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Zweites Kapitel

Es war Mitte Mai geworden – aber noch zeigte die Natur nicht ihr grünes Gewand. Doch plötzlich schien der Sommer über Nacht zu kommen. Innerhalb weniger Tage prangten Baum und Strauch in frischem Grün, und die Hitze machte sich schon unangenehm bemerkbar. Die Übergänge vollziehen sich in jenem Lande ziemlich unvermittelt.

Die Abfahrt fand am dreizehnten Mai statt; am Nachmittag war alles in Bereitschaft; Mrs. Campbell und ihre Nichten wurden zu den an der Werft liegenden Booten geführt, an deren Bord sich die Truppen schon befanden. Der Gouverneur und seine Adjutanten, sowie verschiedene andere einflußreiche Persönlichkeiten Quebecs, geleiteten sie hinab, und sobald sie sich verabschiedet hatten, wurde der Abfahrtsbefehl gegeben. Die Soldaten in den Booten riefen ihr dreimaliges Hurra, und fort ging es in den Strom.

Für eine kurze Zeit gaben die am Ufer Zurückgebliebenen durch Tücherschwenken ihre Teilnahme zu erkennen; aber bald hörte das alles auf, die Familie sah sich von ihren Bekannten getrennt und lauschte wortlos dem taktmäßigen Schlage der ins Wasser gleitenden Ruder.

Alle waren mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Sie riefen sich den schönen Park von Wexton-Hall zurück, das sie verlassen mußten, nachdem sie lange Zeit so glücklich dort gewohnt hatten; das Schloß mit all seinem Glanz und seiner Bequemlichkeit stieg in ihrer Erinnerung auf; jedes Zimmer mit seinen Möbeln, jedes Fenster mit seiner Aussicht erstand von neuem in ihrem Gedächtnis. Sie hatten den Atlantischen Ozean durchmessen und waren nun im Begriff, Zivilisation und Bequemlichkeit hinter sich zu lassen und in die Einsamkeit der kanadischen Wälder zu gehen, wo sie auf ihre eigenen Hilfsquellen, ihre eigene Gesellschaft und ihre eigenen Bestrebungen angewiesen waren. In der Tat bedeutete es für alle den Anfang eines neuen Daseins, für das sie sich nach dem Wohlleben, das sie in ihren früheren Verhältnissen genießen durften, wenig geeignet fühlten. Doch, wenn ihre Gedanken sie auch ernst und schweigsam machten, so fiel es ihnen doch nicht ein zu verzweifeln oder zu murren. Wurden sie auch nicht alle von Hoffnung belebt, so war doch Vertrauen, Entschlossenheit und Ergebung in ihnen. Allmählich wurden sie durch die Schönheit der Landschaft und das Neue, das sich ihren Blicken bot, aus ihren Träumereien geweckt. Auch die Gesänge der Bootsleute klangen melodisch und fröhlich und trugen dazu bei, sie ihre heitere Stimmung wiedergewinnen zu lassen.

Alfred war der erste, der seine niederdrückenden Gefühle abschüttelte und den Versuch machte, sie auch bei den anderen zu vertreiben, was ihm auch gelang. Der die Truppenabteilung führende Offizier, der sich mit der Familie in demselben Boot befand, hatte ihr Schweigen seit der Abfahrt von der Werft wohl verstanden – vielleicht fühlte er wie sie. Sein Name war Sinclair und sein Rang der eines Hauptmanns. Er war ein hübscher, blühend aussehender junger Mann, groß und schön gewachsen, sehr fein und liebenswürdig in seinem Benehmen.

»Seht«, rief Mary Percival, »was ist das dort? Es ist ein Dorf – ein, zwei, drei Häuser, die gerade vor uns auftauchen.«

»Es ist ein Floß, Miß Percival, das den Fluß hinuntertreibt«, sagt Hauptmann Sinclair. »Wenn wir näher sind, werden Sie sehen, daß es beinahe zwei Acres Wasser bedeckt, und daß sich drei hohe Schichten Bauholz darauf befinden. Diese Flöße sind viele tausend Pfund wert. Aus Baumstämmen, die mit hölzernen Baumnägeln aneinander befestigt sind, wird zuerst ein Gestell zusammengefügt, in das dann das Bauholz gelegt wird. Es befinden sich vielleicht hundert Menschen auf dem Floß, um es den Strom hinabzuführen, und die darauf erbauten Häuser dienen diesen Leuten zur Wohnung. Ich habe bis zu fünfzehn Häuser auf einem Floß gesehen; ein solches trägt bisweilen die Last von vierzig bis fünfzig Schiffen.«

»Es ist wunderbar, wie sie es lenken und den Strom hinabführen«, sagte Mr. Campbell. »Sie machen es sehr geschickt, und man muß sich wundern, daß eine solche Masse derartig regiert werden kann.«

»Doch es geschieht, wie Sie bemerken werden«, versetzte Hauptmann Sinclair. »Es sind drei bis vier Steuerruder vorhanden, die aus langen Stangen bestehen, und außerdem verschiedene gewöhnliche Ruder auf jeder Seite.«

Die ganze Gesellschaft schaute jetzt nach den Leuten auf dem Floß. Es waren fünfzig bis sechzig Männer, die bald über die Spitze nach der einen Seite liefen, um die Ruder zu handhaben, deren jedes die Kraft von sieben bis acht Männern verlangte, bald sich wieder nach der entgegengesetzten Spitze begaben, je nachdem der Steuermann es ihnen gebot.

Das Boot hielt sich dicht am Ufer, außerhalb der Fahrstraße, und schnell trieb das Floß an ihnen vorüber. Sobald die Landspitze umschifft war, hißten die Leute auf dem Floß, da sie ihr Weg nach Quebec geradeaus führte und eine leichte Brise den Fluß herabwehte, zehn bis fünfzehn Segel an verschiedenen Masten, auf, um ihre Fahrt stromabwärts zu beschleunigen. Dies erregte von neuem die Bewunderung unserer Gesellschaft.

Die Unterhaltung wurde nun allgemein, bis die Boote am Ufer des Flusses für die Zeit befestigt wurden, wo die Leute ihr Mittagessen einnahmen, das vor ihrer Abfahrt in Quebec für sie bereitet worden war. Nach einer Ruhepause von zwei Stunden fuhren sie weiter und erreichten bei Einbruch der Nacht St. Anna, wo sie alles zu ihrer Aufnahme eingerichtet fanden. Obgleich ihre Betten aus den Blättern des Mais bestanden, waren alle so müde, daß sie sich ganz behaglich darin fühlten. Mit Tagesanbruch erhoben sie sich neugestärkt. Martin Super, der sich mit den beiden jüngsten Knaben in einem anderen Boote befunden hatte, war nach ihrer Ausschiffung sehr besorgt um die Bequemlichkeit der Damen gewesen. Die Herzen der Knaben schien er völlig durch die lustigen Geschichten, mit denen er sie den ganzen Tag unterhalten hatte, erobert zu haben. Bald nach ihrer Einschiffung wurde von Hauptmann Sinclair der Name Pontiac von neuem erwähnt, worauf Mrs. Campbell bemerkte: »Unser Jäger Super nannte diesen Namen schon einmal. Ich muß gestehen, daß ich von Indianer-Angelegenheiten nichts weiß; mir ist nur bekannt, daß Pontiac ein Indianerhäuptling war. Können Sie uns einige Auskunft über diese Persönlichkeit geben, die in ganz Kanada so bekannt zu sein scheint?«

»Es wird mir ein Vergnügen sein, Mrs. Campbell, soweit ich dazu imstande bin. Über einen Punkt wenigstens kann ich Ihnen ganz sichere Auskunft geben, da mein Onkel zu der Truppenabteilung auf dem Fort Detroit zu jener Zeit gehörte, wo dasselbe beinahe überfallen wurde; er hat die Geschichte oft in meiner Gegenwart erzählt. Pontiac war Häuptling aller Indianerstämme in der Nähe des Sees, deren verschiedene Namen ich nicht aufzählen will, sondern nur erwähne, daß sein Stamm der der Ottawas war. Er herrschte zu jener Zeit, als Kanada von Frankreich an uns abgetreten wurde. Anfangs benahm er sich, obwohl er sehr stolz und hochmütig war und die Würde der Oberherrschaft für sich beanspruchte, gegen die Engländer sehr höflich. Wenigstens schien es so zu sein, denn die Franzosen hatten bei den nördlichen Stämmen einen so schlechten Ruf von uns verbreitet, daß die Indianer uns bis dahin mit entschiedener Feindseligkeit entgegengetreten waren und schon unseren Namen zu hassen schienen. – Jetzt sind sie mehr zur Ruhe geneigt, und man darf hoffen, daß ihre Furcht vor uns sie verlassen wird, daß sie so bleiben.

