Guy de Maupassant
Tag- und Nachtgeschichten
Guy de Maupassant

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Timbuctu

Der Boulevard, dieser Strom des Lebens, wimmelte von Menschen im Goldglanz der untergehenden Sonne. Der ganze Himmel war augenblendend purpurrot, und hinter der Madeleine warf eine riesige leuchtende Wolke einen flimmernden Strahlenregen auf die ganze Straße hinab, die wie vom Dunst eines Hochofens eingehüllt erschien.

Eine lustige Menge wallte auf und ab in diesem flammenden Nebel wie in einer himmlischen Wolke. Die Gesichter strahlten, die Cylinderhüte spiegelten und die schwarzen Röcke glänzten in purpurnem Schein; das Lackleder der Stiefel warf strahlenden Glanz auf den Asphalt der Bürgersteige.

Vor den Cafés saßen eine Menge Menschen und tranken glänzende farbige Getränke, die aussahen wie kostbare, in Krystall eingesetzte Edelsteine.

Mitten zwischen den Gästen, in leichten, dunkleren Anzügen, saßen zwei Offiziere in voller Uniform, und die Vorübergehenden mußten die Augen zukneifen, so glitzerte die Sonne auf dem Gold ihrer Röcke.

Sie plauderten vergnügt ohne besonderen Anlaß, im Strom dieses heiteren Lebens, in der Köstlichkeit dieses strahlenden Sommerabends, und betrachteten die Menschen, die vorübergingen, die langsam schlendernden Männer, die eilig trippelnden Frauen, deren Spur eine Wolke süßen, verwirrenden Duftes bezeichnete.

Plötzlich kam an ihnen ein riesiger Neger vorüber, schwarz gekleidet, wohlbeleibt, auf dessen heller Weste eine Menge Anhänger baumelten. Er sah sehr vergnügt aus, lachte die Vorübergehenden an, lachte den Zeitungsverkäufern zu, lachte in den strahlenden Himmel hinein, lachte auf ganz Paris.

Er war so groß, daß er alles überragte, und hinter ihm drehten sich die Menschen um, um ihn zu betrachten. Aber plötzlich gewahrte er die beiden Offiziere, drängte sich durch die Gäste, und sobald er vor ihrem Tisch stand, sah er sie strahlend, glückselig an, und seine Mundwinkel zogen sich breit bis zu den Ohren, daß man die weißen Zähne sah, hellleuchtend wie der Halbmond an einem dunklen Himmel.

Die beiden Männer waren erstaunt, betrachteten den schwarzen Riesen, ohne seine Heiterkeit zu verstehen, aber er rief mit einer Stimme, daß rundum alles lachte:

– Gute Tag! Gute Tag, Herr Leutnant!

Einer der Offiziere war Major, der andere Oberst. Der erste sagte:

– Ich kenne Sie nicht, ich weiß nicht, was Sie wünschen!

Der Neger antwortete:

– Ich liebe sehr Dich Leutnant Védié, belagert Bézi, viel Weintrauben gesucht ich!

Der Offizier war ganz erstaunt und betrachtete den Mann schärfer, suchte in seinen Erinnerungen und plötzlich rief er:

– Timbuctu Du?

Der Neger war glückselig, schlug sich auf den Schenkel, stieß einen seltsamen wilden Schrei aus und rief:

– Ja, ja, Herr Leutnant, erkennt Timbuctu o ja, gute Tag!

Der Major streckte ihm die Hand entgegen und lachte aus vollem Herzen. Da wurde Timbuctu ernst, und so schnell, daß der andere es nicht hindern konnte, küßte er dessen Hand nach Neger- und Araber-Art. Der Offizier sagte verlegen mit strengem Ausdruck:

– Timbuctu, wir sind nicht in Afrika, aber setz Dich mal her und erzähle mir, wie Du herkommst.

Timbuctu warf sich in die Brust und stammelte sich überstürzend, so schnell sprach er:

– Viele Geld gewonnen, viele Restaurant, gut Essen Preußen ich viel stehlen viel mehr französische Küche. Timbuctu Kaiser Koch 2000 Franki mich hahaha.

Und er wand sich vor Lachen und heulte vor Freude.

