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2. Kapitel. Das Südland

Wolfsblut ging in San Franzisko an Land. Er war starr vor Staunen. Tief im Innern, ohne durch Nachdenken dessen bewußt zu werden, hatte er den Menschen die Macht von Göttern zuerkannt, allein nie waren sie ihm so mächtig erschienen, als jetzt, wo er auf dem schmutzigen Pflaster von San Franzisko einhertrabte. Statt der Blockhütten, die er bisher gekannt hatte, erhoben sich himmelhohe Häuser. Gefahren aller Art lauerten in den Straßen: Wagen, Karren, Autos, ungeheure Lastfuhrwerke, von großen Pferden mühsam gezogen, während elektrische Wagen, tutend und rasselnd, in der Mitte wie Ungeheuer hin- und herschossen und immerfort drohend wie die Luchse kreischten, die er in den Wäldern des Nordens gekannt hatte. All dieses bekundete Macht, und dahinter stand der Mensch, beherrschte es und lenkte es und zwang die Dinge, seinen Willen zu tun. Es war ungeheuerlich, wunderbar, und Wolfsblut war wie betäubt. Er hatte Angst. Wie ihm einst in seiner Kindheit, als er zum erstenmal aus der Wildnis ins Dorf des Grauen Biber gekommen war, seine Kleinheit und Unbedeutsamkeit zu Gemüte geführt worden war, so fühlte er sich jetzt, erwachsen und im vollen Besitz seiner Kraft, winzig und unbedeutend. Und wie viele Menschen gab es nicht! Ihn schwindelte, die ewig wechselnde Menge um sich zu sehen. Das Getöse in den Straßen betäubte sein Ohr, die unaufhörliche Bewegung der Dinge verwirrte ihn. Niemals zuvor hatte er die Abhängigkeit von dem Gebieter zu sehr gefühlt, dem er dicht auf den Fersen folgte, und den er um keinen Preis aus den Augen verloren hätte.

Doch nur einen traumhaften Eindruck sollte Wolfsblut von der großen Stadt erhalten, eine Art Vision, die späterhin ihn in seinen Träumen wie ein Alpdruck verfolgen sollte, denn der Herr brachte ihn in einen Gepäckwagen der Eisenbahn, und dort blieb er angekettet in einer Ecke mitten unter den aufgehäuften Koffern und Handtaschen. Ein untersetzter, kräftiger Mann führte sehr lärmend hier das Regiment, warf Koffer und Kisten durcheinander, schleppte sie zur Tür hinein, türmte sie übereinander auf oder warf sie mit großem Gekrach zur Tür hinaus und den Leuten zu, die darauf warteten.

Hier in dem schrecklichen Durcheinander von Gepäckstücken hatte der Herr ihn verlassen, so dachte wenigstens Wolfsblut, bis er die Reisetaschen des Herrn neben sich ausgewittert hatte und sogleich die Wache darüber übernahm.

»Es ist Zeit, daß Sie kommen,« brummte der Mann im Packwagen eine Stunde später, als Weedon Scott an der Tür erschien. »Ihr Hund ließ mich Ihre Siebensachen nicht anrühren.«

Wolfsblut sprang hinaus. Die traumhafte Großstadt war verschwunden. Der Gepäckwagen, der, als er ihn betreten hatte, ihm wie ein Zimmer in einem Hause erschienen war, befand sich nicht mehr darin. Kein lärmendes Getöse traf sein Ohr, und vor ihm lag eine lachende Gegend in träger Ruhe im Sonnenschein. Aber er brauchte nur wenig Zeit, um sich über die Verwandlung zu wundern. Er nahm es wie all die unbegreiflichen Kundgebungen der Menschen, seiner Götter, hin; das war nun einmal ihre Weise.

Ein Wagen wartete draußen. Ein Mann und eine Frau kamen auf den Herrn zu. Die Frau streckte die Arme aus und schlang sie fest um den Nacken des Herrn – nach Wolfsbluts Meinung eine feindliche Gebärde! – und im nächsten Augenblick hatte sich Weedon Scott losgemacht und Wolfsblut gepackt, der sich wie ein Rasender gebärdete.

