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Beziehungen zu Goethe

Es ist von großem Reiz, den Fäden nachzugehen, die zu einer Annäherung und schließlichen Begegnung der beiden genialen Männer führen, und das Verhältnis zwischen ihnen zu untersuchen, die bei aller Verschiedenheit doch gewisse ähnliche Züge tragen, der Dichterfürst und der Fürst der Töne, beide als die Großen ihres Reiches, ja vor der Mitwelt die Größten; beide Genien, die ihre Zeit hoch überragen; beide darum innerlich einsam; beide im Zenit ihres Ruhms. Begreiflich daher die Anziehung und der Wunsch einer näheren Berührung oder Begegnung, besonders von seiten Beethovens, ebenso begreiflich, infolge der sonstigen äußeren und inneren Verschiedenheit, die ebenso stark ins Auge fällt und die Annäherung zu einem Ereignis stempelt, die Stärke der Abstoßung, die dem Grad der Anziehung entspricht, wie bei zwei Kometenbahnen, die sich zwar begegnen und kreuzen, aber nicht zusammenlaufen, sondern stolz weiterziehn ihren verschiedenartigen persönlichen Schicksalsgang. Es wurde schon angedeutet, daß der Tondichter als erster Goethes Lyrik für die Musik entdeckte und ein kongeniales Element darin erkannte. Seine Verehrung für Goethe war grenzenlos, besonders vor der persönlichen Bekanntschaft, und dem entsprach sein Wunsch nach einer Begegnung; auch nachher blieb sein Interesse für die Dichtung wach; er schrieb im Auftrage Breitkopf & Härtels die »Egmont-Ouverture« und beschäftigte sich später auch mit dem Gedanken einer Musik zu Faust, allerdings in einer Zeit, wo er sich zu dieser Aufgabe nicht mehr so recht aufgelegt fühlte. Weniger stark war das Interesse Goethes an ihm, sowohl menschlich als künstlerisch, dessen Geniegröße er zwar erkannte, dem er aber ebenso wie seiner Musik innerlich fremd blieb. Nichtsdestoweniger war er auf den großen Meister aufmerksam geworden und neugierig gemacht durch seine Freundin Bettina, die auch das Verdienst hat, die näheren Beziehungen zwischen den beiden Genien geknüpft und ihre Begegnung herbeigeführt zu haben.

Die berühmte Sibylle der Romantik, Bettina (Elisabeth) Brentano, war 1810 nach Wien gekommen, um ihren hier verheirateten Bruder Franz und dessen Frau Antonie zu besuchen. Der Vater Antoniens, der Staatsrat und Sammler Edler von Birkenstock, war gestorben; in seinem schönen Hause nächst Schönbrunn verbringen Tochter und Schwiegersohn der Erbschaftsangelegenheit wegen mehrere Monate; hier ist es, wo auch die phantastische Bettina zu Besuch weilt; im Hause des alten Birkenstocks war übrigens Beethoven längst kein Unbekannter mehr.

Eines Tages hörte Bettina den Vortrag einer Beethovenschen Symphonie und ist davon so bewegt, daß sie alles aufbietet, den Genius kennenzulernen, von dem sie weiß, daß er sich persönlichen Annäherungen in der Regel sehr ablehnend verhält und für Fernstehende nicht ohne weiteres zugänglich ist. Gerade das steigert ihr Interesse; sie hat bereits allerhand Anekdoten über den Künstler gehört und ist um so erpichter darauf, eine interessante Bekanntschaft zu machen. Der Meister hat in den letzten Jahren wiederholt sein Quartier gewechselt; er war eben wieder in das Pasqualatische Haus gezogen, wo ihn die phantastische Bettina eines Tages unangemeldet aufsucht. Sie berichtet darüber zunächst in einem Brief an den bayrischen Appellrat Dr. A. B., und wenn auch ihre Schilderungen allzu persönlich gefärbt und sensationell aufgeputzt erscheinen, so sind sie dennoch gerade wegen der großen Begeisterung für den Künstler interessante Dokumente der Zeit, die als Wahrheit und Dichtung verstanden werden sollen. In ihnen erscheint Beethoven bereits als legendenhafte Erscheinung; jedenfalls war Bettina die erste Begründerin der Beethoven-Legende. In dem erwähnten Brief erzählt sie die Art, in der sie die Bekanntschaft Beethovens anknüpfte, und wenn auch vieles, was darin gesagt ist, nur Literatur ist und auf Rechnung ihrer allzu regen Phantasie gesetzt werden muß, so ergibt sich doch im ganzen ein lebhaft anschauliches Bild, das bis zu einem gewissen Grade Streiflichter auf den wirklichen Zustand wirft.

»Beethoven habe ich erst in den letzten Tagen meines dortigen Aufenthalts kennengelernt; beinahe hätte ich ihn gar nicht gesehen, denn niemand wollte mich zu ihm bringen, selbst die sich seine besten Freunde nannten, nicht, und zwar aus Furcht vor seiner Melancholie, die ihn so befängt, daß er sich um nichts interessiert und den Fremden eher Grobheiten als Höflichkeiten erzeigt. Eine Phantasie von ihm, die ich ganz trefflich vortragen hörte, bewegte mir das Herz, und hatte ich von demselben Augenblicke eine Sehnsucht nach ihm, daß ich alles aufbot. Kein Mensch wußte, wo er wohnte, er hält sich oft ganz versteckt. – Seine Wohnung ist ganz merkwürdig, im ersten Zimmer zwei bis drei Flügel, alle ohne Beine auf der Erde liegend, Koffer, worin seine Sachen, ein Stuhl mit drei Beinen, im zweiten Zimmer sein Bett, welches winters wie sommers aus einem Strohsacke und dünner Decke besteht, ein Waschbecken auf einem Tannentisch, die Nachtkleider liegen auf dem Boden; hier warteten wir eine gute halbe Stunde, denn er rasierte sich gerade. Endlich kam er. Seine Person ist klein (so groß sein Herz und Geist ist), braun, voll Blatternarben, was man nennt: garstig, hat aber eine himmlische Stirn, die von der Harmonie so edel gewölbt ist, daß man sie wie ein herrliches Kunstwerk anstaunen möchte, schwarze Haare, sehr lang, die er zurückschlägt, scheint kaum dreißig Jahre alt, er weiß seine Jahre selbst nicht, glaubt aber doch fünfunddreißig.

