Guy de Maupassant
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Guy de Maupassant

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Ein Abend

Der »Kléber« hatte gestoppt, und mit entzückten Augen betrachtete ich den wundervollen Golf von Bougie, der sich vor uns aufthat. Die kabylischen Wälder bedeckten die hohen Berge; in weiter Ferne bildete der gelbe Sand am Meer einen Saum wie aus Goldstaub, und die Sonne strahlte in Feuergluten auf die weißen Häuser der kleinen Stadt herab.

Der heiße Luftzug, der Atem Afrikas, wehte meinem freudigbewegten Herzen den Dunst der Wüste entgegen; den Dunst des großen geheimnisvollen Weltteils, in dessen Inneres der Mensch aus Norden kaum je eindringt. Seit drei Monaten irrte ich umher am Rande dieser dunkeln unbekannten Welt, an den Küsten dieses abenteuerlichen Erdteils, der Heimat des Straußes, des Kamels, der Gazelle, des Flußpferdes, des Gorilla, des Elefanten und des Negers. Ich hatte die Araber dahinjagen sehen, wie eine Fahne, die flattert, weht, vorüberfliegt und verschwindet. Ich hatte unter ihren braunen Zelten geschlafen, in den Vagabundenwohnungen dieser weißen Zugvögel der Wüste. Ich war trunken von Licht, von den Eindrücken dieser unendlichen Weite.

Jetzt nach der letzten Reise mußte ich fort, nach Frankreich zurück, Paris wiedersehen, die Stadt des unnützen Geschwätzes, der alltäglichen Betrachtungen, des unaufhörlichen Händeschüttelns. Ich mußte Abschied nehmen von all den liebgewonnenen Dingen, neu für mich, kaum kennen gelernt, und doch schon so vermißt.

Ein Menge Barken umschwirrten den Dampfer; ich sprang in eine hinein, die ein kleiner Neger ruderte, und bald stand ich auf dem Quai, nahe dem alten Sarazenenthor, dessen graue Ruine am Eingang der Kabylenstadt aussieht wie ein Wahrzeichen antiker Vornehmheit.

Als ich neben meiner Reisetasche am Hafen stand und hinüberschaute nach dem mächtigen Schiff, das auf der Rhede vor Anker lag, noch ganz benommen von Bewunderung über diese einzige Küste, vor diesem Felsengrund von hohen Bergen, bespült von blauen Wogen dieser Bucht, schöner als der Golf von Neapel, ebenso schön wie Ajaccio und Porto auf Corsica, legte sich mir eine Hand schwer auf die Schulter.

Ich wendete mich um und sah einen großen Mann mit langem Bart, einem Strohhut auf dem Kopf, in weißem Flanellanzug vor mir stehen, der mich mit seinen blauen Augen scharf anblickte.

– Sind wir nicht alte Schulfreunde? – sagte er.

– Das ist möglich. Wie heißen Sie?

– Trémoulin.

– Donnerwetter noch mal! Du warst ja mein Nachbar in der Schule.

– Siehst Du, Alter, ich habe Dich auf den ersten Blick wiedererkannt. – Und der lange Bart streifte im Kuß meine Wange.

Er erschien so befriedigt, so heiter, so glücklich, mich zu sehen, daß ich in plötzlicher freundschaftlicher Wallung kräftig die Hand dieses alten Kameraden drückte und selbst Genugthuung empfand, ihn wiedergefunden zu haben.

Trémoulin war vier Jahr hindurch mein intimster Freund gewesen, der liebste meiner Studiengenossen, die wir so schnell vergessen, wenn wir einmal die Schule verlassen haben. Damals schien auf dem langen hageren Leib ein zu schwerer Kopf zu sitzen, ein dicker, runder, lastender Schädel, der bald rechts, bald links auf dem Halse lag und für die schmale Brust dieses großen langbeinigen Pennälers viel zu schwer erschien.

Er war sehr klug, von fabelhaft leichter Fassungsgabe, geistig unendlich schmiegsam, von natürlicher Begabung für alle litterarischen Studien, und war so immer der Erste in der Klasse gewesen.

Auf der Schule war man überzeugt, er würde ein berühmter Mann werden, jedenfalls ein Dichter, denn er machte Verse und hatte eine Menge sentimentaler Ideen. Sein Vater, ein Apotheker im Pantheonviertel, galt nicht für besonders wohlhabend.

Ich hatte ihn kurz nach dem Abiturientenexamen aus den Augen verloren.

– Was machst Du denn hier? – fragte ich.

Er antwortete lächelnd:

– Ich bin Pflanzer.

– Aber nein! . . . . Du pflanzest?

– Und ernte.

– Was denn?

– Trauben, aus denen ich Wein mache.

– Und geht es denn?

– Es geht sehr gut.

– Desto besser, mein Alter.

– Wolltest Du ins Hotel gehen?

– Natürlich.

– Nun, weißt Du was, Du wohnst bei mir.

– Aber . . .

– Das ist doch selbstverständlich.

Und er sagte dem Negerknaben, der jede unserer Bewegungen beobachtet hatte:

– Zu mir, Ali.

Ali antwortete:

– Jawohl, Herr.

Dann rannte er, meine Tasche auf der Schulter, davon, und seine schwarzen Füße wirbelten den Staub auf.

Trémoulin nahm mich beim Arm und führte mich fort. Zuerst fragte er mich nach meiner Reise, wollte meine Eindrücke wissen und da er meine Begeisterung sah, schien er mich doppelt in sein Herz zu schließen.

