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II.

An einem naßkalten Dezemberabend 1604 hielt unter dem Schutze der dichten, gelblichen Nebelschwaden, die Londons Straßen füllten, ein zweirädriger Narren vor der Pforte des der Westminsterhalle benachbarten Bürgerhauses. Der biedere Graubart, der ihn schob, unterschied sich durch nichts von irgendeinem Schreiner oder Bauarbeiter. Gemächlich lud er sein Handwerkszeug ab, ein halb Dutzend kräftige hacken, zwei Spaten, dazu Stemmeisen, Steinmeißel und Bohrer. Auch ein Oxhoftfaß Wein nebst Humpen und Bechern, ein Korb voll Schinken, Wildpretpasteten und kaltem Geflügel kamen zum Vorschein. Nachdem der Alte dies alles hineingetragen, zog er den geleerten Narren gleichfalls in den düsteren Flur, ließ die Tür dröhnend ins Schloß fallen und riegelte sie hinter sich ab.

Beladen mit den Gerätschaften und den Vorräten stieg er die ausgetretenen Stufen zum Keller hinab und meldete:

»Zur Stelle, Gentlemen! Alles besorgt, wie befohlen! Gottes Segen zum Werk!«

Zehn Herren begrüßten ihn mit fröhlichem Halloh:

»Well, Mister Bates! – Willkommen, braver Bursche! – Es soll dein Schade nicht sein, getreuester aller Vasallen!«

Die hier zusammenhockten, gedachten nun die nächsten Wochen allnächtlich ein paar arbeitsreiche und trinkfrohe Stunden in diesem Keller zuzubringen – vielleicht bis zum Weihnachtsfeste, vielleicht auch etwas über Neujahr hinaus.

Die sechs durch Eid bereits verbundenen hatten, außer Bates, noch drei zuverlässige Standesgenossen, gleichfalls mit eidlicher Sicherung, hinzugewonnen, nämlich John Wright, Christophers jüngeren Bruder, ferner Robert Keyes und John Grant; sämtlich wohlgestalte junge Männer von edler Haltung, in derbe Lederkoller gekleidet, die von Landluft und Kriegsdienst gebräunten Gesichter meist vom Spitzbart der spanischen Mode umrahmt, die Augen aber blitzend vor Kühnheit und Lebenslust. Keiner war viel über dreißig Jahre alt, nur Percy ein vor der Zeit verblühter Vierziger und Bates fast schon ein Greis.

Der Keller, mit Tischen und Lehnstühlen, mit Kredenz und gepolsterter Liegestatt ausgestattet, machte einen ganz wohnlichen Eindruck. Dicke Wachskerzen, wie sie sonst nur in den Schloßkapellen der Muttergottes geweiht wurden, verbreiteten freundliches Licht. In die Wand hatte man sich einen Kamin eingebaut und an den Schornstein angeschlossen. Munter flackerten die Buchenklötze und durchwärmten das feuchte Kellergelaß wie nur irgendeinen ritterlichen Bankettsaal.

Das Haus, als dessen Herren sie sich betrachten durften, stieß, vermittels einer Brandmauer, unmittelbar an die mächtige Westminsterhalle, den ehrwürdigen Parlamentspalast, den die englischen Könige vor fünfhundert Jahren erbaut, in dem die Lords und die Gemeinen binnen drei Monaten zur nächsten Tagung sich versammeln würden. Sir Percy hatte es auf seinen Namen gemietet, um hier, wie er dem Eigentümer, einem auswärtigen Kaufmann, erklärte, mit seinen Klubfreunden ungestört studieren und zechen zu können. Die bisherigen Mieter, Kleinbürger mit Familienanhang, wurden, den adligen Herren zu dienen, kurzerhand exmittiert.

Nun sollten also die Fundamente der Brandmauer durchbrochen werden, damit man eine Mine unter die stets unbenutzt und unbeachtet gebliebenen Keller der Westminsterhalle legen könne. War die Öffnung genügend weit, würde man am Vorabend der Parlamentseröffnung Pulverfässer hinüberbringen und in dem Augenblick, da das Glockengeläut der Westminsterabtei die Ansprache des Königs der Stadt verkündete, mit der Lunte dem Siege des katholischen Glaubens und der Erneuerung Englands ein Freudenfeuer, wie die Welt es noch nie sah, krachend entzünden. Die Mauer mochte wohl recht dick und die Arbeit erschöpfend sein, aber für die Fäuste von zehn rüstigen Männern reichten etliche Wochen sicher aus.