Ich hatte nun viel gehört, wie behutsam man mit ihm sein müsse, um ihn nicht scheel zu machen; ich hatte aber sein edles Wesen auf eine ganz andere Art berechnet und nicht geirrt. In einer Viertelstunde war er mir so gut geworden, daß er nicht von mir lassen konnte, sondern immer neben mir herging, auch mit uns nach Hause ging und zur größten Verwunderung seiner Bekannten den ganzen Tag blieb. Dieser Mensch hat einen sogenannten Stolz, daß er weder dem Kaiser noch den Herzögen, die ihm eine Pension umsonst geben, zu Gefallen spielt, und in ganz Wien ist es das Seltenste ihn zu hören. Auf meine Bitte, daß er spielen möchte, antwortete er: ›Nun, warum soll ich denn spielen?‹

›Weil ich mein Leben gern mit dem Herrlichsten erfüllen will, und weil Ihr Spiel eine Epoche für dieses Leben sein wird‹, sagte ich.

Er versicherte mir, daß er dieses Lob zu verdienen suchen wollte, setzte sich neben das Klavier auf die Ecke eines Stuhls und spielte leise mit einer Hand, als wollte er suchen, den Widerwillen zu überwinden, sich hören zu lassen. Plötzlich hatte er alle Umgebung vergessen, und seine Seele war ausgedehnt in einem Weltenmeere von Harmonien. Ich habe diesen Mann unendlich liebgewonnen. In allem, was seine Kunst anbelangt, ist er so herrschend und wahrhaft, daß kein Künstler sich ihm zu nähern getraut, in seinem übrigen Leben aber so naiv, daß man aus ihm machen kann, was man will. Er ist durch seine Zerstreuungen darüber ordentlich zum Gespött geworden. Man benutzt dies auch so, daß er selten soviel Geld hat, um nur das Notdürftigste anzuschaffen. Freunde und Brüder zehren ihn auf, seine Kleider sind zerrissen, sein Ansehen ganz zerlumpt, und doch ist seine Erscheinung bedeutend und herrlich. Dazu kommt noch, daß er sehr sehr harthörig ist und beinahe gar nichts sieht. Wenn er aber gerade komponierte, so ist er ganz taub, und seine Augen sind verwirrt im Blicke auf das Äußere; das kommt daher, weil die ganze Harmonie sich in seinem Hirne fortbewegt und er nur auf diese seine Sinne richten kann. Das also, was ihn mit der Welt in Verbindung hält (das Gesicht und Gehör), ist ganz abgeschnitten, so daß er in der tiefsten Einsamkeit lebt. Wenn man zuweilen lange mit ihm spricht und auf eine Antwort wartet, so bricht er plötzlich in Töne aus, zieht sein Notenpapier hervor und schreibt. Er macht's nicht wie der Kapellmeister Winter, der hinschreibt, was ihm zuerst einfiel; er macht erst großen Plan und richtet seine Musik in eine gewisse Form, nach welcher er nachher arbeitet.

Er kam diese letzten Tage, die ich noch in Wien zubrachte, alle Abende zu mir, gab mir Lieder von Goethe, die er komponiert hatte, und bat mich, ihm wenigstens alle Monate einmal zu schreiben, weil er außer mir keinen Freund habe.«

Einen ähnlichen Brief schreibt Bettina an den Fürsten Pückler-Muskau und berichtet darin in derselben anekdotenhaften Weise über ihren Umgang mit Beethoven und über den Besuch des Meisters im Hause Birkenstock, wo er, von Bettina angeregt, nun wieder als Gast erscheint:

»Man war erstaunt, mich mit dem menschenscheuen Beethoven Hand in Hand eintreten zu sehen in eine Gesellschaft von mehr als vierzig Menschen, die bei Tische saßen; er nahm ohne Umstände Platz, sagte wenig, wohl weil er taub war; zweimal nahm er seine Schreibtafel aus der Tasche und schrieb ein paar Ziffern hinein. Nach Tisch stieg die ganze Gesellschaft auf den Turm des Hauses, um die Gegend zu übersehen; wie alle wieder hinab waren, und er und ich allein, da zog er die Tafel hervor, übersah sie, schrieb und strich aus, dann sagte er: ›Mein Lied ist fertig.‹ Er legte sich ins Fenster und sang es vollends hinaus in die Lüfte. Dann sagte er: ›Gelt, das schallt? Es gehört Ihnen, wenn's Ihnen gefällt, ich hab's für Sie gemacht, Sie haben mich dazu gereizt, ich las es in Ihrem Blick wie geschrieben.‹ Solange ich in Wien war, kam er alle Tage. Eine Dame aus der Gesellschaft, eine der ersten Klavierspielerinnen, trug eine Sonate von ihm vor. Nachdem er eine Weile zugehört hatte, sagte er: ›Das ist nichts!‹ Er setzte sich selbst ans Klavier und trug dieselbe Sonate vor, die übermenschlich zu nennen war. Er gab mir Aufträge an Goethe, wie er ihn allein über alles schätzte.«

Die von dem Meister ersehnte geistige Verbindung mit Goethe beginnt sie durch ihren Brief vom 28. Mai an den Dichter einzuleiten, indem sie von dem Meister in einem Ton der Begeisterung schreibt, der geradezu an dichterische Schwärmerei grenzt und die Wirklichkeit nicht wenig übertreibt: »Wie ich diesen sah, von dem ich Dir jetzt sprechen will, da vergaß ich der ganzen Welt, wenn mich Erinnerung ergreift – ja sie schwindet.« Und dann fährt sie fort:

