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Erstes Kapitel

Herr Campbell war ein gesuchter Arzt in einer Stadt Englands. Er war ein liebenswürdiger Mann, der aber wenig Tatkraft besaß und seinen Willen stets dem seiner Frau unterordnete. Diese war eine zarte Erscheinung, die allerdings große Festigkeit und Selbstbeherrschung besaß. Sie hatten vier Kinder, lauter Jungen, die sie Henry, Alfred, Percival und John genannt hatten. Außerdem gehörten noch zwei Mädchen zu ihrem Haushalt, die Kinder der frühverstorbenen Schwester des Herrn Campbell: Mary und Emma Percival.

Die Familie führte ein glückliches Leben; wenn sie auch keine Reichtümer hatten, so waren sie doch zufrieden.

Eines Tages kam Herr Campbell von seinen ärztlichen Besuchen heim, als der Postbote einen schwarzgesiegelten Brief überbrachte. Der Hausherr öffnete ihn und las:

»Sehr geehrter Herr!

Wir beehren uns, Ihnen mitzuteilen, daß vor kurzem Herr Sholto Campbell auf Wexton-Hall verstorben ist. Die von diesem hinterlassenen Güter fallen Ihnen zu, da man von dem eigentlichen Erben seit zwanzig Jahren nichts gehört hat. Er ist vermutlich zur See oder in Ostindien umgekommen. Wir dürfen Sie deshalb zu einem jährlichen Einkommen von 14 000 Pfund beglückwünschen. Wir haben den persönlichen Nachlaß versiegelt und erwarten Ihre näheren Bestimmungen. Wir gestatten uns, Ihnen unseren geschäftlichen Rat anzubieten und zeichnen mit vorzüglicher Hochachtung

Harvey & Co.«

Herr Campbell reichte diesen Brief seiner Gattin, die ihn las und still aus den Tisch legte.

»Nun, meine Liebe?« fragte der Hausherr.

»Ein unerwartetes Ereignis«, versetzte Frau Campbell. »Aber, ob es unser Glück größer macht?«

»Ich glaube nicht, Emilie«, erwiderte Herr Campbell. »Wir müssen aber unsere Pflicht auf dem Platz, auf den wir gestellt sind, erfüllen. Da ich bisher meinen Mitmenschen durch meinen Beruf genützt habe, so werde ich es künftig durch das Einkommen tun können, das mir so unerwartet in den Schoß gefallen ist.«

»So habe ich es von meinem Gatten erwartet«, sagte Frau Campbell und umarmte ihren Mann. »Wer so wie du empfindet, kann niemals zu reich sein.«

Sie nahmen also Wexton-Hall in Besitz. Es war ein ziemlich heruntergewirtschaftetes Besitztum, in das erst große Summen gesteckt werden mußten, um es ertragreich zu gestalten. In langer Arbeit gelang dies Herrn Campbell. Nebenbei versäumten die beiden aber nicht, Gutes zu tun, wo sie nur irgend konnten. Manche Wohltat wurde von ihnen getan, Schulen und Krankenhäuser von ihnen erbaut, so daß sie bald in weitem Umkreise geschätzt und geehrt waren.

Ihren Kindern konnten sie eine bessere Erziehung zuteil werden lassen, als es ihnen früher möglich gewesen wäre. Henry bezog die Universität, während Alfred Seemann werden wollte und an Bord einer Fregatte eintrat. Die beiden jüngeren Knaben wurden durch einen Hauslehrer unterrichtet, während für die beiden Mädchen eine Erzieherin ins Haus genommen wurde.

So waren zehn Jahre vergangen, die viel Arbeit, aber auch viel Freude gebracht hatten. Da kam eines Tages ein Brief des Rechtsbeistandes des Herrn Campbell, Harvey, der ihm anzeigte, daß sich jemand gemeldet habe, der sich als rechtmäßiger Erbe ausgäbe und seine Rechte durch einen Prozeß beweisen wolle. Da der Sachwalter schrieb, daß er das bloß als einen Betrug oder Erpressungsversuch einschätze, so machte sich Herr Campbell auch keine weiteren Sorgen darum; er teilte sogar seiner Gattin nichts davon mit, um sie nicht unnütz zu beunruhigen. Nach einigen Monaten aber teilte der Rechtsanwalt mit, daß die Ansprüche der Gegenpartei berechtigt wären, da es sich herausgestellt habe, daß der ursprüngliche Erbe sich in Indien verheiratet habe und der jetzt auftretende Kläger sein Sohn aus rechtmäßiger Ehe sei. Herr Campbell müsse sich also darauf gefaßt machen, daß er das Gut in einiger Zeit wohl werde übergeben müssen.

Jetzt zögerte Herr Campbell nicht länger, seine Gattin über die ganze Angelegenheit aufzuklären. Er teilte ihr alles mit, was sich in den letzten Monaten zugetragen hatte, und auch seine Gründe, warum er ihr den Handel verschwiegen habe.

Nachdem Frau Campbell den Brief gelesen hatte, sagte sie: »Lieber Mann, so haben wir also jahrelang ein Besitztum in Händen gehabt, das einem anderen gehört. Wir werden jetzt aufgefordert, es dem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben – und wir müssen dies tun.«

»Das heißt also, wir müssen das Gut ohne ferneren Prozeß abtreten! Dies war auch mein Gedanke – und ich will es sofort an Harvey schreiben. Der rechtmäßige Erbe muß haben, was ihm zusteht.«

Der Brief war bald fertig und der Post übergeben. Jetzt kam aber Herrn Campbell erst die Änderung seiner Lage zum Bewußtsein. Ihm war um seiner Kinder willen das Herz schwer; denn es war klar, daß er sie fernerhin nicht so erziehen lassen könnte, wie er es bisher getan hatte.

Seine Gattin tröstete ihn: »Unsere Kinder sind so erzogen, daß sie den Wechsel unserer Verhältnisse mit Frohsinn tragen werden. So sollen sie für uns beide eine Quelle des Trostes sein.«

»Hoffen wir es, meine Liebe. Als wir einst das Gut übernahmen, sollte es ein Glück für uns sein. Jetzt sehen wir, daß es nicht so war. Hätte ich meinen Beruf als Arzt weiter ausgeübt, könnte ich gut für meine Kinder sorgen. Jetzt aber bin ich zu alt, um aufs neue eine Praxis zu erwerben. Was werden wir beginnen?« –

Nach einigen Tagen kam die Antwort des Herrn Harvey. Der Prozeßgegner, Herr Douglas Campbell, habe Kenntnis von dem Beschluß der Familie genommen und stelle Wexton-Hall der Familie noch auf ein Vierteljahr zur Verfügung. Gleichzeitig erkläre er sich bereit, die Hauseinrichtung zum Schätzungswert zu übernehmen, um eine Gegenleistung für das freundliche Entgegenkommen zu erzeigen.

Herr Campbell ordnete nun seine Papiere. Er beglich seine sämtlichen Rechnungen, auch die seines Sachwalters, die sich auf mehrere tausend Pfund beliefen. Nachdem sie alle überflüssige Dienerschaft entlassen hatten, die sie sehr ungern verließ, machten sie Zukunftspläne. Fräulein Patterson übrigens, die Erzieherin der beiden Mädchen, blieb noch als Freundin im Hause, um der Familie über die schweren Tage nach Möglichkeit hinwegzuhelfen.

Herrn Campbells Abrechnung war fertig. Nach Bezahlung aller Schulden blieb ihm die Summe von 1700 Pfund. Es konnte nicht mehr sein, da er zuviel Geld in das Gut hineingesteckt hatte, um es in die Höhe zu bringen. Was sollte er mit diesem wenigen Gelde tun? Es wurde hin und her beraten; aber keiner wußte einen Ausweg. Auch Henry, der älteste, jetzt zwanzigjährige Sohn, der von der Universität zurückberufen war, konnte keinen Rat geben. Er glich überhaupt mehr dem Vater, der sich schwer zu entscheidenden Entschlüssen aufraffen konnte.

