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Achtes Kapitel

»Nun, Malachi«, sagte Alfred am nächsten Morgen, als alle damit beschäftigt waren, das Saatkorn in den neu gelichteten Acker zu streuen, »was denkt Ihr, welche Schritte wird wohl die böse Schlange jetzt einschlagen?«

»Das ist schwer zu sagen, Sir«, erwiderte Malachi, »denn dieser Indianer verdient den Namen Schlange, weil er sehr listig ist. Er wird alles versuchen, was er kann, und wenn er sich nicht vor uns fürchtete, so würde er uns sogleich angreifen. Daß er dies aber wagen sollte, glaube ich nicht.«

»Nein, denn Euer Brief gibt an, daß er mit der ganzen Bande nur zwei Büchsen besitzt, und die genügen nicht, um ihm Aussicht auf Erfolg zu versprechen.«

»Sehr wahr, Sir. Ich höre, daß die Boote aus der Festung kommen, um die Bohlen und das Mehl zu holen?«

»Ja, morgen, wenn der Wind günstiger ist als heute; er bläst jetzt recht tüchtig. Wo ist John?«

»Ich ließ ihn bei der Erdbeere; sie waren mit dem Zucker beschäftigt.«

»Beiläufig, Malachi, wieviel Zucker habt Ihr gewonnen?«

»Etwa drei- bis vierhundert Pfund, soweit ich es schätzen kann, genug für Madams Bedarf.«

»Ja, das sollte ich auch meinen, jetzt können wir alle Sorten Früchte und Eingemachtes umsonst haben. Die wilden Himbeeren sind beinahe reif und ebenso die Kirschen. Meine Basen wünschen, daß John ihnen pflücken hilft.«

»Ich glaube, er wird das wohl tun, obgleich er lieber etwas anderes unternimmt. Er sagte heute morgen, er wolle fischen gehen.«

»Das Wasser ist zu bewegt, und er kann den Kahn nicht allein regieren.«

»Das ist aber gerade der Grund, warum er es tun will«, versetzte Malachi, »leichte Geschäfte, wie Himbeerpflücken, liebt er nicht. Ist es wahr, Mr. Alfred, daß wir noch einige Ansiedler hierher bekommen sollen?«

»Ja, ich glaube es; mein Vater sehnt sich sehr danach. Er meint, wir erhalten dadurch größere Sicherheit, und hat ihnen sehr vorteilhafte Bedingungen gestellt. Euch wäre es wohl nicht sehr angenehm, Malachi?«

»Nun, Sir, ich kann mir denken, daß Sie dies von mir glauben; aber es ist nicht mehr der Fall. Wenn mir jemand vor zwei Jahren gesagt hätte, daß ich hierbleiben würde, so würde ich das für unmöglich gehalten haben; aber wir sind Gewohnheitsgeschöpfe. Ich war so lange Zeit hindurch nur an meine eigene Gesellschaft gewöhnt, daß ich zuerst Ihren Anblick nicht ertragen konnte, nein, nicht einmal den Ihrer hübschen Basen Miß Mary und Emma, obgleich sie, das weiß der Himmel, einen Wilden hätten zähmen können. Jetzt aber, Sir, bin ich ganz verändert; ich habe mir Ihre Nachbarschaft zuerst nur gefallen lassen, weil ich für John eine Vorliebe gefaßt hatte, später empfand ich keine Abneigung mehr gegen Gesellschaft, jetzt aber ist mir das Zusammentreffen mit anderen angenehm. Ich glaube, ich kehre in meinen alten Tagen zu den Gefühlen zurück, die ich als Knabe hatte, und denke oft an meines Vaters Farm und das kleine Dorf, das in der Nähe war. Und dann bilde ich mir ein, daß ich gern hier ein Dorf erstehen sehen möchte mit einer Kirche auf dem Hügel; ich würde mit Freuden solange leben.«

»Das ist freilich eine Veränderung, Malachi. Aber, ich hoffe, Ihr werdet die Kirche auf dem Hügel noch schauen und nachdem noch viele Jahre leben, um den Hochzeiten und Kindtaufen beizuwohnen.«

»Wie es Gott gefällt, Sir. Eins, Mr. Alfred, hat mich mit großer Befriedigung erfüllt und vielleicht mehr als alles andere dazu beigetragen, mich mit meiner neuen Lebensweise auszusöhnen, nämlich, daß die Erdbeere durch die Bemühungen Ihrer Mutter und Ihrer Basen eine Christin geworden ist; Sie glauben nicht, wie froh ich darüber bin.«

»Sie ist ein ausgezeichnetes, liebes Geschöpf, Malachi; jedermann hat sie gern, und Martin ist ihr sehr zugetan.«

»Ja, Sir, sie ist eine gute Frau, denn sie hat nie eine böse Zunge und gehorcht ihrem Mann in allen Dingen. Ich glaube, Martin ist jetzt ganz ehrbar geworden, und Sie könnten ihn nach Montreal oder sonstwohin schicken, ohne befürchten zu müssen, daß er wegen Ruhestörung ins Gefängnis käme.« – Malachi erzählte dann weiter, daß ein Bär sich letzte Nacht über das Maisfeld hergemacht hat.

»Was! Ist er über den Schlangenzaun geklettert?«

»Ja, Sir, der klettert über alles hinüber; aber ich habe seine Spur entdeckt, und hoffe, ihn heute nacht festzuhalten, denn ich werde ihm einen Hinterhalt legen.«

Malachi und Alfred hatten mehrere Stunden lang ihre Arbeit fortgesetzt, als Emma sie aufforderte, zum Mittagessen zu kommen.

»Ich kann John nicht finden«, sagte Emma, während sie nach Hause gingen. »Die Erdbeere sagt, daß er sie vor einiger Zeit verließ und fortging, um zu fischen. Habt ihr ihn am Ufer des Flusses gehen sehen?«

»Nein«, erwiderte Alfred, »aber Malachi, Ihr sagtet ja, daß er vom Kahn aus fischen wollte, nicht wahr?«

»Ja, Sir.«

»Siehst du den Kahn am Strande, Emma?«

»Nein, ich sehe ihn nicht«, versetzte Emma, »aber er kann hinter der Landspitze sein.«

»Ich ebenfalls nicht; hoffentlich ist er nicht vom Wind fortgetrieben worden, denn es weht jetzt tüchtig. Ich will hinuntergehen und sehen, ob er da ist.«

Alfred eilte zum Gestade hinab. Der Kahn war vom Ufer fort, und nachdem Alfred eine Meile in der Richtung der Stromschnellen ausgeschaut hatte, glaubte er, in einer Entfernung von drei bis vier Meilen etwas wahrzunehmen, das wie ein Kahn aussah. Aber das Wasser war durch den starken Wind sehr bewegt, und es war daher schwer zu unterscheiden. Alfred eilte zurück und sagte zu Emma:

»Ich fürchte wirklich, daß John den Wellen preisgegeben ist, ich glaube, das Boot zu sehen, bin aber meiner Sache nicht gewiß. Emma, geh' ruhig hinein und hole mir mein Fernrohr, das über meinem Bett hängt. Laß dich nicht von den anderen sehen, sonst fragen sie dich aus, und deine Tante wird beunruhigt.«

Emma ging ins Haus und kehrte bald mit dem Fernrohr zurück, worauf Alfred und Malachi zum Gestade hinabgingen und dann deutlich sahen, daß das, was auf den Wellen trieb, wirklich der Kahn war.

»Was ist jetzt zu tun?« fragte Alfred. »Ich muß ein Pferd nehmen und nach der Festung reiten, denn, wenn er dort nicht bemerkt wird, ehe er vorübertreibt, so kann er nicht mehr aufgefangen werden.«

»Wenn er einmal in die Stromschnellen gerät, Sir«, sagte Malachi, »so ist er in größter Gefahr; denn der Kahn kann auf einen der Felsblöcke geschleudert werden und in einer Minute umschlagen.«

»Ja, aber er ist noch eine gute Strecke davon entfernt«, versetzte Alfred.

»Wohl wahr, Sir, aber bei diesem starken Wind, der ihn geradezu trifft und durch den die Strömung befördert wird, kann er bald dort sein. Es ist keine Zeit zu verlieren.«

»Nein, aber ich will zum Mittagessen hineingehen, um zu vermeiden, daß eine große Aufregung entsteht; sobald ich aber ein paar Bissen genommen habe, schlüpfe ich hinaus und reite so schnell ich kann zur Festung.«

»Gut so, Sie werden rechtzeitig dort sein, denn er ist jetzt noch drei Meilen von der Festung entfernt, auch kann er nicht gut dort vorübertreiben, ohne gesehen zu werden.«

»Ja, das kann er jetzt, wo das Wasser so bewegt ist«, erwiderte Alfred, »bedenkt, daß Soldaten in der Festung sind und nicht Matrosen, denen es zur Gewohnheit geworden ist, auf das Wasser zu sehen. Ein Stück treibendes Holz und ein Fischerkahn ist in den Augen der Soldaten dasselbe. Aber kommt, wir gehen zum Mittagessen.«

»Ja, Sir, ich werde Ihnen folgen«, versetzte Malachi, »doch ehe ich hineingehe, will ich das Pferd für Sie einfangen und satteln. Sie können Miß Emma sagen, daß sie darüber reinen Mund hält.«

Alfred traf Emma, die er zur Vorsicht ermahnte, und ging mit ihr zum Essen hinein.