Mit einem kleinen, gediegenen Festmahl ward das Werk, das unzweifelhaft zu den verdienstlichen Werken im Sinne der kirchlichen Lehre zu rechnen war, eingeweiht. Darnach gingen die Herren unverzüglich an die Arbeit, indem sie zunächst die schweren Platten des Kellerbodens lockerten und hoben und sich sodann lotrecht in die Tiefe bohrten. Schichtweise lösten sie einander ab; derweil die einen Fünf gruben, mischten die andern am Kamin den heißen Punsch und hieben mit ihren Hirschfängern in die fetten Schinken ein.

Die Luken des Kellers hatte man vernagelt, so daß die Leute auf der Gasse nichts von den wunderlichen Mietern merkten. Diese brauchten also ihrer übermütigen Laune keinen Zwang anzutun, durften beraten und schwatzen, was ihnen in den Sinn kam, schmetternde Hurras auf den heiligen Vater in Rom ausbringen, Pereats auf König James und Salisbury, zwischendurch auch an manchem derben Rundgesange sich ergötzen.

Immerhin hielten sie es für geraten, sich gegen Spione und Überraschungen durch die Polizei zu sichern. Guy Fawkes als erfahrener Minenoffizier die Seele der technischen Ausführung und mit Feuereifer bei der Sache, widmete sich auch dem Nachtdienst. Häufig ließ er seinen Becher im Stich, durch die Stockwerke zu patrouillieren und durch die geschlossenen Fensterläden zu spähen, ob die Luft auch rein sei und die beiden Konstabler in gewohnter Schläfrigkeit an der Parlamentsecke lehnten.

*

Superior Henry Garnet lebte sehr zurückgezogen in London. Die Regierung duldete, nachdem sie ihm den Generalpardon erteilt, stillschweigend seinen Aufenthalt, ein Zugeständnis an den Papst Clemens den Achten, mit dem sie gutes Einvernehmen durch kleine Höflichkeiten aufrecht zu erhalten wünschte. Ordensbrüder empfing Garnet nur ungern bei sich, lieber suchte er sie heimlich in ihren Schlupfwinkeln auf. Dagegen pflegte er offen und unangefochten Verkehr mit dem katholischen Adel, dem er selbst entstammte; Catesby zumal war häufig sein Gast.

Niemals wurde ihm das Komplott gegen das Parlament mit klaren Worten enthüllt. Wohl aber hatte es sein feiner, listiger Verstand aus mancherlei Andeutungen allmählich erraten. Er warnte den Hitzkopf Catesby vor Unvorsichtigkeiten und wies immer wieder darauf hin, daß des Papstes Zustimmung dazu schwer zu erlangen sein werde. Und doch hegte er keinen innigeren Wunsch, als daß der große Schlag gelingen möge. Soldat des Erlösers, rücksichtsloser Kämpfer im Dienste der Kirche und seines Ordens, verwandte er seine reichen Gaben, seine Gelehrsamkeit, Welterfahrung, Menschenkenntnis, seine gewinnenden Formen nur darauf, Schritt für Schritt den Boden zurückzugewinnen, den die Reformation in England dem Papsttum entrissen hatte. Erlaubt, erwünscht und zu fördern war jede Aktion, die dazu diente, seines obersten Herrn, des Papstes, Herrschaft zu festigen und auszubreiten.

