Guy de Maupassant
Yvette und Anderes
Guy de Maupassant

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Im Frühling

Wenn die ersten schönen Tage erscheinen, wo die erwachende Erde sich in neues Grün kleidet, wo blumige Düfte unsere Sinne umschmeicheln und uns sozusagen bis zum Herzen dringen, dann ergreift uns ein dunkles Sehnen nach unnennbarem Glücke, ein Verlangen, hinauszustürmen auf's Geratewohl, und Abenteuer zu suchen, mit einem Wort: Frühlingsluft zu schlürfen.

Nachdem der harte Winter des verflossenen Jahres verflogen, ergriff mich eines Tages im Mai dieses Sehnen nach Wonne und Behagen, wie ein trunkener Taumel, wie das Überquellen eines gährenden Saftes.

Als ich am Morgen erwacht war, sah ich durch mein Fenster, wie über den Dächern der Nachbarhäuser der blaue Himmel im Glanze des Sonnenlichtes lachte. Die Kanarienvögel auf dem Fensterbrett trillerten ihr Liedchen, in allen Stuben und Kammern sangen die Dienstmädchen, ein fröhliches Gewimmel drang von der Strasse her zu mir herauf, und ich ging hinaus, ohne ein bestimmtes Ziel, festliche Stimmung im Herzen.

Überall, wohin das Auge blickte, traf man vergnügte Gesichter; ein Hauch innerer Glückseligkeit wehte in dem warmen Schimmer des wiederkehrenden Frühlings. Man hätte glauben sollen, eine Wolke von entfesselter Liebe sei über der Stadt gelagert; und die jungen Mädchen, welche zierlichen Schrittes in ihren Morgenkostümen an mir vorüberschritten und in deren Augen verborgene Liebesglut schimmerte, setzten mein Herz ganz in Flammen.

Ohne recht zu wissen, wie und warum, war ich schliesslich an's Ufer der Seine gelangt. Dampfboote glitten auf der Fahrt nach Suresnes vorüber und ihr Anblick erweckte plötzlich in mir das unwiderstehliche Verlangen, mich einmal nach Herzenslust im Walde zu ergehen.

Das Verdeck der »Mouche« wimmelte von Passagieren; denn der erste Sonnenstrahl lockt einen unweigerlich aus dem Hause und alles, was Leben hat, flutet heute auf den Dampfschiffen ab und zu unter behaglichem Geplauder mit dem Nachbarn oder der Nachbarin.

Ich hatte eine Nachbarin, eine kleine Arbeiterin ohne Zweifel, ganz mit dem echten Pariser Chik; ihr niedliches Köpfchen wies eine Fülle von blondem, an den Schläfen gelockten Haar auf. Diese Haare, die wie frisiertes Licht aussahen, fielen über die Ohren auf den Nacken herab, und tanzten im Winde; weiter unten wurden sie so fein wie ein Flaum, so leicht, so blond, dass man sie kaum noch sah. Aber zugleich spürte man ein unbezwingliches Verlangen, eine Flut von Küssen darauf zu pressen.

Unter meinem brennenden Blicke wandte sie mir unbewusst ihr Gesicht zu, senkte aber sofort ihre Augen, während um ihre Mundwinkel sich eine leichte Falte, wie ein halbentstehendes Lächeln, legte. Dabei entdeckte ich auch auf ihrer Oberlippe diesen duftigen weichen Flaum, den das Sonnenlicht ein wenig vergoldete.

Ruhig und schwer wälzte sich der Strom dahin. Ein warmer Frieden lag in der Luft und stille Lebenslust zitterte durch die Atmosphäre. Meine Nachbarin schlug die Augen wieder auf und diesesmal, als ich sie wieder beharrlich anstarrte, lächelte sie ganz entschieden. Sie sah reizend aus bei diesem Augenaufschlag, und in ihrem flüchtigen Blicke entdeckte ich tausend bis dahin mir fremde Dinge. Ich sah dort unbekannte Tiefen, den ganzen Reiz der Liebe, die ganze Poesie unserer Träume, das ganze Glück, nach dem wir unaufhörlich suchen. Ich fühlte ein unsinniges Verlangen die Arme zu öffnen, sie irgendwohin zu entführen, um ihr die süssen Töne der Liebe in's Ohr zu flüstern.

Im Begriff den Mund zu öffnen und sie anzureden, fühlte ich plötzlich einen leichten Schlag auf meine Schulter. Überrascht und unwillig sah ich auf und bemerkte vor mir einen Mann von gewöhnlichem Aussehen, weder jung noch alt, der mich mit melancholischem Blick betrachtete.