Es ist Ihnen vielleicht bekannt, daß die Franzosen an den wichtigsten Plätzen des Innenlandes und in der Nähe der Seen Forts erbaut haben, die, als jene das Land aufgaben, von unseren Truppen besetzt wurden, um die Indianer unter Aufsicht zu halten.

Alle diese Forts sind alleinstehend, und zwischen ihnen ist selten eine Verbindung. Im Jahre 1763 zeigte sich Pontiac zuerst feindselig gegen uns und ließ erkennen, daß er uns von den Seen vertreiben wolle. Er war ebenso verschlagen wie tapfer und verriet für einen Indianer mehr Feldherrngeschick, als man hätte erwarten sollen – das heißt in Übereinstimmung mit ihrer Kriegsart, die immer auf Kriegslisten beruht. Sein Plan war, alle unsere Forts gleichzeitig zu überfallen; seine Vorkehrungen waren so vortrefflich, daß es ihm schon fünfzehn Tage, nachdem der Plan geschmiedet worden war, gelang, alle bis auf drei in seinen Besitz zu bringen; das heißt, er überfiel zehn von dreizehn Forts. Natürlich wurde der Angriff nach seinem Befehl von anderen Häuptlingen ausgeführt, da Pontiac nicht gleichzeitig bei den verschiedenen Erstürmungen sein konnte.«

»Wurde die Besatzung niedergemetzelt, Hauptmann Sinclair?« fragte Alfred.

»Der größte Teil derselben, nur einige wurden geschont und später gegen hohen Preis ausgeliefert.«

»Aber wie gelang es nur diesem Pontiac, alle Forts zu überfallen?« fragte Mrs. Campbell.

»Beinahe alle wurden durch eine eigentümliche List gewonnen. Die Indianer sind nämlich begeistert für ein Spiel, das sie Baggatiway nennen und bei dem sie außerordentliche Geschicklichkeit zeigen; dasselbe wird mit einem Ball und einem Schläger gespielt, an welchem sich ein langer Handgriff befindet. Die Spielenden teilen sich in zwei Parteien, von denen jede sich bemüht, den Ball innerhalb der von ihnen abgesteckten Grenzen zu bringen. Mehrere hundert Menschen sind bisweilen auf beiden Seiten an diesem Spiel beteiligt; die Europäer lieben es sehr, die Behendigkeit zu beobachten, die die Indianer hierbei beweisen, so daß letztere häufig gebeten wurden, es zu beginnen, wenn sie sich in der Nähe der Forts befanden. Hierauf baute Pontiac seinen Plan, der darin bestand, daß die Indianer das Ballspiel unterhalb der Forts anfangen und nach kurzer Zeit den Ball in das Fort schlagen sollten. Natürlich mußten dann einige hineingehen, um ihn zu holen; und nachdem dies zwei- bis dreimal geschehen war – worauf das Spiel, um keinen Verdacht zu erregen, stets von neuem fortgesetzt wurde – sollte der Ball nochmals hineingeworfen werden, und ein plötzlicher Anlauf gegen die Tore darauf folgen. Waren dann alle Indianer darin, so sollten sie ihre verborgengehaltenen Waffen ziehen und die ahnungslose Besatzung überwältigen.«

»Das war in der Tat eine sehr scharfsinnig erdachte List«, bemerkte Mrs. Campbell.

»Die auch von Erfolg war, wie ich schon erwähnte, außer bei drei Forts.

Eins derselben, besten Angriff Pontiac selbst leitete, weil ihm besonders daran lag, es zu gewinnen, war Detroit, in welchem mein Onkel in Garnison stand; doch hier mißlang der Plan infolge eines seltsamen Umstandes.«

»Bitte, erzählen Sie, wie das zuging, Hauptmann Sinclair«, rief Emma, »Sie glauben nicht, wie gespannt ich bin!«

»Und ich ebenfalls, Hauptmann Sinclair«, fuhr Mary fort.

»Es freut mich sehr, daß ich imstande bin, Ihnen einen Teil dieser langweiligen Reise durch meine Erzählung zu verkürzen.

Das Fort Detroit war mit etwa dreihundert Mann besetzt, als Pontiac mit einer großen Indianerstreitmacht davor anlangte und sich unter den Wällen lagerte. Er hatte jedoch seine Krieger so mit Frauen und Kindern vermischt und so viele Gegenstände zum Verhandeln mitgebracht, daß kein Verdacht erregt wurde. Die Besatzung hatte von der bereits stattgefundenen Eroberung der anderen Forts noch nichts erfahren. Major Gladwin, der das Fort befehligte, wurde zwar auf die ungewöhnlich große Menge der Indianer aufmerksam gemacht, doch schöpfte er keinen Argwohn. Pontiac schickte eine Botschaft an den Major, daß er eine Unterredung mit ihm wünsche, um die Freundschaft zwischen den Indianern und Engländern völlig zu besiegeln; hierein willigte der Major und bestimmte den folgenden Tag dazu, Pontiac und seine Häuptlinge im Fort zu empfangen. Nun hatte Major Gladwin gerade damals einer Indianerfrau aufgetragen, ihm ein Paar indianische Schuhe aus einem eigentümlich gefleckten Elenfelle zu machen. Als die Indianerin ihm die sogenannten Mokassins nebst dem Überrest des Felles brachte, war er so zufrieden damit, daß er ein zweites Paar bei ihr bestellte und ihr zu behalten erlaubte, was von der Haut nicht mehr gebraucht wurde. Als die Frau den Auftrag erhalten hatte, verließ sie den Major, doch anstatt sich aus dem Fort zu begeben, schlenderte sie lange herum, bis man sie bemerkte und nach dem Grunde ihres Verweilens fragte. Sie versetzte, daß sie das Fell zurückgeben wolle, da es einen so hohen Wert besitze. Ihr Benehmen mußte befremden, und man stellte sie zur Rede, worauf sie erklärte, daß, wenn sie das Fell jetzt mit sich nähme, sie niemals imstande sein werde, es zurückzugeben.

Als dem Major diese wunderlichen Reden hinterbracht wurden, ließ er die Frau vor sich führen und merkte bald, daß sie ihm gern etwas mitteilen wolle, die Furcht ihr aber den Mund verschließe. Als er aber ernstlich in sie drang, sie ermutigte und ihr seinen Schutz versprach, erzählte sie Major Gladwin, daß Pontiac und seine Häuptlinge die Unterredung als Vorwand benutzen wollten, um ins Fort zu gelangen; sie hätten den Lauf ihrer Büchsen verkürzt, um dieselben unter ihren Decken verbergen zu können, und es wäre ihre Absicht, auf ein von Pontiac gegebenes Zeichen Major Gladwin und alle bei der Verhandlung anwesenden Offiziere zu ermorden, während die übrigen Krieger, die auch mit versteckten Waffen unter dem Schein, etwas verkaufen zu wollen, in das Fort kommen sollten, die äußere Besatzung angreifen sollten.

Nachdem Major Gladwin dies erfahren, tat er, was in seinen Kräften stand, das Fort in Verteidigungszustand zu setzen, und traf alle nötigen Vorsichtsmaßregeln. Er setzte Offiziere und Mannschaften von der Absicht der Indianer in Kenntnis und erteilte Weisung, wie sie sich zu verhalten hätten.

Gegen zehn Uhr erschien Pontiac mit seinen sechsunddreißig Häuptlingen und einem Gefolge von Kriegsleuten zu der angeblichen Besprechung im Fort, wo man sie mit großer Höflichkeit empfing. Pontiac hielt seine Ansprache, und als er vortrat, um den Wampumgürtel zu überreichen, dessen Annahme für die Häuptlinge und Indianer das Zeichen zum Angriff sein sollte, zogen der Major und seine Offiziere ihre Degen halb aus der Scheide, während die Truppen mit geladenen Musketen und gefällten Bajonetten in dem Verhandlungszimmer erschienen – völlig bereit zum Angriff. Pontiac erbleichte ungeachtet seiner Tapferkeit; er sah sich durchschaut und, um eine offene Entdeckung zu vermeiden, beendete er seine Rede, indem er wiederholt seine Hochachtung vor den Engländern beteuerte. Hierauf erhob sich Major Gladwin und sagte ihm geradezu, daß er seinen Anschlag und seine mörderischen Absichten kenne. Pontiac leugnete; doch Major Gladwin schritt auf den Häuptling zu, schlug seine Decke zurück und zog die kurzgeschnittene Büchse heraus, worauf Pontiac und seine Genossen keine weitere Erwiderung machen konnten. Major Gladwin befahl Pontiac hierauf, das Fort unverzüglich zu verlassen, da er anderenfalls nicht imstande sei, den Ingrimm seiner Soldaten länger zu bändigen. Pontiac und seine Häuptlinge beeilten sich, aus den Toren zu gelangen.«

