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Höret nun, wie Hiawatha
      
 Fleht und fastete im Forste,
      
 Nicht um mehr Geschick im Jagen,
      
 Nicht um größre Kunst im Fischen,
      
 Nicht um Siege, nicht um Skalpe,
      
 Noch um Ansehn bei den Kriegern, –
      
 Nein, zum Besten nur der Menschen,
      
 Für die Wohlfahrt nur der Völker.
Baut' er erst ein Haus zum Fasten,
      
 Einen Wigwam sich im Forste;
      
 Bei dem blanken Groß-See-Wasser,
      
 In der lust'gen schönen Lenzzeit,
      
 In dem Blättermonde baut er's;
      
 Fastete, versenkt in Träume,
      
 Sieben Tage, sieben Nächte.
Wanderte am ersten Tage
      
 Seines Fastens durch den Wald er;
      
 Sah den Hirsch durchs Dickicht brechen,
      
 Sah zum Bau fliehn das Kaninchen,
      
 Hörte trommeln den Fasanen,
      
 Trommeln den Fasanen, Bena,
      
 Sah das Eichhorn, Adjidaumo,
      
 Rasselnd zählen seine Eicheln. 
      
Sah die Taube, die Omeme,
      
 Baun ihr Nest auf hoher Fichte,
      
 Und die Wildgans, Wawa, zugweis
      
 Fliegen in das Moorland nordwärts,
      
 Schwirrend, klagend hoch in Lüften.
      
 »Herr des Lebens!« rief er zagend,
      
 »Muß denn unser Leben, muß es
      
 Hangen ab von diesen Dingen?«
Wanderte am andern Tage
      
 Seines Fastens er am Flusse,
      
 Durch die Muskoday, die Wiese;
      
 Sah den Wildreis, Mahnomonee,
      
 Sah die Heidelbeer, Meenahga,
      
 Und die Erdbeer auch, Odahmin,
      
 Und die Stachelbeer, Shahbomin,
      
 Und den Traubenwein, Bemahgut,
      
 Kletternd um die Erlenzweige,
      
 Füllend rings die Luft mit Wohlduft.
      
 »Herr des Lebens!« rief er zagend,
      
 »Muß denn unser Leben, muß es
      
 Hangen ab von diesen Dingen?«
Und am dritten Fasttag saß er
      
 Hin am See, tief in Gedanken,
      
 An dem stillen, klaren Wasser;
      
 Sah den Haufen, Nahma, springen,
      
 Tropfen sprüh'nd wie Wampumperlen,
      
 Sah den gelben Barsch, den Sahwa,
      
 Wie 'nen Sonnenstrahl im Wasser,
      
 Sah den Hecht, den Maskenozha,
      
 Und den Hering, Okahahwis,
      
 Und den Shawgashee, den Krebs auch!
      
 »Herr des Lebens!« rief er zagend,
      
 »Muß denn unser Leben, muß es
      
 Hangen ab von diesen Dingen?« 
      
Und am vierten Tage lag er
      
 Kraftlos da in seiner Hütte,
      
 Auf von seinem Blätterlager
      
 Starrend mit halboffnen Lidern,
      
 (Voll von Träumen, schattenhaften),
      
 Auf die dreh'nde, schwimmende Landschaft,
      
 Auf den blanken Glanz des Wassers,
      
 Auf die Glut des Sonnenhingangs.
Und er sah 'nen Jüngling nahen.
      
 Tragend grün und gelbe Kleider,
      
 Kommend durch das Purpurzwielicht,
      
 Durch die Glut des Sonnenhingangs,
      
 Grüne Federn auf der Stirne,
      
 Und sein Haar war weich und golden.
Stehend da im offnen Türweg,
      
 Lang auf Hiawatha blickt' er,
      
 Blickte mitleidsvoll auf seine
      
 Bleichen, abgezehrten Züge,
      
 Und in Tönen wie des Südwinds
      
 Seufzen in den Baumeswipfeln,
      
 Sagt' er: »O mein Hiawatha!
      
 All dein Flehn vernimmt der Himmel,
      
 Denn du flehst nicht wie die andern,
      
 Nicht um mehr Geschick im Jagen,
      
 Nicht um größre Kunst im Fischen,
      
 Nicht um Siege, nicht um Skalpe,
      
 Noch um Ansehn bei den Kriegern, –
      
 Nein, zum Besten nur der Menschen,
      
 Für die Wohlfahrt nur der Völker.
»Ich, gesandt vom Herrn des Lebens,
      
 Ich, des Menschen Freund, Mondamin,
      
 Komme, warnend dich zu lehren,
      
 Wie durch Kampf und wie durch Arbeit
      
 Du gewinnst, was du erflehtest! 
      
 Auf von deinem Blätterlager!
      
 Jüngling, auf! und ringe mit mir!«
Matt von Hunger, auf von seinem
      
 Reisigbett fuhr Hiawatha;
      
 Aus dem Zwielicht seines Wigwams
      
 In des Sonnenunterganges
      
 Prächt'ge Gluten trat hervor er.
      
