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Dem Zenit entgegen

In der Verstimmung über sein vielfaches Mißgeschick plante Beethoven, seiner schlechten Lage durch eine Reise nach England abzuhelfen. Er hatte eine hohe Meinung von den Engländern, seine Kunst ist dort keineswegs mehr unbekannt, er dachte an die großen Triumphe, die Haydn in London feierte, und überdies: man muß erst im Auslande berühmt geworden sein, um in der Heimat etwas zu gelten. Das war keineswegs unrichtig gedacht, ganz abgesehen davon, daß es sich darum handelte, in England Geld zu verdienen. Aber eine so große Kunstreise kostet vorerst Geld, Geld und wiederum Geld, just das, was man eben nicht hat und erst holen müßte.

Er klagt seine Not dem Mechanikus Mälzel, dem Erfinder des Metronom, für das Beethoven das lebhafteste Interesse hatte. Mälzel war der Sohn eines Orgelbauers aus Regensburg, ursprünglich selbst Pianist und dann Verfertiger musikalischer Instrumente, ein findiger Kopf. Beethoven hat mit ihm regen Verkehr; der Mechaniker hat nach mehreren Versuchen ein passendes Hörrohr für ihn konstruiert, denn ohne diesen Behelf geht es nun nicht mehr recht. Auch das Klavier muß mit einem Schallverstärker versehen werden, den ihm der befreundete Klavierfabrikant Streicher anfertigt.

Mälzel hat im Winter von 1812 auf 1813 ein »Panharmonikon« ausgestellt, mechanische Trompeter und andere originelle Musikapparate. Auch er möchte nach England, um seine technischen Neuerungen bekannt zu machen, und beschließt, mit Beethoven zu reisen, dessen Name ihm geeignet schien, das Publikum anzulocken. Leider hat auch er kein Geld; es wird vorerst also beratschlagt, wie die Kosten aufzubringen seien. Mälzel bewährt auch hierin sein Genie. Eben kam die Nachricht von dem großen Sieg Wellingtons bei Vittoria, Napoleons Armee vernichtet, alle Welt atmet auf, man ist in heller Begeisterung. Die Zeitströmung soll ausgenützt werden, Mälzel bringt Beethoven die Idee bei, er solle eine große Schlachtmusik für sein Panharmonikon schreiben, eine musikalische Paraphrase auf den weltbefreienden Entscheidungssieg; das Spektakelstück, in Wien zum Besten gegeben, müßte ungeheuren Zulauf bringen, das Reisegeld wäre damit gewonnen!

Beethoven begeistert sich in seiner naiven Art für diese Kirchweihidee, die mehr von der Geldnot als von der Muse inspiriert ist. Ein klein wenig sagt ihm wohl auch das Heroische in dem Vorwurf zu, ein dankbares Element, wie überhaupt Schlachtmusiken in jener Zeit sehr beliebt waren; man konnte unter allen Umständen auf Erfolg rechnen.

Am 27. Mai 1813 zieht sich Beethoven wieder in sein geliebtes Baden zurück, wo er sich mit größtem Eifer an die Arbeit macht; über Hals und Kopf wird »Die Schlacht bei Vittoria« geliefert. Die ganze Nachbarschaft ist in Aufruhr über das Toben, Trampeln und die Kanonaden in dem stillen Ort. Wellington konnte keine größere Freude über seinen Sieg haben als der Meister über diese Musik, die ihm schließlich so gut gefällt, daß er sie zugleich für großes Orchester instrumentiert.

Nach Wien zurückgekehrt, setzt er die Sache sofort in Szene. Eine große Akademie soll veranstaltet werden, die auch richtig am 8. Dezember 1813 stattfindet: alle namhaften Künstler Wiens werden aufgeboten und erklären sich bereit, Beethoven zuliebe mitzuwirken: Spohr, Schuppanzigh und Mayseder unter den ersten Violinen; der berühmte Prager Pianist Moscheles bedient die Becken; Meyerbeer schlägt die Pauken, wobei sich die merkwürdige Tatsache ergibt, daß er nicht Takt halten kann und Beethoven zur bissigen Bemerkung veranlaßt: »Es ist nichts mit ihm, er hat nicht den Mut, zur rechten Zeit dreinzuschlagen.« Weigl und später Hummel sowie Salieri dirigieren die auf den Galerien zu beiden Seiten des Akademiesaales aufgestellte Schlachtmusik; Beethoven als Generalissimus leitet mit seinem Taktstock als Feldherrnstab diese »Schlacht bei Vittoria«. Außerdem werden zwei Märsche von Mälzels mechanischen Trompetern mit Orchesterbegleitung gespielt und obendrein zum erstenmal die siebente Symphonie in A-Dur, die sich neben diesen Spektakelstücken fremdartig ausnimmt, wie ein Gast aus ferner Welt.

Es ging bunt durcheinander; Beethoven war schon auf der Hinfahrt zum Konzert so aufgeregt, daß mit ihm nicht zu reden war. Er wußte wohl, daß er den großen Teil des Orchesters nur mit der Phantasie hören konnte, und in der Tat fehlte denn auch nicht viel, so hätte er mit seiner temperamentvollen Art und infolge seiner Schwerhörigkeit die musikalische Schlachtordnung in verhängnisvolle Verwirrung gebracht. Der Genius eilte in solcher Schlachtbegeisterung voran, daß ihm seine musizierenden Heerscharen nicht folgen konnten und Gefahr im Verzuge war, die Schlacht zu verlieren. Indessen erschien Hilfe vom Himmel in Gestalt des Kapellmeisters Umlauf, der hinter dem Rücken des Meisters dirigierte und das Orchester vor dem Chaos bewahrte. Beethoven mußte es endlich bemerken, daß seine Getreuen einem andern Stabe gehorchten als dem seinigen. Verwundert drehte er sich um und bemerkte die Anordnung; ein Lächeln erblühte auf seinen Lippen, so eigentümlich und tragisch schön, daß diejenigen, die das freundliche Geschick hatten, es zu sehen, diesem Lächeln keine andere Bezeichnung als »himmlisch« zu geben vermochten.

Die Erstaufführung fand zu wohltätigen Zwecken statt für invalide Krieger; die weiteren Aufführungen sollten Gewinn bringen für die gemeinsame Reise mit dem Panharmonikon. Es kam rasch zu drei Wiederholungen mit immer steigendem Erfolge. Infolgedessen dachte Beethoven nicht mehr daran, Mälzel die Partitur für sein Orchestrion zu geben, er wollte die Schlachtmusik lediglich zum eigenen Vorteil verwerten und hatte die Lust an der gemeinsamen Londoner Reise verloren. Der arme Mälzel, der sich nun um seine Hoffnungen betrogen sah, stellte sich die Partitur für sein Panharmonikon heimlich selbst zusammen und produzierte sich damit in München. Er wurde deshalb von Beethoven verklagt, und es entstand ein Prozeß, der erst im Jahre 1817 durch gütlichen Vergleich beendet wurde.

