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6. Kapitel. Der Gebieter

Wolfsbluts Haar sträubte sich, als er sah, daß Weedon Scott sich ihm näherte, und er knurrte, um anzukündigen, daß er sich keiner Strafe gutwillig unterwerfen wolle. Vierundzwanzig Stunden waren vergangen, seitdem er die Hand des Herrn gebissen hatte, die nun verbunden in der Schlinge hing. Früher war es ihm passiert, daß Strafen aufgeschoben worden waren, und er fürchtete, es könne auch jetzt geschehen. Konnte es auch anders sein? Er hatte einen Frevel begangen, als er die Zähne in das geheiligte Fleisch eines Menschen, und noch dazu einem Weißen, versenkt hatte, und es stand ihm also Furchtbares bevor.

Der Mann setzte sich einige Fuß weit von ihm entfernt nieder. Das sah allerdings nicht gefährlich aus. Wenn die Menschen straften, so standen sie aufrecht, auch hatte dieser weder Stock, noch Peitsche, noch ein Gewehr. Er selber aber war frei; keine Kette, keine Fessel hinderte ihn. Er konnte sich in Sicherheit bringen, ehe der andere sich auf die Füße stellte. Mithin wollte er abwarten und zusehen. Als Scott ruhig dasaß und keine Bewegung machte, verwandelte sich Wolfsbluts Knurren langsam in Grollen, das tief unten aus der Kehle heraufklang. Dann fing der Mann an zu sprechen und beim ersten Ton der Stimme schoß das Grollen im Halse empor und das Haar auf Wolfsbluts Nacken richtete sich auf. So grollte Wolfsblut eine Zeitlang im Takt mit der Stimme des Mannes. Aber diese redete ohne Aufhören und so, wie noch nie jemand zu Wolfsblut gesprochen hatte. Es klang sanft und so freundlich, daß Wolfsblut davon irgendwo in seinem Innern angenehm berührt wurde. Unwillkürlich fing er an, trotz der scharfen Warnungen des Instinkts zu diesem Manne Vertrauen zu fassen. Er hatte ein Gefühl der Sicherheit, das die Erfahrungen, die er bisher mit den Menschen gemacht hatte, Lügen strafen mußte.

Das währte eine lange Weile, dann stand Scott auf und ging ins Haus hinein. Als er herauskam, betrachtete Wolfsblut ihn scheu und prüfend. Er hatte weder Peitsche, noch Stock, noch irgend eine Waffe bei sich. Auch war die gesunde Hand nicht auf dem Rücken versteckt. Er setzte sich auf denselben Fleck, nur wenige Schritte von Wolfsblut entfernt, nieder und hielt ihm ein Stückchen Fleisch hin. Wolfsblut spitzte die Ohren und besah es mißtrauisch, indem er Scott nicht aus den Augen ließ. Er war auf einen Angriff gefaßt, denn sein ganzer Körper war gespannt und auf das erste Zeichen einer Feindseligkeit sprungbereit. Doch die Züchtigung kam immer noch nicht. Scott hielt ihm immer nur das Stück Fleisch vor die Nase, an dem nichts Unrechtes zu sein schien. Dennoch blieb Wolfsblut argwöhnisch, obgleich ihm das Fleisch mit einladender Handbewegung dargeboten wurde. Die Menschen waren so schlau, man konnte nie wissen, was hinter solch einem harmlosen Stückchen Fleisch lauerte! Er dachte an frühere Erfahrungen, besonders mit Indianerinnen, wobei ein Stückchen Fleisch und eine Züchtigung in merkwürdig nahem Zusammenhang gestanden hatten.