Vor zwanzig Jahren, als die gewaltige spanische Armada, vom heiligen Vater gesegnet und getauft als »Unbesiegliche Flotte«, auslief, England zu erobern, war Henry Garnet aus Roms hoher Schule in die Heimat zurückgekehrt. Er setzte damit seinen Kopf aufs Spiel. Denn Königin Elisabeth hatte für einen Hochverräter jeden Priester erklärt, der ihr Reich betreten würde. Ihre junge Seemacht schlug und vernichtete die Armada. Die Gesellschaft Jesu aber überschwemmte ihr Land und kämpfte weiter mit den Waffen des Verrates. Ein gewisser Patrick Cullen, angestiftet und im Jesuitenkollegium absolviert von Pater Hold, unternahm es, die Königin zu erdolchen. Als die Tat mißlang, suchte Pater Creswell, Legatjesuit in Spanien, sie mit einem vielgelesenen Buche »Philopater« moralisch zu rechtfertigen. Einige Jahre später ordnete derselbe Pater Hold abermals zwei Meuchelmörder, gestärkt mit dem heiligen Abendmahl, nach England ab. Sie wurden eben so gefaßt wie ein Herr Squire, der es auf Anraten des Jesuiten Walpole mit Gift versuchte. Die armen Schächer legten offenes Geständnis ab und scheuten sich nicht, ihre Auftraggeber bloßzustellen.

Diese Atmosphäre voll Blutgeruch und wilder Instinkte sog Pater Garnet ohne Widerwillen ein; sie änderte nichts an seiner im Grunde sanften, menschenfreundlichen Natur, stärkte ihm nur Pflichtgefühl und Willenskraft. Ihr scharfer Odem ward ihm schließlich Lebensbedürfnis. Kampf gegen die Ketzer mit allen nur erdenklichen Gewaltmitteln war ihm so selbstverständlich geworden, wie folgsamen Untertanen die Arbeit ums tägliche Brot.

In den letzten Regierungsjahren der bereits hinfälligen Königin Elisabeth griff er nun endlich selber handelnd ein. Er schickte den geschäftskundigen Thomas Winter, begleitet vom Jesuiten Tesmond, an den Hof von Madrid, empfahl sie und seine eigenen Dienste dem sehr einflußreichen Creswell, damit er König Philipp zu einer Invasion in England überrede. Eine Armee wurde damals zugesagt und hunderttausend Kronentaler versprochen, die unter die papistischen »Rekusanten« – so bezeichnet, weil sie den protestantischen Kirchgang verweigerten – sowie unter Mißvergnügte jeder Art verteilt werden sollten. Der Papst unterstützte den Plan durch zwei Bullen, die eine an den Klerus, die andere an die Laien gerichtet, des Inhalts, daß beim Ableben der Königin nur der Anspruch auf die Krone von England haben solle, der sich durch Eid verpflichte, all seine Kräfte darauf zu verwenden, daß die katholische Kirche in ihre angestammten Rechte wieder eingesetzt werde.

Nach dem Tode der Königin im Jahre 1603 nahm Garnet die Madrider Verhandlungen wieder auf, indem er Catesby, damals schon sein Freund, Christopher Wright und einen Sir Tresham, den sich das Schicksal Englands noch zu einem wichtigen Werkzeug ausersehen hatte, nach Spanien schickte, den Legaten Creswell neuerdings anzufeuern. Um die gleiche Zeit ging Guy Fawkes im Auftrag des Jesuiten Baldwin nach Flandern, damit er in der dort stehenden spanischen Armee und beim Statthalter den religiösen Fanatismus schüre. Im Lande selbst wiegelten Garnet und seine Ordensbrüder, getreu der Vorschrift jener Bullen, alle Katholiken zum Ungehorsam gegen den ketzerischen König Jacob auf. Als aber weder die Verschwörung der Priester Wilson und Clerk noch Sir Walter Raleighs Verrat den Frieden zu stören vermochten, warf Garnet die beiden zwecklos gewordenen Bullen zornig entsagend in die Flammen und zog sich auf seinen Generalpardon zurück.

Es geschah kurz nach dem Einzug der Verschworenen in den Keller neben der Westminsterhalle, daß Superior Garnet ausnahmsweise doch einmal zwei seiner Ordensbrüder bei sich empfing. Sie kamen in schlicht bürgerlicher Tracht nach Einbruch der Dämmerung. Niemandem im Hause fiel der Besuch auf, niemand erkannte sie außer Mrs. Anne Vaux, einer lebhaften, vollbusigen Witwe aus der Normandie, die Pater Garnet den Haushalt führte. Respektvoll knicksend und sich bekreuzigend, führte die mehr frömmelnde als fromme Katholikin die jungen geistlichen Herren in des Superiors Arbeitszimmer. Der eine war jener John Gerrard, der auf Catesbys Schloß hin und wieder Messe las und sich in London bald Lee bald Brook zu nennen pflegte, der andere Oswald Tesmond, von der Regierung unter dem Namen Oswald Greenwell scharf beobachtet.