»Seitdem kommt er alle Tage, oder ich gehe zu ihm. Darüber versäume ich Gesellschaften, Galerien, Theater und sogar den Stephansturm. Beethoven sagt: ›Ach, was wollen Sie da sehen! Ich werde Sie abholen, wir gehen gegen Abend durch die Allee von Schönbrunn.‹ Gestern ging ich mit ihm in einen herrlichen Garten, in voller Blüte, alle Treibhäuser offen, der Duft war betäubend; Beethoven blieb in der erdrückenden Sonnenhitze stehen und sagte: ›Goethes Gedichte behaupten nicht allein durch den Inhalt, auch durch den Rhythmus eine große Gewalt über mich, ich werde gestimmt und aufgeregt zum Komponieren durch diese Sprache, die wie durch Geister zu höherer Ordnung sich aufbaut und das Geheimnis der Harmonien schon in sich trägt. Da muß ich denn von dem Brennpunkt der Begeisterung die Melodie nach allen Seiten hin ausladen, ich verfolge sie, hole sie mit Leidenschaft wieder ein, ich sehe sie dahinfliegen, in der Masse verschiedener Aufregungen verschwinden, bald erfasse ich sie mit erneuter Leidenschaft, ich kann mich nicht von ihr trennen, ich muß mit raschem Entzücken in allen Modulationen sie vervielfältigen, und im letzten Augenblick, da triumphiere ich über den ersten musikalischen Gedanken, sehen Sie, das ist eine Symphonie; ja, Musik ist so recht die Vermittlung des geistigen Lebens zum sinnlichen. Ich möchte mit Goethe hierüber sprechen, ob der mich verstehen würde ... Sprechen Sie dem Goethe von mir, sagen Sie ihm, er soll meine Symphonien hören, da wird er mir recht geben, daß Musik der einzige unverkörperte Eingang in eine höhere Welt des Wissens ist, die wohl den Menschen umfaßt, daß er sie aber nicht zu umfassen vermag ...

Musik gibt dem Geist die Beziehung zur Harmonie. Ein Gedanke, abgesondert, hat doch das Gefühl der Gesamtheit der Verwandtschaft im Geist; so ist jeder Gedanke in der Musik in innigster, unteilbarster Verwandtschaft mit der Gesamtheit der Harmonie die Einheit.

Alles Elektrische regt den Geist zu musikalischer, fließender, ausströmender Erzeugung.

Ich bin elektrischer Natur – ich muß abbrechen mit einer unerweislichen Weisheit, sonst möchte ich die Probe versäumen, schreiben Sie an Goethe von mir, wenn Sie mich verstehen, aber verantworten kann ich nichts und will mich auch gern belehren lassen von ihm?‹

Ich versprach ihm, so gut ich's begreife, Dir alles zu schreiben. – Er führte mich zu einer großen Musikprobe mit vollem Orchester, da saß ich im weiten, unerhellten Raum in einer Loge ganz allein; einzelne Streiflichter stahlen sich durch Ritzen und Astlöcher, in denen ein Kranz bunter Lichtfunken hin und her tanzte, wie Himmelsstraßen mit seligen Geistern bevölkert.

Da sah ich denn diesen ungeheuren Geist sein Regiment führen. O Goethe! Kein Kaiser und kein König hat so das Bewußtsein seiner Macht, und daß alle Kraft von ihm ausgehe, wie dieser Beethoven, der eben noch im Garten nach einem Grund suchte, wo ihm denn alles herkomme; verstünde ich ihn so, wie ich ihn fühle, dann wüßt ich alles. Dort stand er so fest entschlossen, seine Bewegungen, sein Gesicht drückten die Vollendung seiner Schöpfung aus, er kam jedem Fehler, jedem Mißverstehen zuvor, kein Hauch war willkürlich, alles war durch die großartige Gegenwart seines Geistes in die besonnenste Tätigkeit versetzt.

Man möchte weissagen, daß ein solcher Geist in späterer Vollendung als Weltherrscher wieder auftreten werde.

Gestern abend schrieb ich noch alles auf, heute morgen las ich ihm's vor, er sagte: ›Hab' ich das gesagt? – Nun dann hab' ich einen Raptus gehabt; er las es noch einmal aufmerksam und strich das oben aus und schrieb zwischen die Zeilen, denn es ist ihm drum zu tun, daß Du ihn verstehst.

Erfreue mich nun mit einer baldigen Antwort, die dem Beethoven beweist, daß Du ihn würdigst. Es war ja immer unser Plan über Musik zu sprechen, ja ich wollte auch, aber durch Beethoven fühle ich nun erst, daß ich der Sache nicht gewachsen bin.«

Wenn auch dieses Interview nicht Beethovens tatsächliche Äußerungen wiedergibt und ihm erscheint, als ob er, wenn er das wirklich gesagt haben soll, »einen Raptus« gehabt habe, so ist der Brief doch geeignet, einen Einblick in das musikalische Denken des Meisters zu geben, und auch dadurch interessant, daß die Romantikerin den Versuch einer Philosophie oder Metaphysik der Musik an Hand Beethovens unternimmt, was wieder ganz und gar im Geist der Romantik als Weltanschauung liegt. Daß sie Beethovens Dirigentenkunst in einem anderen, idealeren Lichte gesehen hat als seine engeren Fachgenossen, ist bei ihrer rein verehrend eingestellten, unkritischen Betrachtungsweise sehr erklärlich und auch durchaus sympathisch.

Goethe antwortet der Briefschreiberin am 6. Juni 1810 in seiner gemessenen, geistig vornehmen Art, die zugleich viel Ehrendes für Beethoven zu sagen weiß:

»Dein Brief, herzlich geliebtes Kind, ist zur glücklichen Stunde an mich gelangt, Du hast Dich brav zusammengenommen, um mir eine große und schöne Natur in ihren Leistungen wie in ihrem Streben, in ihren Bedürfnissen wie in dem Überfluß ihrer Begabtheit darzustellen, es hat mir großes Vergnügen gemacht, dies Bild eines wahrhaft genialen Geistes in mich aufzunehmen; ohne ihn klassifizieren zu wollen, gehört doch ein psychologisches Rechenkunststück dazu, um das wahre Fazit der Übereinstimmung da herauszuziehen; indessen fühl ich keinen Widerspruch gegen das, was sich von Deiner raschen Explosion erfassen läßt; im Gegenteil möchte ich Dir für einen inneren Zusammenhang meiner Natur mit dem, was sich aus diesen mannigfaltigen Äußerungen erkennen läßt, einstweilen einstehen. Der gewöhnliche Menschenverstand würde vielleicht Widersprüche darin finden; was aber ein solcher vom Dämon Besessener ausspricht, davor muß ein Laie Ehrfurcht haben, und es muß gleichviel gelten, ob er aus Gefühl oder aus Erkenntnis spricht, denn hier walten die Götter und streuen Samen zu künftiger Einsicht, von der nur zu wünschen ist, daß sie zu ungestörter Ausbildung gedeihen möge. Bis sie indessen allgemein werden, da müssen die Nebel vor dem menschlichen Geist sich erst teilen.