Beethoven im Jahr 1814

Das Werk ist wohl auch künstlerisch eines Beethoven nicht ganz würdig; aber es hatte den Wert gehabt, durch seinen beispiellosen äußeren Erfolg Beethovens Ruhm in die weitesten Kreise zu tragen und den Meister populär zu machen. Sein schwächstes Werk hatte den Grundstein zu seinem Ansehen bei den Zeitgenossen gelegt. Eine bittere Ironie des Schicksals, daß gerade diese Gelegenheitsschöpfung mehr als alle seine anderen unsterblichen Werke ihn über die materielle Notlage hinaushob und die allgemeine Aufmerksamkeit auf jene schier vergessenen größeren Schöpfungen hinlenkte. Man erinnerte sich am Hoftheater nun wieder an die »Leonorenoper«, die abermals hervorgeholt wurde. Der Regisseur Treitschke verbesserte den Text, und im Mai 1814 ging die Oper in ihrer dritten endgültigen Fassung, die nun den Titel »Fidelio« erhielt, in Szene. Diesmal wurde sie mit Jubel aufgenommen. Der Meister näherte sich dem Zenit seines zeitlichen Ruhms, denn Ehrungen noch größeren Stils warteten seiner. Das alles hatte »Wellingtons Sieg« als auslösender Hebel bewirkt.

*

Die Wiederaufnahme des »Fidelio« war für den Meister zweifellos eine große Freude, dessen unglückliche Liebe die Oper bildete. Zunächst aber wirbelte ihm der Kopf von lauter Trommeln und Kanonaden; nach dem neuen großen Erfolg am 2. Januar 1814 im Redoutensaal meldet er jubelnd dem Freund und Bruder Brunszvik die erfreuliche Wendung seines Geschicks:

»Lieber Freund und Bruder! Du hast mir kürzlich geschrieben, ich schreibe Dir jetzt. – Du freust Dich wohl über alle Siege – auch über den meinen. – Den 27. d. Mts. gebe ich eine zweite Akademie im großen Redoutensaale. Komm herauf! Du weißt's jetzt. So rette ich mich nach und nach aus meinem Elend, denn von meinen Gehalten habe ich noch keinen Kreuzer erhalten. (?) – Meine Oper wird auch auf die Bühne gebracht, doch mache ich vieles wieder neu. – Ich hoffe, Du lebst zufrieden, das ist wohl nicht wenig. Was mich angeht, ja du lieber Himmel, mein Reich ist in der Luft wie der Wind oft, so wirbeln die Töne, so oft wirbelt's auch in der Seele. – Ich umarme Dich.«

Die Umarbeitung der Oper, zu der er sich bestimmt fühlt, und darüber er sagt, daß es ihm vorkommt, als gelte es: »die verödeten Ruinen eines alten Schlosses wieder aufzubauen«, schreitet indessen allzu langsam vorwärts, und er versichert noch im April 1814 dem neuen Textbearbeiter Treitschke:

»Kurzum, ich versichere Sie, lieber Treitschke, die Oper erwirbt mir die Märtyrerkrone. Hätten Sie sich nicht soviel Mühe damit gegeben und so sehr vorteilhaft alles bearbeitet, wofür ich Ihnen ewig danken werde, ich würde mich kaum überwinden können. Sie haben dadurch auch einige gute Reste von einem gestrandeten Schiffe gerettet.«

Die Vorstellung ist für den 23. Mai angekündigt, doch bei der Hauptprobe tags vorher ist die neue Ouvertüre noch nicht da. Treitschkes Bericht gibt Auskunft, wie es damit zuging:

»Für den 23. Mai wurde die Vorstellung angekündigt; tags zuvor war die Hauptprobe, aber die versprochene neue Ouvertüre (in E-Dur) befand sich noch in der Feder des Schöpfers. Man bestellte das Orchester zur Probe am Morgen der Aufführung, Beethoven kam nicht. Nach langem Warten fuhr ich zu ihm, ihn abzuholen, aber – er lag im Bette, fest schlafend, neben ihm stand ein Becher mit Wein und Zwieback darin, die Bogen der Ouvertüre waren über das Bett und die Erde zerstreut. Ein ganz ausgebranntes Licht bezeugte, daß er bis tief in die Nacht gearbeitet hatte. Die Unmöglichkeit war entschieden; man nahm für diesmal seine Ouvertüre aus ›Prometheus‹, und bei der Ankündigung, ›wegen eingetretener Hindernisse für Heute die Ouvertüre wegbleiben‹, erriet die zahlreiche Versammlung ohne Mühe den triftigen Grund. Was weiter erfolgte, wißt Ihr. Die Oper war trefflich eingeübt, Beethoven dirigierte, sein Feuer riß ihn oft aus dem Takte, aber Kapellmeister Umlauf lenkte hinter seinem Rücken alles zum Besten mit Blick und Hand. Der Beifall war groß und stieg mit jeder Vorstellung.«

Sogar die siebente Aufführung, obschon es mitten im Sommer war, hatte noch eine sehr gute Einnahme, die Beethoven als Honorar überlassen wurde. So war der unzufriedene Meister wenigstens mit seinem äußeren Schicksal ausgesöhnt, wenn auch die zunehmende Schwerhörigkeit seine Tragik vertiefte. Sein Tagebuch aus dem Jahre 1814 gibt einen Einblick in seinen Gemütszustand:

»Die Ohrenmaschinen womöglich zur Reife bringen, alsdann reisen – diese bist du dir, den Menschen und ihm, dem Allmächtigen schuldig – nur so kannst du nocheinmal alles entwickeln, was in Dir verschlossen bleiben muß – – – – und ein kleiner Hof – – eine kleine Kapelle – – von mir, in ihr den Gesang geschrieben, angeführt, zur Ehre des Allmächtigen – des Ewigen, Unendlichen. – So mögen die letzten Tage verfließen – – und der künftigen Menschheit. Händel, Bach, Gluck, Mozart, Haydns Porträt in meinem Zimmer – sie können mir auf Duldung Anspruch machen helfen.«

Die ungewöhnlichen Triumphe und Ehrungen, die dem Genius alsbald bereitet wurden und seiner Würde entsprachen, wurden von ihm mit stolzer Genugtuung als etwas Selbstverständliches hingenommen. Von Kaiser und Königen hatte er sich die Kur machen lassen, »und sich dabei stets vornehm benommen«, wie er mit Selbstbewußtsein immer gern betonte. Er war eine Persönlichkeit geworden, der die Leute auf der Straße mit Ehrfurcht aus dem Wege gingen. Alle kannten ihn. Umrauscht von der Woge des Beifalls, umleuchtet von seinem Ruhm, sank er dennoch immer tiefer in die Einsamkeit, in die gehörlose Stille, die undurchdringliche Scheidewände um ihn aufrichtete. Das war seine Tragik, die nicht zu übersehen ist und in seinem glorreichen Augenblick um so ergreifender wirkte.

Wien der Kongreßzeit 1814 ... Festliche Wochen brachen im September an, man rüstete zum Empfang der hohen Gäste. Alles, was Rang und Namen hatte, begegnete sich hier, ganz Europa. Die Fremdherrschaft war abgeschüttelt, Napoleon in Verbannung, seine Macht endgültig gebrochen, den politischen Wirren schien ein Ende gesetzt.

Ende September war Beethoven von Baden zurückgekehrt; eine neue Sonate, die draußen entstanden war, widmete er dem Grafen Moritz von Lichnowsky, der ihm das Ableben seines Bruders, des Fürsten Karl Lichnowsky, mitteilte und dem Meister die Schatten der edlen Vergangenheit wieder in die Erinnerung rief. Beethoven gedachte in seinem Schreiben an den Grafen der Fürstin Christiane, die ihm ihr Andenken und Wohlwollen hatte sagen lassen; mit tausend Händeküssen an sie versicherte er, daß er nie vergessen habe, »was er dem Fürsten und überhaupt allen schuldig sei, wenn auch ein unglückseliges Ereignis Verhältnisse hervorgebracht habe, in denen er seine Dankbarkeit nicht so zeigen konnte, wie er es wünschte«.