»Ich möchte ihnen etwas sagen,« bemerkte er.

»Es ist sehr wichtig,« fügte er hinzu, da er mir die Ungeduld am Gesichte ablesen mochte.

Ich stand auf und folgte ihm an's andere Ende des Schiffes.

»Mein Herr!« begann er wieder, »wenn der Winter mit seinen Frösten, mit Regen und Schnee, sich naht, so sagt Ihnen täglich der Arzt: ›Halten Sie sich die Füsse recht warm; hüten Sie sich vor Erkältungen, vor Schnupfen, Husten und Lungenentzündung.‹ Nun gut; Sie treffen allerhand Vorsichtsmassregeln, Sie tragen Flanell, dicke Überzieher, warme Schuhe und Anderes mehr; aber trotzdem bringen Sie mindestens zwei Monate der Zeit im Bette zu. Aber wenn der Frühling mit neuen Blüten und Blättern, mit seinen warmen und weichen Winden, mit jenem Duft der wiedererwachenden Natur sich naht, der Ihr Herz in Flammen setzt und sie ohne eine bestimmte Ursache zu zärtlichen Regungen treibt, dann sagt Ihnen Niemand: ›Freund, hüte Dich vor der Liebe! Sie lauert überall verborgen, sie hockt in allen Winkeln. Alle ihre Pfeile sind gespitzt, ihre Waffen geschärft, ihre List bereit. Hüte Dich vor der Liebe! . . . Ja hüte Dich vor ihr! Sie ist gefährlicher als Schnupfen, Husten oder Rheumatismus! Sie kennt kein Erbarmen und treibt Dich zu den grössten und unwiderruflichsten Tollheiten.‹ Ja, mein Herr, ich sage, die Regierung sollte jedes Jahr in grossen Lettern die Worte anschlagen lassen: ›Achtung vor dem Frühling! Bürger Frankreichs! Hütet Euch vor der Liebe!‹ ebenso gut wie man an die Hausthüren schreibt: ›Achtung! Frisch angestrichen!‹ Da nun die Regierung so etwas nicht macht, so trete ich an ihre Stelle und sage Ihnen: ›Hüten Sie sich vor der Liebe! sie ist im Begriff Sie anzustecken, und ich habe die Pflicht, Sie zu warnen, so gut, wie man in Russland jemanden warnt, der im Begriff ist, sich die Nase zu erfrieren.‹«

Ich stand ganz erstaunt vor diesem sonderbaren Kauz und sagte schliesslich mit abwehrender Miene:

»Sie scheinen sich eigentlich in Dinge zu mischen, mein Herr, die Sie garnichts angehen.«

Er machte eine ungeduldige Bewegung.

»Ach, mein Herr! mein lieber Herr!« sagte er »wenn ich bemerke, dass ein Mann sich in eine ihm fremde Gefahr stürzen wollte, sollte ich ihn dann umkommen lassen? Ich bitte Sie, hören Sie meine eigene Geschichte, und Sie werden begreifen, warum ich so zu Ihnen zu sprechen wage.

Es war voriges Jahres zur nämlichen Zeit. Ich muss Ihnen zunächst sagen, dass ich Beamter im Marine-Ministerium bin, wo unsere Chefs, die Kommissare, allen Ernstes ihre Stellung so auffassen, dass sie uns als Lasttiere behandeln. – Ja, wenn alle Chefs aus dem Civilstande wären. – Doch weiter: Ich konnte von meinem Bureau aus einen kleinen Streifen des blauen Himmels wahrnehmen, und es packte mich die Lust, mitten unter meinen staubigen Aktenbündel umherzutanzen.

Mein Wunsch nach Freiheit wuchs derartig, dass ich, trotz aller Scheu, es schliesslich wagte, meinen Chef aufzusuchen. Es war ein kleiner Tyrann, der aus dem Jähzorn nicht herauskam. Ich meldete mich krank. Er sah mir in's Gesicht und schrie:

›Ich glaube nichts dergleichen, mein Herr! Nun gut, gehen Sie! Aber denken Sie, dass ein Bureau mit ähnlichen Leuten, wie Sie, bestehen kann?‹

Ich ging indessen und begab mich an die Seine. Es war ein Wetter wie heute und benutzte ebenfalls die ›Mouche‹, um eine Fahrt nach Saint-Cloud zu machen.

Ach, mein Herr! hätte der Chef mir doch den Urlaub abgeschlagen!