Sage Beethoven das Herzlichste von mir, und daß ich gern Opfer bringen würde, um seine persönliche Bekanntschaft zu haben, wo denn ein Austausch von Gedanken und Empfindungen gewiß den schönsten Vorteil brächte, vielleicht vermagst Du soviel über ihn, daß er sich zu einer Reise nach Karlsbad bestimmen läßt, wo ich doch beinahe jedes Jahr hinkomme und die beste Muse haben würde von ihm zu hören und zu lernen. Ihn belehren zu wollen, wäre wohl selbst von Einsichtigeren als ich Frevel, da ihm sein Genie vorleuchtet und ihm oft wie durch einen Blitz Heilung gibt, wo wir im Dunkel sitzen und kaum ahnen, von welcher Seite der Tag anbrechen werde.

Sehr viel Freude würde es mir machen, wenn Beethoven mir die beiden komponierten Lieder von mir schicken wollte, aber hübsch deutlich geschrieben, ich bin sehr begierig, sie zu hören, es gehört mit zu meinen erfreulichsten Genüssen, für die ich sehr dankbar bin, wenn ein solches Gedicht früherer Stimmung mir durch eine Melodie (wie Beethoven ganz richtig erwähnt) wieder aufs Neue versinnlicht wird.

Schließlich sage ich Dir noch einmal den innigsten Dank für Deine Mitteilungen und für Deine Art, mir wohlzutun, da Dir alles so schön gelingt, da Dir alles zu belehrendem, freudigem Genuß wird; welche Wünsche könnten da noch hinzugefügt werden, als daß es ewig so fortwähren möge; ewig auch in Beziehung auf mich, der den Vorteil nicht verkennt, zu Deinen Freunden gezählt zu werden. Bleibe mir daher, was Du mit so großer Treue warst, sooft Du auch den Platz wechseltest und sich die Gegenstände um Dich her veränderten und verschönerten.

Auch der Herzog grüßt Dich und wünscht, nicht ganz von Dir vergessen zu sein. Ich erhalte wohl noch Nachricht von Dir in meinem Karlsbader Aufenthalt bei den drei Mohren ...«

Bettinas Anregung war wirklich auf einen guten Boden gefallen, besonders der Meister hielt an dem Gedanken einer Begegnung mit Goethe fest; seine eigene schwache Gesundheit machte ihm eine Badekur zur Pflicht; somit wirkten diese beiden Momente, das innere und das äußere zusammen, den Plan zur Tat reifen zu lassen. Bettina konnte alsogleich an Goethe berichten:

»Liebster Freund! Dem Beethoven hab' ich Deinen schönen Brief mitgeteilt, soweit es ihn anging, er war voll Freude und rief: ›Wenn ihm jemand Verstand über Musik beibringen kann, so bin ich's.‹ Die Idee, Dich im Karlsbade aufzusuchen, ergriff er mit Begeisterung, er schlug sich vor den Kopf und sagte: ›Konnte ich das nicht schon früher getan haben –? Aber wahrhaftig, ich hab' schon daran gedacht, ich hab's aus Timität unterlassen, die neckt mich manchmal, als ob ich kein rechter Mensch wär'. Aber vor dem Goethe fürchte ich mich nun nicht mehr.‹ Rechne daher darauf, daß Du ihn im nächsten Jahr siehst.«

Das Jahr 1811 ließ sich indessen schlecht an. Der Staatskrach erniedrigte den Geldwert um ganze zwei Drittel; Beethovens Rente von 4000 Gulden war somit auf den Wert von 1360 Gulden gesunken. Der Meister schimpfte auf alle und alles, er wünschte fortzugehen und tat seiner üblen Laune keinen Zwang an, wo immer er sich befand, sei es im Wirtshaus oder auf seinen mittäglichen Besuchen bei den Wiener Verlegern Steiner und Tobias Haslinger, den »Paternostergäßlern« nächst dem Kohlmarkt. Staat, Gesellschaft, auch die Personen des höchsten Standes wurden einer lauten erbarmungslosen Kritik unterzogen, die man indessen seiner Originalität zugute hielt.

Bettina hat Briefe von ihm erhalten, doch ist nur jener vom 10. Februar 1811 in Originalhandschrift erhalten, wogegen ein früheres Schreiben vom 11. August 1810 nicht beglaubigt ist. Es ist schon darum zweifelhaft, weil es nach Inhalt und Diktion gar nicht Beethovenscher Geist ist. Wenn wirklich ein solcher Brief vom 11. August 1810 existierte, so ist er von der unentwegten Enthusiastin zumindest in einer sehr willkürlichen Weise verändert oder in freier Umformung aus dem Gedächtnis niedergeschrieben, um in ihrem Buch im Jahre 1848 veröffentlicht zu werden. Es scheint, als wollte sich Bettina, um ihrer Persönlichkeit ein stärkeres Relief zu geben, eine Art Liebesbrief von Beethoven konstruieren. Sie hat ihm jedenfalls fleißig geschrieben und ihm anfangs 1811 ihre bevorstehende Vermählung mit Achim von Arnim angekündigt. Darauf erwiderte Beethoven am 10. Februar desselben Jahres mit jenen unzweifelhaften Zeilen:

