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Siebentes Kapitel.
Im Automobil durch Wald und Moor.

Hinein in die helle Nacht! – Kaffeefrühstück um ein Uhr morgens. – Auf einer Wiese schläft sichs gut. – Die Lappen-Großmama und das Steckkissen aus Renntierleder. – Unter Baumgespenstern. – Der Wald brennt! – Was bei dem Goldfieber herauskommt. – In der finnischen Touristenherberge zu Ivalo. – Es lebe die Sauna! – Wir angeln Hechte. – Mein Freund Eduard ärgert sich.


Und nun ging es los in sausender Fahrt, zunächst über die Brücke des Kemi-Flusses, in dem wir nachmittags noch ein erfrischendes Bad genommen hatten.

Vorüber glitten endlose Waldungen, die unterbrochen waren von einzelnen Siedelungen mit Weideland und spärlichem Ackerbau.

Wer je eine solche Fahrt gemacht hat, wird sie nicht wieder vergessen. Kilometer um Kilometer überwindet unser ratternder Wagen. Bald geht es dahin auf ebener Straße, bald donnern wir, auf- und abhüpfend, über ein Stück Bohlenweg oder eine Holzbrücke. Und immer begleitet uns zunächst links und rechts der endlose nordische Wald!

Nur dann und wann halten wir einen kurzen Augenblick. Unser blutjunger Fahrtbegleiter, ein Bürschlein von vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahren, aber mit der Zigarette im Mund den erwachsenen Mann spielend und stolz auf seinen Platz neben dem Wagenführer, springt ab, wirft die neueste Zeitung in eine auf einem Pfosten am Weg angebrachte hölzerne Brieflade. Gleich geht es dann weiter in die sommerhelle Nacht, meist schnurgerade nach Norden, immer nach Norden.

Es ist 1 Uhr nachts, als wir einmal vor einem einsamen finnischen Bauernhof zu etwas längerer Rast anhalten. Die schlafenden Bewohner werden geweckt, scheinen aber durch diese wohl schon übliche Störung gar nicht besonders überrascht zu sein. Mit jener ruhigen wortkargen Freundlichkeit, die uns hier überall entgegentritt, bereiten sie den landesüblichen Kaffee. Diese Erfrischung tut unseren, von dreistündigem Sitzen krampfig gewordenen Gliedern außerordentlich wohl. Rasch klettern wir dann wieder auf, und aufs neue beginnt die Fahrt über Brücken, über gemächlich einen Fluß überquerende Fähren, immer weiter auf dem hellen Band der Landstraße, zwischen dem Dunkel von Wald und Moor.

Endlich morgens um 5 Uhr treffen wir in dem Orte Sodankylä ein.

Wir sind alle etwas übernächtig und verschlafen und sehnen uns danach, die Glieder auszustrecken. Dies besorgt jeder in seiner Weise: der eine auf einfachen Pritschen in der Wohnung des Herrn Posthalters, die anderen irgendwo auf einer Wiese in der Nähe.

Wir sind geradezu überrascht, nach so langer Fahrt durch die Einsamkeit uns hier zwischen dem 67. und 68. Breitengrad plötzlich wieder in einem kleinen Kirchdorf zu finden, mit Post und Telegraph, mit Arzt und Apotheke, mit einer stattlichen neuen und einer in ihrer Gebrechlichkeit ehrwürdigen alten Holzkirche.

Der freundliche Postmeister Mallenius, ein Mann von ruhiger Gefälligkeit, erinnerte mich in seiner ganzen Erscheinung etwa an einen Geistlichen oder Missionar. In der Tat, als ich sein Bücherbrett betrachte, da finde ich ausschließlich fromme Bücher, unter anderen auch Werke Martin Luthers in finnischer Sprache. Und ich höre, daß, namentlich an den langen Winterabenden, die Leute bei ihm sich treffen, um sich im Gebet und Bibellesen zu erbauen.

Sodankylä ist ein Treffpunkt der von Norden und Süden sich begegnenden Postautomobile. Um diese Zeit des Ankommens und Abfahrens erwacht der stille Ort zu kurzem Leben und bietet dem Beschauer ein lebendiges Bild gesteigerten Betriebs.

Ich selbst hüllte mich in meinen Mantel, legte mich im Schatten der Kirche ins Gras, kümmerte mich auch nicht um die erste Bekanntschaft der liebenswürdig zudringlichen Mücken, sondern schlief den Schlaf des Gerechten, bis mich um 9 Uhr früh der Ruf zur Weiterfahrt weckte.

Wieder dasselbe Schauspiel, wie in der vergangenen Nacht!

