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Jugendzeit in Bonn

Beethovens Geburtshaus in Bonn, Bonngasse

Am 17. Dezember des Jahres 1770 herrschte eitel Freude im Clasenschen Hause Nr. 515 in der Bonngasse der erzbischöflich-kurfürstlichen Residenzstadt Bonn am Rhein. In der bescheidenen Dachwohnung war dem wohlbestallten Tenoristen der kurfürstlichen Hofkapelle, Johann van Beethoven, ein Söhnlein geboren worden, das an diesem Tage getauft wurde. Vor einem Jahr hatte Trauer geherrscht in demselben Hause; das erste Kind der jungen Ehe, Ludwig Maria, war schon sechs Tage nach der Geburt gestorben; um so größer war das Glück über den neuen Weltbürger, der ebenfalls den Namen Ludwig erhielt. Ludwig hieß ja auch Johanns Vater, der schräggegenüber Nr. 386 wohnte und Rang und Ansehen genoß. Ein Porträt zeigt ihn im grünen Pelzkostüm mit einem Notenheft in der Hand. Er war aus Antwerpen eingewandert und hatte es vom einfachen Baßsänger zum Hofkapellmeister gebracht, ein rühriger und strebsamer Mann, der nebenher eine Zeitlang auch einen kleinen Weinhandel in der Rheingasse betrieb und damit den Grund zu einer gewissen Wohlhabenheit legte. Dieses äußere Gedeihen hatte aber auch seine Kehrseite. Mit dem Weinhandel mochte es zusammenhängen, daß seine Ehefrau, eine geborene Maria Josepha Poll, die er 1732 ehelichte, als er sich in Bonn niederließ, später dem Trunk sich ergeben hatte und schließlich in einem Kloster zu Köln untergebracht werden mußte.

Auch mit dem Sohn Johann, der als der einzige von drei Geschwistern am Leben geblieben war, hatte der ehrenwerte und tüchtige Mann nicht wenig Sorge. Johann geriet der Mutter nach. Ein stattlicher, schöner Mann, von den »Narben im Gesicht« nur ein wenig entstellt, von Natur begabt, hatte er in der Jugend wohl Glänzendes versprochen. Schon mit sechzehn Jahren war er Hofmusikus und Sänger von Ruf; zugleich verstand er sich trefflich aufs Klavierspiel und auf die Violine und war als Musiklehrer in den angesehenen Familien Bonns recht beliebt. Aber von seinem Charakter hieß es, daß er »leichtfertig und unstet« war, daß er lustige Gesellschaft liebte und gerne dem Wein zusprach, eine unselige Neigung, die er von der Mutter geerbt hatte, und die ihn bald in Mißkredit brachte. Das war der Grund, weshalb es mit seinen stimmlichen Mitteln rasch talab ging, und weshalb es auch um seine wirtschaftlichen Verhältnisse recht mißlich stand. Auch mit Johanns Ehe war Vater Ludwig recht unzufrieden. Es verdroß den Alten, der ehrgeizig veranlagt war, daß sein Sohn gegen des Vaters Willen eine Frau aus niederem Stande geheiratet hatte. Johanns Gattin, die 1746 geborene Maria Magdalena Kewerich, war eine Tochter des Hauptkochs im Schlosse zu Ehrenbreitstein und in erster Ehe mit Johann Laym, dem Kammerdiener des Kurfürsten von Trier, verbunden gewesen, der indessen bald verstarb. Es hatte sich aber rasch gezeigt, daß die »schöne schlanke Person« mit den großen dunklen Augen und ernsthaften, leidenden Zügen, die man nie hatte lachen sehen, ein Schutzengel an Seite des haltlosen Mannes war und sich wohl auf die Kunst verstand, das dürftige Hauswesen leidlich im Gleichgewicht zu halten oder vor der äußersten Zerrüttung zu bewahren, indem sie durch ihren Nadelfleiß ersetzte, woran es der allzu lebenslustige Ehemann wirtschaftlich fehlen ließ. Ihrer Hände Verdienst war ein unentbehrlicher und oft der einzige aktive Rechnungsposten in dem Wirtschaftsbuch der Familie. Das gewann ihr sehr rasch die Achtung des gestrengen Schwiegervaters, der sich gänzlich mit ihr ausgesöhnt hatte, besonders als ihm nun wieder Großvaterfreuden beschert waren.

Der Jubel lief die ganze Bonngasse entlang und teilte sich allen jenen mit, die zum engeren Freundeskreis der Beethovenschen Familie gehörten. Das war zunächst die Familie des Geigers Salomon, der mit Haydn in Berührung stand und alsbald eine Wohnung im Hause des Großvaters Ludwig bezog. In derselben Gasse Nr. 387 lebte die Familie Ries in Leid und Freuden mit dem Hause Beethoven verknüpft, und im letzten Hause der Gasse wohnte der Hornist Simrock, der nebenher einen kleinen Musikalienhandel anfing und später der Begründer des weltbekannten Musikverlages wurde. Aber noch ahnte er selbst nicht, daß er in dieser Eigenschaft eine Rolle in dem Leben des Neugeborenen spielen werde.