»Beruhige dich, Mutter,« sagte Scott, indem er Wolfsblut festhielt und ihn besänftigte. »Er hat geglaubt, du wolltest mir ein Leid antun, und das duldet er nicht. Es ist gut. Er soll es bald lernen.«

»So darf ich meinen Sohn wohl nur umarmen, wenn sein Hund nicht in der Nähe ist,« sagte die Mutter lachend, aber sie war blaß geworden und zitterte noch vor Schreck. Dann blickte sie auf Wolfsblut, der mit gesträubtem Haar knurrend und böse dreinschaute.

»Er wird es lernen müssen,« erwiderte Scott, »und er soll sogleich damit anfangen.«

Er sprach sanft zu Wolfsblut, bis dieser sich beruhigt hatte, dann gebot er mit fester Stimme: »Kusch dich, Sir, down!«

Dies hatte er Wolfsblut beigebracht, und dieser gehorchte, wenn auch widerwillig und verdrossen.

»Jetzt, Mutter!« und Scott breitete die Arme aus, heftete die Augen jedoch auf Wolfsblut.

»Down!« warnte er, »Down!« und Wolfsblut sah, schweigend und mit gesträubtem Haar, halb wie zum Sprung geduckt, wie die Umarmung wiederholt wurde.

Da aber weder aus dieser noch aus der darauffolgenden Umarmung des fremden Mannes irgend ein Unheil entsprang, so ließ es Wolfsblut geschehen, daß das Gepäck des Herrn auf den Wagen geladen wurde. Dann stiegen die Fremden ein und der Gebieter nach ihnen, und nun folgte Wolfsblut wachsam dem Wagen, indem er bald hinten nachlief, bald den schnellen Pferden vorantrabte, um zu sehen, ob auch dem Gebieter kein Leid geschehe, den sie so geschwind davontrugen.

Eine Viertelstunde später bog der Wagen in einen steinernen Torweg ein und fuhr unter dem dichten Laubdach einer doppelten Reihe von Wallnußbäumen dahin. Zu beiden Seiten erstreckten sich Rasenflächen, auf denen hier und da einige große, kräftige Eichen standen. Im Gegensatz zu dem saftigen Grün des wohlgepflegten Rasens schimmerten die Felder ringsum in bräunlichem Gold, und darüber erhoben sich gelbliche Hügel und grüne Bergwiesen. Am Ende der Rasenfläche, wo der Boden sanft anstieg, schaute das Haus mit breiter Veranda und vielen Fenstern herab. Aber Wolfsblut hatte keine Zeit, dies alles zu sehen. Kaum war der Wagen in das Tor eingebogen, als er von einem Schäferhund mit hellen Augen und spitziger Schnauze in großem Zorn angefallen wurde. Dieser rannte zwischen ihn und den Herrn und schnitt ihm den Weg ab. Wolfsblut schickte sich eben ohne ein anderes Warnungszeichen, als daß er das Haar sträubte, zum tödlichen Angriff an, als er auf halbem Wege jäh und linkisch innehielt, die Vorderbeine steif auf den Boden stemmte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und in dem eifrigen Bemühen, die Berührung mit dem andern zu vermeiden, fast auf die Hinterbeine zu sitzen kam. Denn dieser Schäferhund war eine Hündin, und das richtete zwischen ihnen eine Schranke auf, da es gegen den Instinkt gewesen wäre, wenn er sie angegriffen hätte.