Seine Wohnung war ein altes maurisches Haus mit Innenhof, ohne Fenster nach der Straße, von einer Terrasse überragt, die freien Ausblick hatte über die Nachbarhäuser, den Golf, die Wälder, das Meer.

Ich rief:

– O, das liebe ich! Hier lacht mir der ganze Orient ins Herz. Gott, kannst Du glücklich sein, hier zu leben! Müssen die Nächte schön sein auf Deiner Terrasse! Schläfst Du hier?

– Ja, im Sommer schlafe ich hier. Wir steigen heute abend hinauf. – Fischst Du gern?

– Ja. Was denn?

– Nachts mit der Fackel.

– O, dafür schwärme ich ja!

– Nun, dann fischen wir nach Tisch. Und später trinken wir noch auf meinem Dach ein Gläschen Sorbet.

Nachdem ich ein Bad genommen hatte, zeigte er mir die reizende kabylische Stadt, deren weiße Häuser sich wie ein Wasserfall zum Meere senkten. Und dann, als es Abend wurde, kehrten wir heim und gingen nach einem wundervollen Diner an den Quai.

Man sah nichts mehr als die erleuchteten Straßen, das Licht der Sterne, jener großen, leuchtenden, glitzernden Sterne des afrikanischen Himmels.

Im Hafen wartete eine Barke und sobald wir darin saßen, begann ein Mann, dessen Gesicht ich nicht hatte erkennen können, zu rudern, während mein Freund die Kohlenpfannen in Ordnung brachte, die er nachher anstecken wollte. Er sagte zu mir:

– Paß mal auf, ich werde die Harpune führen. Darin habe ich was los.

– Meinen Glückwunsch.

Wir waren um eine Art Mole herumgefahren und befanden uns in einer kleinen Bucht, von hohen Felsen umstanden, deren Spiegelbild wie ins Wasser hinuntergebaute Türme aussah. Und ich bemerkte plötzlich, daß das Meer leuchtete. Die Ruder, die langsam regelmäßig hineintauchten, erregten bei jedem Schlage ein lebhaftes, eigenartiges Leuchten, das noch eine Weile hinter uns herzog, und dann erlosch. Ich beugte mich über Bord und sah jenem Strom von fahler Glut nach, den die Ruder zerschnitten, jenes unerklärliche Meeresleuchten, jenes kalte Feuer, das jede Bewegung entfacht und das wieder erstirbt, sobald sich die Flut ebnet. In der Dunkelheit glitten wir drei auf dieser Feuerbahn hin.

Wohin? Ich sah nichts von meinem Nachbar. Ich sah nur die leuchtenden Wellen und die Wasserfunken, die von den Rudern tropften. Es war warm, sehr warm; das Dunkel schien wie von einem Hochofen geheizt. Und mir war ganz wundersam zu Sinn bei dieser geheimnisvollen Reise mit den beiden Männern in der schweigenden Barke.

In der Ferne bellten Hunde, jene mageren arabischen Hunde, rothaarig, mit spitzer Schnauze und leuchtenden Augen. Sie heulten wie jede Nacht in diesem weiten Land vom Meeresufer bis tief in die Wüsten hinein, wo die Nomadenstämme wohnen; Füchse, Schakale, Hyänen antworteten, und nicht weit entfernt, brüllte irgendwo ein einsamer Löwe in einer Schlucht des Atlas.

Plötzlich hielt der Ruderer inne. Wo waren wir? Neben mir knirschte es leise: ein Streichholz wurde angezündet und ich sah eine Hand, nur eine Hand, das kleine Flämmchen an den Eisenkorb führen, der am Bug des Schiffes hing, mit Holz gefüllt wie ein schwimmender Scheiterhaufen.

Erstaunt starrte ich hin, als ob dieser Anblick neu und aufregend für mich gewesen wäre, und gespannt folgte ich der kleinen Flamme, die am Rand des Scheiterhaufens eine Handvoll dürrer Äste erfaßte, die anfingen zu knacken.

Da flackerte in der totenstillen Nacht, in der schweren, heißen Nacht ein helles, klares Feuer auf und bestrahlte in der Dunkelheit, die schwer auf uns lastete, die Barke und die zwei Männer: einen alten, hageren Matrosen, weiß, runzelig, ein Taschentuch um den Kopf geknotet und Trémoulin, dessen blonder Bart leuchtete.

– Vorwärts! – sagte er. Der andere ruderte, brachte das Schiff in Gang, beim Erglänzen eines Meteors, unter dem dunklen beweglichen Himmels-Dom, der mit uns glitt. Trémoulin warf unausgesetzt Holz in die Glut, die in roten Flammen aufleuchtete.

Ich beugte mich wieder über Bord und sah den Meeresgrund. Ein paar Fuß unter dem Boot glitt er vorbei; und langsam, wie wir darüberhinfuhren, offenbarte sich uns das Leben unter Wasser, des Wassers das wie die Luft Pflanzen und Tiere belebt. Das Feuerbecken warf bis an die Felsen seinen hellen Schein, und wir glitten über Wälder von seltsamen dunkelroten, rosa, grünen, gelben Gräsern dahin. Zwischen ihnen und uns lag ein durchsichtiger, flüssiger Spiegel, fast unsichtbar, und gab ihnen einen feenhaften Schein, rückte sie in das Reich der Träume, die des Oceans Tiefen wecken. Diese helle, klare Flut, die man kaum ahnt nurmehr errät, schob zwischen diese seltsamen Pflanzen und uns etwas Sinnverwirrendes: den Zweifel an der Wirklichkeit und gab ihm den geheimnisvollen Zauber unsere Träume.