Doch der Offizier, der seine seltsame Sprechweise ganz gut verstand, sagte zu ihm, nachdem er noch ein paar Sachen gefragt hatte:

– Na, nun lebe wohl, Timbuctu. Auf Wiedersehen!

Der Neger erhob sich sofort, drückte diesmal die Hand, die der andere ihm reichte, lachte wieder und rief:

– Gute Abend! Gute Abend, Herr Leutnant!

Und er ging so fröhlich davon, daß er noch gestikulierte, als er sich entfernte, und die Leute ihn für verrückt hielten.

Der Oberst fragte:

– Was ist denn das für ein Kerl?

Der Major antwortete:

– Ein braver Kerl und ein guter Soldat. Ich will Ihnen erzählen, was ich von ihm weiß, komisch genug ist es.

*

Sie wissen, daß ich bei Beginn des 70er Krieges in Bézières, das der Neger Bézi nennt, eingeschlossen war. Wir waren nicht eigentlich belagert, sondern blockiert. Die preußischen Linien umgaben uns überall; sie beschossen uns nicht, aber allmählich hungerten sie uns aus.

Ich war damals Leutnant. Unsere Garnison war aus Truppen aller Art zusammengesetzt, Überreste von dezimierten Regimentern, Flüchtlingen, Marodeuren der verschiedenen Armeecorps, kurz, es war eigentlich alles da, sogar eines Abends kamen, kein Mensch wußte woher, elf Turcos an.

Sie waren am Stadtthor erschienen, ganz heruntergekommen, abgelumpt und besoffen. Man überwies sie mir. Ich erkannte bald, daß sie keiner Disziplin zugängig waren, immer auswärts und immer betrunken. Ich versuchte, sie in Arrest zu stecken, sogar ins Gefängnis, es half alles nichts; die Kerle verschwanden ganze Tage hindurch, als ob sie in die Erde versunken wären; dann kamen sie wieder, total betrunken. Sie hatten kein Geld, wo besoffen sie sich denn? Wie und wovon?

Das intriguierte mich bald sehr, umsomehr als diese Wilden mit ihrem ewigen Lachen und ihrer Art, wirklich wie große, mutwillige Kinder, mich einigermaßen interessierten.

Da entdeckte ich, daß sie dem größten unter ihnen, den Sie eben hier gesehen haben, blindlings gehorchten. Er beherrschte sie vollkommen; er leitete ihre geheimnisvollen Unternehmen.

Ich ließ ihn kommen und befragte ihn. Unsere Unterhaltung dauerte wohl drei Stunden, so schwer war es, das Kauderwelsch zu verstehen, aber der arme Deubel machte alle möglichen Versuche, um sich verständlich zu machen, erfand Worte, gestikulierte, schwitzte vor Anstrengung, wischte sich die Stirn, schwieg, redete dann wieder los, wenn er meinte ein neues Verständigungs-Mittel gefunden zu haben.

Ich erriet, daß er der Sohn irgend eines großen Häuptlings sein mußte, so einer Art König aus der Nähe von Timbuctu. Ich fragte nach seinen Namen, er antwortete so etwas wie:

Chevaharibuhalikbranafotapola. Mir schien es einfacher, ihn nach seinem Lande Timbuctu zu nennen, und acht Tage später nannte ihn die ganze Garnison nicht anders.

Aber wir starben vor Neugierde zu erfahren, wie es der afrikanische Prinz a. D. fertig kriegte, sich zu betrinken, und das entdeckte ich auf ganz seltsame Weise.

Eines Morgens war ich auf den Wällen und sah in die Ferne hinaus, da gewahrte ich in einem Weinberg etwas, das sich bewegte. Es war zur Zeit der Weinlese, die Weintrauben waren reif, aber daran dachte ich kaum, ich meinte vielmehr, ein Spion nähere sich der Stadt, und ich stellte sofort eine Patrouille zusammen, um den Kerl zu erwischen.

Ich übernahm die Führung, nachdem ich vom General die Erlaubnis erhalten. Aus drei verschiedenen Thoren hatte ich drei kleine Trupps ausfallen lassen, die sich in der Nähe des verdächtigen Weinberges treffen und ihn umzingeln sollten. Um dem Spion den Rückzug abzuschneiden, mußte das eine Detachement mindestens eine Stunde marschieren. Ein Mann, den ich als Beobachtungsposten auf der Mauer gelassen, gab mir ein Zeichen, ob der Mensch den Weinberg auch noch nicht verlassen hätte.