»War es denn klug von Major Gladwin, Pontiac und seinen Häuptlingen den Abzug zu gestatten, nachdem sie mit der Absicht, ihn und seine Leute zu ermorden, ins Fort gekommen waren?« fragte Henry. »Hätte sie nicht der Major mit vollem Recht gefangennehmen können?«

»Ich meine auch, er hätte es können, und mein Onkel dachte ebenso, aber Major Gladwin war anderer Ansicht. Er sagte, er habe ihnen, ehe er die Verschwörung ahnte, Schutz und sicheres Geleit herein und heraus zugesichert, und da er ein Versprechen geleistet habe, gestatte es seine Ehre nicht, dasselbe zu brechen.«

»Wenn der Major einen Fehler machte«, bemerkte Alfred, »so hat er ihn jedenfalls auf rechtliche Weise begangen. Ich glaube auch, er war zu gewissenhaft; ich an seiner Stelle hätte wenigstens einige Häuptlinge, wenn auch nicht Pontiac selbst, als Bürgen für das gefährliche Benehmen der übrigen und ihrer Stämme in Gewahrsam behalten.«

»Die Erfahrung lehrte, daß Major Gladwin weise gehandelt hätte, wenn er so verfahren wäre; denn am nächsten Tage machte Pontiac, der die durch ihm erwiesene Milde keineswegs versöhnt war, einen wütenden Angriff auf das Fort. Jede Kriegslist wurde benutzt, doch der Ansturm mißglückte. Hierauf umzingelte Pontiac das Fort und schnitt alle Zufuhr ab, wodurch die Besatzung in große Not versetzt wurde. – Doch, ich muß hier abbrechen, denn wir sind jetzt in Trois Rivieres, wo wir über Nacht bleiben werden. Ich hoffe, Sie werden Ihr Unterkommen nicht allzu unbehaglich finden, Mrs. Campbell; wenn wir weiter gelangen, so fürchte ich, werden Sie noch mit weit Schlechterem vorliebnehmen müssen.«

»Oh, wir sind völlig gefaßt darauf, Hauptmann Sinclair«, versetzte Mr. Campbell; »meine Frau und meine Nichten sind zu verständig, um in der Wildnis Kanadas große Gasthäuser zu erwarten.«

Die Boote wurden jetzt ans Ufer gezogen, und die Gesellschaft begab sich an Land, um die Nacht in dem kleinen, verschanzten Dorfe Trois Rivieres zuzubringen.

Da Hauptmann Sinclair erklärte, daß man am folgenden Tage eine weite Strecke zurückzulegen habe und es rätlich sei, so früh wie möglich abzufahren, erhob sich die Familie mit Tagesanbruch. Sie war nach einer halben Stunde mit dem Frühstück fertig und begab sich sogleich in ihr Boot. Bald nachdem sie sich wieder auf dem Strom befanden und man die Segel gehißt hatte, erkundigte sich Mr. Campbell, wie weit sie heute fahren müßten.

»Etwa fünfzig Meilen, wenn es sich ermöglichen läßt«, versetzte Hauptmann Sinclair. »In den ersten beiden Tagen haben wir zweiundsiebzig Meilen gemacht. Von hier bis Montreal sind noch etwa neunzig und wir möchten den größeren Teil noch heute zurücklegen, damit wir an einer gelichteten Stelle, die uns bekannt ist und an der wir uns ganz sicher fühlen, landen können. Ich muß Ihnen leider sagen, daß Sie sich für die kommende Nacht auf ihre Zelte und die eigenen Betten verlassen müssen, denn es befindet sich kein größerer bewohnter Ort am Flußufer in jener Gegend, die wir erreichen müssen.«

»Keine Sorge, Hauptmann Sinclair, wir werden sehr gut schlafen, das kann ich im voraus sagen«, entgegnete Mrs. Campbell. »Aber wo werden die übrigen ruhen? Es ist nur ein Zelt vorhanden.«

»Oh, um die übrigen beunruhigen Sie sich nicht; wir sind daran gewöhnt, und Ihre Herren werden sich auch nichts daraus machen. Einige werden in den Booten schlafen, andere am Feuer, wiederum andere werden Wache halten und überhaupt nicht schlafen.«

Im weiteren Verlauf des Gespräches bemerkte Mary Percival:

»Ich glaube, Hauptmann Sinclair, Sie hatten Ihre Erzählung von Pontiac noch nicht beendet; Sie brachen gestern bei dem Punkt ab, als er das Fort belagerte. Wollen Sie nicht die Güte haben und uns mitteilen, was weiter geschah?«

»Mit größtem Vergnügen, Miß Percival. Es hatte seine großen Schwierigkeiten, das Fort zu entsetzen, da jede Verbindung abgeschnitten war. Endlich sandte der Gouverneur seinen Adjutanten, Hauptmann Dalyell, dem es gelang, mit etwa zweihundertfünfzig Mann in das Fort zu dringen. Kurz darauf machte er einen Ausfall, um die Verschanzungen der Indianer anzugreifen. Pontiac aber legte ihm, sobald er seine Absicht gewahr wurde, einen Hinterhalt, und die Truppen wurden mit großem Verlust zurückgeschlagen. Der arme Dalyell fiel im Kampfe, der in der Nähe der Brücke stattfand, die noch unter dem Namen Blutbrücke bekannt ist. Pontiac schlug Hauptmann Dalyell das Haupt ab und setzte es auf einen Pfahl.«

»Dies alles fiel Major Gladwins übergroßem Ehrgefühl zum Opfer«, rief Alfred. »Hätte er Pontiac gefangengenommen, so wäre nichts von alledem geschehen.«

»Ich muß Ihnen beistimmen, Mr. Alfred«, versetzte Hauptmann Sinclair, »es war, als wenn ein Wolf losgelassen würde. Der Major Gladwin glaubte das Rechte zu tun und ist daher wohl nicht zu tadeln. – Nach dieser Niederlage wurde die Belagerung noch härter als zuvor, und die Garnison hatte entsetzlich zu leiden. Verschiedene Fahrzeuge, die ausgeschickt wurden, um die Besatzung mit Nahrung zu versehen, fielen in Pontiacs Hände, der die Gefangenen höchst grausam behandelte. Durch den Verlust an Mannschaft und das beständige Wachen, sowie durch den Mangel an Lebensmitteln, war die Garnison geschwächt und in das äußerste Elend geraten. Endlich kam ein Schoner mit Proviant herauf, der wieder durch Pontiac und seine Krieger von ihren Kanus aus angegriffen wurde. Der Schoner sah sich zur Umkehr genötigt, doch die Indianer verfolgten ihn, und nachdem durch ihr unaufhörliches Feuern beinahe jeder Mann an Bord getötet oder verwundet war, holten sie das Schiff ein und nahmen es in Besitz. Während sie die Schiffswände erklommen und über die Kanonenlage gingen, gab der Kapitän des Fahrzeuges, der ein sehr entschlossener Mann war und den Indianern nicht in die Hände fallen wollte, dem Kanonier den Befehl, Feuer an das Pulvermagazin zu legen und alle miteinander in die Luft zu sprengen. – Diese Weisung hörte einer von Pontiacs Häuptlingen, der englisch verstand. Er rief dieselbe einem anderen Indianer zu und sprang vom Schiff herab; die übrigen Indianer folgten und eilten in ihre Kanus zurück oder flüchteten durch Schwimmen so schnell wie möglich aus der Nähe des Fahrzeuges. Der Kapitän benutzte die günstige Sachlage und erreichte sicher die Festung. Auf diese Weise wurde durch den Mut eines einzelnen die Besatzung gerettet und das Fort vor Zerstörung bewahrt.«

»Pontiac ist jetzt tot; Martin Super erzählte uns dies. Wodurch starb er denn, Hauptmann Sinclair?« fragte Mrs. Campbell.

»Er wurde von einem Indianer getötet; doch läßt sich der Grund schwer feststellen. Seit vielen Jahren hatte er mit uns Frieden geschlossen und bezog von der Regierung ein gutes Gnadengehalt. Aber aufs neue schien sein Haß gegen die Engländer loszubrechen, und in einer Ratsversammlung der Indianer machte er den Vorschlag, uns wieder anzugreifen. Nachdem er gesprochen, stieß ihm ein Indianer das Messer in die Brust. Ob dies geschah, um einer persönlichen Rache zu genügen, oder um weiteres Ungemach durch den zu verhüten, der ihren Stämmen schon so viele Opfer gekostet hatte, läßt sich schwer bestimmen. Soviel steht fest, daß mit ihm ein großer Teil aller Feindseligkeiten der Indianer gegen die Engländer zu Grabe getragen worden ist.«

»Vielen Dank, Hauptmann Sinclair, für Ihre freundliche Berichterstattung«, rief Mary Percival. »Für mich war Pontiacs Geschichte höchst spannend.«

»Pontiac war ein Charakter, an dem man viel bewundern und viel beklagen muß: doch wir dürfen diesen Indianer nicht zu hart beurteilen. Zum Befehlen war er geboren, er besaß großen Mut und viel Geschick für alle seine Unternehmungen, ganz abgesehen davon, daß er der keineswegs leichten Aufgabe gewachsen war, alle Stämme der Indianer zu vereinigen. Daß er es versuchte, uns aus dem Lande zu vertreiben, als dessen Herrscher er sich betrachtete, ist nicht zu verwundern, besonders da unsere Eingriffe sich täglich mehrten. Sein größter Charakterfehler bleibt in unseren Augen das Verräterische; doch müssen wir in Betracht ziehen, daß die ganze Kriegführung der Indianer auf List beruht.«

»Aber, daß er das Fort angriff, nachdem er so großmütig freigelassen worden war, obwohl man seine Absichten kannte, bleibt doch eine Niedrigkeit von ihm«, bemerkte Mrs. Campbell.