»Wo ist John?« fragte Mrs. Campbell; »er versprach mir große Seefische für heute mittag, hat aber keine gebracht. Ihr werdet daher kein so gutes Mahl haben, wie ich hoffte.«

»Und wo ist Malachi?« fragte Alfred.

»Ich bin überzeugt, er und John sind irgendwo zusammen«, bemerkte Henry, der mit Martin vor Alfred hereingekommen war.

»Nun, er wird kein Mittag bekommen«, sagte Mrs. Campbell.

»Damit würde ich nicht einverstanden sein, Mutter«, sagte Alfred, »denn ich bin sehr hungrig und habe höchstens fünf Minuten Zeit; das Saatkorn muß noch vor heute abend in die Erde.«

»Ich glaubte, Malachi wäre bei dir gewesen, Alfred«, sagte Mr. Campbell.

»Das war er auch, Vater«, erwiderte Alfred, »aber er verließ mich. Jetzt, Mutter, gib mir, bitte, mein Mittag.«

Alfred aß schnell und stand dann vom Tisch auf, um aus dem Hause zu eilen. Das Pferd war bereit, er bestieg es und ritt nach der Festung fort, nachdem er Malachi gesagt hatte, seine Eltern glaubten, John sei bei ihm. Er möge daher lieber nicht zum Essen hineingehen, sondern sich gar nicht blicken lassen.

»Ja, Sir, das wird am besten sein; dann können sie keine Fragen tun. Seien Sie schnell, Sir, denn mir ist um den Jungen keineswegs wohl zumute.«

Der Plan, Johns Gefahr zu verbergen, glückte indessen nicht; denn seit dem Verlust des armen Percival war Mrs. Campbell um John besorgter denn je, und wenige Minuten, nachdem Alfred das Haus verlassen hatte, stand sie auf und ging zur Tür, um zu sehen, ob Malachi und John nicht kämen. Zufällig hatte sich Alfred gerade in Trab gesetzt, und sie sah ihn noch, wie auch Malachi, der allein dastand und dem Fortreitenden nachblickte. Dieser geheimnisvolle Aufbruch ihres Sohnes beunruhigte sie. Er hatte ja nichts davon gesagt, daß er zum Fort wolle – und daß sich John nicht bei Malachi befand, stand fest. Sie kehrte ins Haus zurück, wo sie auf einen Stuhl sank und ausrief:

»Mit John ist ein Unglück geschehen!«

»Wie kommst du darauf, dies zu sagen, meine Liebe?« fragte Mr. Campbell.

»Es ist ganz gewiß so«, versetzte Mrs. Campbell und brach in Tränen aus, »Alfred ist nach der Festung geritten, und Malachi stand allein draußen. Was hat das zu bedeuten?«

Mr. Campbell und alle übrigen liefen sogleich hinaus, mit Ausnahme von Mary Percival, die bei Mrs. Campbell blieb. Mr. Campbell rief Emma heran und erfuhr von ihr den wahren Sachverhalt.

»Es wird besser sein, ihr alles sogleich mitzuteilen«, sagte Mr. Campbell und begab sich zu seiner Frau, der er erzählte, »daß John auf den Wellen treibe und Alfred nach der Festung geritten sei, um ihn mit einem der Boote aufzufangen. Eine Gefahr sei daher nicht zu befürchten.«

»Warum sollten sie es verheimlichen wollen, wenn keine Gefahr wäre, Campbell?« versetzte seine Frau. »Ja, es muß Gefahr sein – heute, wo das Wasser so bewegt ist. Mein Kind, soll ich dich ebenso verlieren wie meinen armen Percival?« fuhr Mrs. Campbell von neuem schluchzend fort.

Es wurde alles versucht, um sie zu trösten und ihre Befürchtungen zu mildern; doch mit geringem Erfolg. Alle waren an diesem Nachmittag in großer Sorge. Mrs. Campbell aber befand sich in einem Zustand hochgradiger Erregung.

Gegen Abend sah man Alfred in großer Eile zu Pferde zurückkehren. Die ganze Familie stand draußen und erwartete klopfenden Herzens seine Ankunft. Die arme Mrs. Campbell war beinahe ohnmächtig. Alfred bemerkte sie, lange ehe er über die Prärie ritt, und schwang seinen Hut zum Zeichen, daß er gute Kunde bringe.

»Es ist alles gut, verlaß dich darauf, meine Liebe«, sagte Mr. Campbell. »Alfred würde nicht seinen Hut schwenken, wenn ein Unglück geschehen wäre.«

»Ich muß es aus seinem eigenen Munde hören«, sagte Mrs. Campbell beinahe atemlos.

»Gerettet?« rief Martin Alfred entgegen, als dieser näherkam.

»Gerettet, glücklich gerettet!« gab Alfred zur Antwort.

»Dem Himmel sei Dank«, rief Mrs. Campbell mit leiser Stimme und faltete dankbar die Hände.

Alfred sprang vom Sattel und beeilte sich, das Nähere mitzuteilen. John, der seinen Kräften zuviel zugetraut hatte, war mit dem Kahn fortgefahren und entdeckte bald, daß er ihn bei dem starken Wind nicht lenken konnte. Er versuchte, zum Ufer zurückzugelangen, doch ohne Erfolg; er wurde vom Wind und der Strömung in der Richtung der Stromschnellen fortgetrieben.

Es fügte sich jedoch, daß Hauptmann Sinclair, ehe Alfred auf der Festung angekommen war, den treibenden Kahn sah und mit Hilfe des Fernrohrs bemerkte, daß John darin saß, der sich nach Kräften abmühte. Nachdem Hauptmann Sinclair dem Kommandanten hierüber Bericht erstattet und dessen Erlaubnis eingeholt hatte, löste er eins der Boote, bemannte es mit Soldaten und brachte John nebst seinem Kahn etwa vier Meilen unterhalb der Festung ans Ufer, ehe derselbe in die Gegend der Stromschnellen gelangte, die ihm eine Stunde später aller Wahrscheinlichkeit nach verhängnisvoll geworden wären. Alfred hatte vom Fort aus beobachtet, daß Hauptmann Sinclair mit John und dem Fischerkahn das Ufer erreichte, und sobald er über seines Bruders Rettung beruhigt war, ritt er, so schnell er konnte, nach Hause, um es dort mitzuteilen. Diese Kunde erfüllte alle mit großer Freude, und da sie nun wußten, daß John unversehrt war, erwarteten sie geduldig seine Heimkehr. Nach etwa zwei Stunden trafen Hauptmann Sinclair und John zu Pferde ein und wurden aufs freudigste begrüßt.

»Hauptmann Sinclair, wir sind Ihnen wirklich aufs tiefste verpflichtet; hätten sie nicht eingegriffen, so wäre der Junge verloren gewesen«, sagte Mrs. Campbell. »Empfangen Sie meinen besten Dank.«

»Und auch den meinigen«, sagte Mary, ihm die Hand reichend.

»John, du hast mich in große Angst versetzt«, sagte Mrs. Campbell. »Wie konntest du nur so unklug sein, dich bei so starkem Winde auf den See zu begeben. Du siehst, daß du nur mit knapper Not der Gefahr entronnen bist.«

»Ich wäre morgen früh in Montreal gewesen«, sagte John lachend.

»Nein, niemals; dein Kahn wäre in den Stromschnellen umgeschlagen, lange bevor du Montreal erreichen konntest.«

»Aber, Mutter, ich kann schwimmen«, erwiderte John.

»Du ungezogener Junge, du fürchtest dich vor nichts.«

»Nun, Madam, Selbstvertrauen gehört zu den guten Eigenschaften, und Sie sollten dem nicht zuviel Einhalt tun. Es rettet manchen, der andernfalls verloren wäre.«

»Das ist sehr wahr, Malachi«, bemerkte Alfred, »darum wollen wir John jetzt, wo er glücklich zurückgekehrt ist, nicht weiter schelten. Er wird sich wohl hüten, bei solchem stürmischen Wetter wieder auf den See zu gehen.«

»Das werde ich ganz gewiß«, sagte John, »ich möchte doch lieber nicht die Stromschnellen hinunterfahren.«

»Nun, es freut mich, das von dir zu hören«, entgegnete Mrs. Campbell.