So zögerten sie eine Woche lang hin und her, bis Alfred auf Urlaub eintraf. Sein Schiff war abgelohnt, sein Kapitän auf ein Fünfzigkanonenschiff versetzt, und er hatte Urlaub genommen. Als er von den neuen Ereignissen hörte, behielt er doch den Kopf oben. Er ähnelte darin der Mutter, daß er sich so leicht nicht unterkriegen ließ. Seine gute Laune zwang auch die anderen wieder zu einer Fröhlichkeit – und als die Familie am Nachmittag zusammenkam, um erneut über ihre Zukunftspläne zu beraten, war er es, der einen Ausweg aus der schlimmen Lage wußte. Er sagte:

»Lieber Vater, die paar hundert Pfund, die dir geblieben sind, nützen dir in unserem Lande zu weiter nichts, als daß sie dich ein bis zwei Jahre vor dem Hungertode schützen; in einem anderen Land aber mögen sie den gleichen Wert haben, wie hier ebenso viele Tausende. Bei uns gilt eine große Familie für eine schwere Bürde und Ausgabe, in einem anderen Lande ist ein Mann um so reicher, je mehr Kinder er besitzt. Wenn du dich daher entschließen könntest, mit deiner Familie und deinen jetzigen Mitteln in ein anderes Land überzusiedeln, so könntest du von der Armut wieder zu Reichtum gelangen.«

»An welches Land denkst du, Alfred?«

»Ei, Vater, der Zahlmeister unseres Schiffes hat einen Bruder, der sich nach Kanada begab, um sein Glück zu versuchen. Er hatte alles in allem 300 Pfund. Jetzt ist er seit etwa vier Jahren dort, und als unsere Fregatte in Portsmouth eintraf, empfing der Zahlmeister einen Brief von ihm, worin er schreibt, daß es ihm gut geht und sein Wohlstand sich zusehends mehrt. Er hat eine Farm von 500 Acres, von denen 200 bereits gelichtet sind, und meint, wenn er nur einige Kinder hätte, die ihm helfen würden, so könnte er bald das zehnfache Vermögen besitzen, indem er sofort mehr Land kaufen würde. Dort bezahlt man den Acre mit einem Dollar und kann das Land zuvor prüfen und auswählen. Mit deinem Gelde könntest du ein großes Besitztum kaufen, mit deinen Kindern könntest du es schnell verbessern, und nach einigen Jahren würdest du unter allen Umständen in behaglichen, wenn auch nicht glänzenden Verhältnissen sein. Deine Kinder würden für dich arbeiten, und du würdest das befriedigende Bewußtsein haben, sie dereinst unabhängig und glücklich zurückzulassen.«

»Ich muß sagen, mein lieber Sohn, daß du einen Plan entworfen hast, der viele Vorzüge besitzt. Doch hat er auch seine Schattenseiten.«

»Schattenseiten«, versetzte Alfred, »nun natürlich hat er die. Wenn man nur dorthin zu gehen brauchte, um die Landgüter zu nehmen, so würde wohl keine Auswahl mehr vorhanden sein; doch, Vater, ich sehe keine Schwierigkeiten, die nicht zu überwinden wären. Laß uns dieselben näher ins Auge fassen. Zunächst harte Arbeit, gelegentliche Entbehrungen, eine Blockhütte, strenge Winter, Abgeschiedenheit, hin und wieder Gefahren, sogar durch wilde Tiere und die Eingeborenen. Ich gebe zu, daß dies alles ein trauriger Ersatz ist für ein prächtiges Haus wie dieses, für schöne Möbel, ausgezeichnete Küche, gebildete Gesellschaft und das Interesse, das man an allem nimmt, was sich im eigenen Lande zuträgt. Was zunächst die harte Arbeit betrifft, so werden Henry und ich unser möglichstes tun, um sie euch abzunehmen; wenn der Winter streng ist, so ist wenigstens kein Mangel an Brennholz, und wenn unsere Blockhütte roh ist, so wollen wir sie dafür gemütlich machen; abgeschieden von der Welt werden wir aneinander genug Gesellschaft haben, und sind wir in Gefahr, so sollen Feuerwaffen und Tapferkeit uns schützen. In der Tat, ich sehe nichts anderes, als daß wir sehr glücklich, sehr angemessen und vor allen Dingen sehr unabhängig leben können.«

»Alfred, du sprichst, als ob du mit uns ziehen wolltest«, sagte Mrs. Campbell.

»Denkst du denn, daß ich das nicht will, liebe Mutter? Bildest du dir ein, ich würde hierbleiben, wenn ihr dort wäret, wo meine Anwesenheit euch von Nutzen sein könnte? Nein, nein, ich hänge zwar an meinem Beruf, aber ich erkenne auch die Pflicht, meinen Eltern beizustehen, und ihr gebe ich den Vorzug. Wenn ihr geht, so gehe ich auch, soviel steht fest. Wie unglücklich würde ich auch sein, wenn ihr ohne mich wäret. Jede Nacht würde ich träumen, daß ein Indianer unsere Mary geraubt, oder ein Bär unsere kleine Emma aufgefressen hätte.«

»Nun, ich werde einen Kampf mit einem Indianer schon bestehen«, versetzte Mary.

»Und ich mit einem Bären«, sagte Emma; »vielleicht wird er mich auch nur leicht umarmen, wie Alfred es heute bei seiner Rückkehr tat.«

»Ich danke Euch für den Vergleich, Miß«, versetzte Alfred lachend.

»Ich glaube wirklich, Alfred, daß dein Vorschlag reifliche Überlegung verdient«, bemerkte Mrs. Campbell. »Vater wird sich mit mir darüber beraten, und vielleicht sind wir schon morgen zu einer Entscheidung gekommen. Jetzt aber tun wir alle gut, zu Bett zu gehen.«

»Ich werde ganz gewiß von dem Indianer träumen«, sagte Mary.

»Und ich von dem Bären«, fügte Emma mit schalkhaftem Blick auf Alfred zu.

»Und ich werde von einem sehr hübschen Mädchen träumen – das ich – in Portsmouth sah«, sagte Alfred.

»Das glaube ich dir nicht«, sagte Emma.

Am nächsten Morgen fanden sie sich frühzeitig zusammen und Mr. Campbell sagte: »Meine lieben Kinder, nachdem ihr uns gestern abend verlassen, hatte ich mit eurer Mutter noch eine lange Beratung, und wir haben eingesehen, daß uns keine Wahl bleibt, als dem Ratschlag zu folgen, den Alfred uns gegeben hat. Wenn ihr nun alle derselben Meinung seid, so sind wir entschlossen, unser Glück in Kanada zu versuchen.«

»Ich bin derselben Ansicht«, versetzte Henry.

»Und ihr, meine Mädchen?« fragte Mr. Campbell.

»Wir folgen dir bis ans Ende der Welt, Onkel«, entgegnete Mary, »und werden alles tun, was in unserer Macht steht, um eure Güte gegen uns arme Waisen zu vergelten.«

Mr. und Mrs. Campbell umarmten ihre Nichten, tief gerührt über Marys Antwort.

Nach kurzem Stillschweigen sagte Mrs. Campbell: »Und nun, nachdem wir zur Entscheidung gekommen sind, müssen wir auch sogleich unsere Vorkehrungen treffen. Sagt, Alfred und Henry, was schlagt ihr vor?«

»Ich muß sofort nach Oxford zurückkehren, um meine dortigen Angelegenheiten zu ordnen und über meine Bücher und sonstigen Sachen zu verfügen«, sagte Henry.

»Ich nehme an, daß ich hier nichts nützen kann«, sagte Alfred, »und schlage vor, daß ich noch heute nachmittag mit der Post nach Liverpool fahre; denn von dort aus werden wir uns am besten einschiffen können. Zuerst werde ich an unseren Zahlmeister schreiben und ihn um weitere Auskunft bitten, und dann sehe ich, was ich von anderen Leuten in Erfahrung bringen kann. Sobald ich etwas von Wichtigkeit mitzuteilen habe, schreibe ich.«

»Schreibe, sobald du angelangt bist, Alfred, gleichviel ob du etwas mitzuteilen hast oder nicht. Jedenfalls erfahren wir dann deine glückliche Ankunft.«

»Das werde ich tun, liebe Mutter.«

»Hast du Geld, Alfred?«

»Ja genügend, Vater; ich reise ja nicht mit vier Pferden.«

»Gut denn, wir werden hierbleiben und packen, und du Alfred, mußt dich nach einem billigen Quartier umsehen, das wir in Liverpool beziehen können. Zu welcher Zeit segeln die Schiffe nach Quebec?«

»Gerade um diese Zeit, Vater. Wir sind im März; es wird jetzt beinahe jede Woche ein Schiff abgehen. Je eher wir fortkommen, desto besser; damit wir vor dem Winter bereits behaglich eingerichtet sein können.«

Wenige Stunden nach diesem Gespräch verließen Henry und Alfred Wexton-Hall, um ihren verschiedenen Bestimmungen zu folgen. Mr. und Mrs. Campbell und die beiden Mädchen hatten vier Tage mit dem Einpacken zu tun. Es hatte sich bald in der Nachbarschaft das Gerücht verbreitet, daß die Familie sich zur Auswanderung nach Kanada vorbereite, und die Pächter, die unter Mr. Campbell Farmen innehatten, kamen und boten ihre Wagen und Pferde an, um seine Sachen nach Liverpool zu schaffen, ohne eine Vergütung dafür zu verlangen. Inzwischen traf ein Brief von Alfred ein. Er hatte Bekanntschaft mit einigen Kaufleuten angeknüpft, die mit Kanada Handel trieben, und war von diesen an einige Personen gewiesen worden, die sich dort vor Jahren niedergelassen hatten und ihm jede Auskunft geben konnten. Sie rieten ihm, was am besten mitzunehmen sei und wie man sich bei der Landung zu verhalten habe. Von höherem Wert aber war es, daß sie ihm Empfehlungsschreiben an englische Kaufleute in Quebec gaben, deren Beistand bei Auswahl und Kauf des Landes, sowie bei dem Transport ins Innere sie in Aussicht stellten. Alfred hatte auch ein schönes Schiff ausgesucht, das in drei Wochen absegeln wollte; er hatte bereits wegen des Preises der Überfahrt verhandelt, für den Fall, daß die Seinigen rechtzeitig fertig würden, um dasselbe benutzen zu können. Er teilte seinem Vater alle Einzelheiten mit und erwartete Antwort, um seinen Wünschen gemäß zu handeln.