»Liebe, liebe Bettina! Ich habe schon zwei Briefe von Ihnen und sehe aus Ihrem Brief an die Toni, daß Sie sich immer meiner, und zwar viel zu vorteilhaft erinnern. – Ihren ersten Brief habe ich den ganzen Sommer mit mir herumgetragen, und er hat mich oft selig gemacht. Wenn ich Ihnen auch nicht so oft schreibe, und Sie gar nichts von mir sehen, so schreibe ich Ihnen doch tausend mal tausend Briefe in Gedanken. – Wie Sie sich in Berlin in Ansehung des Weltgeschmeißes finden, könnte ich mir denken, wenn ich's nicht von Ihnen gelesen hätte. Reden, Schwätzen über Kunst, ohne Taten!!! Die beste Zeichnung hierüber findet sich in Schillers Gedicht ›Die Flüsse‹, wo die Spree spricht. – Sie heiraten, liebe Bettine, oder es ist schon geschehen und ich habe Sie nicht einmal zuvor noch sehen können. So ströme denn alles Glück Ihnen und Ihrem Gatten zu, womit die Ehe die Ehelichen segnet. – Was soll ich denn von mir sagen! ›Bedaure mein Geschick‹, ruf ich mit der Johanna aus. Rette ich mir noch einige Lebensjahre, so will ich auch dafür wie für alles übrige Wohl und Wehe dem Allesinsichfassenden, dem Höchsten danken. – An Goethe, wenn Sie ihm von mir schreiben, suchen Sie alle die Worte aus, die ihm meine innigste Verehrung und Bewunderung ausdrücken. Ich bin eben im Begriffe, ihm selbst zu schreiben wegen ›Egmont‹, wozu ich die Musik gesetzt, und zwar bloß aus Liebe zu seinen Dichtungen, die mich glücklich machen. Wer kann aber auch einem großen Dichter genug danken, dem kostbarsten Kleinod einer Nation? – Nun nichts mehr, liebe, gute Bettine! Ich komme diesen Morgen um vier Uhr erst von einem Bacchanal, wo ich sogar viel lachen mußte, um heute beinahe ebensoviel zu weinen. Rauschende Freude treibt mich oft gewalttätig wieder in mich selbst zurück. – Wegen Clemens vielen Dank für sein Entgegenkommen! Was die Kantate betrifft, so ist der Gegenstand für uns hier nicht wichtig genug; ein anderes ist's in Berlin. Was die Zuneigung, so hat die Schwester davon eine so große Portion, daß dem Bruder nicht viel übrig bleiben wird; ist ihm damit auch gedient? – Nun leb wohl, liebe, liebe Bettina! Ich küsse Dich auf die Stirne und drücke damit wie mit einem Siegel, alle meine Gedanken für Dich auf. – Schreiben Sie bald, bald, oft Ihrem Freunde Beethoven.«

Bald darauf, am 12. April 1811, richtet Beethoven ein Schreiben an Goethe, darin er seine Musik zu »Egmont« ankündigt und um ein Urteil darüber bittet. Der Brief, der den schriftlichen Verkehr einleitet, wird dem Altmeister in Weimar durch den Musiker Franz von Oliva, der unserem Meister eine Zeitlang Sekretärsdienste leistet, persönlich überbracht und hat folgenden Wortlaut:

»Ew. Excellenz! Nur einen Augenblick Zeit gewährt mir die dringende Gelegenheit, indem sich ein Freund von mir, ein großer Verehrer von Ihnen (wie auch ich), von hier so schnell entfernt, Ihnen für die lange Zeit, daß ich Sie kenne, (denn seit meiner Kindheit kenne ich Sie) zu danken – das ist sowenig für so viel. – Bettine Brentano hat mich versichert, daß Sie mich gütig, ja sogar freundschaftlich aufnehmen würden. Wie könnte ich aber an eine solche Aufnahme denken, indem ich nur imstande bin, Ihnen mit der größten Ehrerbietung, mit einem unaussprechlichen, tiefen Gefühl für Ihre herrlichen Schöpfungen zu nahen. – Sie werden nächstens die Musik zu ›Egmont‹ von Leipzig durch Breitkopf u. Härtel erhalten, diesem herrlichen ›Egmont‹, dem ich, indem ich ihn ebenso warm, als ich ihn gelesen, wieder durch Sie gedacht, gefühlt und in Musik gegeben habe. – Ich wünsche sehr, Ihr Urteil darüber zu wissen; auch der Tadel wird mir für mich und meine Kunst ersprießlich sein und so gern wie das größte Lob aufgenommen werden.«

Wie Goethe über diese Musik urteilte, die ihm zuerst Interesse, dann Furcht vor dem dämonischen Wesen dieser Kunst und schließlich Abneigung einflößte, erhellt am besten aus einem Brief, den Sulpice Boisserée als Ohren- und Augenzeuge dieser Musikprobe im Hause Goethes an seinen Bruder am 4. Mai 1811 schreibt:

»Nach Tisch wurde auf dem Flügel gespielt, ein Baron von Oliva von Wien, Kapellmeister, wenn ich recht gehört, trug einiges vor, es war das kleine höfliche Männchen von tags zuvor. In dem Musiksaal hingen Runges Arabesken, oder symbolisch-allegorische Darstellungen von Morgen, Mittag, Abend und Nacht. Goethe merkte, daß ich sie aufmerksam betrachtete, griff mich an den Arm und sagte: ›Was, kennen Sie das noch nicht? Da sehen Sie einmal, was das für Zeug ist! Zum Rasendwerden, schön und toll zugleich.‹ Ich antwortete: ›Ja, ganz wie die Beethovensche Musik, die der da spielt, wie unsere ganze Zeit.‹ ›Freilich,‹ sagte er, ›das will alles umfassen und verliert sich darüber immer ins Elementarische, doch auch mit unendlicher Schönheit im einzelnen. Da sehen Sie nur, was für Teufelszeug, und hier wieder, was da der Kerl für Anmut und Herrlichkeit hervorgebracht, aber der arme Teufel hat's auch nicht ausgehalten, er ist schon hin, es ist nicht anders möglich, wer so auf der Klippe steht, muß sterben oder verrückt werden, da ist keine Gnade.‹«

Den Brief Beethovens beantwortet Goethe erst von Karlsbad aus am 25. Juni 1811:

»Ihr freundliches Schreiben, mein wertgeschätzter Herr, habe ich durch Herrn von Oliva zu meinem Vergnügen erhalten. Für die darin ausgedrückten Gesinnungen bin ich von Herzen dankbar und kann versichern, daß ich sie aufrichtig erwidere, denn ich habe niemals etwas von Ihren Arbeiten durch geschickte Künstler und Liebhaber vortragen hören, ohne daß ich gewünscht hätte, Sie selbst einmal am Klavier zu bewundern und mich an Ihrem außerordentlichen Talent zu ergötzen. Die gute Bettina Brentano verdient wohl die Teilnahme, welche Sie ihr bewiesen haben. Sie spricht mit Entzücken und der lebhaftesten Neigung von Ihnen und rechnet die Stunden, die sie mit Ihnen zugebracht, unter die glücklichsten ihres Lebens.