Hauptmann Sinclair blieb die Nacht auf der Farm. Vor Tagesanbruch wurde die Familie durch einen Flintenschuß erschreckt, und man vermutete, daß auf die von Malachi, Martin und seiner Frau bewohnte Hütte irgendein Angriff stattgefunden habe. Hauptmann Sinclair, Alfred und John sprangen aus dem Bett und waren in einer Minute angekleidet. Sobald sie sich bewaffnet hatten, öffneten sie vorsichtig die Tür und gingen, nach allen Seiten umherspähend, durch den Gang nach der Schafhürde, innerhalb derer die Hütte aufgeschlagen war. Es schien jedoch alles ruhig zu sein, und Alfred klopfte an die Tür. Malachi fragte darauf:

»Was gibt es denn?«

»Wir hörten soeben einen Flintenschuß dicht beim Hause und glaubten, es wäre Euch etwas geschehen.«

»Oh«, rief Malachi, »ist das alles? Dann können Sie ruhig wieder zu Bett gehen. Das ist meine Bärenfalle – nichts weiter. Ich vergaß, Ihnen das gestern abend zu sagen.«

»Nun, da wir einmal auf sind, können wir ebensogut hingehen und nachsehen«, sagte Alfred. »Der Tag bricht an.«

»Gut, Sir, ich bin fertig«, sagte Malachi und kam zum Vorschein, mit seiner Hirschlederjacke in der einen Hand und seiner Büchse in der anderen.

Sie gingen nach dem Maisfeld am jenseitigen Ufer und sahen dort, daß die Falle Erfolg gehabt hatte; denn am Fuße des Schlangenzaunes lag ein großer Bär tot hingestreckt.

»Ja, Sir, ich habe ihn gefangen«, sagte Malachi.

»Worin bestand denn die Falle?« fragte Henry.

»Ja, sehen Sie, an der breiten Fußspur auf dem Zaun habe ich das Vieh erkannt, und da ich wußte, daß es denselben Weg wieder nehmen würde, so befestigte ich hier die Büchse und legte an den Drücker so einen Draht, daß der Bär denselben beim Hinaufklettern mit der Vordertatze berühren mußte. Den Lauf wandte ich ein wenig niederwärts, damit die Kugel ihn in die Herzgegend treffen möchte. Sie sehen, es ist gerade so geschehen, wie ich es wünschte, und wir haben wieder eine gute Haut für Montreal.«

»Es ist eine Bärin«, sagte Martin, der auch herbeigekommen war; »sie hat Junge, die nicht weit entfernt sein können.«

»Das ist wahr«, versetzte Malachi, »aber jetzt täten Sie alle besser, wieder zurückzugehen. Martin und ich werden uns verstecken, und ich will dafür gut sagen, daß wir Ihnen nach einer Stunde die Jungen heimbringen.«

Die übrigen kehrten ins Haus zurück, wo Mr. und Mrs. Campbell durch die Erdbeere die Ursache des Schusses schon erfahren hatten. Etwa eine Stunde vor dem Frühstück kamen Malachi und Martin, jeder mit einem wenige Wochen alten Bären. Die kleinen Tiere waren der Spur der Mutter gefolgt um sie zu suchen, und hatten den toten Körper beleckt, als wollten sie sie hierdurch erwecken, als Malachi und Martin sich ihrer bemächtigten.

»Was für ein reizendes Schoßhündchen«, sagte Emma. »Ich will es für mich aufziehen.«

»Und ich will den anderen haben«, sagte John.

Hiergegen wurde kein Einspruch erhoben, und Emma und John nahmen ihre Lieblinge in Besitz und nährten sie mit Milch. Nach wenigen Tagen wurden sie sehr zahm. Der eine wurde in der Nähe des Hauses, der andere bei Malachis Wohnung angekettet, und bald wurden es sehr spiellustige Tierchen. Die Hunde gewöhnten sich an sie und versuchten nie, sie zu beißen; ja, man konnte sogar Nero und den Bären sich miteinander herumbalgen sehen wie die besten Freunde von der Welt. Nach einigen Monaten aber wurden sie für Schoßhunde zu groß und zu lästig, daher wurde der eine mit einem nach Montreal gehenden Boot als Geschenk an Mr. Emmerson übersandt, und den anderen nahm Hauptmann Sinclair mit nach der Festung, wo er ein Liebling der Soldaten wurde.

Obwohl die Gefangennahme der jungen Otter und der Grund, weshalb man sie festhielt, der bösen Schlange mitgeteilt worden war, vergingen Wochen, ohne daß von seiten des Häuptlings die Absicht kundgegeben wurde, seinen jungen Krieger durch die Rückgabe Percivals einzulösen. Jeden Tag erwartete man einen Vorschlag von ihm; aber es kam keiner, und die Mitwisser des Geheimnisses befanden sich in beständiger Unruhe. Nur das eine hatte man erfahren, daß nämlich der von John angeschossene Indianer getötet worden war, und dieser Umstand erfüllte Malachi und Martin mit der Furcht, daß die böse Schlange seinen Tod an dem jungen Percival rächen könne.

Gegen Ende des Sommers traf eine Sendung von Briefen und Zeitungen aus England und Montreal ein. Die Nachrichten aus England enthielten nichts Besonderes, obwohl die Zeitungen mit großem Eifer gelesen wurden. Eine Stelle fiel Henry ins Auge, die er sogleich vorlas. Sie lautete: ›Wir bedauern, mitteilen zu müssen, daß Mr. Douglas Campbell aus Wexton-Hall, als er bei der Jagd über einen breiten Graben setzen wollte, einen schweren Sturz vom Pferde erlitt. Wie wir vernehmen, befindet er sich indessen wohl.‹ – Wichtiger jedoch waren die Briefe aus Montreal, denn sie kündigten die sofortige Abreise von vier Familien an, die auf die beiderseits vereinbarten Bedingungen eingegangen waren und sich nun auf Mr. Campbells Besitztum ansiedeln wollten. Auch kam die Meldung, daß der Ankauf der sechshundert Acres angrenzenden Landes vollzogen war, und die Regierung schickte bereits die Quittung über das Kaufgeld.

Die in diesem Brief enthaltenen Nachrichten veranlaßten Mr. Campbell, ein Schreiben an den Festungskommandanten zu schicken, ihm das erwartete Eintreffen der Ansiedler-Familien mitzuteilen und bei ihm anzufragen, ob er ihm eine Abteilung Soldaten überlassen wolle, zur Hilfe bei der Erbauung der erforderlichen Hütten. Zugleich bat er den Oberst, ihm zwei oder drei Zelte zu leihen, mit denen sich die Leute bei ihrer Ankunft behelfen könnten, bis ihre Hütten erbaut wären. Die Antwort des Kommandanten lautete günstig, und nun war alles in rühriger Tätigkeit, damit die Gebäude möglichst vorgeschritten wären, ehe die Ernte begann, die allen volle Beschäftigung gab. Da die Heuernte vor der Tür stand, hätten sie ohne die Hilfe aus der Festung die Arbeit vor Einbruch des Winters nicht fertig bekommen, und es wäre höchst unbequem gewesen, wenn sie die Ansiedler in ihrem eigenen Hause hätten aufnehmen müssen.

Der Ort für die Blockhütten war bald ausgewählt; jede derselben sollte beinahe eine halbe Meile von Mr. Campbells Hause entfernt stehen, und während einige unserer Freunde mit Hilfe eines Teiles der Soldaten das Heu einbrachten, waren die anderen mit dem Rest der Mannschaft beschäftigt, die Bäume zu fällen und die Hütten zu errichten.

Vierzehn Tage, nachdem sie hiermit begonnen hatten, trafen die Familien ein und wurden in den bereitgehaltenen Zelten untergebracht. Da ihre Arbeitskräfte zu den bereits vorhandenen hinzukamen, schritt alles in kurzer Zeit vorwärts. Das von Mr. Campbell getroffene Übereinkommen bestand darin, daß jeder der Auswanderer fünfzig Acres Land erhalten sollte, sobald er für Mr. Campbell einen ähnlichen Flächenraum gelichtet hatte. Mr. Campbell besaß jetzt im ganzen etwa sechshundert Acres Land, was ihm für seine Farm ausreichend dünkte; dieselbe war ringsum mit einem Zaun umgeben und besaß den Vorzug, an den See zu grenzen. Das Feuer hatte einen beträchtlichen Teil des neuen Landes gelichtet, so daß von seiten seiner eigenen Leute nur geringe Mühe erforderlich war, um es für die erste Ernte vorzubereiten.

In der Zeit, als die Auswanderer und Soldaten tüchtig bei der Arbeit waren, besuchte der Oberst Mr. Campbell, um seine Abrechnung mit ihm zu machen und händigte ihm einen auf die Regierung lautenden Wechsel ein für die Bohlen, das Mehl und anderes, das er an das Fort geliefert hatte.

