Jack London
Meuterei auf der Elsinore
Jack London

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Nein, es ist doch zweifellos eine richtige Meuterei! Als Buckwheat heute morgen während eines Regenschauers Wasser aus der Dachrinne des Navigationshauses holte, traf ihn eine Revolverkugel von der Back in die Schulter. Das Geschoß hatte durch die Entfernung an Schlagkraft eingebüßt, so daß es nur eine leichte Fleischwunde verursachte. Aber er stellte sich an, als ob er sterben sollte, bis Pike dem Theater ein Ende machte und ihm ein paar tüchtige Backpfeifen versetzte.

Ich möchte Pike nicht zum Chirurgen haben. Er wühlte mit seinem Zeigefinger in der Wunde, um die Kugel zu suchen. Es gelang ihm auch, das Geschoß herauszuziehen, während er die andere Hand drohend bereit hielt, um dem armen Jungen im Bedarfsfall eine neue Backpfeife zu geben. Dann erst schickte er ihn nach unten, wo Margaret die Wunde reinigte und verband.

Ich sehe sie so selten, daß es ein Erlebnis ist, wenn ich einmal eine halbe Stunde mit ihr allein verbringen kann. Sie hat von morgens bis abends genug zu tun, um ihr Haus in Ordnung zu halten. Sie hat für alle aus dem Schiffersgat Reserveunterzeug holen lassen und ihnen befohlen, in dem soeben gebrachten Regenwasser zu baden. Sie hat ihnen verboten, im Heckraum Pfeife zu rauchen. Ferner hat sie die Leute angewiesen, Wände, Decke und alles übrige abzuschrubben und dann morgen mit dem Anstreichen zu beginnen. Und das alles überzeugt mich wieder, daß die Meuterei nur in meiner Einbildung existiert.

 

Die Meuterer hungern tatsächlich immer noch nicht! Heute haben sie Albatrosse gefangen. Und wenige Minuten, nachdem sie den ersten gefangen hatten, wurde der Kadaver über Bord geworfen. Es ist nicht schwer, den Schluß zu ziehen, daß Männer, die am Verhungern sind, gute Nahrung nicht in dieser Weise fortwerfen. Aber woher in aller Welt bekommen sie ihre Lebensmittel?

»Ich denke und denke darüber nach, bis ich ganz dumm im Kopf bin«, sagte Pike zu mir. »Und doch kann ich keine Erklärung dafür finden. Ich kenne jeden Zollbreit an Bord der Elsinore und weiß, daß es nicht ein Gramm Lebensmittel vor dem Mast gab. und doch futtern sie jetzt! Ich habe den ganzen Proviantraum durchsucht, und so weit ich sehen kann, fehlt nicht das Allergeringste.« Ich weiß, daß er heute morgen mit dem Steward und dem Koch viele Stunden im Proviantraum verbracht hat, wo sie alles durchgesehen und mit den Verzeichnissen der Agenten in Baltimore verglichen haben. Wo kriegen sie es denn her?

Ich beginne jetzt zu begreifen, was diese ewigen Wachen bedeuten. Zunächst bedeuten sie, daß ich zwölf und mehr von den vierundzwanzig Stunden an Deck verbringen muß. Ein gut Teil der übrigen zwölf vergeht mit Essen, An- und Ausziehen und dem Zusammensein mit Margaret. Die Folge ist, daß ich mehr Schlaf nötig habe, als ich bekommen kann, ich lese jetzt fast überhaupt nicht mehr. Sobald ich meinen Kopf auf das Kissen lege, schlafe ich ein. Oh, und ich schlafe wie ein kleines Kind und esse wie ein Tagelöhner, und seit vielen Jahren habe ich mich in rein körperlicher Beziehung nicht so großartig befunden wie jetzt.

Der Faun ist übrigens nicht tot – trotz meiner unglücklichen Kugel. Heute kam er zur Ecke des Mittschiffshauses, wo er stehenblieb und mit traurigen Blicken nach der Kampanje starrte.

Und es ist immer noch herrliches Wetter, und wir wissen nicht, wie lange Zeit noch vergehen soll, bis unsere Meuterer ihre geheimnisvollen Vorräte aufgegessen haben und vom Hunger zur Arbeit zurückgetrieben werden.

Wir sind jetzt beinahe recht West von Valparaiso und etwas weniger als tausend Meilen von der Westküste Südamerikas entfernt. Die leichten nördlichen Winde, die von Nordost nach West umlaufen, würden uns, wie mir Pike sagt, ohne Schwierigkeiten nach Valparaiso bringen, wenn wir nur Segel gesetzt hätten. Aber segellos, wie das Schiff jetzt ist, treibt es auf der See umher, und wir würden überhaupt nicht weiterkommen, brächte uns die schwache Abtrift nicht täglich ein kleines Stückchen nordwärts.

 

Bei dem Steuermann wird der Gedanke, Rache am Untersteuermann zu nehmen, immer mehr zur fixen Idee. Über die Meuterei grinst Pike nur, nennt sie einen unangenehmen Happen, den wir schlucken müssen, spricht vergnügt davon, daß seine Heuer immer mehr anwächst, und bedauert nur, daß er nicht an Land ist, um an dem spannenden Spiel mit der Rückversicherung teilzunehmen. Aber er wird wild, wenn er Sidney Waltham sieht, der seelenruhig an der Brüstung der Back steht und See und Himmel betrachtet, oder auf der Lausepflicht liegt und Haie zu angeln versucht. Als Pike gestern an Deck kam, um mich abzulösen, lieh er sich meinen Stutzen und eröffnete ein Schnellfeuer auf den Untersteuermann, der in größter Ruhe seine Angelleine in Sicherheit brachte, ehe er wieder auf die Back kletterte.

Und doch ist es gar nicht so, wie man sich eine richtige Meuterei denkt. Da gibt es keinen Nahkampf, keine brüllenden Kanonen, da blitzen keine Säbel, die Matrosen saufen keinen Grog, und niemand hält brennende Fackeln an geöffnete Pulvermagazine. Du lieber Gott, es gibt gar keinen Säbel, kein Pulvermagazin an Bord. Und was den Grog betrifft, so hat keiner von den Leuten seit Baltimore einen zu trinken bekommen. Aber trotzdem ist es eine Meuterei – ich werde nie mehr daran zweifeln. Mag es auch eine Meuterei im zwanzigsten Jahrhundert an Bord eines Kohlenschiffs, und mögen die Meuterer auch Schwächlinge, Trottel und Verbrecher sein – Meuterei ist es, und die Zahl der Toten gemahnt schon an die Meutereien der guten alten Tage. Seit ich das letzte Mal Gelegenheit hatte, diese Eintragungen zu machen, ist nämlich allerlei geschehen. Jetzt führe ich das Schiffsjournal, und Margaret hilft mir dabei.