Aber bei dem Schäferhund lag die Sache anders. Gerade ihres Geschlechtes wegen brauchte sie keine Rücksicht auf ihn zu nehmen, während sie als Schäferhund die instinktmäßige Furcht vor der Wildnis, und vor allem vor dem Wolfe in ungemein hohem Grade besaß, denn der Wolf war für sie der Erbfeind, der ihren Herden von der Zeit an, als Schafe einem ihrer fernen Vorahnen anvertraut gewesen waren, aufgelauert hatte. Dann sprang sie auf ihn los, als er den Angriff auf sie aufgab und sich gegen eine Berührung mit ihr stemmte. Unwillkürlich knurrte er zwar, als er ihre Zähne in seiner Schulter fühlte, aber er machte weiter keinen Versuch, ihr wehe zu tun. Er zog sich steifbeinig und verlegen zurück und bemühte sich, um sie herumzugehen, allein, wohin er sich auch drehte und wendete, sie blieb immer zwischen ihm und der Richtung, die er einschlagen wollte.

»Hierher, Collie!« rief der fremde Mann im Wagen.

Weedon Scott lachte. »Laß nur, Vater, es ist eine gute Schule. Wolfsblut wird viel zu lernen haben, und es ist ebenso gut, daß er gleich damit beginnt. Er wird sich schon darein finden.«

Der Wagen fuhr weiter, und immer noch versperrte Collie ihm den Weg. Er versuchte, sie zu überholen, indem er den Fahrweg verließ und auf dem Rasen einen Halbkreis beschrieb, allein sie lief im innern, kleineren Kreise und bedrohte ihn stets mit ihrer doppelten Reihe schimmernder Zähne. Er wandte sich nach dem Rasenplatz auf der andern Seite des Weges, doch auch hier gewann sie ihm den Vorsprung ab.

Der Wagen trug den Herrn fort, und Wolfsblut sah, wie er unter den Bäumen verschwand. Die Lage der Dinge wurde verzweifelt. Er schlug einen andern Bogen ein, aber sie folgte ihm in schnellem Laufe. Da drehte er sich plötzlich um und stieß sie mit dem alten Fechterkunstgriff tüchtig gegen die Schulter. Sie fiel nicht nur um, sondern überschlug sich mehrmals und rollte bald auf den Rücken, bald auf die Seite, indem sie in dem vergeblichen Bemühen, auf die Füße zu kommen, den Kies aufwühlte und dabei grollend aus verletztem Stolze and aus Ärger belferte und schrie.

Wolfsblut zögerte nicht. Der Weg war jetzt frei, und das war alles, was er haben wollte. Sie folgte ihm zwar immer noch mit gellendem Gebell. Doch nun, da sie in gerader Richtung liefen, hätte sie, was Schnelligkeit anbetraf, von Wolfsblut lernen können. Sie rannte wie wahnsinnig ihm nach, mit höchster Anspannung ihrer Kräfte und bellte bei jedem Satze, den sie machte, während er lautlos und ohne Anstrengung wie ein Schatten über den Boden glitt.

Als er um das Haus bog, hielt der Wagen vor der Tür, und der Herr stieg gerade aus. Da bemerkte Wolfsblut, der im schnellsten Laufe dahinschoß, daß ihm plötzlich ein Angriff von der Seite her drohte.

Ein Jagdhund stürzte auf ihn los. Wolfsblut versuchte, umzudrehen, aber er war zu sehr im Schwunge und der andere zu nahe. Der Stoß traf ihn so unerwartet von der Seite, daß Wolfsblut zu Boden geschleudert wurde und sich überschlug. Als er wieder auf den Beinen stand, bot er einen fürchterlichen Anblick dar. Die Ohren platt zurückgelegt, die Lippen emporgezogen, die Nase kraus, so schnappten die Zähne schon dicht an der Kehle des Jagdhundes zusammen.

Der Herr rannte herbei, doch war er noch weit entfernt, und es würde dem Jagdhund das Leben gekostet haben, wenn nicht Collie da gewesen wäre. Bevor Wolfsblut dem andern den tödlichen Biß beibringen konnte, kam sie an. Sie war im Laufe überholt, in ihren Absichten gehindert und schmachvoll in den Staub geworfen worden, darum wirkte ihre Ankunft wie ein Wirbelsturm, da beleidigte Würde, gerechter Zorn und instinktmäßiger Haß gegen den Räuber der Wildnis sie beseelte. Sie stieß gegen Wolfsblut im rechten Winkel, als dieser gerade im Sprunge war, und wiederum verlor er das Gleichgewicht und rollte zu Boden. Im nächsten Augenblick war aber auch der Herr da und hielt ihn mit der einen Hand zurück, während der Vater des Gebieters die andern Hunde abrief.