»Ich versichere Ihnen, Mr. Campbell«, sagte der Oberst, »es macht mir großes Vergnügen, Ihnen jeden Beistand zu leisten, was ich um so bereitwilliger zu tun vermag, als ich vom Gouverneur dazu ermächtigt bin. Ihre Ankunft und Ansiedlung in dieser Gegend hat sich als höchst nutzbar erwiesen, denn Ihre Lieferungen an die Festung haben der Regierung viel Geld erspart, während es ebenso vorteilhaft für Sie war, daß Sie Ihre Ernten hier loswurden und sie nicht bis nach Montreal zu schicken brauchten, was für Sie mit ebensolchen Kosten verknüpft gewesen wäre, wie es die Übersendung der Vorräte von Montreal bisher für uns war. Sie können die Soldaten unter den früheren Bedingungen so lange behalten, wie sie Ihnen nützlich sind, wenn sie nur vor dem Eintritt des Winters zurückkehren.«

»Dann werde ich sie mit Ihrer Erlaubnis noch zur Ernte hierbehalten, denn wir haben derartig zu tun, daß ich äußerst glücklich bin, wenn ich nur bezahlte Hilfe erlangen kann.«

Von den vier Auswandererfamilien bestand die erste aus einem Ehepaar namens Harvey, mit zwei Söhnen von vierzehn bis fünfzehn Jahren und einer achtzehnjährigen Tochter. Der Mann war ein kleiner Farmer gewesen und hatte durch seinen Fleiß auf ehrliche Weise seinen Lebensunterhalt erworben. Da geriet sein ältester, zwanzigjähriger Sohn in schlechte Gesellschaft, war nur noch in Bierhäusern anzutreffen und vergeudete auf diese Weise seine Zeit und sein Geld. Der Vater tat, was er konnte, um den Sohn zu bessern, aber es war vergeblich. Endlich machte sich jener eines Einbruchs schuldig, wurde vor Gericht gestellt, verurteilt und strafverschickt. Diese Schande übte solche Wirkung auf den Vater aus, daß er sich entschloß, in ein anderes Land auszuwandern, wo das Geschehene nicht bekannt war.

So verkaufte er sein ganzes Besitztum und ging nach Kanada; als er jedoch in diesem Lande ankam und alle Ausgaben bestritten hatte, blieb ihm nur wenig Geld, so daß er freudig einwilligte, als er von Mr. Emmerson die von Mr. Campbell gebotenen Bedingungen vernahm. Seine Frau, sowie die beiden Söhne und die Tochter waren ebenso arbeitsam und achtungswert wie er selbst.

Die zweite Familie, namens Graves, bestand aus Mann, Frau und einem erwachsenen Sohn; in ihrer Begleitung aber befanden sich noch die beiden Schwestern der Frau. Der Mann hatte einer Milchpächterei vorgestanden.

Sehr zahlreich war die dritte Familie, die der Eheleute Jackson, die eine Farm und Marktgärtnerei bei London besessen und etwas Geld mitgebracht hatten; doch die Kinder waren zumeist noch zu jung, um sich in den nächsten Jahren schon nützlich machen zu können. – Sie hatten deren sieben, nämlich eine Tochter von achtzehn Jahren, zwei Söhne, zwölf und vierzehn Jahre alt, dann drei kleine Mädchen und einen ganz kleinen Knaben. Jackson besaß genug Geld, um eine Farm zu kaufen, aber er war ein sehr vorsichtiger Mann, der daran dachte, daß es ihm anfangs nicht glücken könne und bei seiner großen Familie seine Mittel bald zusammenschmelzen würden. Daher entschloß er sich, Mr. Campbells Bedingungen anzunehmen.

Die vierte und letzte der Auswandererfamilien waren Neuvermählte, mit Namen Meredith. Der junge Gatte war der Sohn eines Farmers, der gestorben war und sein Eigentum unter seine drei Söhne verteilt hatte; zwei von ihnen waren auf der Farm geblieben und hatten dem jüngsten seinen Anteil in Geld ausgezahlt. Dieser, der Unternehmungsgeist besaß, entschloß sich, nach Kanada zu gehen, um dort sein Glück zu versuchen. Er war ein gebildeter, wohlerzogener junger Mann und seine Gattin eine sehr kluge und hübsche junge Frau.

Vor der Erntezeit waren alle Hütten fertig, und die Ansiedler beschäftigten sich damit, in der Nähe ihrer neuen Wohnung Holz zur Feuerung für den Winter zu fällen und ein Fleckchen Land zu lichten, das als Garten dienen sollte, in dem sie nächsten Frühling Kartoffeln pflanzen konnten. – Wieder war die Ernte reif und gab ihnen vollauf zu tun. Das Korn wurde durch die vereinte Tätigkeit der Soldaten und der neuen Ansiedler sehr schnell eingeheimst, worauf die ersteren, da ihre Arbeit jetzt beendet war, zur Festung zurückkehrten. Die Familie Campbell blieb nun mit dem Zuwachs ihrer Kolonie allein. Für die Schwestern Percival wurde es eine Quelle großen Vergnügens, die Zugewanderten in ihren Hütten aufzusuchen und Bekanntschaft mit den Kindern anzuknüpfen. Mr. Campell hatte bis jetzt allen Grund, mit dem Benehmen der Familien zufrieden zu sein; sie schienen alle dienstwillig, murrten oder beklagten sich nie über die ihnen übertragenen Arbeiten und waren mit Mr. Campbells Einrichtungen inbetreff ihrer Beköstigung zufrieden. – Auch Jagdausflüge wurden jetzt unternommen. Meredith und der junge Graves erwiesen sich als gute Weidmänner und vorzügliche Büchsenschützen, es waren daher jetzt so viele Jäger vorhanden, daß einige derselben jeden zweiten Tag in den Wald ziehen konnten, während andere den ganzen Tag fischten und ihre Beute sogleich einsalzten, um reichlichen Wintervorrat zu gewinnen.

Obgleich Mr. und Mrs. Campbell und ihre Nichten, sowie der größte Teil der Familie vollkommen befriedigt und glücklich in die Zukunft blickten, waren vier Personen unter ihnen, die sich im Zustand großer Angst und Ungewißheit befanden.

Dies waren Alfred, Malachi, Martin und die Erdbeere, die um das Schicksal Percivals wußten, und denen das Geheimnis große Qual bereitete. War doch trotz Festnahme und Gefangenhaltung der jungen Otter noch kein Schritt für seine Auslieferung geschehen, und die böse Schlange hatte noch keinerlei Vorschläge gemacht. Hauptmann Sinclair, der zweimal wöchentlich die Farm zu besuchen pflegte, war auch sehr bekümmert, daß Malachi und Alfred ihm stets ebensowenig eine Kunde geben konnten, wie er ihnen.

Sie wußten kaum, was zu beginnen sei; einen zweiten Winter verstreichen zu lassen, ohne einen Versuch für die Wiedererlangung des Knaben zu machen, erschien ihnen als ein zu langer Aufschub, und doch war es kaum ratsam, eine Nachricht mitzuteilen, die vielleicht mit bitterer Enttäuschung enden mochte. Der Indianerhäuptling konnte den Knaben aus Rache getötet haben, und dann würde der Gram der Eltern noch stärker sein. Es hätte zwecklos eine alte Wunde von neuem geöffnet. Diese Frage wurde zwischen Alfred und Hauptmann Sinclair häufig erwogen, bis allen Erörterungen über diesen Gegenstand durch ein unerwartetes Ereignis ein Ende gemacht wurde.

Mary Percival war eines Morgens, um Preiselbeeren zum Einmachen zu pflücken, nach einem Platz gegangen, der etwa eine halbe Meile westlich vom Hause, in der Nähe des Seegestades lag. Eines der kleinen Farmermädchen, Martha Jackson, war bei ihr, und als ein Korb gefüllt war, wurde die Kleine von Mary nach Hause geschickt, mit der Weisung, sogleich zurückzukehren. Das Kind tat dies, als es aber wieder anlangte, war Mary Percival nirgends zu sehen. Der Korb, den sie bei sich behalten hatte, lag mit herausgeschütteten Preiselbeeren auf einem Hügel. Das kleine Mädchen wartete eine Viertelstunde und rief mehrmals Mary Percivals Namen, als aber keine Antwort erfolgte, wurde sie von Furcht ergriffen, denn sie glaubte, ein wildes Tier habe Mary angegriffen: daher lief sie, so schnell sie konnte, nach Hause und setzte Mr. und Mrs. Campbell von dem Geschehenen in Kenntnis. Martin und Alfred waren in der Mühle, während Malachi glücklicherweise in seiner Wohnung weilte. Die Erdbeere lief zu ihm und erzählte ihm, was das kleine Mädchen berichtet hatte, worauf sie hinzufügte: »Die böse Schlange.«

»Ja, Erdbeere, das ist es, daran zweifle ich nicht«, versetzte Malachi, »aber kein Wort jetzt. Ich wußte wohl, daß etwas im Werk war; aber ich glaubte nicht, daß er das wagen würde. Geh ins Haus zurück und sage dem Herrn und der Frau, daß ich zum Nachforschen gegangen sei und sobald wie möglich zurückkehren werde; folge mir aber so schnell du kannst, denn deine Augen sind jünger als meine, und ich werde sie gebrauchen müssen. Sage ihnen, daß sie niemand anders dorthin schicken, da es nur Schaden statt Nutzen haben kann, denn sie würden den Boden niedertreten und wir verlören dadurch die Fährte.«

Malachi nahm seine Büchse und schlug die Richtung nach dem Seegestade ein, während die Erdbeere ins Haus zurückkehrte und seine Bestellung an Mr. und Mrs. Campbell ausrichtete. Letztere waren in großer Aufregung und hatten die kleine Martha Jackson fortgeschickt, um Martin und Alfred zu holen; denn John und Henry waren des Rindviehs halber in den Wald gegangen. – Die Erdbeere begab sich zu Malachi, den sie neben dem Korb stehen sah, der die Preiselbeeren enthalten hatte.