Pater Garnet unterrichtete sie zunächst davon, daß ein neuer Putsch vonseiten des gläubigen Landadels bevorstehe, ermahnte sie, die Augen offen zu halten und das volle Vertrauen der Beteiligten – er wußte von Catesby, wer dazu gehörte, nannte und charakterisierte jeden einzelnen –, besonders aber des Sir Catesby selbst zu gewinnen.

»Unser Orden wird diesmal nicht mit Hand anlegen, wenigstens nicht beim Attentat selbst, wohl aber alles tun, das Unternehmen zu fördern. Es scheint eine große, blutige Sache zu werden, ein endgültiger Schlag, bei dem wir gewinnen werden, ohne uns selber oder unser Ansehen einzusetzen. Wir müssen auf dem laufenden bleiben, auch Seiner Heiligkeit und dem Ordensgeneral soweit wahrheitsgetreuen Bericht erstatten, als man in Rom etwas davon wissen will und darf. Ich ersuche euch daher, das, was ihr in der Beichte erfahrt, euch außerhalb derselben von andrer Seite wiederholen zu lassen, damit unser Rat, im Notfall unser Eingreifen, die richtige Form und Wirkung gewinnt.«

Gerrard betonte darauf, daß er als Catesbys Beichtvater dessen Dichten und Trachten kenne wie das eigene; er werde dementsprechend seine Maßregeln im Interesse des Ordens zu treffen wissen. Greenwell war auf seine Empfehlung hin von Tomas Percy bereits als Beichtvater angenommen worden. So würde einseitige Behandlung der Angelegenheit vermieden werden. Allerdings müsse man gerade bei Percy auf der Hut sein. Er sei als lügenhaft bekannt und verdächtig, den katholischen Glauben nur aus selbstsüchtigen Gründen angenommen zu haben.

»Wir müssen darauf bedacht sein,« äußerte Garnet, »bei den aufrichtig gläubigen Herren Reue über den sündigen Vorsatz zu erwecken und im allgemeinen rasch zu absolvieren. In weltlichen Gesprächen über den gleichen Gegenstand haben wir an ihrer Reue natürlich kein Interesse. Irren wir selbst, setzen wir unsere Hoffnung auf das Sakrament. So hoffe ich, daß auch ihr in jedem dringlichen Fall euch offen zu mir aussprecht.«

Die beiden verstanden sehr wohl das Letzte und Feinste seiner Absichten und versprachen, daß sie es an Klugheit gegenüber den anderen, an Offenheit gegen den Superior nicht fehlen lassen würden.

Greenwell ward abgeordnet, die Schlösser der westlichen Grafschaften aufzusuchen, um zu erkunden, wie weit dort die Bereitschaft zur Teilnahme gehe, weitere Ordensbrüder sollten vorläufig nicht ins Vertrauen gezogen werden.

Man war sich darin einig, daß bei den Verschworenen ein Zweifel an dem erfolgreichen Ausgang ihres Unternehmens keinesfalls aufkommen dürfe. Wenn schon bei englischen Esquires und Gentlemen, die ihr Leben für solch ein großes verdienstliches Werk aufs Spiel setzten, ängstliches Schwanken nicht zu erwarten wäre, so wußten sie doch aus Erfahrung, daß allerhand Bedenklichkeiten und Hemmungen, wie der Gedanke an die Familie, das Strafgesetz des Staates oder das eigene Seelenheil, die Tatkraft zuzeiten lähmte.

