Guy de Maupassant
Tag- und Nachtgeschichten
Guy de Maupassant

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Das Geständnis

Strahlend liegt die Sonne auf den Feldern, die hüglig zwischen den Bäumen um die Gutshöfe herum sich breiten, und die verschiedenen Saaten: das gelbliche Korn, der hellgrüne Hafer, der dunkelgrüne Klee spannen einen großen, gestreiften, leis wogenden Mantel über den nackten Leib der Erde.

Dort drüben auf einer Bodenwelle weiden in einer unendlich langen Reihe die Kühe. Einzelne liegen, andere stehen, und mit ihren großen Augen blinzeln sie beim glühenden Sonnenlicht, muhen und fressen vom Kleefeld, das sich dehnt wie ein See.

Zwei Frauen, Mutter und Tochter, gehen wiegenden Schrittes, eine hinter der andern, auf einem schmalen Fußweg zwischen den Saatfeldern zu der Viehherde.

Sie tragen beide je zwei Zinkeimer, die ihnen an einem Tragegestell über den Schultern weit vom Leibe abhängen, und bei jedem Schritt, den sie thun, glitzert augenblendend das weiße Metall in der Sonne.

Sie sprechen nicht; sie gehen zur Melke. Nun sind sie da, setzen die Eimer nieder, nähern sich den beiden ersten Tieren und geben ihnen mit den Holzschuhen einen Tritt in die Seite, daß sie sich aufrichten. Das Tier erhebt sich langsam, erst auf den Vorderbeinen, dann streckt es sein breites Hinterteil, das noch gewaltiger erscheint durch das riesige goldbraune, hängende, fleischige Euter, und Mutter und Tochter Malivoire knien unter dem Leib der Kuh und ziehen mit kurzer, scharfer Bewegung das geblähte Euter herab, das bei jedem Druck einen feinen Milchstrahl in den Eimer spritzt. Der ein wenig gelbliche Schaum steigt darin bis zum Rand, und die beiden Frauen gehen die ganze Reihe hinab von Tier zu Tier.

Sobald sie eine Kuh gemolken haben, stecken sie den Strick ein Stück weiter ab, damit das Tier ein neues, noch nicht abgeweidetes Stück Grün findet. Dann gehen sie langsamer wieder davon unter der schweren Last der Milch, die Mutter voraus, die Tochter hinterdrein.

Aber die Tochter bleibt plötzlich stehen, läßt ihre Last herab, setzt sich und fängt an zu weinen. Mutter Malivoire hört nicht mehr hinter sich gehen, dreht sich um und bleibt erstaunt stehen.

– Was haste denne? fragte sie. Célestine, ihre Tochter, groß, rothaarig, mit rotverbrannten Wangen und Sommersprossen, aussehend, als wären ihr Funken auf das Gesicht gefallen, antwortete leise greinend, wie ein Kind, das man geschlagen hat:

– Nu kann ich meine Milch nich mehr schleppen!

Die Mutter blickte sie argwöhnisch an und fragte:

– Was haste denne?

Célestine antwortete, zwischen ihren beiden Eimern zu Boden gesunken, indem sie sich mit der Schürze die Augen wischte:

– Das ist so kullusal schwer, ich kann's nich ermachen!

Die Mutter fragte zum dritten Mal:

– Was haste denne?

Und die Tochter stöhnte:

– Ich gloobe fast, ich bin dicke.

Und sie schluchzte. Nun setzte die Alle ihrerseits ihre Last nieder, so auf den Mund geschlagen, daß sie keine Antwort mehr fand. Endlich stammelte sie:

– Du bist dicke, dummes Luder, ist denn das meeglich?

Die Malivoires waren reiche Bauersleute, wohlhabend, angesehen und von Einfluß. Célestine stammelte:

– Ich gloobs werklich!

Die erschrockene Alte sah ihre Tochter heulend vor sich sitzen und schrie nach ein paar Sekunden:

– Seit wann biste denn dicke? Wo haste denn das erwischt, Du altes Mensch?

Und Célestine flüsterte ganz gebrochen:

– Ich gloob in Polyts Wagen.

