert Pfund nebst einigen Goldsachen gestohlen. Nun sinne ich eben darüber nach, wie ich mit Hülfe dieser Schimmel und dieser hundert Pfund zu den Spitzbuben kommen kann.«

Er sagte das mit so drolliger Selbstironie, daß ich beinahe laut aufgelacht hätte. Ich fragte weiter:

»So sind wohl alle Deine Kameraden ebenso wie Du beschäftigt, über diese Schimmel nachzudenken?«

»Das fällt ihnen nicht ein, denn sie wissen gar nichts davon.«

»Hat der Polizeipräfekt es ihnen nicht gesagt?«

»Nein.«

»Also hat er sie auch nicht den Dieben nachgeschickt?«

»Nein.«

»Das hätte er aber doch thun sollen!«

»Meinst Du? Er ist da ganz anderer Meinung. Er ließ mich kommen, weil ich nämlich sein bester und scharfsinnigster Spürer bin, und gab mir sechs Tage Zeit, über diese Angelegenheit nachzudenken. Ich aber hoffe, es eher fertig zu bringen. Darum habe ich mich in die Einsamkeit zurückgezogen und gehe nun ernstlich mit mir zu Rathe. Meine Kameraden haben nichts erfahren, weil überhaupt gar nichts davon verlauten soll. Wenn die Diebe erfahren, daß wir hinter ihnen her sind, so reißen sie immer weiter aus, und wir haben dann das Nachsehen.«

»Wenn sie aber bis dahin das Geld verbrauchen?«

»So ist es Allahs Wille gewesen, und kein kluger Mensch wird dagegen Einwendungen erheben.«

Ich hatte während meiner ganzen Unterredung mit ihm bemerkt, daß unser Wirth innerlich aufgeregt war. Er hatte die feste Überzeugung gehegt, der ganze vorhandene lebendige Polizeiapparat befinde sich auf den Beinen, um ihm wieder zu dem verlorenen Geld zu verhelfen. Nun aber mußte er zu seinem Erstaunen hier sehen und erfahren, daß nur ein einziger Khawaß unterrichtet worden war. Und dieser Einzige hatte sogar eine Frist von mehreren Tagen erhalten, nicht etwa um die Diebe herbei zu schaffen, sondern um über die Angelegenheit – nachzudenken.

Nun hatte dieser Eine sich in die Einsamkeit begeben und führte ein durch seinen Tschibuk versüßtes idyllisches Dasein. Er rannte, wie er sich behaglich ausdrückte, in Gedanken hinter den Dieben her.

Das war dem Bestohlenen zu viel. Er hatte sich mehrere Male an dem Gespräch betheiligen wollen, war aber durch meine bittenden Blicke und Winke daran verhindert worden. Jetzt konnte er jedoch seinen Zorn nicht länger meistern. Er sprang vom Pferd, trat zu dem noch immer am Boden liegenden und an seiner Pfeife saugenden Khawassen und rief:

»Was sagst Du? Allah hat es gewollt?«

»Ja,« antwortete der Gefragte ahnungslos.

»Daß das Geld verbraucht werde?«

»Wenn es verschwindet, so hat er es gewollt.«

»So! Schön! Prächtig! Das ist ja herrlich! Weißt Du denn, wo es gestohlen wurde?«

»In Dabila, glaube ich.«

»Das glaube ich auch. Und bei wem?«

»Bei einem Mann, welcher Ibarek heißt.«

»Kennst Du ihn?«

»Nein.«

»So sollst Du ihn kennen lernen!«

»Natürlich! Wenn ich ihm die Diebe bringe.«

»Nein! Gleich sofort sollst Du ihn kennen lernen! Schau mich an! Wer mag ich sein?«

»Das ist mir ganz gleichgültig. Und was geht Dich denn diese Sache an?«

»Viel, sogar sehr viel! Ich heiße Ibarek. Ich bin der Mann, welcher bestohlen worden ist!«

»Du?« fragte der Khawaß erstaunt, ohne sich nur um einen Zoll vom Platz zu rühren.