Die mir zugedachte Musik zu ›Egmont‹ werde ich wohl finden, wenn ich nach Hause komme, und bin schon im voraus dankbar – denn ich habe dieselbe bereits von mehreren rühmlich erwähnen hören und gedenke sie auf unserem Theater zur Begleitung des gedachten Stückes diesen Winter geben zu können, wodurch ich sowohl mir selbst als Ihren zahlreichen Verehrern in unserer Gegend einen großen Genuß zu bereiten hoffe. Am meisten aber wünsche ich Herrn von Oliva recht verstanden zu haben, der uns Hoffnung machte, daß Sie auf einer vorhabenden Reise Weimar wohl besuchen könnten. Möchte es doch zu einer Zeit geschehen, wo sowohl der Hof als das sämtliche musikliebende Publikum versammelt ist. Gewiß würden Sie eine Ihrer Verdienste und Gesinnungen würdige Aufnahme finden. Niemand aber kann dabei mehr interessiert sein als ich, der ich mit dem Wunsche recht wohl zu leben mich Ihrem geneigten Andenken empfehle und für so vieles Gute, was mir durch Sie schon geworden, den aufrichtigsten Dank abstatte.«

Goethe kehrte alsbald nach Weimar zurück; die ursprünglich geplante Begegnung fand in diesem Jahr nicht statt, denn Beethoven traf erst am 1. August in Teplitz ein. Graf Franz Brunszvik hätte ihn auf der Badereise begleiten sollen, das war abgemacht; an dessen Stelle reist Oliva mit dem ärgerlichen Meister, der dem Grafen über seine Absage brieflich Vorwürfe macht und mit der bezeichnenden Bemerkung schließt: »Ich muß jemand Vertrauten an meiner Seite haben, soll mir das gemeine Leben nicht zur Last werden.«

Es sind angenehme Tage in Teplitz, die zwar nicht Heilung bringen, aber freundlichere Gemütsstimmungen in anregender Gesellschaft. Ein ganzer Romantikerkreis findet sich ein, Varnhagen von Ense, damals noch österreichischer Leutnant, seine spätere Gattin, die berühmte Rahel Levin, schöngeistig wie Bettina, dann Tiedge, der Dichter der »Urania« und in dessen Begleitung die Gräfin Elise von der Recke sowie die junge Berlinerin Amalie Seebald, Beethovens »letzte Liebe«. Das Faktotum Oliva stellt die Verbindungen her. Man ist auf den großen unwirschen Sonderling nicht wenig neugierig. Im Schloßgarten, auf einsamen Streifereien, hatte man ihn schon aufs Korn genommen und endlich den Menschenscheuen eingefangen; alle sind entzückt über die freundlich milde Art des »wilden Mannes«, von seinem freien Phantasieren; Varnhagen fühlt sich von ihm besonders angezogen, trotz der ermüdenden Unterhaltung wegen des schweren Gehörs; begeistert schreibt er an Ludwig Uhland: »Wie schön, wie rührend, fromm und ernst, als küsse ihn ein Gott, der Mann aussah, als er uns auf dem Fortepiano himmlische Variationen vorspielte, die so reines Erzeugnis eines waltenden Gottes waren, daß der Künstler sie dem ›Verhallen‹ überlassen mußte ...«

Beethoven ist trotz seiner Badekur mit dramatischen Kompositionen beschäftigt, deren Manuskriptpaket ihm noch in den Reisewagen nachgeworfen ward: es sind die Singspiele von Kotzebue »Die Ruinen von Athen« und »König Stephan« zur Eröffnung des Neuen Pester Theaters. Trotzdem hätte er gern noch einen Operntext von Varnhagen gehabt, der in der Nähe des Meisters »immer heilige Ehrfurcht und das ununterbrochene Ausströmen eines göttlichen Hauches« zu empfinden glaubt. In dieser Weise schwärmen auch die Rahel, die Gräfin, nicht zuletzt Amalie und Tiedge, von dem Beethoven schon früher einiges vertont hat, wie das Lied: »An die Hoffnung« und »Der Wachtelschlag«.

Diese Atmosphäre von Huldigung und Bewunderung ist heilkräftiger als die Trinkkur, besonders wenn eine Brunnenfee wie Amalie den Seelentrunk reicht. Sie ist nicht geistreich wie Bettina, sondern ein freundliches, anmutiges Wesen, das noch einmal glühende Kohlen auf das einsame Herz sammelt und begrabene Wünsche weckt. Mitte September trennen sich die Freunde, Beethoven kehrt nach Wien zurück, wo ihn schlimme Botschaft erwartet.

Die Geldentwertung hat den reichen freigebigen Fürsten Lobkowitz in Zahlungsschwierigkeiten gebracht, er wird unter Kuratell gesetzt. Infolge dieses Zusammenbruchs hört von seiner Seite die Rentenzahlung auf. Ein Jahr später, wieder nach der Heimkehr von einer Teplitzer Reise, trifft ihn eine ähnliche Hiobspost. Fürst Kinsky, der andere Mäzen, war in Prag vom Pferde gestürzt und am 2. November 1812 gestorben. Auch von dieser Seite unterbleibt die Rentenzahlung; nur Erzherzog Rudolf hat seine Verpflichtungen immer treu erfüllt. Beethoven schreibt lange Briefe an die Erben Kinskys und sieht sich schließlich genötigt, einen Prozeß anzustrengen, der sich drei Jahre hinzieht und am Ende zu seinen Gunsten entschieden wird, so daß er erst im Jahre 1815 wieder in den Vollgenuß seiner Rente gelangt, wenn sie auch nach wie vor durch die Geldentwertung geschmälert ist.

*

Die von Beethoven mit soviel Spannung herbeigesehnte Begegnung mit Goethe hat endlich im Sommer 1812 in Teplitz stattgefunden. Der Winter hatte viel Kränklichkeit gebracht, Malfatti bestand darauf, daß der Patient seine Badekur wiederhole. In Teplitz stand große Zusammenkunft der Hocharistokratie aus Gründen der hohen Politik bevor; Kaiser Franz fand sich mit zahlreichen Begleitern aus der Hocharistokratie ein, die persönliche Bekannte Beethovens waren; die Kaiserin von Österreich und Marie Louise von Frankreich waren zugegen, der König von Sachsen, der Herzog von Weimar und viele deutsche Fürsten. Goethe kam aus Karlsbad, um den hohen Herrschaften seine Aufwartung zu machen; Beethoven pendelte zwischen Teplitz, Franzensbad und Karlsbad, wo er »den Sachsen und Preußen etwas zum Besten der abgebrannten Stadt Baden vorspielte«, hin und her, wohl auch von den Ärzten herumgeschickt, die bald dieses, bald jenes Bad anempfahlen.

