Jack London
Lockruf des Goldes
Jack London

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»Aus dem, was die Leute sagen, erfährt man natürlich nie, was sie eigentlich wollen.« Daylight berührte Bobs rebellische Ohren mit der Peitsche und dachte unzufrieden über seine letzte Äußerung nach. Sie drückte nicht aus, was er eigentlich gemeint hatte. »Ich möchte, daß Sie mir rein heraus sagten, Sie wollten mich nicht mehr treffen, und daß Sie mir Ihre Gründe dafür angäben. Aber wie kann ich denn wissen, ob es Ihre wirklichen Gründe sind. Vielleicht haben Sie keine Lust, näher mit mir bekannt zu werden, und wollen es nur nicht sagen aus Furcht, mich zu verletzen. Können Sie es nicht einsehen? Ich bin der letzte auf der Welt, der sich aufdrängen will, wenn andere nichts von ihm wissen wollen. Und wenn ich wüßte, daß Sie sich nicht das geringste aus mir machten, so würde ich mich schleunigst zurückziehen.« Dede lächelte über seine Worte, ritt aber schweigend weiter. Und das Lächeln dünkte ihn das wunderbarste Lächeln, das er je gesehen. So konnte nur jemand lächeln, der einen ein bißchen gern hatte. Natürlich war sie sich dessen, wie er sich im nächsten Augenblick selbst sagte, ganz unbewußt. Es mußte eben so kommen, wenn zwei Menschen ein wenig miteinander zu tun hatten . . . Jeder Fremde, jeder Geschäftsmann, Angestellte oder sonst wer würde nach einigen zufälligen Begegnungen dieselbe Freundlichkeit gezeigt haben. Aber es machte in diesem Fall besonderen Eindruck auf ihn, denn es war ein so süßes, wunderbares Lächeln. Andere Frauen hatten nie so gelächelt; das war sicher.

Es war ein glücklicher Tag gewesen. Daylight hatte Dede auf dem Wege nach Berkeley getroffen, und sie hatten mehrere Stunden zusammen verbracht. Erst jetzt, als der Tag auf die Neige ging und sie sich dem Gattertor bei Berkeley näherten, begann er den Gegenstand zu berühren, der ihn so beschäftigte.

Sie ging zuerst auf seine letzte Bemerkung ein, und er lauschte dankbar.

»Wenn ich nun aber wiederhole, daß die Gründe, die ich Ihnen genannt habe, die einzigen sind – daß nicht die Rede davon ist, daß ich Ihre Bekanntschaft nicht machen wollte?«

»Dann werde ich Sie weiterquälen wie der Teufel«, sagte er schnell. »Aber wenn Sie heimlich einen andern Grund haben, wenn Sie mich nicht kränken wollten, weil Sie eine gute Stellung bei mir haben . . .« Hier wich seine ruhige Betrachtung einer furchtbaren Angst, der Angst, daß es wirklich so wäre, und er verlor den Faden. »Na, einerlei, Sie brauchen nur ein Wort zu sagen, und ich geh' meiner Wege. Ohne Bitterkeit; es wäre eben ein Unglück für mich. Seien Sie deshalb ehrlich gegen mich. Fräulein Mason, ich bitte Sie, und sagen Sie mir, ob das der Grund ist – ich bin beinahe überzeugt davon.«

Sie warf ihm einen schnellen Blick zu, ihre Augen waren plötzlich feucht geworden, halb aus Kränkung, halb aus Reue.

»Oh, das ist kein ehrliches Spiel«, rief sie. »Sie stellen mich vor die Wahl, zu lügen und Sie zu kränken, um Sie auf diese Weise loszuwerden, oder Ihnen meine einzige Waffe auszuliefern und Ihnen die Wahrheit zu erzählen.«

Ihre Wangen waren gerötet, ihre Lippen zitterten, aber sie blickte ihm immer noch frei in die Augen.

Daylight lächelte grimmig, aber doch mit einer gewissen Befriedigung.

»Ich freue mich, Fräulein Mason, freue mich wirklich über diese Worte.«

»Aber sie helfen Ihnen nichts«, fuhr sie hastig fort. »Sie können Ihnen nichts helfen. Ich will nicht mehr. Dies ist unser letzter Ritt, und – hier ist das Gatter.« Sie lenkte das Pferd auf die Seite, beugte sich hinab, drückte die Klinke herunter und ritt durch das offene Tor.

»Nein, bitte nicht«, sagte sie, als Daylight sich anschickte, ihr zu folgen.

Er fügte sich demütig ihrem Willen und zog Bob zurück, während das Tor sich zwischen ihnen schloß. Aber sie hatten sich noch mehr zu sagen, und sie ritt nicht gleich weiter.

»Hören Sie, Fräulein Mason«, sagte er mit leiser, vor Aufrichtigkeit bebender Stimme. »Ich will Ihnen nur eines versichern. Ich will nicht versuchen, Sie zum Narren zu halten. Ich hab' Sie gern, ich brauche Sie, und mir ist noch nie im Leben etwas so ernst gewesen wie dies. Ich habe nicht Böses im Sinne. Ich meine es ehrlich –«

Aber ihr Ausdruck ließ ihn innehalten. Sie war ärgerlich, lachte aber gleichzeitig.

»Das hätten Sie nun schon gar nicht sagen sollen,« rief sie, »das ist ja das reine Heiratsbureau: Durchaus reelle Absichten. Zweck: Ehe. Aber ich hab' es verdient.«

Daylights Gesichtsfarbe war blasser geworden, seit er sich in der Stadt niedergelassen hatte, so daß das Blut unter der Haut leuchtete, als eine heftige Röte sich ihm jetzt über Gesicht und Hals breitete. Und in seiner unsagbaren Verlegenheit ließ er sich nicht träumen, daß sie ihn in diesem Augenblick mit größerer Freundlichkeit betrachtete als je zuvor an diesem Tage. Sie war nicht gewohnt, große erwachsene Männer wie Schulknaben erröten zu sehen, und sie bereute schon, daß sie sich zu einer so scharfen Bemerkung hatte hinreißen lassen.

»Sehen Sie, Fräulein Mason«, begann er, zuerst langsam, nach Worten suchend, dann aber immer schneller, so daß seine Rede schließlich fast zusammenhängend wurde. »Ich bin kein feiner Mann, und ich weiß nicht viel. Ich hab' nie etwas von diesen Dingen gelernt. Ich hab' noch nie jemand den Hof gemacht, und ich bin auch noch nie verliebt gewesen – und ich benehme mich wahrscheinlich wie ein furchtbarer Esel. Sie müssen versuchen, ein bißchen Fühlung mit dem Manne zu bekommen, der hinter diesen Worten steht. Ich meine es ehrlich, wenn ich auch nicht weiß, wie ich es ausdrücken soll.«

Dede Mason hatte eine schnelle Art und Weise, fast wie ein Vögelchen die Stimmung zu wechseln, und in diesem Augenblick war sie auch schon lauter Reue.

»Seien Sie nicht böse, daß ich gelacht habe«, sagte sie über das Gatter hinweg. »Ich hab' es nicht so gemeint. Ich war so überrascht, daß ich nicht die richtigen Worte fand. Sie sehen, Herr Harnish, ich bin nicht . . .« Sie hielt inne, als wäre sie plötzlich ängstlich geworden, ihren Gedanken ganz auszusprechen, den ihre Schnelligkeit ihr eingegeben hatte.

»Sie meinen, daß Sie solche Anträge nicht gewöhnt sind,« sagte Daylight, »so im Vorbeigehen: Guten Tag, mein Fräulein, freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen; wollen Sie meine Frau sein?«

Sie nickte und brach in ein Lachen aus, in das er einstimmte und das ihnen beiden über ihre Schüchternheit hinweghalf. Er wurde gleich beherzter und fuhr sicherer und mit kühlerem Kopf und beherrschter Zunge fort:

»Sehen Sie, das ist gerade meine Meinung. Sie haben Erfahrung in diesen Dingen. Ich bin überzeugt, daß Sie eine Menge Anträge gehabt haben. Na ja, ich hab' die Erfahrung nicht, und ich komme mir vor wie ein Fisch auf dem Trockenen. Außerdem ist dies gar kein Antrag. Es ist nur eine eigentümliche Situation, und ich bin in die Ecke gedrängt. Ich besitze gesunden Menschenverstand genug, um mir selber sagen zu können, daß es keinen Sinn hat, wenn ein Mann einem Mädchen einen Heiratsantrag macht, nur um ihre Bekanntschaft zu machen. Und dadurch bin ich gerade in die Klemme geraten. Im Kontor kann ich Ihre Bekanntschaft nicht machen, außerhalb des Kontors wollen Sie mich nicht treffen, weil die Leute darüber reden würden. Aber ich muß Ihnen doch etwas sagen, damit Sie darüber nachdenken, und das habe ich gesagt. Und nun möchte ich, daß Sie wirklich darüber nachdächten.«