»Ja, ich!«

»Das ist gut! Das freut mich! Ich habe Dir etwas sehr Wichtiges zu sagen.«

»Was denn?«

»Thue in Zukunft Dein Geld niemals dahin, wo Diebe es finden können.«

»Maschallah! Welch' ein Mann! Welch ein Mensch! Effendi, was sagst Du dazu? Was soll ich thun?«

Diese zornige Frage wurde an mich gerichtet. Aber ich kam gar nicht zu einer Antwort. Mein kleiner Halef hatte sich nicht wenig über das Betragen und den Gleichmuth des Polizisten geärgert. So wenig ihn die Sache persönlich anging, so war er doch ein zu cholerischer Mensch, als daß er hätte ruhig zusehen können. Er war schon lange im Sattel hin und her gerückt. Jetzt aber schwang er sich heraus und herab und antwortete statt meiner:

»Was Du thun sollst? Das werde ich Dir gleich zeigen!«

Und hart an den Khawaß herantretend, schrie er ihn wüthend an:

»Weißt Du, wie man sich gegen einen fremden, vornehmen Effendi und seine Begleiter benimmt?«

»Das weiß ich ganz genau. Warum brüllst Du mich so an?«

»Weil Du es eben nicht weißt, und weil ich es Dir zeigen will. Augenblicklich stehst Du auf!«

Er sagte das in gebieterischem Ton. Das Sicherheitsorgan lächelte ihm verächtlich entgegen, schüttelte den Kopf und antwortete:

»Was sagst Du, kleiner Mann?«

Das war nun freilich die schlimmste Beleidigung für den kleinen Hadschi. Klein hatte er sich noch niemals ungestraft nennen lassen.

»Was bin ich?« fragte er wüthend. »Ein kleiner Mann? Ich werde Dir zeigen, wie hoch und lang ich bin, wenn meine Peitsche dazu gemessen wird. Steh auf, oder ich helfe nach!«

Er riß die Nilhautpeitsche aus dem Gürtel.

Jetzt wurde endlich der Gleichmuth des Khawassen in's Wanken gebracht. Er setzte sich auf, erhob drohend den Arm und warnte:

»Thu' die Peitsche weg! Das kann ich nicht vertragen, Zwerg!«

»Was? Auch ein Zwerg bin ich? O, der Zwerg wird Dir gleich beweisen, daß Du die Peitsche sehr gut vertragen kannst. Da – da – da – da – da – da – da – – –!«

Er hatte ausgeholt, und bei jedem >da< sauste die Peitsche auf den Rücken des Mannes nieder.

Dieser blieb noch einige Augenblicke sitzen, ganz erstarrt vor Erstaunen über die Kühnheit des Hadschi. Dann sprang er plötzlich auf, brüllte vor Wuth, wie ein Stier, und warf sich mit geballten Fäusten auf Halef.

Ich stand ganz ruhig dabei, mit dem Arm auf den Sattel meines Pferdes gelehnt. Der Khawaß war ein starker Mensch; aber es fiel mir gar nicht ein, meinem Hadschi zu Hülfe zu eilen. Ich kannte ihn zu genau. Nun er einmal die Angelegenheit in seine Hand oder vielmehr auf seine Peitsche genommen hatte, brachte er sie auch zu Ende. Jede Einmischung eines Andern, auch die meinige, hätte ihn beleidigt. Und daß er trotz seiner Kleinheit mehr Körperkraft und bedeutend mehr Gewandtheit als der Khawaß besaß, davon war ich überzeugt.

Dieser hatte sich zwar auf ihn werfen wollen, war aber bereits nach dem ersten Schritt zurückgetaumelt, denn der Kleine empfing ihn mit Kreuzhieben, welche sich so gedankenschnell folgten, daß die Peitsche, so zu sagen, eine Mauer bildete, durch welche der Feind unmöglich dringen konnte. Die Hiebe sausten hageldicht auf ihn herab: auf den Rücken, auf die Achseln, auf die Arme, an die Seiten und Hüften und Schenkel. Der Mann wurde förmlich von Hieben umsponnen. Und dabei hütete sich der Kleine weislich, das Gesicht, überhaupt den Kopf zu treffen.