Ich hätte ja eigentlich wissen müssen, daß es so kommen würde. Gestern morgen um vier löste mich Pike ab. Als ich in der Dunkelheit an die Brüstung der Kampanje trat, wo er stand, mußte ich ihn zweimal anreden, bevor er meine Anwesenheit bemerkte. Und selbst da grunzte er nur geistesabwesend zur Antwort. Im nächsten Augenblick kam er zu sich, nur war er vielleicht ein wenig aufgeräumter als gewöhnlich. Er nahm sich sehr zusammen. Ich merkte es, war aber völlig unvorbereitet auf das, was jetzt folgte.

»In einer Minute bin ich wieder da«, sagte er, schwang sich über den Kampanjebogen und verschwand schnell in der Dunkelheit an Deck.

Ich konnte nichts dagegen tun. Hätte ich ihn zurückgerufen, so würde das nur die Aufmerksamkeit der Meuterer auf uns gelenkt haben. Ich hörte seine Füße auf dem Deck aufschlagen, als er sich hinabfallen ließ. Sofort lief er nach vorn. Er kannte keine Vorsicht. Ich hörte seine schleppenden Greisenschritte bis zum Mittschiffshaus. Dann verstummte auch dies Geräusch, und es war nichts mehr zu hören.

Ich wiederhole: das war alles. Kein Laut drang von der Back herüber. Ich blieb auf meinem Posten, bis es Tag wurde. Ich blieb da, bis Margaret mit ihrem heiteren: »Wie ging es heut nacht, tapferer Seemann?« an Deck kam. Ich übernahm auch die nächste Wache, die eigentlich dem Steuermann zukam, blieb bis Mittag an Deck und aß mein Frühstück hinter dem schützenden Kreuzmast. Und hier blieb ich den ganzen Nachmittag und die ganze Plattfußwache hindurch und erhielt mein Mittagessen an Deck serviert. Und das war alles. Sonst geschah nichts. Dreimal stieg Rauch aus dem Schornstein der Kombüse auf, die Meuterer kochten also. Der Malteser-Londoner fing einen Albatros. Es gab einige Aufregung, als Tony, der Grieche, vom Butenklüwerbaum aus einen Hai harpunierte, der so groß war, daß ein halbes Dutzend von den Leuten ihn vergebens einzuholen versuchte. Aber weder von Pike noch von Sidney Waltham sah ich eine Spur.

Es war ein stiller, heller Tag mit Sonnenschein und einer sanften Kühlte. Nichts ließ erraten, was dem Steuermann zugestoßen war. Hatten sie ihn gefangengenommen? War er vielleicht schon über Bord? Warum hatte man kein Schießen gehört? Er hatte doch seinen großen Revolver bei sich, und es war eigentlich undenkbar, daß er ihn nicht benutzt haben sollte. Margaret und ich kamen zu keinem Ergebnis.

Sie ist eine wahre Tochter unserer Rasse. Nach der Plattfußwache bewaffnete sie sich mit dem Revolver ihres Vaters, denn sie wollte unbedingt die erste Wache übernehmen. Ich gab schließlich nach, ließ mir aber mein Bett unmittelbar vor dem Kreuzmast an Deck aufschlagen. Henry, die beiden Segelmacher und der Steward wurden mit Messern und Keulen bewaffnet und an der Brüstung der Kampanje aufgestellt.

Die einzigen Feuerwaffen achtern sind jetzt der 38 Colt, der Kapitän West gehört hat, und mein 22kalibriger Winchester Stutzen. Der alte Steward, der eine gewisse Vorliebe für Hacken und Schneiden zu haben scheint, hat sein langes Messer und ein Hackmesser. Henry hat außer seinem Scheidemesser eine kurze eiserne Stange. Louis hat eine vorzügliche und reichhaltige Auswahl von Fleischmessern sowie einen riesigen Schürhaken, aber als Koch setzt er doch sein größtes Vertrauen auf kochendes Wasser und hat deshalb immer zwei Kessel mit heißem Wasser auf dem Hüttenofen stehen. Buckwheat, der wegen seiner Verwundung ein paar Nächte in seiner Koje verbringen darf, drückt zärtlich ein Beil an seinen Busen. Yatsuda, der erste Segelmacher, läuft mit einer kleinen Axt und Uchino, sein Gehilfe, mit einem großen Splitthammer herum. Tom Spink hat eine Harpune. Wada hat sich am Feuer des Hüttenofens eine scharfe eiserne Speerspitze verfertigt, die er an einer langen Stange befestigt hat. Morgen will er ähnliche Speere für die andern herstellen.

Aber es gruselt einem, wenn man an die furchtbare Auswahl von schneidenden, bohrenden, sägenden und zerschlitzenden Instrumenten denkt, mit denen die Meuterer sich aus den Beständen des Zimmermanns bewaffnet haben. Solange es heller Tag ist, wird es freilich keinem möglich sein, die Kampanje zu stürmen, da ich Gott sei Dank mit meinem kleinen Stutzen umzugehen weiß. Wenn sie aber stürmen wollen, so werden sie es selbstverständlich nachts tun, und dann ist mein Schießprügel leider wertlos. Dann geht es Mann gegen Mann, Faust gegen Faust und die härtesten Schädel, die stärksten Arme werden siegen müssen.

Und doch braucht es nicht so schlimm zu werden. Es ist mir etwas eingefallen: ich werde festlich illuminieren. Während ich diese Zeilen schreibe, arbeite ich den Gedanken in seinen Einzelheiten aus . . . Benzin, Kugeln aus Werg, Zündhütchen und Pulver aus einigen Patronen, Leuchtraketen und blaue, rote und grüne Leuchtsterne. Dann müssen wir noch Metallbehälter für das leicht entzündbare und explosive Material verfertigen und uns irgendeine Einrichtung ausdenken, die die Zündhütchen zur Explosion bringt, sobald man an einer Schnur zieht, so daß nicht nur die Leuchtraketen und die Sterne, sondern auch die Wergkugeln angezündet werden.

Ich habe heute den ganzen Tag geschuftet, und meine Idee ist schon verwirklicht. Margaret stand mir mit guten Ratschlägen bei, und Tom Spink übernahm den seemännischen Teil der Arbeit. Hoch über unsern Köpfen laufen vom Kreuzmast über Kampanje und Großdeck bis zum Mittelmast stählerne Stags, an denen die drei Kreuztrysegel festgemacht werden. Um jedes Stag haben wir eine Leine mehrmals herumgelegt, so daß sie unlösbare Knoten bildet. Als es dunkel geworden war, enterte Tom Spink hinauf und legte verschiebbare Ringe von Stahldraht gleich unterhalb der Knoten um die Stags. Er hatte auch einen Flaschenzug mit hinaufgenommen, verband die Ringe fest miteinander, so daß sie sich gleichzeitig bewegen mußten, und stellte eine feste Verbindung zwischen Ringen und Flaschenzug her, so daß sie nicht von selbst heruntergleiten konnten. Endlich wurde eine dünne Scherlien lose von Ring zu Ring gelegt, deren eines Ende bis an den letzten Ring, das andere durch den Flaschenzug ging, so daß die Ringe fünfzig Fuß heruntergleiten können, wenn die Lien freigemacht wird.