Während sie ihm lauschte und sich über sein ernstes, beunruhigtes Gesicht und die einfachen, schlichten Worte freute, die nur noch mehr seinen Ernst betonten, vergaß sie zuzuhören und verlor sich in ihren eigenen Gedanken. Die Liebe eines starken Mannes hat immer etwas Verführerisches für eine normale Frau, und nie hatte Dede den Reiz stärker gespürt als jetzt, da sie Burning Daylight über das Gatter hinweg betrachtete. Es fiel ihr nicht im Traume ein, sich mit ihm zu verheiraten – hundert Gründe sprachen dagegen; aber weshalb sollte sie ihn nicht häufiger sehen? Er gefiel ihr, hatte ihr vom ersten Tage an gefallen, da sie in sein hageres Indianergesicht und in seine funkelnden Indianeraugen gesehen hatte. Er war ein Mann, und das nicht nur kraft seiner prachtvollen Muskeln. Außerdem hatte die Romantik ihn mit einem goldenen Schimmer übergossen, ihn, diesen kühnen, roh zugehauenen Abenteurer aus dem Norden, diesen Mann von vielen Taten und vielen Millionen, der aus dem Lande des Eises gekommen war, um einen so meisterhaften Kampf mit den Männern des Südens zu führen.

Wild wie ein Indianer, ein Mann ohne Moral, dessen Rachdurst nie erlosch, und der alle, die sich ihm in den Weg stellten, zu Boden trat – o ja, sie kannte alle die harten Namen, die man ihm gab. Und doch fürchtete sie ihn nicht. Der Name Burning Daylight hatte eine mächtige Bedeutung, die auf die Phantasie jeder Frau wirken mußte, wie sie jetzt auf die ihre wirkte, als sie, durch das Gatter getrennt, dem ernsten leidenschaftlichen Klange seiner einfachen Worte lauschte. Schließlich war Dede ja nur eine Frau, mit der Eitelkeit ihres Geschlechts, und ihrer Eitelkeit schmeichelte es, daß ein Mann wie er sich in seiner Not an sie wandte. Aber noch mehr regte sich in ihr – ein Gefühl von Müdigkeit und Einsamkeit. Unbestimmte Gefühle und noch unbestimmtere Eingebungen; und tiefer und dunkler flüsterte in ihr das Sehnen längst vergangener Geschlechter, das sich wieder kristallisierte und feste Form annahm – ungeahntes, unergründliches Sehnen, flüchtig und doch mächtig, Geist und Wesen des Lebens, das unter tausend Verkleidungen hinausstrebte. Mit diesem Manne durch die Berge zu reiten, war allein schon eine starke Versuchung. Aber dabei blieb es auch, denn sie war fest davon überzeugt, daß seine Lebensweise nie die ihre werden konnte. Andererseits litt sie nicht an der gewöhnlichen weiblichen Furcht und Scham. Sie zweifelte nicht daran, daß sie unter allen Umständen für sich einstehen konnte. Warum also nicht? Alles in allem hatte es ja nicht viel zu sagen.

Er war ein großer Junge, dieser mächtige Riese von Millionär, den die Hälfte der reichen Leute in San Franzisko fürchtete. Ein richtiger Junge! Sie hatte nie gedacht, daß er so sein könnte.

»Wie machen die Leute es, wenn sie sich verheiraten?« sagte er. »Erstens treffen sie sich; zweitens gefallen sie sich äußerlich; drittens werden sie miteinander bekannt, und viertens heiraten sie sich oder lassen es bleiben, je nachdem, ob sie sich leiden mögen oder nicht. Aber wie wir herausbekommen sollen, ob wir uns leiden mögen, wenn wir uns nicht selbst die Gelegenheit dazu schaffen, zum Donnerwetter, das geht über meinen Verstand. Ich möchte Sie besuchen, aber ich weiß, daß Sie in einem möblierten Zimmer oder in einem Pensionat wohnen, und da geht es doch nun einmal nicht.«

Plötzlich änderte sich Dedes Stimmung wieder, die Situation erschien ihr lächerlich und sinnlos. Sie fühlte einen starken Drang zu lachen – nicht ärgerlich, nicht hysterisch, sondern nur lustig. Es war so komisch. Sie, die Sekretärin, er, der berüchtigte und mächtige millionenschwere Spieler, und zwischen ihnen das Gatter, über das hinweg sich seine Betrachtungen ergossen, wie man sich heiraten könnte. Dabei war es eine ganz unmögliche Situation. So konnte es doch unmöglich weitergehen. Diese Begegnung mußte die letzte sein. Und wenn er ihr dann in Ermangelung dessen im Kontor den Hof zu machen versuchte, so mußte sie eben die sehr angenehme Stellung aufgeben, aber schließlich hatte ihr die Männerwelt, besonders in der Stadt, nie sehr gefallen. Sie hatte nicht jahrelang fürs tägliche Brot gearbeitet, ohne einen Teil ihrer Illusionen einzubüßen.

»Wir brauchen doch kein Hehl daraus zu machen«, erklärte Daylight. »Wir können ganz offen zusammen ausreiten, und wenn uns jemand sieht, so schadet es auch nichts. Wenn man redet – schön, solange wir selbst uns nichts vorzuwerfen haben, brauchen wir uns auch nicht darum zu kümmern. Sagen Sie ja, und Bob wird den glücklichsten Mann von der Welt auf dem Rücken tragen.«

Sie schüttelte den Kopf, zog den Zügel an, da das Pferd ungeduldig wurde, und blickte bedeutungsvoll auf die länger werdenden Schatten.

»Es ist spät geworden,« sagte Daylight schnell, »und wir haben noch keinen Entschluß gefaßt. Nur noch einen Sonntag – das ist doch nicht viel verlangt –, um das Weitere zu bereden.«

»Wir haben ja heute den ganzen Tag gehabt«, sagte sie.

»Aber wir haben zu spät angefangen, darüber zu sprechen. Nächstes Mal wollen wir nicht solange warten. Es ist mir bitterer Ernst, das kann ich Ihnen sagen. Also nächsten Sonntag?«

»Sind Männer je ehrlich?« fragte sie. »Sie wissen ganz gut, daß Sie mit nächsten ›Sonntag‹ viele Sonntage meinen.«

»Dann lassen Sie es viele Sonntage sein«, rief er unbekümmert, und ihr schien, er sei noch nie so hübsch gewesen. »Sagen Sie ja. Nur dieses eine Wort. Nächsten Sonntag am Steinbruch . . .«

Sie nahm die Zügel in die Hand, um weiterzureiten. »Gute Nacht,« sagte sie, »und –«

»Ja«, flüsterte er mit einem ganz leisen gebieterischen Anflug in der Stimme.

»Ja«, sagte sie leise, aber deutlich.

Im selben Augenblick galoppierte sie davon, ohne sich umzusehen, nur damit beschäftigt, sich über ihre eigenen Gedanken klar zu werden. Bis zum letzten Augenblick war sie entschlossen gewesen, nein zu sagen, und doch hatten ihre Lippen ja gesagt. Oder es schien ihr doch, daß es die Lippen waren. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, ihre Zustimmung zu geben. Warum hatte sie es dann getan? Ihre Überraschung und Verwirrung über eine so vollkommen unüberlegte Handlung wich der Bestürzung, als sie sich die Folgen klarmachte. Sie wußte, daß mit Burning Daylight nicht zu scherzen war, daß er mit seiner Einfachheit und Knabenhaftigkeit doch in erster Linie eine Herrschernatur war, und daß sie sich einer Zukunft überlassen hatte, die unvermeidlich Sturm und Drang bringen mußte. Und wieder fragte sie sich, warum sie in dem Augenblick, als es am allerwenigsten ihre Absicht gewesen, ja gesagt hatte.

 

Das Leben im Kontor ging seinen Gang. Weder durch Worte noch durch Blicke räumten sie ein, daß die Situation sich irgendwie gegen früher verändert hatte. Jeden Sonntag verabredeten sie sich zum Reiten für den nächsten Sonntag, aber im Kontor wurde nie die geringste Anspielung darauf gemacht. In diesem Punkt war Daylight durchaus ritterlich. Er wollte sie nicht verlieren. Der Anblick ihrer Person und ihrer Arbeit war ihm eine ständige Freude.

Trotz aller guten Vorsätze lag eine gewisse Heimlichkeit über ihren Begegnungen. Sie ritten nicht frei miteinander im Angesicht der ganzen Welt. Im Gegenteil, sie trafen sich stets an Stellen, wo sie sich am wenigsten beobachtet wußten. Sie ritten auch nur auf den stillsten Wegen und zogen die zweite Hügelreihe vor, wo sie höchstens ländliche Kirchgänger trafen, die Daylight wahrscheinlich nicht einmal aus den Bildern in den Zeitungen kannten.