In Wien ging es bereits hoch her. Alle Potentaten Europas waren versammelt, das Zarenpaar von Rußland, die Könige von Dänemark, Preußen, Württemberg, die unabsehbare Schar von Fürstlichkeiten, Minister, Gesandte, Diplomaten, hohe Militärs, Würdenträger aller Art; der Kongreß schien ein monatelanges Fest, wie man es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Zu den glänzenden Schauplätzen der Musikfeste gehörte auch das Palais Rasumoffsky, wo Beethoven, den Monarchen vorgestellt, Gegenstand großer Aufmerksamkeit war.

Den Reigen der Festlichkeiten eröffnete die Fidelio-Aufführung am 26. September zu Ehren der gekrönten Häupter; Beethoven arbeitete zugleich an der Namenstagouvertüre für das Kaiserfest am 4. Oktober und an der Kantate »Der glorreiche Augenblick« zur Eröffnung des Kongresses am 29. November im großen Redoutensaal, wo außerdem die siebente Symphonie und »Wellingtons Sieg« zur Aufführung gelangten.

Den schwülstigen Text der Kantate hatte der Salzburger Dichter und Chirurg Prof. Alois Weißenbach verfaßt; der »Glorreiche Augenblick« stand im Mittelpunkt der patriotischen Begeisterung, und das Entzücken war unbeschreiblich, als die bombastischen Worte ertönten: »Was nur die Erde Hoch und Hehres hat, in meinen (Viennas) Mauern hat es sich versammelt ...« Die Musik Beethovens gab den schwerfälligen Worten allerdings Flügel, aber es war und blieb doch nur ein schwaches Gelegenheitswerk des musikalischen Genius, genau so schwach wie seine Schlachtmusik und womöglich von noch größerem Erfolg gekrönt wie diese. Bei den Hofkonzerten im Rittersaal der kaiserlichen Hofburg begleitet Beethoven noch einmal am Klavier den Fidelio-Kanon und die Adelaide; es ist das letztemal, daß er sich öffentlich am Klavier hören ließ; die Kaiserin von Rußland empfing ihn in Audienz und gab ihm ein Geschenk von 50 Dukaten für eine eilig komponierte Polonäse und nachträglich für die Alexander-Violin-Sonate op. 30 weitere hundert Dukaten in Gold, um nur einige der vielen Anerkennungen und Gunstbezeugungen zu erwähnen, die ihm damals zuteil werden.

Im Palais Rasumoffsky nahmen die Bälle und Musikfeste unentwegt ihren Fortgang und fanden ihren vorzeitigen Abschluß in der schauerlichen Brandkatastrophe am Morgen des 31. Dezember, der das Palais zum Opfer fiel. Das schrecklich schöne Schauspiel dieses verheerenden Brandes weckte Beethovens Erinnerung an den Schloßbrand in Bonn in ferner Jugendzeit, nur daß dieses neue Ereignis jenes frühe bei weitem an Furchtbarkeit übertraf und auch für ihn in mancher Hinsicht tragische Bedeutung hatte. In wenigen Stunden war ein Fürstensitz, der alles enthielt, was Kunstliebe, Prachtsinn und Reichtum vermochte, ein Raub der wütenden Flammen, darunter die kostbare Bibliothek und der vielbewunderte Canovasaal, reich an Marmorbildern dieser Meisterhand, die nun zerschmettert unter dem Schutt der eingestürzten Decke und Mauern lagen. Die letzte große adelige Musikstätte Wiens war dahin, der Schauplatz der großen Triumphe und Ehrungen Beethovens. Die lodernden Flammensäulen kündeten mit feuriger Schrift das Ende der kunstreichen Barockkultur in Wien, die trotz Empirezeit und Klassizismus an diesen fürstlichen Stätten ihre große Tradition fortgewirkt hatte. Bald darauf stob auch der Kongreß auseinander, neue Wolken drohten am politischen Horizont durch die Rückkehr Napoleons aus Elba. Noch einmal loderte der Krieg auf, ehe die Macht des Korsen vollständig gebrochen war und Stille eintrat in Europa, die Stille der Biedermeierzeit, in der zunächst auch der Genius Beethoven für einige Jahre von der Bildfläche verschwand und wie begraben und vergessen schien. Ein Schlußpunkt war gesetzt.

*

Die Frage liegt nahe, wie das Bild des Fünfundvierzigjährigen auf der Höhe seines zeitlichen Ruhmes ausgesehen haben mag. Denn es konnte nicht ausbleiben, daß eine solche Berühmtheit in Porträts festgehalten wurde, woran Freunde und Künstler, Zeichner und Maler ein gleiches Interesse hatten. Insbesondere für die letzteren war eine Erscheinung wie die seinige ein dankbares Modell.

Blasius Höfel, ein junger Kupferstecher, hatte Beethoven öfter beim Verleger Artaria gesehen und einen Porträtkupfer gemacht, für den ihm eine ziemlich belanglose Bleistiftskizze von Latronne als erste Vorlage diente. Nun kam er und bat um einige Sitzungen, die ihm der Meister bereitwillig gewährte. Aber er blieb höchstens fünf Minuten lang in der gewünschten Position ruhig, dann sprang er plötzlich auf, setzte sich ans Klavier und begann zu phantasieren. Der Zeichner war in größter Verzweiflung. Indessen versicherte ihm der Bediente, daß er jetzt am besten mit Muße arbeiten könne; wenn sein Herr am Klavier sitze, dann wisse er überhaupt nicht mehr, daß jemand im Zimmer sei, und habe ihn auch schon völlig vergessen. Dem war wirklich so. Nach zwei Sitzungen von weniger als je einer Stunde hatte der Stecher seine Platte fertig, er war gegangen, ohne daß Beethoven es zu bemerken schien. So war ein Blatt zustande gekommen, das die Zeitgenossen als das beste Bild des Meisters bezeichneten. Er erscheint im schönsten Mannesalter, anscheinend strotzend von Gesundheit, mit vollen Backen und leuchtenden, scharf gezeichneten Augen, die selbstbewußt in die Welt blicken; Entschlossenheit und Energie thront auf dem Gesicht, eine gewisse stolze Würde, die ausdrückt, daß er sich seines Wertes bewußt ist und sich als Großer unter Großen fühlt, wenn nicht als Größter. So beschaffen war seine äußere Erscheinung in den Tagen des Glanzes, als er sich von den gekrönten Häuptern am Wiener Kongreß huldigen ließ.