Sobald es ganz dunkel wird, halen wir einfach unsere drei mit Explosivstoffen gefüllten Metallbehälter in die Stags hinauf. Sie werden so eingerichtet, daß wir bei der ersten Meldung eines Angriffs nur an einer Schnur zu ziehen brauchen, um einen Hahn in Bewegung zu setzen, der das Pulver zur Explosion bringt. Und durch dieselbe Bewegung werden auch die Ringe durch den Flaschenzug in Bewegung gesetzt, so daß die Stags fünfzig Fuß herunterrutschen. An den Ringen sind die Metallkörper mit den Leuchtstoffen befestigt, und wenn sie herunterrutschen, überfluten sie das ganze Großdeck zwischen Kampanje und Mittelmast mit Licht, während wir im Dunkeln bleiben. Selbstverständlich lassen wir jeden Morgen die ganze Apparatur wieder aufs Deck herab, damit die Meuterer vor dem Mast nichts davon merken. Und ich hoffe direkt, daß sie bald einen Sturmangriff unternehmen, nur damit ich sehen kann, wie die Sache klappt.

 

Was mit Pike geschehen ist, bleibt ein Rätsel. Und ebensogut könnte ich fragen, was aus dem Untersteuermann geworden ist? Die letzten drei Tage haben wir versucht, die Zahl der Meuterer durch Augenschein festzustellen. Mit Ausnahme von Mellaire haben wir alle gesehen. Er allein hat sich nicht gezeigt und zeigt sich noch immer nicht, und wir können nur Vermutungen anstellen.

Die letzten drei Tage ist überhaupt allerlei geschehen. Margaret teilt sich Tag und Nacht in die Wachen mit mir, denn keinem andern dürfen wir die Verantwortung eines Wachkommandos anvertrauen. Ich habe selbst sogar den Steward und Wada dabei ertappt, wie sie im Begriff waren, ein Nickerchen zu machen. Henry, der Junge vom Schulschiff, ist der einzige, der noch nicht der allgemeinen Schlaffheit verfallen ist.

Und dann habe ich Tom Spink gestern gründlich verbimst. Seit dem Verschwinden des Steuermanns hatte ich schon Anzeichen von Frechheit und Insubordination bei ihm bemerkt. Vorgestern unterhielt ich mich mit Margaret darüber.

»Er ist ein tüchtiger Seemann, aber ein schwacher Charakter«, sagte sie. »Wenn wir es ihm hingehen lassen, wird er alle andern anstecken.«

»Schön, ich werde ihn mir vornehmen«, erklärte ich heldenmütig.

»Das mußt du auch«, ermunterte sie mich. »Du mußt hart sein. Hart und immer wieder hart.«

Die Lage war tatsächlich ziemlich peinlich. Ich hatte noch keine Übung in der Behandlung von Menschen, und das merkte Tom Spink sehr wohl. Den Steuermann hatte er gefürchtet, dabei aber das Vertrauen zu ihm gehabt, daß er ihn heil oder doch jedenfalls lebendig aus dieser Geschichte herausbringen würde. Zu mir hat er dies Vertrauen nicht. Welche Chancen haben wohl der vornehme Herr Badegast und die Tochter des Kapitäns gegen die Banditen vor dem Mast? Ungefähr so wird er gedacht haben, und deshalb verlor er Mut und Hoffnung. Ich überwachte Tom Spink mit Falkenaugen, und er muß das auch bemerkt haben, denn er achtete sorgfältig darauf, nicht die Grenze des Erlaubten zu überschreiten, war aber doch immer nahe daran. Ich wußte auch, daß Buckwheat uns beide genau beobachtete, um zu sehen, wie die Sache ausgehen würde. Im übrigen war die Sache auch nicht der Aufmerksamkeit unserer scharfäugigen Asiaten entgangen, und ein paarmal war Louis offenbar schon nahe daran, mir einen gutgemeinten Rat zu erteilen. Er kannte jedoch seine Stellung zu gut und hielt deshalb vorläufig den Mund.

Aber gestern hatte Tom Spink während meiner Wache die unerhörte Frechheit, Tabaksaft auf das Deck zu spucken. Nun muß man wissen, daß auf See ein solches Benehmen eine ebenso große Sünde ist wie eine Gotteslästerung in der Kirche. Ich stand am Kreuzmast, als Margaret zu mir trat und mir erzählte, was geschehen war. Sie ließ sich meinen Stutzen geben und übernahm meinen Posten, damit ich achteraus gehen konnte. Dort stand Tom Spink und kaute seelenruhig seinen Priem.

»He, du, hol schnell einen Schwapper und wisch den Dreck auf«, befahl ich so barsch, wie es mir möglich war.

Tom Spink schob den Priem in die andere Backe und guckte mich spöttisch an. Ich bin überzeugt, daß er ebenso überrascht wie ich selbst war über die Ereignisse, die sich jetzt überstürzten. Denn meine Faust flog vor und Tom Spink taumelte zurück und schlug mit dem Kopf gegen die Peilrohrverschraubung. Nun habe ich seit meiner Knabenzeit keinen Menschen mit der bloßen Faust geschlagen, aber ich gebe gern zu, daß es mir einen Mordsspaß machte, den armen Tom Spink zu verhauen. Natürlich war die ganze Geschichte ein bißchen lächerlich. Aber ich fühlte mich durch das Bewußtsein, daß Margaret zusah, angeregt, und meine Schläge erhielten dadurch Kraft und Nachdruck. Nun, jedenfalls habe ich Tom Spink eine Lehre erteilt, und es hat auch geholfen, denn er hat versprochen, sich zusammenzunehmen.

»Jawoll, Käpt'n«, murmelte er mit blutenden Lippen, »jawoll, Käpt'n, ich wische es ab. Jetzt gleich, Käpt'n, jawoll, Käpt'n.«

Seit diesem Vorfall ist die Luft achteraus herrlich klar und rein. Tom Spink gehorcht jedem Befehl mit bewunderungswerter Eile, Buckwheat springt ebenso willig, und die fünf Asiaten stehen noch fester als bisher hinter mir, seit ich gezeigt habe, daß ich fähig hin zu herrschen.

 

Wieder sind zwei Tage vergangen, und es sind zwei bemerkenswerte Vorkommnisse zu verzeichnen. Erstens scheint es, als ob die Proviantbestände der Meuterer auf die Neige gingen, und zweitens haben wir unsere ersten Verhandlungen mit ihnen geführt.

Durch mein Glas hatte ich gesehen, daß sie nicht mehr die ganzen Kadaver der gefangenen Seevögel über Bord warfen wie bisher. Das bedeutet, daß sie jetzt gezwungen sind, das Fleisch der Tiere zu essen, obgleich es zäh ist und schlecht schmeckt. Freilich braucht das noch nicht zu bedeuten, daß sie mit ihrem Proviant ganz am Ende sind. Und dann hat Margaret, die nach echter Seemannsart immer das Barometer und den Himmel beobachtet, festgestellt, daß das Barometer fällt, und daß Wolken sich am Himmel zusammenballen. Sie sagte mir, daß wir bald einen Sturm zu erwarten hätten.