»Was wir als Großmut ansehen, erschien ihm vermutlich als Schwäche und Torheit. Die Indianer haben keinen Begriff von Edelmut im Kriege. Wäre Pontiac erschossen worden, so wäre er tapfer gestorben; da Major Gladwin es aber nicht für geboten hielt, ihm das Leben zu nehmen, so hielt er sich deswegen nicht im mindesten verpflichtet, uns im Besitz seiner Ländereien zu belassen. – Die Falschheit, die die Indianer bei ihrer Kriegführung für erlaubt und geboten halten, liegt übrigens sonst nicht in ihrem Charakter. Zu jeder anderen Zeit ist an der Gastfreundschaft der Indianer nicht zu zweifeln.« –

Zwei Stunden vor Sonnenuntergang erreichten sie die Stelle, wo sie die Nacht zubringen wollten. Nachdem sie gelandet, mußten einige Soldaten das Zelt auf einem Hügel aufstellen, während andere Holz zum Feuer sammelten. Martin Super trug die Betten an das Land und schlug sie mit Alfreds und Henrys Hilfe auf. Hauptmann Sinclairs Feldsack enthielt alles, was zur Teebereitung erforderlich war, und nach kaum einer halben Stunde stand der Kessel auf dem Feuer. Sobald die Damen an dieser Erfrischung und dem Inhalt eines in Trois Rivieres gefüllten Vorratskorbes teilgenommen, zogen sie sich für die Nacht zurück. Hauptmann Sinclair stellte Schildwachen an verschiedenen Punkten auf, zum Schutz gegen Eindringlinge irgendwelcher Art, und hierauf legten sich die übrigen Soldaten, sowie der männliche Teil unserer Gesellschaft nieder, die Füße gegen ein großes Feuer gewandt, das durch mehrere Baumstämme unterhalten, viele Meter hoch emporflackerte.

Die Nacht verlief ohne Störung, und am nächsten Morgen schifften sie sich wieder ein, um ihre Fahrt fortzusetzen. Vor Abend erreichten sie die Stadt Montreal, wo sie sich einen Tag aufhalten wollten. Mr. Campbell machte hier noch einige Einkäufe, die ihm nötig schienen. Er hatte auch die Absicht, zwei kanadische Pferde zu kaufen, doch ließ er auf Hauptmann Sinclairs Rat den Gedanken fallen. Derselbe sagte ihm nämlich, daß ihm die Tiere während des ersten Jahres wenig Nutzen bringen, wohl aber große Kosten verursachen würden, da er noch kein Futter für sie habe. Ferner würden im nächsten Jahre, wenn man die Besatzung im Fort Frontignac ablöste, die Offiziere ihre Pferde gewiß gern zu geringeren Preisen abgeben, als er in Montreal dafür bezahlen müßte.

Da die Auswanderer einen Empfehlungsbrief an den Gouverneur besaßen, wurde ihnen dort viel Aufmerksamkeit erwiesen. Hauptmann Sinclair erbot sich, noch einen zweiten Tag in Montreal zu bleiben, falls Mr. Campbell es wünsche; doch trug dieser Verlangen, sein Ziel so bald wie möglich zu erreichen. Am folgenden Morgen schifften sie sich daher wieder ein und hatten nun eine Strecke von dreihundertsechzig Meilen gegen den Strom zu steuern und gelegentlich Stromschnellen zu überwinden.

Sechzehn Tage gebrauchten sie dazu. Manche Mühe und manche Gefahr hatten sie zu überwinden. Aber endlich langten sie glücklich beim Fort Frontignac an, wo sie vom Kommandanten, Oberst Forster, aufs freundlichste empfangen wurden. Der Gouverneur von Quebec hatte diesen schriftlich gebeten, sich recht der Familie anzunehmen. So wurden ihnen freundliche Zimmer angewiesen, wo sie endlich wieder einmal beieinander waren und sich miteinander aussprechen konnten.

Nachdem sie wieder einmal in guten Betten geschlafen hatten, waren sie so erfrischt, daß sie sich frühzeitig erhoben und ankleideten. Bald nach sieben Uhr fanden sie sich bereits auf dem Wall der Festung zusammen und schauten auf die Landschaft, die malerisch schön war. Vor ihnen zur Linken breitete sich der See aus, ein Binnenmeer, dessen Ende nicht abzusehen war; er lag jetzt in völliger Ruhe da, und die kleinen Inseln, die sich in der Nähe des Ufers befanden, schienen in ihrem grünen Blätterschmuck über dem Wasser zu schweben. Im Westen, gerade vor ihnen, erstreckten sich die zum Fort gehörigen Lichtungen, deren Hintergrund die fernen Wälder bildeten. Auf einem Teil des urbar gemachten Landes graste eine Herde Rinder, während das übrige Stück durch einen Schlangenzaun abgegrenzt und angebaut war. Hier und dort erhob sich ein Blockhäuschen zum Schutz für die Tiere im Winter, und etwa eine halbe Meile entfernt befand sich ein kleines Fort, von hohen Palisaden umgeben, das als Zufluchtsort für die Viehherden zur Zeit einer Gefahr oder eines Überfalles dienen sollte. In der Nähe dieses Forts ergoß ein reißender Strom, der jetzt über die Ufer getreten war, seine Wasser in den See, nachdem er sich seinen Lauf durch das verschiedenartigste Gesträuch, Buchenwald und Ulmen gebahnt hatte, von denen er umsäumt war. Hell schien die Sonne – die Spechte flogen von Baum zu Baum oder saßen auf den Zaunlatten; der geringelte Eisvogel schoß über dem fließenden Strom auf und nieder, und die zirpenden und kreischenden Stimmen verschiedener anderer Vögel ließen sich von allen Seiten vernehmen.

»Ach, ist es hier nicht wundervoll«, rief Mrs. Campbell, »es kann gewiß kein so großes Unglück sein, in einer Gegend zu leben, wie diese ist.«

»Wenn es immer so schön wäre, vielleicht nicht, Mrs. Campbell«, entgegnete Oberst Forster, der sich der Gesellschaft genähert hatte. »Aber Kanada im Monat Juni ist sehr verschieden von dem Kanada im Monat Januar. Das Leben hier in diesem Fort, wo wir abgeschnitten von der übrigen Welt sind, ist besonders eintönig, und die Winter sind lang und streng genug, um unsere Geduld völlig zu erschöpfen; aber der Soldat muß seine Pflicht tun, gleichviel ob unter der Tropensonne oder in diesen eisigen Wildnissen. Es kann kein sehr angenehmes Leben sein, wenn selbst die Mitteilung einer nahenden Gefahr für uns ein angenehmes Gefühl wird, der Erregung wegen, die sie für den Augenblick verursacht. Doch ich sprach bereits mit Hauptmann Sinclair Ihretwegen, Mr. Campbell. Ich glaube, daß Sie während des kurzen Sommers viel zu tun haben, um für den kommenden Winter gewappnet zu sein, mehr, als Sie mit Ihren beschränkten Kräften leisten könnten. Es freut mich daher, daß meine Befehle vom Gouverneur mir gestatten, Ihnen Beistand zu leisten. Ich schlage vor, daß die Damen hierbleiben, während Sie mit der Hilfe, die ich Ihnen mitgeben kann, nach Ihrem Landbesitz weiterreisen und ihren Empfang vorbereiten.«

»Tausend Dank für Ihr gütiges Anerbieten, Oberst – aber nein, nein, wir gehen alle zusammen«, unterbrach ihn Mrs. Campbell; »wir können von Nutzen sein und bleiben in den Zelten, bis das Haus gebaut ist. Kein Wort weiter darüber, Oberst Forster, dies ist entschieden, obwohl ich Ihnen nochmals vielen Dank für die gütige Einladung sage.«

»Wenn es so steht, dann will ich Ihnen ein Arbeitskommando von zwölf Mann, die wir einige Wochen hindurch gut entbehren können, zur Hilfe schicken. Der Lohn der Leute wird Ihnen keine großen Ausgaben verursachen, und Hauptmann Sinclair selbst will den Befehl über sie übernehmen.«

»Vielen Dank«, erwiderte Mr. Campbell, »und da Sie meinten, daß wir keine Zeit zu verlieren haben, wollen wir mit Ihrer Erlaubnis morgen früh aufbrechen.«

»Ich will es Ihnen nicht ausreden«, entgegnete der Oberst, »obwohl ich hoffte, ein wenig länger das Vergnügen Ihrer Gesellschaft genießen zu dürfen. Sie wissen, daß ich den Befehl vom Gouverneur habe, Sie zu billigem Preise mit Rindern aus unserem Viehbestande zu versorgen. Ich brauche daher wohl kaum zu sagen, daß die Auswahl in Ihrem Belieben steht.«

»Und ich«, sagte Hauptmann Sinclair, der sich inzwischen mit Mary Percival unterhalten hatte, »habe für Sie unter meinen Kameraden eine Sammlung veranstaltet, mit der Sie noch nicht versehen sind, die Sie aber nützlich, ja ich darf sagen, durchaus notwendig finden werden.«

»Was kann das sein, Hauptmann Sinclair?« fragte Mrs. Campbell.