Endlich warf Scott das Fleisch dicht vor Wolfsbluts Füße auf den Schnee hin. Wolfsblut beroch es sorgfältig, ohne ein Auge von dem Manne zu wenden. Da ihm nichts passierte, verschlang er den Bissen. Wieder geschah nichts, als daß noch ein Stück Fleisch ihm hingehalten wurde, und da er sich wieder weigerte, es zu nehmen, wurde es abermals hingeworfen. Das wiederholte sich mehrere Male. Endlich aber kam der Augenblick, wo Scott sich weigerte, ihm das Fleisch hinzuwerfen, und es ihm in der Hand hinreichte. Das Fleisch schmeckte gut, und Wolfsblut war hungrig. Schritt für Schritt mit unendlicher Vorsicht näherte er sich der Hand. Zuletzt mußte er sich dazu entschließen, das Fleisch zu nehmen, aber er ließ den Mann nicht aus den Augen und streckte den Kopf mit zurückgelegten Ohren und gesträubtem Nackenhaar vor, während ein leises Grollen als Warnung aus seiner Kehle emporstieg. Er verzehrte das Fleisch, ein Stück nach dem andern, ohne daß eine Züchtigung kam. Dann leckte er sich das Maul und wartete, während Scott zu ihm redete. Die Stimme war gütig, es lag etwas darin, wovon Wolfsblut noch keine Erfahrung gehabt hatte, und sie erweckte in ihm Empfindungen, die er noch nicht gekannt hatte. Es überkam ihn eine seltsame Zufriedenheit, es war, als ob ein Mangel in seinem Innern befriedigt, eine Leere in ihm ausgefüllt würde. Dann wurde jedoch die Stimme des Instinkts in ihm laut und erinnerte ihn an frühere Erfahrungen. Die Menschen waren so klug! Sie erreichten auf so überraschende Weise ihren Zweck!

Aha! Da war es, was er gefürchtet hatte! Da streckte sich die Hand, die so listig Schmerzen austeilen konnte, aus und senkte sich auf seinen Kopf herab. Dabei redete aber der Mann immer noch weiter, und die Stimme klang sanft und vertrauenerweckend. Gefühle widerstreitender Art bemächtigten sich Wolfsbluts; einerseits beruhigte die Stimme trotz der drohend erhobenen Hand, andrerseits flößte die Hand Mißtrauen ein trotz der sanften Stimme. So furchtbar war der Streit der in ihm tobenden Empfindungen, die um die Oberherrschaft rangen, daß ihm zumute war, als müßte er in Stücke gehen. Am Ende wählte er den Mittelweg; er knurrte, er sträubte das Haar, er legte die Ohren zurück, aber er biß nicht und sprang auch nicht fort. Die Hand kam immer näher, jetzt berührte sie die Spitzen der zu Berge stehenden Haare. Er duckte sich, aber die Hand folgte ihm und preßte sich dicht an ihn. Bebend, fast schaudernd, bezwang er sich. Die Berührung war ihm eine Qual, denn sie tat seinem Instinkt Gewalt an. Nicht an einem Tage konnte er all das Böse vergessen, das Menschenhände ihm angetan hatten. Aber es war der Wille dieses neuen Herrn, und er zwang sich zur Unterwerfung. Dann erhob sich die Hand und senkte sich wieder und klopfte ihn liebkosend. Dies dauerte eine Weile, aber jedesmal, wenn sie sich emporhob, richtete sich das Haar darunter empor, und wenn sie sich herabsenkte, legten sich die Ohren zurück und stieg ein Grollen röchelnd aus der Kehle herauf. Dies Grollen war eine Warnung. Es kündigte an, daß jeder ihm zugefügte Schmerz heimgezahlt werden würde, denn nie konnte man wissen, wann die Absichten eines Menschen sich enthüllten. Die sanfte, Vertrauen weckende Stimme konnte plötzlich in ein Wutgebrüll ausbrechen, die weiche, liebkosende Hand sich in den Griff eines Schraubstockes verwandeln und ihn hilflos der Züchtigung preisgeben!

Aber Scott sprach freundlich weiter, und die Hand hob und senkte sich immer wieder und klopfte ihn liebkosend. Wolfsbluts Empfindungen waren zwiespältiger Natur, denn seinem Instinkt war es unbehaglich, daß er geliebkost wurde, da es seine persönliche Freiheit beschränkte, andrerseits war die Liebkosung angenehm, ja, als das Klopfen sich langsam in ein Kraulen der Ohren verwandelte, war es ein wirkliches, körperliches Vergnügen. Dennoch blieb er auf der Hut, indem er eine ungeahnte Bosheit fürchtete und litt und freute sich abwechselnd, je nachdem ein oder das andere Gefühl die Oberhand gewann.