 Trat und rang er mit Mondamin;
      
 Fühlte, wie er ihn berührte,
      
 Neuen Mut sein Herz durchpochen.
      
 Neues Leben, neue Hoffnung,
      
 Neue Kraft durchströmen fühlt' er
      
 Jeden Nerv und jede Fiber.
Also rangen sie zusammen
      
 In der Glut der sinkenden Sonne,
      
 Und mit jedem neuen Gange
      
 Stärker ward mein Hiawatha;
      
 Bis die Dunkelheit hereinbrach
      
 Und der Reiher, der Shuh-shuh-gah,
      
 Schrill aus seinem Nest im Moorland,
      
 Ruf der Klage ließ erschallen,
      
 Schrei des Schmerzes und des Hungers.
      
 »'s ist genug!« sprach da Mondamin,
      
 Lächelnd schau'nd auf Hiawatha,
      
 »Aber morgen, sinkt die Sonne,
      
 Komm' ich wieder, dich zu prüfen!«
      
 Und mit diesem Wort verschwand er,
      
 Schwand und ward nicht mehr gesehen:
      
 Ob nun sinkend, wie der Regen,
      
 Ob nun steigend, wie der Nebel,
      
 Dies nicht wußte Hiawatha,
      
 Sah nur, daß er war verschwunden,
      
 Daß er einsam ihn zurückließ,
      
 Einsam und der Ohnmacht nahe, 
      
 Unter sich den See voll Nebel,
      
 Über sich die dreh'nden Sterne.
Andern Tages, als die Sonne,
      
 Niedersinkend durch den Himmel,
      
 Wie 'ne rote heiße Kohle
      
 Von dem Herd des großen Geistes,
      
 In des Westens Wasser zischte.
      
 Wiederkam zum Kampf Mondamin,
      
 Kam zum Streit mit Hiawatha:
      
 Kam so leise, wie der Tau kommt,
      
 Der aus leerer Luft herabsinkt.
      
 Der in leere Luft zurückkehrt,
      
 Der Gestalt annimmt, sobald er
      
 Hinfällt und berührt die Erde,
      
 Doch unsichtbar ist den Menschen,
      
 So im Kommen wie im Gehen.
Dreimal rangen sie zusammen
      
 In der Glut des Sonnenhingangs,
      
 Bis die Dunkelheit hereinbrach,
      
 Bis der Reiher, der Shuh-shuh-gah,
      
 Schrill aus seinem Nest im Moorland
      
 Ruf des Hungers ließ ertönen,
      
 Und Mondamin lauschend stillstand.
Hoch und schön und herrlich stand er,
      
 Schön im grün und gelben Kleide;
      
 Auf und ab mit seinem Atem
      
 Flogen seiner Stirne Federn,
      
 Und der Schweiß des heißen Wettkampfs
      
 Stand wie Tropfen Taues auf ihm.
Und er rief: »O Hiawatha,
      
 Brav hast du mit mir gerungen,
      
 Dreimal stark mit mir gerungen!
      
 Der uns sieht, der Herr des Lebens,
      
 Würdigen wird er dich des Sieges!« 
      
Lächelte sodann und sprach er:
      
 »Morgen ist der letzte Tag nun
      
 Deines Ringens, deines Fastens.
      
 Siegen wirst du, wirst mich zwingen:
      
 Mach' ein Bett mir, drin zu liegen.
      
 Wo der Regen auf mich falle.
      
 Wo die Sonne mich erwärme;
      
 Abstreif' dieses grün und gelbe
      
 Kleid mir, diese weh'nden Federn;
      
 Leg' mich in die Erde, laß sie
      
 Leicht und locker mich bedecken!
»Keine Hand laß meinen Schlummer
      
 Stören; Wurm und Unkraut wehre;
      
 Laß nicht Kahgahgee, den Raben,
      
 Mich besuchen und mich schäd'gen;
      
 Du nur komme, mich zu hüten.
      
 Bis von selber ich erwache.
      
 Bis, mich regend und mich reckend.
      
 In den Sonnenschein ich springe!«
Solchermaßen sprechend, schied er;
      
 Friedevoll schlief Hiawatha;
      
 Zwar die Wawonaissa hört' er,
      
 Hörte Whippoorwillens Klage
      
 Hoch auf seines Wigwams Giebel;
      
 Hörte rauschende Sebowisha,
      
 Nahebei die Waldbachquelle,
      
 Redend zu dem dunkeln Forste;
      
 Hörte das Gestöhn der Zweige,
      
 Wie, vom Wind der Nacht durchstrichen,
      
 Sie sich senkten und sich hoben;
      
 Hörte sie, wie man im Schlaf hört
      
 Fernes Murmeln, Traumgeflüster:
      
 Friedevoll schlief Hiawatha.
Kam am Morgen die Nokomis, 
      
 Kam am siebten Tag des Fastens,
      
 Brachte Nahrung, brachte Speise,
      
 Kam und flehte, kam und klagte,
      
 Fürchtete, daß er dem Hunger,
      
 Daß dem Fasten er erliege.
Doch er nahm nicht, und er aß nicht,
      
 Sagte nur zu ihr: »Nokomis,
      
 Warte bis sich senkt die Sonne,
      
 Bis die Dunkelheit hereinbricht,
      
 Bis der Reiher, der Shuh-shuh-gah,
      
 Rufend aus den öden Sümpfen,
      
 Ansagt, daß der Tag geendet.«
Heimwärts weinend ging Nokomis,
      
 Trüb um ihren Hiawatha,
      
 Fürchtend sehr, daß seine Stärke
      
 Seinem Fasten noch erliege.
      