Manchmal wuchsen die Gräser bis zur Oberfläche empor, wie loses Haar, das kaum hin und her bewegt ward durch das leise Darübergleiten der Barke.

Dazwischen hindurch schossen und flohen Silberfische, – man sah sie nur eine Sekunde und sie verschwanden. Andere wieder hingen, noch im Schlaf, matt zwischen den unterseeischen Wäldern, leuchtend, flüchtig, unfaßbar. Oft lief eine Krabbe in ein Loch, um sich zu verbergen, oder eine bläuliche, glasige, kaum erkennbare Meduse von bleicher Azurfarbe, wahrlich eine Blume des Meeres, ließ ihren flüssigen Quallenleib in der leisen Strömung unseres Bootes spielen. Dann verschwand der Grund plötzlich, fiel tief hinab, entsank ganz weit und verschwamm in dickem Nebel. Nun erkannte man nur unbestimmte, mächtige Felsen und dunkles Seegras kaum durch die Flammen des Feuerbeckens erhellt.

Trémoulin stand am Bug, vornübergebeugt, den langen Dreizack mit scharfen Stacheln, die Harpune in der Hand, bespähte die Felsen, die Gräser, den wechselnden Meeresboden mit dem funkelnden Auge eines beutegierigen Tieres.

Plötzlich ließ er mit kurzer, elastischer Bewegung die gabelförmige Spitze ins Wasser gleiten, schleuderte sie dann fort, mit solcher Sicherheit, daß sie einen großen Fisch, der vor uns floh, im Schwunge traf.

Ich hatte nur Trémoulins Bewegung gesehen, aber ich hörte, wie er vor Freude grunzte, und als er seine Harpune in den hellen Lichtkreis des Feuers hob, sah ich ein Tier an den Eisenzähnen zappeln. Es war ein Seeaal. Mein Freund betrachtete ihn und zeigte ihn mir, indem er ihn unter die Flamme hielt, und warf ihn dann auf den Boden des Bootes. Die Seeschlange, den Leib von fünf Löchern durchbohrt, wand sich, berührte meine Füße, suchte irgend ein Loch, um zu entfliehen und verkroch sich, als sie zwischen den Hölzern des Botes eine kleine Lache von Brackwasser gefunden, hinein, und rollte sich, beinah schon tot, zusammen.

Nun erbeutete Trémoulin von Minute zu Minute mit erstaunlicher Geschicklichkeit, schnell wie der Blitz, mit wunderbarer Sicherheit all die seltsamen Bewohner des Salzwassers. Nach einander sah ich unter dem Feuer vorübergereicht werden, mit letzten Todeszuckungen: silberglänzende Wolfsbarsche, dunkle, blutgesprenkelte Muränen, Drachenköpfe mit gesträubten Stacheln, dann Tintenfische, wunderliche Tiere, die Tinte ausspritzten und um das Schiff herum ein paar Augenblicke hindurch das Meer dunkel färbten.

Dabei glaubte ich unausgesetzt ringsherum Vogelschreie durch die Nacht zu hören; ich schärfte die Augen und bemühte mich, zu entdecken, woher diese schrillen Pfiffe kamen: bald nah, bald fern, kurz oder lang gedehnt; zahllos, ununterbrochen, als zöge ein Schwarm Vögel über uns dahin, wahrscheinlich durch das Feuer angelockt. Manchmal war es aber wieder wie eine Gehörstäuschung, als käme der Lärm aus dem Wasser.

Ich fragte:

– Was pfeift denn so?

– Das sind die Kohlen die in's Wasser fallen.

Und wirklich, es war der Scheiterhaufen, der einen Funkenregen auf das Meer streute. Glühend oder noch hell brennend, fielen sie herab und erloschen mit leisen oder durchdringendem Klagelaut, ganz merkwürdig anzuhören: manchmal leises Zwitschern, dann wieder wie kurzer Schrei eines Wandervogels der vorüberzieht. Harztropfen pfiffen wie Kugeln oder summten wie Hornisse und erloschen sofort, wenn sie ins Wasser fielen. Es war wirklich wie Stimmen lebendiger Wesen, ein seltsames, unerklärliches leises Geräusch, das in der Dunkelheit dicht bei uns klang.

Plötzlich rief Trémoulin:

– So ein Beest!

Er warf seine Harpune und als er sie herauszog, sah ich etwas wie einen großen, rötlichen Fleischlappen, der sich um die Zähne des Dreizacks gewickelt hatte und am Holz klebte, zappelnd, sich hin und herbewegen, lange, weiche, starke Fühlarme auf- und zurollend, die mit Saugöffnungen bedeckt waren und sich um den Stiel der Waffe wanden. Es war ein achtarmiger Tintenfisch.

Er hielt mir seine Beute hin, und ich unterschied die beiden großen Augen des Ungetüms, die mich anglotzten. Herausstehende Augen, fürchterlich dreinschauend, aus einer sackartigen Vertiefung, welche einer Beule glich. Das Tier glaubte losgekommen zu sein und streckte langsam seine Fangarme vor, deren weiße Saugnäpfe mir entgegen tasteten. Die Spitze war fein, dünn wie ein Faden, und sobald sich einer dieser gierigen Fühler am Schiffsrand festgesogen hatte, stieg ein neues auf, entrollte sich und folgte dem Ersten. Man fühlte in diesem weichen muskulösen Körper, in diesen lebendigen rötlichen, welken Schröpfköpfen, eine unwiderstehliche Kraft. Trémoulin hatte sein Messer aufgeklappt und stieß es kurz dem Tier zwischen die beiden Augen.

Man hörte einen Seufzer, wie Luft die ausströmt, und der Polyp hörte auf sich zu bewegen.