»Na, da soll doch gleich ein Donnerwetter dreinschlagen!«

Also sprach Matt, der mit aufgekrämpten Ärmeln eine Schüssel mit Aufwaschwasser in der Hand aus dem Blockhaus kam, und bei dem Anblick des Wolfsblut streichelnden Weedon Scott das Ausgießen des schmutzigen Wassers vergaß. Bei dem Ton der Stimme sprang Wolfsblut zurück und knurrte den Mann grimmig an.

»Wenn Sie's nicht übelnehmen, daß ich meine Meinung so frei heraussage, Herr Scott, so erlaube ich mir zu behaupten, daß Sie ein verdammt närrischer Kauz sind.«

Weedon Scott lächelte überlegen, stand auf und trat dicht an Wolfsblut heran. Er sprach sanft zu ihm, aber nicht sehr lange und legte dann langsam die Hand auf Wolfsbluts Kopf, indem er ihn wieder streichelnd liebkoste. Wolfsblut ließ es geschehen, heftete die Augen jedoch mißtrauisch nicht auf den ihn tätschelnden Mann, sondern auf den andern, der noch in der Türe des Blockhauses stand.

»Sie mögen wohl Ihre Sache bei den Goldgruben aus dem Grunde verstehen,« ließ sich der Hundetreiber weiter vernehmen, »aber Ihren eigentlichen Lebensberuf haben Sie doch verfehlt, als Sie in der Jugend nicht wegliefen und als Tierbändiger in einen Zirkus eintraten.« Diesmal knurrte wohl Wolfsblut wieder, aber er sprang nicht unter der Hand weg, die ihm Kopf und Rücken mit langen Strichen liebkoste.

Dies war für Wolfsblut der Anfang vom Ende seines alten Lebens und der Herrschaft des Hasses. Ein neues, unendlich schöneres Leben dämmerte herauf. Zwar erforderte es viel Nachdenken und endlose Geduld von seiten Weedon Scotts, um es fertig zu bringen; denn für Wolfsblut war es nichts Geringeres als eine vollständige Umwälzung seines Wesens. Er mußte sich den Mahnungen des Instinkts und des Verstandes verschließen, mußte der Erfahrung gegenüber treu bleiben, kurz, sein bisheriges Leben Lügen strafen. Sein früheres Leben bot nicht nur wenig Ähnlichkeit mit dem jetzigen dar, sondern es war diesem direkt entgegengesetzt, und er hatte sich in viel höherem Grade darin zurecht zu finden als damals, da er freiwillig aus der Wildnis zu dem Grauen Biber zurückgekehrt war und diesen wieder zu seinem Herrn erkoren hatte. Damals war er noch ein junges Hündchen gewesen, weich und formlos, das sich willig der Hand der Verhältnisse überlassen hatte, damit sie ihm Form verliehe. Nun war das anders. Die äußern Umstände hatten ihr Werk getan, hatten ihn hart und grimmig, unliebenswürdig und unbeliebt gemacht, kurz, zu Wolf, dem Preiskämpfer. Eine Umwandlung seines Lebens mußte darum eine völlige Wiedergeburt sein, und das zu einer Zeit, wo die Formbarkeit der Jugend vorüber, wo die Fibern seines Wesens zäh und knotig geworden waren, wo Aufzug und Einschlag des Gewebes, aus dem er gemacht war, hart, unzerreißbar und unnachgiebig erschienen, wo sein Geist eine Form von Eisen angenommen hatte, und Instinkte und Wahrnehmungen sich zu festen Grundsätzen, zu Mißtrauen, Abneigung oder Begierden verdichtet hatten.