»Eine Sammlung von Hunden aller Arten. Ich habe deren fünf; wenn dieselben auch nicht sehr schön sind, so werden Sie sehen, daß sie mit dem hiesigen Lande vertraut sind und ihre Pflicht getreu erfüllen werden. Ich habe einen Wachtelhund, eine Bulldogge, zwei Dachshunde und einen großen Jagdhund – alle sind sehr mutig und bereit, Catamounts, Wölfe, Luchse, ja selbst Bären anzugreifen.«

»Das ist in der Tat ein höchst wertvolles Geschenk«, entgegnete Mr. Campbell, »und ich spreche Ihnen unseren aufrichtigsten Dank aus.«

»Die Kühe sollten Sie noch vor Ihrer Abreise aussuchen, falls Sie nicht vorziehen, mir dies zu überlassen«, bemerkte Oberst Forster. »Sie sollen in ein bis zwei Tagen zu Ihnen hinübergetrieben werden, da ich annehme, daß die Damen frische Milch gern haben. Bei dieser Gelegenheit muß ich Sie in ein Geheimnis einweihen, Mr. Campbell. Die wilden Zwiebeln, die das Rindvieh sehr liebt, geben der Milch einen unangenehmen Geschmack. Derselbe kann beseitigt werden, indem man die Milch, sobald sie von den Kühen gekommen ist, erhitzt.«

»Vielen Dank, Oberst, für Ihre Belehrung«, versetzte Mr. Campbell, »denn ich besitze keine Vorliebe für den Zwiebelgeschmack an der Milch.«

Die Aufforderung, zum Frühstück zu kommen, machte dem Gespräch ein Ende.

Den Tag über waren Henry und Alfred mit Hilfe Hauptmann Sinclairs und Martin Supers sehr beschäftigt, zwei Kähne mit den Vorräten, Zelten, sowie verschiedenen Koffern zu beladen, die Wäsche und andere notwendige Dinge enthielten, die sie mitgebracht hatten. Mr. und Mrs. Campbell waren ebenfalls tätig, um die Sachen auszuwählen und auf eine Seite zu legen, die sie unmittelbar nach ihrer Ankunft auf ihrem Besitztum gebrauchten. Sehr ermüdet, begaben sie sich frühzeitig zu Bett, um am nächsten Tage für ihre Weiterfahrt frisch zu sein. Nach dem Frühstück verabschiedeten sie sich von dem gütigen Kommandanten und den übrigen Offizieren und gingen dann zum Ufer des Sees hinab, wo sie mit Hauptmann Sinclair das für sie bereitliegende Boot des Obersten bestiegen. Martin Super, Alfred und Henry gingen mit den fünf Hunden an Bord der beiden Kähne, die mit dem Korporal und den vom Kommandanten an Mr. Campbell abgetretenen zwölf Soldaten bemannt waren. Das Wetter war wundervoll, und in bester Stimmung fuhren sie fort. Die Entfernung zu Wasser betrug nicht über drei Meilen, obwohl es zu Land beinahe fünf waren, und nach einer halben Stunde erreichten sie die Bucht, an die ihr Eigentum grenzte.

»Hier ist die Stelle, Mr. Campbell, die Ihre künftige Wohnstätte bilden wird«, sagte Hauptmann Sinclair. »Sie sehen doch den Punkt, wo jener Bach zum See hinabläuft? Das ist Ihre östliche Grenze; das jenseitige Land gehört dem alten Jäger, von dem wir sprachen. Sie können seine kleine Blockhütte erkennen, die kaum größer als eine Indianerwohnung ist, und Sie sehen das von einem Zaun umgebene Fleckchen Mais, der soeben dem Boden entsprossen ist. Dieser Teil kann ihm keinen großen Nutzen gewähren, da er keinerlei Vieh zu halten scheint, es sei denn, daß dasselbe in den Busch gegangen ist. Mir ist aber, als erzählten einige unserer Leute, er lebe ganz von der Jagd und habe eine Indianerin zur Frau.«

»Nun«, sagte Emma Percival lachend, »auf weibliche Gesellschaft haben wir gar nicht gerechnet. Wie heißt denn der Mann?«

»Malachi Bone«, entgegnete Hauptmann Sinclair; »vermutlich erwarten Sie von Missis Bone, daß sie Ihnen zuerst einen Besuch macht.«

»Das muß sie tun, wenn sie die feine Sitte der Gesellschaft kennt«, entgegnete Emma, »doch wenn sie es unterläßt, so werde ich zu ihr gehen. Ich bin sehr neugierig, die Bekanntschaft einer indianischen Squaw zu machen.«

»Sie werden erstaunt sein, das von mir zu hören, Miß Emma, aber ohne die Frau gesehen zu haben, kann ich Ihnen versichern, daß Sie sie völlig wohlerzogen finden werden. Alle Indianerfrauen sind es; ihre Charaktere sind eine Mischung von Unbefangenheit und Zurückhaltung. – Wendet die Spitze des Bootes mehr nach rechts, Selby, wir wollen dicht neben dem kleinen Hügel dort landen.«

Das Boot des Kommandanten war viel schneller gefahren und den beiden Kähnen eine Strecke vorausgeeilt. Einige Minuten darauf waren alle ausgestiegen und standen auf dem Hügel, um ihr neues Eigentum zu erblicken. Ein Teil von etwa dreißig Morgen, der sich am Ufer des Sees erstreckte, war Prärie; eine Wiese mit kurzem, schönem Grase. Auf dem unmittelbar daranstoßenden Land befand sich Buschholz, dahinter indessen die dunkle, undurchdringliche Front des Hochwaldes, der die Landschaft begrenzte. Das Besitztum des alten Jägers auf der anderen Seite des Baches bestand aus einer gleichen Strecke Wiesenlandes, und war in dieser Hinsicht nur eine Fortsetzung des Mr. Campbell gehörigen Anteils.

»Nun«, sagte Martin Super, sobald er nach Ankunft der Kähne die Gesellschaft auf dem Hügel erreicht hatte, »Sie können sehr zufrieden sein, das Stück Wiese zu besitzen. Wir würden nicht wenige Axtschläge gebraucht haben, um aus einem Walde, wie der hinter uns ist, eine solche Strecke zu lichten. Das ist ein Vermögen für einen neuen Ansiedler.«

»Das meine ich auch, Martin«, sagte Mr. Campbell.

»Nun heißt's ans Werk gehen, sobald es Ihnen beliebt, denn jeder Tag ist ein Tag, und keiner darf verloren werden. Ich werde mit fünf bis sechs Leuten, die eine Axt führen können, in den Wald gehen und mit dem Niederschlagen anfangen; Sie und Hauptmann Sinclair können hierbleiben und sich entschließen, wo das Haus stehen soll. Die anderen Soldaten sollen die Zelte zur Nacht fertig machen; denn vor dem nächsten Vollmond können Sie nicht erwarten, ein Haus über Ihren Köpfen zu haben.«

Schon nach einer Viertelstunde waren alle in Bewegung. Henry und Alfred folgten mit ihren Äxten Martin Super und der Hälfte der Soldaten; die übrigen Leute trugen die Sachen ans Land und schlugen die Zelte auf, während Hauptmann Sinclair und Mr. Campbell den Grund und Boden prüften, um eine geeignete Stelle zur Errichtung des Hauses auszuwählen. Mrs. Campbell blieb auf dem Hügel sitzen und beobachtete das Ausladen; Percival brachte ihr nach ihrer Weisung diejenigen Sachen herbei, die zum sofortigen Gebrauch dienen sollten. Mary und Emma gingen, da man sie mit keiner Arbeit betraut hatte, in Johns Begleitung am Ufer des Flusses dem Walde zu.

»Hätte ich doch meinen Kasten hier!« rief John, der in das strömende Wasser geblickt hatte.