Henry kehrte, nachdem er seine Rechnungen bezahlt hatte, von Oxford mit dem Erlös heim, den er durch Verkauf seiner Bücher erzielt hatte. – Alfred hatte bei allem, was er unternommen, so viel Überlegung gezeigt, daß sein Vater ihm schrieb, sie würden sich für das von ihm bezeichnete Schiff fertighalten, er möge nur die Kajüten bestellen und auch sogleich die verschiedenen Gegenstände besorgen, die man ihm mitzunehmen geraten habe. Nach vierzehn Tagen waren alle reisefertig. Die Wagen mit den Sachen waren schon etwas früher abgegangen. Mr. Campbell schrieb einen Brief an Mr. Douglas Campbell, dankte ihm für seine Güte und benachrichtigte ihn, daß er am folgenden Tage Wexton-Hall verlassen würde. Als Gunst erbat er sich nur, daß der Lehrer und die Lehrerin der Dorfschule in ihrem Amte belassen würden, da es von großer Wichtigkeit sei, daß der Unterricht der Arbeiter nicht vernachlässigt würde. Er fügte hinzu, daß er durch die Zeitung Mr. Douglas Campbells kürzlich vollzogene Vermählung erfahren habe, und er, wie Mrs. Campbell, ihm und seiner Gattin hierzu die herzlichsten Glückwünsche aussprächen.

Nachdem dieser Brief befördert war, gab es vor ihrer Abreise von Wexton-Hall nichts mehr zu tun, als die wenigen Dienstleute, die noch bei ihnen waren, abzulohnen und zu entlassen, denn Mrs. Campbell hatte sich entschlossen, niemand von ihnen mitzunehmen. Zum letztenmal gingen sie an diesem Nachmittag durch die Felder und den Park. Mrs. Campbell und die Mädchen machten einen Rundgang durch die Zimmer, um sich zu überzeugen, daß alles ordentlich und sauber zurückgelassen wurde. Die Mädchen seufzten, als sie im Wohnzimmer an der Harfe und dem Klavier vorüberkamen, denn diese waren ihre liebsten Freunde.

»Laß nur, Mary«, sagte Emma, »wir haben unsere Gitarren und können in den Wäldern von Kanada auch ohne Harfe und Klavier Musik machen.«

Am anderen Morgen fuhr die Postkutsche vor ihrer Schloßtür vor; sie stiegen alle ein, umgeben von den Pächtern und armen Leuten, die mit abgezogenen Hüten vor ihnen standen und ihnen alles Gute wünschten. Wexton-Hall und der Park waren längst ihren Blicken entschwunden, bevor sie ein Wort miteinander gewechselt hatten. Sie hielten ihre Tränen zurück, und ihre Herzen waren zu voll, um sprechen zu können.

Am folgenden Tage kamen sie in Liverpool an, wo Alfred eine Wohnung für sie besorgt hatte. Es wurde alles an Bord des Schiffes, das bereits in den Strom gebracht worden war, geschafft. Da sie nichts mehr am Lande zurückhielt, und der Kapitän den ersten günstigen Wind zu benutzen wünschte, schifften sie sich vier Tage nach ihrer Ankunft in Liverpool ein und segelten bald mit schönstem Winde den Irländischen Kanal hinab. Die »London Merchant« fuhr nach Cork, wo sich die amerikanische Flotte zu versammeln hatte.

Man schrieb das Jahr 1794. Kanada war erst vor dreißig Jahren von den Engländern den Franzosen entrissen worden, so daß die Mehrzahl der europäischen Ansiedler Kanadas Franzosen waren, die den neuen Eindringlingen feindlich gesonnen waren; überdies hatten sie bereits die besten Teile des Landes in Besitz, so daß die Neuankömmlinge nach Oberkanada mußten, wo der Boden auch sehr gut, aber die Entfernung von den Städten sehr groß war.

Es war deshalb kein kleines Unternehmen, wenn eine Familie zu jener Zeit die Auswanderung nach Kanada wagte. Herr Campbell konnte es auch nur tun, weil er eine Menge hilfsbereiter Hände mitnahm. Henry und Alfred waren schon fast erwachsen, Mary, die still und ruhig war, hatte ein Alter von siebzehn Jahren, während die immer heitere Emma fünfzehn zählte. Percival, ein kleiner, kluger Bursche, war zwölf, und John, der sehr wenig sprach und nicht gerne lernte, dabei aber nicht dumm war, zehn Jahre. Sie alle konnten im fremden Lande beim Neuaufbau helfen.

Nicht ohne Gefahren war das Unternehmen auch deshalb, weil jetzt gerade wieder Krieg zwischen den Engländern und den Franzosen war, die damals gerade alle Schrecken ihrer großen Revolution erlebten. Deshalb konnten die Schiffe nach Amerika nur unter Geleit segeln. So hatten sich in Cork schon über hundert Kauffahrteischiffe versammelt; und unter diesen sah man die Begleitfahrzeuge: ein Fünfzigkanonenschiff und zwei kleinere Fregatten.

Alles dies übersah Alfred, als er vom Deck des Transportschiffes über den Hafen blickte. Die anderen Familienmitglieder waren in den Kajüten, weil sie noch unter den Nachwirkungen der Seekrankheit litten; ihn aber verließ der Gedanke nicht, daß er seine so glücklich begonnene Laufbahn aufgeben mußte. Er hatte vor kurzem die Offiziersprüfung gemacht und hatte nun gehofft, bald als solcher wieder hinauszusegeln, als ihn das Unglück zwang, seine Pflicht gegen die Eltern zu erfüllen. Er tat dies schweren Herzens, ließ aber nichts davon merken, sondern trug immer gute Laune zur Schau.

»Hört, guter Bursche«, sagte Alfred nach einiger Zeit zu einem Bootsmann, »wie heißt jenes Schiff mit fünfzig Kanonen?«

»Ich weiß nicht, welches Schiff fünfzig und welches hundert Kanonen hat«, entgegnete der Irländer, »aber wenn Sie das größte von den dreien meinen, so ist es die ›Portsmouth‹.«

»›Portsmouth‹, dasselbe Schiff, für das Kapitän Lumley bestimmt wurde«, rief Alfred, »oh, da muß ich an Bord gehen.«

Alfred eilte zur Kajüte hinab und bat den Kapitän des Transportschiffes, welcher Wilson hieß, ihm das kleine Boot zu erlauben, um damit an Bord des Kriegsschiffes zu gehen. Sein Wunsch wurde erfüllt, und bald befand sich Alfred auf der »Portsmouth«. Auf dem Hinterdeck fand er mehrere seiner ehemaligen Kameraden, die ihn herzlich bewillkommneten, da er sehr beliebt bei ihnen war. Bald darauf ließ er durch den Aufwärter an Kapitän Lumley die Anfrage richten, ob er ihn sprechen könne; er wurde sogleich zur Kajüte befohlen.

»Nun, Mr. Campbell«, sagte Kapitän Lumley, »sind Sie doch noch zu uns zurückgekehrt? Besser spät, als niemals. Sie kommen gerade noch zur rechten Zeit. Ich dachte mir schon, daß die törichte Grille, die Sie in Ihrem Brief aussprachen, bald genug vergehen würde. Gerade jetzt, wo Sie die Prüfung bestanden und die besten Aussichten auf Beförderung haben, den Dienst verlassen zu wollen! Wie konnte Ihnen das nur in den Sinn kommen?«

»Die Pflicht, Sir«, versetzte Alfred, »die Pflicht gegen meine Eltern gebot es mir. Es war ein sehr schwerer Schritt für mich, aber Sie mögen selbst urteilen, ob ich anders handeln durfte.«

Alfred berichtete nun Kapitän Lumley getreulich alles, was geschehen war, welchen Plan seine Eltern gefaßt hatten, und daß seine Angehörigen an Bord des Transportschiffes seien, das sie ihrem neuen Geschick entgegenführen sollte.

