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Ein Vorwort für die deutsche Ausgabe

Aage Madelung

Aage Madelung

Aage Madelung – er tauchte in meinem Dasein an einem Sommervormittag auf – an der anderen Seite unseres Gartenzaunes. Da erstrahlte in der Sonne ein gebräuntes Jünglingsgesicht, in das der Kampf ums Dasein noch nicht eine einzige Linie gezeichnet hatte. Es war lauter Harmonie, ein vollendetes Produkt der guten Naturkräfte.

Der ganz junge Mann war auffallend groß und wohlgewachsen, und ein Paar seltsam tiefe, graublaue Augen blickten in die Welt hinein.

Jeder von uns könnte dem anderen seine kleine Welt bieten, und unsere Welten waren überraschend verschieden. Wir hatten diametral entgegengesetzte Ansichten von allem, insbesondere vom Zweck des Daseins; nur in einem Punkt waren wir ganz einig: licht war das Leben und grün, und beide hatten wir das glücklichste Talent, der Welt ein Lächeln zu entlocken. Ich besuchte dann meinen Freund auf den Gütern seines Vaters in Schweden, und da er seine schönsten Freuden nur mir teilen wollte, setzte er mich auf ein Reitpferd und bestieg selbst ein zweites, worauf er mit mir unter flammendem Jubel hinaus in den goldenen Morgen galoppierte. Das wäre sicher auch für mich lustig gewesen, wären nur nicht die Leute auf dem Gut instruiert worden, alle Gatter auf den Feldwegen zu schließen, sobald sie ihren jungen Herrn zu Pferde sahen, auf daß höchstderselbe seine Gelüste, durch den Himmelsraum zu springen, befriedigen konnte. Ich mußte mich unglücklicherweise damit begnügen, meinen Freund vom niederen und härteren Stand der Landstraße aus zu bewundern und ihn um seine Fertigkeit im Reiten zu beneiden, die darin gipfelte, daß er im Sattel stehend mit verhängten Zügeln heimwärts galoppierte. Als mein Freund sah, daß mir die Reittouren keine ungemischte Freude bereiteten, lud er mich am nächsten Tage zu einer Wagenfahrt ein. Und ich muß zu seinem Lobe gestehen, daß er mir eine Tour bot, die ich nie vergessen werde. Zu meiner Ehre wählte er nämlich als Zugpferd ein jungfräuliches Tier, das noch nie im Wagen gegangen war, und die Fahrt verlief so, daß wir ganz hinten im Wagen stehen mußten, während das Vieh in das Universum hinausraste und mit den Hinterhufen in das Vorderteil des Wagens schlug. Aber es glückte Madelung, auf der Straße zu bleiben, indem er immer auf die Seite des Kometen mit der Peitsche einschlug, die sich dem Graben näherte. Ich sah einmal im griechisch-türkischen Krieg die Reste eines Wagens, der von einer Granate zersplittert worden war. Ich konnte mich nicht gleich entsinnen, wo ich das schon früher einmal gesehen hatte, aber schließlich fiel mir die Wagenfahrt mit Madelung ein.

Sein Heim da oben in Schweden war übrigens bezaubernd schön, ein feines Heim mit einem klugen, in sich gekehrten Vater und einer einnehmenden und lebhaften Mutter, ein altes, weißes Haus mit Gärten und einem Park mit anheimelndem Gewässer zwischen dunkeln Zweigen. Das war eine Gegend, wo die Märchenwelt noch nicht fortkultiviert war, wo tiefe Wälder und steinichte Felder die Einsamkeit hüteten, wo das Lächeln des großen »Ringsees« über das ernste Antlitz des Landes huschte, eine wunderliche Gegend, wo alte Herrensitze mit verschossenen Gobelins verlassen lagen, und wo der Werwolf noch sein Wesen trieb. Eine solche Gegend bot einem jungen Manne alle Entwicklungsmöglichkeiten, nur nicht die, von einer herrschenden Meinung suggeriert zu werden, denn dort gab's kein Milieu außer der Natur. Dort herrschten die Träume der hellen Nächte, die Sterngedanken der Winternacht, der Einsamkeit Schwermut und des Frühlings allbezwingende Lebensfreude. Wohl traf man Menschen: lustige Junker und düstere Bauern, die das Brot den steinigen Feldern abrangen, und in seinem Heim hörte er viel von Pflicht und Vernunft, aber die Natur war es, die ihn erzog, und so stark erwuchs er aus ihr, außerhalb den Menschen, daß er nie einem anderen glich, nur sich selbst.

