Guy de Maupassant
Tag- und Nachtgeschichten
Guy de Maupassant

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Rosa

Die beiden jungen Frauen ruhen wie begraben unter einer Blumendecke. Sie sitzen allein in dem kleinen Landauer, der wie ein gewaltiger Korb mit Blumensträußen beladen ist. Auf dem kleinen Rücksitz stehen zwei Körbchen mit weißem Satin überzogen, voll Veilchen aus Nizza, und über das Bärenfell, das der Damen Knie bedeckt, rieselt ein Regen herab von Rosen, Mimosen, Levkojen, Margueriten, Tuberosen und Orangenblüten, einzeln mit Seidenbändchen zusammengeknüpft. Die Blüten scheinen die beiden zarten Körper darunter ganz zu erdrücken, indem aus dem leuchtenden, duftenden Blumenbett nur ihre Schultern, die Arme und ein ganz kleines Stück der Taille hervorlugt, die eine blau, die andere lila.

An der Peitsche des Kutschers befindet sich ein Anemonen-Strauß, die Geschirre der Pferde sind mit Goldlack ausgeputzt, die Speichen der Räder mit Reseda geschmückt und an Stelle der Laternen stecken zwei riesige runde Bouquetts, als wären es die seltsamen Augen dieses blühenden rollenden Tieres.

Der Landauer fährt in schlankem Trabe die Straße von Antibes herab, vor ihm, hinter ihm, neben ihm eine Menge von blumengeschmückten Wagen voller Damen, die aus einem Meer von Veilchen hervorlugen.

Es ist Blumen-Korso in Cannes.

Nun kommen sie an den Boulevard de la Foncière, wo die Blumenschlacht stattfindet. Längs der riesigen Avenue rollt eine doppelte Reihe von blumengeschmückten Equipagen, wie ein endloses Band auf und ab.

Man wirft sich Blumen zu von einem zum andern, wie Kugeln durchsausen sie die Luft, treffen die frischen Gesichter, schweben empor und fallen dann in den Staub, aus dem sie eine Schar von Gassenjungen aufhebt.

Eine dichtgedrängte Menge auf den Bürgersteigen wird von Schutzleuten zu Pferde im Zaum gehalten, die brutal losreiten, wenn die Neugierigen zu Fuß sich vordrängen, als wollten sie diesen häßlichen Menschen nicht erlauben, sich mit den Reichen zu vermischen. Ruhig oder lärmend sieht die Menge zu.

In den Equipagen ruft man sich an, erkennt man sich, bewirft sich mit Rosen.

Ein Wagen voll hübscher Damen, alle in rot wie die Teufel, zieht das Auge an und bestrickt es. Ein Herr, der dem Bilde Heinrichs IV. ähnelt, wirft mit lachender Behaglichkeit ein riesiges Bouquett in die Luft hinaus, das, durch ein Gummiband gehalten, immer wieder zurückschnellt.

Wenn der Anprall der Blumen droht, verstecken die Damen ihr Gesicht, die Herren ducken den Kopf, aber das graziöse, schnelle Geschoß beschreibt nur einen Bogen und kehrt zu seinem Herrn zurück, der es sofort wieder einem andern geschickt zuwirft.

Die beiden jungen Frauen leeren mit vollen Händen ihr Arsenal und erhalten einen Hagel von Bouquetts. Dann, nachdem die Blumenschlacht vielleicht eine Stunde gedauert, sind sie ein wenig müde und befehlen dem Kutscher, längs des Meeres die Straße des Golf Juan hinunterzufahren.

Die Sonne verschwindet hinter l'Esterel, indem sie feuerumsprüht den Schattenriß der gezackten langen Bergkette schwarz abzeichnet. Das ruhige Meer dehnt sich blau und hell bis zum Horizont, wo es sich mit dem Himmel mischt. Und das Panzer-Geschwader, das mitten im Golf vor Anker liegt, sieht aus wie eine Herde gewaltiger Tiere, die bewegungslos auf dem Wasser ruhen, wie apokalyptische Ungeheuer, bucklig und gepanzert, mit dünnen Masten geschmückt wie mit Federn und mit Augen, die anfangen zu leuchten, wenn die Nacht hereinbricht.

Lässig blicken die beiden Frauen, unter dem schweren Pelz ausgestreckt, in die Weite; endlich sagt die eine:

– Ach, an so einem köstlichen Abend erscheint einem doch alles wundervoll. Nicht wahr, Margot?

Die andere antwortet:

– Ja, das ist herrlich, und doch fehlt einem immer etwas.

– Was denn? Ich fühle mich ganz glücklich, ich brauche nichts.

– O doch, Du denkst nur nicht daran. Wie wohlig wir uns auch immer fühlen mögen, immer möchten wir doch etwas mehr haben – etwas fürs Herz!

Die andere meint lächelnd:

– Ein wenig Liebe?

– Ja!