Kapitän Lumley hörte Alfreds Erzählung an, ohne ihn zu unterbrechen. »Ich denke, Mr. Campbell, Sie haben recht, und Ihr Entschluß macht Ihnen alle Ehre. Ihr Schutz wird für die Ihrigen zweifellos wertvoll sein. Aber schade ist es, daß Sie für unseren Dienst verloren sein sollen.«

»Ich bedauere es am meisten, Sir, davon können Sie überzeugt sein, aber –«

»Aber Sie opfern sich, ich weiß das. Ich bewundere den Entschluß Ihrer Eltern. Wenige würden den Mut haben, einen solchen Schritt zu unternehmen, namentlich wenige Frauen. Ich werde Ihre Eltern besuchen und ihnen meine Hochachtung aussprechen. In einer halben Stunde bin ich bereit; Sie sollen mich begleiten und vorstellen. Indessen können Sie Ihre alten Kameraden begrüßen.«

Alfred verließ die Kajüte, sehr angenehm berührt von Kapitän Lumleys Freundlichkeit, und begab sich zu seinen früheren Kameraden, bei denen er verweilte, bis der Hochbootsmann mit der Pfeife die Mannschaft zur Kapitänsbarke heranrief. Dann ging er auf Deck und stieg, sobald der Kapitän heraufkam, in das Boot. Der Kapitän folgte, und binnen kurzem waren sie an Bord der »London Merchant«. Alfred führte Kapitän Lumley seinen Eltern zu und nach Verlauf einer halben Stunde waren sie bereits in vertrautem Gespräch, als Kapitän Lumley sagte: »Ich glaube, daß Sie, so sehr Sie bei Ihrer Ankunft in Kanada der Hilfe Ihres Sohnes bedürfen werden, seine Gegenwart an Bord des Schiffes doch wohl entbehren könnten. Den Anlaß zu dieser Bemerkung gibt mir der Gedanke, daß man keinen glücklichen Zufall unbenutzt vorübergehen lassen darf. Einer meiner Offiziere wünscht nämlich Familienverhältnisse halber mein Schiff zu verlassen. Er hat mich um Urlaub gebeten; doch ich hielt es für meine Pflicht, ihm denselben abzuschlagen, da wir im Begriff stehen, in See zu stechen, und ich nicht imstande war, Ersatz zu schaffen. Doch Ihres Sohnes wegen werde ich ihn jetzt gehen lassen, und wenn Sie Alfred erlauben, an Bord der ›Portsmouth‹ zu kommen, werde ich ihn als Leutnant in Dienst stellen. Sollte sich während der Fahrt irgend etwas zutragen, was keineswegs außer dem Bereich der Möglichkeit liegt, so kann er befördert werden; selbst wenn nichts passiert, werde ich aber seine Ernennung zum aktiven Offizier bestätigen lassen. In Quebec soll er natürlich das Schiff verlassen und mit Ihnen gehen. Ich will ihn keineswegs von seiner Pflicht zurückhalten, doch Sie werden begreifen, daß, wenn er den Rang bekommt, er auch den Halbsold behält, was Ihnen eine gute Unterstützung sein kann, wenn er bei Ihnen in Quebec bleibt. Und wenn sich die Dinge so gut gestalten, daß Sie nach ein bis zwei Jahren ohne ihn fertig werden und Sie ihm erlauben können, in seinen Dienst zurückzukehren, so hat er die wichtigste Stufe erreicht und wird, woran ich nicht zweifle, bald das Kommando eines Schiffes erhalten. Ich lasse Ihnen Zeit zur Entscheidung bis morgen. Mr. Alfred kann dann an Bord kommen und mich dieselbe wissen lassen.«

»Ich glaube, Ihnen sagen zu können, Kapitän Lumley«, versetzte Mrs. Campbell, »daß mein Mann nur einen Grund hat, der ihn noch für den Augenblick zögern läßt; es ist der, daß er zuvor wissen will, ob ich mich während der Fahrt von meinem Sohn trennen möchte. Ich wäre aber eine sehr schwache Frau, wenn ich nicht ein so geringes Opfer zu seinem Besten bringen und Ihnen für Ihre gütigen Absichten im höchsten Grade dankbar sein würde. Ich denke daher, mein Mann wird es nicht für nötig halten, den Vorschlag bis morgen zu überlegen; doch er mag Ihnen selbst antworten.«

»Ich versichere Ihnen, Kapitän Lumley, daß meine Frau ganz meine Empfindung ausgesprochen hat und wir Ihr Anerbieten mit bestem Dank annehmen.«

»Dann«, versetzte Kapitän Lumley, »braucht Alfred nur morgen früh an Bord der ›Portsmouth‹ zu kommen und wird dort seine Ernennung vorfinden. Wir segeln, glaube ich, übermorgen ab. Sollte ich bis dahin keine Gelegenheit mehr haben, Sie zu sehen, so gestatte ich mir, Ihnen schon jetzt Lebewohl zu sagen. Ich werde während der Fahrt Ihr Schiff im Auge behalten.«

Kapitän Lumley schüttelte Mr. und Mrs. Campbell die Hand und verließ das Schiff. Als er in sein Boot stieg, bemerkte er zu Alfred:

»Ich sehe, Sie haben Anziehungspunkte in Ihrem Kreise. Es ist ganz traurig zu denken, daß Ihre reizenden Basen in den Wäldern Kanadas begraben werden sollten. Morgen um neun Uhr werde ich Sie also erwarten. Leben Sie wohl!«

Obgleich Mr. und Mrs. Campbell der Gedanke, sich während der Fahrt von Alfred trennen zu müssen, nicht angenehm war, begrüßten Sie doch mit Freuden den glücklichen Zufall, der sich zugunsten ihres Sohnes bot; sie schienen in froher Stimmung, als er am folgenden Morgen Abschied von ihnen nahm.

»Kapitän Wilson, Sie segeln so gut, daß ich hoffe, Sie werden sich die ganze Fahrt über dicht an unserer Seite halten«, bemerkte Alfred, während er sich empfahl.

»Es sei denn, daß Sie mit dem Feinde zusammengeraten, dann werde ich mich in respektvolle Entfernung begeben, Mr. Alfred«, versetzte Kapitän Wilson lachend.

»Dann, natürlich! Derartige Tänze sind nichts für Damen, obwohl diese sonst gegen das Tanzen nichts einzuwenden haben – oder doch, Emma? Nun nochmals, lebe wohl. Du kannst mich bisweilen durch das Fernrohr sehen, wenn du Neigung dazu verspürst. Denke daran.«

Alfred stieß mit dem Boot ab und war bald an Bord der »Portsmouth«. Am nächsten Tage segelten sie bei günstigem Winde und ziemlich gutem Wetter aus. Der Geleitzug war nunmehr auf hundertundzwanzig Fahrzeuge angewachsen.

Mehrere Tage hindurch war das Wetter leidlich, obwohl der Wind nicht immer günstig war, und die Flotte blieb in bester Ordnung beisammen. Die »London Merchant« war nie weit entfernt von der »Portsmouth«; Alfred benutzte, wenn er nicht Schiffswache hatte, einen großen Teil seiner Zeit, das Fernrohr auf dieses Fahrzeug zu richten und die Bewegungen seiner Familienglieder zu beobachten. An Bord der »London Merchant« war man in ähnlicher Weise beschäftigt, und oft wurde ein Tuch als Gruß geschwenkt. Endlich kamen sie bei den Ufern Neufundlands vorüber und wurden dort von einem dichten Nebel überfallen, währenddessen die Kriegsschiffe beständig Kanonenschüsse lösten, um den Kauffahrteischiffen die Richtung anzugeben, in der sie steuern mußten, während letztere die Glocken zogen, um sich gegenseitig vor einem Zusammenstoß zu warnen. Der Nebel währte zwei Tage und dauerte noch an, als unsere Gesellschaft an Bord der »London Merchant« gerade während des Mittagessens Lärm und Unruhe auf Deck vernahm. Kapitän Wilson eilte schnell hinauf und entdeckte, daß französisches Schiffsvolk sein Fahrzeug geentert und, nachdem seine Leute bezwungen worden, von dem Schiff Besitz ergriffen hatte. Da keine Hilfe möglich war, konnte er nichts weiter tun, als wieder zur Kajüte hinabzusteigen, um den Passagieren mitzuteilen, daß sie Gefangene wären. Der Schrecken war nicht gering, doch ließ sich trotzdem kein nutzloses Klagen und Weinen hören. Eins freilich war gewiß, daß die Neuigkeit ihnen allen den Appetit für ihr Mittagessen nahm, das jedoch bald von den französischen Offizieren und ihren Leuten verzehrt wurde, nachdem sie ihr Boot verlassen und den Schnabel des Schiffes nach der entgegengesetzten Richtung gewandt hatten.

Kapitän Wilson, der auf Deck zurückgekehrt war, kam nach einer Viertelstunde wieder herunter und teilte der Gesellschaft, die schweigend über den plötzlichen Wechsel ihrer Aussichten brütete, mit, daß sich ein leichter Wind erhebe und der Nebel sich ein wenig zu lichten scheine. Geschähe dies noch vor der Dunkelheit, so wäre große Hoffnung vorhanden, daß man sie zurückkapern würde. Diese Nachricht schien Mr. und Mrs. Campbell von neuem zu beleben, und sie wurden noch mehr ermutigt, als sie in geringer Entfernung Kanonenschüsse vernahmen. Wenige Minuten später wurde die Kanonade sehr heftig, und die Franzosen, welche an Bord waren, fingen an, sich sichtlich unbehaglich zu fühlen. Tatsache war, daß ein französisches Geschwader, aus einem Sechzig-Kanonenschiff und zwei Korvetten bestehend, der Flotte aufgelauert und sich während des Nebels unter sie gemischt hatte. Mehrere Fahrzeuge waren schon gekapert und in Besitz genommen, bevor man es entdeckte; doch endlich geriet das Sechzig-Kanonenschiff ganz nahe an die »Portsmouth«, und Alfred, der auf Wache war und scharf hinausspähte, bemerkte bald, daß das im Nebel riesig erscheinende Fahrzeug nicht zu seiner Flotte gehöre. Eilig lief er hinunter, den Kapitän zu benachrichtigen, und die Mannschaft wurde nun sofort auf ihre Posten befohlen, ohne daß man die Trommel schlug oder sonstigen Lärm machte, der dem Feinde ihre Nähe verraten konnte. Es wurden dann, um den Lauf der »Portsmouth« zu hemmen, die Rahen gebraßt, damit das fremde Schiff dicht an sie herankommen möchte. Tiefe Stille herrschte, nicht ein Laut war vernehmbar, und als sich die Franzosen ihnen näherten, bemerkten sie, daß ein Boot heruntergelassen wurde, um ein dicht neben ihnen befindliches Schiff zu kapern; sie hörten sogar die Befehle, die den Leuten in französischer Sprache erteilt wurden. Dies genügte. Kapitän Lumley legte das Steuer nieder und ließ eine Breitseite auf den Feind feuern, der in keiner Weise auf diesen plötzlichen Gruß vorbereitet war, wenngleich seine Kanonen losgemacht waren. Die Antwort auf die Salve war der Ruf »Es lebe die Republik!«, und nach wenigen Sekunden waren beide Schiffe in heißen Kampf verwickelt.