Auf diesen ununterbrochenen Ritten lernten sie sich kennen. Sie sprachen meist über sich selbst. Während er von den arktischen Reisen und den Goldminen sprach, erzählte sie ihm ausführlich von ihrem Leben auf der Ranch, von Pferden und Hunden, Menschen und Dingen, bis er ihre ganze Jugend, ihren Werdegang gleichsam vor sich sah. Er erfuhr alles, bis zum Bankerott und Tod ihres Vaters, wodurch sie gezwungen worden war, die Universität zu verlassen und eine Anstellung im Kontor zu suchen. Auch von ihrem Bruder erzählte sie, von ihrem jahrelangen Kampf, um ihn wieder gesund zu bekommen, und ihre immer mehr schwindende Hoffnung . . . Daylight fand, daß man viel leichter klug aus ihr werden konnte, als er gedacht hatte, obwohl, wie er immer wieder gewahr wurde, hinter und unter allem, was er von ihr wußte, das geheimnisvolle, verwirrende Geschlecht stand. Hier war, wie er selbst demütig einräumte, ein unendliches Meer, von dem er nichts wußte, auf dem er sich ohne Seekarten und andere Hilfsmittel, so gut es ging, zurechtfinden mußte.

Dede zu Pferde, Dede auf einem sommerlichen Hange Mohn pflückend, Dede nach einem Diktat stenographierend – das war alles sehr verständlich. Aber die Dede, die so schnell die Stimmung wechselte, die sich energisch weigerte, mit ihm zu reiten, und dann plötzlich ja sagte, in deren Augen das goldene Licht ständig kam und ging und Dinge flüsterte, die nicht für seine Ohren bestimmt waren, die Dede kannte er nicht. In alledem sah er die schimmernde Tiefe des Geschlechts. Er spürte seine Anziehungskraft und nahm sie als etwas Unbegreifliches hin.

»Der Winter kommt bald,« sagte sie eines Tages bedauernd und ein wenig herausfordernd, »und dann ist es vorbei mit unseren Ritten.«

»Aber ich muß Sie sehen«, rief er hastig.

Sie schüttelte den Kopf.

»Es war sehr schön«, sagte sie und sah ihn offen an. »Ich erinnere mich noch gut Ihres törichten Arguments, daß wir uns kennenlernen müßten, aber es führt ja zu nichts, kann zu nichts führen. Ich kenne mich selbst zu gut, um nicht zu wissen, daß ich nicht irre.«

Ihr Gesicht war ernst und fast bekümmert, als wollte sie ihn nicht kränken, und sie schlug die Augen nicht nieder, aber in ihnen leuchtete das goldene, flammende Licht – der Abgrund zwischen den Geschlechtern, den er jetzt nicht mehr fürchtete.

»Ich bin doch wirklich sehr brav gewesen«, erklärte er. »Sagen Sie selbst, ob das nicht wahr ist. Und ich kann Ihnen sagen, daß es mir nicht ganz leicht geworden ist. Denken Sie mal darüber nach. Ich habe nicht ein Wort von Liebe zu Ihnen gesagt, und dabei habe ich Sie die ganze Zeit geliebt. Das will etwas heißen bei einem Mann, der gewohnt ist, stets seinen Willen zu bekommen. Ich will, daß Sie mich heiraten. Aber habe ich das je mit einem Wort berührt? Ich habe Sie nicht gefragt, ob Sie mich heiraten wollen. Ich frage Sie auch jetzt nicht. Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, was Sie wollen.« Er zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht recht, und ich möchte jetzt nicht den Versuch machen. Sie sollen sich völlig klar darüber sein, ob Sie glauben, es mit mir wagen zu können oder nicht, und deshalb spiele ich ein so langsames, ruhiges Spiel. Ich möchte nicht verlieren.«

Das war eine Art von Verehrung, die Dede noch nicht kannte. Es lagen Nüchternheit und Kälte darin, die sie kränkten, aber das Gefühl verschwand, wenn sie sich der Leidenschaft erinnerte, die sie tagein, tagaus in seinen Augen gesehen, in seiner Stimme gehört hatte. Dazu rief sie sich ins Gedächtnis, was er ihr vor vierzehn Tagen gesagt hatte: »Vielleicht wissen Sie, was Geduld ist«, und dazu hatte er ihr erzählt, wie er am Stewart-River, als er und Elijah Davis am Verhungern gewesen waren, Eichhörnchen geschossen hatte.

»Sie sehen also,« fuhr er fort, »daß wir uns im Winter treffen müssen, allein schon, damit das Spiel gleich ist. Sie haben selbstverständlich Ihren Entschluß noch nicht fassen können –.«

»Doch«, unterbrach sie ihn. »Mein Glück liegt nicht auf diesem Wege. Ich habe Sie gern, Herr Harnish, aber mehr kann es nie werden.«

»Das kommt wohl daher, daß Ihnen meine Lebensweise nicht zusagt«, meinte er, und dabei dachte er an die sensationellen Zeitungsberichte über sein ausschweifendes Leben und war gleichzeitig gespannt, ob sie tun würde, als wisse sie nichts davon.

Zu seiner Überraschung antwortete sie indessen offen und ohne Vorbehalt:

»Nein, das ist es nicht.«

»Gewiß, ich bin unvorsichtig gewesen«, begann er sich zu verteidigen. »Und ich hab' mich auch in bedenklicher Gesellschaft herumgetrieben –.«

»Das meine ich nicht,« sagte sie, »obgleich ich auch davon gehört habe und nicht sagen kann, daß es mir gefallen hätte. Aber es ist Ihr Leben im allgemeinen, Ihr Geschäft. Es gibt sicher Frauen genug in der Welt, die einen Mann wie Sie heiraten und glücklich werden können, aber ich könnte es nicht. Und je mehr ich einen solchen Mann liebte, desto unglücklicher würde ich sein. Und wenn ich unglücklich wäre, so würde das ihn natürlich auch wieder unglücklich machen. Ich würde einen Irrtum begehen und er selbst einen ähnlichen, obgleich er nicht so schwer an den Folgen seines Irrtums zu tragen hätte, da ihm ja immer noch sein Geschäft bliebe.«

»Geschäft!« Daylight schnappte nach Luft. »Was ist Schlechtes an meinem Geschäft? Es ist ehrliches Spiel, was man von den meisten Geschäften nicht sagen kann. Ich spiele ehrliches Spiel und brauche nicht zu lügen, zu betrügen oder mein Wort zu brechen.«

Dede war erleichtert über die Wendung, die das Gespräch genommen hatte, und benutzte die Gelegenheit, um ihm ihre Meinung zu sagen.

»Im alten Griechenland«, begann sie lehrhaft, »wurde ein Mann als ein guter Bürger angesehen, wenn er Häuser baute, Bäume pflanzte – –.« Sie vollendete ihr Zitat nicht, sondern zog schnell den Schluß. »Wie viele Häuser haben Sie gebaut? Wie viele Bäume gepflanzt?«

Er schüttelte den Kopf, sagte aber nichts, denn er wußte nicht, wo sie hinaus wollte.

»Sehen Sie,« fuhr sie fort, »vorletzten Winter machten Sie einen Corner in Kohlen –.«

»Eine rein lokale Angelegenheit,« er lächelte, als er daran dachte, »rein lokal. Ich nutzte den Wagenmangel und den Streik in British-Columbia aus.«

»Aber Sie hatten die Kohlen nicht selbst gegraben. Und dennoch trieben Sie den Preis in die Höhe bis auf vier Dollar die Tonne und verdienten einen Haufen Geld daran. Das war Ihr Geschäft. Sie ließen die Armen mehr für die Kohlen bezahlen. Sie spielten wohl ehrliches Spiel, wie Sie sagen, aber Sie steckten Ihre Hand in die Taschen der Armen und nahmen ihnen ihr Geld. Ich kann ein Wort mitreden. Ich habe einen Kamin in meinem Wohnzimmer in Berkeley. Und statt elf Dollar die Tonne mußte ich damals fünfzehn Dollar für Rock-Wells-Kohlen bezahlen. Sie beraubten mich um vier Dollar. Ich konnte es ertragen. Aber Tausende von den ganz Armen konnten es nicht. Das nennen Sie vielleicht ehrliches Spiel, aber in meinen Augen war es recht und schlecht Raub.«

Daylight ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Das war nicht gerade eine Offenbarung für ihn.