»Wozu möchtest du deinen Kasten haben?« fragte Mary.

»Wegen der Angelhaken, die darin sind«, entgegnete John.

»Weshalb? Siehst du denn Fische in dem Flüßchen?« fragte Emma.

»Ja«, versetzte John.

Mary und Emma folgten ihm. Plötzlich blieb er stehen und deutete auf eine Gestalt, die am anderen Ufer des Flusses unbeweglich stand. Die jungen Mädchen fuhren zurück, als sie einen großen, hageren, mit Tierhäuten bekleideten Mann erblickten, der sich auf eine lange Flinke stützte, während seine Augen fest auf sie gerichtet waren. Sein Antlitz war wettergebräunt und so dunkel, daß es sich schwer sagen ließ, ob er der Indianerrasse angehöre oder nicht.

»Es muß ein Jäger sein, Emma«, sagte Mary Percival, »er ist nicht wie die Indianer gekleidet, die wir in Quebec sahen.«

»Das muß er sein«, entgegnete Emma. »Ob er nicht sprechen wird?«

»Wir wollen stehenbleiben und sehen«, meinte Mary.

Sie warteten minutenlang, aber der Mann schwieg und verharrte in seiner Stellung.

»Ich werde ihn anreden«, sagte Emma endlich. »Guter Mann, Sie sind Malachi Bone, nicht wahr?«

»So ist mein Name«, antwortete der Jäger mit tiefer Stimme. »Wer sind Sie aber, und was haben Sie hier zu tun? Wird hier von der Festung aus ein Possen getrieben, oder was führt sonst all diese Störung herbei?«

»Störung! Wieso? Wir machen nicht viel Lärm, und es ist kein Spaß, daß wir hierhergekommen sind. Wir wollen uns hier ansiedeln und werden Ihre Nachbarn sein.«

»Hier ansiedeln? Was meinen Sie damit, junges Frauenzimmer? Sie doch sicherlich nicht.«

»Doch, freilich. Kennen Sie nicht Martin Super, den Pelzjäger? Der ist bei uns und schon im Walde, um alles zum Hausbau vorzubereiten.«

»Weißt du, Mary«, sagte Emma leise zu ihrer Schwester, »ich fürchte mich doch beinahe vor dem Mann, obgleich ich so dreist mit ihm spreche.«

»Martin Super, ja, den kenne ich«, entgegnete der Jäger, der ohne weiteren Gruß seine Flinte unter den Arm nahm, sich umwandte und in der Richtung seiner Hütte von dannen schritt.

»Nun«, bemerkte Emma nach einer kurzen Pause, während sie mit ihren Blicken die Gestalt des Jägers verfolgte, »der alte Herr ist nicht übermäßig höflich. Wollen wir nicht umkehren und unser erstes Abenteuer erzählen?«

»Laß uns dorthin gehen, wo Alfred und Martin Super arbeiten und es ihnen erzählen«, entgegnete Mary.

Bald erreichten sie die Stelle, wo die Männer die Bäume fällten, und teilten Alfred und Martin ihr Erlebnis mit.

»Er ist böse«, bemerkte Martin, »ich dachte es mir schon. Nun, wenn es ihm nicht paßt, so mag er sich anderswo niederlassen.«

»Warum meinen Sie, daß er sich anderswo niederlassen sollte?«

»Ich meine, Miß, wenn er Gesellschaft in der Nähe nicht liebt, so muß er fortziehen und seinen Wigwam weiter ab aufbauen.«

»Warum sollte er aber keine Gesellschaft lieben? Ich sollte meinen, sie müsse ihm doch angenehmer als die Einsamkeit sein.«

»Das mögen Sie wohl denken, Miß; aber Malachi Bone denkt anders, und das ist natürlich. Ein Mensch, der sein ganzes Leben in den Wäldern verbracht hat, immer allein war, mit wachendem Auge und mit lauschendem Ohr auf jeden Laut merkte, selbst wenn er nur durch einen brechenden Zweig oder ein fallendes Blatt entstand, der selbst im Schlaf noch den Finger auf dem Büchsenlauf und das Auge halb geöffnet hielt, gewöhnt sich daran, keine Gesellschaft außer der eigenen zu haben, und kann solche daher nicht aushalten. – Ich weiß die Zeit, wo es mir ebenso ging. Denkt nur, Miß, wenn ein Mensch vielleicht monatelang kein Wort gesprochen hat, so ist ihm das Reden eine Last, und wenn er monatelang kein gesprochenes Wort vernommen hat, ist das Zuhören ebenso schlimm. Es ist alles Gewohnheit, Miß, und Malachi, wie ich mir wohl dachte, liebt keine Gesellschaft, darum läuft er fort und ist ärgerlich. Ich will heute abend nach der Arbeit zu ihm gehen.«

»Aber, er hat doch eine Frau, Martin, nicht wahr?«

»Aber sie ist eine Indianerin, Mister Alfred, und Indianerfrauen sprechen nicht, außer, wenn sie angeredet werden.«

»Welch ein Vorzug«, rief Alfred lachend. »Ich glaube wirklich, daß ich mich nach einer indianischen Gattin umsehen werde, Emma.«

»Das halte ich auch für das beste«, versetzte Emma; »du bist dann wenigstens sicher, ein ruhiges Haus zu haben – sobald du nicht darin bist. – Und wenn du heimkehrst, kannst du dich immer mit dir selbst unterhalten, und das liebst du ja gerade. Komm, Mary, wir wollen ihn verlassen, damit er von seiner Squaw träumen kann.«

Die vom Kommandanten der Festung ausgewählten Leute waren gewöhnt, die Axt zu handhaben. Vor Einbruch der Nacht waren schon viele Bäume gefällt und lagen bereit, um auseinandergesägt zu werden. Die Zelte waren sämtlich aufgestellt worden. Diejenigen für die Familie Campbell auf dem Hügel, jene für Hauptmann Sinclair und die Soldaten etwas entfernt davon. Die Feuer wurden angezündet, und da man nur ein kaltes Mittagbrot gehabt, bereiteten Martin und Mrs. Campbell mit Hilfe der jungen Mädchen und der Knaben ein warmes Abendessen. Nach demselben zogen sich alle frühzeitig zur Ruhe zurück. Hauptmann Sinclair hatte jedoch zuvor einen Mann als Schildwache aufgestellt, und die Hunde waren an verschiedenen Plätzen angebunden worden, um Alarm zu schlagen, sobald Gefahr drohe. Das war jedoch nicht zu befürchten, da sich die Indianer seit geraumer Zeit sehr ruhig in der Nachbarschaft des Forts verhalten hatten.

Als am folgenden Morgen alle beim Frühstück versammelt waren, erzählte Martin Super Mr. Campbell, daß er Malachi Bone gesehen habe, der sich sehr mißfällig über ihre Ankunft geäußert habe und entschlossen sei, seinen Platz zu verlassen, falls sie hierbleiben.

»Er kann doch aber nicht von uns erwarten, daß wir ihm zu Gefallen diese Stätte verlassen?«

»Nein«, entgegnete Martin; »wäre Malachi jedoch von bösartiger Gesinnung, so könnte er Ihnen das Bleiben sehr verleiden, indem er Ihnen die Indianer auf den Hals hetzte.«

»Das wird er doch nicht tun?« sagte Mrs. Campbell.

»Nein, das glaube ich nicht von ihm«, erwiderte Martin, »denn wie Sie sehen, ist es ihm ein Leichtes, weiter fort zu gehen.«

»Aber, weshalb muß er denn von seinem Eigentum weichen oder wir von dem unsrigen?« bemerkte Mrs. Campbell.

»Er sagt, er will nicht beengt sein, Madam, er kann das nicht ertragen.«

»Es ist doch aber ein Fluß zwischen uns.«

»Der ist freilich da; aber er hat trotzdem das Gefühl. Ich sagte, daß Mr. Campbell, falls er fort wolle, ihm gewiß sein Land abkaufen würde, und er schien ganz gewillt, sich davon zu trennen.«

»Dadurch würde Ihr Eigentum sehr vergrößert, Mr. Campbell«, bemerkte Hauptmann Sinclair. »In erster Linie würden Sie die ganze Prärie und beide Ufer des Flüßchens besitzen, was jetzt anscheinend von geringer Bedeutung ist, später jedoch, wenn das Land bevölkert ist, höchst wertvoll sein würde.«

»Gut«, entgegnete Mr. Campbell, »da anzunehmen ist, daß wir, oder wenigstens meine mich überlebenden Angehörigen, so lange hierbleiben, bis das Land sich mehr bevölkert, so wird es mir sehr lieb sein, mit Bone den Verkauf seines Besitztums zu regeln.«

»Ich werde weiter mit ihm darüber sprechen«, versetzte Martin.