*

Zunächst konnte niemand wissen, daß eine himmlische Fee aus den unbekannten Sphären über dem singenden und klingenden Bonn der kurfürstlichen Zeit das schicksalschwangere Geschenk Genie dem neuen Sprossen des Beethovenschen Hauses in die ärmliche Wiege gelegt hatte; kein Mensch kann vorhersagen, wann ein Genie geboren wird, erst die Späteren wissen es. Von dieser Regel machte indessen Vater Johann eine Ausnahme; er war schier überzeugt, daß sein Söhnchen Ludwig mit Genie begnadet sei. Jedenfalls wollte er es so und hatte den Ehrgeiz, aus dem Knaben ein Wunderkind zu machen. Der junge Mozart hatte damals, noch in Kinderschuhen, die Welt in Staunen und Entzücken versetzt, er war der Liebling der Höfe und wurde von dem Elternpaar mit Stolz den hohen und höchsten Herrschaften präsentiert. Etwas Ähnliches schwebte auch dem Vater Johann vor, nicht nur weil er eigene unerfüllte Künstlerträume in dem Sohn verwirklichen wollte, sondern weil er damit auch klingende Anerkennung erhoffen durfte, wonach es ihn am meisten dürstete. Nach dem Grundsatz, früh übt sich, was ein Meister werden will, ward der Junge schon von seinem vierten Lebensjahr an einer strengen musikalischen Zucht unterworfen, die der Vater zunächst auf seine eigene systemlose und gewaltsame Weise selbst in die Hand nahm. Aber Genies pflegen meistens auch Sorgenkinder zu sein, das hatte der Vater Johann in seinem streberischen Ehrgeiz nicht bedacht. Es ging nicht alles nach Wunsch; der junge Ludwig van Beethoven war eben nicht zum Wunderkind geboren, wenngleich er schon im Alter von zwölf Jahren mit drei Sonaten hervortrat, 1783, die dem Kurfürst-Erzbischof Max Friedrich gewidmet waren. In der etwas gespreizten Widmung, die kaum den jugendlichen Tondichter zum Verfasser hat, heißt es: »Seit meinem vierten Jahre begann die Musik die erste meiner jugendlichen Beschäftigungen zu werden. So frühe mit der schönen Muse bekannt, die meine Seele zu reinen Harmonien stimmte, gewann ich sie, und wie mirs oft wohl däuchte, sie mich wieder lieb. Ich habe nun mein elftes Jahr erreicht; und seitdem flüstert mir oft meine Muse in den Stunden der Weihe zu: Versuchs und schreib einmal deiner Seele Harmonien nieder! ... Voll dieser ermunternden Zuversicht wag ich es mit diesen jugendlichen Versuchen mich Dir zu nahen. Nimm sie als ein reines Opfer kindlicher Ehrfurcht auf und sieh mit Huld, Erhabenster, auf sie herab und ihren jungen Verfasser Ludwig van Beethoven.«

Beethovens Großvater Ludwig van Beethoven (1712)

Es fällt auf, daß der Vater bemüht war, das Alter des Knaben um ein Jahr niedriger anzusetzen.

Als der erste häusliche Unterricht begann, war die Familie in das Fischersche Haus in der Rheingasse Nr. 934 gezogen, wo 1776 Ludwigs jüngster Bruder Johann zur Welt kam. Der Lieblingsbruder Kaspar Karl, 1774 geboren, war damals schon zwei Jahre alt.

Wenn es auch richtig ist, daß der werdende Genius Ludwig schon so frühe mit der schönen Muse bekannt wurde, so war der Hergang doch nicht so rosenrot und himmelblau, wie es die verschnörkelte, schwülstige Widmung im Rokokostil darzustellen wußte. Die Muse hatte bei ihrem ersten Nahen ein rauhes Gewand und eine lieblose Hand. Bei den Fingerübungen am Klavier mußte der Vierjährige auf einem Bänkchen stehen, weil er so klein war. Der Vater mochte ein guter Lehrer sein, für die anderen; für den Sohn war er es nicht. Regellosigkeit lag in seinem Wesen, und so hing auch der häusliche Unterricht vom Zufall ab. Freunde aus der Hofkapelle beteiligten sich aus Gefälligkeit mit an dem Unterricht des Knaben, die Lehrer wurden gewechselt, schnell und häufig, nach Laune und Zufall. Der alte Hoforganist van den Eeden sollte ihm den Generalbaß beibringen; Rovantini und später der tüchtige Franz Ries, der das ungewöhnliche Talent des Knaben richtig zu behandeln wußte, förderten ihn im Violin- und Bratschenspiel; der Vater selbst hatte dem Knaben alsbald nichts mehr zu geben und vertraute die weitere Ausbildung des Sohnes seinem Freunde Tobias Pfeiffer an, einem Sänger und Hoboisten aus der Großmannschen Theatergesellschaft, der, ein unstetes Künstlerblut, dem Vater Johann in manchen Zügen ähnlich war. Er wohnte bei Beethovens im Fischerschen Hause, ein schöner stattlicher Mann, sehr beliebt in der Gesellschaft, aber ein leichtsinniges Tuch und ein Schuldenmacher.

Mit Pfeiffer beginnt eine wahre Schreckenszeit für den Schüler. Von einer Planmäßigkeit des Unterrichts ist jetzt erst recht keine Rede. Vater Johann und Pfeiffer zechen in einer Weinschenke bis gegen Mitternacht; lärmend und torkelnd kommen sie heim; ungestüm wird der Knabe aus dem Schlaf gerüttelt, ob er will oder nicht, er muß aus dem Bett und hin ans Klavier, was meistens unter Weinen und Widerstreben vonstatten geht; der Unterricht beginnt und dauert bis zum frühen Morgen. Nach einem Jahr hat Pfeiffer in Bonn abgewirtschaftet und muß verschwinden. Jetzt kann der kleine Ludwig erst wieder des Nachts ruhig schlafen.

Wie mit der Musik, wo alles vom Zufall abhing, stand es auch mit dem Schulunterricht, der Nebensache blieb und ziemlich vernachlässigt wurde. Ein bißchen Französisch und ein bißchen Latein. Die große Belesenheit und Bildung des Meisters in seinen späteren Jahren ward stückweise nachgeholt und selbst erworben. Er war Autodidakt, wie übrigens auch größtenteils in der Musik.

Die Muse, die zuerst in Gestalt des rauhen Vaters erschienen war, nahte sich ihm ungesehen alsbald auch sozusagen in eigener Person, und zwar in den Stunden des Alleinseins, die ihm am liebsten waren. Er fühlte ihre leise segnende Hand, wenn er sich heimlich dem freien Phantasieren hingeben konnte, das ihm schon in frühester Zeit mehr nach dem Sinn war als die mechanischen Übungen, zu denen ihn der Vater anhielt, ohne sie schmackhaft zu machen. Wenn ihn der Drillmeister bei diesen freien Regungen seines Genius erwischte, setzte es Ohrfeigen, und polternd mahnte die Stimme: »Damit hat's noch lange Zeit, dafür bist du noch nicht da!«

Beethovens Mutter (nach wahrscheinlicher Annahme) (1746)

Es war etwas Richtiges daran; aber der Vater dachte überhaupt nur ans Virtuosentum, und gerade damit haperte es zunächst am meisten. Eine Konzertreise mit dem »sechsjährigen Wunderkind«, das in der Tat acht Jahre alt war, hatte keinen befriedigenden Erfolg. Es war das erste öffentliche Auftreten in Köln. Ein zweites in Rotterdam, wohin die Mutter den Knaben zu Schiff begleitete, fiel keineswegs günstiger aus. Der junge Beethoven war nun einmal kein »zweiter Mozart«. Er war etwas durchaus anderes, wenn auch ebenfalls etwas Einmaliges; aber damit hatte es noch seine weiten Wege. Die Ungeduld des Vaters verschüchterte den Jungen nur noch mehr und legte den Grund zu einer frühen inneren Entfremdung, zu jener Scheu und Verschlossenheit, die sich als Charakteranlage unter solchen Umständen früh und entscheidend ausbildete.

