Lukian
Hetärengespräche
Lukian

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Chelidonion und Drose

Chelidonion: Kommt denn der junge Klinias nicht mehr zu dir, liebe Drose? Es ist schon so lange, daß ich ihn nicht mehr bei euch gesehen habe.

Drose: Nicht mehr, liebe Chelidonion. Sein Lehrer hat es ihm verboten.

Chelidonion: Und wer ist denn der? Doch nicht der Fechtmeister Diotimus? Denn der ist einer meiner guten Freunde.

Drose: Nein, der verdammte Philosoph Aristänetus ist's.

Chelidonion: Wie? Der finstere, übelgekämmte, bockbärtige Kerl, der immer mit den jungen Herren in der Pöcile auf und ab spaziert?

Drose: Dieser nämliche Windmacher. Oh, daß ich ihn doch an seinem eignen langen Bart aufgehangen am Galgen verdorren sehen möchte!

Chelidonion: Aber was ficht den Menschen an, daß er dem Klinias solche Dinge in den Kopf setzt?

Drose: Das weiß ich nicht; aber dies weiß ich, daß Klinias, dessen erste Liebe ich war und der vom ersten Tage an, da er sich zu mir hielt, nicht eine einzige Nacht ausgeblieben ist, in diesen verwichenen drei ganzen Tagen sogar unsere Gasse ausgewichen hat. Ich weiß selbst nicht, wie mir dabei zumute wurde; genug, es machte mich unruhig, und da schickte ich meine Nebris, daß sie sich auf dem großen Platze oder in der Stoa nach ihm umsehen sollte. Diese sagt, sie habe ihn mit dem Aristänetus auf und ab gehen sehen; sie habe ihm von ferne zugewinkt; er sei darüber rot geworden und habe auf den Boden gesehen, aber von dem an die Augen nicht wieder aufgeschlagen. Da er sie nun, wiewohl sie ihm bis in die doppelte Pforte nachging, nicht wieder ansehen wollte, kam sie zurück, ohne mir etwas Zuverlässiges berichten zu können. Du kannst leicht denken, wie übel ich seitdem meine Zeit zugebracht, da ich unmöglich erraten konnte, was dem jungen Menschen fehle. Hab' ich ihm denn irgend was zuleide getan, sagte ich; oder liebt er eine andere? Oder hat ihm sein Vater mein Haus verboten? Indem mir eine Menge solcher Gedanken durch den Kopf liefen, kam sein Dromo abends spät und brachte mir diesen Brief von ihm. Lies ihn selbst, Chelidonion! Du hast doch wohl lesen gelerntAllem Ansehen nach hatte es die gute Drose selbst nicht gelernt, wiewohl sie ihre blinde Seite so ziemlich zu verbergen weiß..

Chelidonion: Laß sehen! Die Handschrift ist nicht sehr leserlich; die Buchstaben schlingen sich ineinander und verraten die Eilfertigkeit des Schreibers. (Sie liest:) »Wie sehr ich dich geliebt habe, meine Drose, darüber rufe ich die Götter zu Zeugen an –«

Drose: (weint) Hi! Hi! Der Unglückliche schreibt mir nicht mal einen GrußMit diesem einzigen Zug steht die ganze Drose vor uns da!!

Chelidonion: (fortlesend) »– und auch jetzt lass' ich nicht aus Haß, sondern aus Notwendigkeit von dir. Mein Vater hat mich dem Aristänet übergeben, um der Philosophie mit ihm obzuliegen. Dieser hat alles, was zwischen uns vorgegangen, ausgekundschaftet und mich sehr stark deswegen ausgescholten. Er sagt, es sei meiner, als eines Sohnes des Architeles und der ErasikleaD. i. sehr vornehmer Leute, wie sich schon aus den vornehm klingenden Namen bei den Griechen schließen ließ., unwürdig, mit einem Mädchen von deiner Profession Umgang zu haben, und es sei viel besser, die Tugend der Wollust vorzuziehen –.«

Drose: Mög' er nie des Lebens froh werden, der alte Narr, der einen jungen Menschen solche Dinge lehrtEin zweiter Charakterzug, der den ersten vollendet. !

Chelidonion: (liest fort) »Ich bin also genötigt, ihm Folge zu leisten. Denn er geht mir auf allen Tritten und Schritten nach und hütet mich aufs schärfste, so daß ich außer ihn selbst keinen Menschen nur ansehen darf. Wenn ich mich recht vernünftig aufführe, sagt er, und ihm in allem folge, so verspricht er mir, ich werde höchst glücklich sein und ein tugendhafter Mann werden; nur müsse ich mich schlechterdings durch Arbeit und Enthaltsamkeit dazu geschickt machen. Dies ist alles, was ich dir schreiben kann, da ich es nur verstohlenerweise tun muß. Und so lebe dann wohl und sei glücklich und denke zuweilen an Klinias!«

Drose: Was sagst du zu dieser sauberen Epistel, Chelidonion?

Chelidonion: Alles übrige klingt wie scythisch; aber das »denke zuweilen an Klinias« führt ein wenig Hoffnung bei sich.

Drose: So kam es mir auch vor; aber indessen sterbe ich vor Liebe. Nun sagt mir Dromo: Der Aristänet sei ein Päderast und brauche die Wissenschaften nur zum Vorwand, um die schönsten jungen Leute an sich zu ziehen. Er rede viel und oft insgeheim mit Klinias und mache ihm große Versprechungen, als ob er ihn den Göttern gleichmachen wolle; auch lese er ihm gewisse erotische Dialoge der alten Philosophen mit ihren Schülern vor und sei, mit einem Wort, immer um den jungen Menschen herum. Er drohte auch der Dromo, daß er es dem Vater seines jungen Herrn sagen wolle.

Chelidonion: Du hättest dem Kerl die Kehle tüchtig schmieren sollen!

Drose: Das hab' ich auch getan; er ist aber ohnehin mein, denn der Mund wässert ihm gewaltig nach meiner Nebris.

Chelidonion: Wenn das ist, so sei guten Mutes, es wird alles nach Wunsch gehen. Ich denke, ich will auch an eine Mauer im Ceramikus, wo Architeles zu spazieren pflegt, mit großen Buchstaben schreiben: Aristänet verführt den Klinias – damit ich dadurch die Anklage des Dromo unterstützen helfe.

Drose: Aber wie willst du das schreiben, daß dich niemand gewahr wird?

Chelidonion: Bei Nacht, Drose, und mit einer Kohle.

Drose: Glück zu! Wenn du mir kämpfen hilfst, so hoffe ich noch wohl, über den windigen Aristänet Meister zu werden.


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