Der zweite Tag verging wie der erste mit Vorbereitungen zur Errichtung des Hauses, dessen Plan auf Hauptmann Sinclairs Rat weit größer veranschlagt wurde, als man ursprünglich beabsichtigt hatte. Da Mr. Campbell den arbeitenden Soldaten einen bestimmten Tagelohn zahlte, durfte er sie ohne Gewissensbisse längere Zeit bei sich beschäftigen. Am dritten Tage traf ein Boot von der Festung ein, das die Ration für die Soldaten und ein Geschenk vom Kommandanten brachte, das in zwei schönen Rehböcken bestand. Hauptmann Sinclair fuhr mit dem Boot fort, um verschiedene Gegenstände zu kaufen, die er notwendig brauchte, und kehrte am Abend zurück. Da das Wetter schön blieb, wurde im Laufe einer Woche eine Menge Bauholz geschlagen und geschnitten.

Während dieser Zeit hatte Martin verschiedene Begegnungen mit dem alten Jäger, und man kam überein, daß er sein Eigentum an Mr. Campbell verkaufen solle. Nach Geld schien er nicht viel zu fragen, da dies für ihn nutzlos war; Schießpulver, Blei, Flinten, Decken und Tabak waren die Hauptartikel, die er im Tauschhandel verlangte. Die Menge derselben wurde jedoch nicht genau festgesetzt. Inzwischen waren der alte Jäger und John miteinander vertraut geworden, obgleich beide mit Worten höchst sparsam waren. Soviel stand jedoch fest, daß John einen Weg über den Fluß ausfindig gemacht hatte und bei den Mahlzeiten nur selten daheim war. Martin berichtete, daß er in der Behausung des alten Jägers sei und dort keinen Schaden nehmen könne, wodurch Mrs. Campbell sich beruhigt fühlte.

»Aber, was macht er denn dort, Martin«, fragte Mrs. Campbell, während sie nach dem Abendbrot den Tisch abräumte.

»Nichts weiter, als daß er der Squaw oder Malachi zusieht, wenn der seine Flinte putzt, oder was es sonst dort zu sehen gibt. Er spricht nie, das weiß ich, und darum gefällt er dem alten Malachi.«

»Er brachte heute nachmittag einen ganzen Korb mit Forellen nach Hause«, bemerkte Mary, »er ist also nicht ganz untätig.«

»Nein, Miß, er fängt schon am frühen Morgen an zu fischen und gibt die eine Hälfte seines Fanges Ihnen, die andere dem alten Bone. Er wird noch einmal einen Prachtjäger abgeben, sagt der alte Malachi. Schon jetzt kann er den Stecher an des alten Mannes Büchse rühren, daß es eine Art hat, das kann ich Ihnen sagen.«

»Wie meint Ihr das, Martin?« fragte Mrs. Campbell.

»Ich meine damit, daß er ziemlich gut schießt, obwohl die Flinte sehr schwer für ihn zu heben ist. Eine kleinere würde besser für ihn passen.«

»Aber, ist er denn nicht zu jung, um ihm eine Flinte anvertrauen zu können?« fragte Mary.

»Nein, Miß, hier kann man nicht zu jung dafür sein; je früher sich ein Junge nützlich macht, desto besser, und ein Junge mit der Flinte ist beinahe so gut wie ein Mann; denn die Flinte tötet, wenn richtig mit ihr gezielt wird, auf gleiche Weise. Master Percival muß auch sein Gewehr haben, sobald ich nur so viel Zeit habe, ihn damit einzuüben.«

»Ich wünschte, Ihr hättet jetzt Zeit, Martin«, rief Percival.

»Tante, du vergißt, daß du auch versprochen hast, eine Büchse laden und abfeuern zu lernen.«

»Durchaus nicht, ich will mein Wort halten, sobald Zeit dazu ist. Aber John ist noch sehr jung.«

»Nun, Mary, ich glaube, wir müssen uns auch anwerben lassen«, sagte Emma.

»Ja, wir wollen die weibliche Schützenbrigade bilden«, versetzte Mary lachend.

»Der Gedanke gefällt mir wirklich«, fuhr Emma fort. »Ich werde jetzt keine Ungezogenheiten mehr ertragen, merke dir das, Alfred. Sobald du mein Mißfallen erregst, nehme ich meine Büchse herunter.«

»Ich vermute, du wirst mit deinen Augen noch größere Wirkung erzielen«, versetzte Alfred lachend.

»Aber doch nicht einem Panther gegenüber. – So wahr ich lebe, Onkel, da kommt der alte Jäger mit John, der hinter ihm hertrottet. Ich dachte mir's, daß er endlich doch kommen würde. Der Besuch gilt sicherlich mir, denn, als wir uns zuerst sahen, blieb er stumm vor Bewunderung.«

»Das durfte er mit Recht«, bemerkte Hauptmann Sinclair, »denn in den Wäldern hat er solche Damen, wie Sie und Ihre Schwester, nicht oft angetroffen.«

»Nein«, versetzte Emma, »eine englische Squaw muß hier eine ziemliche Seltenheit sein.«

Bei den letzten Worten trat der alte Malachi Bone ein, setzte sich ohne zu sprechen nieder und stellte seine Büchse zwischen die Knie.

»Euer Diener, Sir«, begann Mr. Campbell, »ich hoffe, es geht Euch gut.«

»Was in aller Welt führt Sie hierher?« fragte Bone sich umschauend, »Sie passen nicht für die Wildnis. Der Winter wird bald kommen, und dann gehen Sie wieder zurück, sollte ich meinen.«

»Nein, das werden wir nicht tun«, versetzte Alfred, »denn wir haben keinen Ort, an den wir zurückkehren können; außerdem gibt es schon so viel Menschen dort, von wo wir kommen, und wir sind hierher gezogen, um mehr Platz zu haben.«

»Und nun wollen Sie mir den Raum beengen«, entgegnete der Jäger, »darum werde ich weiter gehen.«

»Gut, Malachi, der Herr wird Euch Euer urbares Land bezahlen. Das sagte ich Euch«, warf Martin ein.

»Ja, freilich, aber ich wollte lieber, ich hätte ihn und seine Habe nie gesehen.«

»Mit der Habe meint Ihr uns wohl?« fragte Emma.

»Nein, Mädchen, Sie meinte ich nicht, ich verstand darunter Schießpulver und dergleichen.«

»Ich denke, Emma, in letzteres bist du mit eingeschlossen«, sagte Alfred.

»So gelte ich noch mehr als du, denn Blei hat er nicht einmal erwähnt«, entgegnete Emma.

»Martin Super, Ihr wißt, daß ich Blei auf dem Papier besonders nannte«, sagte Malachi Bone.

»Sicher, und Ihr sollt es auch haben«, sagte Mr. Campbell. »Nennt uns Eure Bedingungen, so will ich jetzt mit Euch abschließen.«

»Nun, ich werde das Martin und Ihnen überlassen, Fremder. Ich ziehe morgen ab.«

»Morgen; und wohin geht Ihr?«

Malachi Bone deutete gen Westen.

»Sie werden meine Büchse nicht hören«, sagte der alte Jäger nach einer Pause; »aber ich glaube nicht, daß Sie hierbleiben. Sie kennen das Indianerleben nicht. Das paßt nicht für Ihre Art. Nein, unter Ihnen ist nicht einer, der für die Wälder paßte, außer diesem Jungen«, fuhr Malachi fort, indem er seine Hand auf Johns Kopf legte. »Den laßt mit mir gehen. Ich will einen Jäger aus ihm machen; könnte ich das nicht, Martin?«

»Das könntet Ihr, wenn sie ihn an Euch abtreten wollten.«

»Wir können ihn Euch nicht ganz überlassen«, versetzte Mr. Campbell, »aber er wird Euch besuchen, wenn Ihr es wünscht.«

»Schön, das ist ein Versprechen, dessentwegen ich nicht so weit fortgehen werde, wie ich eigentlich wollte. Er hat ein gutes Auge, ich werde ihn mir holen.«

Der alte Mann erhob sich nun und ging fort, gefolgt von John, der mit keinem der Anwesenden ein Wort gewechselt hatte.

»Mein lieber Campbell«, sagte seine Frau, »was hast du mit John vor? Du kannst doch nicht denken, daß der alte Jäger ihn mitnehmen sollte?«

»Nein, gewiß nicht«, versetzte Mr. Campbell, »aber ich sehe nicht ein, warum er nicht hin und wieder bei ihm sein dürfte.«

»Es wird ihm sehr gut tun, wenn es geschieht«, sagte Martin. »Wenn ich raten darf, so lassen Sie den Jungen kommen und gehen. Der alte Mann hat eine Vorliebe für ihn gefaßt und wird ihn das Weidwerk lehren. Außerdem ist es etwas wert, Malachi Bone zum Freunde zu haben.«

»Weshalb? Was kann er uns nützen?« fragte Henry.