Wie es häufig der Fall ist, führte die heftige Kanonade eine völlige Windstille herbei, und die beiden Schiffe verharrten in ihrer gegenseitigen Stellung; nur war die der »Portsmouth« günstiger, da er sich dem französischen Fahrzeug derart genähert hatte, daß seine Breitseite dem Feinde zugewandt war, während jener das Feuer nur mit vier Kanonen erwidern konnte.

Der Nebel wurde undurchdringlich. Wären sich die beiden Schiffe nicht so nahe gewesen, so hätten sie unmöglich das geringste voneinander unterscheiden können. Vom Deck der »Portsmouth« aus konnte man von dem Franzosen nur den Klüverbaum und die Flagge des Bugsprietes sehen, während der übrige Teil des letzteren, sowie die ganze Takelage in Dunkel gehüllt war. Doch dies genügte, um den Geschützen die Richtung geben zu können, und das Feuer wurde von der »Portsmouth« aus höchst lebhaft unterhalten, obwohl sich der Umfang der Wirkung nicht übersehen ließ. Nach einer halbstündigen Kanonade hatten sich die beiden Schiffe derart einander genähert, daß der französische Klüverbaum zwischen das vordere und hintere Takelwerk der »Portsmouth« hineinragte. Kapitän Lumley gab sogleich Befehl, das französische Bugspriet an dem eigenen Mittelmast zu befestigen. Dies geschah ohne ernstlichen Verlust, denn noch war der Nebel so dicht, daß die Franzosen auf ihrem Vorderkastell nicht sehen konnten, was an der Spitze ihres Bugspriets geschah.

»Jetzt ist es unser«, sagte Kapitän Lumley zum Oberleutnant.

»Ja, Herr – sehr bald. Ich glaube, wenn der Nebel sich lichtete, würden sie ihre Flagge einziehen.«

»Nicht bis aufs letzte, verlassen Sie sich darauf«, versetzte Kapitän Lumley. »Schießt weiter, ihr da auf dem Mitteldeck! Laßt ihnen keine Zeit, Atem zu schöpfen. Mr. Campbell, sagen Sie dem Unterleutnant, daß er die vordersten Geschütze des Unterdecks mehr nach hinten zielen läßt.«

»Ich sage, sie verteidigen sich bis aufs letzte«, wiederholte Kapitän Lumley, sich zum Oberleutnant wendend; »diese Franzosen halten eine gute Portion Prügel aus, selbst auf dem Wasser.«

»Es klärt sich ein wenig auf, Herr, gegen Norden zu«, erwiderte der Oberleutnant.

»Ich sehe – wirklich!« entgegnete Kapitän Lumley. »Nun, je eher, desto besser; wir werden jetzt sehen, was aus aller Munition geworden ist, die wir verpufft haben.«

Ein silberweißer Streifen zeigte sich in nördlicher Richtung am Horizont, der im Aufsteigen breiter wurde, bis endlich der Nebel ein wenig gehoben wurde und man einige Meter über dem blauen Wasser klar sehen konnte. Als der Streifen sich näherte, wurde das Licht heller, der untere Zwischenraum größer, und das Wasser kräuselte sich unter dem auffrischenden Winde, bis endlich der Nebel verschwand und sich wie ein fester Wall nach der Leeseite zu bewegte. Nun waren Zustand und Lage des Geleitzuges wie der streitenden Schiffe deutlich zu übersehen. Kapitän Lumley erkannte, daß der Kampf beinahe im Mittelpunkt des Geleitzuges stattgefunden hatte, welcher ihn noch umgab, mit Ausnahme von etwa fünfzehn Schiffen, deren Spitzen der entgegengesetzten Richtung zugewandt waren. Die beiden Fregatten, welche mit der Nachhut betraut waren, befanden sich noch einige Meilen entfernt, spannten aber alle Segel auf, um der »Portsmouth« zu Hilfe zu eilen. Das französische Linienschiff hatte unter dem Feuer entsetzlich gelitten. Sein Haupt- und Mittelmast lagen auf der Seite; von den vorderen, übereinanderliegenden Schießöffnungen waren viele in eins zusammengeschossen, und alles an Bord schien in größter Verwirrung zu sein.

»Es kann sich nicht mehr lange halten«, bemerkte Kapitän Lumley. – »Feuert weiter, meine Burschen.«

»›Circe‹ und ›Vixen‹ kommen jetzt auf uns zu, Sir«, bemerkte der Oberleutnant; »wir brauchen sie nicht mehr, und sie würden den Franzosen nur als Vorwand dienen, sich der Übermacht zu übergeben. Wenn sie die genommenen Schiffe wiederkaperten, würden sie von größerem Nutzen sein.«

»Sehr wahr! Mr. Campbell, gebt ihnen Signal, die gekaperten Schiffe zu verfolgen!«

Alfred eilte, den Befehl auszuführen. Soeben hatten sich die Flaggen an der Spitze des Mastes entfaltet, als eine Flintenkugel in seinen Arm drang; denn, da die Franzosen den größten Teil ihrer Kanonen nicht benutzen konnten, richteten sie, seit der Nebel sich geklärt hatte, unaufhörlich Musketensalven auf das Deck der »Portsmouth«. Alfred bat den Quartiermeister, ihm das Halstuch abzunehmen, um damit seinen Arm zu verbinden; nachdem dies geschehen war, setzte er seinen Dienst fort. Von den Franzosen wurde noch ein kühner Versuch gemacht, ihr Schiff zu befreien, indem dieselben die Fesseln des Bugspriets zu durchschneiden trachteten. Aber die Mannschaft der »Portsmouth« war darauf vorbereitet, und nachdem etwa zwanzig tapfere Kerle auf die Bäume und Planken der »Portsmouth« niedergefallen waren, wurde der Versuch aufgegeben. Vier Minuten später senkte sich die französische Fahne. Der Oberleutnant und ein Teil der Matrosen drangen vom Bugspriet aus in das Schiff. Die Stricke wurden durchschnitten, und die Fahrzeuge voneinander gelöst. Darauf ließen die englischen Seeleute zu Ehren des Sieges ein dreimaliges Hurra ertönen.

Das französische Kriegsschiff erwies sich als die »Leonidas«. Sie war mit zwei großen Fregatten ausgeschickt worden, um den Geleitzug abzufangen. Doch durch einen Sturm war sie von ihren Gefährten getrennt worden. Ihr Verlust an Mannschaft war sehr bedeutend; der an Bord der »Portsmouth« nur gering. Nach einigen Stunden war die »Portsmouth«, mit ihrer Beute im Schlepptau, bereit, weiterzufahren, doch blieb sie noch vor Anker liegen, um die Fregatten zu erwarten, die auf der Jagd nach den gekaperten Schiffen waren. Letztere wurden bald eingeholt, mit Ausnahme der »London Merchant«, die besonders gut segelte. Endlich lag auch dieses Fahrzeug still und ward in Besitz genommen, zur großen Freude Alfreds, der, seit man ihm die Kugel entfernt und den Arm verbunden hatte, mit dem Fernrohr die Verfolgung beobachtete. Vor Anbruch der Dunkelheit war der Geleitzug wieder beisammen und steuerte erneut seinem Bestimmungsort entgegen.

Am anderen Morgen war es klar und der Wind mäßig. Mrs. Campbell, die ebenso wie alle übrigen um Alfred besorgt war, bat Kapitän Wilson, in die Nähe der »Portsmouth« zu segeln, damit sie erfahren könnten, ob ihr Sohn unverletzt sei. Der Kapitän erfüllte ihre Bitte und schrieb in großen Buchstaben auf das Logbrett: »Alles wohl«, das er hinaushielt, während sie dicht an der »Portsmouth« vorüberfuhren. Alfred war nicht auf dem Deck, denn das Fieber zwang ihn, in seiner Hängematte zu bleiben. Kapitän Lumley gab aber auf dem Logbrett der »Portsmouth« die gleiche Antwort, und Mr. und Mrs. Campbell waren zufriedengestellt.

»Oh, wie gern möchte ich ihn sehen«, rief Mrs. Campbell.