Wir gingen stillschweigend, kletterten, schlichen beinahe auf dem Bauche hin, endlich kamen wir an den bezeichneten Punkt. Plötzlich gebe ich meinen Soldaten ein Zeichen, sie stürzen sich in den Weinberg und finden Timbuctu, der auf allen Vieren zwischen den Stämmen hinkriecht und Weintrauben ißt, oder vielmehr verschlingt wie ein Hund, der sein Fressen hinunterwürgt, mit vollem Mund vom Weinstock selbst, indem er jedes Mal mit den Zähnen die Traube abreißt.

Ich wollte ihn aufstehen lassen, es ging nicht, und nun begriff ich, warum er auf Händen und Knieen rutschte. Sobald man ihn auf die Beine gestellt hatte, schwankte er, streckte die Arme aus und schlug der Länge nach hin. Er war so betrunken, wie ich noch nie einen Menschen gesehen habe.

Wir schleppten ihn in die Stadt. Den ganzen Weg über lachte er und schlug um sich mit Armen und Beinen. Das war also das ganze Wunder: Die Kerle besoffen sich am Stock selbst; wenn sie dann betrunken waren, daß sie sich nicht mehr regen konnten, schliefen sie, wo sie gerade lagen, ihren Rausch aus. Timbuctus Leidenschaft für den Weinberg überstieg aber alle Maße und alles für möglich gehaltene, er lebte förmlich dort.

*

Eines Abends rief man mich. Auf der Ebene sah man etwas, das sich uns näherte. Ich hatte meinen Feldstecher nicht bei mir und konnte nichts erkennen, es war wie eine große Schlange, die sich fortrollte.

Ich schickte ein paar Mann der seltsamen Karawane entgegen, die bald im Triumph einzog. Timbuctu und seine neun Begleiter trugen auf einer Art Altar, aus Feldstühlen gemacht, acht abgeschnittene, blutige, grinsende Köpfe; der zehnte Turco hielt ein Pferd am Schwanz, an den ein anderes gebunden war, und sechs andere Tiere folgten in gleicher Weise.

Ich erfuhr folgendes: Als die Afrikaner wieder in den Weinberg gegangen waren, hatten sie plötzlich ein preußisches Detachement entdeckt, das sich dem Dorf näherte. Statt zu fliehen, hatten sie sich versteckt und dann, als die Offiziere am Wirtshaus abgesessen, um sich zu erfrischen, hatten sich die elf Kerle auf sie gestürzt.

Die Ulanen, die sich angegriffen wähnten, waren geflohen; die Afrikaner töteten zwei Posten und den Oberst und fünf Offiziere seines Stabes.

An diesem Tage umarmte ich Timbuctu. Aber ich bemerkte, daß er sich kaum schleppen konnte. Ich meinte, er sei verwundet, doch er begann zu lachen und sagte:

– Ich müssen für die Land!

Timbuctu führte nämlich Krieg nicht der Ehre halber, sondern wegen des Gewinnes. Alles was er fand und was ihm irgend einen Wert zu haben schien, vor allen Dingen, was glänzte, steckte er in die Tasche.

So hatte er das Gold von den preußischen Uniformen abgetrennt, die Beschläge der Helme, die Knöpfe u. s. w., und alles in die Tasche gesteckt, die beinahe platzte. Täglich stopfte er dort hinein jeden glänzenden Gegenstand, der ihm unter die Augen kam, ein Geldstück oder ein Stück Metall, so daß er manchmal ganz verrückt aussah.

Alles das wollte er später in das Land der Strauße mitnehmen, und was hätte er anfangen sollen ohne seine Tasche? Aber jeden Morgen war seine Tasche leer; er mußte also ein Hauptmagazin haben, wo er alle seine Reichtümer aufstapelte, aber wo, konnte ich nicht entdecken.

Der General, dem Timbuctus That gemeldet worden war, ließ sofort die Körper der Enthaupteten, die im nächsten Orte lagen, beerdigen, damit man nicht etwa merken sollte, daß ihnen der Kopf abgesäbelt worden. Am nächsten Tage kehrten die Preußen dorthin zurück. Der Ortsvorstand und sieben der angesehensten Einwohner wurden standrechtlich erschossen, zur Strafe, weil sie die Anwesenheit der Deutschen uns verraten hätten.