»Schauen Sie einmal, Fräulein Mason. Ich räume ein, daß Sie mich bei einem wunden Punkt gepackt haben Aber Sie sehen mich nun seit mehreren Jahren mein Geschäft betreiben und wissen, daß ich es mir nicht zur Regel gemacht habe, die Armen auszuplündern. Ich bin nach den Großen aus. Auf die hab' ich es abgesehen. Die plündern die Armen, und ich plündere sie. Die Kohlengeschichte war ein Zufall. Den Armen wollte ich gar nichts zuleide tun, sondern den Großen, und die hab' ich auch gekriegt. Die Armen kamen zufällig dazwischen und kriegten was ab.«

»Können Sie nicht sehen,« fuhr er fort, »daß das nichts als Spiel ist. Jedermann spielt ja auf eine oder die andere Weise. Der Landmann setzt seine Saat gegen Wetter und Markt. Dasselbe tut der Stahltrust. Das Geschäft der meisten Menschen geht darauf aus, die Armen auszuplündern. Aber das Geschäft hab' ich nie betrieben. Das wissen Sie auch. Ich hab' es nur auf die Räuber selbst abgesehen.«

»Ich habe mich nicht richtig ausgedrückt«, gab sie zu. »Warten Sie einen Augenblick.«

Eine Weile ritten sie schweigend.

»Es ist mir selbst ganz klar, aber ich kann es nicht recht erklären. Es gibt ehrliche Arbeit, und es gibt Arbeit, die – na ja, die nicht ehrlich ist. Der Landmann bearbeitet den Boden und bringt Getreide hervor. Er macht etwas, das für die Menschheit gut ist. In gewisser Weise wirkt er schöpferisch, er schafft das Korn, das Hungrige sättigen kann.«

»Und dann plündern die Eisenbahnen und Spekulanten ihn aus«, fiel Daylight ein.

Dede lächelte und hob die Hand.

»Warten Sie einen Augenblick. Sie bringen mich sonst wieder aus dem Konzept. Mag sein, daß er ausgeplündert wird und schließlich verhungern muß. Jedenfalls aber ist der Weizen, den er hervorgebracht hat, noch auf der Welt. Er existiert. Verstehen Sie nicht? Der Landmann hat etwas geschaffen, sagen wir, zehn Tonnen Weizen, und diese zehn Tonnen existieren. Die Eisenbahnen holen den Weizen zum Markt, zu den Mündern, die ihn essen wollen. Das ist ehrlich. Das ist, als ob jemand uns ein Glas Wasser bringt oder uns ein Staubkörnchen aus dem Auge holt. Es ist etwas getan, in gewisser Weise geschaffen.«

»Aber die Eisenbahnen sind doch die ärgsten Räuber«, wandte Daylight ein.

»Dann ist das, was sie tun, teils ehrlich und teils unehrlich. Jetzt aber zu Ihnen. Sie schaffen nicht. Bringen Sie durch Ihr Geschäft Neues hervor? Zum Beispiel Kohle? Sie graben sie nicht. Sie schaffen sie nicht zum Markt. Sie liefern sie nicht. Sehen Sie das nicht ein? Das meinte ich mit dem Pflanzen von Bäumen und dem Bauen von Häusern. Sie haben nicht einen Baum gepflanzt, nicht ein einziges Haus gebaut.«

»Ich hab' nie gedacht, daß es eine Frau auf der Welt gäbe, die so über Geschäfte sprechen könnte«, murmelte er bewundernd. »Und in diesem Punkt sind Sie mir über. Aber ich habe meinerseits auch ein ganz Teil darüber zu sagen. Jetzt müssen Sie mich ein wenig anhören. Ich will von drei Gesichtspunkten aus sprechen. Erstens: Wir leben nur kurze Zeit, selbst die Besten von uns, und wir sind sehr lange tot. Das Leben ist ein hohes Spiel. Einige sind im Zeichen des Glücks, andere in dem des Unglücks geboren. Jedermann sitzt mit am Tisch und versucht die andern nach Möglichkeit zu plündern. Die meisten werden geplündert. Das sind die geborenen Dummköpfe. Da kommt ein Kerl wie ich und überlegt, was er tun soll. Es gibt zwei Möglichkeiten. Ich kann mich zu den Dummköpfen schlagen, oder ich kann mich zu den Räubern schlagen. Als Dummkopf gewinne ich nichts. Selbst die Brotkrumen werden mir von den Räubern aus dem Munde gerissen. All meine Tage arbeite ich schwer und sterbe in den Sielen. Ich habe nichts gehabt als Arbeit, Arbeit und wieder Arbeit. Man spricht soviel vom Adel der Arbeit. Ich sage Ihnen, in der Arbeit steckt nicht viel Adel. Dann kann ich mich zu den Räubern schlagen, und das habe ich getan. Ich spiele das Spiel, das mir einen Gewinn ermöglicht. Ich bekomme Automobile, gutes Essen und weiche Betten.

Es ist gar kein großer Unterschied, ob man halber Räuber ist wie die Eisenbahn, die den Weizen des Landmanns zum Markt bringt, oder ganzer Räuber und die Räuber selbst ausräubert, wie ich es tue. Und außerdem ist halbes Räubertum nicht nach meinem Geschmack, das ist mir zu langweilig. Dabei gewinnt man nicht schnell genug, finde ich.«

»Aber warum wollen Sie denn gewinnen?« fragte Dede. »Sie haben doch schon Millionen über Millionen. Sie können nicht in mehr als einem Automobil zugleich fahren und nicht in mehr als einem Bett zugleich schlafen.«

»Das wird in Nummer drei beantwortet,« sagte er, »und die lautet: Alle Geschöpfe sind so eingerichtet, daß ihr Geschmack verschieden ist. Ein Kaninchen liebt vegetarische Kost. Ein Luchs Fleisch. Enten schwimmen; Küken scheuen das Wasser. Ein Mann sammelt Briefmarken und ein anderer Schmetterlinge. Dieser schwärmt für Bilder, jener für seine Jacht, und wieder andere lieben die Jagd auf Großwild. Für den einen sind Rennen das Höchste auf der Welt, für den andern Schauspielerinnen. Sie können nichts für diesen Geschmack. Sie haben ihn einmal, dabei ist nichts zu machen. Ich liebe nun das Spiel. Ich liebe es, hoch und schnell zu spielen. So bin ich nun einmal. Und daher spiele ich.«

»Aber warum können Sie mit all Ihrem Geld nicht etwas Gutes tun?«

Daylight lachte.

»Gutes mit meinem Geld tun! Das wäre ungefähr so, als wollte ich den lieben Gott ins Gesicht schlagen und ihm erzählen, daß er nicht verstehe, die Welt zu regieren, die er selbst erschaffen hat, und daß man ihm sehr dankbar sein würde, wenn er ein wenig abtreten und einem eine Chance gäbe. Ich sitze nicht nachts in meinem Bett und denke an den lieben Gott, und ich betrachte die Sache daher etwas anders. Ist es nicht ein komischer Gedanke, herumzulaufen, den Leuten mit einer großen Keule den Kopf einzuschlagen und ihnen ihr Geld abzunehmen, bis man genug hat, und dann zu bereuen und die Köpfe zu flicken, die die andern Räuber eingeschlagen? Urteilen Sie selbst. So ist es, wenn man mit seinem Gelde Gutes tun wollte. Hin und wieder einmal wird ein Räuber weichherzig und pflegt die Verwundeten. Carnegie zum Beispiel. Er hat den Leuten massenweise die Köpfe eingeschlagen und die Dummköpfe um ein paar hundert Millionen geplündert und gibt es ihnen jetzt teelöffelweise wieder. Komisch, nicht wahr? Urteilen Sie selbst!«

Er drehte sich eine Zigarette und betrachtete sie halb neugierig, halb lustig. Seine Antworten und sein rücksichtsloses Verallgemeinern, das er in einer harten Schule gelernt hatte, waren verwirrend, und sie kehrte zu ihrem Ausgangspunkt zurück.

»Ich kann mich nicht mit Ihnen streiten, und das wissen Sie. Wenn eine Frau auch noch so sehr recht hat, so hat der Mann doch eine Art zu reden, die völlig überzeugend ist, selbst wenn die Frau sicher ist, daß er unrecht hat. Aber es gibt eines: die Schaffensfreude. Nennen Sie es Spiel, wenn Sie wollen, aber mir scheint doch, daß es mehr befriedigen muß, etwas hervorzubringen, etwas zu schaffen, als den ganzen lieben Tag die Würfel aus dem Becher rollen zu lassen. Manchmal striegele ich selbst Mab, wenn ich Bewegung haben will oder fünfzehn Dollar für Kohlen bezahlen soll. Und wenn Ihre Haut dann blank, schimmernd und seidig ist, dann fühle ich Befriedigung über das, was ich getan habe. So muß es dem Manne gehen, der ein Haus baut oder einen Baum pflanzt. Er kann es vor sich sehen. Er hat es geschaffen. Es ist seiner Hände Arbeit. Und wenn ein Mann Ihres Schlages, Herr Harnish, kommt und ihm seinen Baum wegnimmt, so bleibt der doch stehen, und er hat ihn geschaffen. Mit all Ihren Millionen können Sie ihm den Baum nicht rauben. Das ist die Schaffensfreude, und die ist mehr wert als alle Freude am Spiel. Haben Sie nicht selbst einmal etwas geschaffen – eine Blockhütte am Yukon, ein Kanu, ein Floß oder sonst etwas? Und erinnern Sie sich nicht, wie zufrieden Sie waren, und welch ein schönes Gefühl Sie bei der Arbeit und hinterher hatten?«

Während sie sprach, mußte er an die Zeiten denken, die sie ihm heraufbeschwor. Er sah die verlassene Ebene am Ufer des Klondike, sah die Blockhütten und Warenhäuser emporwachsen, alle die Gebäude, die er errichtet hatte, und die Sagemühlen, die Tag und Nacht mit drei Schichten arbeiteten.