Die Alte suchte zu verstehen, zu erraten und herauszubekommen, wer ihrer Tochter das hatte anthun können. Nun, wenn es ein reicher Junge war, da wollte sie schon die Geschichte in Ordnung bringen; dann wäre es noch nicht so schlimm. Célestine war nicht die erste, der so was passierte. Aber doch ärgerte es sie angesichts ihrer Stellung in der Gegend und bei ihren Verhältnissen, und sie sagte:

– Wer hat's denn gemacht, Du Dreckliese?

Célestine war entschlossen, jetzt alles zu sagen, und stammelte:

– Ich gloob schon, 's is der Polyt gewesen.

Da stürzte sich die alte Malivoire voller Wut auf ihre Tochter und schlug so auf sie drein, daß sie ihre Mütze dabei verlor. Sie versetzte ihr einen Faustschlag nach dem andern auf den Kopf, den Rücken, überall hin, und Célestine, die jetzt der Länge nach zwischen ihren Eimern lag, die sie ein wenig schützten, versteckte nur etwas ihr Gesicht zwischen den Händen.

Alle Kühe hatten erstaunt aufgehört zu fressen, sahen sich um und blickten mit ihren großen Augen die beiden an; die letzte muhte, das Maul gegen die beiden Frauen ausgestreckt.

Nachdem die alte Malivoire auf ihre Tochter losgedroschen hatte, bis sie nicht mehr konnte, hielt sie außer Atem inne, und nachdem sie etwas wieder zur Vernunft gekommen, wollte sie klar sein über die Lage.

– Polyt war's, is so was meeglich? Wie haste denn so was machen kennen mit dem Postkutscher. Du bist wohl ganz von Gott verlassen! Mit so eenem Hungerleider fängst De an?

Célestine, die noch immer der Länge nach dalag, weinte in den Acker hinein:

– Davor brauchte ich doch den Wagen nich zu zahlen!

Und die alte Normännin begriff.

*

Allwöchentlich, Mittwoch und Sonnabend, trug Célestine die Erzeugnisse des Bauernhofes, Hühner, Milch und Eier zur Stadt. Um sieben Uhr früh ging sie, die beiden großen Körbe am Arm, in dem einen die Milch, in dem andern die Hühner, davon, und an der Straße erwartete sie den Postwagen nach Yvetot. Sie stellte ihre Körbe auf den Boden und setzte sich in den Graben, während die Hühner mit den kurzen, spitzen Schnäbeln und die Enten mit den breiten und platten die Köpfe durch die Gitterstäbe ihres Käfigs steckten und sich mit runden, dummen Augen erstaunt umsahen.

Bald kam der Marterwagen, eine Art gelben Koffers mit einer schwarzen Lederkappe darauf, beim Trabe der alten, weißen Schindmähre herangerollt, und Polyt, der Kutscher, ein dicker, ewig fröhlicher Kerl, wohlbeleibt trotz seiner jungen Jahre, durch die Sonne verbrannt, von Wind und Wetter fast schwarz, vom Regen durchnäßt, dem der Schnaps noch die letzte Färbung gegeben, sodaß Gesicht und Hals aussahen wie ein Ziegelstein, rief schon von weitem, während er mit der Peitsche knallte:

– Murjen, Freilein Célestine, wie geht Sie's?

Sie reichte ihm ihre Körbe, einen nach dem andern, er schob sie oben auf den Wagen, dann stieg sie hinein und hob das Bein hoch, um den Tritt zu erreichen und man sah dabei den blauen Strumpf auf ihrer dicken Wade, und jedesmal machte Polyt denselben Witz:

– Dürre sind Se nich geworden!

Und sie lachte; sie fand das furchtbar komisch.

Dann rief er:

– Hü, Liese!