Und wieder waren es die Umstände, die den Angelpunkt bildeten zu einer vollständigen Umkehr seines Wesens. Die Hand, die ihn zurecht knetete, die das Harte in ihm weich machte und es in eine schönere Form preßte, war die Hand Weedon Scotts. Der stieg bis in die Tiefen von Wolfsbluts Natur hinab, erweckte dort Kräfte zum Leben, die geschlummert hatten oder unterdrückt gewesen waren, und eine dieser Kräfte war die Liebe. Sie trat an die Stelle der Neigung, die früher das höchste Gefühl gewesen war, das ihn beim Verkehr mit den Menschen beseelt hatte.

Aber diese Liebe kam nicht an einem Tage. Auch sie begann mit der Neigung und entwickelte sich allmählich daraus. Wolfsblut lief nicht weg, obgleich er frei herumlaufen durfte, denn er hatte den neuen Herrn gern. Dies Leben war sicher besser als das, welches er bei Schmitt im Käfig geführt hatte, und einen Herrn mußte er doch haben, da die Unterordnung unter den Menschen ein Bedürfnis seiner Natur war. Das Siegel dieser Abhängigkeit war ihm an jenem Tage aufgedrückt worden, als er der Wildnis den Rücken kehrte und demütig vor die Füße des Grauen Biber kroch, um die gefürchteten Prügel zu bekommen und später – und diesmal unauslöschlich – als er abermals aus der Wildnis zurückkehrte, nachdem die lange Hungersnot vorbei war und es wieder Fisch im Dorfe des Grauen Biber gab.

Also blieb Wolfsblut bei Weedon Scott, weil er ihn dem schönen Schmitt vorzog und einen Herrn haben mußte, und er zeigte seine Untertänigkeit dadurch, daß er das Eigentum des Herrn bewachte. Wenn die Schlittenhunde schliefen, wanderte er um das Blockhaus herum, und der erste nächtliche Besucher hatte sich mit einem Stocke zu verteidigen, bis Weedon Scott ihm zu Hilfe kam. Bald jedoch lernte Wolfsblut Diebe von ehrlichen Leuten unterscheiden, indem er Gang und Haltung derselben beurteilte. Jemand, der mit lauten Schritten und in gerader Richtung auf die Tür des Blockhauses zukam, den ließ er unangefochten weitergehen, wenn er ihn auch scharf beobachtete, bis die Tür sich öffnete und der Herr ihn einließ; denjenigen jedoch, der leise und scheu sich umblickend in weitem Bogen heranschlich, den empfing Wolfsblut ohne langes Besinnen als Feind, und rasch und würdelos entfloh derselbe.

Weedon Scott hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das Unrecht, das die Menschen Wolfsblut angetan hatten, wieder gutzumachen. Das war ihm eine Gewissenssache. Er fühlte, daß es eine Schuld sei, die eingelöst werden müsse. An jedem Tage machte er es sich zur Pflicht, nicht nur gut und freundlich zu Wolfsblut zu sein, sondern ihn lange, und nicht nur flüchtig, zu liebkosen und zu streicheln.

So mißtrauisch, ja feindselig er dies anfangs hingenommen hatte, so gewann er dies Streicheln nach und nach lieb. Aber eins unterließ er nicht dabei, er grollte stets von Anfang bis zu Ende. Allein in dem Grollen war ein neuer Klang. Ein Fremder hätte den nicht gehört, für den hätte das Grollen etwas urwüchsig wildes gehabt, etwas, das einem auf die Nerven fiel und das Blut gerinnen machte. Doch Wolfsbluts Kehle war durch die vielen grimmigen Laute, die er in den langen Jahren ausgestoßen hatte, rauh geworden, seitdem er das erste ärgerliche Gerassel als junges Wölflein in der Höhle hervorgebracht hatte, und er konnte diese Töne nicht mehr sanfter machen, um die freundlichen Regungen seiner Seele auszudrücken. Dennoch war Scotts Ohr fein genug, um den neuen Klang trotz aller Wildheit darin zu entdecken, einen Klang, der etwas vom kosenden Lallen eines Kindes hatte und den sonst niemand vernehmen konnte.