Und doch war er nicht tot, denn diese nervösen Körper haben ein zähes Leben. Aber seine Kraft war zerstört, die Luftpumpe geplatzt, er konnte kein Blut mehr trinken, und die Krusten der Krabben nicht mehr ansaugen und leeren.

Nun löste Trémoulin, als wollte er mit dem sterbenden Tier spielen, die kraftlosen Saugarme von den Schiffsplanken und plötzlich packte ihn die Wut und er rief:

– Warte mal, ich will Dir die Pfoten wärmen!

Er spießte das Thier nochmals mit dem Dreizack auf, hob es wieder hoch und hielt die feinen Saugnäpfe der Glieder des Seeungeheuers an das rotglühende Eisen des Feuerbeckens.

Sie ringelten sich hin und her in der Glut bis sie platzten. Die Qual des gräßlichen Tieres that mir weh bis in die Fingerspitzen hinein.

– Thu das nicht! – schrie ich.

Er antwortete ganz ruhig:

– Es geschieht ihm ganz recht!

Dann warf er ihn ins Boot, den geplatzten, verstümmelten Polypen der zwischen meinen Füßen hinkroch bis zu der Wasserlache am Boden, wo er sich mitten unter den toten Fischen zusammenrollte, um zu sterben.

Unser Fischzug dauerte noch lange, bis endlich das Holz ausging.

Als nicht mehr genug da war, um das Feuer zu unterhalten, warf Trémoulin die ganze Glut ins Wasser. Und die Nacht, die um uns durch die leuchtenden Flammen vertrieben gewesen, fiel nun auf uns nieder und begrub uns wieder ganz in ihrer Dunkelheit.

Der Alte begann langsam mit regelmäßigen Ruderschlägen zu rudern. Wo war der Hafen, wo das Land? Wo der Eingang zum Golf, wo die offene See? Ich ahnte es nicht. Der Polyp zuckte noch zu meinen Füßen; mir thaten förmlich die Nägel weh, als wären auch mir die Fingerspitzen verbrannt worden.

Plötzlich gewahrte ich Lichter; wir kehrten in den Hafen zurück.

– Bist Du müde? – fragte mein Freund.

– Nein, gar nicht!

– Komm, wir wollen auf meinem Dach noch ein bißchen schwatzen.

– Sehr gern.

In dem Augenblick, als wir auf die Terrasse traten, sah ich den Mond hinter den Bergen aufgehen. In langsamen Stößen blies der warme Luftzug daher, trug leichte kaum zu unterscheidende Wohlgerüche mit sich, als ob er auf seinem Wege die Düfte der Gärten und der Städte all jener sonnenglühenden Länder in sich aufgenommen hätte.

Rings um uns herum zogen sich weiße Häuser mit viereckigen platten Dächern bis zum Meer hinab. Und auf all diesen Dächern gewahrte man, liegend oder stehend, menschliche Gestalten, die schliefen oder träumten unter den Gestirnen, ganze Familien, in lange Flanell-Gewänder gewickelt, die sich in der milden Nacht erholten von der Hitze des Tages.

Da war es mir plötzlich, als erfaßte ich die Seele des Orients, die Seele, so voller Poesie und Legenden, dieser einfachen Menschen mit den Gedanken so reich an Bildern. Und Bilder aus der Bibel und den Märchen aus Tausend und einer Nacht erfüllten mein ganzes Herz. Ich hörte die Propheten Wunder verkünden und sah auf den Terrassen der Paläste Prinzessinen in Seidenhöschen spazieren, während auf silbernen Kohlenbecken Wohlgerüche verdampften, deren Rauch in Form von Geistern in die Luft verflog.

Ich sagte zu Trémoulin:

– Du kannst lachen, hier zu leben!

Er antwortete:

– Der Zufall hat mich hergeführt.

– Der Zufall?

– Ja. Zufall und Unglück.

– Bist Du unglücklich gewesen?

– Sehr unglücklich.

In seinen Burnus gehüllt, stand er vor mir. Und beim Ton seiner Stimme überlief es mich, so schmerzlich war sein Ausdruck.

Nach einem Augenblick des Stillschweigens fuhr er fort:

– Ich kann Dir mein Unglück erzählen. Vielleicht entlastet es mich, wenn ich davon rede.

– Erzähle!

– Ist's Dir recht?

– Ja.

– Nun also. Du weißt wie ich in der Schule war: so eine Art Dichter, der in der Apotheke groß geworden war. Ich träumte davon, Bücher zu schreiben und versuchte es auch nach dem Abgangsexamen, – aber es ging nicht. Ich habe einen Band Gedichte herausgegeben, dann einen Roman: beide waren unverkäuflich. Dann schrieb ich ein Theaterstück, das nicht aufgeführt wurde.

Da verliebte ich mich. Ich will Dich mit meiner Leidenschaft nicht langweilen. Neben dem Laden meines Vaters wohnte ein Schneider, der eine Tochter hatte. Die liebte ich. Sie war klug, hatte ihr Lehrerinexamen gemacht, war lebhaften Geistes, immer angeregt, was übrigens ganz zu ihrer Person paßte. Man konnte meinen, sie wäre fünfzehn Jahr alt, obgleich sie älter war als zweiundzwanzig. Sie war ganz klein, hatte feine Züge und Linien wie eine zarte, kleine Miniature. Ihre Nase, ihr Mund, ihre blauen Augen, ihr blondes Haar, ihr Lächeln, Gestalt, Hand, alles war gemacht, als sollte es im Glasschrank stehen, aber nicht für das rauhe Leben. Und doch war sie lebhaft, beweglich und unglaublich thätig. – Ich verliebte mich sehr in sie. – Ich erinnere mich noch an zwei oder drei Spaziergänge im Luxembourg-Garten, am Brunnen der Medici, die gewiß die schönsten Stunden meines Lebens gewesen sind. Nicht wahr, Du kennst doch diesen verrückten, verliebten Zustand, der uns dahin führt, daß wir an garnichts anderes mehr denken, als an den Gegenstand unserer Anbetung. Man wird wie besessen von so einer Frau, und außer ihr giebt es nichts mehr auf der Welt.