Je weniger der Khawaß sich zu wehren vermochte, desto lauter wurde sein Geheul. Er stand endlich ganz still, nahm die Schläge bewegungslos hin und brüllte dabei, wie ein Tiger.

»So!« rief endlich Halef, indem er die Peitsche sinken ließ. »Jetzt hast Du die Bezahlung für den guten Rath, welchen Du vorhin dem Bestohlenen gegeben hast. Besitzest Du noch mehr Weisheit in Deinem Hirn, so laß sie getrost hören; der Lohn wird sofort folgen. Und willst Du mich noch einmal einen Zwerg nennen, so thue es nur bald. Ich habe grad noch übrige Zeit, die Auszahlung fortzusetzen!«

Der Khawaß antwortete nicht. Er wand sich unter den Schmerzen, welche er fühlte. Seine Blicke hingen voller Wuth an dem Kleinen. Nur einige unartikulirte Laute ließ er hören. Dann schien er sich plötzlich auf die vorhin von ihm erwähnte Würde seines Amtes und Standes zu besinnen. Er richtete sich hoch auf und rief:

»Mensch, Du mußt verrückt sein! Wie kannst Du einen Khawassen des Großherrn schlagen?«

»Sei still! Ich würde selbst den Großherrn durchprügeln, wenn er es wagte, sich so gegen uns zu benehmen, wie Du. Was bist Du denn eigentlich? Ein Soldat, ein Polizist, ein Diener jedes Unterthanen! Weiter bist Du nichts, gar nichts!«

Es hatte den Anschein, als ob er große Lust spüre, die Peitsche wieder in Bewegung zu setzen. Dazu wollte der Gezüchtigte es nicht kommen lassen und erwiederte:

»Immer Schimpf! Mich kannst Du nicht beleidigen. Unsere Instruktion gebietet uns, Nachsicht mit dem Volk zu haben, wenn – –«

»Mit welchem Volk?« unterbrach ihn der Hadschi. »Sind wir etwa Volk?«

»Was denn?«

»Was denn? Bist Du blind? Schau mich an! Ist es mir etwa nicht anzusehen, wer ich bin?«

»Ich sehe nichts!«

»So bist Du wirklich blind und dumm. Ich will Dir sagen, wer ich bin. Ich bin nämlich Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah! Wie aber ist Dein Name?«

»Ich heiße Selim.«

»Selim! Weiter nicht?«

»Wie soll ich sonst noch heißen? Selim genügt.«

»Selim genügt! Ja, Dir mag es genügen, Dir, der Du ein Khawaß bist und weiter nichts!«

Der Polizist wußte wohl schwerlich, daß die freien Araber die Gewohnheit haben, ihrem eigenen Namen die Namen ihrer Vorfahren beizufügen. Je länger dann so ein Name wird, desto größer ist der Stolz, mit welchem er von dem Betreffenden getragen wird.

»Meinst Du denn, daß ein Khawaß so ganz und gar nichts ist?« rief er nun.

»Schweig!« antwortete der Kleine. »Ein Khawaß, der nur Selim heißt, darf gar nichts sagen. Schau her, was für andere Leute hier stehen!«

Er deutete auf Omar und fuhr fort:

»Dieser ist Omar Saban If el Habadschi, Ben Abu Musa Dschafar es Sofi Otalan Ibn Avizenna Ali Nafis Abu Merwan el Hegali!«

Dann zeigte er auf Osco und sagte:

»Und dieser berühmte Krieger heißt Osco Obd el Latif Mefari Ben Mohammed Hassan el Dschaseris Ibn Wahab Alfirat Biruni el Seirafi! – Weißt Du es nun?«

Ich mußte mir Gewalt anthun, um ein schallendes Gelächter zu unterdrücken. Die Beiden hießen gar nicht so; aber um dem Khawassen zu imponiren, nannte der kleine Hadschi eine Menge von Namen und Ahnen her, von denen Osco und Omar während ihres ganzen Lebens keine Ahnung gehabt hatten.

Und das that er mit solchem Ernst, und die arabischen Namen schossen mit solcher Schnelligkeit und Geläufigkeit aus seinem Mund, daß der Polizist ganz starr da stand, als sei ein jeder Name eine Kugel, die ihn getroffen habe.