Stunde um Stunde verrinnt; um 11 Uhr ländliches Kaffeefrühstück in einem verräucherten Fährhaus, dessen Inneres fast vollkommen beherrscht wird von einem riesigen Herd mit gähnendem Rauchfang.

Dann etwa neunzig Kilometer hinter Sodankylä wieder einmal kurze Rast.

Unsere eingeschläferten Sinne werden wach: denn hier in Vuotso begrüßt uns zum ersten Male das, was wir suchen: wir betreten die erste Lappenhütte, und ganz wie es sich gehört, finden wir gleich das, was man von zahlreichen Bildern solcher Lappenhütten kennt, – nämlich eine uralte Frau mit einem lederartig verrunzelten Gesicht und einen in eine hängende Wiege aus Renntierleder gründlich eingeschnürten Säugling. Wir hatten keine Zeit, uns nachdenklichen Betrachtungen darüber hinzugeben, ob sich das kleine Lappenkind wohl oder übel in dieser Umpanzerung fühle; es machte auf jeden Fall ein ziemlich gleichgültiges Gesicht und ließ sich durch uns Fremdlinge nicht in seiner Ruhe stören. Außerdem wußten wir ja auch, daß wir bald ganz unter Lappen sein würden und dann reichlich Gelegenheit haben sollten, unsere Studien über Sitten und Gebräuche fortzusetzen.

Je weiter wir nordwärts sausen, um so mehr ändert sich der Charakter der Landschaft.

Die Bäume der südlicheren Breiten lassen uns allmählich im Stich. Die Wälder bestehen nur noch aus Nadelholz und aus der Birke, diesem genügsamsten Baum, der zuletzt noch der einzige bleibt, der uns die Treue hält.

Aber etwas Neues tritt nun in den Kreis unserer Beobachtung: weithin bedeckt die Renntierflechte mit ihrem eisengrauen Teppich den Boden des Waldes oder die baumfreien Flächen.

Und dann kommt noch ein weiteres, was uns in Erstaunen versetzt: kilometerweit fahren wir manchmal wie durch einen toten Gespensterwald. Zahllose Bäume liegen niedergebrochen, vom Sturm geknickt, mit zersplissenen Ästen, moosüberwuchert. Es sieht manchmal aus wie ein ungeheurer Friedhof der Natur: reglose Baumskelette zu Haufen übereinandergeworfen. Niemand ist da, der in diesen Einöden des Nordlandes sich ihrer erbarmt. Menschen und Mittel fehlen, um einzugreifen. Außerdem ist ja in Finnlands endlosen Wäldern der Reichtum an gesundem Material so ungeheuer, daß man sich um diese Krüppel des Waldes nicht zu kümmern braucht.

*

Aber dann erleben wir noch etwas, was den fremdartigen Zauber dieser Einsamkeiten vollendet. In die unendliche Stummheit der Natur tritt plötzlich etwas Lebendiges.

Ungeheuere graue Rauchschwaden ballen sich an dem flimmernd blauen Sommerhimmel: der Wald brennt!

Diese Waldbrände sind die ewig wiederkehrenden Katastrophen, die ungeheure, viele Kilometer weite Lücken in den Waldbestand reißen. Die sommerliche Hitze tut das Ihre dazu, um dem fressenden Element die richtige Nahrung zu geben. Überall tanzen auf dem Boden, wie taumelnde Irrlichter, die Flämmchen umher, die Moos und Flechten verzehren. Die gelben Zungen der Flammen lecken an den Baumstämmen empor. Wenn die Wut des Feuers sich ausgetobt hat, ragen sie nur noch als schwarz angekohlte Stümpfe jammervoll in die Luft.

Einmal kamen wir ganz nahe an einer solchen Brandstelle vorbei. Wir stiegen aus. Da wir selbst nicht helfen konnten, sahen wir »müßig und bewundernd« dem Schauspiel zu und beobachteten das mühselige Geschäft des Abgrabens: ein paar finnische Waldarbeiter, unter ihnen auch ein Lappe, und ein paar Soldaten gaben sich dieser schweren Arbeit der Einzäunung des Feuers mit jenem vollkommenen Gleichmut hin, der aus der Gewohnheit entsteht.

Dies waren Eindrücke, die uns zu lebhaften Gesprächen anregten.