Wir waren bald verlobt. Ich setzte ihr meine Pläne für die Zukunft auseinander, die sie aber nicht billigte. Sie hielt mich weder für einen Lyriker noch für einen Romanschriftsteller, noch einen Dramatiker, und meinte, ein Laden wäre, wenn er gut ginge, doch das beste.

Ich gab es also auf, Bücher zu schreiben, und beschränkte mich darauf, sie zu verkaufen. Ich erwarb nämlich in Marseille die »Allgemeine Buchhandlung«, deren Besitzer gestorben war.

Drei Jahre lang ging es uns gut. Wir hatten aus unserm Geschäft eine Art litterarischen Salon gemacht, wo alle Leute in der Stadt, die sich für Litteratur interessierten, zusammenkamen, um zu schwatzen. Man ging zu uns wie in einen Klub. Über Bücher, Dichter, vor allen Dingen aber über die Politik wurden Meinungen getauscht. Meine Frau, die den Ladenverkauf leitete, hatte sich eine wirkliche Stellung in der Stadt gemacht. – Während man nun unten schwatzte, arbeitete ich oben im ersten Stock in meinem Zimmer, das durch eine Wendeltreppe mit der Buchhandlung verbunden war. Ich hörte Stimmen, Lachen, Unterhaltung und manchmal hielt ich mit Schreiben inne, um zuzuhören. Im Geheimen hatte ich mich an einen Roman gemacht, den ich aber nie beendigt habe.

Unsere Stammgäste waren Herr Montina, ein Rentner, ein großer, schöner Kerl, die richtige südländische, männliche Schönheit, mit schwarzem Haar und herausfordernden Augen; Herr Barbet, ein Magistratsbeamter, dann zwei Kaufleute, die Herren Faucil und Labarregue, endlich der General Marquis de Flêche, der Führer der Royalistischen Partei, die gewichtigste Persönlichkeit der ganzen Provinz, ein alter Herr von sechsundsechzig Jahren.

Die Geschäfte gingen gut. Ich war glücklich, sehr glücklich.

Da kam ich eines Tages gegen drei Uhr, als ich Besorgungen machte, durch die Rue Saint-Ferréol. Und sah plötzlich aus einer Thür eine Frau kommen, deren ganzes Äußere so meiner Frau ähnelte, daß ich mir gesagt haben würde, sie ist es, wenn ich sie nicht noch eine Stunde vorher, ein wenig unwohl, im Laden gelassen hätte. Eiligen Schrittes, ohne sich umzublicken, ging sie vor mir her und erstaunt, etwas beunruhigt, folgte ich ihr, ohne es vielleicht selbst zu wollen.

Ich sagte mir: Sie ist es nicht. Nein. Unmöglich, sie hat doch Migräne. Und was soll sie denn in dem Haus hier machen?

Ich wollte aber doch Gewißheit darüber haben und ging schneller, um ihr nachzukommen. Ich weiß nicht, hat sie mich gewittert, erraten, oder am Schritt erkannt, – ich weiß nicht: genug, sie drehte sich kurz um – sie war es. Als sie mich sah, ward sie rot, blieb stehen und sagte lächelnd:

– Ach, Du bist's?

Mir schnürte es das Herz zusammen.

– Ja. Du bist doch ausgegangen, bei Deiner Migräne?

– Es ging besser. Ich habe eine Besorgung gemacht.

– Wo denn?

– Ich war bei Lacaussade, Rue Cassinelli, um Bleistifte zu bestellen. Sie sah mir gerade in die Augen, war nicht mehr rot, vielleicht eher ein wenig bleich. Aus ihren klaren, hellen Augen – ach diese Frauenaugen! – schien die Wahrheit zu sprechen. Aber ich hatte ein unbestimmtes schmerzliches Gefühl, daß sie lüge. Ich war verlegener, verwirrter, in unangenehmerer Stimmung wie sie. Ich wagte keinen Verdacht zu schöpfen, aber war meiner Sache sicher: sie log. Warum wußte ich nicht.

Ich sagte nur:

– Du hast gut daran gethan, auszugehen, wenn Deine Migräne besser ist.

– Ja, viel besser.

– Gehst Du nach Haus?

– Ja, gewiß.

Ich verließ sie, ging allein weiter. Was ging hier vor? Ich hatte als ich ihr gegenüberstand das Gefühl gehabt, sie sei falsch. Und nun mußte ich doch wieder daran zweifeln, und als ich zu Tisch heimkehrte, machte ich mir Vorwürfe, sie auch nur eine Sekunde lang in Verdacht gehabt zu haben.