Es war mir zu Mute, als lebte ich unter der Sonne neu auf. Ich begann alles zu lieben, das Schiff, den Fluss, die Bäume, die Häuser, meine Nachbarn, alles! Ich musste irgend etwas küssen, was es auch sein mochte. Das war die Liebe, die ihre Schlingen ausbreitete.

Beim Trocadero stieg plötzlich ein junges Mädchen mit einem kleinen Packet in der Hand, auf und setzte sich mir gegenüber.

Sie war hübsch, ja mein Herr! sie war sehr hübsch. Aber es ist merkwürdig wie viel besser einem die Weiber im Frühling gefallen, wenn das Wetter hübsch ist. Sie haben dann etwas Besonderes, einen Reiz ganz eigener Art. Es ist das ungefähr, wie wenn man auf ein Stück Käse einen Schluck guten Wein trinkt.

Ich sah sie an und sie schaute mich an – aber nur von Zeit zu Zeit, ganz wie ihre da. Nachdem wir uns so eine Weile gegenseitig betrachtet hatten, dachte ich, wir kennten uns nun hinreichend, um ein Gespräch anzuknüpfen, und ich begann die Unterhaltung, sie antwortete. Von Minute zu Minute wurde sie gesprächiger, und ich für meinen Teil wurde einfach wie ein Trunkener; das kann ich Ihnen versichern, mein Herr!

In Saint-Cloud, wo sie eine Bestellung abzuliefern hatte, stieg sie aus – ich natürlich mit ihr. Als sie wiederkam, fuhr das Dampfschiff gerade ab. Ich ging neben ihr her und wir sogen beide mit Behagen die frische, würzige Frühlingsluft ein.

›Ich glaube, im Walde würde es herrlich sein,‹ sagte ich.

›Ach ja!‹ antwortete sie.

›Hätten Sie nicht Lust einen Spaziergang dorthin zu machen, Fräulein?‹

Sie streifte mich von unten her mit einem raschen Blick, als wollte sie sich über meine Absichten vergewissern; dann willigte sie nach kurzem Zögern ein. Bald befanden wir uns unter den grünenden Bäumen. Noch lag hier und dort das fahle Laub des vergangenen Herbstes auf dem Boden, aber unter ihm sprosste duftiges Grün hervor, strahlend im zitternden Sonnenlichte, belebt von unzähligen kleinen und grossen Wesen, die sich im Rausche erwachender Frühlingslust tummelten, während der vielstimmige Gesang der Vögel die Luft erfüllte. Da begann meine Gefährtin, von Frühlingsduft und Waldwürze berauscht, in lustigen Sprüngen davonzulaufen, und ich folgte ihr scherzend indem ich ebenfalls ausgelassene Sprünge machte. Man wird zuweilen wieder zum Kinde, mein Herr!

Hierauf stimmte sie übermütig ein Liedchen an, Opern-Melodien, den Gesang der Musette! Wie poetisch klang es mir damals! . . . Ich weinte fast. Alle diese Scherze machten mich ganz toll damals. Nehmen Sie niemals eine Frau, die auf einer Landpartie singt, zumal wenn sie das Lied der Musette singt.

Bald wurde meine Gefährtin müde und setzte sich auf einen grünen Hügel. Ich liess mich zu ihren Füssen nieder und fasste ihre Hände, diese niedlichen kleinen Hände, die von Nadelstichen übersäet waren und deren Anblick mich ganz zärtlich stimmte. ›Das sind die heiligen Narben der Arbeit,‹ sagte ich bei mir. Ach, mein Herr! mein guter Herr! wissen Sie, was das bedeutet, die heiligen Narben der Arbeit? Das bedeutet das ganze Geklatsche des Arbeitssaales, die geflüsterten heimlichen Zweideutigkeiten, die Befleckung der Seele durch all die schmutzigen Geschichten, die Untergrabung der Keuschheit, die ganze Gemeinheit jenes Geschwätzes, das ganze Elend des täglichen Lebens, die ganze Beschränktheit des weiblichen Ideenganges, die auf jenen lastet, welche an den Fingerspitzen die heiligen Narben der Arbeit tragen.

Dann sahen wir uns lange in die Augen. Ach, dieses Auge des Weibes! Welche Macht liegt doch in ihm! Wie bethört, wie reizt, wie unterjocht und beherrscht es! Wie tief, wie unergründlich erscheint es, wie so voller Versprechen. Man nennt das: Auf dem Grund der Seele lesen! Ach, mein Herr! Welch ein Blödsinn! Könnte man dem Weibe in die Seele schauen, man wäre wahrhaftig vernünftiger.