Aus diesem Grunde hißte ich die weiße Flagge. Bert Rhine und Charles Davis kamen achteraus bis zum Mittschiffshaus, und während wir miteinander sprachen, tauchten viele Köpfe über dem Rand der Back auf, und mehrere Gestalten schlichen sich an beiden Seiten des Hauses entlang.

»Na, seid ihr jetzt mürbe?« begrüßte mich Bert Rhine in seiner unverschämten Art. »Können wir Ihnen irgendwie gefällig sein?«

»Jawohl«, antwortete ich barsch. »Ihr könnt eure Köpfe in Sicherheit bringen, so daß genügend Hände übrigbleiben, wenn ihr mal wieder an die Arbeit zurückkehrt.«

»Wenn Sie drohen wollen . . .«, begann Charles Davis, aber der Zuchthäusler brachte ihn zum Schweigen.

»Na, was gibt's denn?« fragte Bert Rhine. »Heraus damit.«

»Es ist nur zu euerm eigenen Besten«, lautete meine Antwort. »Es wird bald zu wehen beginnen, und die Segel, die nicht festgemacht sind, werden euch die Rahen an den Kopf schmeißen. Wir achtern sind in Sicherheit. Ihr allein lauft Gefahr dabei, und es ist deshalb eure Sache, aufzuentern und die Dinger zu beschlagen.«

»Und wenn wir es nicht tun?« knurrte der Bandit.

»Dann müßt ihr eben selbst die Folgen tragen«, sagte ich gleichgültig. »Ich wollte euch nur darauf aufmerksam machen, daß eine von den stählernen Rahen herunterfallen kann und dann die Decke des Volkslogis zerschmettern wird wie eine Eierschale.«

Bert Rhine guckte Charles Davis an, und Davis nickte bestätigend.

»Wir werden die Sache besprechen«, sagte er.

»Ich gebe euch zehn Minuten«, antwortete ich. »Wenn ihr dann nicht angefangen habt, die Segel zu bergen, ist es zu spät. Dann schieße ich jedem, der sich zeigt, eine Kugel in den Leib.«

»Schön, wir werden die Sache besprechen.«

Als sie sich umdrehten, um voraus zu gehen, rief ich ihnen nach: »Einen Augenblick.«

Sie blieben stehen und drehten sich um.

»Was habt ihr mit Herrn Pike gemacht?« fragte ich.

Selbst der sonst so hartgesottene Bert Rhine konnte seine Überraschung nicht verbergen.

»Und was habt ihr mit Herrn Mellaire gemacht?« erwiderte er. »Erzählt ihr zuerst!«

Ich bin überzeugt, daß seine Überraschung echt war. Die Meuterer haben offenbar geglaubt, daß wir Schuld am Verschwinden des Untersteuermannes sind, so wie wir uns einbildeten, daß sie mit dem Verschwinden des Steuermannes zu tun hätten. Je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, daß die beiden Offiziere sich gegenseitig umgebracht haben.

»Noch eins«, sagte ich. »Wo habt ihr euern Proviant her?«

Bert Rhine lachte sein lautloses Lachen, während Charles Davis eine Miene geheimnisvoller Überlegenheit aufsteckte.

Ich zog meine Uhr und sagte: »Ich gebe euch also zehn Minuten.«

Sie machten wieder kehrt und gingen voraus. Es dauerte nicht einmal zehn Minuten, so waren schon alle Hände dabei, die Segel zu bergen. Inzwischen begann es aus Nordwest zu wehen. Die vertrauten Harfentöne, die den kommenden Sturm verkündeten, summten schon durch die Takelung, aber die Männer schienen mir heute ganz besonders langsam zu arbeiten – vielleicht nur aus Mangel an Übung.

»Es würde richtiger sein, gleich die Ober- und Untermarssegel zu setzen, so daß wir besser beidrehen können«, schlug Margaret vor.

Ich griff den Gedanken auf und brachte ihn zur Ausführung.

»Es ist besser, daß ihr die Ober- und Untermarssegel gleichzeitig setzt, damit das Schiff wieder dem Ruder gehorcht«, rief ich dem Banditen zu, der breitspurig an der Decke des Mittschiffshauses stand und kommandierte, als ob er Steuermann wäre.

Er überlegte und gab dann die notwendigen Befehle; der Malteser-Londoner mit Nancy und Sundry Buyers führten sie aus. Ich hieß Tom Spink das Ruder nehmen, das solange ledig gestanden hatte, und gab ihm den Kurs an – hart Ost nach dem Strichkompaß. Die Segel füllten sich, und die Elsinore begann wieder durch die See zu laufen. Margaret, die neben mir stand, drückte mir in der Dunkelheit stumm, sanft und liebevoll die Hand.

»Ich hatte nie gewünscht, einen Seemann zu heiraten«, sagte sie, »und ich dachte, in dieser Beziehung mit dir sicher zu gehen, du Landratte! Und jetzt stehst du hier, und alles, was zur See gehört, lebt und pulst in deinen Adern. Es wird nicht lange dauern, so sehe ich dich mit einem Sextanten die Sonne peilen oder die Sternhöhe nehmen.«

 

Wieder sind vier Tage vergangen. Der Sturm ist schon abgeflaut, und wir sind nur noch dreihundertfünfzig Meilen von Valparaiso entfernt. Die Elsinore schlingert jetzt vor einer labberen Kühlte. Sie bewegt sich nicht schneller als die Drift. Als der Sturm seinen Höhepunkt erreicht hatte – er währte nicht weniger als drei Tage und Nächte – erzielten wir acht, sogar neun Knoten. Zu meinem Befremden erhoben die Meuterer keine Einwände gegen mein Programm. Sie wußten in der Geographie doch zu gut Bescheid, um sich nicht ganz klar darüber zu sein, was ich vorhatte. Sie hatten die Segel in ihrer Gewalt, und doch erlaubten sie mir, die Küste anzulaufen. Sie gingen sogar noch weiter. Als der Sturm am Morgen des dritten Tages abgeflaut war, enterten sie hinauf, setzten Bramsegel, Reuel und Oberbramleesegel und braßten die Rahen. Das war jedoch zuviel für das angelsächsische Blut in meinen Adern, ich brachte die Elsinore in den Wind, drehte bei und zurrte das Ruder fest. Margaret und ich sind uns nämlich einig, daß sie die Absicht haben, an Land zu gehen. Sobald sie es sichten, wollen sie in die Boote gehen und desertieren.

»Aber das lassen wir nicht zu«, erklärte sie mit blitzenden Augen. »Wir wollen nach Seattle, und wir werden sie zwingen, wieder ihre Pflicht zu tun.«

Merkwürdigerweise bekamen wir eine kleine Zugabe zu dem Sturm, obgleich er längst von einer labberen Kühlte abgelöst worden war. Da die Segel nicht getrimmt waren und deshalb killten und blafterten, kann man sich leicht vorstellen, welchen Höllenlärm das Klatschen von Segeln und Tauen in unserer Takelung verursachte. Die gesamte Mannschaft kam in heller Aufregung aus dem Volkslogis gestürzt.