Später saß er nicht mehr so bereitwillig den Malern, die sich um sein Bildnis bemühten. So bedurfte es schon vielen Zuredens und einer gewissen Standhaftigkeit seitens des jungen Malers Schimon, damit er die Erlaubnis erlangte, eine Staffelei in Beethovens Arbeitszimmer aufzustellen. Schimon hat ihn schon lange ins Auge gefaßt und war ihm auf Schritt und Tritt nachgeschlichen wie einem Wild; er hatte schon mehrere Studien in der Mappe, ehe es dem Meister gefiel, seinem Wunsch zu willfahren. Von Sitzung war darum noch lange nicht die Rede. Das Bild war fertig bis auf das Wesentliche, die Augen. Sie waren das Allerschwierigste, aber auch das Allerköstlichste; denn das Augenspiel war wunderbar. Schien auch das Auge klein, so öffnete es sich manchmal groß, sah unheimlich drohend aus oder visionär und starr auf einen unsichtbaren Punkt gerichtet, sobald ihm eine plötzliche Idee durch den Sinn ging und dem Blick, wie überhaupt dem ganzen Antlitz, ein sichtbar begeistertes leuchtendes Aussehen gab. Was in ihm vorging, prägte sich in diesem Leuchten aus. Der Blick richtete sich nach oben, zur Decke oder zum Firmament, und blieb in der Meditation dort haften. Diese Augenblicke der Begeisterung, die den nicht gerade groß gewachsenen Mann doch gleichsam ins Riesenmäßige erhoben, überraschten ihn mitten im Gespräch, oft in heiterster Gesellschaft oder auf der Straße, wenn er allein ging und plötzlich sein dickes Blei und das unförmliche Notizheft hervorzog. Das erregte gewöhnlich Aufsehen unter den Vorübergehenden, die gespannt hinsahen. Dieser Blick war ein wesentliches Moment der künstlerischen Charakteristik und darum so schwierig, weil eine ganze Skala von Gemütsstimmungen sich darin abspiegeln konnte, vom wilden, trotzigen Ausdruck und lodernden Aufruhr bis zum sanften, liebevollen Schauen, ja bis zur Demut, und mehr noch bis zur Schwermut; aber gerade das war im Bildnis nicht leicht zu fassen und für den Porträtisten immerhin ein Problem.

Der Maler hatte es indessen recht geschickt angefangen, um sich die Beachtung des Meisters zu erzwingen. Unbekümmert legte der junge Akademiker sein derbes, naturwüchsiges Wesen an den Tag, tat so, als ob er in seinem eigenen Atelier wäre, bei sich zu Hause; grüßte nicht, wenn er kam, und sagte nicht adieu, wenn er ging, kurzum, er schien das Widerspiel des Meisters selbst zu sein.

Eben das war es, was Beethoven an dem jungen Mann interessierte und seine Aufmerksamkeit, ja Neugier rege machte. Er lud ihn zum Kaffee ein, das war ein Zeichen seiner Gunst, jede Taste, wie gewöhnlich, zu wohlgezählten sechzig Bohnen. Dabei hatte der Maler die Möglichkeit gefunden, das Bild so zu vollenden, daß es auch vor dem gestrengen Blick des Meisters bestehen konnte.

Auch die Freunde fanden, daß es höchste Naturwahrheit bot, und zugleich genialer aufgefaßt wäre als alle anderen Bildnisse, besonders was die Wiedergabe des idealen Blickes betrifft, der nach dem blauen Äther schweift, ins Raumlose, Visionäre; vorzüglich tritt der majestätische Bau der Stirn, dieser Sitz leuchtender Ideen, in die Erscheinung, der energisch geschlossene Mund, das geteilte muschelartige Kinn, das lebhafte Kolorit von Rot und Braun, das sturmbewegte Haar in der Farbe blau angelaufenen Stahls. Das Bild hatte wirklich etwas Ossianisch-Dämonisches, das man dem Meister in seinen großen Augenblicken nachrühmte. So sah ihn auch der Maler August von Klöber, der ihn einige Jahre später malte; das Bild ist indessen verschollen, nur eine Lithographie davon wurde bekannt.

Stielers Beethovenbildnis

Auch der Münchner Hofmaler Stieler, der sich kaum eine Größe seiner Zeit entgehen ließ, wußte sich des Meisters zu versichern. Er hatte es nicht schwer, denn er kam nicht nur mit hohen Empfehlungen, sondern mit dem Selbstgefühl des anerkannten, großen Hofmalers, von dem konterfeit zu werden, schon als eine Auszeichnung galt. Im ganzen gewährte ihm Beethoven drei Sitzungen, aber das Bild, für einen russischen Fürsten bestimmt, gedieh nicht über eine skizzenhafte Studie hinaus. Das unechte Pathos darin gefiel ebensowenig wie der düstere theatralische Ausdruck des vorgeneigten Kopfes und die damenhaften Hände, die den Hofmaler verraten und zugleich die Absicht, die süßliche Glätte dieser Malweise ins gewollt »Titanenhafte« zu steigern. Der Künstler hatte in der Hauptsache auswendig gemalt; nicht die Natur, sondern dis Routine half zu dem Werk; volle Mißbilligung fand vor allem die vorgeneigte Haltung des Kopfes, denn man war den Meister nicht anders zu sehen gewohnt als mit stolz zurückgeworfenem Haupt, das er auch in körperlichen Leiden immer aufrecht trug. Nur ein Maler, der mit dem Wesen des Meisters nicht vertraut war, konnte ihm diese Haltung geben.

Die Verlegerfirma Breitkopf & Härtel wünschte ein Bildnis von Beethoven und beauftragte etwa um 1818 den Großmeister der Alt-Wiener Porträtkunst, Georg Waldmüller, Professor an der Wiener Akademie, mit dieser heiklen Aufgabe. Es war zu einer Zeit, da Beethoven auch an einem Augenleiden laborierte und recht übler Laune war. Waldmüller wurde sehr ungnädig empfangen, schon deshalb, weil er sich gar zu ehrerbietig und fast schüchtern betrug, was der verdrießliche Meister nicht recht leiden konnte. Ganz besonders hat es ihn geärgert, daß ihn der Maler mit dem Gesicht gegen das Fenster sitzen ließ, was für die schonungsbedürftigen Augen ziemlich unangenehm war. Alle Augenblicke sprang er empor und ging in stiller Wut auf und ab, zum Schluß machte er Zeichen, daß ihm die Sache unerträglich sei. Kaum war der Maler zur Tür hinaus, so brach der mühsam verhaltene Zorn tobend hervor. Farbenkleckser war der geringste Ehrentitel, den er dem Meister der Palette nachwarf; er hielt ihn für den schlechtesten der Maler. Von weiteren Sitzungen konnte nicht mehr die Rede sein. Der Künstler machte das Bild auswendig fertig, weil er auf das bedungene Honorar von 20 Dukaten eingestandenermaßen nicht verzichten konnte.

Dem Werk fehlte freilich der gewohnte Zauber des Blickes, es war ja auch ein Altersbild des Meisters; aber es wurde ihm nachgerühmt, daß es der Wirklichkeit sehr ähnlich war. Er konnte so aussehen, verdrossen, übellaunig; das Widerwillige war darin ganz meisterlich festgehalten, und das Kostümliche war, wie immer bei Waldmüller, vortrefflich durchgeführt. Das Genialische des Meisters, das die sonstigen Bilder festzuhalten suchen, fehlt hier ganz; dafür trat die Naturwirklichkeit sehr überzeugend hervor.

J. Kleins Beethovenmaske

In früheren Jahren, als die Begegnung mit Goethe stattfand, also um 1812, hatte der Bildhauer Klein eine Büste von Beethoven modelliert und zu diesem Zwecke einen Gipsabguß von seinem Antlitz genommen. In dieser Maske kommt das zum Ausdruck, was fast alle anderen Porträts von ihm missen lassen: das Schmerzhafte, nach innen Lauschende, die Trauer, die stets über diesem Antlitz lag und das eigentümliche, undefinierbare Geheimnis seiner Schönheit ist. Rossini scheint allein diesen Ausdruck der unbewußten Traurigkeit bemerkt zu haben, als er ihn gelegentlich der Erstaufführung der »Eroika« besuchte, jene Melancholie als Genieerbe, die kein Stift, kein Pinsel auszudrücken vermochte. Aber noch ein anderes war, das keine Kunst überliefern konnte: das unsagbar schöne Lächeln, das die lauterste und liebreichste Herzensgüte offenbarte, die geniale Kindlichkeit des Gemüts, und einen wahren Sonnenstrahl über die wild heroische, tragische Landschaft des Gesichtes warf; jenes himmlische Lächeln, das diesem Gesichte, nach dem Zeugnis der Zeitgenossen, eine geradezu wehmütige Schönheit geben konnte.

