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2. Kapitel. Der tolle Gott

Nur eine kleine Anzahl weißer Leute lebte in Fort Yukon, und sie waren schon seit langer Zeit dort ansässig. Sie nannten sich »Sauerteig« und waren auf diese Bezeichnung stolz. Auf die andern, die mit den Dampfern kamen, blickten sie herab und bezeichneten sie als »Chekaquos«, weil sie ihr Brot mit Hefe zubereiteten, was diese etwas übel nahmen. Und doch war alles nur Neid von seiten der Sauerteigs, denn sie backten das Brot nur deshalb so, weil sie es nicht bester verstanden.

Also blickten die Leute im Fort auf die neuen Ankömmlinge herab und freuten sich, wenn es ihnen übel erging. Sie freuten sich besonders über das Unheil, das Wolfsblut und sein Anhang unter den Hunden der Fremden anrichtete. Wenn ein Dampfer ankam, so erschienen die Leute aus dem Fort stets am Ufer, um sich den Spaß anzusehen, und sie freuten sich darauf ebenso sehr wie die Indianerhunde, und sahen auch bald, wie schlau und mordlustig Wolfsblut sich dabei gebärdete. Vor allem ergötzte sich ein Mann an dem Schauspiel. Beim ersten Pfiff des Dampfers kam er angerannt, und wenn der Kampf vorüber war, so kehrte er langsam und wie bedauernd ins Fort zurück. Manchmal wenn ein sanfter Hund aus dem Südland niedergeworfen wurde und in Todesnöten schrie, so jubelte der Mann laut auf und sprang vor Freude in die Höhe. Immer aber blickte er mit begehrlichem Auge auf Wolfsblut.

Die Leute im Fort nannten den Mann den Schönen. Man kannte seinen Vornamen nicht, so wurde er in der Gegend allgemein der schöne Schmitt genannt. Allein er war durchaus keine Schönheit. Ganz im Gegenteil! Die Natur hatte ihn stiefmütterlich behandelt. Er war klein, und auf dem hageren Körper saß ein winziger Kopf, der nach oben spitz zulief, so daß er als Knabe bei den Kameraden die »Stecknadel« hieß. Die niedere Stirn war flach, und der Hinterkopf zeigte keine Wölbung. Die Gesichtszüge, als ob die Natur ihre Sparsamkeit bereue, waren verschwenderisch breit, die Augen groß und so weit von einander entfernt, daß noch ein Paar dazwischen Platz gehabt hätte. Was aber dem Gesichte die größte Breite gab, war der ungeheure Kiefer. So breit und massig sprang derselbe vor, daß er für den hagern Hals fast zu schwer erschien. Dieser Kinnbacken hätte den Eindruck großer Festigkeit erregen können; allein dies wäre eine Täuschung gewesen, denn Schmitt war weit und breit als ein erbärmlicher Feigling bekannt. Die beiden Augenzähne, länger als ihre breiten gelben Gefährten, ragten wie Stoßzähne zwischen den schmalen Lippen hervor, und die Augen sahen so unbestimmt in der Farbe aus, als hätte die Natur die Reste aus all ihren Farbentöpfen zusammengekratzt. Dasselbe galt von dem spärlichen Haar, das auf dem Kopfe zu Berge stand, im Gesicht jedoch wie Korn wuchs, das vom Winde verweht war.

Eine solche Ungeheuerlichkeit war der schöne Schmitt, der für die Leute im Fort die Küche, das Aufwaschen und alle groben Arbeiten besorgte. Man behandelte ihn nicht gerade schlecht – im Gegenteil –, denn man fürchtete ihn. Konnte er nicht in feiger Wut einen von hinten erschießen oder einem Gift in den Kaffee mischen? Jemand mußte doch die Küche besorgen, und warum sollte es nicht durch Schmitt geschehen, was auch immer seine Fehler waren! Dieser Mann aber war von Wolfsbluts Tapferkeit und Blutdurst so sehr entzückt, daß er wünschte, ihn zu besitzen. Er näherte sich Wolfsblut freundlich, ohne daß dieser ihn beachtete. Als diese Annäherungen zudringlicher wurden, knurrte Wolfsblut und wies ihm die Zähne, indem er rückwärts ging. Der Mann gefiel ihm nicht. Wolfsblut witterte in ihm Schlimmes und fürchtete seine ausgestreckte Hand und die sanften Worte.