Bist Du einmal eifersüchtig gewesen? – Ob ja oder nein ist ganz gleich: der erste Tropfen der Eifersucht war in mein Herz gefallen, – das sind Feuertropfen. Ich zog keinen Schluß daraus, ich glaubte nichts; ich wußte nur: sie hat gelogen. Bedenke, daß ich jeden Abend, wenn wir beide allein blieben, nachdem die Kunden und Commis fort waren, sei es, daß wir an den Hafen hinunter bummelten, wenn es schön war, sei es, daß wir in meinem Zimmer sitzen blieben, wenn es schlecht war, ich ihr mein Herz ohne jeden Rückhalt öffnete, alles sagte: denn ich liebte sie. Sie war ein Teil meines Lebens, der wichtigste Teil, meine ganze Freude. In ihren kleinen Händen hielt sie meine arme, vertrauende, treue Seele gefangen.

Während der ersten Tage, jener ersten Tage des Zweifels und der Traurigkeit, ehe der Verdacht bestimmte Gestalt angenommen hatte und stärker geworden war, fühlte ich mich niedergeschlagen und fröstelte als läge der Keim zu einer Krankheit in mir. Mich fröstelte unausgesetzt, ich aß und schlief nicht mehr.

Warum hatte sie gelogen? was hatte sie in dem Haus zu thun? Ich war hingegangen, um zu versuchen, das herauszubekommen. Ich fand aber nichts. Der Mieter im ersten Stock, ein Tapezier, hatte mich über alle seine Nachbarn ins Licht gesetzt, ohne daß mich das auf eine Fährte brachte. Im zweiten Stock wohnte eine Hebamme, im dritten eine Näherin und eine Nagelpflegerin, in der Mansarde zwei Kutscher mit ihren Familien.

Warum hatte sie gelogen? Sie konnte mir ja so leicht sagen, sie wäre bei der Schneiderin gewesen oder bei der Nägeloperateurin. Mich quälte die Lust, die Leute auszufragen. Ich habe es nicht gethan aus Angst, daß sie es erfahre und dann von meinem Verdacht wüßte.

Sie war also in dies Haus gegangen und hatte es mir verheimlicht. Da steckte irgend etwas dahinter. Was? Manchmal dachte ich mir ganz lobenswerte Gründe aus, irgend eine gute That, die sie verbergen wollte, eine Erkundigung, die sie eingezogen, und ich machte mir Vorwürfe, sie zu beargwöhnen. Hat nicht jeder von uns das Recht, seine unschuldigen, kleinen Geheimnisse zu haben, eine Art doppeltes Leben in sich, über das man niemandem Rechenschaft ablegt. Darf ein Mann, da man ihm ein junges Mädchen auf den Lebensweg mitgegeben hat, verlangen, daß sie nun nichts mehr denkt und thut, ohne ihn vorher oder nachher in Kenntnis zu setzen? Soll denn das Wort »Ehe« die Verzichtleistung auf jede Unabhängigkeit, auf jede Freiheit bedeuten? Konnte sie nicht vielleicht zu der Schneiderin gehen, ohne es mir zu sagen, oder einer der Kutscherfamilien im stillen etwas Gutes thun? War nicht vielleicht ihr Besuch in diesem Hause, ohne daß etwas Böses dabei, vielleicht so, daß ich ihn zwar nicht getadelt, aber doch kritisiert haben würde? Sie kannte mich bis in die geheimsten Falten meines Herzens und fürchtete vielleicht, wenn auch keinen Vorwurf, so doch eine Besprechung der Sache. Ihre Hände waren sehr hübsch. Ich kam endlich auf den Gedanken, sie ließe sie etwa im Geheimen durch die Nagelpflegerin behandeln, und habe es nur nicht eingestanden, um nicht verschwenderisch zu erscheinen. Sie war ordentlich, sparsam, war eine Frau, die ihr Geschäft versteht. Sie meinte vielleicht in meinen Augen zu verlieren, wenn sie, nur um zu gefallen, eine solche Ausgabe gemacht und sie eingestand. Die Frauen sind ja von Natur so spitzfindig und schlau.

Aber all mein Nachdenken beruhigte keineswegs: ich war eifersüchtig. Der Verdacht wühlte in mir, fraß, zerriß mich. Es war noch kein bestimmter Verdacht, sondern nur ein allgemeiner. Es war eine gräßliche Beklommenheit, ein Schmerz, ein noch versteckter Gedanke, aber ich wagte nicht den Schleier aufzuheben, denn darunter fand sich ein fürchterlicher Gedanke: . . . . ein Liebhaber! . . . . Hatte sie einen Liebhaber? . . . . Das war unwahrscheinlich, unmöglich, und doch . . .

Unausgesetzt sah ich Montinas Gesicht vor mir, den großen, schönen Kerl mit den glänzenden Haaren; das Lächeln auf den Lippen erblickte ich und sagte mir: Der ist es!

Die ganze Geschichte ihres Verhältnisses dachte ich mir aus. Sie hatten über ein Buch zusammen gesprochen, über irgend ein Liebesabenteuer diskutiert, etwas gefunden, das mit ihnen Ähnlichkeit hatte, und diese Ähnlichkeit wurde Wirklichkeit.

Und ich überwachte sie, ein Opfer der fürchterlichsten Qual, die nur ein Mann durchmachen kann. Ich hatte Schuhe mit Gummisohlen gekauft, um ohne Geräusch hin- und hergehen zu können. Und nun brachte ich mein ganzes Dasein damit zu, die kleine Wendeltreppe hinauf und hinab zu schleichen, in der Absicht sie zu überraschen. Oft ließ ich mich sogar auf den Händen, den Kopf nach unten, die Stufen hinab, um zu sehen, was sie trieben, dann mußte ich rückwärts wieder hinauf mit unendlicher Anstrengung und Mühe, nachdem ich festgestellt, daß der Commis dabei war.