»Ja, zum Donnerwetter, Sie haben recht, Fräulein Mason – in gewisser Weise. Ich habe Hunderte von Häusern gebaut, und ich erinnere mich, wie stolz und froh ich war, wenn ich sie entstehen sah. Ich bin jetzt noch stolz darauf, wenn ich daran denke. Und Ophir – diese gottverlassene Elchweide! Ich schuf das große Ophir daraus. Von Rinksbilly leitete ich das Wasser achtzig Meilen weit hin. Alle sagten, daß es unmöglich sei, aber ich tat es, und ich tat es ganz allein. Damm und Leitung kosteten mich vier Millionen. Aber dann hätten Sie Ophir sehen sollen – Kraftanlage, elektrisches Licht, und Hunderte von Arbeitern, die Tag und Nacht im Gange waren. Ich glaube, ich weiß jetzt ungefähr, was Sie meinen. Ich schuf Ophir, und, weiß Gott, das war verdammt schön!«

»Und da gewannen Sie etwas, das mehr wert war als Geld«, ermutigte ihn Dede. »Wissen Sie, was ich tun würde, wenn ich soviel Geld hätte, daß ich zum Weiterspielen gezwungen wäre? Sehen Sie alle diese nackten Hänge dort im Süden und Westen. Ich würde sie kaufen und mit Eukalyptus bepflanzen. Ich würde es nur aus Freude an der Sache tun, gesetzt aber, ich hätte den Spielteufel in mir, so würde ich genau dasselbe tun und die Bäume zu Geld machen. Und da komme ich wieder zu dem andern Punkte. Statt den Kohlenpreis heraufzuschrauben, ohne doch dem Kohlenmarkt auch nur im geringsten mehr zuzuführen, würde ich tausend und aber tausend Klafter Brennholz hervorbringen – aus dem Nichts schaffen. Und jeder, der mit der Fähre übersetzte, würde zu den bewaldeten Bergen hinaufsehen und sich freuen. Wer hat sich darüber gefreut, daß Sie eine Tonne Rock Wells um vier Dollar verteuerten?«

Jetzt war es Daylight, der eine Weile schwieg, während sie auf Antwort wartete.

»Möchten Sie lieber, daß ich derartige Dinge täte?« fragte er schließlich.

»Es wäre besser für die Welt und besser für Sie«, antwortete sie ruhig.

 

Die ganze Woche wußte jeder auf dem Kontor, daß Daylight mit großen Plänen umging. Außer einigen unbedeutenden Geschäften hatte er mehrere Monate nichts gemacht. Aber jetzt ging er tief in Gedanken versunken umher, machte unerwartet längere Fahrten über die Bucht nach Oakland oder saß stundenlang still und unbeweglich an seinem Schreibtisch. Was ihn beschäftigte, schien ihm eine ganz besondere Freude zu bereiten. Manchmal kamen auch Leute und besprachen sich mit ihm – Leute mit neuen Gesichtern und von einem ganz anderen Schlage als die, die ihn sonst aufzusuchen pflegten.

Am Sonntag erfuhr Dede alles.

»Ich habe ein bißchen über unsere Unterhaltung nachgedacht,« begann er, »und ich habe eine Idee bekommen, mit der ich es einmal versuchen möchte. Es ist ein Plan, daß Ihnen die Haare zu Berge stehen werden. Es ist das, was Sie ehrliches Spiel nennen, dabei aber das tollste Spiel, auf das ein Mensch sich je eingelassen hat. Was meinen Sie dazu, Minuten en gros zu pflanzen und zwei wachsen zu lassen, wo früher nur eine Minute wuchs? Ach ja, und auch ein paar Bäume dazu, sagen wir, einige Millionen. Erinnern Sie sich des Steinbruchs, dessen Besichtigung ich vortäuschte? Nun, ich will ihn jetzt kaufen. Ich will die ganzen Berge von Berkeley den Weg hinab bis nach San Leandro kaufen. Ein Teil davon gehört mir übrigens schon. Aber verraten Sie nicht ein Wort davon. Ich will erst noch eine ganze Weile weiterkaufen, ehe etwas bekannt wird, denn ich will nicht, daß die Preise ins Uferlose steigen. Können Sie den Berg drüben sehen? Der gehört mir schon, und er erstreckt sich mit seinen Hängen durch ganz Piedmont bis halbwegs zu den wogenden Hügeln von Oakland. Und das ist noch gar nichts gegen das, was ich erst kaufen will.«

Er hielt triumphierend inne.

»Und das alles, um zwei Minuten wachsen zu lassen, wo früher nur eine wuchs?« fragte Dede und lachte über seine Heimlichtuerei.

Er starrte sie bezaubert an. Sie hatte eine so freie, knabenhafte Art, den Kopf zurückzuwerfen. Und ihre Zähne entzückten ihn immer wieder. Sie waren nicht gerade klein, aber regelmäßig, stark und tadellos, und er war überzeugt, daß es die gesundesten, weißesten und schönsten Zähne waren, die er je gesehen.

Erst als sie aufgehört hatte zu lachen, konnte er fortfahren.

»Das Fährsystem zwischen Oakland und San Franzisko ist der elendeste Einspännerbetrieb in den ganzen Vereinigten Staaten. Sie benutzen die Fähre ja täglich, sechsmal in der Woche. Das macht vierundzwanzig Tage im Monat, oder mehr als dreihundert im Jahr. Wie lange brauchen Sie jedesmal dazu? Wenn Sie Glück haben, vierzig Minuten. Ich will Sie in zwanzig Minuten übersetzen. Wenn das nicht zwei Minuten wachsen lassen heißt, wo früher nur eine wuchs, dann will ich mir den Kopf abhauen lassen. Ich will Ihnen jedesmal zwanzig Minuten ersparen. Das heißt, vierzig Minuten täglich, mal dreihundert, gleich zwölftausend Minuten jährlich – nur für Sie, für einen einzigen Menschen. Das sind rund zweihundert Stunden. Und nun denken Sie, daß wir Tausenden von Menschen ebenfalls diese zweihundert Stunden ersparen – das lohnt sich doch, nicht wahr?«

Dede konnte nur atemlos nicken. Sie ließ sich von seiner Begeisterung mitreißen, wenn sie auch noch nicht verstand, wie diese große Zeitersparnis erzielt werden sollte.

»Kommen Sie«, sagte er. »Lassen Sie uns auf diese Anhöhe reiten, und wenn ich Sie oben habe und Sie etwas sehen können, will ich Ihnen die Geschichte erklären.«