Wie die Tage vergingen, entwickelte sich die Neigung bei Wolfsblut immer schneller zur Liebe. Er fühlte sie, ohne daß er wußte, was Liebe sei. Sie offenbarte sich ihm als eine Leere in seinem Innern, ein hungrige, schmerzliche Sehnsucht, die nach Befriedigung rang. Er empfand Pein und Unruhe in der Abwesenheit des neuen Herrn, nur die lebendige Gegenwart desselben konnte ihn befriedigen. Dann ging diese Liebe oft in eine wilde Freude über, die sein ganzes Wesen durchzitterte. Aber fern von dem Herrn kehrte die peinvolle Unruhe wieder, die Leere war wieder da, sie gähnte ihn an und die verlangende Sehnsucht verfolgte ihn unaufhörlich.

Wolfsblut war jetzt auf dem Wege, sein eigentliches Wesen zu finden. Trotz seiner vorgerückten Jahre, trotz der Starrheit der Form, in die er gegossen war, dehnte sich seine Natur immer mehr aus. Es war in ihm ein Wachsen, ein Entfalten ungeahnter Empfindungen, ungewohnter Triebe. Die Richtschnur seines Betragens veränderte sich. Früher hatte er seine Bequemlichkeit geliebt und jedes Unbehagen vermieden. Jetzt wurde das anders. Das neue Gefühl, das ihn beseelte, trieb ihn oft, um des Herrn willen Unbehagen und Unbequemlichkeit aufzusuchen. Statt am frühen Morgen, wie er es sonst zu tun pflegte, auf Raub herumzulaufen oder im warmen Winkel zu liegen, pflegte er nun auf den kalten Treppenstufen auf das Erscheinen des Herrn zu warten, und nachts verließ er bei der Heimkehr desselben den geschützten Platz, den er sich im Schnee gegraben hatte, um nur eine freundliche Berührung seiner Hand, ein Wort zum Gruß zu empfangen. Selbst sein Futter konnte er stehen lassen, um einen Gang mit dem Herrn nach der Stadt zu machen oder eine Liebkosung von ihm zu erhalten. Ja, Liebe hatte die Stelle der Neigung eingenommen, aber sie war auch das Senkblei gewesen, das die Tiefen seines Wesens berührt hatte, wohin die Neigung nie gedrungen war, und aus diesen Tiefen war Neues emporgestiegen, nämlich Gegenliebe. Was ihm gegeben wurde, das gab er auch reichlich wieder. Dies war für Wolfsblut wirklich ein Gott, liebevoll, warm und strahlend, und im Licht seiner Liebe entfaltete sich Wolfsbluts Wesen wie die Blume im Strahl der Sonne.

Aber seine Liebe war nicht aufdringlich. Er war zu alt, zu festgeformt, um für dies Gefühl eine ganz neue Ausdrucksweise zu finden. Seine lange Vereinsamung hatte ihn zurückhaltend, selbstgenügsam und scheu gemacht. Nie im Leben hatte er gebellt, also lernte er es auch jetzt nicht, den Herrn zum Willkommen mit Gebell zu begrüßen. Aber er war auch nie im Wege, nie im Ausdruck seiner Liebe überschwenglich und töricht. Er rannte dem Herrn nie entgegen, sondern wartete in der Entfernung, aber er war stets da und wartete immer. Seine Liebe war eine Art Verehrung, stumm und lautlos. Nur durch den stetigen Blick des Auges, womit er jeder Bewegung des Herrn folgte, drückte er dieselbe aus, und blickte der Gebieter ihn dann und wann an oder sprach zu ihm, dann zeigte er eine Art linkischer Verlegenheit, als ob er mit sich kämpfte, seine Liebe zu äußern, aber unfähig wäre, es zu tun.