Diesem äußeren Porträt entspricht das innere Bild, das der genannte Salzburger Dichter und Professor der Chirurgie in seiner »Reise zum Kongreß« von Beethoven entwirft, und das um so interessanter ist, als Weißenbach mit dem forschenden Auge des Wissenschaftlers und des Psychologen das Wesen des Meisters geschaut und tiefer in die Seelennatur des Begnadeten geblickt hat als andere. In gewissem Sinne war er selbst Leidensgefährte, denn auch Weißenbach war halb taub. Es soll zum Erbarmen gewesen sein, die beiden im »Römischen Kaiser«, wo sie in einem ebenerdigen Gastzimmer beisammensaßen, zu sehen, wie sie aufeinander einschrien.

Weißenbach fand als Phrenologe, daß das musikalische Genie an Beethovens Kopf mit Händen zu greifen sei. Die Provinzen des Geistes glaubte er ganz deutlich auf dem Schädelbogen eingezeichnet zu sehen. Er sah die Rüstigkeit und Derbheit des Körpers und zugleich die hohe Reizbarkeit des Nervensystems. Er beobachtete, wie in diesem Organismus die Saiten der Harmonie so leicht abspringen und verstimmbar waren. Er hörte aus dem Munde des Leidvollen, wie unübertrefflich zart- und feinhörig er trotz des Gehörverfalls war, daß er jetzt noch allen Übellaut schmerzlich empfinde. Er sah, wie der Mangel des äußeren Gehörsinns den Meister immer mehr isolierte, ihn auf sich zurückwies und jene tiefen Verstimmungen erzeugte, in denen der Hilflose es nicht hindern konnte, »den ewig heiteren Genius der Kunst von den hypochondrischen Hunden anbellen zu lassen«. Diese klinische Betrachtung vollendet sich alsbald zu einem eindringlichen Charakter- und Seelenbild, das den Meister im Spiegel eines dichterischen Freundesgemüts und Menschenkenners zeigt und also lautet:

»Sein Charakter entspricht ganz der Herrlichkeit seines Talents. Nie ist mir in meinem Leben ein kindlicheres Gemüt in Gesellschaft von so kräftigem und trotzigem Gemüt begegnet. Inniglich hängt er an allem Guten und Schönen durch einen angeborenen Trieb, der weit alle Bildung überspringt. In dieser Hinsicht haben mich oft Äußerungen dieses Gemüts wahrhaft entzückt. Entheiligung dessen, was er liebt und ehrt, durch Gesinnung, Wort und Werk kann es zu Zorn, Wehe und auch Tränen bringen. Darum ist es mit der gemeinen Welt auf ewig zerfallen. Für das moralische Recht ist es so heiß erglüht, daß es sich dem nicht freundlich mehr zuzuwenden vermag, an dem es eine böse Befleckung erschauen hat müssen. Nichts in der Welt, keine irdische Hoheit, nicht Reichtum, Rang und Stand bestechen es; ich könnte hier von Beispielen reden, deren Zeuge ich gewesen bin. Diese hohe Reizbarkeit des Gemüts und der mächtige Trieb des Kunstgenius in ihm machen sein Glück und Unglück aus. Ich brauche wohl nicht zu bemerken, daß das Geld keinen andern Wert für ihn hat als den der Notwendigkeit. Nie weiß er, wieviel er bedarf und wieviel er hingibt. Er könnte reich sein oder reich werden, umgäb ihn nur ein Aug oder ein Herz dazu, das liebend auf ihn sähe und redlich mit ihm teilte. So sehr ihn also sein Humor vor der Welt warnt und davon wegtreibt, so gibt ihm doch in vielen Fällen die Unschuld des Gemüts bösen Streichen preis. Er hat mit seinem Lose durch bittere Erfahrungen hindurch müssen; aber so sehr ist seine Natur abgewendet von allem Getriebe der Welt, unerfahren darin und aller Sorge ledig, daß er in alle Tücke wie ein Kind arglos und unbefangen hineinlächelt.

Dieses Gemüt hat jedoch nicht weniger Tiefe als Kindlichkeit. Seine Ansichten von dem Wesen, den Formen, den Gesetzen der Musik, ihren Beziehungen zu der Dichtkunst, zum Herzen, u. s. w., haben nicht weniger das Gepräge der Originalität als sein Tonsatz. Sie sind bei ihm im wahrsten Sinne eingeborene Ideen, nicht einstudierte Aphorismen. Ich weiß, daß Goethe, dessen persönliche Bekanntschaft er in Karlsbad (Teplitz) machte, ihn auch von dieser Seite schätzen gelernt hat.

In Hinsicht auf die Sünde der Lust ist er unbefleckt, daß er wohl Bürgers Lied von der Manneskraft allen Männern der Haupt- und Residenzstadt zurufen kann. Seine sogenannte Weltsitte hat man als roh ausgeschrien, wahrscheinlich darum, weil er seinen Genius nicht beim Tanzmeister geholt und ihn nicht den Großen in die Vorzimmer schickt, weil – er sein will, wie er ist ... Übrigens wird es wohl auf die Nachwelt kommen, daß diesen Meister die Zeit erkannt und die Besten geehrt haben.«

*

Nicht nur still ist es um den Meister 1815 geworden, auch einsam. Der Freundeskreis ist zersplittert; nachdem die adeligen Kunstfreunde sich zurückgezogen haben, teils gestorben und teils verarmt sind; das Schuppanzigh-Quartett hat sich nach dem Unglück Rasumoffskys aufgelöst, der Geiger beschließt nach Rußland zu gehen; Hummel will Wien verlassen und bewirbt sich um eine Kapellmeisterstelle in Weimar; die Gräfin Erdödy ist nach Jedlersee übersiedelt, jenseits der Donau am Rande des Marchfeld, wo man einen herrlichen Blick über den Strom und auf das Kahlengebirge hat; der Verkehr mit ihr wird hauptsächlich schriftlich unterhalten; sie ist ihm nach vorübergehender Entfremdung treu geblieben. Ein schönes Dokument dieser erneuerten Freundschaft ist der Briefwechsel, der mit ihrem Schreiben im Februar 1815 beginnt, darauf er am 29. Februar folgendermaßen antwortet:

»Ich habe, meine werte Gräfin, Ihr Schreiben mit vielem Vergnügen gelesen, ebenso wie die Erneuerung Ihrer Freundschaft für mich. Es war lange mein Wunsch, Sie einmal wiederzusehen und ebenso Ihre lieben Kinder, denn obschon ich vieles erlitten, habe ich doch nicht die früheren Gefühle für Kindheit, für schöne Natur und Freundschaft verloren. – Das Trio und alles, was sonst nicht heraus ist, steht Ihnen von Herzen, liebe Gräfin, zu Diensten – sobald es geschrieben, sollen Sie's erhalten. Nicht ohne Mitgefühl und Teilnehmung habe ich mich öfters erkundigt nach Ihren Gesundheitsumständen. Nun werde ich mich aber einmal persönlich bei Ihnen einstellen und mich freuen, an allem, was Sie betrifft, teilnehmen zu können. – Mein Bruder hat Ihnen geschrieben. Sie müssen schon Nachsicht mit ihm haben, er ist wirklich ein unglücklicher, leidender Mensch. – Die Hoffnung des kommenden Frühlings wird, wie ich wünsche, auch auf ihre Gesundheit den besten Einfluß haben und Sie vielleicht in die beste Wirklichkeit versetzen. – Leben Sie recht wohl, liebe, werte Gräfin! Ich empfehle mich Ihren lieben Kindern, die ich im Geist umarme. – Ich hoffe Sie bald zu sehen. – Ihr wahrer Freund Ludwig van Beethoven.«

