Jack London
Lockruf des Goldes
Jack London

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Nathaniel Letton war mitten im Satze, als die Tür geöffnet wurde; er blieb stecken, und er wie die beiden andern starrten erschrocken, aber beherrscht den eintretenden Burning Daylight an. Unwillkürlich übertrieb er den freien schwungvollen Gang, der Schlittenreisenden eigen ist. Ihm war, als fühlte er Schnee unter seinen Füßen.

»Guten Morgen, meine Herren«, sagte er, ohne die unnatürliche Ruhe zu beachten, mit der sie seinen Eintritt begrüßten. Er schüttelte ihnen der Reihe nach so herzlich die Hände, daß Nataniel Letton zusammenfuhr. Dann warf er sich in einen schweren Sessel und streckte die Beine aus, als ob er müde wäre. Die große Ledertasche, die er mitgebracht hatte, stellte er sorglos neben sich auf den Fußboden.

»Allmächtiger, ich bin halbtot!« seufzte er. »Wir haben's ihnen aber auch nicht schlecht gegeben. Das war 'ne Sache. Und erst ganz zum Schluß ist mir aufgegangen, wie fein das Spiel war. Glatter knock down! Und wie sie drauf reinfielen, war einfach großartig!«

Sein schleppender westlicher Dialekt und seine Fröhlichkeit beruhigten sie. Er war wohl gar nicht so schlimm. Wenn er sich auch entgegen Lettons Anordnungen den Zutritt zum Bureau erzwungen hatte, so schien er doch nicht die Absicht zu haben, eine Szene zu machen oder ausfallend zu werden.

»Na,« fragte Daylight liebenswürdig, »habt ihr nicht ein freundliches Wort für euren Partner? Oder hat sein Glanz euch völlig geblendet?«

Letton räusperte sich, konnte aber kein Wort herausbringen. Dowsett saß ruhig abwartend da, während Guggenhammer mit Anstrengung stammelte:

»Sie haben wirklich ein schönes Tohuwabohu angerichtet.«

Daylights schwarze Augen funkelten vor Vergnügen. »Das will ich meinen!« rief er triumphierend. »Haben wir sie nicht schön angeführt? Ich war selbst ganz überrascht. Ich hätte mir nie träumen lassen, daß es so leicht ginge.«

»Und jetzt«, fuhr er fort, ehe die entstandene Pause drückend wurde, »können wir wohl abrechnen. Ich möchte gern heute nachmittag abreisen.« Er nahm seine Tasche und griff mit beiden Händen hinein. »Und wenn ihr Wall Street wieder mal einen kleinen Schrecken einjagen wollt, Jungens, dann braucht ihr's mir nur zu sagen.«

Seine Hände kamen wieder zum Vorschein; sie umschlossen eine Menge Talons, Scheckbücher und Schlußnoten. Er schüttete alles auf den Tisch, griff noch einmal in die Tasche und fischte einige Nachzügler heraus. Dann las er von einem Blatt Papier ab: »Zehn Millionen siebenundzwanzigtausend und zweiundvierzig Dollar und acht Cent betragen meine Ausgaben. Die müssen natürlich vom Gewinn abgezogen werden, ehe wir die ganze Beute zusammenrechnen. Wo habt ihr eure Berechnung? Es muß doch eine mächtige Summe herauskommen.«

Die drei Männer sahen sich erstaunt an. Entweder war der Mann dümmer, als sie gedacht hatten, oder er spielte ein Spiel, das sie noch nicht durchschauen konnten.

Nathaniel Letton befeuchtete seine Lippen mit der Zunge und sprach:

»Es wird noch einige Stunden dauern, Herr Harnish, bis wir die Abrechnung in Ordnung haben. Howison ist gerade dabei. Wir – hm – wie Sie sagen, haben wir befriedigend abgeschnitten. Was meinen Sie, wollen wir jetzt nicht zusammen frühstücken gehen – wir könnten ja dabei über die Sache sprechen. Ich lasse meine Angestellten über Mittag arbeiten, so daß Sie Ihren Zug noch rechtzeitig erreichen können.«

Dowsett und Guggenhammer gaben ihre Erleichterung fast zu offen zu erkennen. Die Situation klärte sich. Unter den augenblicklichen Verhältnissen war es nicht angenehm, in einem Raum mit dem Manne eingeschlossen zu sein, den sie soeben ausgeplündert hatten, einem Manne, der starke Muskeln hatte und einem Indianer glich. Sie erinnerten sich mit Unbehagen der vielen Geschichten über seine Stärke und Brutalität. Wenn Letton ihn nur so lange hinhalten könnte, bis sie in die polizeibeschützte Welt außerhalb der Bureautüren entwischt waren, so war alles gut. Und Daylight schien mit sich reden zu lassen.