Ich lebte nicht mehr, ich litt. Ich konnte an nichts mehr denken, nicht arbeiten, mich nicht mehr um meine Geschäfte kümmern. Sobald ich ausging und hundert Schritt auf der Straße gemacht hatte, sagte ich mir: Er ist da! und ich kehrte heim. – Er war nicht da. Ich ging wieder fort. Aber kaum war ich weggegangen, dachte ich wieder: Jetzt ist er gekommen! und kehrte zurück.

Das ging den ganzen Tag.

Nachts war es noch schlimmer. Ich fühlte sie an meiner Seite im Bett; sie lag da und schlief, oder that so, als ob sie schliefe. Schlief sie? Nein, wahrscheinlich nicht. So war das wieder eine Lüge.

Unbeweglich blieb ich auf dem Rücken liegen. Die Wärme ihres Körpers beengte mich, versetzte mir den Atem, quälte mich. Mich peinigte eine entsetzliche, kaum zu überwindende Lust, aufzustehen, ein Licht zu nehmen und einen Hammer und mit einem einzigen Schlage ihr den Kopf zu spalten, um hinein zu schauen. Ich hätte weiter nichts gesehen, ich wußte es wohl, als ein Gemisch von Hirn und Blut. Ich hätte nichts erfahren, – es war unmöglich. Und diese Augen! Wenn sie mich bloß anblickte, überkam mich wahnsinnige Wut. Ob man sie ansah – oder sie andere: ihr Auge blickte klar, treuherzig – und falsch, falsch, falsch. Und man kann nichts erraten, was dahinter steckt. Ich hatte Lust Nadeln hinein zu bohren, diese Spiegel der Falschheit auszustechen.

Ach! ich kann die Inquisition wohl verstehen! Ich hätte ihre Gelenke in Eisenringe gelegt. – Sprich! . . . Gestehe! . . . Du willst nicht? . . . Warte! . . . Langsam hätte ich ihr die Kehle zugeschnürt. – Sprich! . . . Gestehe! . . . Du willst nicht? . . . . – und ich hätte zugeschnürt und zugeschnürt, bis sie nach Luft gerungen hätte, bis ich sie ersticken . . . sterben gesehen. Oder ich hätte ihr die Finger am Feuer gebraten. Und mit welcher Wollust hätt ich das gethan! Sprich . . . . sprich doch! . . . Du willst nicht? . . . Ich hätte sie an die Kohlen gehalten, sie geröstet an den Spitzen, – und sie hätte gestanden . . . sicher! . .  . . . . gestanden hätte sie.

Trémoulin stand, die Fäuste geballt, da und schrie. Um uns herum auf den benachbarten Dächern erhoben sich die Gestalten, wachten auf, lauschten, in ihrer Ruhe gestört.

Und ich, ganz bewegt und gepackt von Interesse, sah vor mir in der Nacht, als hätte ich sie wirklich gekannt, diese kleine Frau, dies blonde, lebhafte, gerissene Wesen. Ich sah, wie sie ihre Bücher verkaufte, mit den Männern sprach, die ihr kindliches Äußere einnahm. Und ich sah in ihrem zarten Puppenkopf freche Ideen, tolle Gedanken, Träume kleiner parfümierter Ladenmädchen, die sich in jeden Helden der Schauerromane verlieben. Ebenso wie er hatte ich sie im Verdacht, haßte sie, und auch ich hätte ihr die Finger verbrannt, damit sie gestände.

Er fuhr in ruhigerem Ton fort:

– Ich weiß nicht, warum ich Dir das eigentlich erzähle. Ich habe nie mit jemandem darüber gesprochen. Ja, aber seit zwei Jahren habe ich niemand gesehen, ich habe mit keinem Menschen, keinem Menschen geredet. Und das brannte auf meinem Herzen, siedete, gährte . . . heraus muß es . . . traurig für Dich!

Nun wohl, ich hatte mich allerdings getäuscht. Es war viel schlimmer, als ich geglaubt hatte, schlimmer als alles. Hör zu. Ich gebrauchte das Mittel, das man immer benutzt, ich tat als ginge ich fort. Jedesmal wenn ich fortfuhr, frühstückte meine Frau außer dem Hause. Ich will Dich nicht damit langweilen wie ich einen Kellner bestach, um sie zu überraschen.

Die Thür ihres Zimmers sollte mir geöffnet werden. Und zur verabredeten Zeit kam ich an, mit dem festen Entschluß, sie zu töten. – Schon seit dem Tag vorher sah ich die ganze Scene vor mir, als ob sie bereits stattgefunden hätte. Ich trat ein. Ein kleiner Tisch mit Gläsern, Flaschen, Tellern bedeckt, stand zwischen ihr und Montina. Als sie mich erblickten, waren sie so erschrocken, daß sie starr sitzen blieben. Ohne ein Wort zu sagen ließ ich meinen bleigefüllten Stock, mit dem ich mich bewaffnet hatte, auf den Kopf des Mannes niedersausen. Beim ersten Schlag brach er, mit dem Kopf auf das Tischtuch sinkend, tot zusammen. Dann wendete ich mich zu ihr und lieh ihr die Zeit, ein paar Sekunden, zu fassen was vor sich ging, stehend mir die Arme entgegenzustrecken, toll, toll vor Entsetzen, ehe auch sie sterben mußte. O, ich war auf alles gefaßt, stark, entschlossen, zufrieden mit mir selbst und wie trunken. Der Gedanke an ihren verzweifelten Blick, den sie mir zuwerfen würde wenn ich den Stock hob, an ihre abwehrenden Hände, an den Schrei aus ihrer Brust, an ihre blutlosen verzerrten Züge, war ein Vorgeschmack meiner Rache. Und sie wollte ich nicht auf den ersten Schlag niederwerfen. Du findest mich empörend, nicht wahr? Du weißt aber nicht was man leidet. Bloß daran zu denken, daß eine Frau, die eigene Frau oder die Geliebte, die man wirklich lieb hat, sich einem anderen hingiebt, ihm wie uns, und seine Lippen berührt wie unsere: o! das ist etwas Furchtbares, Entsetzliches! Wenn man einmal diese Qual kennen gelernt hat, ist man zu allem fähig. Ich wundere mich nur, daß man nicht viel öfter tötet. Denn alle die betrogen worden sind, alle haben den Wunsch gehabt zu töten, haben in diesem erträumten Tod geschwelgt, haben allein in ihrem Zimmer oder auf verlassener Straße, beim Phantasiebild der befriedigten Rache die Gebärde des Erwürgens oder Niederschlages gemacht.