»Ja, gnädige Frau, sie haben aber gerade jetzt auf der ›Portsmouth‹ zu viel zu tun; sie müssen mancherlei Beschädigungen ausbessern und sich um die Verwundeten bekümmern. Auch haben sie viele Gefangene an Bord, wie Sie sehen können, denn es sitzen deren eine Menge auf den Schiffsbäumen. Zu Begrüßungen haben sie jetzt dort keine Zeit.«

»Das ist freilich wahr«, versetzte Mrs. Campbell, »wir müssen uns bis zu unserer Ankunft in Quebec gedulden.«

»Wir sahen aber doch Alfred nicht«, rief Emma.

»Nein, Miß, weil er unten beschäftigt war und es ihm vermutlich niemand gesagt hat. Sie haben geantwortet, daß alles wohl ist, das ist genügend; aber nun müssen wir uns wieder entfernen, denn Kapitän Lumley würde es mir nicht danken, wenn ich ihm jetzt, wo er ein so schweres Schiff im Schlepptau hat, immer so nahe bliebe.«

»Ich bin zufrieden, Kapitän Wilson, tun Sie bitte nichts, was Kapitän Lumley mißfallen könnte. Wir werden Alfred gewiß bald durch das Fernrohr erspähen.«

»Ich sehe ihn jetzt«, rief Mary Percival, »er hat sein Glas in der Hand und winkt uns mit dem Hute zu.«

»Gott sei Dank!« rief Mrs. Campbell, »nun bin ich beruhigt.«

Die »Portsmouth« löste das französische Kriegsschiff von sich, sobald ein Notmast darauf befestigt war, der es befähigte, allein weiterzusegeln. Der Geleitzug näherte sich jetzt der Mündung des Lorenzstromes. Und drei Wochen nach dem Gefecht ankerten sie bei der Stadt Quebec.

Sobald dies geschehen, erhielt Alfred Erlaubnis, an Bord der »London Merchant« zu gehen, und erst jetzt erfuhren seine Angehörigen, daß er verwundet worden war. Er trug den Arm noch in der Binde, doch war derselbe in schneller Heilung begriffen. Als sie noch in der Unterhaltung waren, teilte man ihnen mit, daß sich Kapitän Lumley in einem Boot der »London Merchant« nähere. Sogleich begaben sich alle auf Deck, um ihn zu empfangen.

»Nun, Mrs. Campbell«, sagte Kapitän Lumley, als die erste Begrüßung vorüber war, »Sie müßten mir Glück wünschen, daß ich ein Schiff erbeutet habe, größer als mein eigenes, und ich muß Ihnen zu dem Verhalten Ihres Sohnes Alfred Glück wünschen, dessen Beförderung gesichert ist. Er hat dieselbe reichlich verdient.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, Kapitän Lumley, und beglückwünsche Sie herzlichst«, versetzte Mrs. Campbell, »nur bedaure ich, daß mein Sohn verwundet wurde.«

»Gerade dafür sollten Sie im Gegenteil dankbar sein, Mrs. Campbell«, entgegnete Kapitän Lumley. »Es ist die günstigste Verwundung der Welt, da hierdurch nicht nur seine Ansprüche erhöht werden, sondern ich ihm auch jetzt gestatten kann, Sie nach Kanada zu begleiten, ohne daß man annimmt, er habe den Dienst verlassen.«

»Wieso, Kapitän Lumley?«

»Ich kann ihn hier in Quebec für das Lazarett entlassen, und falls man drüben in der Heimat deshalb nachfragt, so wird man seine Verwundung für bedeutender halten als sie ist, und er kann, solange es ihm gefällt, auf Halbsold bleiben. Es sind viele bereit, für ihn einzutreten. Doch ich kann nicht länger verweilen. Ich muß an Land, um den Gouverneur zu begrüßen, hoffe jedoch, Ihnen nochmals zu begegnen. Sie können überzeugt sein, daß, falls ich Ihnen nützen kann, ich nicht verfehlen werde, meinen Einfluß geltend zu machen.«

Kapitän Lumley nahm hierauf herzlichen Abschied von der ganzen Familie, indem er Alfred mitteilte, daß er vom Schiff entlassen sei und sich den Seinigen zugesellen dürfe.

Kurz darauf begaben sich Mrs. Campbell und Henry mit Kapitän Wilson an Land, sich nach Wohnungen umzusehen und Empfehlungsbriefe an einige Kaufleute abzugeben. Während sie in Gesellschaft eines Mr. Farquhar, der sich ihnen zum Beistand angeboten hatte, nach einem Unterkommen suchten, trafen sie Kapitän Lumley, der vom Gouverneur zurückkehrte.

»Es freut mich, daß ich Sie treffe, Mrs. Campbell«, rief Kapitän Lumley. »Als ich dem Gouverneur meine Aufwartung machte, erfuhr ich, daß sich hier ein sogenanntes Admiralitätsgebäude befindet, das von der Regierung für die älteren Offiziere der Marineschiffe eingerichtet ist. Es steht mir zur Verfügung, und da mich der Gouverneur gebeten hat, in seinem Hause abzusteigen, bitte ich Sie, es in Anspruch zu nehmen. Sie werden dort mehr Bequemlichkeit als in einer Mietswohnung finden, und eine beträchtliche Ausgabe bleibt Ihnen dadurch erspart.«

»Da brauchen wir nicht weiter zu suchen«, sagte Mr. Farquhar.

Mrs. Campbell versicherte Kapitän Lumley ihrer Dankbarkeit und kehrte mit der angenehmen Neuigkeit an Bord zurück.

»O Alfred, wie sind wir dir verpflichtet«, sagte Mrs. Campbell.

»Mir, Mutter? Kapitän Lumley sollte ich denken.«

»Ja, Kapitän Lumley freilich, aber deine gute Führung hat ihn uns so geneigt gemacht; nur dir verdanken wir seine Bekanntschaft und alles Gute, das er uns erwiesen hat.«

Am nächsten Tage schiffte sich die Familie aus und zog in das Admiralitätsgebäude. Mr. Farquhar besorgte ihnen ein Dienstmädchen, das nebst dem Hausverwalter und dessen Frau alle Aufwartung übernahm, deren sie bedurften. – Mrs. Campbell machte die Abrechnung mit Kapitän Wilson, der sich großmütig weigerte, für Alfreds Überfahrt Geld anzunehmen, da derselbe nicht an Bord der »London Merchant« geblieben war. Kapitän Wilson versprach, ihrer Einladung zu folgen und sie zu besuchen, wenn seine Zeit es ihm erlaube. Hierauf verabschiedete er sich für jetzt, und sie waren allein in ihrem neuen Quartier.

Nach einigen Tagen sahen sich Campbells behaglich im Admiralitätsgebäude eingerichtet; doch beabsichtigten sie nicht länger, als nötig war, dort zu bleiben, da ihr Aufenthalt in Quebec mit Kosten verknüpft war, und Mr. Campbell wohl wußte, daß er kein Geld zum Fortwerfen habe.

Am vierten Tag nach ihrer Landung kam Kapitän Lumley, um sich zu verabschieden; doch hatte er vorher die Familie dem Gouverneur vorgestellt, der Mr. Campbells Besuch nun erwiderte und sich sehr seiner annahm, was natürlich eine Folge von Kapitän Lumleys Empfehlungen war. Es war daher nicht zu verwundern, daß alle sich mit tiefstem Bedauern von jemand trennten, der sich ihnen als ein so gütiger Freund gezeigt hatte.

Kapitän Lumley schüttelte allen die Hand, versicherte Alfred, daß er seine Interessen im Auge behalten werde, wünschte die besten Erfolge und verließ das Haus. Eine Stunde später wurden die Anker der »Portsmouth« gelichtet und mit einer schönen Brise lief das Schiff aus.

Am folgenden Tage bat der Gouverneur Mr. Campbell, ihn zu besuchen; und als dies geschah, sagte er ihm, daß er große Schwierigkeiten und viel Ungemach zu erdulden haben werde, wenn er seinen Plan, sich in Oberkanada anzusiedeln, auszuführen gedächte. Er wolle ihm nicht gerade abreden, dies zu tun, da er ihm nichts Verlockenderes vorschlagen könne, das ihn zu einer Änderung seiner Pläne bewegen möchte. Doch hielte er es für seine Pflicht, ihn vor mancherlei Anfechtungen zu warnen.