»Trimmt das Takelwerk«, brüllte ich Bert Rhine zu, der tatsächlich von selbst bis zur Kampanje kam, um zu hören, was ich zu dem Spektakel meinte. Charles Davis und der Malteser-Londoner begleiteten ihn als fachmännische Ratgeber.

»Nur vor dem Winde laufen lassen, dann brauchen wir nicht zu trimmen«, rief Bert Rhine zu mir herauf.

»Ans Land wollt ihr?« brüllte ich höhnisch. »Hungrig geworden, was? Aber das gibt es nicht, und wenn es tausend Jahre dauern sollte.«

Ich habe vergessen zu erzählen, daß sich das gestern mittag abspielte.

»Wir werden die Segel bergen, so daß Sie an den Wind gehen können«, schlug Bert Rhine vor.

Ich schüttelte den Kopf und legte meinen Stutzen an. »Der erste Mann, der in die Wanten entert, kriegt eine Kugel von mir.«

»Dann kann die Elsinore meinetwegen zum Teufel gehen. Mir ist es schnuppe«, erklärte er mit Nachdruck.

Und eben in diesem Augenblick riß die Vorbramrahe sich los, fiel aufs Deck und zerschlug die Schanzkleidung an beiden Seiten und die Laufbrücke zwischen Fockmast und Vorderkastell.

Bert Rhine hörte es, konnte aber den angerichteten Schaden nicht sehen. Er blickte mich deshalb spöttisch an und fauchte:

»Noch was auf den Kopf gefällig?«

Was jetzt geschah, hätte überhaupt nicht in einem günstigeren Augenblick kommen können. Zuerst zersprangen die Backbord- und dann die Steuerbordbrassen der Bagienrahe, und als das mächtige Stück Stahl wild hin und her geschleudert wurde, drehten sich Bert Rhine und seine Kameraden schnell um und sanken buchstäblich in die Knie vor Angst. Im nächsten Augenblick zersprangen die Toppenanten und die Schooten des Mitteluntermarssegels, und als das Schiff sich beim Stampfen auf den Kopf stellte, fiel das Rundholz auf Deck und zerschlug die Laufbrücke. Das war den Banditen etwas Neues – mir übrigens auch.

»Macht lieber, daß ihr wegkommt«, brüllte ich höhnisch. Und die drei sahen erschrocken nach oben, welches Rundholz sie jetzt an den Kopf bekommen würden.

Das Untermarssegel, dessen Schoot von der fallenden Bagienrahe zerrissen worden war, hatte sich aus den Lieken gerissen, wurde nach Luv geschleudert und machte einen solchen Lärm, daß die drei Meuterer nicht ohne Grund befürchten mußten, die Rahe gleich herunterstürzen zu sehen. Der Führer der Banditen war freilich kein Seemann, aber doch intelligent genug, um die Gefahr zu erkennen. Er sah mich an. Und wenn ich ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen will, muß ich einräumen, daß er seine Ruhe ganz bewahrte, selbst jetzt, da unsere ganze Takelung dem Untergang geweiht schien.

»Ich denke, wir werden das Takelwerk trimmen«, kapitulierte er schließlich.

»Laß die Leute auch die Reuel und Oberbramleesegel bergen«, flüsterte Margaret mir ins Ohr.

»Wenn ihr oben seid, könnt ihr ja ebensogut gleich die Reuel und Oberbramleesegel bergen«, rief ich ihnen zu. »Aber macht die Beschlagseisinge schon fest.«

Noch nie während der ganzen Fahrt habe ich die Mannschaft mit solcher Schnelligkeit arbeiten sehen. Eile war aber auch vonnöten, um unsere Takelung zu retten. Sie konnten nichts tun, als die schäbigen Reste des Mitteluntermarssegels mit ihren Scheidemessern abzuschneiden; dann rissen sie das Großoberbramleesegel aus dem Liek.

»Was hilft es eigentlich?' sagte ich zu Margaret, als die Segel ordentlich getrimmt und die Rahen angebraßt waren. »Dreihundertfünfzig Meilen von Land sind genau so gut wie dreitausendfünfhundert, wenn es darum geht, die Leute auszuhungern.«

Statt die Elsinore die Räumte suchen zu lassen, ließ ich sie deshalb mit Steuerbordhalsen beidrehen und nur durch die Abtrift nach Südwest treiben.

Unsere tüchtigen Aufrührer bekamen aber trotz allem im Laufe der Nacht ihren Willen. In der Dunkelheit hörten wir sie in der Takelung arbeiten, hörten, wie sie Rahen herunterholten, Schooten fliegen ließen, Segel halten und festmachten. Ich gab aufs Geratewohl einige Schüsse ab, aber alles, was ich damit erreichte, war, daß eine ganze Salve von Revolverschüssen gegen die Wände des Navigationshauses prasselte.

Es ist wirklich eine höchst seltsame Situation. Wir haben die Steuerung in der Hand, während die Leute vor dem Mast die Bewegungskraft in ihrer Gewalt haben. Das einzige Segel, das sich ganz in unserer Gewalt befindet, ist der Besan. So aber scheint mir die Meuterei, die wir hier erleben, einfach grotesk. Bei den guten alten Meutereien, den klassischen Meutereien, hätten die Matrosen längst wie wilde Tiger die Kampanje gestürmt, hätten die meisten von uns getötet oder wären zum größten Teil gefallen. Margaret aber schüttelt den Kopf und bleibt dabei, daß die menschliche Natur sich nicht ändere. Sie weist auf die Zahl bereits erfolgter Todesfälle hin und erklärt, wir würden sicher früher oder später in einer dunklen Nacht erleben, daß unsere Banditen, wenn der Hunger sie erst bisse, die Kampanje zu stürmen versuchten.

Romantisch ist es ja zweifellos, Tag und Nacht mit einer Frau zu wachen, die man liebt. Jede Ablösung ist ein Liebeserlebnis, das man nie vergessen wird. Nie gab es eine Brautzeit, wie die unsere . . . mit den geflüsterten Ahnungen über Wetter und Wind, den leise gemurmelten Ratschlägen, den brennenden Küssen, den verwegenen Liebkosungen, die das Dunkel der Nacht verbirgt.

 

Margaret hat recht gehabt. Die Meuterei widerspricht durchaus nicht den alten Regeln und Erfahrungen auf diesem Gebiet. Wir haben einige Tage und Nächte lang genug zu tun gehabt. Ditman Olansen, der Berserker mit den verrückten Augen, ist von Wada getötet worden, und der Junge vom Schulschiff ging mit einem Sack Kohlen an den Füßen über Bord. Die Kampanje ist Gegenstand eines heftigen Angriffs gewesen, aber meine selbsterfundene Beleuchtung hat ihre Probe bestanden.

Der Angriff auf die Kampanje fand vor zwei Nächten statt. Nein, zuerst muß ich erzählen, daß ich eine neue Erfindung gemacht habe. Gemeinsam mit dem alten Steward, der, wie die meisten Chinesen, etwas von Feuerwerk versteht. Das Material entnahm ich unsern Leuchtraketen. Ich glaube freilich nicht, daß die Bomben sehr gefährlich sind, und ich weiß auch, daß meine Zündschnüre noch langsamer sind als die augenblickliche Fahrt der guten Elsinore – und das will etwas heißen. Aber nichtsdestoweniger haben die Bomben ihren Zweck erfüllt, und das ist ja schließlich die Hauptsache.