Die Tiere unterscheiden leicht zwischen Gut und Böse: jenes bringt ihnen Behagen, Zufriedenheit, Schmerzlosigkeit, und sie haben es darum gern; dieses verursacht Unbehagen und Pein, und darum hassen sie es. Und Wolfsblut fühlte, daß Schmitt böse wäre. Aus dem mißgestalteten Körper, aus dem verderbten Gemüt stiegen geheimnisvoll wie Nebel aus den Fieber erzeugenden Sümpfen ungesunde Ausdünstungen und Ausstrahlungen empor. Nicht durch den Verstand, auch nicht allein durch die Sinne, sondern durch feinere, noch unerforschte Kanäle, kam ihm das Gefühl, daß dieser Mensch übles im Schilde führe, daß er ihm schaden könne, kurz, daß er schlimm sei und verabscheut werden müsse.

Als Schmitt zum erstenmal den Grauen Biber besuchte, befand sich Wolfsblut im Lager. Beim leisen Ton der fernen Fußtritte, noch bevor er den Ankömmling sehen konnte, wußte Wolfsblut, wer da käme, und sein Haar sträubte sich. Er hatte bequem gelegen, aber er stand rasch auf, als der andere sich näherte, und schlich wie ein echter Wolf ans äußerste Ende des Lagers. Er wußte nicht, was die Beiden miteinander sprachen, aber er verstand es dennoch. Als Schmitt einmal mit dem Finger nach ihm wies, zeigte er knurrend die Zähne, als hätte die Hand des Mannes ihn berührt, während sie doch eine weite Strecke von ihm entfernt war. Schmitt lachte darüber, und Wolfsblut schlich in den Schutz des Waldes und wandte den Kopf zurück, als er lautlos über den Boden glitt.

Allein der Graue Biber hatte keine Lust, den Hund zu verkaufen. Er war durch den Handel reich geworden und verlangte nichts weiter. Auch war Wolfsblut ein wertvolles Tier, der stärkste Schlittenhund, den er je gehabt hatte, und der beste Leithund. Es gab nicht seinesgleichen, weder am Mackenzie noch am Yukon. Wie konnte er kämpfen! Er brachte die Hunde so leicht um, wie man Mücken totschlägt, und bei diesen Worten zuckte es wie ein Blitz in den Augen des schönen Schmitt auf, und er leckte sich gierig die dünnen Lippen. Nein, Wolfsblut war um keinen Preis zu haben!

Doch Schmitt kannte die Indianer. Er besuchte den Grauen Biber oft und trug jedesmal unter dem Rock versteckt ein paar dunkle Flaschen. Nun ist es eine eigentümliche Eigenschaft des Branntweins, daß er Durst erzeugt, und der Graue Biber bekam Durst. Seine fiebernden Pulse, seine versengten Eingeweide verlangten immer mehr von der brennenden Flüssigkeit, und sein Gehirn, durch das ungewohnte Reizmittel verstört, trieb ihn an, alles zu tun, um dasselbe zu erlangen. Das Geld, das er für Felle, Handschuhe und Mokassins eingenommen hatte, fing an zu schwinden, und je leerer sein Geldbeutel wurde, desto schlechter wurde seine Laune.

Endlich waren Geld, Waren und Standhaftigkeit dahin; nichts blieb ihm übrig als der Durst, der mit jedem nüchternen Atemzug mächtiger wurde. Da redete Schmitt wieder über Wolfsbluts Verkauf mit ihm und bot ihm diesmal den Preis in Flaschen und nicht in Geld an. Der Graue Biber spitzte die Ohren.

»Wenn du den Hund greifen kannst, so magst du ihn haben,« war des Grauen Biber letztes Wort. – Die Flaschen wurden übergeben, aber zwei Tage später sagte der schöne Schmitt zu ihm: »Greif du den Hund.«