»Ein Freund in der Not ist immer ein Freund, Sir, und in der Wildnis ist ein solcher nicht zu verachten.«

»Der alte Malachi zieht weiter hinaus; wenn Gefahr droht, werden wir es um des Knaben willen von ihm erfahren, und tut es not, wird er uns beistehen.«

»Es liegt viel Wahres in Martin Supers Bemerkung, Mr. Campbell«, äußerte Hauptmann Sinclair. »Sie haben dann Malachi als Vorhut und besitzen in dem Fort, falls ein Rückzug nötig ist, einen Hinterhalt.«

»Und vielleicht erhält John durch den alten Jäger diejenige Erziehung, die ihm zur Vorbereitung für sein künftiges Leben am allernützlichsten ist.«

»Jedenfalls ist es die einzige, die er selbst gern annimmt«, bemerkte Henry.

»Lassen Sie ihn gehen, Sir, lassen Sie ihn gehen«, sagte Martin.

»Ich kann noch keine bestimmte Antwort geben, Martin«, versetzte Mr. Campbell. »Jedenfalls will ich ihm erlauben, den alten Mann zu besuchen, dagegen läßt sich nichts sagen – aber, es ist Schlafenszeit.«

Am Tage nach Bones Besuch sah Emma den alten Jäger mit einer Büchse in den Wald gehen, gefolgt von ihrem Vetter John; da sie sehr begierig war, seine indianische Frau zu sehen, so überredete sie Alfred und Hauptmann Sinclair, sie und Mary nach der anderen Seite des Flusses zu begleiten. Die Schwierigkeit bestand darin, ausfindig zu machen, wo derselbe zu überschreiten war; doch da es John gelungen war, ließ sich annehmen, daß es einen Übergang gab, und sie schickten sich an, ihn zu erforschen. Eine halbe Meile stromaufwärts, wo der Fluß durch den Wald lief, entdeckten sie, daß ein mächtiger Baum über das Wasser gelegt war. Mit Hilfe der jungen Männer gelangten Mary und Emma ohne Schwierigkeiten hinüber und wanderten dann am jenseitigen Ufer zurück, um zu Malachis Wohnung zu gelangen. Nichts rührte sich, als sie in deren Nähe kamen, bis endlich ein Hund zu bellen begann. Trotzdem kam niemand aus der Hütte heraus, und sie erreichten die Tür, vor der der Hund stand, und fanden erst dort die Indianerin auf der Erde sitzend. Sie nähte eifrig an einem Paar Mokassins aus Hirschleder und schien bestürzt, als sie zuerst Alfred allein erblickte. Als sie jedoch bemerkte, daß die jungen Damen bei ihm waren, kehrte ihr Vertrauen zurück. Sie neigte ein wenig den Kopf und setzte ihre Arbeit fort.

»Wie jung sie ist«, sagte Emma, »sie kann nicht älter als achtzehn Jahre sein.«

»Ich zweifle, daß sie schon so alt ist«, versetzte Hauptmann Sinclair.

»Sie hat ein sehr bescheidenes, natürliches Aussehen, nicht wahr, Alfred?« sagte Mary.

»Ja, ich finde, sie hat etwas sehr Einnehmendes in ihrem Gesicht. Sie ist jedenfalls viel zu jung als Frau für den alten Jäger«, bemerkte Alfred.

»Das ist bei den Indianern nichts Ungewöhnliches«, sagte Hauptmann Sinclair. »Ein ganz alter Häuptling hat manchmal drei oder vier junge Frauen; man muß dieselben mehr als seine Dienerinnen denn als etwas anderes ansehen.«

»Sie muß uns aber für sehr ungebildet halten, daß wir miteinander reden und sie dabei derartig anstarren. Ich vermute jedoch, daß sie nicht englisch sprechen kann. Ich werde in ihrer Sprache mit ihr reden, falls sie zu den Chippeways oder einem der benachbarten Stämme gehört, die alle den gleichen Dialekt haben«, sagte Hauptmann Sinclair.

Er redete sie nun in indianischer Sprache an; die Indianerin antwortete mit sehr weicher Stimme.

»Sie sagt, daß ihr Mann fortgegangen ist, um Wildbret nach Hause zu bringen.«

»Erzählen Sie ihr, daß wir hier leben werden und ihr alles geben wollen, dessen sie bedarf.«

Hauptmann Sinclair sprach sie von neuem an und empfing ihre Antwort.

»Sie sagt, daß Sie schöne Blumen, aber nicht die wilden Blumen dieses Landes wären, und daß der kalte Winter sie töten würde.«

»Sagen Sie ihr, daß uns der nächste Sommer noch lebendig finden wird. Geben Sie ihr diese Spange von mir; sie möge sie zu meinem Andenken tragen.«

Hauptmann Sinclair richtete die Botschaft aus und übergab der Indianerin das Schmuckstück, die mit freundlichem Aufblick zu Emma erwiderte, daß sie niemals die schöne Lilie vergessen werde, die so gütig gegen die kleine Erdbeerpflanze sei.

»Ihre Sprache ist wirklich poetisch und schön«, bemerkte Mary; »ich habe nichts, was ich ihr schenken könnte. Oh, ja doch! Hier ist meine elfenbeinerne Nadelbüchse mit einigen Nähnadeln. Sagen Sie ihr, die könne sie gebrauchen, wenn sie Mokassins näht. Öffnen Sie die Büchse und zeigen Sie ihr, was drin ist.«

»Sie sagt, damit würde sie schneller und besser nähen können als bisher; auch wünscht sie Ihren Fuß zu sehen, um sich dankbar erweisen zu können, darum strecken Sie Ihren Fuß vor, Miß Percival.«

Mary tat dies; die Indianerin musterte ihn, lächelte und nickte mit dem Kopf.

»Oh, Hauptmann Sinclair, sagen Sie ihr doch, daß der kleine Junge, der mit ihrem Mann fortgegangen ist, unser Vetter sei.«

Hauptmann Sinclair berichtete folgende Antwort von ihr: »Er wird ein großer Jäger werden und später viel Wild heimbringen.«

»Schön, nun sagen Sie ihr, daß wir uns immer freuen werden, sie zu sehen, jetzt aber wieder nach Hause gehen. Fragen Sie sie auch nach ihrem Namen und nennen Sie ihr die unsrigen.«

Nachdem Hauptmann Sinclair ihr das verdolmetscht, sprach die Indianerin ihm die Namen Mary und Emma sehr deutlich nach. –

»Sie sehen, sie weiß jetzt Ihre Namen; ihr eigener lautet, ins Englische übertragen, die Erdbeerpflanze.« Hierauf nickten sie der jungen Indianerin einen Abschiedsgruß zu und kehrten nach Hause zurück. Als am zweiten Abend nach diesem Besuch die Unterhaltung beim Nachtmahl auf den Jäger und seine junge Frau kam, rief John, der, wie gewöhnlich, bisher geschwiegen hatte, plötzlich:

»Gehen morgen fort.«

»Sie gehen morgen fort, John? Wohin gehen sie denn?« fragte Mr. Campbell.

»Wälder«, entgegnete John.

John hatte recht mit dieser Behauptung. In der Frühe des nächsten Morgens sah man Malachi Bone mit der Büchse auf der Schulter und der Axt in der Hand über Mr. Campbells Prärie kommen, gefolgt von seiner Frau, die unter ihrer Last tief gebückt einherschritt. Letztere bestand in der ganzen Habe des alten Jägers, die in Decken zusammengebunden war. Malachi hatte am Abend zuvor die Bestellung aufgetragen, daß er in wenigen Tagen, sobald er sich von neuem niedergelassen habe, zurückkommen werde, um den Handel über seinen Landesanteil mit Mr. Campbell abzuschließen. Man erfuhr dies, ehe man sich zum Frühstück niedersetzte, und gewahrte zugleich, daß John fehle.

»Kein Zweifel«, sagte Martin, »er wird mit Malachi Bone gehen, um die Stelle aufzusuchen, wo dieser seinen Wigwam aufstellt, und wird darauf zu Ihnen zurückkehren. Es würde keinen Zweck haben, wenn wir ihm jemand nachschickten, zumal wir nicht wüßten, auf welchem Wege man ihm folgen sollte.«

Martin hatte recht. – Nach zwei Tagen ließ sich John wieder blicken und blieb die ganze Woche über sehr ruhig zu Hause, fing Fische im Fluß oder beschäftigte sich mit einem Bogen und mehreren Pfeilen, die er vom alten Malachi Bone bekommen hatte. Aber der Junge schien schweigsamer und noch mehr zur Einsamkeit geneigt als zuvor, war jedoch gehorsam und freundlich gegen seine Mutter und die Basen; auch liebte er Percivals Begleitung, wenn er ausging, um im Fluß Forellen zu fangen.

Natürlich nahm man nach dem Abzug des alten Jägers seine Blockhütte in Besitz und brachte die Kühe auf die davor befindliche Wiese.


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