»So antworte doch!« rief Halef ganz erregt. »Hast Du die Sprache verloren, Du Menschenkind, das mit seinem einzigen Selim zufrieden ist? Hast Du denn keine weiteren Namen und hast Du keine Ahnen? Wie hieß Dein Vater und der Großvater Deines Vatersvaters? Haben sie keine Thaten gethan, oder sind sie Verbrecher und Feiglinge gewesen, daß Du Dich schämst, uns ihre Namen zu nennen? Oder wurdest Du vielleicht gar nicht geboren, sondern bist an einem trüben Tag aus einem Sytschan kapany geschlüpft. Blicke nur auf uns! Hier stehen Leute!«

Der Khawaß wußte noch immer nicht, was er eigentlich antworten sollte. Die Vorwürfe des Kleinen krachten nur so auf ihn nieder.

»Siehe Dir auch diesen an!« sagte Halef, auf seinen Wirth deutend. »Er ist kein Araber, sondern ein Türke, und doch heißt er nicht bloß Selim, sondern Ibarek el konakdschy, Ibarek, der Herbergsvater. Ihm sind hundert Pfund gestohlen worden. Was aber könnte denn Dir gestohlen werden, Dir, der Du gar nichts weiter besitzest, als den Namen Selim?«

»Oho!« antwortete endlich der mit solcher Verachtung behandelte Khawaß. »Ich bin auch kein Bettler. Ich habe mein Amt und – –«

»Amt! Sei still von Deinem Amt! Was das zu bedeuten hat, das haben wir gesehen. Dein Amt scheint zu sein, im Gras zu liegen und Allah die Tage und Wochen zu stehlen. Aber ich werde Bewegung in Euch Faullenzer bringen. Ich werde zum Präfekten gehen und ihn solch ein Quecksilber trinken lassen, daß er mit allen Fingern und Zehen zappeln soll! Ich befehle Dir, Dich sofort aufzumachen und nach der Stadt zu gehen. Wenn Du in einer halben Stunde nicht bei dem Präfekten bist, lasse ich Dich im tiefsten Wasser ersäufen und sodann noch obendrein mit einer Kanone erschießen. Wir brechen jetzt auf. Denke nicht, daß ich Dir den Befehl zum Spaß gegeben habe! Ich meine es ernst. Das wirst Du erfahren!«

Dem Khawassen blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen.

»Was?« stieß er hervor. »Einen Befehl willst Du mir ertheilen, Du?«

»Ja! Hast Du es denn nicht gehört?«

»Hast Du mir denn irgend Etwas zu befehlen?«

»Welch' eine Frage! Natürlich hast Du mir zu gehorchen. Du bist ja nur Selim der Namenlose, ich aber bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn –«

»Halt ein, halt ein!« unterbrach ihn der Khawaß, indem er sich beide Hände auf die Ohren legte. »Dein Name ist ja eine so lange Schlange, daß man befürchten muß, von ihr erdrückt zu werden. Ja, ich werde nach der Stadt gehen, sofort. Aber nicht, weil Du es mir befohlen hast, sondern um Dich bei dem Präfekten anzuzeigen. Du hast einen Diener des Großherrn geschlagen. Dafür sollst Du eine Strafe erleiden, wie hier noch Niemand bestraft worden ist.«

Er raffte seine Sachen von der Erde auf und verschwand hinter den Büschen. Fürchtete er einen neuen Ausbruch der Thatkraft meines kleinen Hadschi, oder dürstete er wirklich nach Rache für die empfangene Züchtigung? Wohl Beides.

»Da rennt er hin!« meinte Halef befriedigt. »Wie habe ich meine Sache gemacht, Sihdi?«

Er blickte mich an, als ob er eine Belobung erwartete. Statt deren aber empfing er eine sehr empfindliche Zurechtweisung.