Eine Wendung zum Besseren trat in der Ausbildung ein, als der Franziskaner Bruder Willibald sich des Kleinen annahm, der durch den alten van Eeden empfohlen war. Der Schüler lernte die Messe und die übrige Kirchenmusik auf der Orgel begleiten. Er überläßt sich gern dem Präludieren auf der Orgel und phantasiert ins Unendliche hinein. Ein Thema aus dem Credo entfaltet er in so reichen eigenartigen Wendungen, daß der Minoritenpater Hanzmann, der ihn bei solcher Gelegenheit hört, ihn auch seinerseits in Arbeit nimmt und ihm einen kleinen Verdienst verschafft, indem er ihn selbständig die Orgel bei der Frühmesse spielen läßt.

Die eigentlichen Triumphe des werdenden Genius beschränkten sich zunächst doch nur auf die Hausmusik, die Vater Johann veranstaltet, um das »Wunderkind« den Freunden und gelegentlich auch Fremden zu zeigen, von denen er sich dafür bezahlen läßt. Pater Hanzmann ist bei diesen Hauskonzerten häufig zu Gast. Aber den Leuten etwas vorspielen, Bravourkünste zu zeigen, bloß auf Befehl hin, ohne eigene innere Nötigung, das ist ganz und gar nicht die Art des Sohnes. Ganz wütend kann er werden auf diese Bewunderer, die ihn drängen. Am liebsten würde er davonlaufen, aber der Vater hat ihn in der Gewalt, und er fügt sich. Freilich das Beste behält er noch für sich. Es ist das Geheimnis des Genius, der sich entfaltet trotz seiner Zuchtmeister, in seiner eigenen Weise, die sie selber nicht ahnen.

Nur einer hat das eigenwillige Wesen dieser Begabung ahnend erkannt und ihr die rechten Ziele auf einem bisher noch unbeschrittenen Pfad gewiesen. Das war der neue Hoforganist Neefe, der den Unterricht und das schöpferische Streben des Jungen in geordnete Bahnen lenkte und die Herausgabe der ersten drei Sonaten für ihn besorgte. Neefe war ein denkender und feingebildeter Musiker, der als erster für seine Zeit theoretisch das Grundwesen der Kunst in die Formel prägte als Ausdruck des Seelenlebens, ein völlig Neues, Unerhörtes in der damaligen Musik, das der Eigenart des jungen Genius vollends entsprach. Mit dieser Erkenntnis hatte der Werdende eigenen Boden unter den Füßen und befand sich auf dem Wege zur Eroberung eines unermeßbaren annoch unbekannten Reiches. Ludwig war damals schon Organistengehilfe dieses neuen Lehrers, dem er sein Bestes verdankte. Die gedruckten Kompositionen sollten dem begabten Schüler eine festbesoldete Hofanstellung verschaffen, die ihm tatsächlich ein Jahr später unter dem neuen Kurfürsten Maximilian Franz wurde, dem Sohn der Kaiserin Maria Theresia und jüngsten Bruder Josephs II., unter dem das Musikleben Bonns seine vorher nie erlebte höchste Blütezeit erreichte.

Vater Johann, obschon er die Eigenart des Sohnes nicht recht ahnen konnte, wurde nicht müde, allen Freunden und insbesondere seinem Hausherrn in der Rheingasse, dem Bäckermeister Fischer, zu versichern: »Paßt auf, mein Ludwig, mein Ludwig, ich sehe es ein, er wird mit der Zeit ein großer Mann in der Welt werden ... Gedenken Sie dann an mein Wort.«

Das war zugleich auch eine Beschwichtigung für den Bäcker, der sich durch die Hauskonzerte in seiner Nachtruhe gestört fühlte und mit der Kündigung drohte. Aber er ward immer wieder entwaffnet durch die Beteuerung des Vaters: »Mein Ludwig wird von allen bewundernswürdig angesehen. Die wir hier versammelt sind, werden es noch erleben ...«

Eine Berühmtheit im Hause zu haben, ist doch auch etwas Schönes. Und so opfert der Bäckermeister den Schlaf und verbucht mit seiner älteren Schwester Cäcilie in einer Hauschronik getreulich die Züge des werdenden Genius, soweit er sie von seinem Gesichtspunkt aus verstehen konnte.

Die Überlieferungen von Beethovens erster Jugend sind recht dürftig. Um so größeren Wert besitzen die Aufzeichnungen Gottfried Fischers, die das unschätzbare Verdienst haben, einiges Licht in diese Jugendzeit zu werfen. Man kann sagen, daß der Bäckermeister Beethovens erster Biograph war.

*

Alle Kinderstreiche sind in der bäckermeisterlichen Hauschronik sorgfältig verzeichnet. Es sind reizende Ausschnitte aus dem frühen Jugendleben, in denen sich bereits die ausgesprochen Beethovenschen Wesenszüge melden, und die darum den Wert kleiner Charakterstudien haben. Einige davon, die eines liebenswürdigen Humors nicht entbehren, verdienen festgehalten zu werden; z.B.: Mit seinen beiden jüngeren Brüdern Karl und Johann hatte Ludwig einmal den Hühnern die Eier wegstiebitzt und wurde von der Fischerin im Hühnerstall ertappt. Er redet sich aus, Karl habe ihm das Taschentuch hineingeworfen.

»Also darum sind so wenig Eier da?« sagt die Bäckerin.

»Es gibt Füchse, die holen die Eier.«

»Ich glaube, du bist einer der Füchse.«

»Ja, ein Notenfuchs!«

Und die Fischerin: »Nein, ein Eierfuchs!«

Ein andermal haben die Jungen einen verflogenen Hahn abgefangen. Sie halten ihm den Hals zu, daß er nicht schreien kann, und bringen ihn auf den Speicher. Die Magd ist ins Vertrauen gezogen, sie soll den Braten für Papa und Mama zubereiten. Die Sache wird ruchbar, und der Haussohn Johann Fischer meint am andern Tag, der Hahn müsse ein Musiker gewesen sein, denn er habe mit Altstimme gesungen.