Schliesslich war ich ganz in ihren Banden, ich war närrisch und wollte sie in meine Arme schliessen. ›Hände weg!‹ war ihre Antwort.

Ich kniete vor ihr nieder und schüttete ihr mein Herz aus; ich flüsterte in ihren Schoss alle Zärtlichkeiten, die ich empfand. Sie schien über den Wechsel meines Benehmens sehr erstaunt und sah mich mit einem versteckten Blick an, als spräche sie zu sich selbst:

›Aha! so muss man mit Dir spielen, mein Bester! Schön, wir werden ja sehen.‹

Sie wäre mein gewesen, ohne Zweifel; ich habe später meine Thorheit eingesehen; aber was ich damals suchte, war nicht sinnlicher Genuss, sondern etwas Idealeres: Mich verlangte nach Zärtlichkeit. Ich war sentimental, statt meine Zeit auf etwas Besseres zu verwenden.

Als sie an meinen Liebesbeteuerungen genug hatte, erhob sie sich, und wir begaben uns nach Saint-Cloud zurück; erst in Paris trennten wir uns. Seitdem wir uns auf dem Heimwege befanden, hatte sie eine so traurige Miene, dass ich nicht umhin konnte, sie um die Ursache zu befragen.

›Ich denke daran,‹ antwortete sie ›dass es nicht viele Tage im Leben giebt, so schön wie dieser.‹

Mein Herz pocht zum Zerspringen.

Ich sah sie am nächsten Sonntag wieder, und am folgenden gleichfalls und so fort alle Sonntage. Ich führte sie aus, nach Bougival, Saint-Germain, Maisons-Laffitte, Poissy überall hin, wo sich die Schäferstunden in der Umgebung der Stadt abzuspielen pflegen.

Die kleine Hexe ihrerseits verstand es trefflich, mich zur vollen Raserei zu treiben.

Ich verlor endlich den Kopf und drei Monate später war sie meine Frau.

Was wollen Sie, mein Herr; man ist Beamter, allein in der Welt, ohne Familie, ohne Beraten. Man bildet sich ein, das Leben mit einer Frau müsse paradiesisch sein. Und man heiratet drauf los!

Von da an werden Sie von früh bis Abend gequält und geärgert; die Frau hat für nichts ein Verständnis, weiss von nichts, plappert ohne Unterlass, singt bis zur Verzweiflung das Lied der Musette (Ach das Lied der Musette, welch eine Qual!) streitet sich mit dem Kohlenhändler, erzählt der Hausmeisterin alle Geheimnisse des Haushalts, vertraut dem Dienstmädchen des Nachbarn alle Vorgänge im Schlafzimmer an, stürzt den Gatten bei sämtlichen Lieferanten in Schulden, und hat den Kopf so voll Schrullen, voll blödsinnigen Ideen, haarsträubenden Ansichten, und albernen Vorurteilen, dass man vor Verzweiflung weinen könnte. Ja, mein Herr! Ich habe geweint, jedesmal schliesslich wenn ich mit ihr sprach.«

Er schwieg und schöpfte sichtlich erregt tief Atem. Ich sah ihn an voll Mitleid mit diesem armen harmlosen Teufel, und wollte ihm gerade etwas antworten, als das Dampfschiff anhielt. Wir waren in Saint Cloud.

Das junge Mädchen, dessen Anblick mich so erregt hatte, stand auf um abzusteigen. Sie ging nahe an mir vorüber und warf mir einen Blick zu, mit einem flüchtigen Lächeln, jenem Lächeln, das einen närrisch machen kann.

Ich wollte vorstürzen um ihr zu folgen; aber mein Begleiter hielt mich an der Hand fest. Mit einer heftigen Bewegung riss ich mich los. Da griff er mich an meine Rockschösse und zog mich zurück, wobei er immerfort rief: »Sie dürfen nicht gehen; Sie dürfen nicht!« und zwar mit so lauter Stimme, dass sich Alles nach uns umwandte.

Ein Gelächter erhob sich ringsum und ich stand festgewurzelt, wütend, aber mutlos gegenüber der Furcht vor dieser lächerlichen Szene.

Das Dampfschiff fuhr weiter.

Das junge Mädchen war auf der Landungsbrücke stehen geblieben und sah mit enttäuschter Miene, wie ich weiterfuhr. Mein Begleiter aber rieb sich vergnügt die Hände und flüsterte mir in's Ohr:

»Ich habe Ihnen wirklich einen trefflichen Dienst erwiesen. Lassen Sie es nur gut sein.«

*


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