Er hatte ein Gymnasium in Dänemark absolviert, einen Einblick in die Naturwissenschaft erhalten, die dänische Sprache zu meistern gelernt und sie liebgewonnen; dann hatte er Schwedisch gelernt, die Sprache, die in wehmütigen Volksweisen singt und anschwillt zum traumhaftesten Pathos; er hatte seine Interessen für die Pflanzenwelt und das Tierreich vertieft und schon als Junge Darwins Werke studiert, und nun stand er da als der junge Landmann, der sich zu seiner zukünftigen Stellung als Gutsbesitzer bereiten sollte. Er tat seine Pflicht, stand um 4 Uhr auf und ging an die Arbeit in der Meierei und den Ställen, zusammen mit den Leuten – aber in der Tiefe seiner Seele war er keineswegs überzeugt, daß des Lebens Glück an der trivialen Mittelstraße liegt, die man die goldene nennt. Doch schickte er sich vorläufig in diese Lage und stellte, wie gesagt, in der Meierei die Uhr auf Punkt vier, selbst wenn er sie manchmal nur dadurch zu dieser Zeit erreichen konnte, daß er seinem Pferde die Sporen gab – auf dem Heimritt von einer becherklingenden Nacht mit anderen Junkern. Und doch wurde seine Gewissenhaftigkeit nicht genügend vom Vater geschätzt.

In seinem 21. Jahre sagte Aage Madelung ohne Wehmut dem Landleben Lebewohl, um seiner Wehrpflicht als schwedischer Dragoner zu genügen. Man hätte wohl nicht leicht eine prächtigere Dragonertype finden können. Er hätte unter Karl XII. leben sollen. Nun mußte er sich mit der Ehre, der erste Reiter des Regiments zu sein und dem Silberbecher des Königs als Anerkennung dafür begnügen. Der Oberst wollte ihn bewegen, Offizier im Regiment zu werden, doch der Vater versagte seine Einwilligung. Der junge Madelung war so aufgebracht darüber, daß er nicht beim Militär bleiben durfte, daß er auf und davon ging, von seinem Heimatland und dem häuslichen Herd – nach Rußland.

Hier treffen wir ihn auf der Landstraße im alten Ingermanland, wie er es in der »Jagd auf Tiere und Menschen« schildert.

Es gibt Leute, die in einem langen Leben die Welt umwandern können, ohne etwas anderes als gutes Wetter und schlechtes Wetter zu erleben, und andere, die jeden Tag das merkwürdigste erleben. Madelung gehört zu diesen.

Von Ingermanland zog er zu den alten polnischen Provinzen, Podolien und Wolynien. Hier, an der Grenze von Galizien, war er Feldhüter. Er brachte sein Leben auf dem Pferderücken zu und mußte zusammen mit seinen berittenen Leuten die Pferde und das Rindvieh der Bauern einfangen, wenn diese sie in dunkeln Nächten loskoppelten, damit sie auf den Wiesen des Gutes grasten; er führte ein abenteuerliches Dasein und kam mit den Juden in Berührung und den eingeborenen Kontrabandisten, mit Grenzgendarmen, Zigeunern und Pilgern aus Besarabien. »Das war ein buntes Leben! Wunder, daß ich nicht totgeschlagen worden bin!« sagt Madelung und sein ruhiger Blick folgt dem Rauch der Zigarette.

Von Podolien ging er wieder nach Norden und kam so nach Petersburg, gerade als die große Choleraepidemie im Sommer 1894 ihren Höhepunkt erreicht hatte. Die Stadt stank nach Chlorkalk, und die Menschen ertränkten ihre Furcht vor der Pest in den wildesten Orgien. Er selbst wurde leicht von der Cholera ergriffen, aber seine Konstitution dämmte die Krankheit schon im Anfangsstadium zurück. Trotzdem hielt er es für das angenehmste, Petersburg den Rücken zu wenden und zurück nach Ingermanland zu gehen, wo er auf dem Gute eines alten Generals Holländer für 15 Rubel monatlich bei freier Kost wurde.