Allmählich lernte er es, sich dem neuen Leben in mehr als einer Weise anzupassen. Es wurde ihm beigebracht, daß er die Hunde des Herrn zufrieden lassen müßte; doch machte er seine Herrschernatur dadurch geltend, daß er die Anerkennung seiner Überlegenheit von ihnen erzwang. Als dies geschehen war, hatten sie wenig mehr von ihm zu fürchten. Sie gingen ihm aus dem Wege, wenn er unter ihnen herumging, und gehorchten ihm. Nach und nach lernte er Matt als zum Herrn gehörig ansehen. Der Herr fütterte ihn selten, denn das war Matts Amt. Dennoch erriet Wolfsblut, daß es das Futter des Herrn wäre, womit er reichlich ernährt wurde. Als Matt versuchte, ihn anzuspannen, damit er mit den andern Hunden den Schlitten zöge, widersetzte er sich; erst als Weedon Scott ihm das Riemenzeug anlegte und ihm die Arbeit zeigte, begriff er, daß es der Wille des Herrn war, daß Matt mit ihm wie mit den andern Hunden fahren sollte.

Die Schlitten von Klondike waren von denen am Mackenzie verschieden: sie hatten Kufen. Auch wurden die Hunde anders angespannt, nicht fächerförmig gingen sie, sondern einer hinter dem andern zogen sie in doppelten Strängen. In Klondike war der Leithund wirklich ein solcher, der klügste und stärkste, und das Gespann mußte ihm gehorchen und fürchtete ihn. Daß Wolfsblut diesen Posten schnell erringen würde, war unvermeidlich. Er gab sich nicht mit weniger zufrieden, das lernte Matt unter vielem Ärger. Wolfsblut erwählte sich den Posten ganz von selber, und Matt äußerte seine Zufriedenheit mit dieser Wahl durch manchen derben Fluch, nachdem der Versuch geglückt war. Trotzdem Wolfsblut den ganzen Tag über vor dem Schlitten gearbeitet hatte, gab er nachts die Wache über des Herrn Eigentum nicht auf. Stets auf dem Posten, immer wachsam und treu, wurde er bald der wertvollste aller Hunde.

»Wenn ich so frei sein darf, mit meiner Meinung nicht hinterm Berge zu halten,« sagte Matt eines Tages, »so möchte ich mir die Bemerkung erlauben, daß Sie ein kluger Mann waren, als Sie den Preis für den Hund zahlten. Sie haben den schönen Schmitt, außerdem, daß Sie ihm das Gesicht mit der Faust bearbeiteten, reinweg begaunert.«

In Weedon Scotts Augen blitzte es zornig auf, als er grimmig murmelte: »Die Bestie!«

Im späten Frühling brach ein großer Kummer über Wolfsblut herein. Ohne eine Ankündigung, ohne eine Warnung verschwand plötzlich der Gebieter. Zwar hatte es Anzeichen gegeben, aber Wolfsblut verstand dieselben nicht; er wußte nicht, was das Packen eines Handkoffers bedeutete. Späterhin erinnerte er sich, daß ein solcher Vorgang dem Verschwinden des Herrn vorangegangen war, aber vorderhand hatte er noch keine Ahnung davon. In der ersten Nacht wartete er vergeblich auf die Rückkehr des Herrn. Der kalte Wind trieb ihn um Mitternacht, eine geschützte Stelle hinter dem Blockhaus aufzusuchen. Dort verfiel er in einen unruhigen Schlummer, indem er mit gespitzten Ohren auf den ersten Ton der bekannten Fußtritte lauschte. Allein zwei Stunden später trieb ihn die ängstliche Sorge wieder nach vorn, wo er sich auf die kalten Stufen legte, um zu warten.

Doch der Herr kam nicht. Am Morgen öffnete sich die Tür, und Matt erschien. Wolfsblut blickte ihn fragend an. Allein es gab keine Sprache, wodurch die beiden sich verständigen und wodurch er erfahren konnte, was er wissen wollte. Die Tage kamen und gingen, aber der Herr erschien nicht. Wolfsblut, der nie Krankheit gekannt hatte, fing an zu kränkeln, ja, er wurde so schwach, daß Matt ihn ins Blockhaus nehmen mußte. Darum widmete dieser, als er einst an seinen Brotherrn schrieb, Wolfsblut eine Nachschrift, und Weedon Scott las in Circle Town folgendes: »Der verdammte Wolf will nicht arbeiten. Frißt auch nicht mehr. Hat gar keinen Lebensmut. All die andern Hunde kriegen ihn unter. Er weiß nicht, was aus Ihnen geworden ist, und ich kann es ihm nicht beibringen. Am Ende stirbt er noch!«