Ein schmaler Pfad führte zu dem trockenen Bette des großen Canjons hinab, den sie überschreiten mußten, ehe sie den Aufstieg beginnen konnten. Der Abhang war steil und mit dichtem Gestrüpp und Buschwerk bedeckt, durch das die Pferde mühsam stolperten. Bob, der solche Verzögerungen nicht leiden konnte, wandte sich plötzlich um und versuchte, an Mab vorbeizukommen. Die Stute wurde seitwärts in das dichte Gestrüpp gedrängt und wäre beinahe gestürzt. Die Schenkel beider Reiter wurden zwischen die Pferde geklemmt, und als Bob nun den Hügel hinunterjagte, wäre Dede fast abgeworfen worden. Daylight zwang sein Pferd auf die Hinterhand und zog gleichzeitig Dede wieder in den Sattel. Zweige und Blätter regneten auf sie herab, und sie kamen aus einer Klemme in die andere, bis sie schließlich, stark mitgenommen, aber glücklich und froh erregt, den Gipfel erreichten. Hier versperrte kein Baum die Aussicht. Der Hügel, auf dem sie standen, sprang aus der Reihe heraus, so daß sie nach drei Seiten freie Aussicht hatten. Auf dem Flachlande zu ihren Füßen lag Oakland, und auf der andern Seite der Bucht war San Franzisko zu sehen. Zwischen den beiden Städten konnten sie die weißen Fährboote auf dem Wasser erblicken. Zu ihrer Rechten befand sich Berkeley, und links lagen die verstreuten Dörfer zwischen Oakland und San Leandro. Gerade vor ihnen war Piedmont, dessen Häuser zwischen Äckern verstreut lagen, und von dort wogte das Land bis nach Oakland hinüber. »Sehen Sie«, sagte Daylight mit einer umfassenden Armbewegung. »Hunderttausend Menschen wohnen dort, aber warum sollte nicht eine halbe Million dort wohnen? Da haben wir die Möglichkeit, fünf Menschen wachsen zu lassen, wo jetzt einer wächst. Das ist in wenigen Worten mein Plan. Warum wohnen nicht mehr Leute in Oakland? Weil die Verbindung mit San Franzisko schlecht, und, nebenbei, weil Oakland eingeschlafen ist. Leben kann man dort viel besser als in San Franzisko. Gesetzt, ich kaufte jetzt alle Straßenbahnen in Oakland, Berkeley, Alameda, San Leandro und den übrigen Orten – brächte sie unter einen Hut, unter eine tüchtige Leitung? Gesetzt, ich verkürzte die Fahrzeit nach San Franzisko um die Hälfte, indem ich einen großen Damm fast bis nach Goat Island hinausbaute und ein Fährsystem mit ganz modernen Booten einrichtete? Nicht wahr, die Leute würden sich daran gewöhnen, auf dieser Seite zu wohnen? Sehr schön. Dann brauchen Sie aber auch Grund und Boden. Augenblicklich ist der Boden noch billig. Warum? Weil es hier noch keine Eisenbahnen, elektrische Bahnen oder andere schnelle Verbindungen gibt, und weil keiner ahnt, daß sie bald kommen werden. Ich will sie bauen. Das wird die Preise für den Boden in die Höhe schrauben. Sobald die Leute dann die verbesserten Fähren und andere Verkehrserleichterungen sehen, werden sie kaufen wollen, und dann verkaufe ich ihnen die Grundstücke.

Sie sehen, ich mache den Boden wertvoll, indem ich die Bahnen baue. Der Verkauf der Grundstücke bringt die Auslagen wieder herein, und dann habe ich noch die Bahnen, die die Leute hin und her transportieren und viel Geld bringen. Ich kann nicht verlieren. Es sind Millionen daran zu verdienen. Ich will mir Grund und Boden am Strande sichern. Vielleicht zwischen dem alten Damm und der Stelle, wo ich den neuen bauen will. Da ist das Wasser seicht. Ich kann es zuschütten und Docks für Hunderte von Schiffen anlegen. Die Reede von San Franzisko ist überfüllt. Kein Platz mehr für Schiffe. Wenn Hunderte von Schiffen auf dieser Seite gerade an der Eisenbahn laden und löschen, werden hier Fabriken entstehen, statt drüben in San Franzisko. Das bedeutet Fabrikbauplätze. Das bedeutet, daß ich Fabrikbauplätze aufkaufe, ehe ein Mensch eine Ahnung davon hat, daß die Katze aus dem Sack ist, und noch weniger, wie sie springen wird. Fabriken bedeuten Tausende von Arbeitern mit ihren Familien. Das bedeutet wieder mehr Häuser und Grundstücke, und das heißt wieder für mich, daß ich da sein werde, um ihnen die Grundstücke zu verkaufen. Und Tausende von Familien bedeuten Tausende von Groschen täglich für meine elektrische Bahn. Die wachsende Bevölkerung bedeutet mehr Läden, mehr Banken, von allem mehr. Das heißt für mich wieder, daß ich mit Grundstücken für Geschäftshäuser und für Privathäuser zur Stelle sein werde. Was meinen Sie dazu?«

Ehe sie antworten konnte, war er schon wieder mitten darin, denn seine Seele war erfüllt von dem Gedanken an diese neue Traumstadt, die er in den Alabama-Bergen an der Pforte zum Orient erbaute. »Wissen Sie – ich hab' es selbst untersucht –, daß der Firth of Clyde, wo die meisten stählernen Schiffe gebaut werden, nicht halb so breit ist wie die Bucht von Oakland, wo all die alten Holzschiffe liegen? Warum ist sie nicht ein Firth of Clyde? Weil der Magistrat von Oakland seine Zeit damit vergeudet, über Pflaumen und Weintrauben zu disputieren. Was not tut, ist ein Mann, der sich um die Sache kümmert, und danach eine Organisation. Ich bin der Mann. Die Ophirgeschichte habe ich nicht umsonst gemacht. Und wenn es erst losgeht, wird das fremde Kapital schon von selber kommen. Ich brauche nur die Geschichte in Gang zu bringen. ›Meine Herren,‹ werde ich sagen, ›hier sind alle Bedingungen für eine große Hauptstadt gegeben. Die Allmacht hat selbst die Voraussetzungen geschaffen und hat mich hergesetzt, um sie zu erkennen. Wollen Sie Ihren Tee und Ihre Seide von Asien hier landen und weiter nach dem Osten schicken? Hier sind Docks für Ihre Dampfer, und hier sind Eisenbahnen. Wollen Sie Fabriken haben, von denen Sie Ihre Waren direkt zu Wasser und zu Lande verschicken können? Hier ist der Baugrund, und hier ist die moderne Stadt mit den neuesten Einrichtungen für Sie selbst und Ihre Arbeiter.‹

Dann haben wir hier Wasser. Ich werde schon dafür sorgen, daß die meisten Wasserkräfte mir gehören. Warum nicht auch die Wasserwerke? Da liegt Geld – Geld überall. Alle Räder greifen ineinander. Jede Verbesserung erhöht den Wert der andern. Sehen Sie hin. Sehen Sie nur hin. Sie könnten gar keinen besseren Platz für eine große Stadt finden. Es fehlt nur noch die Bevölkerung; in zwei Jahren will ich einige hunderttausend Menschen herschaffen. Und was mehr wert ist, es wird kein Schwindel sein. In zwanzig Jahren wird eine Million Menschen auf dieser Seite der Bucht wohnen. Und dann will ich Eukalyptusbäume, Millionen Eukalyptusbäume auf diesen Höhen pflanzen.«

»Aber wie wollen Sie das alles machen?« fragte Dede. »Sie haben doch nicht Geld genug für alle Ihre Pläne?«

»Ich habe dreißig Millionen, und wenn ich mehr brauche, kann ich den Boden oder andere Werte beleihen. Die Hypothekenzinsen werden längst nicht die Wertsteigerung der Grundstücke verschlingen, und ich werde ja auch immer schon welche davon verkaufen.«

 

In den folgenden Wochen war Daylight stark in Anspruch genommen. Die meiste Zeit verbrachte er in Oakland und kam nur selten ins Bureau. Er dachte daran, das Bureau nach Oakland zu verlegen, mußte aber erst, wie er zu Dede sagte, den heimlich vorbereiteten Feldzug zu Ende gebracht und den Boden aufgekauft haben. Sonntag auf Sonntag sahen sie bald von diesem, bald von jenem Gipfel auf die Stadt und ihre noch ländlichen Vororte hinunter, und er zeigte ihr seine letzten Erwerbungen. Zuerst waren es verstreute Ländereien, aber mit den Wochen wurden die Grundstücke, die ihm nicht gehörten, immer seltener, bis sie schließlich wie Inseln dalagen, die von allen Seiten von seinem Grund und Boden umgeben waren.

Es hieß schnell und angestrengt arbeiten, denn Oakland und Umgebung begannen natürlich bald das riesige Aufkaufen zu spüren. Aber Daylight hatte bares Geld, und schnelles Handeln war immer seine Art gewesen. Ehe die andern etwas von dem bevorstehenden Aufschwung ahnten, hatte er in der Stille schon vieles vollbracht. Während seine Agenten Eckgrundstücke und ganze Häuserblocks im Herzen des Geschäftsviertels aufkauften, hatte er sich gleichzeitig von der Stadtverwaltung Privilegien erteilen lassen, die beiden ruinierten Wasserwerke und die acht, neun unabhängigen Straßenbahnlinien beschlagnahmt und seine Hand nach der Bucht von Oakland und dem Strande für seine Docks ausgestreckt.

Als Oakland dann endlich, durch diese unerhörte Tätigkeit in jeder Beziehung aufgerüttelt, erregt fragte, was das zu bedeuten habe, kaufte Daylight im geheimen die maßgebende republikanische Zeitung und das Hauptorgan der Demokraten und übersiedelte kühn nach Oakland in sein neues Bureau. Das war natürlich in großem Stil eingerichtet und nahm vier Stockwerke in dem einzigen modernen Gebäude der Stadt ein – dem einzigen Gebäude, das, wie Daylight sagte, später nicht abgerissen werden sollte. Hier gab es Abteilung über Abteilung, ganze Haufen von Abteilungen, und Hunderte von Handlungsgehilfen und Stenotypistinnen.