Ludwig erwiderte: »Als er genug gebraten war, ist er auch der Altstimme müde geworden. Übrigens ist es ein altes Recht, daß man behalten darf, was einem frühmorgens auf dem Hof zufliegt. Die Leute sollen ihr Vieh besser verwahren; wieviel Unglück ist schon durch solche Viecher entstanden.«

Aus der Fischerschen Chronik geht hervor, daß er schon als Kind das Alleinsein liebte und sinnierend alles um sich her vergaß. So liegt er eines Morgens im Fenster, den Kopf in beide Hände gestützt, und schaut starr auf einen Fleck. Der Cäcilie Fischer, die über den Hof geht und ihn anruft, gibt er keine Antwort.

»Nun schön,« sagt sie, »keine Antwort ist auch eine Antwort.«

»O nein, das nicht,« entschuldigt er sich, »ich war da in einem so schönen, tiefen Gedanken versunken, da konnte ich mich gar nicht stören lassen.«

Ein eigentümliches Licht wirft die Chronik auf die häuslichen Verhältnisse der Familie mit der Bemerkung über die äußere Verwahrlosung des kleinen Ludwig.

»Was siehst du doch wieder so schmutzig aus,« schilt Cäcilia Fischer, »du sollst dich was proper halten!«

»Was liegt daran,« entgegnet Ludwig, »wenn ich einmal ein Herr werde, dann wird mir das keiner mehr ansehen.«

In diesem frühen Selbstbewußtsein liegt ein Echo des Vaters, der immer davon redet, daß sein Ludwig noch ein großer Mann werde, von dem man viel reden wird.

Trotzdem nimmt der Knabe gewissermaßen eine philosophische Stellung dazu ein, die für seine besinnliche Grundveranlagung recht bezeichnend ist. Ein verrückt gewordener Musiker namens Stommb geht in der Stadt herum, wortlos, eine Rolle Noten in der Hand, in der anderen einen Taktstock. Kommt er in der Rheinstraße Nr. 934 vorbei, dann pflegt er mit dem Stock auf einem Tisch im Hausflur den Takt nach Noten zu schlagen und nach oben auf Beethovens Wohnung zu weisen, ohne dabei ein Wort zu reden. Ludwig, der oft dazu lacht, sagt einmal: »Da kann man sehen, wie es den Musikern ergeht; dieser ist schon durch die Musik irre geworden. Wie mag es uns noch ergehen?«

Es liegt fast etwas Prophetisches in der altklugen Bemerkung.

Die häusliche Entbehrung und die Vernachlässigung des äußeren Menschen, die typisch ist für seine frühe Jugend wie für sein spätes Alter, sollte man dem vierzehnjährigen Organisten freilich nicht mehr ansehen, sobald er die Galatracht trug, die Fischer also beschreibt: »Seegrüner Frackrock, grüne kurze Hose mit Schnallen, weißseidene oder schwarzseidene Strümpfe, Schuhe mit schwarzem Schlöpp (Schleifen), weißseidene geblümte Weste mit Klapptaschen, die Weste mit echter goldener Kordel umsetzt, frisiert mit Locken und Haarzopf, Klapphut unterm linken Arm, seinen Degen an der linken Seite, mit einer silbernen Koppel.

Also angetan sitzt er bei den Hoffestlichkeiten im Orchester des prachtvollen Theatersaales oder bei den Tafelkonzerten des Kurfürsten, ganz im Stile des ancien regime, als noch die Pracht der Residenz unversehrt war.

Von der Salle de Gardes aus eröffnete sich im Schlosse eine unabsehbare Enfilade von Gemächern mit kostbaren Möbeln, Malereien, Stuckarbeiten, Muscheldekorationen, Gobelins und Fresken, eine Zimmerflucht, in der jeder Saal seine besondere Bestimmung, seine besondere Pracht und seine besondere Geschichte hatte, wie der Audienzsaal, das Wittelsbacherzimmer, die grüne Chambre de Parade in der Frontmitte mit dem kurfürstlichen Paradebett, das rote Kabinett mit erlesenen Stücken der Poppelsdorfer Porzellanfabrik, das Südturmzimmer, dessen Spiegel die Linie ins Unendliche fortzusetzen scheint, und wo sich ein neuer Flügel mit zahllosen Gemächern und Antichambres eröffnet, die Privaträume des prachtliebenden Wittelsbacher Kurfürsten Clemens August aus der Zeit um 1750 mit dem Rosenkabinett, das 43 Vögel aus Meißner Porzellan enthält, u. a. m. Ein Parallelgang zur alten Galerie führt an den Loggien der Schloßkirche vorbei und endlich zur Empore des Musiksaales, wo die Beethovens durch drei Geschlechter tätig waren, vom Großvater zum Vater und nun zum Sohn, dem kleinen »Spangol« (Spaniole), wie man den jungen Ludwig damals in dem höfischen Musikerkreis und im Hause wegen seiner braunen Hautfarbe nannte. Über seine äußere Erscheinung berichtet die Fischersche Chronik folgendes: »Kurz gedrungen, breit in der Schulter, kurz von Hals, dicker Kopf, runde Nase, schwarzbraune Gesichtsfarbe; er ging immer was vornübergebückt. Man nannte ihn im Hause ehemals noch als Jungen der ›Spangol‹.«

Das Porträt scheint ziemlich zutreffend; wir erkennen in diesen äußeren und den gelegentlichen inneren Zügen schon klar das Wesen Beethovens, wie es später in seinen berühmten Tagen überliefert wurde; alles Wesentliche des Charakters und der Erscheinung ist demnach im Kinde vorgebildet und damals schon klar zum Ausdruck gekommen.