»Schlecht, sehr schlecht hast Du sie gemacht. Du hast schon manche Dummheit begangen, noch niemals eine so große wie jetzt.«

»Sihdi, ist das Dein Ernst?«

»Ganz und gar.«

»Aber dieser Mensch hatte die Züchtigung gewiß verdient!«

»War es denn Deines Amtes, sie ihm zu geben?«

»Von wem sollte er sie sonst erhalten?«

»Von seinem Vorgesetzten.«

»O Allah! Wenn der ihn hätte prügeln sollen, so wären Beide ganz sicher dabei eingeschlafen. Nein, wer handeln will, der handle schnell! Dieser Mensch blieb vor uns liegen, als ob er der Urgroßvater des Großherrn sei, den alle gläubigen und ungläubigen Unterthanen ehren müssen. Dieses Vergnügen habe ich ihm nun gestört.«

»Ohne jedoch an die Folgen zu denken.«

»Welche Folgen sollen kommen? Wenn er uns bei dem Präfekten verklagt, so kann es sehr leicht geschehen, daß auch dieser meine Peitsche zu kosten bekommt.«

»Halef, nun ist's genug! Der Mann hatte eine Züchtigung verdient; das ist wahr. Du aber mußtest warten, was ich thun würde. Wir wissen nicht, welchen Gefahren wir überhaupt entgegen gehen, und da war es eine ganz unbegreifliche Unklugheit, uns noch überdies mit der Polizei zu verfeinden. Ich habe den Mann mit Spott behandelt. Das hättest auch Du thun sollen. Statt dessen hast Du ihn geschlagen. Ich habe es Dir nicht befohlen, darum werden mich die Folgen wenig kümmern. Mich geht die Sache gar nichts an. Sieh Du zu, wie Du den Kopf aus dem Wasser bringst!«

Ich stieg auf und ritt davon. Die Andern folgten kleinlaut. Am tiefsten ließ Halef den Kopf hängen. Es dämmerte immer heller in ihm die Ahnung, daß er uns einen sehr großen Schaden angestiftet haben könne.

Der Türke, welcher die meiste Ursache hatte, zornig zu sein, ritt schweigend an meiner Seite. Erst nach einer Weile erkundigte er sich:

»Effendi, können die Folgen wirklich schlimm für den Hadschi werden?«

»Natürlich!«

»Aber Du wirst ihm beistehen?«

»Nicht im Mindesten!« antwortete ich, da Halef hörte, was ich sagte. »Er hat sich des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und der Körperverletzung gegen einen kaiserlichen Polizei-Beamten schuldig gemacht. Ich kann ihn nicht retten, wenn sie ihn ergreifen.«

»So mag er fliehen!«

»Er mag thun oder lassen, was ihm beliebt. Er hat ohne meine Einwilligung gehandelt, wie ein kleiner Knabe, der unfähig ist, sich die Folgen seiner That zu überlegen. Sie mögen nun über ihn kommen. Ich kann ihm nicht helfen.«

Es wurde mir nicht leicht, diese harten Worte auszusprechen. Sie thaten mir vielleicht noch weher als dem kleinen Hadschi selbst; aber ich hielt es für nothwendig, ihm einmal einen solchen Verweis zu ertheilen.

Er war mir treu durch alle Gefahren gefolgt, und durch welche Gefahren! Wie oft hatte er sein Leben mit mir gewagt! Er hatte die Heimat verlassen, und was noch mehr war, auch Hanneh, die Blume der Frauen. Mein ganzes Herz war voll von Dankbarkeit gegen ihn. Aber er begann jetzt, unvorsichtig zu werden.

Daß uns so manches schlimme Wagniß gelungen war; daß wir das Glück gehabt hatten, uns stets selbst aus den bösesten Klemmen heraus zu arbeiten, das hatte sein Selbstvertrauen aufgebläht. Er glich einem kleinen, tapfern Hündchen, welches den Muth hat, selbst dem stärksten Leonberger an den Hals zu springen. Ein einziger Biß des Riesen aber würde es tödten. Und grad jetzt näherten wir uns dem gefährlichen Bereich der Skipetaren. Da war Vorsicht doppelt nöthig.

Im Stillen freute ich mich darüber, daß er den faulen Polizisten so wacker durchgebläut hatte, und ich war, was sich von selbst verstand, entschlossen, die Folgen von ihm abzulenken. Aber ich hielt es für gerathen, seiner Thatenlust und Thaten-Eiligkeit einen kleinen Dämpfer aufzusetzen.


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