Ja, Wolfsblut hatte Appetit und Lebensmut verloren, und die Gespannhunde fürchteten ihn nicht mehr. Er lag im Blockhause nahe am Ofen auf dem Boden, ohne sich um sein Futter, um Matt und alles rings um ihn her zu kümmern. Ob Matt freundlich zu ihm sprach oder über ihn fluchte, das war ihm alles eins. Höchstens wendete er die trüben Augen nach ihm hin, ließ aber dann den Kopf wieder auf die Vorderpfoten sinken.

Eines Abends jedoch als Matt die Lippen bewegend und leise murmelnd für sich las, überraschte ihn ein leises Gewinsel, das Wolfsblut ausstieß. Dieser hatte sich aufgerichtet, und, den Kopf nach der Tür gewendet, lauschte er aufmerksam. Einen Augenblick später hörte auch Matt Fußtritte. Die Tür öffnete sich, und Weedon Scott trat ein. Die beiden Männer schüttelten sich die Hände, dann blickte sich Scott um.

»Wo ist Wolfsblut?« fragte er.

Der aber stand an derselben Stelle, wo er gelegen hatte, nahe am Ofen. Er stürzte nicht wie andere Hunde vorwärts, sondern wartete.

»Gott im Himmel!« rief Matt aus. »Sehen Sie doch nur, er wedelt ja mit dem Schwanze.«

Weedon Scott machte ein paar Schritte auf ihn zu und rief ihn. Wolfsblut kam heran, doch nicht mit einem Satze, wenn auch schnell. Er war linkisch und verlegen, doch seine Augen hatten einen seltsamen Ausdruck. Etwas wie ein unsagbar großes und tiefes Gefühl stieg darin empor und leuchtete mit hellem Glanze daraus.

»So hat er mich die ganze Zeit, als Sie weg waren, nie angesehen,« erklärte Matt.

Weedon Scott hörte nicht auf ihn. Er hockte auf den Fersen, so daß er Wolfsblut Aug' in Auge anblicken konnte, und liebkoste ihn, indem er ihm die Ohren kraute, ihm Nacken und Schultern streichelte und ihm sanft auf den Rücken klopfte. Wolfsblut grollte als Antwort, und die kosende Note war deutlicher als je vernehmbar. Aber dies war noch nicht alles. In der hohen Freude fand die große Liebe, die in ihm emporquoll und nach Ausdruck rang, einen neuen Ausweg, um sich kundzutun. Plötzlich streckte er den Kopf vor und steckte ihn unter den Arm des Herrn tief, tief hinein, so daß nichts weiter als die Ohren zu sehen waren, und nun grollte er nicht mehr, sondern schmiegte sich nur immer tiefer hinein. – Die beiden Männer blickten einander an, und in Scotts Augen schimmerte es feucht.

»Donnerja!« sagte Matt leise und fast ehrfurchtsvoll. Dann, als er sich von seinem Staunen erholt hatte, setzte er hinzu: »Ich hab' es ja immer gesagt, der Wolf ist eigentlich ein Hund, und nun sehen Sie es ja selbst.«

Von dem Augenblick an, da der Gebieter zurückgekehrt war, erholte sich Wolfsblut rasch. Zwei Nächte und einen Tag blieb er noch drinnen, dann rannte er hinaus. Die Schlittenhunde hatten seinen Mut und seine Stärke vergessen und erinnerten sich nur noch seiner Schwäche und Krankheit. Als sie ihn aus dem Blockhaus kommen sahen, stürzten sie über ihn her.