Der begreifliche Ernst unserer Stimmung wurde dann wieder abgelöst durch ein befreites Gefühl nachmittäglicher Ruhe, als wir zur Kaffeestunde die kleine Siedelung Laanila erreichten. Weltvergessen träumt diese Gruppe von einigen Häusern ihren Sommer- und Winterschlaf. Wären nicht ringsum die vollkommen baumkahlen Wellenzüge der lappländischen Hügel, so könnte man fast glauben, in dieser friedlichen Sommerstille in unser deutsches Thüringer Land versetzt zu sein.

Aber es sind erst zwei Jahrzehnte her, so belehrte uns unser kundiger Geographieprofessor, da hatte hier, an diesem weltentlegenen Orte, das schlimmste Fieber, das den Menschen befallen kann, eine zitternde Unruhe verbreitet, – das Goldfieber!

Aus dem Boden gestampft, herrschte da eine Zeitlang ein erregter Betrieb, wie in den kalifornischen Goldgräberorten. Man hatte nämlich in einem nahen Flußwasser etwas Goldvorkommen festgestellt, und alsbald gaukelten die ausschweifendsten Hoffnungen in der Phantasie derer, die es als höchstes Glück betrachten, plötzlich einmal ohne viel Anstrengung reich zu werden.

Da wurden Grubenschächte bis zu fünfzig Meter Tiefe gegraben, weil man den Goldadern auf die Spur kommen wollte. Eine Aktiengesellschaft wurde gegründet, die sich reichen Gewinn versprach, und in der sonst so stillen Lappmark herrschte eine Zeitlang ein abenteuerlich buntes Leben.

Aber bereits nach ein paar Jahren war die schillernde Seifenblase zerplatzt: die Gesellschaft verkrachte, die Aktien wurden wertlos. Ebenso schnell, wie sich ringsum die rasch errichteten Baracken mit Ingenieuren und Arbeitern gefüllt hatten, ebenso schnell, ja noch viel schneller waren sie verlassen!

»Als ich vor einigen Jahren«, so erzählte unser Gewährsmann, »das Gebäude der ehemaligen Betriebsverwaltung besuchte, da fand ich die Geräte und Apparate der Beamten, als wären sie eben noch im Gebrauch gewesen. Verstaubte Gläser und Retorten erzählten von einer Arbeit, die nutzlos vertan war.«

*

Diese alten Geschichten beschäftigten unsere Gedanken, während wir von Laanila aus zur Abwechslung über die Hügel weg ein Stück zu Fuß gingen.

Denn es tat wohl, nach dem langen Sitzen im ratternden Automobil die Beine wieder einmal zu bewegen. Außerdem mußten doch auch die leidenschaftlichen Photographen unserer kleinen Sechs-Männer-Karawane sich gründlich in ihrer Lichtbilderkunst austoben. Ich selber war der einzige, der keine Kamera mit sich schleppte. Das hatte, wie sich später herausstellte, auch seinen Vorteil. Denn meine Kameraden schenkten mir natürlich nur die gutgelungenen Aufnahmen und behielten die verunglückten als Andenken für sich.

Um aber nicht in den Geruch eines Egoisten zu kommen, habe ich diese guten Bilder nicht für mich allein behalten, sondern für dieses Buch eine Anzahl davon ausgewählt, damit meine Leser auch etwas von Lappland zu sehen bekommen.

Über kahle Hochflächen schritten wir dahin, denn hier, in einer Höhe von etwa 300 bis 400 Meter über dem Meeresspiegel, hatten wir bereits die Waldgrenze überschritten. Weithin schweifte der Blick auf die in langen Wellen sich hinziehende Hügelwelt bis zum großen Inarisee, dem wir jetzt zustrebten.

Wiederum stiegen wir, erfrischt durch die Wanderung, in unseren fauchenden Benzinkasten und kamen endlich abends freudig erregt in der Raststation Iwalo an.

Dank dir, finnischer Touristenverein! Wie freut man sich, eine so anheimelnde und saubere Touristenherberge zu finden, wenn man dreihundert Kilometer Autofahrt hinter sich hat und den begreiflichen Wunsch hegt, sich auszuruhen und vor allem dem Körper ein erfrischendes Bad zu gönnen.