Ich kam also in das Restaurant, ich fragte: Sind sie da? – Der bestochene Kellner antwortete: Jawohl! – führte mich eine Treppe hinauf und zeigte mir eine Thür: Hier! – sagte er. Ich preßte meinen Stock in der Hand, als wären meine Finger aus Eisen. Ich trat ein.

Ich hatte den richtigen Moment getroffen: sie lagen einander in den Armen. Aber es war nicht Montina, – es war der General de Flêche, der sechsundsechzigjährige General.

Ich war so darauf gefaßt, den anderen zu finden, daß ich wie gelähmt vor Staunen stehen blieb.

Und dann . . . dann . . . ich weiß noch heute nicht, was in mir vorging. Nein, ich weiß es nicht. Angesichts des anderen hätte mich die Wut gepackt, vor diesem da, vor diesem alten Kerl mit dem dicken Bauch und den hängenden Backen erstickte mich der Ekel. Sie, die Kleine, die aussah wie fünfzehn Jahr alt, hatte sich diesem dicken, alten, fast kränklichen Mann überlassen, weil er Marquis war, General, Freund und Vertrauter entthronter Könige.

Nein, ich weiß nicht was ich fühlte noch was ich dachte. Diesen alten Kerl hätte ich nicht schlagen können. Welche Scham! Nein, ich hatte keine Lust mehr, meine Frau zu töten, sondern alle Frauen, die zu so etwas fähig sind. Ich war nicht mehr eifersüchtig, ich war so niedergedonnert, als ob ich das Entsetzlichste vom Entsetzlichen gesehen hätte.

Man mag von den Männern sagen was man will, so ekelhaft sind sie nicht. Wenn man einen trifft, der sich in solcher Weise erniedrigt, deutet man mit den Fingern auf ihn. Der Mann oder Liebhaber eines alten Weibes ist verachteter denn ein Dieb. Wir sind reinlich, mein Lieber. Aber sie, sie, diese Dirnen, deren Herz schmutzig ist, sie gehören allen, jung oder alt, aus den verschiedensten verächtlichsten Gründen, weil es ihr Beruf ist, ihr Geschäft, ihre Bestimmung. Das sind die ewigen, unbewußten, gedankenlosen Geächteten, die ihren Körper ohne Ekel feil bieten, denn er ist Liebesware; die ihn verkaufen oder verschenken, die ihn hingeben dem greisen Bummler, mit dem Golde in der Tasche, oder des Ruhmes wegen dem verwelkten unzüchtigen Herrscher und dem alten Mann, so berühmt wie widerlich.

 

Er predigte wie ein Prophet des Altertums mit erhobener Stimme, verkündete unter dem ewigen Sternenhimmel, mit dem Zorn der Verzweiflung, die verherrlichte Schande aller Maitressen alter Herrscher, die Schmach, die alle Jungfrauen, die Greise zu Männern nehmen, wissentlich begehen, die Schande, deren sich alle jungen Frauen schuldig machen, die lächelnd Liebkosungen des Alters über sich ergehen lassen.

Ich sah sie, von Anbeginn der Welt, durch ihn hervorgezaubert, beschworen, ans Licht gebannt, in dieser Nacht des Orients stehen, all die Mädchen, die schönen Mädchen mit schmutziger Seele, die, wie das Tier, das das Alter des Weibchens nicht kennt, den greisen Liebeswünschen nachgegeben. Um uns herum erschienen sie, alle die Dienerinnen der Patriarchen, gepriesen in der Bibel: Hagar, Ruth, die Töchter des Loth, die braune Abigail, die Jungfrau von Sunam, die mit ihren Liebkosungen den sterbenden David wieder belebte und alle anderen jungen, dicken, weißen, Patrizierinnen oder Plebejerinnen, unverantwortlichen Weiber eines Herrn, bezwungene, verführte oder bezahlte Sklavenleiber.

Ich fragte:

– Was hast Du gethan?

Er antwortete:

– Ich reiste, und hier bin ich.

Da blieben wir lange nebeneinander sitzen, träumend, ohne ein Wort zu sprechen.

* * *

Dieser Abend ist mir unauslöschlich in der Erinnerung geblieben. Alles was ich gesehen, empfunden, gehört und geahnt, der Fischzug, vielleicht auch der Polyp, diese ergreifende Erzählung, während rings auf den Nachbardächern die weißen Gestalten lagen, alles fügte sich in ein bewegtes Bild zusammen. Manche Begegnungen, manch unerklärlicher Zusammenhang der Dinge enthält gewiß, ohne daß etwas Außergewöhnliches dabei vorkommt, eine größere Menge geheimer Quintessenz des Lebens als alles was im Gleichmaß der Tage verstreut liegt.

 


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