 

Monatelang vergrub Daylight sich in die Arbeit. Die Ausgaben waren ungeheuer, und vorläufig hatte er keine Einnahmen. Außer mit einer allgemeinen Steigerung der Bodenwerte hatte Oakland nicht auf sein unerwartetes Auftreten auf der Finanzbühne reagiert. Die Stadt wartete ab, was er tun würde, und er verlor darüber keine Zeit. Die besten Köpfe wurden von ihm für die verschiedenen Arbeitszweige angeworben. Mit Leuten, die die Sache verkehrt angriffen, hatte er kein Mitleid, und er war fest entschlossen, auf die rechte Weise anzufangen. So engagierte er Wilkinson, indem er sein an sich schon hohes Gehalt verdoppelte, holte ihn sich aus Chikago, damit er die Organisation der städtischen Eisen- und elektrischen Bahnen übernahm. Tag und Nacht wurde in den Straßen gearbeitet, und Tag und Nacht rammten die Arbeiter mächtige Pfähle in den Schlamm der Bucht von San Franzisko. Der Pier sollte drei Meilen lang werden, und die Berge von Berkeley wurden ganzer Eukalyptuswälder für die Pfähle beraubt.

Gleichzeitig ließ er die Wiesen vermessen und nach den besten modernen Methoden in Baustellen, Boulevards und Parks einteilen. Breite, gut planierte Straßen mit Abzugskanälen und Wasserleitungen wurden angelegt und mit Steinen aus seinen eigenen Steinbrüchen gepflastert. Die Bürgersteige wurden zementiert, so daß der Käufer nichts zu tun hatte, als Grundstück und Architekt zu wählen und zu bauen. Die schnelle Beförderung mit den neuen elektrischen Bahnen machte die Umgebung von Oakland unmittelbar zugänglich, und lange, ehe noch die Fähre in Gang war, befanden sich schon Hunderte von Wohnhäusern im Bau. Sein Verdienst an den Grundstücken war riesig. Mit einem Schlage hatte er kraft seines Reichtums freies Feld zu einem der besten Wohnviertel der Stadt umgeschaffen.

Aber das Geld, das auf diese Weise hereinfloß, wurde sofort wieder in andere Unternehmungen gesteckt. Der Bedarf an Straßenbahnwagen war so groß, daß er eigene Werkstätten für ihren Bau einrichtete. Und selbst zu den steigenden Preisen fuhr er fort, Fabrikgrundstücke und Bauplätze zu kaufen. Auf Wilkinsons Rat wurden fast alle bereits im Betrieb befindlichen Straßenbahnlinien geändert. Die leichten, unmodernen Schienen wurden herausgerissen und durch die schwersten ersetzt, die fabriziert wurden. Eckhäuser an scharfen, engen Straßenbiegungen wurden aufgekauft und ohne Gnade geopfert, um der Straßenbahn Kurven für die Schienen und größere Fahrgeschwindigkeit zu schaffen. Dann machte er sich auch an die Hauptlinien, die zu seiner Fähre führten und den Verkehr von ganz Oakland, Alameda und Berkeley mit durchgehenden Expreßzügen bis zum Ende des Piers besorgten. Bei seinen Unternehmungen zu Wasser wurde dasselbe großzügige System angewandt. Nur das Beste war gut genug, wenn seine riesigen Landaufkäufe vom Glück begünstigt sein sollten. Oakland sollte zu einer Weltstadt gemacht werden. Außer seinen großen Hotels baute er Vergnügungsetablissements für das Volk, Kunstgalerien und Klubhäuser für die Verwöhnteren. Und früher als die Einwohnerschaft selbst war schon der Verkehr auf den Eisen- und Straßenbahnen der Stadt gestiegen. Seine Pläne waren keine Launen. Sie waren gesunde Unternehmungen.

»Was Oakland noch fehlt, ist ein erstklassiges Theater«, sagte er, und nachdem er vergebens versucht hatte, die lokalen Finanzgrößen dafür zu interessieren, begann er selbst den Bau. Er allein sah die zweihunderttausend Menschen, die zur Stadt kommen mußten.

Aber so schwer die Last auch war, die auf Daylights Schultern ruhte, die Sonntage hielt er sich frei, um in die Berge zu reiten. Selbst der regnerische Winter machte seinen Ritten mit Dede kein Ende. Eines Sonnabends nachmittags aber sagte sie ihm ganz unerwartet ab, und als er auf eine Erklärung drang, berichtete sie:

»Ich habe Mab verkauft.«

Daylight war sprachlos. Ihre Handlungsweise konnte so ernste Folgen haben, daß sie fast nach Verrat schmeckte. Sie konnte große pekuniäre Verluste erlitten haben. Sie konnte ihm auf diese Weise mitteilen wollen, daß sie seiner überdrüssig war. Oder . . . »Was ist los?« brachte er schließlich hervor.

»Ich konnte sie nicht mehr halten, wo das Heu jetzt fünfundvierzig Dollar die Tonne kostet«, antwortete Dede.

»Ist das der einzige Grund?« forschte er und sah ihr gerade in die Augen, denn er erinnerte sich, von ihr gehört zu haben, daß sie das Pferd einen ganzen Winter behalten hatte, obgleich das Heu sechzig Dollar kostete.

»Nein. Die Ausgaben für meinen Bruder haben sich gesteigert, so daß ich sie nicht mehr beide durchbringen könnte, und so trennte ich mich lieber vom Pferde und behielt den Bruder.«

Daylight wurde von unsagbarer Traurigkeit erfaßt. Er gewahrte plötzlich eine große Leere in seinem Innern. Was war ein Sonntag ohne Dede? Und Sonntag über Sonntag ohne sie? Verstört trommelte er mit den Fingern auf dem Schreibtisch.

»Wer hat das Pferd gekauft?« fragte er.

Dedes Augen funkelten ihn durchaus nicht freundlich an, gerade so, wie er sie kannte, wenn sie böse war.

»Wagen Sie nicht, sie mir zurückzukaufen«, rief sie. »Und leugnen Sie nicht, daß Sie das im Sinne hatten.«

»Nein, ich leugne es nicht. Es war meine Absicht. Aber ich hätte es nicht getan, ohne Sie erst gefragt zu haben, und da ich nun weiß, wie Sie drüber denken, frage ich Sie nicht einmal. Aber Sie hingen so an dem Tier, und es ist hart für Sie, daß Sie es verlieren müssen. Es tut mir wirklich leid. Und es tut mir auch leid, daß Sie morgen nicht mit mir reiten können. Ich bin ganz verzweifelt. Ich weiß nicht, was ich anstellen soll.«

»Das weiß ich auch nicht,« räumte Dede traurig ein, »es wäre denn, daß ich etwas nähte.«

»Aber ich hab' ja nichts zu nähen.«

Daylights Ton war halb scherzend, halb klagend, aber im geheimen war er entzückt über ihr Geständnis, daß auch sie sich einsam fühlte. Sie das sagen zu hören, wog fast den Verlust des Pferdes auf. So bedeutete er also doch etwas für sie. Er war ihr nicht ganz gleichgültig.

»Ich möchte, daß Sie es sich noch einmal überlegten, Fräulein Mason«, sagte er weich. »Nicht allein des Pferdes, sondern meinetwegen. Das Geld spielt doch wirklich keine Rolle. Wenn ich das Pferd kaufe, so bedeutet das für mich nicht mehr als für die meisten Männer, wenn sie einer jungen Dame einen Blumenstrauß oder eine Schachtel Konfekt schicken. Und ich habe Ihnen nie Blumen oder Konfekt geschickt.« Er bemerkte den warnenden Schimmer in ihren Augen und beeilte sich, ihre Ablehnung zu parieren. »Ich will Ihnen sagen, was wir tun werden. Was meinen Sie, wenn ich das Pferd kaufe und Ihnen leihe, wenn wir ausreiten wollen? Dabei ist doch nichts. Ein Pferd kann man doch von jedem leihen, nicht wahr?«

Wieder las er die Ablehnung in ihren Augen und kam ihr zuvor:

»Es gibt doch massenhaft Männer, die Frauen im Buggy mitnehmen. Dabei ist doch nichts. Und der Mann liefert stets Pferd und Wagen. Schön, was für ein Unterschied ist es dann, ob ich mit Ihnen ausfahre und Pferd und Wagen liefere oder mit Ihnen ausreite und das Pferd stelle?«

Sie schüttelte den Kopf, ohne zu antworten, und sah gleichzeitig zur Tür, als wäre es Zeit, das Gespräch zu beenden. Er machte noch eine Anstrengung.