Zwischen dem 19. Juli und dem 26. August hat nun wirklich die Begegnung Beethovens mit Goethe in Teplitz stattgefunden; der Meister hatte Gelegenheit gehabt, dem Dichter etwas auf dem Klavier vorzuphantasieren. Beide konnten sich indessen nicht verhehlen, daß ihre große Erwartung mit einer gelinden Enttäuschung endete. Der tiefe Unterschied zwischen beiden ward alsbald fühlbar. Dem klaren, einordnenden Geist Goethes war das wild genialische Wesen Beethovens als ein unberechenbares Element durchaus zuwider, auch die formlose, ungeschliffene Art des Tondichters gefiel ihm nicht. Der Meister hinwiederum war ungehalten, wie er sich alsbald in einem Brief an Breitkopf & Härtel vernehmen läßt, daß Goethe die Hofluft mehr behage, als einem Dichter zieme; »wenn Dichter, die als die ersten Lehrer der Nation angesehen sein sollten, über diesem Schimmer alles andere vergessen können, was wolle man da noch über die Lächerlichkeiten der Virtuosen reden?!« Er unterließ es denn auch nicht, Goethe, der stolz darauf war, der österreichischen Kaiserin seine Referenz zu erweisen, eine Andeutung darüber zu machen, was er davon halte und meinte, Goethe sollte es doch lieber den Herrschaften tüchtig an den Kopf werfen, was sie an dem Dichter haben, denn Tasso sei von keiner Prinzessin länger anerkannt, als sie der Schuh der Eitelkeit drückt; da hätte er, Beethoven, es anders gemacht. Und erzählte, wie er dem Erzherzog Rudolf, seinem Schüler, der ihn ungebührlich lange im Vorzimmer habe warten lassen, dafür tüchtig die Finger auseinandergerenkt und auf die Frage, warum er so ungeduldig sei, geantwortet hätte: er habe seine Zeit im Vorzimmer verloren und daher für die Geduld keine mehr übrig. Von da ab hätte man ihn nicht mehr warten lassen. Die hohen Herrschaften könnten wohl Geheimräte und Exzellenzen machen, aber keinen Goethe und keinen Beethoven, also müßten sie Respekt lernen vor dem, was sie nicht machen können, und was sie selber noch lange nicht sind; das sei ihnen ganz gesund.

Es bot sich bald Gelegenheit, diese Lehre in der Praxis zu erweisen; über den vielbesprochenen Vorfall berichtet Bettina, die Augenzeugin gewesen sein will, ziemlich glaubwürdig an Pückler-Muskau:

»Indem kam auf dem Spaziergang ihnen (Goethe und Beethoven) entgegen mit dem ganzen Hofstaat die Kaiserin und die Herzöge; nun sagte Beethoven: ›Bleibt nur in meinem Arm hängen, sie müssen uns Platz machen, wir nicht.‹ Goethe war nicht der Meinung, und ihm wurde die Sache unangenehm; er machte sich aus Beethovens Arm los und stellte sich mit abgezogenem Hute an die Seite, während Beethoven mit unterschlagenen Armen mitten zwischen den Herzögen durchging und nur den Hut ein wenig rückte, während diese sich von beiden Seiten teilten, um ihm Platz zu machen, und ihn alle freundlich grüßten; jenseits blieb er stehen und wartete auf Goethe, der mit tiefen Verbeugungen sie hatte an sich vorübergehen lassen. Nun sagte er: ›Auf Euch habe ich gewartet, weil ich Euch ehre und achte, wie Ihr es verdient, aber jenen habt Ihr zuviel Ehre angetan.‹ Nachher kam Beethoven zu uns gelaufen und erzählte uns alles und freute sich ganz kindisch, daß er Goethe so geneckt habe. Die Reden sind alle wörtlich wahr, es ist nichts Wesentliches hinzugesetzt, Beethoven erzählte es mehrmals auf dieselbe Weise, und es war mir in mehr als einer Beziehung ganz wichtig; ich erzählte sie dem Herzog von Weimar, der auch in Teplitz war und ihn (Goethe) gewaltig neckte, ohne ihm zu sagen, woher er es habe.«

Jedenfalls mit den ästhetischen Unterhaltungen über Musik, die Bettina so verlockend vorgezaubert hatte, wird es nichts; Beethoven ist nicht der Mann des Theoretisierens, sondern der Tat selbst, die klar genug spricht. Aber gerade dieser Sprache des Werkes hat sich Goethe nicht zu erschließen vermocht. Die Gegensätzlichkeit der beiden Genies war zu groß. Der Dichterfürst war vorwiegend eine ästhetische Natur; der Fürst der Töne war eine tragische Natur. Jeder ein Repräsentant, in dem sich die Nation erkennen will.

Immerhin stand Goethe unter dem starken Eindruck der Persönlichkeit Beethovens. »Zusammengefaßter, energischer, inniger«, schreibt er an Christiane, »habe ich noch keinen Künstler gesehen. Ich begreife recht gut, wie er gegen die Welt wunderlich stehen muß.« Auch was der Altmeister an seinen Hausmusikus Zelter schreibt, beweist, daß er dem Genius menschlich gerecht zu werden vermochte. Sein Brief vom 2. September 1812 spricht sich über seinen Eindruck folgendermaßen aus:

»Beethoven habe ich in Teplitz kennengelernt. Sein Talent hat mich in Erstaunen gesetzt; allein er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel findet, aber sie freilich dadurch weder für sich noch für andere genußreicher macht. Sehr zu entschuldigen ist er hingegen und sehr zu bedauern, da ihn sein Gehör verläßt, das vielleicht dem musikalischen Teil seines Wesens weniger als dem gesellschaftlichen schadet. Er, der ohnehin lakonischer Natur ist, wird es nun doppelt durch diesen Mangel.«