Sie schwiegen, starrten vor sich hin, dann sagte die eine, Margarete geheißen:

– Mir ist es, als könnte man das Leben ohne das nicht ertragen. Ich brauche Liebe, und wäre es die eines Hundes. Und Du kannst sagen, was Du willst, Simone, wir sind alle so!

– O, durchaus nicht, meine Liebe! Ich mag lieber garnicht geliebt sein, als von irgend einem Beliebigen. Glaubst Du, daß ich mich gern lieben lassen würde zum Beispiel von – – von – –

Sie suchte, wen sie nennen könnte, und ihr Auge lief über die weite Landschaft. Nachdem ihre Blicke den ganzen Horizont umkreist hatten, fielen sie auf die zwei blanken Knöpfe auf dem Rücken des Kutschers, und sie sagte lachend:

– Nun, zum Beispiel von meinem Kutscher!

Margot lächelte kaum und antwortete leise:

– Ich kann Dir die Versicherung geben, es ist riesig amüsant, wenn einen ein Diener liebt. Das ist mir schon zwei- oder dreimal passiert. Die machen Augen, das ist zum totlachen! Natürlich muß man umso strenger sein, je verliebter sie sind, und dann schmeißt man sie eines Tages hinaus unter irgend einem ersten besten Vorwand, sonst würde man sich ja lächerlich machen, wenn jemand davon etwas merkte.

Simone hörte zu, blickte starr vor sich hin, dann erklärte sie:

»Nein, allerdings, die Liebe eines Dieners würde mir nicht genügen. Erzähle mir doch einmal, wie Du das gemerkt hast, daß sie in Dich verliebt waren.«

»Gott, das merkte ich, wie man es bei anderen Männern merkt, nämlich sobald sie anfangen blödsinnig zu werden.«

»O, mir kommen sie garnicht so dumm vor, wenn sie mich lieben!«

»Meine Liebe, Idioten, sage ich Dir, sind sie. Kein Wort können sie mehr reden, keine Antwort geben, sie kapieren aber auch nichts, nichts mehr.«

»Aber nun sage mir mal, wie war Dir denn, wie Dich ein Diener liebte, warst Du erregt, oder geschmeichelt?«

»Erregt, nein! Geschmeichelt? Na ein bißchen! Man fühlt sich immer geschmeichelt, wenn ein Mann einem von Liebe redet, mag er nun sein wer er will.«

»An was merktest Du's denn?«

»Ich will Dir mal eine komische Geschichte erzählen, die mir passiert ist, paß mal auf, wie spaßig das ist und wie seltsam, was in so einem Falle in uns vorgeht.

Diesen Herbst vor vier Jahren hatte ich gerade keine Jungfer. Nacheinander habe ich fünf oder sechs gehabt, keine zu brauchen und ich verzweifelte fast daran, eine zu finden. Da las ich in den Stellen-Angeboten meiner Zeitung, ein junges Mädchen, die Nähen, Sticken und Frisieren könne, suche eine Stelle. Sie hätte die besten Zeugnisse und spräche außerdem englisch.

Ich schrieb an das Blatt, und am nächsten Tage stellte sich mir die Person vor. Sie war ziemlich groß, schlank, etwas bleich und war sehr verlegen. Sie hatte schöne schwarze Augen, einen guten Teint und gefiel mir sofort.

Ich fragte nach den Zeugnissen, sie gab mir ein englisches, denn sie hätte eben den Dienst der Lady Rymwell verlassen, bei der sie zehn Jahre gewesen. Das Zeugnis lautete dahin, das junge Mädchen verlasse den Dienst, um nach Frankreich zurückzukehren, und während des langen Dienstes könne man ihr nur ein einziges vorwerfen: etwas französische Koketterie.

Ich mußte lächeln über die prüde Wendung dieses englisches Satzes und nahm das Mädchen sofort. Sie trat bei mir an demselben Tage noch in Dienst. Sie hieß Rosa.

Nach vier Wochen war ich ganz glückselig über sie. Sie war wirklich ein Fund, eine Perle, eine Seltenheit. Sie wußte mit unglaublichem Geschmack zu frisieren, sie garnierte Spitzen auf einen Hut besser, als die erste Modistin, und sie konnte sogar schneidern.

Ich war ganz erstaunt über alles, was sie leistete, so war ich noch nie bedient worden. Sie zog mich schnell an, mit einer erstaunlich leichten Hand, nie fühlte ich ihre Finger auf meiner Haut, und nichts ist mir so fatal, wie wenn mich so ein Mädchen berührt.

Da wurde ich unendlich faul. So angenehm war es mir, mich anziehen zu lassen, vom Kopf bis zu den Füßen, vom Hemd bis zu den Handschuhen durch diese große, verlegene Person, die immer ein bißchen errötete und nie etwas sprach.