»Wie die Verrückten!« murmelte Matt, der in der Tür stand und lächelnd zuschaute. »Nimm sie, Wolf! Gib es ihnen ordentlich!«

Aber Wolfsblut brauchte keine Ermutigung. Die Rückkehr des Gebieters hatte ihm neuen Lebensmut eingeflößt. Er raufte sich aus reiner Freude, denn er fand darin einen Ausdruck dessen, was ihn erfüllte, und was sonst keinen Ausweg fand. Das Ende vom Liede war, daß die Hunde einen schmachvollen Rückzug einschlugen und erst nach Dunkelwerden einzeln zurückgeschlichen kamen und demütig und unterwürfig ihren Gehorsam bezeigten.

Nachdem Wolfsblut gelernt hatte, den Kopf unter den Arm des Herrn zu schmiegen, machte er sich dessen oft schuldig. Es war seine höchste Liebkosung, alles was er geben konnte. Sein Kopf war dasjenige gewesen, was er immer eifersüchtig behütet hatte. Er hatte es nie gemocht, daß derselbe berührt wurde. Das war noch die Wildnis in ihm, die Furcht vor der Falle gewesen, daß er sich jeder Berührung desselben wie wahnsinnig widersetzt hatte. Der Instinkt hatte ihm zugeflüstert, daß der Kopf frei bleiben müßte. Jetzt war dies Verbergen des Kopfes unter dem Arm des Gebieters eine überlegte Handlung, durch die er sich in eine völlig hilflose Lage brachte. Es war der Ausdruck vollkommenen Vertrauens, gänzlicher Hingabe, wie wenn er damit sagen wollte: »Ich gebe mich in deine Hand, mache mit mir, was du willst.«

Eines Abends, nicht lange nach Scotts Heimkehr, saß dieser mit Matt vor dem Zubettegehen beim Kartenspiele. Matt zählte gerade die Stiche, als draußen ein gellender Schrei, von einem lauten Knurren gefolgt, ertönte. Die beiden Männer blickten sich an und sprangen auf.

»Wolf hat einen gepackt!« rief Matt aus.

Ein wilder Schrei, wie der eines Menschen in Todesangst, beschleunigte ihre Schritte.

»Bringen Sie Licht!« rief Scott, während er hinauseilte. Matt folgte mit der Lampe, und bei ihrem Schein sah er einen Menschen im Schnee auf dem Rücken liegen. Er hatte das Gesicht und den Hals mit den Armen bedeckt, um sich vor Wolfsbluts Zähnen zu schützen, was auch notwendig war, denn dieser versuchte immer wieder, ihm an die Kehle zu kommen. Der Ärmel des Rockes sowie der blauen Unterjacke aus Flanell und der des Hemdes waren in Fetzen gerissen und die Arme schrecklich zerbissen und blutüberströmt. Dies alles sahen die beiden Männer in einem Augenblick, und im nächsten hatte Weedon Scott Wolfsblut an der Kehle gepackt und zerrte ihn hinweg. Wolfsblut widersetzte sich zwar, machte jedoch keinen Versuch zu beißen und beruhigte sich auf ein scharfes Wort des Herrn hin schnell.

Matt half dem Manne auf. Als dieser auf den Beinen stand und die Arme sinken ließ, kam das bestialische Antlitz des schönen Schmitt zum Vorschein. Der Hundetreiber ließ ihn geschwind los, wie wenn er Feuer angefaßt hätte. Schmitt schaute mit zwinkernden Augen in das Licht und blickte dann um sich. Als er Wolfsblut erblickte, schoß ihm ein jäher Schreck ins Gesicht. In dem Augenblick bemerkte Matt zwei Gegenstände, die im Schnee lagen. Er leuchtete mit der Lampe dahin und wies mit dem Fuße darauf. Es war eine stählerne Kette und ein derber Knüttel. Auch Weedon Scott sah die Sachen und nickte. Kein Wort wurde dabei gesprochen, nur die Hand legte der Hundetreiber dem schönen Schmitt auf die Schulter und drehte ihn rechts um. Schmitt verstand den Wink und machte sich aus dem Staube.

Unterdessen streichelte der Gebieter Wolfsblut und sprach zu ihm. »Der wollte versuchen, dich zu stehlen, he? Und du wolltest das nicht zulassen? Ja ja, der hat sich geirrt, nicht wahr?«


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