Eines Abends hatte sich Wolfsblut ins Lager geschlichen und mit zufriedenem Seufzer niedergelegt, denn der gefürchtete Weiße war nicht da. Seit Tagen war es ihm klar geworden, daß er ihn zu greifen wünschte, und er hatte darum das Lager gemieden. Er wußte nicht, was ihm von dem Manne Schlimmes drohte, nur daß es ihm drohte, das wußte er, und daß es besser wäre, ihm fern zu bleiben. Allein kaum hatte er sich niedergelegt, als der Graue Biber auf ihn zutaumelte und ihm einen ledernen Riemen um den Hals schlang. Dann setzte er sich neben Wolfsblut nieder, indem er das Ende des Riemens in der Hand behielt. In der andern Hand hielt er eine Flasche, welche er unter der Begleitung gurgelnder Töne von Zeit zu Zeit umgekehrt über den Kopf hielt. So verging eine Stunde, da verkündete das Geräusch von Tritten einen Ankömmling. Wolfsblut hörte es zuerst, und sein Haar sträubte sich, denn er erkannte den Kommenden, während der Graue Biber schlaftrunken nickte. Wolfsblut versuchte, den Riemen leise aus der Hand seines Herrn zu ziehen, aber die Finger desselben faßten fester zu, und der Graue Biber ermunterte sich.

Schmitt kam ins Lager und blieb vor Wolfsblut stehen. Dieser knurrte den Gefürchteten an und verwandte kein Auge von seinen Händen. Die eine war ausgestreckt und senkte sich langsam auf Wolfsbluts Kopf nieder. Je näher die Hand kam, desto lauter und rauher wurde das Knurren, dann duckte sich Wolfsblut, und, indem er die Hand immer argwöhnisch im Auge behielt, wurde das Knurren durch die schnelleren Atemzüge immer kürzer, bis er plötzlich so flink wie eine Schlange zuschnappte. Die Hand fuhr schnell genug zurück, so daß die Zähne leer zusammenklappten, aber Schmitt war erschrocken und ärgerlich, und der Graue Biber gab Wolfsblut ein paar derbe Ohrfeigen, so daß dieser sich gehorsam tief zur Erde duckte.

Allein seine Augen verfolgten mißtrauisch jede Bewegung der beiden Männer. Er sah, wie Schmitt wegging und mit einem derben Stock zurückkam. Dann ergriff er den ledernen Riemen und schickte sich zum Gehen an, wobei er an dem Riemen zerrte. Doch Wolfsblut widersetzte sich. Da stieß ihn der Graue Biber rechts und links, so daß er endlich aufstand, um zu gehen. Aber er tat es mit einem Satz, indem er auf den Fremden, der ihn wegschleppen wollte, lossprang. Doch Schmitt hatte das erwartet und gebrauchte den Stock so tüchtig, daß er Wolfsblut mitten im Sprunge zu Boden warf. Der Graue Biber lachte und nickte billigend. Schmitt zog wieder den Riemen straff an, und Wolfsblut schlich mit gesenktem Kopf und Schwanz hinterdrein.

Er lehnte sich nicht ein zweitesmal auf. Ein Schlag mit dem Stock hatte hingereicht, um ihn zu überzeugen, daß der weiße Mann wußte, wie er ihn gebrauchen sollte, und Wolfsblut war zu klug, um sich nicht in das Unvermeidliche zu fügen. Also folgte er verdrossen und leise knurrend, aber Schmitt behielt ihn wohl im Auge und hielt den Stock immer zum Schlage bereit.

Im Fort angekommen, band ihn Schmitt fest an und ging schlafen. Wolfsblut wartete eine Stunde, dann biß er den Riemen in wenigen Sekunden so glatt durch, als wäre derselbe mit einem Messer durchschnitten. Wolfsblut blickte grollend und mit gesträubtem Haar zum Fort empor, dann kehrte er um und trabte ins Lager des Grauen Biber zurück. Er schuldete dem Fremden keine Treue, er gehörte dem Grauen Biber, dem er sich immer noch zu eigen glaubte.

Am folgenden Tage ereignete sich die nämliche Szene, nur mit dem Unterschiede, daß Schmitt ihm eine tüchtige Tracht Prügel verabfolgte. Da Wolfsblut festgebunden war, so half alles Rasen nichts, und er mußte sich der Strafe unterwerfen. Stock und Peitsche, beides wurde gebraucht, und nie war Wolfsblut in seinem Leben so geschlagen worden. Selbst was der Graue Biber ihm in der Jugend angetan hatte, war nichts dagegen. Schmitt hatte seine Freude daran. Seine Augen leuchteten, als er Stock und Peitsche schwang und dem kläglichen Geschrei und Gebelfer des geschlagenen Tieres lauschte. Schmitt war wie alle Feiglinge grausam. Er krümmte und bückte sich unter den Schlägen oder unter den ärgerlichen Worten eines Menschen, dafür rächte er sich dann an schwächeren Geschöpfen. Denn alles was lebt, liebt die Macht, und Schmitt bildete keine Ausnahme. Da er aber über andere Menschen keine Macht besaß, so machte er sich über niedrigere Wesen her.