*

So viel geht aus den Überlieferungen hervor, daß der Genius keineswegs eine glückliche Jugend hatte. Eine sonnige Knaben- und Jünglingszeit, die bis ins späte Alter hinein eine Quelle der Kraft ist, war ihm nicht zuteil geworden. Die sorglose, fröhliche Unbeschwertheit, die sonst das Vorrecht des Kindseins ist, hat er nicht gekannt. Mehr als die ärmliche Dürftigkeit in der Familie bedrückte ihn die rauhe Hand des Vaters, der häufige Zwist im Hause, das Unerfreuliche, dessen er Zeuge wurde. Wie oft mußte er mit seinen Brüdern den Vater aus dem Weinhause heimschmeicheln mit zärtlichem Zureden: »Papächen, o liebes Papächen!«, was auch meistens mit Erfolg gelang. Recht auffallend ist die große moralische Empfindlichkeit des Knaben, der unter dem allzu lustigen Betragen des Vaters litt und sich dessen schämte. In späteren Jahren, nach dem Tode der Mutter, passierte es, daß er nächtlicherweile den lärmend heimkehrenden Vater den Händen der Polizei entreißen mußte, die den bezechten Ruhestörer verhaften wollte. Die Folge dieses Ärgernisses war die vorzeitige Entlassung bzw. Pensionierung des Vaters. Mit elf Jahren schon Verdiener, hatte der junge Ludwig das Leben zunächst von der ernsten Seite kennengelernt. Das alles mochte den Grund zur frühen Verdüsterung des Gemüts, aber auch zu einer tiefernsten, ethisch gefestigten Lebensanschauung gelegt haben. Sein Hang zum Alleinsein, der so früh in die Erscheinung tritt, aber auch die Unbekümmertheit um seine äußere Erscheinung erklärt sich aus den Verhältnissen in der Familie. Die Mutter selbst war eine melancholische Frau, die sich durch ihre anstrengende Nadelarbeit ein Brustleiden zugezogen hatte, dem sie schließlich erlag. Die Sorge um die Beschaffung des Nötigsten ließ ihr allzuwenig Zeit, sich um die Kinder viel zu kümmern, die tagsüber zumeist sich selbst überlassen blieben. Die Fischersche Chronik enthält darüber eine vielsagende Stelle: »Viel den Mägden überlassen!« Auf sich selbst angewiesen, mußte der Knabe so werden, wie die Aufzeichnungen über ihn lauten: »Scheu, einsilbig und in sich gekehrt.« Gewiß liegt hierin auch eine Charakterveranlagung vor.

Allen Entbehrungen zum Trotz ist dennoch Jugend niemals ganz glücklos. Vom Speicher des Wohnhauses, wo ein großes und ein kleines Fernrohr aufgestellt war, konnte der Knabe stundenlang auf den Rhein und das Siebengebirge hinaussehen, denn wie es bei Fischer heißt: »Beethovens liebten den Rhein«. Das teure Heimatbild, das er lebenslang im Herzen trug, erfüllte die junge Seele mit freundlichen und zuweilen auch schaurigen Eindrücken. Siebenjährig, sah er den furchtbaren Schloßbrand, der einen ganzen Gebäudeflügel in Asche legte, und später erlebte er die große Überschwemmung, die die Rheingasse so unter Wasser setzte, daß man nur auf Leitern die Wohnung verlassen konnte. So schlugen schon in die Kindheit tragische Akkorde hinein, die Schrecken entfesselter Naturmächte; und was frühes Erlebnis war, die Naturlieblichkeit, die plötzlich ihr Gesicht tragisch verfinsterte und gewaltige Katastrophen entband, war später Seelenausdruck in der Musik.

Trotz der überwiegenden Freudlosigkeit des Heims gab es doch auch Zeiten der Fröhlichkeit und der Zufriedenheit. Besonders ein Tag war im Jahr, der im Zeichen glücklichen Familienlebens stand. Das war der Magdalenentag, an dem Namens- und Geburtstag der Mutter gefeiert wurde. Dabei tat sich auch der Vater hervor mit rührenden Beweisen, wenigstens dies eine Mal im Jahr. Die Zimmer wurden festlich geschmückt mit Lorbeerbäumen und Blumen, ein Baldachin wurde aufgeschlagen und ein Prunksessel darunter gesetzt; die Mutter ward als Königin des Hauses gefeiert. Dabei wurde musiziert, getafelt und getanzt, wozu die Nachbarschaft und die engeren Familienfreunde eingeladen waren. Es war, als sollte dieser Tag alle Entbehrungen des Jahres wettmachen und die Schleusen zurückgestauter Liebe öffnen. Aber ansonsten war von einem innigen Familienleben nicht viel zu verspüren.

Der junge Ludwig liebte die Mutter mit der scheuen Zärtlichkeit des Knaben, der vor allem ihr Leidensbild vor Augen hatte. Sich selbst überlassen, lebte er jedoch bereits zu sehr seine eigene Welt, und so wurde das Wesen spröde in einem Alter, wo das Kind sonst weich und bildsam seine natürliche Zuflucht bei der Mutter sucht. Das fehlte hier, und es war, als ob man sich der Gefühle voreinander schämte. Frau Einsamkeit war jene Mutter, in deren Schoß der Junge sein Haupt verbarg. Die äußere Dürftigkeit und die innere Vereinsamung erscheinen ein um so härteres Schicksal, als Beethoven, wie sich später zeigte, eine empfindsame, liebesuchende und gesellige Natur war, die unter den Entbehrungen in dieser Richtung am stärksten litt. Das ist mit die Wurzel seiner Tragik.

Die Vorsehung hat es mit ihm trotzdem gut gemeint und ihm im Freundeshaus der Hofrätin Breuning ein zweites Heim bereitet. Zum erstenmal in seinem jungen Dasein spürte er den wärmenden und belebenden Anhauch eines wahrhaft herzlichen und feinen Familienlebens. In dieser gebildeten Umgebung fühlte Ludwig seine Bildungsmängel in ihrem ganzen betrübenden Umfang; mit kundigem Blick hatte auch die verwitwete aristokratische Mutter Helene von Breuning rasch erkannt, woran es dem genialen Musikantenjungen gebrach, ihre mütterliche Teilnahme regte sich und lenkte fast unmerklich und feinfühlig sein unmanierliches und störrisches Wesen zum Besseren. Es war kein Leichtes, denn der junge Mann war bereits zu hartkantig geworden, zu verschlossen und unzugänglich, um sich bereitwillig den erziehlichen Einflüssen zu eröffnen; er war zugleich von Natur aus von einer übertriebenen Empfindlichkeit, und daraus flossen so viele Bitternisse seines Lebens. Auch in dem Verkehr mit dem Freundeshaus fehlte es nicht an Spannungen und Krisen. In solchen Fällen pflegte die Hofrätin in verzeihendem Verständnis zu sagen: »Er hat eben heute wieder seinen Raptus.« Weil er aber in seinem Trotz dennoch ein dankbares Gefühl für Menschengüte besaß, besann er sich immer bald wieder und nahm sich zusammen, auch was die Kleidung betrifft und so manchen anderen Schlendrian.

Der stärkste Magnet im Hause, der besänftigender als alle Erziehungsversuche der mütterlichen Hofrätin auf den ungebändigten Genius wirkte, war die Tochter Leonore, die seine Schülerin wurde. Innige Freundschaft verband ihn mit Leonore und den drei Söhnen der Hofrätin, besonders mit Stephan, dem Jüngsten, der ihm bis ans Lebensende in treuer Gesinnung anhing.