Und das magere Pferd trabte davon. Dann zog Célestine aus der Tiefe ihrer Tasche ihr Portemonnaie, holte langsam zehn Sous daraus hervor, sechs Sous für sich und vier für die Körbe, und streckte sie Polyt über die Schulter entgegen. Der nahm sie mit den Worten:

– Na, es is nu mal heite so! Und er lachte aus vollem Halse und drehte sich um, um sie besser zu sehen. Es wurde ihr furchtbar sauer, ihm für jedesmal Fahren den halben Franken zu geben, und wenn sie keine einzelne Sous hatte, so wurde es ihr noch schwerer, sie konnte sich nicht entschließen, ein Silberstück herüberzureichen. Und eines Tages fragte sie, als sie zahlen sollte:

– Bei soner Kundin wie ich, kennten Se doch bloß 'n Sechser nehmen.

Er begann zu lachen:

– 'n Sechser, Kleene, mehr biste schon wert.

Sie bat:

– Das macht doch bloß zwee Franken weniger den Monat.

Er rief und schlug auf das Pferd:

– Na ich will mal gut sein, für eene kleene Gefälligkeet will ich's thun.

Sie fragte dumm:

– Was meenen Se?

Das machte ihm solchen Spaß, daß er vor Lachen den Husten bekam:

– Gefälligkeet, nur eene Gefälligkeet, weeß der Hohle, nur so zwischen Mann und Frau und ohne Musike!

Sie begriff, wurde rot und erklärte:

– Nee, so was liebe ich nich!

Aber er wurde nicht verlegen, sondern wiederholte, indem ihm die Geschichte immer mehr Spaß machte:

– Na De wirscht schon weech werden, wir wolln bloß 'n bißchen Mann und Frau spielen.

Und seitdem hatte er jedesmal angefangen zu fragen, wenn sie zahlen wollte:

– Nu, wie steht's heite?

Sie begann auch bald zu scherzen und antwortete:

– Heite nich, Herr Polyt, aber Sonnabend ganz sicher!

Und er rief und lachte dabei:

– Schön Kleene, also Sonnabend!

Aber sie überlegte, daß sie seit zwei Jahren, seitdem das spielte, achtundvierzig Franken Polyt bezahlt hatte, und auf dem Lande findet man achtundvierzig Franken nicht auf der Straße. Dann berechnete sie, daß in noch zwei Jahren bald hundert Franken bezahlt waren.

Und das berechnete sie so lange, bis eines Frühlingstags, als sie allein waren und er wieder wie gewöhnlich fragte:

– Nu, wie steht's heite?

Sie antwortete:

– Wie Se wollen, Herr Polyt.

Er war garnicht erstaunt, sondern kletterte über die Bank hinten in den Wagen hinein, indem er zufrieden brummte:

– Na ja, ich hab's ja gewußt.

Und der alte Schimmel trottete so langsam dahin, als ob er garnicht mehr vorwärts käme und hörte nicht auf die Stimme, die ab und zu aus der Tiefe des Wagens rief:

– Hü Liese! Hü Liese!

Drei Monate darauf merkte Célestine das Unglück.

*

Das alles hatte sie mit weinerlicher Stimme ihrer Mutter erzählt, und die Alte fragte, blaß vor Wut:

– Also was hat das nu gekostet bis jetzt?

Célestine antwortete:

– Vier Monate, nu doch ganz gewiß acht Franken.

Da erreichte die Wut der alten Bäuerin ihren Gipfelpunkt, sie warf sich wieder auf ihre Tochter und begann sie zu hauen, bis sie nicht mehr konnte. Endlich, als sie sich erhoben hatte, rief sie:

– Haste ihm denn nich gesagt, daß De dicke bist?

– Nee, noch nich!

– Warum haste's denn nich gesagt?

– Na, sonst hätt' er mich vielleicht wieder zahlen lassen.

Die Alte dachte nach, und dann nahm sie ihre Eimer auf:

– Vorwärts, steh uf, sieh zu, daß De mitkommst.

Dann meinte sie nach einem Augenblick Stillschweigen:

– Und Du wirscht es ihm noch nich sagen, solange er's nich merkt, daß mir noch sechs oder acht Franken profitieren thun!

Célestine hatte sich erhoben, sie weinte noch, ihre Mütze hatte sich verschoben, und mit schwerem Schritte setzte sie sich wieder in Gang und brummte:

– Nee Mutter, ich sage nischt!


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