Wolfsblut wußte wohl, warum er geschlagen worden war. Als der Graue Biber ihm den Riemen um den Hals gebunden und das Ende Schmitt übergeben hatte, ahnte er wohl, daß es seines Herrn Wille sei, mit dem andern zu gehen, und als der ihn draußen im Fort angebunden hatte, wußte er, daß es Schmitts Wille sei, daß er da bliebe. Also war er gegen beide ungehorsam gewesen und hatte Strafe verdient. Er hatte früher beobachtet, daß Hunde ihre Eigentümer wechselten, und daß jene, wenn sie entliefen, wie er jetzt, geschlagen wurden. Klug war er zwar, aber es lagen noch höhere Kräfte in seiner Natur als die Klugheit, und dazu gehörte die Treue. Er liebte den Grauen Biber nicht, doch war er ihm, obgleich er ihm zürnte, treu. Er konnte nicht anders. Diese Treue lag in dem Stoff, aus dem er gemacht war. Es war die Eigenschaft, die sein Geschlecht vor anderen Tieren auszeichnet, und die den Wolf und den wilden Hund zwingen, die Freiheit aufzugeben, um Gefährten des Menschen zu werden.

Darauf wurde Wolfsblut ins Fort zurückgeschleppt. Diesmal band ihn Schmitt mit einem Stocke fest. Allein Wolfsblut gab einen Herrn nicht so leicht auf, und wenn der Graue Biber ihn auch verraten und verlassen hatte, so machte das nichts. Nicht umsonst hatte er sich ihm einst mit Leib und Seele hingegeben. Auf Wolfbluts Seite war keine Klausel bei dem Bündnis, und es konnte nicht so leicht gebrochen werden. Also machte er sich nachts, als die Leute im Fort schliefen, mit den Zähnen daran, den Stock, mit dem er angebunden war, zu durchnagen. Zwar war das Holz hart und trocken und der Stock so dicht am Halse festgebunden, daß er ihn nur durch die stärkste Anspannung der Halsmuskeln zwischen die Zähne bekommen konnte, dennoch gelang es ihm durch unendliche Geduld – und es mußte Stunden gedauert haben –, den Stock zu zerbeißen, was Hunde gewöhnlich nicht tun. Aber Wolfsblut tat es und wanderte am frühen Morgen vom Fort hinweg, während das Ende des Stockes ihm noch am Halse hing.

Wäre er nun klug gewesen, so würde er nicht zum Grauen Biber zurückgekehrt sein, allein seine Treue zwang ihn, zu dem zurückzukehren, der ihn schon zweimal verraten hatte. Wieder ließ er sich den ledernen Riemen um den Hals binden, wiederum kam Schmitt ihn zu holen, und wiederum wurde er geprügelt, aber diesmal schlimmer, als je zuvor. Der Graue Biber sah unbewegt zu, während der Weiße die Peitsche schwang. Der Hund gehörte ihm ja nicht mehr, also nahm er sich seiner auch nicht mehr an. Als es vorüber war, war es Wolfsblut übel zu Mute. Ein weichlicher Hund aus dem Südland wäre daran gestorben, aber Wolfsbluts Lebensschule war eine härtere gewesen, und der Stoff, aus dem er gemacht, war auch zäher, also überlebte er es. Aber ihm war übel zu Mute, und der schöne Schmitt mußte eine halbe Stunde warten, bis Wolfsblut aufstehen konnte. Dann schleppte er sich halb blind und taumelnd nach dem Fort.

Diesmal wurde er an eine Kette gebunden, die seinen Zähnen widerstand, und die er vergebens mit dem Holzpflock aus dem Boden zu reißen versuchte. Ein paar Tage später zog der Graue Biber bankerott, aber nüchtern, den Porcupinefluß hinauf, um die lange Reise nach dem Mackenzie anzutreten. Wolfsblut blieb am Yukon, das Eigentum eines Menschen, der halb verrückt und durch und durch roh war. Aber was weiß ein Hund von menschlicher Verrücktheit! Für ihn war Schmitt der Herr, wenn auch ein fürchterlicher; und er wußte, daß er sich dem Willen dieses neuen Herrn zu unterwerfen und jeder seiner Laune zu gehorchen hätte.


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