Aus der Freundschaft zu Leonore erwuchs alsbald eine scheue, uneingestandene, ideale Knabenliebe, die ihm für sein ganzes Leben ein Leitstern und eine Quelle wehmütig süßer Erinnerungen blieb. Bald war er in dem feingestimmten Kreise mehr zu Hause als im elterlichen Heim. Mit den Kindern wanderte er in die schöne Umgebung von Bonn hinaus, die er auf das genaueste kannte, denn er liebte das Schweifen und Wandern in der freien Natur, das ihm auch in späteren Jahren ein Lebensbedürfnis geblieben war. Man lustwandelte zwischen den Blumenparterres und Springbrunnen des Hofgartens und lenkte die Schritte durch die Alleen hinaus in die Baumschule, wo die kurfürstlichen Weingärten lagen, die Vinea Domini, auf den Kreuzberg hinauf oder nach Poppelsdorf zum Sommerschlößchen und zur Porzellanfabrik, und fuhr gelegentlich über den Rhein, an dessen jenseitigem Ufer der liebliche Kranz des Siebengebirges die Wanderer lockte.

Zur jungen Gesellschaft gehörte, als der Älteste im Kreise, der neunzehnjährige arme Medizinstudent Franz Gerhard Wegeler, Hauslehrer und Hofmeister bei den Breunings und stiller Verehrer Leonorens, die er später ehelichte. Auch mit dem um fünf Jahre älteren Wegeler war Ludwig in tiefer, wenn auch nicht immer ungetrübter Freundschaft verbunden. Die reiche Bildung des einen und die Geniegaben des anderen mochten das Geheimnis der seelischen Anziehung sein. Der geistig beschwingte Kreis war die richtige Pflanzstätte für den genialen Jüngling, der seine Bildungsmängel hier mühelos ergänzen konnte und fast spielend aufnahm, was er zu seiner persönlichen Vollendung brauchte. Hier fand er die Beziehungen zur Dichtkunst, die auch sein musikalisches Schaffen befruchtete. Matthissons Gedichte wurden gelesen, Klopstock ward neues Erlebnis und berührte Ludwig damals als ein Seelenverwandtes. Das Schillersche Ethos erfaßte ihn. Herder lag in der Luft, auch Kant, und wenngleich er sich sträubte, mit Wegeler Kantvorlesungen auf der neugegründeten Universität zu besuchen, die seinem künstlerischen Genius nicht gemäß waren, so wußte er doch bald um alles Wesentliche. Der später berühmt gewordene Satz vom gestirnten Himmel über uns und dem Sittengesetz in der Brust war etwas, das eigentlich schon im Grund seiner persönlichen Lebensphilosophie lag. Vor allem aber hatte er einen sicheren Geschmack in der Wahl der Lieder und der Dichtungen, die ihm jetzt so reichlich zuströmten. Es konnte nicht ausbleiben, daß er sich trotz seines ungeregelten Bildungsganges geistig und seelisch vollendete, denn ein begabter Mensch bleibt auf die Dauer kein ungebildeter Mensch. Indirekt kam es natürlich seiner Musik zugute.

Wenn er am Klavier saß, dann war er freilich der König dieser Gesellschaft, die darum von so großer Bewunderung und Liebe für ihn erfüllt war, daß sie gerne alle seine sonstigen Schwächen übersah. Denn es trat damals schon zutage, daß er kein bequemer Freund war. Der Verkehr mit den Breunings hatte aber auch eine entscheidende Bedeutung für sein weiteres Lebensgeschick.

*

Zu seinen Bewunderern in diesem Hause, das eines der privaten Zentren des Bonner Musiklebens war, gehörte der junge Graf Waldstein, der als Freund und Berater des neuen Kurfürsten mit diesem aus Österreich nach Bonn gekommen war. Selbst musikalisch hochbegabt und kompositorisch veranlagt, musizierte er viel bei den Breunings und zeichnete den jungen Genius ungeachtet aller sonstigen Unterschiede mit seiner Freundschaft aus. Er erkannte, daß zur weiteren künstlerischen Ausbildung Ludwigs etwas geschehen müsse, das Bonn dem Jüngling nicht geben konnte. Er verwendete sich darum bei dem Fürsten für Ludwig und erwirkte für ihn einen Studienaufenthalt in Wien, damit er bei Mozart, der im Zenit seines Ruhmes stand, Stunden nehmen könne. Kurfürst Maximilian Franz, der wie sein kaiserlicher Bruder Joseph II. Völkerbeglückungsideen huldigte und eine heilige Pflicht darin sah, »Toleranz in sanft beseligenden Geist der christlichen Duldung« zu üben und junge Talente zu fördern, erwies sich dem Plane zugänglich und gewährte dem Siebzehnjährigen zugleich mit dem Urlaub auch die Mittel für einen einjährigen Studienaufenthalt in Wien.

Mit Empfehlungsbriefen Waldsteins an seine Tante, Gräfin Wilhelmine Thun, die Gönnerin Mozarts, trat Beethoven in der Karwoche 1787 seine Reise an. Die Kaiserstadt Wien, als die musikalische Seele Europas, sollte sich dem Neuling auftun; die persönliche Berührung mit den Größten der Kunst sollte ihm neuere, höhere Ziele weisen. Aber es ist seltsam, daß sich die Überlieferung so gründlich ausschweigt über die Eindrücke dieser ersten Wiener Reise. Es ist geradeso, als ob er damals noch unempfänglich gewesen wäre für die neue, ungleich größere Welt, die sich ihm nun erschlossen hatte. Die prachtvollen Gärten, die kunstreichen Paläste, das Theater, der heitere, vornehm große Zug des Lebens, die strahlenden Musikfeste, von denen alle Welt sprach, die eifrige Musikpflege, darin der Hof selbst, Kaiser Joseph, der hohe Adel, das gebildete Bürgertum ein persönliches, weithin sichtbares Beispiel gaben, über all dieses vernimmt man bei Beethoven kein Wort. Es ist allerdings richtig, daß er nicht sehr mitteilsam ist; immerhin aber sollte man meinen, daß so außergewöhnliche Dinge doch zur Äußerung drängen.

Die Wahrheit ist, daß ihm die Fremde noch zu fremd war, um sich von ihr ein zutreffendes Bild zu machen. Er sieht noch zu sehr mit bonnischen Augen, vor allem aber sieht er nur sein inneres Ziel, und das macht ihn unempfänglich für alles übrige. Nur zwei Eindrücke prägen sich fest und unverlöschlich ein, daneben alles andere versinkt: Joseph II., den er bei der Gräfin Thun gesehen hat, und dem er vielleicht vorgestellt worden ist, und Mozart, den er alsbald in seiner bescheidenen Behausung am Bauernmarkt aufsucht.