Dann rief ihn der Vater in der Hoffnung heim, daß die Verbannung seinen Drang nach Selbständigkeit gemäßigt hätte. Aber das war nicht der Fall, und als er eine Zeit lang Verwalter auf dem väterlichen Hofe gewesen war, zog er aus, um sich selbst ein Landeigentum zu erwerben, und da nun einmal Madelung immer etwas unwahrscheinliches passiert, wurde er glücklicher Besitzer eines Kohlenimportgeschäftes in Kopenhagen.

Ich weiß noch, wie mich die Nachricht überraschte, daß mein Freund »Kohlengroßhändler« geworden sei. Ich konnte mir leichter denken, daß man einen Vulkan zum Kaffeekochen gebrauchte, als Madelung zum Kohlenverkauf; nie werde ich den Eindruck loswerden, den Madelung auf mich machte, wie er in einem Kontor aus Eichenholz mit einer Kassiererin am Pult saß. Er räumte auch selbst ein, daß er nicht mehr vom Kohlenimport verstünde als ein Ochse von Havannatabak; aber für ein Genie gibt es keine Grenzen, und es glückte ihm daher, nach einem halben Jahr das Geschäft zu schließen, ohne sein ganzes Erbteil verbraucht zu haben. Er hinterließ keine betrübten Gläubiger und besaß einen schuldenfreien, braunen, englischen Hengst. Dieser Hengst war ein Vollblutanarchist. Eine kurze Zeit hatte ich den Genuß, den Hengst und Aage auf meiner friedlichen, rosenbekränzten Villa in Dänemark zu beherbergen. Jeden Morgen durchlebten ich und mein Haus eine Schreckensstunde, indem wir warteten, wer das Leben lassen würde, Madelung oder der Hengst. Draußen vor der Stalltür stand mein Stallknecht, den Angstschweiß auf der Stirn, und drinnen tobte ein entsetzlicher Ringkampf zwischen Madelung, der das Tier unter dem Bauche striegeln wollte, und dem Anarchisten, der das Striegeln als einen brutalen Eingriff in seine persönliche Freiheit ansah. Er warf sich gegen die Mauer, daß sie zitterte, versuchte das Steinpflaster mit seinen Eisenhufen aufzureißen, heulte dazu wie ein Fenriswolf und biß große Löcher in die Luft, während meine fromme Reitstute zitternd, mit angelegten Ohren und heftig indigniert, in ihrer Box stand.

Auf diesem Wunderhengst durchraste Madelung Dänemark, um den Kohlenimport abzuschütteln, wobei er sein Interesse für die Tierarzneikunde entdeckte und sich bei der Kgl. Veterinärschule in Kopenhagen anmeldete. Eines schönen Tages aber nahm er ein Anerbieten an, nach Rußland zu reisen und ein Buttergeschäft zu leiten. Ich hatte meine Zweifel, inwieweit das Schicksal Madelung wirklich zum Buttermann bestimmt hatte, verstand aber doch, daß er als ehemaliger Agrarier und bei seinem Naturell als fahrender Bursch. gewisse. Vorbedingungen für diese sonderbare Branche haben mußte.

Rußland hatte sich auf die Butterproduktion geworfen. Große Firmen wurden vom »Butterfieber« ergriffen, Millionen umgesetzt. Es war ein Pioniergeschäft nach den besten Vorbildern.

Aage Madelung bereiste das Land kreuz und quer, trank und handelte mit den Bauern und war ein gern gesehener Gast bei den Gutsbesitzern, jagte, fuhr und ritt. Als er Erfahrungen gesammelt hatte, wurde er Repräsentant der größten Butterfirma der Welt und machte auf einem Brett größere Umsätze, als sein väterlicher Hof wert war. Er wurde so ein wohlsituierter Mann und heiratete eine russische Dame.

Zu dieser Zeit war die große Revolution im Anzüge. Die Verbannungen wurden verdoppelt; die Spannung und die Unruhe im. Lande wuchsen. Die Stadt, wo Madelung seinen Wohnsitz hatte, wurde von verbannten Revolutionären überschwemmt. Bedeutende Schriftsteller und Künstler des jungen Rußland waren unter ihnen. Madelung kam in nähere Berührung mit ihnen und hielt für viele der Heimatlosen offenes Haus. Hier in dieser Gesellschaft hochbegabter Männer fingen seine literarischen Interessen an, sich geltend zu machen. Zu gleicher Zeit, da er Butter kaufte, wurde er Mitarbeiter an einer russischen literarischen Zeitschrift, wo er eine Erzählung und Artikel über die skandinavische Literatur veröffentlichte.