Und jetzt komme ich zu dem Angriff auf die Kampanje. Margaret hatte die Wache – von Mitternacht bis vier Uhr morgens –, als es geschah. Ich schlief an Deck neben dem Skylight der Hütte. Plötzlich hörte ich, daß dicht neben mir ihr Revolver abgefeuert wurde und immer weiter knallte. Ich sprang zunächst zu den Brassen meiner Beleuchtungskörper. Es klappte vorzüglich. Ich zog nur zwei Beleuchtungsbrassen an – und die beiden betreffenden Apparate explodierten mit einem Mordskrach, liefen im selben Augenblick die Kreuzmaststagen herunter und blieben hängen als ihre Leinen ausgelaufen waren. Die Beleuchtung funktionierte tadellos. Henry, die beiden Segelmacher und der Steward kamen zu uns gestürzt und stellten sich an die Kampanjenbrüstung. Wir hatten alle Vorteile auf unserer Seite, weil wir im Dunkeln standen, während unsere Feinde als Silhouetten gegen das Licht erschienen. Und was für ein Licht! Das Pulver knallte, zischte und knatterte, und das Benzin quoll aus den brennenden Wergbällen, so daß Ströme von Feuer auf das Großdeck herabträufelten.

Es kam nicht zu einem richtigen Kampf, denn die Meuterer waren über unser Feuerwerk ganz verblüfft. Margaret schoß ihren Revolver auf gut Glück ab, während ich meinen Stutzen für jeden bereit hielt, der die Kampanje entern wollte. Zufällig sah ich, daß Margaret über den Kopf eines Mannes hinweg schoß, der von der Backbordreling aus den Versuch machte, die Kampanje zu erklettern. Im nächsten Augenblick sah ich Wada wie einen wilden Stier vorstürmen und den Mann mit seinem Speer durchbohren, so daß er an Deck fiel und liegenblieb. Das war alles. Der Rest der Meuterer zog sich zurück, während die drei Stagsegel, die am unteren Ende der Stags festgemacht waren, von dem Feuer ergriffen wurden und in Flammen aufgingen.

Ich hatte jetzt zwei von meinen Beleuchtungskörpern abgebrannt und hatte nur noch einen übrig. Als ich eine Stunde darauf feststellte, daß der Feind wieder zum Angriff schritt, ließ ich die dritte und letzte explodieren, und vor ihrem Lichtschein flüchteten die Leute so schnell wie möglich wieder nach der Back.

Margarets Wache, die ich mit ihr an Deck verbrachte, wurde nicht weiter gestört. Gegen vier Uhr verlangte ich, daß sie in ihre Kabine gehen und sich hinlegen sollte, aber sie begnügte sich mit meinem Lager hinter dem Skylight. Um sieben – kurz vor dem Frühstück und während Margaret noch schlief – schickte ich Henry und Buckwheat zu der Leiche hinunter. Ich stand, den Stutzen in der Hand, oben am Bogen, bereit zu schießen, wenn es notwendig sein sollte. Die Leute im Volkslogis gaben indessen kein Lebenszeichen, und die beiden Jungen konnten ungehindert die Leiche umdrehen, so daß wir sie identifizieren konnten – es war der Norweger mit den irren Augen. Sie trugen ihn zur Reling und schoben ihn über Bord. Wadas Speer hatte den Mann vollkommen durchbohrt.

Aber vierundzwanzig Stunden später beglichen die Meuterer die Rechnung. Es begann damit, daß sich einige Matrosen, während Margaret und ich hinter dem Kreuzmast frühstückten, achteraus schlichen und tatsächlich bis unter das Deckengesims der Kampanje gelangten . . . ich hatte diese Möglichkeit übrigens vorausgesehen und deshalb die Bomben hergestellt. Buckwheat sah sie kommen und alarmierte uns, aber leider zu spät.

Zwei stählerne Pforten führten unter dem Deckengesims der Kampanje auf das Großdeck. Die drei oder vier Leute versuchten nun diese Pforten einzuschlagen, während die übrigen Meuterer in Deckung des Mittschiffshauses bereit standen, um zu stürmen, sobald die Pforten nachgaben. Hinter den Pforten standen der Steward und Wada. Der Steward mit seinem Schlachtmesser, Wada mit seinem Speer. Ich selbst zündete, vom Kreuzmast gedeckt, die Zündschnur einer meiner Bomben an. Dann lief ich mit ihr über die Kampanje, ließ sie auf das Großdeck fallen und versuchte gleichzeitig, sie unter das Gesims zu schieben, wo die Matrosen an den Pforten tätig waren. Meine Bemühungen wurden indessen durch mehrere Revolverschüsse aus den Gängen neben dem Mittschiffshaus unterbrochen. Doch meine Beleuchtungskörper hatten den Meuterern Respekt vor meinen Feuerwerkerkünsten beigebracht. Als jetzt die Zündschnur zischte und puffte, hatten die Meuterer schon genug und liefen aus ihrer gedeckten Stellung schnell nach der Back. Ich hätte ein paar von ihnen niederknallen können, war aber leider gerade im Begriff, die Zündschnur meiner zweiten Bombe anzuzünden. Margaret feuerte drei Schüsse ins Blaue hinein, und die Kampanje wurde sofort das Ziel einer kräftigen Revolversalve.

Ich bin ein vorsichtiger und bequemer Mensch. Ich hatte gelernt, daß es sehr viel Zeit und Mühe kostet, Bomben als Heimarbeit herzustellen, und kniff deshalb den brennenden Teil der Zündschnur, die ich bereits in meiner Hand hielt, ab. Die Zündschnur der ersten Bombe, die noch auf dem Großdeck herumkollerte, zischte inzwischen weiter; hätte nur einer der Männer, die geflüchtet waren, den nötigen Mut gehabt, so hätte er seelenruhig die Zündschnur abkneifen oder die Bombe über Bord werfen oder – was noch besser gewesen wäre – sie uns auf die Kampanje zurückschleudern können. Trotz der kurzen Zündschnur dauerte es volle fünf Minuten, bis die Bombe explodierte, und da war es eine traurige Enttäuschung. Wahrhaftig, ich hätte ruhig darauf sitzen können. Und doch erfüllte sie ihren Zweck insofern, als sie Schrecken verbreitete.

Es war ganz klar, daß die Meuterer anfingen, Mangel an Proviant zu leiden. Die Elsinore trieb an diesem Morgen ohne Segel als ein Spielzeug von Wind und Wellen umher, und die Bande warf viele Fangleinen über Bord, um Sturmvögel und Albatrosse zu fangen. Gott, wie ich die hungrigen Fischer mit meinem Stutzen ärgerte! Es konnte sich kein Mensch vorne zeigen, ohne daß eine Kugel in gefährlicher Nähe von ihm in die stählernen Wände schlug. Und doch gelang es ihnen, einzelne Vögel zu fangen, freilich nicht ohne eigene Lebensgefahr.