»Jetzt, Erdbeere, müssen wir herausfinden, wie viele es waren, und welchen Weg sie eingeschlagen haben«, sagte Malachi in indianischer Sprache.

»Hier«, sagte die Erdbeere, indem sie auf eine Spur im kurzen Grase deutete, die der Beobachtung eines jeden, der an indianisches Leben nicht gewöhnt wäre, sicher entgangen wäre.

»Ich sehe, Kind, ich sehe diese und zwei andere, aber wir können daraus noch nicht viel erkennen; laß uns der Spur folgen, bis wir an eine Stelle kommen, wo wir die Schritte deutlicher erkennen.«

»Das ist ihr Fuß«, fuhr Malachi fort, nachdem sie einige Meter weitergekommen waren. »Die Sohle eines Schuhes schneidet schärfer in das Gras als ein Mokassin.«

»Hier wieder«, sagte die Erdbeere, indem sie sich tief auf das kurze Gras niederbeugte.

»Ja, du hast recht, Kind«, versetzte Malachi, »laß uns dieser Spur einmal bis zum Fuß des Hügels folgen, dann wird's besser gehen.«

Durch schärfste Beobachtung und genaue Untersuchung gelang es Malachi und der Erdbeere, die beinahe unmerkliche Fährte bis zum Fuß des etwa hundert Meter von ihrem Ausgangspunkt entfernten Hügels zu verfolgen. Ihre Aufgabe war schwieriger geworden, da sie anfangs der Abdruck von Marys Fuß geleitet hatte, der leichter zu erkennen war als die Fußspuren der übrigen: weiterhin war dieser Abdruck jedoch nicht mehr zu unterscheiden. Es unterlag keinem Zweifel, daß sie vom Boden aufgehoben worden war. Hieraus schlossen sie, daß man sie fortgetragen hatte. Als sie vor dem Hügel anlangten, konnten sie deutlich die Eindrücke der Mokassins erkennen, und durch genaues Abmessen der Länge und Breite derselben fanden sie heraus, daß sie von zwei verschiedenen Personen herrührten. Diesen Spuren folgten sie, bis sie zu dem eine Viertelmeile entfernten Wald kamen, wo sie die Rufe Alfreds und Martins vernahmen, die Malachi beantwortete, so daß sie sich bald zusammenfanden.

»Was gibt's, Malachi?«

»Sie ist fortgetragen worden, Sir, von der Schlange, das unterliegt keinem Zweifel«, sagte Malachi. »Der Schurke ist entschlossen, etwas vor uns voraus zu haben. Wir haben nur einen Gefangenen, und er hat deren zwei gemacht.«

Malachi erklärte nun, warum er überzeugt sei, daß Mary fortgetragen sei, und Martin war sogleich derselben Meinung. Darauf sagte Alfred:

»So, aber ehe wir jetzt handeln, laßt uns beraten, was wir am besten beginnen.«

»Wohl, Sir«, entgegnete Malachi, »das beste, was im Augenblick geschehen kann, ist, daß die Erdbeere und ich die Spur verfolgen und weitere Kunde zu erlangen suchen; haben wir erfahren, soviel wir konnten, so müssen wir die Verfolgung beginnen. Lassen Sie uns nur hübsch auf der Fährte bleiben; wir werden sie nicht verlieren, wenn die Erdbeere bei uns ist, denn sie hat ein besseres Auge, als ich je bei irgend jemand vom Indianerstamm gefunden habe.«

»Schön, das ist alles recht, Malachi. Was sollen wir aber tun, während Ihr die Spur weiter verfolgt?«

»Nun, Sir, Sie müssen unsere Reise vorbereiten und dafür sorgen, daß alle zum Aufbruch bereit sind; wenn möglich, müssen wir in drei Stunden fort sein.«

»Hauptmann Sinclair müßte uns begleiten. Er würde außer sich sein, wenn er nicht dabei wäre.«

»Gut denn, Sir, so lassen Sie ihn teilnehmen«, erwiderte Malachi kühl, »aber mir wäre es lieber, er bliebe fort. Er wird nicht so kaltblütig und ruhig sein, wie es nötig ist.«

»Das fürchte ich nicht; doch ich muß jetzt zu meinen Eltern gehen und ihnen alle näheren Umstände mitteilen. Ich muß ihnen jetzt auch sagen, daß Percival am Leben ist.«

»Warum dies, Sir?« entgegnete Malachi. »Es wird sie nur noch mehr ängstigen. Es ist genug, wenn sie Miß Percivals Entführung zu beklagen haben, und sie brauchen nicht zu erfahren, daß von neuem Grund vorhanden ist, sich um den Knaben zu sorgen. Ich würde nur erzählen, daß Miß Mary von irgend jemand fortgetragen worden ist, und nichts davon erwähnen, daß wir die junge Otter gefangen nahmen, und aus welcher Veranlassung es geschah.«

»Gut, vielleicht ist das besser«, sagte Alfred. »Dann werde ich Martin hierlassen und nach der Festung zu Hauptmann Sinclair reiten. Soll ich mir einige Soldaten ausbitten?«

»Ja, Sir, wenn sich unter ihnen einige gute Hinterwäldler befinden, so könnten uns ein paar von Nutzen sein. Wir müssen eine stärkere Macht als die Indianer besitzen; die Zahl der letzteren ist, wenn Sie sich erinnern, mit dem Häuptling auf sechs angegeben. Nun sind Sie, Martin und ich – das macht drei; Hauptmann Sinclair und zwei Soldaten würden sechs sein; der junge Graves und Meredith macht acht. Das genügt – mehr wäre nur von Übel. Mr. Henry muß zurückbleiben, ebenso John, weil er noch nicht zu Hause sein wird, wenn wir aufbrechen. Dies tut mir leid, denn ich hätte ihn gern bei mir gehabt.«

»Das ist nicht zu ändern«, erwiderte Alfred. »Gut also, Martin und ich wollen sogleich heimgehen, und in zwei Stunden will ich möglichst mit Hauptmann Sinclair zurückkehren.«

»So schnell Sie können, Sir; Martin wird alles für die Reise bereithalten.«

Alfred eilte fort, und bald darauf folgte ihm Martin, dem Malachi noch einige Weisungen erteilt hatte. Malachi und die Erdbeere fuhren nun fort, ihre Fährte zu verfolgen, die sie über eine Stunde durch den dichtesten Wald führte. Endlich kamen sie an eine Stelle, wo ein Feuer gebrannt hatte und der Erdboden niedergetreten war, wodurch bewiesen wurde, daß die Bande sich hier einige Zeit aufgehalten hatte.

»Hier war das Nest der ganzen Sippschaft«, sagte Malachi.

Die Erdbeere, die den Erdboden gemustert hatte, sagte: »Hier ist ihr Fuß wieder.«

»Ja, das ist klar, daß zwei sie fortgetragen und hierher gebracht haben, wo die Bande sie erwartete, und daß die ganze Gesellschaft von hier aus aufgebrochen ist. Jetzt müssen wir die neue Spur finden; aber ich zweifle nicht daran, daß sie jede mögliche Vorsicht getroffen haben, um uns daran zu hindern.«

Die Erdbeere deutete auf einen Fußstapfen in der Nähe des Feuerplatzes und sagte: »Der Mokassin einer Frau.«

»Richtig, dann ist sie mit dabei, um so besser«, versetzte Malachi, »denn da sie mir den Brief geschickt hat, kann sie uns noch ferner dienen, wenn sie den Willen hat.« –

Alfred teilte seinen Eltern rasch mit, daß Mary fortgetragen worden sei und Malachi und Martin der Überzeugung wären, daß die böse Schlange mit ihrer Bande diese Tat vollführt hätte.

»Welche Veranlassung könnte er aber dazu haben?« fragte Emma weinend.