Schließlich brach die Revolution aus. Während des ersten großen Generalstreiks beteiligte Madelung sich an der Verteidigung der Stadt und der Bürger gegen den Pöbel der »Schwarzen Bande«. Es galt das Leben, aber in dieser Stadt glückte es, mit der Waffe in der Hand, den Pöbel in Schach zu halten.

Das Freiheitsmanifest vom 17./30. Oktober 1905 schien eine neue Zukunft für Rußland zu verheißen, doch das Volk war in Aufruhr; Provokation und Mordbrand nahmen überhand. Madelung sah ein, daß das Land einer blutigen und gesetzlosen Zeit entgegenging, und er brachte daher Frau und Kinder im Auslande in Sicherheit. Selbst wandte er sich zurück, um noch einmal als Butterhändler in Nordrußland einen Versuch zu machen, aber die goldenen Tage des Pioniergeschäfts waren dort vorbei. »Es war Romantik,« sagt er, »und das ist kein gewöhnliches Geschäft.« Er wurde Zeuge eines Pogroms, das er wahrheitsgetreu in seiner nackten Grausamkeit schilderte, bereiste darauf die Flüsse Wologda, Suchona und die große Dwina bis nach Archangelsk, besuchte unterwegs seinen Freund, den weltberühmten Polareismaler Borisow, und wandte sich dann heimwärts.

Nun beginnt im Ernst Aage Madelungs Wirksamkeit als Schriftsteller, teils von Kopenhagen aus, teils von Paris und London. Man kann sich darüber wundern, daß er nicht früher ernstlich daran ging. Gewiß ist es in der Regel einträglicher, Butter zu verkaufen als Manuskripte; aber es gibt Ausnahmen. Ich erinnere mich auch, daß Madelung bei Gelegenheit mir zur Antwort gab, er wolle lieber sein Leben mit seinem roten Herzblut leben als in Tinte auf weißem Papier. Es war gut, daß er seinerzeit dieser Meinung war, denn dadurch bewahrte er vielleicht die Leserwelt vor dem Unreifen, bis er uns des reifen Mannes vollendetes Werk bieten konnte. Aber niemand kann im Zweifel darüber sein, daß Madelung der geborene Schriftsteller ist, ausgestattet von der Hand der Natur mit der stärksten Fähigkeit, zu erleben und wieder zu schaffen.

Schon in früher Jugend hatte er Gedichte und Kleinigkeiten geschrieben; später sah ich viele Jahre hindurch nur Briefe von seiner Hand. Doch wie wunderbar waren diese Briefe! Wie oft saß ich mit diesen großen, kühn beschriebenen Bogen in der Hand, ergriffen von der gewaltigen Stärke, den mächtigen Gesichten und der unberechneten, meisterlichen Kunst, mit der er schilderte, was er in der Außenwelt erlebt hatte und was in seinem Innern glühte. Ich konnte zuzeiten zaudern, diese Briefe zu öffnen; ich wußte, sie würden mich ganz aus meiner Arbeitsruhe reißen und meine Kreise stören, daß in dem dünnen Kuvert ein ganzes Donnerwetter und Erdbeben liegen konnte. Ich wußte, daß ich erbittert werden würde über seine unverschämten Paradoxa, über seine verstockte Blindheit für die ganze unsichtbare, erdferne Welt, in der ich das Leben sah; aber ich wußte auch, daß ich durch seine Augen weit tiefer hineinsah in die Natur der Erdendinge, als ich je geträumt hatte. Und wenn ich dann dasaß, mit dem gelesenen Brief in der Hand, dachte ich: hier sitzen wir andern und schreiben Bücher, und dieser Mann, der nur Briefe schreibt in später Abendstunde, nach des Tages Mühen, könnte uns alle zu Makulatur zusammenschreiben.

Kein Wunder, daß das Publikum sich die Augen rieb, als er sich endlich herbeiließ, öffentlich zu schreiben. Man stutzte und witterte, als seine Schilderungen und Erzählungen in den Blättern und Zeitschriften auftauchten, und als er dieses Erstlingsbuch: »Jagd auf Tiere und Menschen« in Dänemark herausgab, stand er mit einem Schlage unter den Großen, mit denen er nun verglichen wurde. Man hat ihn auch Kipling an die Seite gestellt, und dies ist ganz natürlich, denn das, was Kiplings indische Erzählungen so wertvoll macht, finden wir in Madelungs russischen wieder – das tiefe Eindringen in die Seele einer anderen Rasse. Er steht da mit den beobachtenden Augen des Fremden und lebt doch ganz mit; er kennt das eintönige Leben der primitiven russischen Bauern, den verfeinerten und barocken Byzantinismus der Bojarensprossen, den großartigen Zug der russischen Natur von der Tundra bis zu Liwadias Weingärten und den zähnefletschenden, haßerfüllten Kampf zwischen dem Alten und Neuen.