 Er indes sah müde wartend
      
 Auf das Kommen des Mondamin,
      
 Bis die Schatten, weisend ostwärts,
      
 Über Feld und Forst sich reckten,
      
 Bis die Sonne fiel vom Himmel,
      
 Fließend auf den Wassern westwärts,
      
 Wie ein rotes Blatt im Herbste
      
 Fällt und hinfließt auf dem Wasser,
      
 Fällt und sinkt in seinen Busen.
Und sieh' da! der Knab Mondamin,
      
 Mit den weichen, scheinenden Locken,
      
 Mit den grün und gelben Kleidern,
      
 Mit den Federn lang und glänzend,
      
 Stand und winkt' ihm in der Pforte.
      
 Und wie einer, der im Schlaf geht,
      
 Bleich und hager, aber furchtlos,
      
 Aus dem Wigwam kam und kämpfte
      
 Mit Mondamin Hiawatha. 
      
Drehte sich um ihn die Landschaft,
      
 Tanzte mit dem Forst der Himmel,
      
 Und sein starkes Herz sprang in ihm,
      
 Wie der Haufen springt und tobt im
      
 Netz, zu brechen durch die Maschen.
      
 Wie ein Feuerring rund um ihn
      
 Glüht' und flammte der Gesichtskreis;
      
 Hundert Sonnen, schien es, blickten
      
 Nieder auf den Kampf der Ringer.
Plötzlich auf dem grünen Rasen
      
 Ganz allein stand Hiawatha,
      
 Keuchend von der wilden Arbeit,
      
 Zitternd von dem heißen Wettstreit;
      
 Sieh', und leblos, ohne Atem
      
 Vor ihm lag der schöne Jüngling;
      
 Lag, zerzaust die langen Haare,
      
 Federn und Gewand zerrissen.
      
 Tot im Sonnenuntergänge.
Und der Sieger Hiawatha
      
 Grub sein Grab, wie er's geboten:
      
 Ab die Kleider von Mondamin
      
 Streift' er, die zerriss'nen Federn;
      
 Legt' ihn in die Erde, ließ sie
      
 Leicht und locker ihn bedecken;
      
 Und der Reiher, der Shuh-shuh-gah,
      
 Her aus traurigödem Moorland
      
 Sandte schrill angstvollen Wehruf,
      
 Ruf der Klage, Ruf des Schmerzes!
Heimwärts dann ging Hiawatha,
      
 Zu der Hütte der Nokomis,
      
 So vollendend und erfüllend
      
 Seines Fastens sieben Tage.
      
 Doch der Ort ward nicht vergessen,
      
 Wo er kämpfte mit Mondamin; 
      
 Noch verabsäumt ward das Grab auch,
      
 Jenes, drin Mondamin ruhte,
      
 Schlafend da in Sonn' und Regen,
      
 Wo sein Kleid und seine Federn,
      
 Die zerriss'nen, die verstreuten,
      
 Bleicheten in Sonn' und Regen.
Tag für Tag ging Hiawatha,
      
 Sein zu warten, sein zu hüten;
      
 Hielt den schwarzen Boden locker,
      
 Hielt ihn rein von Kraut und Käfern,
      
 Trieb hinweg, mit lautem Hohnruf,
      
 Kahgahgee, der Naben König.
Bis zuletzt ein kleines grünes
      
 Federchen langsam emporschoß
      
 Aus der Erde, dann ein zweites,
      
 Wieder dann und wieder eines,
      
 Und zuletzt, vor Sommers Ende,
      
 Schön der Mais und herrlich dastand.
      
 Ganz in seinem glänzenden Kleide,
      
 Ganz in weichen, gelben Locken,
      
 Und entzückt mein Hiawatha
      
 Ausrief: »Ja, es ist Mondamin!
      
 Ja, des Menschen Freund, Mondamin!«
Holt' er flugs sich die Nokomis,
      
 Auch Jagoo sich, den Prahler,
      
 Zeigte beiden, wo der Mais wuchs.
      
 Sprach von seinem Waldgesichte,
      
 Seinem Ringen, seinem Siege,
      
 Sprach von dieser neuen Gabe,
      
 Die von nun an und für immer
      
 Nahrung sei der Erde Völkern.
Und noch später, als der Herbstwind
      
 Gelb die langen Blätter färbte,
      
 Und die weichen saftigen Körner 
      
 Hart und gelb wie Wampum wurden,
      
 Tat er ein die reifen Ähren,
      
 Ab die welken Hülsen streift' er,
      
 Wie die Kleider einst vom Ringer,
      
 Gab das erste Fest Mondamins,
      
 Machte kund den Menschen diese
      
 Neue Gift des großen Geistes.