»Um Pulver und Kugeln als Belohnung zu erhalten, wenn er sie wiederbringt«, versetzte Alfred. »Deshalb ist auch nicht zu befürchten, daß sie schlecht behandelt wird, selbst wenn er einen anderen Grund hätte, denn es ist bekannt, daß der Indianer ein weibliches Wesen stets achtet. – Doch, da ist mein Pferd.«

»Aber was willst du denn tun, Alfred?« fragte Mrs. Campbell, die sich im Zustand großer Erregung befand.

»Ich reite nach der Festung, um Beistand zu holen, bringe Hauptmann Sinclair mit, und dann begeben wir uns so schnell wie möglich auf die Verfolgung, Mutter. Martin wird bis zu meiner Rückkehr alles bereithalten. Malachi verfolgt jetzt mit der Erdbeere die Fährte.«

Alfred sprang auf sein Pferd, das Martin vor die Tür geführt hatte, und sprengte im Galopp zur Festung. Mr. und Mrs. Campbell, sowie Emma, befanden sich in großer Betrübnis, doch hielt diese sie nicht ab, Martin mit allem zu versehen, was er verlangte, nämlich gepökeltes Schweinefleisch und andere Eßwaren für die Reise und Pulver und Kugeln für ihre Büchsen. – Nachdem Martin alles erhalten hatte, forderte er den jungen Graves und Meredith zur Unterstützung auf; sie waren sofort zum Aufbruch bereit. Ihre Büchsen und ein zweites Paar Mokassins für jeden waren alles, was sie zur Reise bedurften, und nach wenigen Minuten begleiteten sie Martin nach dem Hause. Nachdem sie kurze Zeit damit beschäftigt waren, die verschiedenen Gegenstände auf einzelne Pakete zu verteilen, damit jeder das seinige tragen könne, sagte Mr. Campbell:

»Martin, wenn Euer und Malachis Verdacht richtig ist, was meint Ihr denn, wohin sie meine arme Nichte bringen werden?«

»Zu ihren Wigwams«, erwiderte Martin.

»Habt Ihr eine Ahnung, wie weit das sein mag?« fragte Mrs. Campbell.

»Ja, Madam, ich habe gehört, daß die Wohnung der bösen Schlange etwa zwölf Tagereisen von hier entfernt ist.«

»Zwölf Tagereisen! Wie weit ist denn eine?«

»So weit, wie ein kräftiger Mann in einem Tage gehen kann, Madam.«

»Wird meine Nichte den ganzen Weg gehen müssen?«

»Ach ja, Madam, ich wüßte nicht, daß es anders sein sollte.«

»Sie kann doch aber nicht so weit wie ein Mann gehen«, entgegnete Mrs. Campbell.

»Nein, Madam, und darum meine ich, sie werden statt zwölf zwanzig Tage brauchen.«

»Arme Mary, was wird sie erdulden müssen!« rief Emma. »Und wenn Ihr sie nun erreicht, Martin, werden sie sie Euch dann übergeben?«

»Wir werden sie nicht um Erlaubnis fragen, Miß«, erwiderte Martin, »wir werden sie nehmen.«

»Aber nicht ohne Blutvergießen, Martin?« sagte Mrs. Campbell.

»Nein, Madam, gewiß nicht ohne Blutvergießen, denn, entweder müssen uns die Indianer umbringen, oder wir sie. Siegen wir, so bleibt kein Indianer lebendig, und bezwingen sie uns, so wird vermutlich mit uns dasselbe geschehen.«

»Bewahre uns der Himmel, dies ist entsetzlich; ich war auf Schwierigkeiten und Plagen gefaßt«, rief Mrs. Campbell, »aber nicht auf solche Prüfungen!«

»Fürchten Sie nichts, wir werden sie zurückbringen, Madam«, sagte Martin. »Malachi ist ein besserer Indianer als sie alle zusammen – er wird sie überlisten.«

»Wie meint Ihr das?«

»Ich meine, Madam, daß wir sie, wenn es angeht, plötzlich überfallen wollen, denn dann sind wir im Vorteil, und die Hälfte der Indianer wird schon getötet sein, ehe die anderen wissen, daß man sie angreift. Wir werden sie auf indianische Art bekämpfen, Madam.«

Mrs. Campbell fuhr fort, Martin auszufragen, bis sie am Ende der Prärie Alfred erblickten, der in größter Eile zurückkehrte, begleitet von Hauptmann Sinclair und zwei anderen Männern, die gleichfalls zu Pferde waren.

»Da kommen sie«, rief Martin, »sie haben wahrlich keine Zeit verloren.«

»Armer Hauptmann Sinclair! Welche Gefühle müssen ihn bewegen! Er tut mir leid«, sagte Mr. Campbell.

»Er muß es trotzdem kaltblütig aufnehmen«, bemerkte Martin, »sonst wird er mehr Schaden als Nutzen anrichten.«

Alfred und Hauptmann Sinclair stiegen ab; sie hatten zwei Soldaten mitgebracht, die mit den Wäldern vertraut und ausgezeichnete Büchsenschützen waren. Während einiger Minuten fand ein eiliges Gespräch statt – indessen war die Zeit zu kostbar, und Alfred umarmte seine Eltern, die Hauptmann Sinclair die Hand schüttelten und dabei in schwermütiger Weise ihre Hoffnung auf günstigen Erfolg aussprachen. Darauf brach die Schar der sieben, die man zusammengebracht hatte, auf, um mit Malachi und der Erdbeere zusammenzutreffen.

Diese waren inzwischen nicht untätig gewesen. Die Erdbeere war zu ihrer Wohnung zurückgeeilt, um einen Bogen und Pfeile zu holen, und darauf hatten sie die Fußstapfen über eine Meile weit durch den Wald verfolgt, bis sie an einen Bach kamen, der durch das Gehölz floß. Hier endete die Spur, wenigstens war sie auf der entgegengesetzten Seite des Baches nirgends zu bemerken; und man mußte daher annehmen, daß die Indianer eine Strecke weit im Wasser gewatet waren, ehe sie ihre Füße auf das jenseitige Ufer setzten. Da indessen die Zeit nahte, wo Alfred und die übrigen erwartet werden konnten, war Malachi zu der Stelle zurückgekehrt, wo Alfred und Martin sich von ihnen getrennt hatten. Er ließ die Erdbeere zurück, damit sie am Ufer des Flusses nach beiden Richtungen gehen sollte, um die Spur zu entdecken. Sobald die übrige Gesellschaft sich mit Malachi getroffen hatte, brach er mit ihnen nach der Stelle auf, wo die Spur sich verlor und die Erdbeere zurückgeblieben war. Sie warteten hier einige Zeit, da die Erdbeere nicht zu sehen war, und benutzten diese Gelegenheit, um Lebensmittel und Munition untereinander zu verteilen. Hauptmann Sinclair war trotz seiner Trauer sehr tätig und bewies, daß sein Kopf klar blieb, wenngleich sein Herz verwundet war. Die Marschordnung wurde von ihm und Malachi bestimmt, und sobald alles eingerichtet war, warteten sie ungeduldig auf die Rückkehr der Indianerin; endlich kam sie und teilte ihnen mit, daß sie die Spur etwa drei Meilen den Bach hinauf entdeckt habe, und nun brachen alle sogleich auf. – Ihrer Verabredung gemäß bewahrten sie völliges Schweigen und folgten der neu entdeckten Spur etwa eine Meile weit, bis sie im Walde an einen freien Platz kamen, der mit kurzem, dürrem Gras bestanden war. Sie sahen sich nun von neuem in Verlegenheit. Sie gingen auf die andere Seite der Heide hinüber, um zu sehen, ob sie dort der Spur wieder begegnen würden, doch konnten sie trotz halbstündigen Suchens nichts entdecken. Da rief sie ein leises Pfeifen der Erdbeere herbei, die auf die Stelle zurückgekehrt war, wo die Spur endete.

»Sie sind wieder umgekehrt«, sagte sie, indem sie auf die früheren Fußstapfen hinwies, »seht, die Spur der Mokassins geht hin und her.«

»Das ist wahr«, sagte Malachi nach genauer Untersuchung, »nun denn, Erdbeere, so gilt es jetzt herauszufinden, wo sie die alte Spur wieder verlassen haben. Sagte ich Ihnen nicht, Sir«, fuhr Malachi zu Alfred gewandt fort, »daß die Erdbeere uns nützlich sein würde? Sie hat das Auge eines Falken.«

Wiederum verstrich eine halbe Stunde, ehe die Stelle entdeckt war, wo die Indianer, um ihre mutmaßlichen Verfolger zu täuschen, von ihrer Spur abgewichen waren. Hierauf setzte die ganze Schar ihren Weg mit großer Vorsicht weiter fort, geführt von der Erdbeere, die mit einmal innehielt und mit Malachi in indianischer Sprache redete, indem sie auf einen kleinen Zweig wies, der von einem der Büsche abgebrochen war.