»Natürlich empfinde ich die lebhafteste Teilnahme für jede englische Familie von gutem Herkommen, die in eine solche Lage geraten ist. Überdies ist das Interesse, das mein alter Freund, Kapitän Lumley, an Ihnen nimmt, für mich ausreichend, um Ihnen jeden Beistand zu leisten, der in meiner Macht steht. Ich erwarte jeden Augenblick den Vorsteher des Landesvermessungsamtes, dem ich Sie zunächst vorstellen muß, da Sie von ihm das Land erhalten, und er Ihnen natürlich den besten Rat bezüglich der Örtlichkeit geben kann. Sie müssen jedoch bedenken, daß nicht viel über dreißig Jahre vergangen sind, seit diese Provinzen an Großbritannien abgetreten wurden, und daß den Engländern nicht nur die französische Bevölkerung, sondern auch die Indianer sehr feindlich gegenüberstehen, da letztere immer die Verbündeten Frankreichs waren und es noch heute sind, während sie uns hassen. Ich habe viel über Ihre Angelegenheit nachgedacht und hoffe, Ihnen ein wenig dienen zu können; sollte es nicht der Fall sein, so seien sie versichert, daß es nicht am guten Willen fehlte. Doch welche Vorzüge Ihnen auch gewährt werden könnten, Sie werden immerhin tapfere Herzen und tätige Hände gebrauchen. Ihr Sohn Alfred wird Ihnen von großem Nutzen sein, gleichwohl müssen wir versuchen, Ihnen auch noch anderen Beistand zu verschaffen, auf den Sie sich verlassen können.«

Die Ankunft des Vermessungsbeamten unterbrach das Gespräch.

»Das Land, das ich Mr. Campbell vorschlagen würde, falls kein Einwand dagegen erhoben wird«, sagte nach einer Weile der Vermessungsbeamte, »ist ein Teil dessen, was als Reserve für die Regierung zurückbehalten wurde, und liegt auf dem diesseitigen Ufer des Ontariosees. Zwar sind noch Landstriche zu haben, die näher an Montreal liegen, aber aller wirklich ertragfähige Boden ist schon verkauft. Sie werden finden, Mr. Campbell, daß das erwähnte Gelände besonders gut ist, da es einige Acres sogenannten Naturwiesenlandes hat. Auch besitzt es den Vorteil, daß ein großer Teil sich längs des Seegestades erstreckt, und sich an einer Seite ein kleiner Fluß befindet. Überdies ist nur die geringe Entfernung von etwa vier bis fünf Meilen bis zum Fort Frontignac, von wo im Notfall leicht Hilfe zu erlangen ist.«

»Ich pflichte Ihnen bei«, entgegnete der Gouverneur, »und bemerke, daß sich zudem auf der anderen Seite des Flusses schon ein Ansiedler befindet.«

»Jawohl, Sir«, versetzte der Vermessungsbeamte; »jene Verleihung wurde bewilligt, ehe man sich dafür entschieden hatte, daß der übrige Teil für die Regierung bleiben sollte; wollte man Beweise für die Güte des Landes haben, so dürfte man sie von dem Besitzer desselben erhalten. Es wurde vor vier Jahren von dem alten Jäger Malachi Bone erworben, der natürlich in allen Teilen des Landes gewesen ist und sich darauf versteht. Sie erinnern sich des Mannes, nicht wahr, Sir? Er war ein Wegweiser der englischen Armee vor der Übergabe Quebecs. General Wolfe hielt sehr viel von ihm und seine Dienste wurden so gewürdigt, daß man ihm jenen Landstrich von einhundertundfünfzig Acres bewilligte.«

»Ich besinne mich jetzt auf ihn«, entgegnete der Gouverneur. »Es wird sehr vorteilhaft für Sie sein, Mr. Campbell, diesen Mann als Nachbar zu haben. Nun«, fuhr der Gouverneur zu dem Vermessungsbeamten gewandt fort, »wissen Sie einen zuverlässigen Menschen, der geneigt wäre, in Mr. Campbells Dienste zu treten? Es müßte natürlich jemand sein, der das Land kennt und wirklich von Nutzen sein könnte.«

»Ja, Gouverneur, ich kenne einen sehr geeigneten Mann, und Sie kennen ihn auch, wenn auch von seiner schlechtesten Seite, denn, wenn Sie ihn sehen, so befindet er sich gewöhnlich in Angelegenheiten.«

»Wer ist das?«

»Martin Super, der Trapper.«

»Ei, das ist der junge Bursche, der allerlei Unruhe anstiftet und jetzt, wenn ich mich recht erinnere, eines Aufruhrs halber im Gefängnis sitzt?«

»Derselbe, Sir; doch, wenngleich Martin Super sich in Quebec als ein lästiger Bursche zeigt, so ist er außerhalb der Stadt Gold wert. – Sie werden es vielleicht seltsam finden, Mr. Campbell, daß ich Ihnen einen Menschen empfehle, der einen so widerspenstigen Charakter zeigt, doch hören Sie, wie die Sachen liegen. Die Trapper oder Pelzjäger kehren, nachdem sie monatelang umhergestreift sind und vielfach die ärgsten Entbehrungen ertragen haben, mit ihren Fellpaketen heim, um ihre Ausbeute an Pelzhändler in der Stadt zu verkaufen. Sobald sie nun Geld besitzen, ruhen sie nicht, bis sie dasselbe auf jede mögliche Art verpraßt haben, worauf sie sich von neuem auf ihre verwegene und gefahrvolle Jagd begeben. Nun muß Martin Super, wie alle anderen, seinen Spaß haben, wenn er nach Hause kommt, und da er ein wilder Bursche ist, gerät er, wenn er zu viel getrunken hat, oft in die Klemme, so daß er wegen Unruhestiftung ins Gefängnis gebracht wird. Doch ich kenne ihn gut, er hat mir monatelang beim Vermessen geholfen, und wenn er im Dienst ist, so weiß ich keinen Menschen in der ganzen Umgegend, der ausdauernder, fleißiger und rechtschaffener wäre.«

»Ich glaube, Sie tun recht, ihn zu empfehlen«, bemerkte der Gouverneur. »Er wird nicht böse darüber sein, aus dem Gefängnisse zu kommen, und ich zweifle nicht, Mr. Campbell, daß er sich gut führen wird, wenn er einmal einwilligt, für ein bis zwei Jahre in ihren Dienst zu treten. Wie ich schon sagte, haben Sie beherzte Männer nötig, und Martin Super ist ein solcher, das steht fest. – Vielleicht könnten Sie die Sache für Mr. Campbell in Ordnung bringen?«

Der Vermessungsbeamte versprach dies, und darauf verabschiedete sich Mr. Campbell mit bestem Dank vom Gouverneur.

Nachdem Mr. Campbell Auskunft über diejenigen Dinge erhalten hatte, die für ihn am nötigsten mitzunehmen waren, machten seine Einkäufe ihm vier Tage hindurch tüchtig zu schaffen. Alfred, dessen Wunde beinahe geheilt war, zeigte sich so rührig wie gewöhnlich, und Henry leistete seinem Vater ebenfalls große Hilfe. Auch Mrs. Campbell und die beiden Mädchen blieben nicht müßig; sie hatten sich die landesüblichen derben Stoffe gekauft und waren beschäftigt, Kleider für sich und die Kinder anzufertigen.

Eines Morgens war Mr. Campbell in Mr. Farquhars Geschäft gewesen, um sich wegen einer Transportgelegenheit nach seinem neuen Besitztum zu erkundigen, als der Gouverneur ihm durch einen seiner Adjutanten die Meldung machen ließ, daß er innerhalb zehn Tagen eine Abteilung Soldaten nach Fort Frontignac hinaufzuschicken beabsichtige – es war die Nachricht gekommen, daß die dortige Besatzung durch ein Fieber sehr geschwächt worden sei. Falls nun Mr. Campbell die Gelegenheit benutzen wolle, so könne er mit seiner Familie und allem Gepäck unter dem Geleit der Offiziere und Mannschaft reisen. Natürlich wurde dies Anerbieten mit Freuden begrüßt, und als Mr. Campbell den Gouverneur besuchte, um ihm seinen Dank auszusprechen, teilte ihm letzterer mit, daß auf den Booten genügend Raum für seine Familie und deren ganzes Gepäck vorhanden sei, so daß er nicht nötig habe, sich Ausgaben deswegen zu machen.

Am folgenden Tage kam der Vermessungsbeamte und brachte den Pelztierjäger Martin Super mit.

»Mr. Campbell«, sagte der Feldmesser, »dies ist mein Freund Martin Super. Ich habe mit ihm gesprochen; er ist gewillt, zunächst für ein Jahr in Ihren Dienst zu treten, und wenn es ihm gefällt, auch länger zu bleiben. – Wenn er Ihnen so gut dient, wie er mir gedient hat, als ich das Land bereiste, so zweifle ich nicht, daß Sie an ihm eine schätzenswerte Stütze haben werden.«

Martin Super war groß und sehr gerade gewachsen und schien Tatkraft und Stärke zu besitzen. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas recht Angenehmes und trug die beständig gute Laune zur Schau, die seinem Charakter entsprach. Seine Kleidung bestand in einer Art Jägerwams von Tierhäuten, blauen Tuchgamaschen, einer Waschbärmütze und einem breiten Gürtel um die Hüften, worin sein Messer steckte.

»Jetzt, Martin Super, werde ich Euch die Bedingungen Eures Vertrages mit Mr. Campbell vorlegen, damit Ihr hört, ob alles nach Eurem Wunsche ist.«

Der Feldmesser las den Vertrag vor und Martin Super gab durch Kopfnicken das Zeichen seines Einverständnisses.

»Mr. Campbell, wenn Sie zufrieden sind, so können Sie jetzt unterzeichnen; Martin soll darauf dasselbe tun.«

Mr. Campbell unterzeichnete seinen Namen und gab dann die Feder an Martin Super, der jetzt zum erstenmal sprach.