Der ausgeprägte Sinn für Persönlichkeit, der so charakteristisch für Ludwig ist, erklärt alles. Auch künstlerisch. Es kommt einige Jahre später in seiner Trauerkantate von 1790 auf den Tod Josephs II. zum Ausdruck, die bereits ein Sprung zur selbständigen Geniereife ist und den mächtigen persönlichen Eindruck der kaiserlichen Erscheinung zum inneren Beweggrund hat, die seine schöpferische Kraft befruchtet.

Anders verhält es sich mit Mozart. Bei aller Verehrung und Bewunderung für den großen Meister kann er sich in dessen Art nicht hineinfinden. Er ist selbst schon zu meisterlich, um Schüler eines Vollendeten zu sein, von dem seine Art der Begabung zu verschieden war. Mozart war ein Höhepunkt und ein Abschluß, der singende Schwan der absterbenden Barockzeit; Beethoven gehörte einer neuen kommenden Zeit an.

Schon die erste Begegnung stand unter keinem günstigen Stern. Mozart ließ sich von dem vielversprechenden Jüngling etwas vorspielen, hielt es aber für ein eingelerntes Paradestück. Ludwig merkte das und geriet in Wallung. Er bat um ein Thema zu einer freien Phantasie: sie sollten nun seine Löwenklaue kennenlernen! Die Aufmerksamkeit und Spannung wuchs; sachte ging Mozart auf die im Nebenzimmer sitzenden Freunde zu, unter denen sich auch die Gräfin Thun befand, und bedeutete ihnen mit lebhaft zustimmender Miene: »Auf den gebt acht, der wird in der Welt von sich reden machen.«

Das mag Erfindung sein, aber es charakterisiert dennoch trefflich die Lage. Dem jungen Genius hinwieder gefiel das perlende Spiel Mozarts keineswegs. Er fand es abgehackt. Denn es entsprach durchaus nicht Ludwigs persönlicher Art des Klavierspiels, dessen Stärke und Schönheit im Legato bestand, eine völlige Neuheit, die mit der verbesserten Klaviertechnik zusammenhing und Beethoven zum Urheber und vielbewunderten Meister hat. Das Klavier war ja sein ureigenstes Instrument, das Organ seiner intimsten Seelenaussprache, darin ihm die stärksten Triumphe beschieden waren, und das besonders im freien Phantasieren. Hier klaffte also ein Gegensatz und ein Widerspruch: es war der Widerspruch der Zeiten und der Genien.

Zu einigen Unterrichtsversuchen ist es dennoch gekommen, wenn auch darin immer wieder eine Stockung eintrat. Im Mai starb Mozarts Vater Leopold, das brachte die erste größere Hemmung und Unterbrechung. Ende Juni erreichte Ludwig die Nachricht, daß seine Mutter auf dem Sterbebett läge. Über Hals und Kopf rüstete er zur Abreise; der Wiener Aufenthalt fand ein plötzliches Ende, noch ehe er seine Segnungen verspürte.

*

Die Heimreise ging über Augsburg, wo halb unfreiwillig Station gemacht wurde; das Reisegeld war zu Ende. Im Hause des Klavierfabrikanten Stein ist der kurfürstlich kölnische Hofmusiker ein willkommener Gast. Die Tochter Nanette treibt zimperliche Hausmusik – Mozart hat sich schon über sie lustig gemacht –, aber sie ist lerneifrig und darum sehr um Beethoven bemüht. Sie ist später Gattin des Klavierfabrikanten Andreas Streicher in Wien, des Jugendfreundes Schillers, geworden und hat nachmals eine gewisse Rolle im Leben Beethovens als Schutzgeist des alternden Genius gespielt. Im Hause Steins lernt Ludwig den musikfreundlichen Advokaten Doktor Schaden kennen, der sich des gestrandeten Meisterleins annimmt und ihm mit drei »Karolinen« auf die Beine hilft.

Endlich, anfangs Juli, trifft Beethoven in seiner Vaterstadt Bonn ein und findet die Mutter noch am Leben; aber schon nach vierzehn Tagen wird sie zu Grabe getragen. Das Elend im Hause ist groß. Eine Bittschrift des Vaters an den Kurfürsten, der gehorsamst vorstellt: »daß er durch die langwierige und anhaltende Krankheit seiner Frau in sehr mißliche Umstände geraten und bereits genötigt worden sei, seine Effekten teils zu verkaufen, teils zu versetzen«, schildert die Lage in nicht übertriebener Weise. Sie ist um so schlimmer, als der trunksüchtige Mann, der nun jeden Halt verliert, mehr denn je Trost in den Weinstuben sucht und schließlich, infolge der nächtlichen Straßenskandale, in den Ruhestand geschickt wird. Dem Sohn wird die Hälfte der väterlichen Pension zugelegt, damit er seine beiden Brüder »kleiden, nähren und unterrichten lassen, auch die vom Vater rührenden Schulden tilgen solle«. So ist der siebzehnjährige Ludwig Familienoberhaupt; auf seinen Schultern ruhen alle Sorgen und Lasten eines zerrütteten Haushaltes und die Erziehungspflichten den beiden Brüdern gegenüber, nicht zuletzt aber die peinliche Notwendigkeit, den Vater zu überwachen und ihn, wenn auch in der schonendsten Weise, gewissermaßen zu bevormunden. Mit Abscheu und Entsetzen muß er alsbald gewahr werden, daß der Vater auch das Erziehungsgeld für die Söhne widerrechtlich an sich genommen und vertan hat. Als Vater Johann 1792 das Zeitliche segnete, tat der Kurfürst über den Entgleisten die charakteristische Bemerkung, »daß die Getränkakzise der eigentliche Leidtragende sei«.