»Das ist wahr; sehen wir, ob es öfter vorkommt.«

Nach einigen Augenblicken deutete die Erdbeere auf einen zweiten abgebrochenen Zweig.

»Dann ist alles richtig«, sagte Malachi; »ich sagte ja, daß sie uns wieder helfen könne, wenn sie den Willen habe, und sie hat es getan. Die Indianerin, die den Brief schrieb«, fuhr Malachi fort, indem er sich an Hauptmann Sinclair und Alfred wandte, »ist noch unsere Freundin. Sehen Sie, Sir, sie hat, wo sie es nur wagen durfte, ohne daß es von den Indianern bemerkt wurde, einen kleinen Zweig abgebrochen, um uns zu leiten. Falls sie dies fortgesetzt hat, werden wir nicht mehr viel Mühe haben.«

Sie setzten ihren Marsch durch die Wälder fort, bis die Sonne unterging und sie nicht mehr sehen konnten. Sie hatten von der Ansiedlung bis jetzt etwa neun Meilen zurückgelegt. Darauf legten sie sich für die Nacht unter einem großen Baum nieder. Das Wetter war warm, und da sie gekochte Eßwaren bei sich hatten, so zündeten sie kein Feuer an.

Sobald am anderen Morgen das Tageslicht erschien, nahmen sie ein kurzes Mahl ein und verfolgten dann ihren Weg weiter. Die Spur war jetzt ziemlich deutlich und wurde gelegentlich durch einen gebrochenen Zweig bestätigt. An diesem Tage machten sie sechzehn Meilen und kamen am Schluß desselben am Ufer eines etwa zehn Meilen langen und zwei Meilen breiten Sees an. Die Spur mündete geradezu am Gestade des Sees und endete dort.

»Hier müssen sie sich aufs Wasser begeben haben«, sagte Alfred, »aber welche Mittel mögen sie besitzen, um über den See zu kommen?«

»Das müssen wir auf die eine oder andere Weise entdecken, Sir«, versetzte Malachi, »anderenfalls werden wir die Spur nicht wiederfinden; vielleicht sehen wir es morgen früh. Jetzt ist es zu dunkel, und wir könnten mehr Schaden als Nutzen stiften, indem wir das Ufer niedertreten. Wir müssen die Nacht hier zubringen. Etwas weiter am Gestade herauf ist ein Felsen; dorthin sollten wir lieber gehen, denn hinter demselben können wir ein Feuer anzünden, ohne dadurch verraten zu werden, falls die Indianer am jenseitigen Ufer sind. Heute abend müssen wir womöglich alle unsere Mundvorräte kochen; denn verlassen Sie sich darauf, wir sind heute schneller gereist, als sie es mit der jungen Dame konnten, und wenn wir nur noch einmal auf die rechte Spur gelangen können, werden wir sie bald einholen.«

»Gebe Gott, daß dies geschieht«, rief Hauptmann Sinclair, »der Gedanke, was die arme Mary zu leiden haben mag, bringt mich beinahe von Sinnen.«

»Ja, Sir, sie wird entsetzlich wunde Füße haben, das unterliegt keinem Zweifel«, versetzte Malachi, »aber die Indianer behandeln sie nicht schlecht, davon können Sie überzeugt sein.«

Hauptmann Sinclair seufzte, gab aber keine Antwort.

Sobald sie bei der von Malachi bezeichneten Felsenmasse angelangt waren, begannen sie, Brennholz zu sammeln, und nach wenigen Minuten hatte die Erdbeere ein Feuer entfacht, das für ihren Zweck genügte. Sie hatten kein Kochgeschirr bei sich, aber das Schweinefleisch wurde in Scheiben geschnitten und um das Feuer herum auf die Spitzen kleiner Stöcke gesteckt, bis es gar war; dann wurde es mit Ausnahme dessen, was man für das heutige Abendbrot zurückbehielt, wieder in die Pakete gelegt. Sie hatten ihr Mahl beendet und saßen um die Feuerglut, sprachen und berieten dabei über die Wahrscheinlichkeit, die Indianer einzuholen, als Martin plötzlich aufsprang und nach seiner Büchse griff.

»Was gibt es?« fragte Alfred leise, da Martin den Finger zum Zeichen des Stillschweigens hob.

»Es kommt jemand diesen Weg herauf – er ist hinter jenem großen Baum«, sagte Martin. »Ich sehe jetzt seinen Kopf; aber es ist zu dunkel, um jemand zu erkennen.«

Als Martin dies sprach, ließ sich ein leises und seltsames Pfeifen vernehmen, worauf die Erdbeere mit ihrer Hand ruhig Martins Büchse niederdrückte und sagte: »Es ist John!«

»John, unmöglich!« rief Alfred.

»Er ist es«, versetzte die Erdbeere, »ich kenne das Pfeifen ganz genau. Ich werde ihn holen, ich fürchte mich nicht.«

Die Erdbeere entfernte sich aus dem Kreise der übrigen und schritt auf den Baum zu, indem sie leise den Namen des Knaben rief. Nach wenigen Sekunden kehrte sie zurück und führte John an der Hand, der sich, ohne ein Wort zu sagen, ruhig neben dem Feuer hinsetzte.

»Aber, John, wie kommst du hierher?« fragte Alfred.

»Folgte der Spur«, versetzte John.

»Wann gingst du von Hause fort?«

»Gestern, als ich zurückkam«, versetzte John.

»Wissen denn deine Eltern, daß du hierher gegangen bist?« fragte Hauptmann Sinclair.

»Ich traf den alten Graves und sagte es ihm«, erwiderte John. »Habt ihr Fleisch?«

»Der Junge hat nichts genossen, seit er fortging, dafür will ich einstehen«, sagte Martin, während die Erdbeere John etwas Schweinefleisch reichte. »Hast du etwas gegessen, John?«

»Nein«, erwiderte John mit vollem Munde.

»Lassen Sie ihn essen«, sagte Malachi, »für solchen Burschen sind zwei Tage ohne Nahrung eine lange Zeit; denn ich bin überzeugt, er verließ die Farm, sobald er hörte, daß wir fortgegangen seien und wartete das gestrige Abendbrot nicht ab. Darum lassen Sie ihn ruhig essen.«

»Was mich in Erstaunen setzt, Malachi, ist, daß er den Weg zu uns finden konnte.«

»Nun, Sir, ich gestehe, daß ich darüber ebenso verwundert wie erfreut bin«, erwiderte Malachi. »Für solchen Burschen ist es wirklich eine große Tat, die er ausgeführt hat, und ich bin stolz darauf. Ich erkannte aber beim erstenmal, als ich ihn sah, was für einen prächtigen Waldmenschen er abgeben würde, und er hat meine Vermutung nicht getäuscht.«

»Nur wenige hätten so etwas fertig bekommen, soviel steht fest«, sagte Martin. »Ich bin ebenso erstaunt wie Sie, Mr. Alfred, daß ihm das gelungen ist – aber er hat die Gabe dazu.«

»Doch, wenn er uns nicht eingeholt hätte, wie würde er in diesen Wäldern leben können? Es ist eine Gnade Gottes, daß er uns getroffen hat«, sagte Hauptmann Sinclair.

John schlug auf den Lauf seiner neben ihm liegenden Büchse, die Hauptmann Sinclair nicht bemerkt hatte.

»Sie meinen doch nicht, daß John ohne Büchse in die Wälder gehen würde, Sir?« fragte Malachi.

»Ich sah es nicht, daß er sie bei sich hatte«, sagte Hauptmann Sinclair, »aber ich sollte John besser kennen.«

Als der Knabe sein Abendessen beendet hatte, legten sie sich zur Ruhe nieder; doch einer hielt Wache, damit sie nicht überfallen werden konnten.

Mit Tagesanbruch nahmen sie ihr Frühstück zu sich und gingen dann wieder an das Gestade des Sees, wo die Spur sich verlor. Nach langer Untersuchung rief Malachi die Erdbeere herbei, deutete auf den Rand des Wassers und forderte sie auf, dorthin zu blicken. Die Erdbeere gehorchte und sagte endlich, daß der Eindruck eines Kanus zu sehen wäre, das hier gelegen hätte.

»Ja, ich dachte mir's«, sagte Malachi; »sie hatten ihr Kanu bereit und sind über das Wasser gefahren. Jetzt müssen wir um den See herumgehen, um die Spur wieder zu entdecken, und das wird ihnen einen Vorsprung von einem halben Tage geben.«

Sogleich begannen sie nun, zur anderen Seite des Sees herumzugehen, wobei sie sich dicht am Ufer hielten und sorgfältig den Erdboden musterten. Dies nahm sie bis gegen Mittag in Anspruch, wo sie an der Stelle des Sees anlangten, die dem hohen Felsen gegenüber lag, hinter dem sie am vergangenen Abend ihr Feuer angezündet hatten. Doch noch immer war keine Spur wahrzunehmen.