In einem zweiten Brief kündigt er seinen baldigen Besuch an:

»Meine liebe, werte Gräfin! Sie beschenken mich schon wieder, und das ist nicht recht. Sie benehmen mir dadurch alles kleine Verdienst, was ich um Sie haben würde. Ob ich morgen zu Ihnen kommen kann, ist ungewiß, so sehr auch meine Wünsche dafür, aber in einigen Tagen gewiß, sollte es auch nur nachmittags sein. Meine Lage ist dermalen sehr verwickelt, mündlich mehr darüber; grüßen Sie und drücken Sie alle Ihre mir lieben Kinder an Ihr Herz. Dem Magister (Magister Brauchler, Hauslehrer der Erdödyschen Kinder) eine sanfte Ohrfeige, dem Oberamtmann (Oberamtmann Sperl) ein feierliches Nicken, dem Violoncello ist aufzutragen, sich aufs linke Donauufer zu begeben und solange zu spielen, bis alles vom rechten Donauufer herübergezogen wird; auf diese Weise würde Ihre Bevölkerung bald zunehmen. Ich setze übrigens getrost den Weg wie vorhin über die Donau, mit Mut gewinnt man allenthalben, wenn er gerecht ist. Ich küsse Ihnen vielmehr die Hände, erinnern Sie sich Ihres Freundes Beethoven.

Schicken Sie also keinen Wagen, lieber wagen! als einen Wagen! – Die versprochenen Musikalien folgen aus der Stadt.«

In das nun sehr zurückgezogene Leben des Meisters fallen einige Lichtstrahlen. Nicht nur, daß der Vergleich mit den Erben Kinskys und mit Lobkowitz zustande gekommen ist, auch der Wiener Magistrat will den Genius ehren und verleiht ihm taxfrei das Bürgerrecht; ansonsten ist die Zeit recht unergiebig, und das Schaffen stockt; außer einigen Liedern und Sonaten ist nichts Bedeutendes entstanden; nur der Liederkreis »An die ferne Geliebte« hebt sich hervor als eine späte verklärte Erinnerung an vergangene Glückshoffnung, die mit diesem Gesang verabschiedet wird.

Im Sommer 1815 schweift er in der Landschaft von Baden umher, dann im Umkreis von Döbling bei Wien, wo er wieder auf den früheren Spuren seiner Muse am Heiligenstädter Bach geht. Die hohen Waldbäume sind seine Freunde, von denen er in bitteren Stunden sagt, daß sie ihm lieber sind als die Menschen; dort ist er selig, fast glücklich, der Wald spricht zu ihm, ohne daß er an seine Taubheit gemahnt ist; in der freien Natur wird er religiös gestimmt und fühlt Gottes Nähe, wie immer in der Einsamkeit.

Seine Freundin, die Gräfin Erdödy, begibt sich auf eine Reise nach Padua, um ihre Gesundheit wiederzuerlangen, und dann auf einen Besuch nach Ungarn auf ihre Güter. Am 19. »Weinmonat« 1815 schreibt ihr Beethoven einen Trostbrief, der gleichsam einen Reisesegen enthält:

»Meine liebe, verehrte Gräfin! Wie ich sehe, dürfte meine Unruhe für Sie in Ansehung Ihrer Reise in Ihren teilweisen Leiden auf Ihrem Reisewege stattfinden, allein – der Zweck scheint wirklich von Ihnen erreicht zu werden, und so tröste ich mich, und zugleich spreche ich Ihnen nun selbst Trost zu. Wir Endliche mit dem unendlichen Geist sind nur zu Leiden und Freuden geboren, und beinahe könnte man sagen, die Ausgezeichnetsten erhalten durch Leiden Freude. – Ich hoffe nun bald wieder Nachricht von Ihnen zu empfangen. Viel Tröstliches müssen Ihnen wohl Ihre Kinder sein, deren aufrichtige Liebe und das Streben nach allem Guten Ihrer lieben Mutter schon eine große Belohnung für Ihre Leiden sein können. – Dann kommt der ehrenwerte Magister, Ihr treuester Schildknapp – nun vieles andere Lumpenvolk, worunter der Zunftmeister Großvioloncello, die nüchterne Gerechtigkeit im Oberamt, wahrlich ein Gefolge, wonach sich mancher König sehnen würde. – Von mir ist nichts – d. h. von Nichts nichts! – Gott gebe Ihnen weitere Kraft, zu Ihrem Isistempel zu gelangen, wo das geläuterte Feuer alle Ihre Übel verschlingen möge und Sie wie ein neuer Phönix erwachen mögen.«

Gerade seine Briefe an die Erdödy sind erhebende und vorbildliche Zeugnisse für die Zartheit seines Gemüts und für seine edlen Empfindungen der Freundschaft. Sie gehören zu dem inneren Porträt des Meisters.

Weniger erfreulich ist sein Verhältnis zu dem äußeren Leben der Zeit und seine Seelenstimmung, in der er sich befindet. Eine allgemeine Unzufriedenheit war der Zustand nach dem Kongreß. Die großen Hoffnungen, die an die beginnende Friedenszeit geknüpft waren, hatten sich nicht erfüllt; und die ersehnte neue Freiheit nach dem Druck des Kriegselends und der Napoleonherrschaft hatte ein wesentlich anderes Gesicht, als die Patrioten sich ausgemalt hatten. Aus dem Festjubel des Kongresses war nichts zurückgeblieben als eine große Teuerung, verbunden mit Geldentwertung infolge des Krachs; Mangel und Einschränkung aller Art war wie immer das Los der Nachkriegsjahre; die Enttäuschung war allgemein, und Katzenjammer war die eigentliche Stimmung nach dem Fest, auch politisch.

Für diese Unzufriedenheit als Zeitkrankheit war der Meister in seiner Hypochondrie besonders disponiert. Unbekümmert goß er die Schale seines Unmuts über Personen und Zeitumstände aus und schimpfte in allen Tonarten: »Es geht hier lumpig und schmutzig. Es kann nicht ärger sein. Von oben bis unten ist alles Lump. Niemandem kann man trauen. Was man nicht schwarz auf weiß hat, das tut und hält kein Mensch. Sie wollen, man soll arbeiten, und bezahlen wie die Lumpe, und nicht einmal das Verabredete.« Das ist eine Anspielung auf den geringen Wert des Papiergelds. So spricht er sich dem Oberwundarzt von Salzburg, Doktor Karl von Bursy, einem Freunde Weißenbachs, gegenüber aus, der ihn in Wien besucht, und dem er freimütig, wie allen Fremden, seine Privatverhältnisse, Lasten und Beschwerden erzählt, was für den Arzt wieder ein diagnostisches Zeichen der Hypochondrie ist. Nur in einem Punkte schien der Meister mit Wien zufrieden, indem er meinte, daß der Rang hier nichts gelte. »Ich habe selbst«, so rühmte er, »in Prozessen mit Fürsten und Grafen erfahren, daß Rang und Stand vor Gericht nichts gilt; denn ich habe meine gerechte Sache, auf der ich bestanden, gegen mächtige Herren durchgeführt und gewonnen.«