*

Der Winter war eingebrochen, wir waren vollständig verzweifelt; täglich fanden jetzt Gefechte statt. Nur die acht Turcos (einer war getötet worden) blieben dick und fett, kräftig und immer kampfbereit. Timbuctu war sogar ganz wohlbeleibt, er sagte mir eines Tages:

– Du viel Hunger, ich gute Fleisch!

Und in der That brachte er mir ein ausgezeichnetes Filet, aber woher? Wir hatten keine Ochsen mehr, keine Schafe, keine Ziegen, keinen Esel, keine Schweine, es war sogar unmöglich, sich ein Pferd zu verschaffen.

Nachdem ich meinen Braten verzehrt, dachte ich über all dies nach. Da kam mir ein furchtbarer Gedanke: Diese Neger waren geboren nicht weit von dem Lande, wo man Menschenfleisch ißt! Und täglich fielen soviele Soldaten in den Kämpfen um die Stadt.

Ich fragte Timbuctu, aber er wollte nicht antworten. Ich bestand nun nicht weiter darauf, aber fortan nahm ich von ihm nichts mehr zu Essen an.

Er liebte mich. Eine Nacht überraschte unsere Feldwache ein Schneegestöber. Wir saßen am Boden: mitleidig betrachtete ich die armen Neger, die unter diesem weißen weichen Staub klapperten. Da ich tüchtig fror, begann ich zu husten. Da fühlte ich etwas um die Schultern wie eine große, weiche Decke. Es war Timbuctu's Mantel, den er mir um die Schultern hing.

Ich stand auf, gab ihm das Kleidungsstück zurück:

– Behalte Du's mein Junge, Du brauchst's nötiger als ich!

Er antwortete:

– Nein, Herr Leutnant, für Dir, ich nicht, ich heiß, heiß!

Und er betrachtete mich flehend. Ich antwortete:

– Also gehorche, behalte Deinen Mantel, ich befehle es Dir!

Da stand der Neger auf, zog seinen Säbel, den er scharf zu machen verstand wie eine Sense, und indem er mit der anderen Hand den großen Mantel, den ich nicht haben wollte, hielt, rief er:

–- Du nicht Mantel behalten, ich zerschneiden Mantel!

Er hätte es wirklich gethan, und ich gab nach.

*

Acht Tage darauf hatten wir kapituliert. Ein paar von uns hatten fliehen können, die anderen marschierten aus der Stadt in die Gefangenschaft der Sieger.

Ich begab mich zum Sammelplatz, da blieb ich ganz erstaunt vor einem riesigen, in weißes Leinen gekleideten Neger stehen, der einen Strohhut auf dem Kopf hatte, es war Timbuctu.

Er schien glückselig zu sein und lief, die Hände in den Taschen, vor einer kleinen Bude auf und ab, auf der als Aushängeschild zwei Teller und zwei Gläser prangten. Ich fragte ihn:

– Was treibst Du denn?

Er antwortete:

– Ich nicht fort, ich gut koch, haben Oberst essen gemacht in Allgier, ich essen Preuße, viel gestohlen, viel, viel.

Es waren zehn Grad Kälte; ich zitterte beim Anblick dieses Negers in seinem weißen Leinen-Anzuge. Da nahm er mich beim Arm und ließ mich eintreten.

Nun sah ich ein Riesenschild, das er vor die Thür hängen wollte, sobald wir abmarschiert wären, denn er schämte sich doch etwas, und ich las von der Hand irgend eines Mitschuldigen Folgendes geschrieben:

Militär-Restaurant des Herrn Timbuctu

Küchen-Chef Seiner Majestät des Kaisers.

Pariser Küche – Mäßige Preise.

Trotz der Verzweiflung, die ich im Herzen trug, konnte ich nicht anders, ich mußte lachen, und ich überließ meinen Neger seinem neuen Beruf, war das nicht besser, als ihn in die Gefangenschaft mitzunehmen?

Sie haben eben gesehen, daß es ihm geglückt ist, dem Kerl. Heute gehört Bézières Deutschland, aber das Restaurant Timbuctu ist der erste Schritt zur Revanche.


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