»Das ist ja ein hübsch warmer Empfang für einen armen, einsamen Wolf aus dem Polarlande,« sagte der Herr, während Wolfsblut sich unter seiner liebkosenden Hand beruhigte. »In seinem ganzen Leben ist er nur ein einzigesmal umgeworfen worden, und hier passiert ihm das zweimal in wenigen Sekunden.«

Der Wagen war fort und fremde Leute kamen aus dem Hause heraus. Einige hielten sich in respektvoller Entfernung, aber zwei derselben, Frauen, machten ebenfalls die feindselige Bewegung, dem Herrn um den Hals zu fallen. Wolfsblut hatte jedoch nun gelernt, das zu dulden. Es schien ja nichts Schlimmes zu sein, denn das Geräusch, das die Menschen dabei mit den Lippen machten, hatte nichts Drohendes. Auch Wolfsblut näherte man sich freundlich, aber dieser knurrte warnend, und der Herr warnte die Leute ebenfalls durch Worte. Wolfsblut drückte sich dabei dicht an den Herrn, der ihm beruhigend auf den Kopf klopfte.

Der Jagdhund war auf das Gebot: »Dick, leg' dich nieder!« die Stufen hinaufgegangen und hatte sich auf der Veranda hingelegt, indem er fortwährend brummte und mürrisch den Eindringling beobachtete. Collie war von einer der Frauen in Obhut genommen, die ihr die Arme um den Hals geschlungen hatte, indem sie ihn liebkosend streichelte. Aber Collie war außer sich und winselte ängstlich. Es empörte sie, daß man diesen Wolf hier duldete, und sie war überzeugt, daß die Menschen damit einen großen Fehler begingen.

Alle gingen die Stufen hinan, um in das Haus einzutreten. Wolfsblut folgte dem Herrn dicht auf den Fersen. Dick in der Veranda knurrte und Wolfsblut auf den Stufen sträubte das Haar und knurrte ebenfalls.

»Nimm Collie hinein und laß die andern beiden es draußen ausfechten,« schlug Scotts Vater vor. »Hernach werden sie gute Freunde sein.«

»Ach, dann wird Wolf, um Dick seine Freundschaft zu bezeigen, Hauptleidtragender beim Begräbnis sein müssen,« lachte der Herr.

Der ältere Scott blickte ungläubig erst auf Wolfsblut, dann auf Dick und schaute dann den Sohn an.

»Du meinst wirklich –«

Weedon nickte mit dem Kopfe. »Ja, ja, du würdest Dick in einer, höchstens in zwei Minuten als Leiche sehen.« Dann wandte er sich an Wolfsblut. »Komm mit, du Wolf. Diesmal mußt du hinein.«

Wolfsblut schritt steifbeinig die Stufen hinan und über die Veranda. Er hielt Kopf und Schwanz hoch erhoben und heftete die Augen fest auf Dick, um gegen einen Angriff von der Seite geschützt zu sein, während er auch gegen etwaige unbekannte Schrecknisse, die aus dem Innern des Hauses auf ihn losstürzen könnten, auf der Hut blieb. Aber nichts geschah, und so schaute er sich, als er drinnen war, prüfend und suchend um, ohne etwas Besorgniserregendes zu entdecken. Dann legte er sich mit zufriedenem Seufzer zu den Füßen des Herrn nieder, beobachtete alles, was um ihn vorging, und war immer bereit, aufzuspringen und mit dem Furchtbaren, das unter dem verräterischen Dache eines Hauses notwendigerweise lauern mußte, um sein Leben zu kämpfen.


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