»Sie sind wahrscheinlich nicht in gerader Richtung hinübergefahren«, sagte Hauptmann Sinclair. »Wir müssen es jetzt mehr nördlich versuchen.«

Dies geschah, und endlich entdeckten sie, daß das Kanu nach der nördlichen Seespitze hinübergefahren war, nachdem es sich vorher den ganzen Weg über am östlichen Gestade gehalten hatte. Der Landungsplatz war sehr deutlich zu erkennen, und eine kleine Strecke weit konnten sie die Spur verfolgen, wo das Kanu auf das Land gezogen worden war. Es war jetzt später Nachmittag, und die Frage entstand, ob sie die Spur verfolgen oder die Stelle aufsuchen sollten, wo das Kann versteckt lag, da es für ihre Rückkehr von Wert war, hiervon Kenntnis zu besitzen. Man entschloß sich, zuerst das Kanu zu entdecken, und dies gelang erst nach zweistündigem Suchen, wo sie es etwa eine halbe Meile vom See entfernt im Gebüsch versteckt fanden. Nun folgten sie der Spur noch etwa zwei Meilen weit. Es waren wieder wie zuvor Zweige geknickt und abgebrochen, was ihnen eine große Hilfe war; aber jetzt brach die Nacht herein. Sie hatten einen freien Hügel erreicht und schlugen ihr Nachtquartier unter den Bäumen auf. Dort begaben sie sich zur Ruhe. Mit Tagesanbruch machten sie sich wieder auf den Weg und hatten nach zweistündigem Marsch die Spur über eine Wiese zu verfolgen, was ihnen einige Schwierigkeiten verursachte. Doch es gelang ihnen, als sie auf der anderen Seite des Waldes anlangten, die Fährte wiederzufinden, und nun kamen sie schnell vorwärts, denn es waren jetzt häufiger als vorher Zweige geknickt worden. An diesem Tage verschaffte Martin der Schar vermittelst des Bogens und der Pfeile, die die Erdbeere geholt hatte, zwei Truthähne, die sehr annehmbar waren, da ihre Lebensmittel nicht länger als sieben bis acht Tage ausreichen konnten und sich unmöglich vorher sagen ließ, wie lange ihre Reise dauern würde. Die Dunkelheit war nahe, als die scharfen Ohren der Erdbeere ein Geräusch vernahmen, als wenn ein Mensch schwer atme. Sie deutete endlich mit dem Finger auf einen Busch. Vorsichtig näherten sie sich und fanden hinter demselben eine Indianerin auf der Erde liegen, die heftig blutete. Sie hoben sie auf und entdeckten, daß es dieselbe war, der sie den verrenkten Fuß geheilt hatten und von der sie glaubten, daß sie die Zweige abgebrochen habe, damit ihrer Spur gefolgt werden könne. Bei näherer Untersuchung stellte es sich heraus, daß die Indianerin einen tüchtigen Hieb mit dem Tomahawk über den Kopf bekommen hatte, der aber glücklicherweise seitwärts abgesprungen und nicht ins Gehirn gedrungen war. Sie stillten den Blutstrom mit einem Verband, den sie von ihrer Wäsche abrissen, und flößten ihr etwas Wasser ein. Es war inzwischen dunkel geworden, so daß sie an diesem Abend unmöglich weiterwandern konnten. Die Erdbeere ging in den Wald und sammelte einige Kräuter, die sie auf die Wunde legte, und nachdem sie es der armen Indianerin so bequem wie möglich gemacht hatten, legten sie sich alle zur Ruhe nieder. Vorher aber sagte Malachi zu Alfred:

»Es unterliegt keinem Zweifel, die Indianer haben entdeckt, daß diese Frau uns den Weg bezeichnet; deshalb haben sie ihr auch den Hieb mit dem Tomahawk versetzt und sie für tot liegengelassen. Ich glaube, daß die Wunde, obwohl sie sehr böse aussieht, doch nicht gefährlich ist, und die Erdbeere sagt dasselbe. Morgen indessen wird sich die Sache entscheiden. Wenn sie dann nicht bei Bewußtsein ist, so hat es keinen Nutzen, hier zu verweilen, vielmehr müssen wir dann so schnell wie möglich weitergehen.«

Als sie am anderen Morgen erwachten, fanden sie die Erdbeere neben der Indianerin sitzen, die jetzt ganz klar und gefaßt, wenngleich sehr schwach und erschöpft war. Malachi und Martin gingen zu ihr und hatten ein längeres Gespräch mit ihr. Malachi hatte mit seiner Vermutung recht gehabt. Die böse Schlange war dazugekommen, als die Indianerin einen Zweig brach und hatte sie mit seinem Tomahawk niedergeschlagen. – Sie erhielten von ihr folgende Kunde: im Zorn über die Gefangennahme der jungen Otter war die böse Schlange gewillt, statt ihrer eine andere Geisel zu besitzen, und hatte deshalb Mary fortgetragen. Bei ihr befanden sich alle seine erwachsenen Krieger, deren Zahl sich auf sechs belief. Augenblicklich war die Bande ihren Verfolgern nur um eine Tagereise voraus, da Miß Percival sehr wunde Füße hätte; sie konnten nicht so schnell mit ihr vorwärts kommen, hatten sie aber in jeder anderen Hinsicht gut behandelt. Die Indianer begaben sich nicht in gerader Richtung zu ihren Wohnungen, sondern auf einem Umweg, der einen Unterschied von mindestens sechs bis sieben Tagen ausmachen würde. Dies geschah, damit sie nicht von anderen Stämmen gesehen werden möchten, an deren Wohnorten ihr gerader Weg vorüberführte, und die ihren Verfolgern sonst Auskunft erteilen könnten. – Die Indianerin sagte ferner, daß sie den Brief geschrieben habe, den Malachi letzten Herbst bekommen hatte. Percival sei, als sie die Indianerhütten verließ, ganz wohl gewesen, und die böse Schlange habe die Absicht, falls sie nicht eine große Menge Pulver und Munition nebst sehr vielen Büchsen als Lösegeld für ihn empfinge, den Knaben an Kindes Statt anzunehmen, da er ihn sehr liebe. Als man sie fragte, ob der Knabe sich glücklich fühle, erwiderte sie, daß dies anfangs nicht der Fall gewesen sei, er jetzt aber beinahe ein Indianer wäre; nur selten dürfe er den Wohnplatz verlassen, und zwar nur in Begleitung der bösen Schlange. Als Antwort auf die an sie gerichteten Fragen bezüglich der Lage und Entfernung der Hütten, erklärte sie, daß dieselben in etwa sieben Tagereisen auf geradem Wege zu erreichen seien, der Trupp mit Miß Percival indessen nicht früher als in fünfzehn Tagen eintreffen könne, da die Miß mit jedem Tage zum Marschieren weniger imstande wäre.

Nachdem dies alles in Erfahrung gebracht war, wurde eine Beratung abgehalten, und Malachi sprach zuerst, da man ihn darum gebeten hatte.

»Ich bin der Meinung«, sagte er, »daß wir nichts Besseres tun können, als zunächst hierbleiben und abwarten, bis sich die Frau genügend erholt hat, um reisen und uns den geraden Weg zu den Indianerhütten zeigen zu können. In zwei bis drei Tagen wird sie wahrscheinlich soweit sein, um mit uns gehen zu können; dann schlagen wir den nächsten Weg ein und sind vor der Bande dort. Die Kenntnis des Ortes und der Wege wird es uns ermöglichen, der bösen Schlange und ihren Genossen einen Hinterhalt zu legen und die junge Dame zu befreien, ohne uns selbst großer Gefahr auszusetzen. Die Indianer werden nicht vermuten, uns bei den Hütten zu begegnen, denn natürlich halten sie die Frau für tot, da ein Tomahawkhieb selten fehlschlägt.«

Nach langer Unterhandlung wurde Malachis Rat, als der vernünftigste, angenommen, und ein weiteres Gespräch mit der Indianerin bestärkte sie in ihrem Entschluß. Da sie nicht mehr zu befürchten hatten, von den Indianern entdeckt zu werden, so gingen Alfred und Martin auf die Jagd, um Wild zum Nahrungsbedarf zu schießen, während die übrigen zur größeren Bequemlichkeit der ganzen Gesellschaft eine Hütte aus Baumzweigen errichteten. Am Abend kehrten Alfred und Martin mit einem schönen Rehbock zurück. Das Feuer wurde angezündet, und bald waren alle mit Kochen und Essen beschäftigt. Die Indianerfrau erbat sich auch etwas zu essen, und ihre baldige Genesung brauchte nicht länger als zweifelhaft betrachtet zu werden. Sie dauerte für Hauptmann Sinclairs Ungeduld zwar viel zu lange; aber am fünften Tage erklärte sich die Indianerin marschfähig, und am Morgen des sechsten Tages brachen sie auf.


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