»Wir sind die von der Kirche bestellten Hirten dieser Herde,« schloß Garnet väterlich mahnend, »irrt sie, so irrt sie durch eigene Schuld. Aber an uns ist es, sie aller Einzelsünden ungeachtet immer wieder auf den rechten Weg zu bringen, der auch der unsere ist, auf die siegreich aufwärts führende Bahn unserer ehrwürdigen Kirche.«

Das Gespräch war von Anfang bis Ende in sorgsam gedämpftem Tone geführt worden, obwohl sich die Patres allein in der Wohnung wußten und Mrs. Annes dienstfertigen Glaubenseifer kannten. Indes sie war ein Weib, und noch bei jedem ihrer zahlreichen Anschläge hatten sie Weiber schon um deren Schwatzhaftigkeit willen ausgeschlossen. Mrs. Anne hielt selbstverständlich ihr Ohr an die Tür gedrückt, konnte aber nicht das geringste Wörtlein erlauschen.

Als die Besucher gegangen waren und ihr Herr ihr, wie üblich, den Nachtsegen erteilte, konnte sie sich nicht enthalten zu fragen:

»Ist wieder etwas im Werke, Ew. Gnaden? Werden uns die frommen Väter wieder ein Stück vorwärts helfen?«

»Laufende Arbeit, mein Kind,« wehrte der Superior lächelnd ab, »sonst nichts! Zügelt ein wenig Eure Wißbegier!«

Sie warf ihm einen ihrer schmelzendsten, hingebendsten Blicke zu. Immer träumte sie davon, daß doch noch einmal engere Bande sie mit ihrem angebeteten Gebieter verknüpfen möchten, wodurch sich denn auch seine Zunge lösen würde. Doch Pater Garnet hatte sich, wie überhaupt, so auch nach dieser Richtung hin, in der Gewalt. Die Leidenschaften seiner Jugendjahre hatten sich längst zu der einzigen Inbrunst hinaufgeläutert, die ihn beherrschen durfte, zu der Lust und dem Rausch am gottgefälligen Werke.

»Geht in Eure Kammer, Mrs. Anne! Wenn Ihr mir etwas Liebes erweisen wollt, so betet zur heiligen Gnadenmutter um Fürsprache vor Gottes Thron, daß all unsre Vorhaben wohlgelingen mögen!«

Folgsam, wenn auch enttäuscht und noch zitternd in ihres zärtlichen Herzens Überschwang, drückte sie ihm den ehrerbietigen Gutenachtkuß auf die kühle Hand.

Noch lange vernahm Pater Garnet, über seine Schriften gebeugt, durch zwei Türen hindurch Mrs. Annes schwärmerisches Beten und Psalmodieren.

*

Um dieselbe Stunde, da Garnet seinen beiden Ordensbrüdern die notwendigen Verhaltungsmaßregeln gab, stand das Zehnmänner-Kollegium recht sorgenvoll und übelgelaunt um das bereits tief und geräumig ausgegrabene Minenloch herum und fand, daß man – verdammtnochmal! – an einem toten Punkte angelangt war.

Draußen herrschte bittere Kälte. Eisiger Nordweststurm pfiff ums Haus und durch die geschlossenen, aber undichten Kellerluken. Man fröstelte; denn die Buchenklötze waren feucht geworden und wollten nicht brennen. Der Rauch schlug durch den Kamin zurück und vergiftete, vermischt mit den Schwaden des Tabakdampfes aus zehn langen holländischen Tonpfeifen, die abgeschlossene Luft des schimmeligen Raumes.

Was aber das Schlimmste war: die Arbeit stockte. Trotz aller Anstrengung mit Bohrer und Meißel ging es nicht weiter vorwärts. Guy Fawkes hatte festgestellt, daß das Fundament des Westminsterpalastes wohl an die drei Ellen dick sein mußte und aus ungeheuren Blöcken Cornwallischen Granits bestand, also unmöglich zu durchbrechen war. würden sie aber versuchen, das Fundament zu unterhöhlen, so stellte sich ein andres Hindernis in den Weg: das Grundwasser aus der nahen Themse würde einströmen. Schon jetzt sickerte hie und da Feuchtigkeit hervor und sammelte sich zu lehmigen Lachen.

Catesby schlug vor, von der Mine ganz abzusehen und stattdessen die Brandmauer zu durchbrechen. Doch die anderen verwahrten sich entschieden gegen einen so tollkühnen Streich. Selbst der Draufgänger Fawkes widersprach heftig, indem er darauf hinwies, daß sie sofort ertappt wären, falls drüben zufällig einmal jemand den Keller des Palastes betreten würde.