»Wissen Sie, Fräulein Mason, daß ich nicht einen Freund auf der Welt habe außer Ihnen? Ich meine, einen wirklichen Freund, Mann oder Frau, einen guten Kameraden, mit dem zusammen zu sein eine Freude, getrennt zu sein ein Kummer ist. Vielleicht käme noch Hegan in Betracht, aber es liegen Millionen Meilen zwischen ihm und mir. Außerhalb der Geschäfte passen wir nicht zusammen. Er hat eine riesige Bibliothek und eine verschrobene Art von Kultur. Ich habe keinen Kameraden außer Ihnen, und Sie wissen ja selbst, wie selten wir zusammen waren – einmal wöchentlich und nur, wenn es nicht regnete. Ich bin ganz abhängig von Ihnen geworden. Sie sind mir eine Art von – von – von –«

»Eine Art von Gewohnheit«, sagte sie lächelnd.

»Ja, so was Ähnliches. Und das Pferd und Sie darauf, wie Sie unter den Bäumen oder im Sonnenschein dahergeritten kommen – ja, wenn ich das entbehren soll, dann habe ich nichts mehr, um mich die ganze Woche darauf zu freuen. Wenn Sie mir doch erlauben wollten – es Ihnen zurückzukaufen –.«

»Nein, nein, ich sage nein!« Dede erhob sich ungeduldig, aber ihre Augen waren feucht bei dem Gedanken an ihr geliebtes Pferd. »Bitte erinnern Sie mich nicht mehr an Mab. Wenn Sie denken, daß es mir leicht geworden ist, mich von ihr zu trennen, so irren Sie sich. Aber ich habe sie zum letztenmal gesehen und will sie vergessen.«

Daylight erwiderte nichts, und die Tür schloß sich hinter ihr.

Eine halbe Stunde später konferierte er mit Jones, einem früheren Liftboy und wütenden Proletarier, den Daylight ein Jahr lang unterhalten hatte, damit er sich der Literatur widmen konnte. Das Ergebnis, ein Roman, war ein Fehlschlag gewesen. Weder Redakteure noch Verleger hatten ihn auch nur ansehen wollen, und Daylight benutzte den enttäuschten Autor jetzt als eine Art Privatdetektiv. Jones, der gern so tat, als ob er durch nichts zu verblüffen sei, zeigte auch keine Überraschung, als ihm der Auftrag gegeben wurde, herauszufinden, wer eine gewisse Stute gekauft hätte.

»Wie hoch soll ich gehen?« fragte er.

»Zahlen Sie jeden Preis. Sie haben sie herzuschaffen, das ist die Hauptsache. Drücken Sie den Preis soviel wie möglich, um keinen Verdacht zu erregen. Dann liefern Sie das Pferd an diese Adresse in Sonoma ab. Der Mann ist Verwalter auf einer kleinen Ranch, die ich gekauft habe. Sagen Sie ihm, daß er gut für das Pferd sorgen soll. Und nachher vergessen Sie die ganze Geschichte wieder. Erzählen Sie mir nicht den Namen des Mannes, von dem Sie das Tier bekommen haben, nur daß Sie es abgeliefert haben. Savvy?«

Nach einigen Tagen bemerkte Daylight einen unheilverkündenden Schimmer in Dedes Augen.

»Ist etwas los – was?« fragte er kühn.

»Mab«, sagte sie. »Der Mann, der sie gekauft hatte, hat sie schon wieder verkauft. Wenn ich wüßte, daß Sie dahinter steckten – –.«

»Ich weiß nicht einmal, wer sie gekauft hat«, lautete Daylights Antwort. »Und mehr noch: Ich will mir nicht den Kopf darüber zerbrechen. Es war Ihr Pferd, und was Sie damit machen, hat nichts mit meinem Geschäft zu tun. Sie haben sie nicht mehr, das ist sicher, und das ist ein Jammer. Aber da wir gerade mal dabei sind, möchte ich eine Sache mit Ihnen besprechen. Und Sie dürfen sich nicht davon verletzt fühlen, denn es geht Sie eigentlich gar nichts an.«

Es trat eine Pause ein, in der sie ihn beinahe mißtrauisch betrachtete.

»Wie steht es mit Ihrem Bruder? Der Verkauf Ihres Pferdes wird wohl kaum genügen, ihn nach Deutschland zu schicken. Und dahin muß er ja, wie seine eigenen Ärzte sagen – zu dem großen deutschen Spezialisten, der den Leuten Knochen und Fleisch herausreißt, Grütze daraus macht und sie ihnen dann neu wieder einsetzt. Schön, ich will ihn nach Deutschland schicken und diesem Wunderkerl eine Chance geben, das ist alles.«

»Ach, wenn das möglich wäre«, sagte sie fast atemlos und ganz ohne Ärger. »Aber Sie wissen ja selbst, daß es nicht möglich ist. Ich kann kein Geld von Ihnen annehmen – –«

»Warten Sie«, unterbrach er sie. »Würden Sie einen Schluck Wasser von einem der zwölf Apostel annehmen, wenn Sie am Verdursten wären? Oder wären Sie bange, daß er unlautere Absichten hätte,« – sie machte eine abwehrende Handbewegung – »oder was die Leute darüber sagen würden?«

»Aber das ist doch etwas ganz anderes«, begann sie.

»Sehen Sie mal, Fräulein Mason. Sie müssen versuchen, sich ein paar dumme Begriffe aus dem Kopf zu schlagen. Die Geldbegriffe sind mit das Komischste, was ich erlebt habe. Gesetzt, Sie stürzten von einem Felsen, wäre es da nicht ganz in der Ordnung, wenn ich Ihnen die Hand reichte und Sie am Arm griffe? Sicherlich. Gesetzt aber, Sie brauchten eine andere Art Hilfe – statt der Stärke meines Armes die Stärke meines Beutels? Das würde verkehrt sein. Das sagt man. Aber warum sagt man das? Weil die Räuberbanden wollen, daß die Dummen ehrlich sein und das Geld achten sollen. Wären sie das nicht, wo wären die Räuber dann? Sehen Sie das nicht ein?«

Dede weigerte sich immer noch, und Daylights Gründe wurden unangenehmer.

»Ich kann mir nur denken, daß Sie sich Ihrem Bruder in den Weg stellen, weil Sie die ganz falsche Vorstellung haben, ich wollte Ihnen auf diese Weise den Hof machen. Das tue ich aber gar nicht. Ich hab' Sie nicht gefragt, ob Sie mich heiraten wollen, und wenn ich es tue, dann werde ich mir Ihr Jawort nicht erkaufen. Wenn ich die Frage stelle, dann tue ich es offen und ehrlich.«

Dede errötete vor Zorn.

»Wenn Sie wüßten, wie lächerlich Sie sich machen, dann würden Sie aufhören«, platzte sie heraus. »Sie können mir das Leben unangenehmer machen als irgendein Mann, den ich kenne. Jeden Augenblick lassen Sie mich verstehen, daß Sie mich nicht gebeten haben, Ihre Frau zu werden. Ich warte nicht darauf, daß Sie mich fragen, und ich habe Ihnen vom ersten Tage an gesagt, daß Sie keine Aussicht hätten. Und doch halten Sie die Drohung immer über meinem Haupte, daß Sie eines Tages die Frage an mich stellen wollen. Tun Sie es doch gleich, dann können Sie Ihre Antwort haben, und die Sache ist erledigt.«

Er betrachtete sie forschend mit ehrlicher Bewunderung. »Ich brauche Sie so sehr, Fräulein Mason, daß ich nicht wage, Sie jetzt zu fragen«, sagte er mit so komischem Ernst im Ausdruck und Tonfall, daß sie den Kopf zurücklegte und in ein freies knabenhaftes Lachen ausbrach. »Wie ich Ihnen zudem sagte, bin ich in diesen Dingen ganz unerfahren. Ich habe noch nie einer Frau den Hof gemacht und möchte nicht gern etwas Verkehrtes tun.«

»Aber Sie tun ja die ganze Zeit nichts anderes«, rief sie heftig aus. »Das ist noch nicht dagewesen, daß ein Mann einer Frau den Hof gemacht hat mit der dauernden Drohung, ihr einen Heiratsantrag zu machen.«

»Ich will es nicht wieder tun«, sagte er demütig. »Aber das hat nichts mit der Sache zu tun. Was ich vor einer Minute gesagt habe, gilt noch. Sie stehen Ihrem Bruder im Wege. Was für Vorstellungen Sie sich machen, ist mir ganz gleichgültig, deshalb müssen Sie doch beiseitetreten und ihm eine Chance geben. Wollen Sie mich zu ihm gehen und mit ihm über die Sache reden lassen? Ich werde schon einen ganz geschäftlichen Vorschlag draus machen. Ich will ihm helfen, gesund zu werden, und dann kann er es mit Zinsen zurückzahlen.«

 


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