Im November 1815 ist ihm großes Leid widerfahren; sein Bruder Karl ist an Lungenschwindsucht gestorben. Das ist ihm sehr nahegegangen. Bei allen Streitigkeiten hat er den Bruder Karl doch geliebt, und dieser war ihm auch auf seine Weise anhänglich gewesen. Am Sterbebette hatte ihn der Bruder gebeten, dem neunjährigen Sohn Karl »wie ein Vater mit Rat und Tat in allen vorkommenden Fällen an die Hand zu gehen«. Mit Handschlag verpflichtet sich Ludwig, die Vormundschaft über den Neffen anzunehmen, die ihm hierauf testamentarisch übertragen wird, zugleich mit der einschränkenden Erklärung des Bruders, es sei gegen seinen Willen, »daß mein Sohn Karl von seiner Mutter entfernt werde«. Bruder Ludwig und die Witwe Johanna sollten gemeinsam die Vormundschaft führen und sich in die Aufgabe teilen. Die Vaterschaft, die er nun übernommen, ist dem Meister ein heiliges Vermächtnis. Seine Familiengefühle, sein väterlicher Sinn erwachen mit elementarer Kraft und drängen alle anderen Sorgen in den Hintergrund. Er ahnt nicht, daß er mit diesem Handschlag das Verhängnis seines weiteren Lebens besiegelt hat.

Die Sorge um das Schicksal des Neffen ist von nun an der Zentralgedanke, um den sich alles andere dreht. Wogegen er sich aber auflehnt, das ist die Mitvormundschaft der Mutter. Bruder Karl ist am 15. November im Alter von 38 Jahren gestorben, und kaum daß er die Augen geschlossen hat, beginnt auch schon der Kampf. Gegen den letzten Willen des Verblichenen ist der Meister entschlossen, den neunjährigen Karl von seiner Mutter zu trennen. Das ist zunächst nicht schwer. Er tut es in der Überzeugung, daß die Mutter eine unmoralische Person sei und keinen günstigen Einfluß auf die Entwicklung des Kindes nehme; es gelingt ihm, in diesem Sinne einen Gerichtsbeschluß herbeizuführen, der die Trennung des Kindes von der Mutter anordnet. Der Knabe wird von seinem Oheim und Vormund, der nun allein die Vaterstelle an ihm vertritt, in das Erziehungsinstitut des Cajetan Giannatasio del Rio gebracht, in dessen Hause Beethoven verkehrt. Die Mutter wehrt sich wie eine Löwin und strengt gegen diese Verfügung einen Prozeß an, der auf Jahre hinaus das Dasein des Meisters vergiftet.

»Ich bin Vater geworden ...«

Ein neuer Daseinszweck ist für ihn gefunden, dem er nicht nur persönliche Opfer bringt, sondern für den er auch einen Teil seiner künstlerischen Aufgaben preisgibt. Er wollte die Seele des Knaben für sich allein haben und einen echten Sohn erziehen, einen Gefährten seiner Einsamkeit. In seiner blinden Zärtlichkeit überschätzt er die Gaben und seelischen Fähigkeiten des Jungen, der an sich gutartig war, aber in der zankerfüllten Häuslichkeit des Vaterhauses nicht viel Gutes entwickeln konnte. Eine gewisse Schwachheit des Charakters und ein Hang zum Leichtsinn scheint in der Tat ein Erbe von der Mutter zu sein. Dieser Anlage glaubt der Meister zuvorkommen zu können, indem er entscheidet: »Der Knabe muß Künstler werden oder Gelehrter, um ein höheres Leben zu leben und nicht ganz im Gemeinen zu versinken. Nur der Künstler oder der freie Gelehrte tragen ihr Glück im Innern.«

Aber es gedieh nicht nach Wunsch. Der Kampf des zärtlichen und zugleich gewalttätigen Onkels mit der Mutter war auch nicht vom besten Einfluß auf die seelische Entwicklung des Knaben. Der Meister übersah die natürlichen Gefühle, die Mutter und Kind verbinden, er übersah auch, daß er selbst durch sein Wesen und durch die Unregelmäßigkeit seiner häuslichen Lebensführung kein geeigneter Erzieher eines minderjährigen Kindes war. Der Streit mit der Mutter, dessen Spielball der Junge war, die wüsten Szenen mit den Haushälterinnen, die aufbrausende Art des Onkels, der bald übertrieben zärtlich und nachsichtig, bald ebenso übertrieben streng war und sich in allem die Zügel schießen ließ, die ungeordnete Junggesellenwirtschaft, das alles wirkte schlecht auf die Psyche eines Kindes; Karl hörte und sah Dinge, die ihm in diesem Alter besser verschlossen geblieben wären.

Der Meister war nun sozusagen Vater und hatte »Familie«. Aber er hatte nur die Sorgen und Lasten, nicht die Freuden und das Glück des Familienlebens. Er hatte nicht Gattin, sondern nur Kind, und die Mutter des »Sohnes« war seine Feindin. Die heiligsten Empfindungen, die ihn beseelten, trieben ihn zu Härte und Rücksichtslosigkeit gegen diese Frau und unbeabsichtigterweise auch gegen Karl. Die schweren seelischen Erregungen, die Prozesse, Intrigen zehrten an den Kräften des Meisters. Viele künstlerische Pläne sind dadurch verzögert und schließlich zunichte geworden. Es war eine ungeheure Kraftverschwendung, die auch den Grund zu seinem allzu frühen Ende legte. Und als alle Widerstände beseitigt waren und Karl herangewachsen war, hatte es sich gezeigt, daß er all der Leiden und Opfer nicht wert gewesen. Es ist nur ein tröstlicher Nachklang, daß Karl in seinen späteren Jahren schließlich doch ein ordentlicher Mensch in dem bürgerlichen Beruf eines Kaufmanns geworden ist.

Einen Dornenpfad hatte der Meister beschritten; ein unsichtbarer Weiser stand davor: Weg in die Einsamkeit. Mit großer Hoffnung und Liebe hatte der Leidensgesegnete diesen Pfad eingeschlagen; in Stunden des Verzagens spricht er sich Mut und Trost zu und findet Worte des innigsten Gebets, die er in seinem Tagebuch 1816 niederschreibt:

»Etwas muß geschehen – entweder eine Reise und zu dieser die nötigen Werke schreiben, oder eine Oper – solltest du den künftigen Sommer noch hier bleiben, so wäre die Oper vorzuziehen, im Falle nur leidlicher Bedingnisse – ist der Sommeraufenthalt hier, so muß jetzt schon beschlossen werden, wie wo? – Gott helfe, du siehst mich von der ganzen Menschheit verlassen, denn Unrechtes will ich nicht begehen, erhöre mein Flehen doch für die Zukunft nur, mit meinem Karl zusammen zu sein, da nirgends sich jetzt eine Möglichkeit dazu zeigt – o hartes Geschick, o grausames Verhängnis, nein, nein, mein unglücklicher Zustand endet nie.