Für den jungen Meister war eine Zeit der tiefsten Niedergeschlagenheit gekommen. In einem Brief an Dr. Schaden, datiert vom 15. September 1787, schüttet er sein Herz aus; es bedrückt ihn, daß er das entlehnte Geld noch nicht zurückzahlen konnte, und er bittet um Geduld wegen der drei »Karolinen«; er klagt über körperliche und seelische Not, über »Engbrüstigkeit« und fürchtet, daß er das Übel der Mutter geerbt habe, dem auch die Großmutter väterlicherseits erlegen war. Die dunklen Schatten der Melancholie, die eigentlich nie ganz von ihm wich, verdüstern besonders in jener Zeit sein Gemüt; er findet »daß das Schicksal in Bonn ihm nicht günstig sei«. Mit schmerzlicher Klarheit kommt es ihm zum Bewußtsein, wieviel er an der Mutter, dieser »stillen, leidenden Frau«, die der sanft sorgende Genius des Hauses war, verloren hat. Der Brief an Schaden liefert ein getreues Bild seiner damaligen Lage:

»Ich traf meine Mutter noch an, aber in den elendesten Gesundheitsumständen; sie hatte die Schwindsucht und starb endlich, ungefähr vor sieben Wochen, nach vielen überstandenen Schmerzen und Leiden. Sie war mir eine so gute liebenswürdige Mutter, meine beste Freundin; oh! wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen Namen Mutter aussprechen konnte, und er wurde gehört, und wem kann ich ihn jetzt sagen? Den stummen, ihr ähnlichen Bildern, die mir meine Einbildungskraft zusammensetzt? Solange ich hier bin, habe ich noch wenige vergnügte Stunden genossen; die ganze Zeit hindurch bin ich mit der Engbrüstigkeit behaftet gewesen, und ich muß fürchten, daß gar eine Schwindsucht daraus entstehet; dazu kömmt noch Melancholie, welche für mich ein fast ebenso großes Übel als meine Krankheit selbst ist. Denken Sie sich jetzt in meine Lage, und ich hoffe Vergebung für mein langes Stillschweigen von Ihnen zu erhalten. Die außerordentliche Güte und Freundschaft, die Sie hatten, mir in Augsburg drei Karolinen zu leihen, muß ich Sie bitten, noch einige Nachsicht mit mir zu haben; meine Reise hat mich viel gekostet, und ich habe hier keinen Ersatz, auch den geringsten, zu hoffen; das Schicksal hier in Bonn ist mir nicht günstig.«

In diesem Zustand der Verwaisung schließt er sich inniger als je an die Familie Breuning an. Das Dreigestirn der Kunst, der Freundschaft und Liebe senkt manchen tröstenden Strahl in sein betrübtes Herz. Graf Waldstein hat ihn in verschiedenen Adelshäusern eingeführt, sein Schülerkreis hat sich bedeutend vergrößert. Zu diesem gehörte das schöne Fräulein Wilhelmine von Westerholt, die Tochter des Oberstallmeisters, der eine eigene Hauskapelle unterhielt und selbst das Fagott blies. Eine Zeitlang war Ludwig in wahrer »Werther-Liebe« zu ihr entbrannt. »Werther« war Zeitstimmung; Neigungen und Verliebtheiten jugendlicher Übergangszeit stilisierten sich gerne in diesem Spiegel. Auch Jeannette d'Horvath, die Freundin Leonorens, und nachher Babette Koch, die schöne Wirtstochter vom »Zehrgarten«, später mit dem Grafen Belderbusch vermählt, waren vorübergehend Gegenstand unschuldiger Jugendschwärmerei, die wenigstens den Wert hatte, daß sie sein Schaffen anregte und befruchtete.

Größere Bedeutung hatten Kunstreisen mit der Hofkapelle nach Mergentheim, dem Sitz des deutschen Ritterordens, wo sein Spiel vor einem erlesenen Kreis von Kunstfreunden Aufsehen und Bewunderung erregte, sowie die Begegnung mit dem Wiener Altmeister Joseph Haydn, der auf der Rückreise aus London, 1792, Gast des Kurfürsten in Bonn ist. Ludwig legt ihm seine »Josephskantate« vor, und Haydn, der nun nach Mozarts Tod Alleinherrscher im Reiche der Musik ist, unbestrittene Weltautorität, gibt dem Jüngling den Rat, seine Studien in Wien fortzusetzen.

Ein Schüler Haydns zu werden, das ist freilich höchste Gunst. Wieder legt sich Waldstein ins Mittel. Der Kurfürst ist bald gewonnen, das günstige Urteil Haydns hat ihn überrascht. Vier Monate später, im November, soll Ludwig reisen. Der Urlaub ist unbegrenzt, Maximilian Franz übernimmt die Kosten der Ausbildung und bestimmt, daß ihm das Gehalt fortlaufend ausgezahlt werde.

Zum zweitenmal wendet der junge Meister, begleitet von den Segenswünschen der Freunde, der Heimat den Rücken, um nie wiederzukehren. Schön ist der Spruch, den ihm Graf Waldstein mitgibt:

»Mozarts Genius trauert noch und beweint den Tod seines Zöglings. Bei dem unerschöpflichen Haydn fand er Zuflucht, aber keine Beschäftigung; durch ihn wünscht er noch einmal mit jemand vereinigt zu werden. Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie Mozarts Geist aus Haydns Händen.«

In dem Stammbuch, das ihm die Freunde zum Andenken verehren, hat sich auch Eleonore als »wahre Freundin« mit drei Verszeilen von Herder eingeschrieben. Ein böses Zerwürfnis mit ihr, daran das aufbrausende Temperament des Meisters schuld war, hat die Stunde des Abschieds verbittert. Das gibt einen schmerzlichen Nachklang.

Schlimme Zeichen stehen auf, als er zum letztenmal über den Rhein fährt; feindliche Truppen ziehen durch das Land. Der Postillion jagt wie der Teufel mitten durch die kriegerische Gefahr; ein gutes Trinkgeld und die Androhung, von Ludwig und seinem Reisegefährten Prügel zu bekommen, beschleunigen das Tempo. Mit knapper Not kommen sie durch.

In Bonn hatte man bei seiner Abreise noch keine Ahnung, wie nahe das Ende bevorstand. Französische Revolutionsheere ziehen den Rhein abwärts. Sie bilden das Vorspiel zu dem rheinischen Drama. Schon einen Monat später mußte der Kurfürst aus der Residenz fliehen. Nach einem Vierteljahr kehrte er allerdings wieder zurück, das gewohnte Leben nahm seinen Fortgang. Es dauert nur noch einundeinhalb Jahre. Am 3. Oktober 1794 befand sich Maximilian Franz auf der Flucht nach Wien; der glanzvolle Bonner Hof, das kurkölnische Fürstentum ist nicht mehr; die französische Invasion hat die alte Herrlichkeit weggeschwemmt.

Infolgedessen hörten auch die Zahlungen auf; der junge Beethoven stand in Wien mittellos da und mußte zusehen, wie er sich aus eigener Kraft durchringe. Die erste Zeit des Werdens, die Jugend, lag hinter ihm und war versunken; es gab kein Zurück mehr, es gab nur ein Vorwärts und Aufwärts.

Beethoven, etwa 16jährig


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