Nach dem Bad massierte sie mich und trocknete mich ab, während ich auf einem Sofa halb schlief. Ich betrachtete sie bald wirklich mehr wie eine etwas niedriger stehende Freundin, als wie einen Dienstboten.

Da wollte mich eines Morgens der Portier geheimnisvoll sprechen. Ich war erstaunt, ließ ihn eintreten. Er war ein zuverlässiger Mensch, ehemaliger Soldat, ein früherer Bursche meines Mannes.

Er schien ein wenig verlegen über das, was er mir zu sagen hatte. Endlich meinte er stotternd:

– Gnädige Frau, der Polizei-Wachtmeister ist unten.

Ich fragte kurz:

– Was will er denn?

– Er muß das Haus durchsuchen!

Nun, die Polizei ist gewiß von Nöten, aber ich hasse sie, ich finde, es ist nicht gerade ein anständiges Handwerk, und ich antwortete wütend und verletzt:

– Wozu denn durchsuchen? Auf welche Veranlassung? Der Mann darf nicht herein!

Der Portier antwortete:

– Er behauptet, ein Verbrecher wäre hier versteckt!

Nun hatte ich Angst und befahl, den Polizei- Wachtmeister sofort eintreten zu lassen, denn ich wollte näheres erfahren.

Es war ein ganz anständiger Mann mit der Ehrenlegion im Knopfloch. Er entschuldigte sich, stören zu müssen, erklärte aber, unter unseren Dienstboten befände sich ein Sträfling.

Ich war empört und antwortete, ich könne für all unsere Leute einstehen, und ging sie der Reihe nach durch.

– Der Portier Pierre Courtin ist früher Soldat gewesen.

– Der ist es nicht!

– Der Kutscher Francois Pingau aus der Champagne, ist der Sohn eines Bauern vom Gut meines Vaters.

– Ist es nicht!

– Der Stallbursche, auch aus der Champagne und gleichfalls der Sohn eines Bauern, den ich kenne. Dann der Diener, den Sie eben gesehen haben.

– Die sind es nicht!

– Sehen Sie, da werden Sie wohl einsehen, daß Sie sich irren.

– Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau, ich irre mich bestimmt nicht. Da es sich um einen gefährlichen Verbrecher handelt, so bitte ich, haben Sie die Liebeswürdigkeit und lassen Sie in meiner Gegenwart vor mir das gesamte Personal erscheinen.

Ich wehrte mich zuerst, dann gab ich nach und ließ die Leute heraufkommen, männliche wie weibliche Dienstboten.

Der Polizei-Wachtmeister überlief sie mit einem Blick und sagte:

– Es sind nicht alle!

– O bitte sehr, jetzt ist nur noch meine Jungfer übrig, ein junges Mädchen, das Sie doch nicht mit einem Verbrecher verwechseln können.

Er fragte:

– Kann ich sie auch sehen?

– Gewiß.

Ich klingelte Rosa, die sofort erschien; aber sobald sie eingetreten war, gab der Wachtmeister zwei Leuten, die ich nicht gesehen, die hinter der Portiere standen, ein Zeichen, sie warfen sich auf das Mädchen, packten ihre Hände und fesselten sie.

Ich stieß einen Wutschrei aus und wollte mich auf die Leute stürzen, meine Jungfer zu verteidigen. Aber der Wachtmeister rief:

– Das Mädchen, gnädige Frau, ist ein Mann und heißt Johann Nikolaus Lecapet, 1879 wegen Lustmordes zum Tode verurteilt; die Strafe wurde in lebenslängliches Zuchthaus umgewandelt, er ist vor vier Monaten ausgebrochen, und seitdem suchen wir ihn.

Ich fiel beinahe um; ich konnte es nicht glauben, aber der Wachtmeister sagte lächelnd:

– Ich kann Ihnen den Beweis liefern, er ist am rechten Arm tätowiert.

Der Ärmel wurde aufgeschlagen, es war so.

Der Vertreter der Polizei machte noch den zweifelhaften Scherz:

– Was das übrige anbetrifft, können Sie sich auch auf uns verlassen!

Und meine Jungfer wurde abgeführt.

Nun, Du kannst mir schon glauben, daß in mir nicht am meisten die Wut kochte, daß ich so betrogen und lächerlich gemacht war, nicht die Scham, ausgekleidet und angezogen, massiert und berührt worden zu sein von diesem Mann, sondern eine tiefe Demütigung. Ich fühlte mich gedemütigt als Frau, verstehst Du?

– Nein, nicht ganz!

– Nun, so denke nach. Der Kerl war wegen Lustmordes verurteilt worden. Nun ich dachte an die, die er vergewaltigt hatte, und das, weißt Du, das demütigte mich etwas. Na, verstehst Du nun?

Margot antwortete nicht, sie blickte vor sich hin mit starrem seltsamem Blick auf die beiden leuchtenden Knöpfe der Livrée und mit jenem Sphinxlächeln, das die Frauen manchmal an sich haben.


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