»Zum Teufel, ihr Schwachköpfe!« rief Catesby wütend. »Wer sollte denn dort in dem leeren, längst vergessenen Keller unter dem Parlamentssaal etwas zu schaffen haben? Wir wissen doch, daß er seit Jahrzehnten abgeschlossen liegt, hat die Regierung unseres blöden James keine andren Sorgen, als ihre finstren Löcher zu revidieren?«

Seine Gegner wurden der Erwiderung überhoben. Kaum hatte Catesby grollend das letzte Wort hervorgestoßen, als von drüben her, unmittelbar aus dem umstrittenen Keller, dumpfes Getöse vernehmbar wurde – eine unheimliche, nur zu deutliche Antwort auf seine übermütige Frage.

Verblüfft, verstört sprangen sie alle aus und blickten einander unsicher an: »Was war das? – Was hat das zu bedeuten? – Hat man uns etwa gar belauscht?«

»Wir müssen es sofort herausbekommen,« rief Guy Fawkes, in kritischen Augenblicken der Besonnenste. »Einer von uns, am besten ich selbst, muß nachschauen, als irgendein Neugieriger von der Straße sich einfach erkundigen, was dort unten vor sich geht.«

Während sie rasch das Handwerkszeug verbargen, das Minenloch mit Brettern und Teppichen verdeckten und ihre Degen umhingen – denn mit einem Eindringen der Konstabler war immerhin zu rechnen – verließ Fawkes das Haus. Wie eine Katze huschte er um die Ecke des Palastes; wenige Sekunden später kam er von der anderen Seite gemächlich herangeschlendert.

Und siehe da: schon vor dem Torweg des Nebenportals löste sich das Rätsel. Da hielt ein mit zwei behaglich kauenden Sussex-Rindern bespannter und mit Kohlen hochbeladener Wagen.

Die beiden Knechte, die die Steinkohlensäcke abluden, in den Keller des Palastes schleppten und dort an der Brandmauer ausschütteten, gaben bereitwillig Auskunft, daß ein Londoner Händler diesen Keller gemietet habe, um seine Ware von hier aus leichter zu verkaufen. Die ungewöhnliche Stunde erklärte sich daraus, daß der findige Geschäftsmann den bequemen und billigen Lagerraum wohl den Blicken seiner Konkurrenten entziehen wollte.

Diese Nachricht wurde von den Gentlemen mit voller Befriedigung, ja mit einhelliger Freude ausgenommen. Sie erblickten in dem unerwarteten Zwischenfall sogar den Finger Gottes, der darauf hinwies, dich sie nun aller Ungelegenheiten mit der Mine und dem Durchbruch überhoben waren.

In Thomas Percys hagerem Schädel blitzte ein vortrefflicher Gedanke auf: Er selbst würde sich bei dem Kohlenhändler als Käufer melden, den ganzen Vorrat sofort übernehmen und somit im gemeinsamen Interesse die Verfügung über den Keller erhalten.

Die Genossen stimmten ihm händereibend bei. Der ganze Plan wurde auf der neuen Basis umgebaut. Die Pulverfässer konnten nun ohne Schwierigkeit durch den Torweg in den hochgewölbten Keller befördert und im rechten Augenblick von Ort und Stelle aus zur Explosion gebracht werden.

Alles nahm, wie verabredet, seinen Gang. Der Händler war sehr zufrieden mit dem so rasch abgewickelten Geschäft. An seiner Statt mietete Thomas Percy den Keller des Parlamentspalastes von der Regierung auf ein Jahr, um daselbst, wie er erklärte, den Kohlenvorrat für sein benachbartes Haus aufzubewahren.

Dies abgemacht, verschrieb er aus Holland sechsunddreißig Tonnen Schießpulver.

Die Ladung war noch unterwegs, als ein königliches Edikt herauskam, nach dem die Eröffnung des Parlaments vom 7. Februar auf den 7. Oktober vertagt wurde. Damit verzögerte sich allerdings der mit peinlicher Ungeduld erwartete Schlag, andererseits aber gewann man Zeit, die Revolution im Lande, die er auslösen sollte, um so sorgfältiger vorzubereiten.


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