Ihre Fangmethode bestand darin, daß sie Haken und Köder von einem gedeckten Platz aus über die Reling schleuderten, wenn die Elsinore unter dem leichten Winddruck auf ihr totes Werk, Sparren und Takel, langsam durch die See glitt. Sobald ein Vogel angebissen hatte, holten sie die Leine ein, bis er längsseits lag. Dann kam die knifflichste Arbeit. Die Haken waren nämlich nach innen gebogene spitzwinklige Dreiecke aus Kupferblech, die an Brettchen am Ende der Leinen befestigt waren: der Vogel wurde festgehalten, weil sich sein krummer Schnabel zwischen den Ecken des kupfernen Dreiecks festklemmte. Folglich war der Vogel, sobald sich die Leine lockerte, wieder frei. War der Vogel längsseits gezogen, so kam also das Schwerste: ihn bis zur Reling zu ziehen, ohne daß die Leine sich lockerte oder der Vogel gegen die Schiffsseite schlug. In beiden Fällen konnte er sich befreien und war für den Fischer verloren.

Die Leute legten sich deshalb ein bestimmtes System zurecht. Sobald ein Vogel längsseits gezogen war, wurden alle Revolver auf mich gerichtet, während der Mann, der die Leine einholte, sie straffte und schnell mit ihr zur Reling lief, um den Vogel schleunigst an Bord zu ziehen. Ich gebe ohne weiteres zu, daß mir das Revolverfeuer trotz der Entfernung sehr unbequem war. Nichtsdestoweniger tat ich mit meinem Stutzen, was ich konnte, um die Männer, die ohne Deckung an der Reling arbeiteten, zu ärgern, in der Hoffnung, daß sie einen oder mehrere der Vögel verlieren sollten.

Im Laufe des Tages gelang es mir indessen immer besser, sie in ihrer emsigen Arbeit zu stören. Wenn die Elsinore an den Wind kam und deshalb aufs Gat deiste, war es mir möglich, den Bug abfallen zu lassen, indem ich das Ruder hart umlegte. Und wenn der Wind dann dwars herein kam, konnte ich, indem ich das Ruder wieder nach der andern Seite umlegte, ihre Bewegung nach Lee ausnutzen und sie wieder dwars vom Winde bringen. Dadurch erreichte ich, daß alle Vogelleinen mit ihren Haken längsseits geschleppt wurden.

Gleich das erstemal, als das geschah, hatte ich alles bereit, um die Leinen in Empfang zu nehmen. Mit Haken und Handloten, die an lange Leinen gebunden waren, faßten und zerrissen wir alle Fangleinen. Die Bewegungen eines großen Schiffes sind aber so langsam, daß es den Meuterern das nächstemal doch gelang, die Leinen sicher einzuholen, bevor sie achteraus schleppten und ich sie mit meinen Haken fassen konnte.

Aber ich vervollkommnete mich immer mehr. Solange ich z. B. die Elsinore flach vor den Laken halten konnte, war es ihnen nicht möglich, zu fischen. Ich machte weitere Experimente. Sobald wir das Schiff in den Wind gebracht und den Besan beigesetzt hatten, konnten wir auch vor dem Winde bleiben. Das tat ich nun, indem ich die Leute sich ununterbrochen am Ruder ablösen ließ. Die Folge war, daß das Fischen schließlich aufhören mußte.

Margaret hatte die Plattfußwache von vier bis sechs. Henry stand am Ruder. Wada und Louis waren unten und kochten das Abendessen. Ich war soeben an Deck gekommen und stand neben der Peilröhre, kaum sechs Fuß von Henry entfernt, der ja Rudergast war. Irgendein geheimnisvolles Geräusch aus dem Ventilationsschacht mußte meine Aufmerksamkeit erregt haben, denn ich starrte gerade in die Schachtmündung, als das Unglück geschah.

Der Ventilationsschacht ist ein stählernes Rohr, das vom Überdeck nach den unteren Räumen des Schiffes unter dem Proviantraum führt und durch die Rückwand des Navigationshauses mit der Außenwelt in Verbindung steht. Seine Mündung, die in Mannshöhe liegt, ist mit eisernen Gardinen versehen, deren Stangen so dicht aneinandersitzen, daß nicht einmal eine Ratte imstande wäre, sich hindurchzuzwängen. Von dieser Mündung aus beherrscht man das Ruder, das kaum fünfzehn Fuß davon entfernt gerade auf der andern Seite des Niedergangluks liegt. Es war nun einem der Meuterer gelungen, sich durch den freien Raum zwischen den Kohlen und der Decke des untersten Raumes hindurchzuschlängeln. Dann war er durch den Ventilationsschacht geklettert und hatte zwischen den eisernen Stangen hindurch mit dem Revolver gezielt.

Plötzlich sah ich Rauch aus dem Schacht aufsteigen und hörte den Knall. Im selben Augenblick vernahm ich ein leises Gurgeln und als ich mich umdrehte, sah ich, daß Henry sich krampfhaft an die Spaaken des Steuerrads klammerte, während er ganz unbewußt das Rad um die Hälfte zurückdrehte. Dann erst fiel er nieder. Die Kugel war dem Jungen durchs Herz gegangen.

Tom Spink und der Segelmachermaat Uchino sprangen sofort zu Henry hin. Der Revolver schoß immer durch die Schachtmündung, und die Kugeln schlugen über ihren Köpfen in das Halbdach des Steuerhauses. Zum Glück wurde keiner weiter getroffen, und die Leute sprangen so schnell wie möglich aus dem Bereich der Kugeln. Einige Sekunden liefen noch Zuckungen durch den Körper des Jungen, dann hörten sie auf. Er war verschieden, während er sein Tagewerk am Steuer der Elsinore verrichtete.

 

Die Lage ist hoffnungslos lächerlich. Wir achtern verfügen über die Proviantbestände der Elsinore, aber die Meuterer beherrschen jetzt auch die Steuerung. Das heißt: sie beherrschen sie, ohne im Besitz des Ruders zu sein. Weder sie noch wir sind also imstande zu steuern. Die Kampanje, die den Kommandoplatz darstellt, befindet sich in unserer Hand. Das Steuerrad ist an der Kampanje untergebracht, aber durch die vergitterte Mündung des Ventilationsschachtes können sie jeden niederknallen, der sich dem Steuer nähert. Und in Deckung des Navigationshauses können sie wie in einem Gefechtsturm stehen und uns auslachen.