Der Dichterfürst erweist sich hierin wieder als Psychologe und Menschenkenner; mit diesen wenigen Zeilen hat er eine meisterhafte Charakterzeichnung geschaffen. Vor der musikalischen Größe Beethovens versagt allerdings sein Verständnis. Interessant ist in dieser Beziehung ein Bericht des jungen Mendelssohn-Bartholdy vom Mai 1830, der über seinen Besuch beim einundachtzigjährigen Goethe folgendes mitteilt:

»Vormittags muß ich ihm ein Stündchen Klavier vorspielen von allen verschiedenen großen Komponisten nach der Zeitfolge und muß ihm erzählen, wie sie die Sache weitergebracht hätten, und dazu sitzt er in einer dunklen Ecke wie ein Jupiter Tonans und blitzt mit den alten Augen. An den Beethoven wollte er gar nicht heran; ich sagte ihm aber, ich könne ihm nicht helfen, und spielte ihm nun das erste Stück der C-Moll-Symphonie vor. Das berührte ihn ganz seltsam. Er sagte erst: ›Das bewegt aber gar nichts, das macht nur Staunen; das ist grandios!‹ Und dann brummte er so weiter und fing nach langer Zeit wieder an: ›Das ist sehr groß, ganz toll! Man möchte sich fürchten, das Haus fiele ein. Und wenn das nun alle die Menschen zusammen spielen!‹ Und bei Tische, mitten in einem anderen Gespräch, fing er wieder damit an.«

*

Das körperliche Befinden Beethovens hat sich nicht gebessert, er muß seine Kur in Teplitz bis Ende September verlängern; eine stillere Zeit beginnt, es ist ihm sehr erwünscht, daß, nachdem alle Freunde abgereist sind, Amalie Seebald ihren Aufenthalt verlängert und sich als helfender Engel des Leidenden annimmt. Er erfordert viel Geduld, Amalie nennt ihn darum ihren Tyrann. Er mußte zeitweilig das Bett hüten und verkehrt mit ihr im Wege von kurzen Billetten. Ein solches lautet am 16. September:

»Tyrann ich?! Ihr Tyrann! Nur Mißdeutung kann Sie dies sagen lassen, wie wenn eben dieses Ihr Urteil keine Übereinstimmung mit mir andeutete. Nicht Tadel deswegen; es wäre eher Glück für Sie. – Ich befand mich seit gestern schon nicht ganz wohl, seit diesem Morgen äußert sich's stärker; etwas Unverdauliches für mich genossen ist die Ursache davon, und die reizbare Natur in mir ergreift ebenso das Schlechte wie das Gute, wie es scheint. Wenden Sie dies jedoch nicht auf meine moralische Natur an. Die Leute sagen nichts, es sind nur Leute; sie sehen sich meistens in anderen nur selbst, und das ist eben nichts; fort damit! Das Gute, Schöne braucht keine Leute. Es ist ohne alle andere Beihilfe da, und das scheint denn doch der Grund unseres Zusammenhaltens zu sein. – Leben Sie wohl, liebe Amalie. Scheint mir der Mond heute abend heiterer, als den Tag durch die Sonne, so sehen Sie den kleinsten, kleinsten aller Menschen bei sich. Ihr Freund Beethoven.«

Am andern Tag hatte sich das Übel verschlimmert, der Leidende konnte auch an diesem Morgen das Bett nicht verlassen und schickte ihr wieder einen Zettel:

»Liebe, gute Amalie! Seit ich gestern von Ihnen ging, verschlimmerte sich mein Zustand und seit gestern abend bis jetzt verließ ich noch nicht das Bett. Ich wollte Ihnen heute Nachricht geben und glaubte dann wieder mich dadurch Ihnen so wichtig scheinen machen zu wollen; so ließ ich es sein. – Was träumen Sie, daß Sie mir nichts sein können? Mündlich wollen wir darüber, liebe Amalie, reden. Immer wünschte ich nur, daß Ihnen meine Gegenwart Ruhe und Frieden einflößte, und daß Sie zutraulich gegen mich wären. Ich hoffe mich morgen besser zu befinden, und einige Stunden werden uns noch da während Ihrer Anwesenheit übrig bleiben, in der Natur uns beide wechselseitig zu erheben und zu erheitern. – Gute Nacht, liebe Amalie! Recht viel Dank für die Beweise Ihrer Gesinnungen für Ihren Freund Beethoven.«

Die Nachricht von der Erkrankung der Mutter zwingt Amalie zur baldigen Abreise. Der Traum von Glück ist wieder zu Ende. Es war seine letzte Schwärmerei, von der er Abschied nimmt. Noch einmal dachte er daran: »daß Heiraten doch glücklich machen könne«. Der Gedanke klingt in schmerzliche Entsagung aus, die er seinem Tagebuch anvertraut:

»Ergebenheit, innigste Ergebenheit in Dein Schicksal, nur diese kann Dir die Opfer – – – zu dem Dienstgeschäft geben – o harter Kampf! Alles anwenden, was noch zu tun ist, um das Nötige zu der weiten Reise zu entwerfen – alles mußt du finden, was Dein seligster Wunsch gewährt, so mußt du es doch abtrotzen – absolut die stete Gesinnung beobachten.

Du darfst nicht Mensch sein, für Dich nicht, nur für andere, für Dich gibt's kein Glück mehr als in Dir selbst, in deiner Kunst – o Gott! gib mir Kraft, mich zu besiegen, mich darf ja nichts an das Leben fesseln. Auf diese Art mit A. geht ja alles zu Grunde.«

Und ein halbes Jahr später noch suchen ihn diese Sehnsuchtsgedanken heim, die er am 13. Mai 1813 in seinem Tagebuch notiert:

»Eine große Handlung, welche sein kann, zu unterlassen und so bleiben – o welch ein Unterschied gegen ein unbeflissenes Leben, welches sich in mir so oft abbildete – o schreckliche Umstände, die mein Gefühl für Häuslichkeit nicht unterdrücken, aber dessen Ausführung, o Gott, Gott, sieh auf den unglücklichen B. herab, laß es nicht länger so dauern –«

Es war zunächst eine recht ärgerliche, verstimmte Zeit; die Zerwürfnisse mit seinem Bruder Johann wegen dessen Ehe, dann die Prozesse, die er gegen Lobkowitz und Kinsky anstrengt, alles wirkt vielfach hemmend zurück, so daß er seinem großen Schüler, dem Erzherzog Rudolf, klagt: »Statt Takte muß ich Gänge machen.«


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