Dich zu retten, ist kein anderes Mittel als von hier, nur dadurch kannst du wieder so zu den Höhen deiner Kunst entschweben, wo du hier in Gemeinheit versinkst, nur eine Symphonie – und dann fort, fort fort – derweil die Gehalte aufgenommen, welches selbst auf Jahre geschehen kann, über den Sommer arbeiten zum Reisen, dadurch nur kannst du das große Werk für deinen Neffen vollführen, später Italien, Sizilien durchwandern mit einigen Künstlern – mache Pläne und sei getrost für L – –«

*

Der Neffe Karl war im Institut glücklich untergebracht, aber hinter dem Rücken des Vormundes erschien immer wieder die Mutter in der Schule, um den Knaben unter allerlei Vorwänden wegzulocken. Dagegen richtet sich das strikte Verbot Beethovens an den Institutsleiter del Rio:

»Dieses, mein werter Freund, ist der Inhalt der vorgestrigen Unterredung mit Herrn V. Schmerling: Karl darf ohne Erlaubnis seines Vormundes unter keinerlei Vorwand aus dem Institut abgeholt werden, die Mutter kann ihn daselbst niemals besuchen. Hat sie Neigung ihn zu sehen, so muß sie sich an den Vormund wenden, der die Veranstaltung dazu treffen wird.

Diese Nacht ist diese Königin der Nacht bis drei Uhr auf dem Künstlerball gewesen, nicht allein mit ihrer Verstandesblöße, sondern auch mit ihrer körperlichen – – – – – – – – – – – o schrecklich! und unter diesen Händen sollen wir unsern kostbaren Schatz nur einen Augenblick vertrauen? Nein, gewiß nicht! Ich umarme Sie von Herzen als meinen Freund und zugleich mit als Karls Vater.«

In derselben Stimmung schreibt er über diese Ereignisse am 28. Februar 1816 an Ferdinand Ries, seinen ehemaligen Schüler, der nach Bonn heimgekehrt ist:

»... Ich war mehrere Zeit hindurch nicht wohl; der Tod meines Bruders wirkte auf mein Gemüt und auf meine Werke.

Salomons Tod (Violinvirtuose in Bonn) schmerzt mich sehr, da er ein edler Mensch war, dessen ich mich von meiner Kindheit erinnere. Sie sind Testamentsexekutor geworden und ich zugleich Zeit Vormund des Kindes meines armen verstorbenen Bruders. Schwerlich werden Sie so viel Verdruß als ich bei diesem Tode gehabt haben, doch habe ich den süßen Trost, ein armes unschuldiges Kind aus den Händen einer unwürdigen Mutter gerettet zu haben.«

Auch der Gräfin Erdödy teilt er seine neuen Lebensumstände mit in dem Brief vom 13. Mai 1816, der so recht die Sorgen und den Kummer beleuchtet, die ihn nun heimgesucht haben.

»Meine werte, liebe Freundin! Sie dürfen vielleicht und mit Recht glauben, daß Ihr Andenken völlig in mir erloschen sei, indessen ist nur der Schein; meines Bruders Tod verursachte mir großen Schmerz, alsdann aber große Anstrengungen, um meinen mir lieben Neffen vor seiner verdorbenen Mutter zu retten. Dieses gelang, allein bis hierher konnte ich noch nichts besseres tun, als ihn in ein Institut zu geben, also entfernt von mir. Und was ist ein Institut gegen die unmittelbare Teilnahme, Sorge eines Vaters für sein Kind! Denn so betrachte ich mich nun, und sinne hin und her, wie ich dieses mir teure Kleinod näher haben kann, um geschwinder und vorteilhafter auf ihn wirken zu können. – Allein wie schwer ist das für mich! – Nun ist meine Gesundheit auch seit sechs Wochen auf schwankenden Füßen, so daß ich öfter an meinen Tod, jedoch nicht mit Furcht denke, nur meinem armen Karl sterbe ich zu früh. Wie ich aus Ihren letzten Zeilen an mich sehe, leiden Sie wohl auch sehr, meine liebe Freundin. Es ist nicht anders mit den Menschen: auch hier soll sich seine Kraft bewähren, d. h. auszuhalten, ohne zu wissen und seine Nichtigkeit zu fühlen und wieder seine Vollkommenheit zu erreichen, deren uns der Höchste dadurch würdigen will.«

Kurz nachdem dieser Brief geschrieben ist, begegnet der Cellist Joseph Linke unserem Meister und erzählt ihm von einem schweren Schicksalsschlag, der die Gräfin getroffen hat. Ihr Söhnchen Fritz ist ganz plötzlich und unerwartet aus dem Leben geschieden; im Zimmer der Schwester ist er tot hingesunken. Beethoven, von der Nachricht schwer betroffen, schließt seinem Brief sogleich folgende Zeilen vom 15. Mai bei:

»Verehrte, liebe Freundin! Dieser Brief ist schon geschrieben, und heute begegne ich Linke und höre Ihr beweinungswürdiges Schicksal, den plötzlichen Verlust Ihres lieben Sohnes. – Wo wäre hier Trost zu geben! Nichts schmerzt mehr, als das schnelle, unvorhergesehene Hinscheiden derjenigen, die uns nahe sind; so kann ich ebenfalls meines armen Bruders Tod nicht vergessen. Nichts als – daß man denken kann, daß die geschwind Hingeschiedenen weniger leiden. – Ich nehme aber den innigsten Anteil an Ihrem unersetzlichen Verlust. – Mit eine Ursache meines langen Stillschweigens war noch obendrein die Sorge für meinen Karl, den ich oft in meinem Sinn gedacht an ihren lieben Sohn anzuschließen. – Wehmut ergreift mich um Ihretwillen und auch um meinetwillen, da ich Ihren Sohn geliebt. – Der Himmel wacht über Sie und wird Ihre schon ohnedem großen Leiden nicht noch vermehren wollen, wenn Sie auch in Ihren Gesundheitsumständen noch mehr wanken sollten. Denken Sie, Ihr Sohn hätte in die Schlacht gemußt und hätte dort wie Millionen seinen Tod gefunden. Dann sind Sie noch Mutter zweier lieben, hoffnungsvollen Kinder. – Ich hoffe bald Nachrichten von Ihnen, weine hier mit Ihnen. Geben Sie übrigens allem Geschwätz, warum ich nicht sollte an Sie geschrieben haben, kein Gehör, auch Linke nicht, der Ihnen zwar zugetan ist, aber sehr gern schwätzt – und ich glaube, daß es zwischen Ihnen, meine liebe Gräfin, und mir keiner Zwischenträger bedarf. In Eil' mit Achtung Ihr Freund Beethoven.«

Aus allen Lebensäußerungen geht hervor, daß die Sorge um Karl all sein Denken ausfüllt. Wie sehr er den Alltagsbeschwerden, die ihn mit Zentnerlasten bedrücken, entfliehen und sich wieder frei in die reinen Sphären seiner Kunst aufschwingen möchte, läßt das erwähnte Tagebuchblatt aus dem Jahre 1816 erkennen, das zugleich ein Spiegelbild seiner qualvoll zerrissenen Seelenverfassung ist. Wie in allen trüben und schweren Zeiten, ist es die Hoffnung, die ihn aufrecht erhält, und die ihm Wanderstab ist. Nicht zufällig, sondern als Ausdruck seiner tiefsten Sehnsucht schreibt er am 29. Juli 1816 dem Dr. Karl von Bursy die Worte aus der großen Leonoren-Arie ins Stammbuch, die Bekenntnis und Leitspruch des Meisters sind:

»Komm, Hoffnung, laß den letzten Stern des Müden nicht erbleichen,
O komm, erhell sein Ziel, sei's noch so fern!«


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