Im Schutze der Nacht könnten wir freilich ohne allzu große Mühe das Steuerreep vom Helmstock abnehmen und statt dessen Steuertaljen anlegen. Dann wären wir imstande, ohne Gefahr von beiden Seiten der Kampanje aus zu steuern. Wir lassen aber die Elsinore in dem prächtigen Wetter treiben, wohin sie will. Laßt die Meuterer nur hungern. Der leere Magen wird sie schon wieder zur Vernunft bringen. Auf seine Weise ist es wirklich unerhört komisch! Die Sturmvögel und die Albatrosse haben die Elsinore, wie es ihre Gewohnheit ist, durch die gesamten Breitengrade, in denen sie zu Hause sind, begleitet – was bedeutet, daß lediglich eine gewisse Menge von ihnen vorhanden ist, die sich nicht vergrößern kann. Die Schlußfolgerung ist klar: Erstens ein vorhandener, aber begrenzter Bestand an Vogelfleisch. Zweitens die Meuterer haben jetzt keinen anderen Proviant mehr als Vogelfleisch. Wenn der einzige, erreichbare Proviant vernichtet wird, haben sie also nichts mehr zu essen und werden durch den Hunger wieder zur Pflicht gezwungen.

Nach dieser einfachen logischen Schlußfolgerung organisierte ich meine Tätigkeit. Ich begann ganz versuchsweise Fleischbrocken und alte Brotkrusten ins Wasser zu werfen. Wenn die Vögel dann kamen, um sie zu erhaschen, schoß ich sie. Jedes Tier, das tot auf der See herumschwamm, bedeutete weniger Essen für die Meuterer. Aber ich verbesserte die Methode nach und nach. Gestern sah ich den Medizinschrank durch und bestreute meine Fettbrocken und Brotrinden mit dem Inhalt sämtlicher Schachteln und Flaschen, die ein Etikett mit einem Totenkopf trugen. Auf Rat des Stewards tat ich zu dieser an sich schon tödlichen Mischung noch ein bißchen Rattengift. Heute schon gibt es keinen einzigen Vogel mehr in der Luft.

Freilich haben die Meuterer gestern einige gefangen, als ich die Vögel noch mit meinem Stutzen tötete, jetzt aber ist der gesamte Rest dahin, sie bekommen also keine Lebensmittel mehr, ehe sie reumütig an ihre Arbeit zurückkehren. Eigentlich ist es das reine Kinderspiel, und doch kämpfen wir hier auf Tod und Leben. Ich habe soeben ausgerechnet, wie viele Todesfälle seit Beginn unserer Reise erfolgt sind.

Zuerst wurde Christian Jespersen von O'Sullivan getötet, als der verrückte Kerl die Stiefel Andy Fays über Bord werfen wollte. Dann kam die Reihe an O'Sullivan selbst, der den Schlaf des Herrn Charles Davis störte, und dem dieser Ehrenmann deshalb mit einem stählernen Marlpfriem den Schädel einschlug. Ferner wurde Marinkovitsch ganz zweifellos von der Banditenbande ermordet, als wir mit der Umseglung von Kap Horn begannen – Messerstiche machten seinem Leben ein Ende; wir fanden seine Leiche an Deck und überließen sie den Wellen. Ferner verschied der Samurai – sein Tod war freilich nicht gewaltsam, aber er starb immerhin, als die gewalttätigen Elemente wüteten und Pike kämpfte, um zu verhindern, daß die Elsinore auf den Legerwall von Kap Horn auflief. Ihm folgte Boney, der über Bord gespült wurde, als es uns gelang, der meerumtosten Klippe zu entrinnen, wo die südlichste Spitze des Kontinents sich in das sturmgepeitschte südliche Polarmeer verbeißt. Und der junge finnische Zimmerbaas wurde von seinen abergläubigen Kameraden über Bord geworfen, weil sie glaubten, daß er über Wind und Wetter bestimmen könnte. Dann kam die Reihe an Mike Cipriani und Bill Quigley, die beide auf der Kampanje niedergeknallt und von Pike mit gewaltigen Fußtritten über Bord befördert wurden. Sie blieben in der See als Futter für die hartschnäbeligen Albatrosse und Sturmvögel und die schwarzgefiederten Kaptauben. Steve Roberts, der ehemalige Cowboy, wurde von mir erschossen, als er mich niederknallen wollte. Die Kehle des Deutschen Hermann Lunkenheimer wurde vor unser aller Augen von dem italienischen Hund Guido Bombini durchschnitten. Die beiden Steuermänner Pike und Mellaire haben sich gegenseitig umgebracht; es muß ein Kampf gewesen sein, eines Epos würdig, wenn auch leider keiner dabei war. Ditman Olansen wurde von dem Speer Wadas durchbohrt, als er an der Spitze der Meuterer den Berserker spielte und den Versuch machte, die Kampanje zu entern. Und als letztes Opfer wurde Henry, der Schulschiffsjunge, durch eine Kugel aus der Schachtmündung getötet.

Nein, wenn ich diese Musterungsrolle des Todes durchlese, muß ich gestehen, daß es sich tatsächlich nicht um ein Kinderspiel handelt. Wir unsererseits haben nicht weniger als ein Drittel verloren, und selbst die blutigsten Schlachten der Weltgeschichte weisen selten eine verhältnismäßig so hohe Verlustziffer auf.

Henry war der vierzehnte von uns, der in den dunklen, salzigen Wogen der völligen Auflösung entgegenging. Und noch am selben Tage wurde er gründlich gerächt, denn zwei der Meuterer haben ihm ins Meer folgen müssen. Der Steward lenkte meine Aufmerksamkeit auf etwas, das vorn vor sich ging. Er vergaß einen Augenblick seine Stellung als Diener und legte mir die Hand auf den Arm, während er grimmig nach vorn guckte, wo die Matrosen soeben zwei Leichen über Bord schoben. Da sie Kohlen an den Füßen hatten, versanken sie sofort, ohne daß wir sie identifizieren konnten.

»Sie haben vermutlich einen Streit gehabt«, sagte ich. »Es ist sehr gut, daß sie auch mal miteinander kämpfen.«

Aber der alte Chinese lachte nur und schüttelte den Kopf.

»Sie glauben nicht, daß sie sich gerauft haben?« fragte ich.

»Kein Rauferei. Sturmvogel gegessen. Albatros vergiftetes Fleisch gefressen. Zwei Matrosen tot. Viele Männer krank. Verflucht große Freude für mich.«

Und ich bin überzeugt, daß er recht hat. Während ich eifrig damit beschäftigt war, den Köder für die Seevögel zurechtzumachen, haben die Meuterer tatsächlich einige gefangen, und zweifellos gerade solche, die die tödlichen Köder gefressen hatten. Wir haben genau aufgepaßt. Nur zwei von der gesamten Mannschaft haben sich seitdem nicht gezeigt, und das sind Bob, der große, überfette und blöde Jüngling, und der Faun. Es scheint, als ob es mir bestimmt war, den unglücklichen Faun töten zu müssen, der immer so eifrig und so fleißig war und stets nur den Wunsch hatte, alles zu unserer Zufriedenheit auszuführen. Der arme, unschuldige Faun!

Der Steward hat mir soeben einen Rat zugeflüstert.

»Nächstenmal wir einen wie Henry über Bord werfen, besser alter Eisen als Kohle brauchen.«

»Gehen unsere Kohlen auf die Neige?« fragte ich.

Er nickte. Wir brauchen viel Kohle zum Kochen, und wenn unser eigener Vorrat aufgebraucht ist, müssen wir eine Schott durchschlagen, um uns Kohlen aus der Fracht zu holen.

 


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