Iwalo, ein Ort, nur dem bekannt, der selbst einmal dort gewesen, ist einer der wichtigsten Punkte jener Gegend: ein übermächtig großer Wegweiser macht darauf aufmerksam, an welcher Wegmarke unserer Lapplandfahrt wir uns jetzt befinden. Ein Arm deutet rückwärts nach Rovaniemi, der andere nordwestlich nach dem Kirchspielort Inari am gleichnamigen See. (Dahin sollte die Straße für den Wagenverkehr erst noch ausgebaut werden, so daß einstweilen nur im Motorboot über das Wasser eine bequeme Möglichkeit vorhanden war, dorthin zu gelangen, deren wir uns denn auch am darauf folgenden Tage bedienten.) Der dritte Arm aber deutet nordöstlich nach Petsamo, und dieser ist für den Finnländer an dieser Stelle der wichtigste, denn Petsamo, das ist das durch den Krieg für Finnland errungene Küstengebiet am Eismeer, der nördliche Ausgang aus dem Land hinaus auf die Wogen des Ozeans. Wer dorthin kommen will, den führt das brave Automobil noch etwa 100 Kilometer weiter bis zu dem Orte Hoyhenjärvi, von wo aus man dann zu Land oder Wasser an die Küste gelangt.

Wir aber, gerüttelt und geschüttelt, verließen unser Gefährt und begrüßten dankbar den letzten Vorposten mitteleuropäischer Fremdenbeherbergung, begrüßten, herzlich empfangen, ebenso herzlich das freundliche Gastwirtspaar, Herrn und Frau Eironen.

*

Und nun, ehe es zum lecker bereiteten Mahl gehen sollte, gab es eine festliche Stunde.

Als ob wir selber Abkömmlinge der seit Jahrhunderten hier ansässigen Finnländer wären, stürmten wir in das Badehaus, um in den heißen Dämpfen der » Sauna« eine Art menschlicher Neugeburt zu vollziehen.

Es gibt keinen finnischen Bauernhof, in dessen Nähe nicht diese kleine Badehütte stünde. In ihr vollzieht sich die einfachste Form dessen, was die zivilisierte Menschheit sich mit etwas größerer Umständlichkeit als russisch-römisches Bad zubereitet.

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Lappisches Familienbild

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Ein Renntier wird gemolken

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Mieraslompola: Lappenfamilie

Auf die heißen Herdsteine schüttet man das Badewasser, wogender Dampf erfüllt den kleinen Raum. Über ein paar Leiterstufen hinaufschreitend, setzt man sich gern auf eine kleine Galerie, weil es da oben am allerheißesten ist. Und dann holt man sich die bereitgehaltenen Birkenruten und klopft sich damit gegenseitig recht gründlich aus, um das Blut in Wallung zu bringen. Nachdem dies alles geschehen, dann kann man sich, wenn's gerade Winter ist und man eine gesunde finnische Bärennatur hat, draußen vor der Badehütte – im Schnee herumwälzen. Ist dies alles vollbracht, dann fühlt man sich gleichsam als neuer Adam, und für einen kräftigen Hunger dieses neuen Adams ist dann auch vorgesorgt.

Den Schnee konnte uns der finnische Hochsommer nun leider nicht liefern. Es war vielleicht auch ganz gut so, denn wer weiß, ob unsere Energie für diesen letzten Gipfelpunkt des Dampf- und Schneebades noch ausgereicht hätte! Dafür stürzten wir uns, als ob wir selber noch richtige Jungen wären, in den ein paar Schritte entfernten Fluß, tummelten uns in ausgiebigster Weise darin herum, bis endlich das Knurren unseres Magens uns an den sauber gedeckten Tisch in der Gaststube rief.

Hier wartete unserer eine neue Überraschung. Zwei unserer neuen Wanderkameraden waren begeisterte Angler. Sie haben diesem angenehmen Geschäft später tagtäglich mit wechselndem Erfolg obgelegen. Diesmal hatte ein Hecht angebissen. So gab es denn, dank der Kunst unserer Frau Wirtin, als eingeschobenes Zwischengericht, eine Art Fischpastete, die ganz vorzüglich mundete.

Endlich ging man dann zur Ruhe. Draußen vor der Gazebespannung der Fensterrahmen, die etwas Luft einließ, tummelten sich in gekränkter Erregung die lappländischen Mücken und versuchten an den engmaschigen Gittern vergebens ihre taumeligen Kletterkünste.

Wir aber schliefen den Schlaf der Gerechten, auf einige Zeit zum letztenmal in richtigen europäischen Betten. So kostete man dieses Vergnügen ganz besonders behaglich aus. Nur meinem Freunde und Zimmergenossen Eduard wurden ein paar kräftige Tropfen Bitterkeit in den Freudenbecher gegossen. Er mußte es wieder einmal erleben, daß ich, trotz aller freundschaftlichen Gegenbeteuerungen, ganz unerhört schnarchte. Er behauptete, die Sägetöne, die ich hervorgebracht hätte, seien so übermenschlich gewesen, daß daneben das Fauchen unseres Automobils als Elfengeflüster erscheine!

Man sieht, mein Freund Eduard hat eine starke Phantasie!


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