»Feldmesser, ich weiß nicht, wie mein Name buchstabiert wird, und wenn ich das auch wüßte, so könnte ich ihn doch nicht schreiben, darum muß ich es auf Indianerart tun und mein Totem darunter setzen.«

»Wie ist denn Euer Name bei den Indianern, Martin?«

»Der Panther«, entgegnete Martin und machte dann unter Mr. Campbells Namen eine Figur, ähnlich der eines Panthers, indem er sagte:

»Da, dies ist mein Name, so gut ich ihn zeichnen kann.«

»Sehr gut«, versetzte der Feldmesser, »hier ist der ordnungsmäßige Vertrag, Mr. Campbell. – Meine Damen, ich muß Sie jetzt verlassen, denn ich habe noch andere Geschäfte. Ich werde Ihnen Martin Super hierlassen, Mr. Campbell, da Sie wahrscheinlich noch miteinander sprechen möchten.«

Der Landmesser verabschiedete sich, und Martin Super blieb. Mrs. Campbell redete ihn zuerst an.

»Super«, sagte sie, »ich hoffe, wir werden gute Freunde werden, doch jetzt sagt mir was Ihr mit Eurem Totem meint, so nanntet Ihr es ja wohl?«

»Nun, Madam, ein Totem ist ein Indianerzeichen, und ich, müssen Sie wissen, bin selbst ein halber Indianer. – Alle Indianerhäuptlinge haben ihre Totems. Der eine heißt die große Otter, der andere die Schlange und so weiter, und wenn sie unterzeichnen, so machen sie eine Figur, die so wie das Tier aussieht, nach dem sie genannt werden. Und sehen Sie, Madam, wir Trapper, die wir fast ganz mit ihnen leben, haben uns auch Namen gegeben; mich haben sie den Panther genannt.«

»Warum nannten sie Euch den Panther?«

»Weil ich an einem Tage zwei von ihnen tötete.«

»Zwei Panther?« riefen die Mädchen.

»Ja, Miß; ich tötete beide mit meiner Büchse.«

»Kennt Ihr den Teil des Landes, in den wir ziehen?« wandte sich Henry an Super.

»Ja, ich habe da herum monatelang gejagt, aber die Biber sind jetzt knapp.«

»Gibt es dort noch andere Tiere?«

»Ja«, versetzte Martin, »noch kleines Wild, wie wir es nennen.«

»Welche Arten sind das?«

»Nun, das sind die Bären und Catamounts.«

»Gott sei uns gnädig, wenn Ihr das kleines Wild nennt, was muß dann erst das große sein?« rief Mrs. Campbell.

»Büffel, Missis, nennen wir großes Wild.«

»Aber die Tiere, von denen Ihr da sprecht, taugen nicht zur Nahrung«, sagte Mrs. Campbell, »gibt es kein Wild, das wir essen können?«

»O ja, eine Menge Rotwild und wilde Truthähne, und der Bär ist auch ein gutes Essen, sollte ich meinen.«

»Ah, das lautet besser.«

Nach einstündiger Unterhaltung wurde Martin Super entlassen, er hatte der ganzen Familie sehr gefallen.

Einige Tage darauf wurde Martin Super, der jetzt seinen Dienst angetreten hatte, vor Mr. Campbell gefordert, der ihm das Verzeichnis aller in seinem Besitz befindlichen Gegenstände vorlas und ihn fragte, ob noch etwas fehle, das notwendig sei.

»Sie sagten uns von Schußwaffen«, entgegnete Martin. »Welche Art meinten Sie damit?«

»Wir haben drei Vogelflinten und drei Musketen, außer den Pistolen.«

»Vogelflinten sind zum Vogelschießen – nützen gar nichts. Pistolen sind Knallgewehre – um nichts besser. Sie haben keine Büchsen; ohne Büchsen können Sie nicht in die Wälder gehen. Ich habe meine; aber Sie müssen auch welche haben.«

»Gut, ich glaube, Ihr habt recht, Martin, mir war es noch nicht eingefallen. Wie viele müßten wir haben?«

»Nun, das hängt davon ab, wie viele Sie in der Familie sind.«

»Wir sind fünf männliche und drei weibliche Familienglieder.«

»Nun, Sir, dann sag' ich zehn Büchsen. Das wird genügend sein. Zwei übrige für den Fall, daß mit den anderen etwas passiert«, versetzte Martin.

»Aber, Martin«, fragte Mrs. Campbell, »Ihr denkt doch nicht, daß die Kinder, diese jungen Damen und ich Büchsen abfeuern sollen?«

»Ich kann wohl sagen, Madam, daß ich schon, ehe ich so alt war wie der kleine Junge dort«, entgegnete Martin, auf John deutend, »ganz gut mein Ziel treffen konnte, und ein Frauenzimmer sollte wenigstens verstehen, das Pulver aufzuschütten und die Büchse zu laden. Es ist ein Werkzeug, das am meisten Ausgleich schafft, denn wenn der Hahn von einem Kind losgedrückt wird, kann damit die Arbeit des stärksten Mannes verrichtet werden. Ich will nicht sagen, daß wir nötig haben werden, sie in der Weise zu gebrauchen, aber es ist immer besser, sie zu haben und andere Leute wissen zu lassen, daß wir damit versehen sind, wenn es darauf ankommt.«

»Freilich, Martin«, sagte Mr. Campbell, »ich pflichte Euch bei, es ist besser, gut vorbereitet zu sein. Wir werden zehn Büchsen kaufen, falls wir sie erschwingen können. Was werden sie kosten?«

»Etwa sechzehn Dollar werden die besten kosten, Sir; aber ich glaube, ich suche sie aus und probiere sie, ehe Sie sie kaufen.«

»Tut das, Super, Alfred kann mit Euch gehen, sobald er nach Hause kommt, und Ihr könnt das zusammen besorgen.«

»Aber, Super«, bemerkte Mrs. Campbell, »Sie haben uns Frauen ganz angst gemacht durch den Gedanken, daß so viele Schußwaffen nötig sind.«

»Wenn Pontiac noch lebte, Missis, wären sie alle nötig, aber der ist jetzt tot; es gibt aber noch viele herumlungernde Indianer, wie wir sie nennen, die nicht besser sind, als man von ihnen erwarten kann. Und darum sehe ich die Büchsen immer gern geladen. Stellen Sie sich vor, Madam, daß die Männer alle in den Wald gegangen wären, und ein Bär besuchte Sie während ihrer Abwesenheit. Würde es da nicht sehr gut sein, eine geladene Büchse für ihn in Bereitschaft zu haben, und würden Sie oder die jungen Missis nicht lieber auf ihn abdrücken, als daß Sie sich auf seine Art von ihm umarmen ließen?«

»Martin Super, Ihr habt mich völlig überzeugt; ich werde nicht nur lernen, eine Büchse zu laden, sondern auch sie abzufeuern.«

»Und ich werde den Knaben ihren Gebrauch beibringen, Madam; dann können die Kinder auch zu Ihrer Verteidigung dienen.«

»Das sollt Ihr tun, Martin«, entgegnete Mrs. Campbell; »ich bin überzeugt, Ihr habt recht.«

Endlich waren alle Einkäufe vollständig bewerkstelligt, alles war verpackt und zum Abgang bereit. Mr. Campbell blieben noch dreihundert Pfund von seinem Gelde übrig, die er auf der Bank von Quebec für den Notfall anlegte. Eine neue Mitteilung kam vom Gouverneur; er meldete, daß sich die Truppen in drei Tagen einschiffen würden, und wies darauf hin, daß der Kommandant vom Fort Frontignac, falls Mr. Campbell noch keine Pferde und Kühe gekauft habe, ihn damit versorgen können, da er mehr Vieh besitze, als für das Fort erforderlich sei. Des weiten Transports halber würde letzteres vielleicht vorzuziehen sein. Mr. Campbell hatte zwar über die Kühe bereits gesprochen, doch noch nichts darüber abgemacht. Er freute sich daher, das Anerbieten des Gouverneurs annehmen zu können. – Diese Nachricht war von einer Einladung für Mr. Campbell, die Damen, Henry und Alfred begleitet, am Tage vor der Abreise ein Abschiedsessen im Hause des Gouverneurs einzunehmen. – Man folgte der Aufforderung, und Mr. Campbell wurde bei dieser Gelegenheit dem Offizier vorgestellt, der die nach Fort Frontignac abgehende Truppenabteilung befehligte. Dieser versicherte ihm, daß er alles tun würde, um der Familie die Reise angenehm zu machen.

Die Güte des Gouverneurs fand noch nicht ihren Abschluß, denn er bat den Offizier, zum Gebrauch für Mr. Campbell zwei große Zelte mitzunehmen, die an das Fort zurückgegeben werden sollten, sobald die Familie ihr Haus gebaut hätte und sie vollständig angesiedelt wäre. Er schlug sogar vor, daß Mrs. Campbell und die Misses Percival so lange in seinem Hause bleiben sollten, bis Mr. Campbell alle Vorbereitungen zu ihrem Empfange getroffen habe; hierin willigte aber Mrs. Campbell nicht ein und lehnte das Anerbieten mit bestem Dank ab.


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