Doch sein Feld war keineswegs auf Rußland beschränkt. Sein Feld ist die Menschheit und die Natur des ganzen Erdenrunds. Er umfaßt die Erde mit seinen Sinnen, überall, wo er hinkommt. »Weltbürger« nennt er sich selbst, weil er keiner einzelnen Partei, keinem begrenzten Lande angehören will. »Denn die Partei ist die stärkste,« sagt er, »zu der nur ein Mann gehört – diese Partei bin ich.«

Er ist der große Schilderer und Empfinder, der auch den leeren Raum empfindet und schildert, wo wir anderen »an nichts denken«. Er ist der ganz moderne Schriftsteller, der denkt, fühlt und namentlich fühlt auf eine eindringlichere Weise als die ältere Generation und eine neue und wirksamere Weise kennt, seine Eindrücke auf den Leser zu übertragen. Er rührt an den Nerven, der anderen, da, wo er selbst gerührt worden ist. Seht, wie er in »Ein Pogrom« die grauenvollen Ereignisse auf uns wirken läßt. Wir lesen hier nicht einen Bericht über etwas, das längst da oder dort in Rußland geschehen ist, wie wir ihn in einer Zeitung lesen, nein, wir sind selbst zugegen, greifen eine Einzelheit nach der anderen auf; es dringt ins Auge hinein und von da in die Seele; und wir möchten die Augen schließen, um nicht das für uns so entsetzliche zu sehen. Oder lest die wunderbare Schilderung von den »Zwölfhundert erfrorenen Männern«. Wie dem Harmonikaspieler bricht einem das Herz.

Das ist nicht die Kunst des Stils, nicht die der Sprache, das ist die Kunst des Schauens. Selten erlaubt er sich ein stilistisches Raffinement, tut er es aber, so geschieht es mit voller Wirkung, wie wenn er z. B. in »Zwölfhundert erfrorene Männer« den Arzt sagen läßt: »Das ist's ja, was ich sage. Es sind keine Episoden darin.« Wir finden die merksame Kunst wieder in den hinreißenden Naturschilderungen, wo ein neuer Zug uns gezeigt wird, etwas, was wir selbst gesehen haben und doch früher nie gesehen haben, – oder in seinen Stimmungen, wo der Stimmung vage Unklarheit unmittelbar auf uns übertragen wird.

Aber es ist nicht meine Absicht, den Lesern ein Zeigestecken zu sein. Ich wollte nur versuchen, eine Skizze vom Leben des Verfassers und seinen äußeren Verhältnissen zu geben. Könnte ich den Lesern seine Person vorzaubern, würden sie einen vornehmen, reservierten Weltmann sehen, dessen Äußeres keineswegs die innere Glut verrät, ebensowenig wie der Vulkan, dessen Linien die ruhigsten aller Berge zu sein scheinen.

Aage Madelung stammt von den Madelungs auf Schloß Madelungen ab, das noch heute nördlich von Eisenach liegt. Das Schloß ging durch Erbstreitigkeiten im 16. Jahrhundert dem Geschlecht verloren, dessen Hauptlinie längst ausgestorben ist. Er kann auf Grund der Kirchenbücher sein Geschlecht bis auf Marcus Madelung verfolgen, der um 1600 in Klausthal im Harz lebte. Dessen Sohn und Enkel waren Förster und Untersteiger in Hannover. Die beiden folgenden Deszendenten waren Münzmeister in Oldenburg und in Kongsberg in Norwegen. Als das Silberwerk in Norwegen einging, zog Aage Madelungs Ahn nach Dänemark, wo er ein Landgut kaufte. Sein Sohn war ebenfalls Gutsbesitzer, und der Enkel, Aage Madelungs Vater, besaß bis vor wenigen Jahren große Landgüter in Dänemark wie in Schweden.

Aage Madelung wurde auf dem Gute Södertou in Südschweden im Jahre 1872 geboren.

Alexander Svedstrup

Jagd auf Tiere und Menschen


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