»Das freut mich wirklich«, sagte er. »Ich möchte nicht gern den Zug versäumen. Sie haben mir eine große Ehre erwiesen, meine Herren, daß Sie mich an diesem Geschäft teilnehmen ließen. Ich weiß das in hohem Maße zu schätzen, wenn ich meinen Gefühlen auch nicht den rechten Ausdruck verleihen kann. Aber ich bin schrecklich neugierig und möchte gern wissen, Herr Letton, wie hoch Sie unsern Gewinn veranschlagen. Können Sie es mir nicht schätzungsweise sagen?«

Nathaniel Letton sandte seinen Freunden einen flehenden Blick, und es entstand eine Pause. Dowsett, der aus festerem Holz als die beiden andern geschnitzt war, begann zu ahnen, daß der Klondike-Mann spielte, jene aber ließen sich immer noch von seiner kindlichen Unschuld einwiegen.

»Es ist außerordentlich – hm – schwierig«, begann Leon Guggenhammer vorsichtig. »Sie wissen, daß die Kurse von Ward Valley fabelhaft schwankten, so daß – hm – –.«

»So daß es ganz unmöglich ist, jetzt schon den Gewinn abzuschätzen«, fuhr Letton fort.

»Annähernd, annähernd«, meinte Daylight freundlich. »Auf eine Million mehr oder weniger kommt es nicht an. Darüber können wir uns ja später noch einigen. Aber ich bin so neugierig, daß es mich am ganzen Körper juckt. Was meint ihr?«

»Warum sollen wir weiter unter falschen Voraussetzungen spielen?« fragte Dowsett plötzlich kalt. »Laßt uns die Karten auf den Tisch legen. Herr Harnish hat einen falschen Eindruck von der Sache, und wir wollen ihn aufklären. Diesmal – –.«

Aber Daylight fiel ihm ins Wort. Er war ein zu guter Pokerspieler, als daß er den psychologischen Faktor außer acht gelassen hätte, und er unterbrach Dowsett, um das Spiel selbst zum Abschluß zu bringen.

»Da wir gerade von Karten sprechen,« sagte er, »so fällt mir ein Poker ein, den ich mal in Reno in Nevada gesehen habe. Es war nicht gerade, was man ehrliches Spiel nennt. Die Spieler waren alle ausgekochte Jungens. Aber hinter dem Mann, der gab, stand ein neuer, ein Gelbschnabel, und der sah, wie der andere sich unten aus dem Spiel vier Asse nahm. Der Neue ärgerte sich. Er trat zu dem Gegenübersitzenden.

›Sie‹, flüsterte er ihm zu. ›Ich habe gesehen, wie der drüben sich vier Asse genommen hat.‹

›Na, wenn schon?‹ sagte der Spieler.

›Ich wollt' es Ihnen nur sagen, weil ich meinte, daß Sie es wissen sollten‹, sagte der Neue. ›Ich wiederhole, ich hab' es mit eigenen Augen gesehen, wie er sich vier Asse gegeben hat.‹

›Wissen Sie was,‹ sagte der Spieler, ›Sie täten am besten, wenn Sie sich verzögen, Sie haben ja keine Ahnung von dem Spiel. Er ist doch am Geben, nicht wahr?‹«

Das Gelächter, mit dem die Geschichte begrüßt wurde, war weder sehr aufrichtig noch natürlich, doch Daylight schien keine Notiz davon zu nehmen.

»Ich vermute, daß Ihre Geschichte einen Sinn hat«, sagte Dowsett mit Nachdruck.

Daylight blickte ihn unschuldig an, antwortete aber nicht. Er wandte sich jovial an Nathaniel Letton.

»Los«, sagte er. »Geben Sie uns eine Übersicht über unseren Gewinn. Wie ich schon sagte, kommt es auf eine Million mehr oder weniger nicht an, denn es muß ja eine mächtige Summe sein.«

Letton war jetzt durch die Haltung, die Dowsett einnahm, sicherer geworden und antwortete schnell und entschieden.

»Ich fürchte, Sie mißverstehen die Situation, Herr Harnish. Wir haben keinen Gewinn mit Ihnen zu teilen. Bitte, regen Sie sich nicht auf. Ich brauche nur auf diesen Knopf zu drücken . . .«

Aber Daylight schien durchaus nicht aufgeregt zu sein, er machte vielmehr den Eindruck, als ob er völlig gelähmt wäre. Mit geistesabwesender Miene griff er in seine Westentasche, zündete ein Streichholz an und entdeckte, daß er keine Zigaretten hatte. Die drei Männer folgten seinen Bewegungen wie Katzen. Sie wußten, daß sie jetzt einige höchst ungemütliche Minuten vor sich hatten.

»Wollen Sie das bitte noch einmal sagen?« meinte Daylight. »Mir scheint, ich habe nicht ganz richtig gehört. Sie sagten . . .?«

In qualvoller Erwartung hing er an Nathaniel Lettons Lippen.

»Ich sagte, daß Sie die Situation mißverstehen, Herr Harnish; das war alles. Sie haben an der Börse gespielt und tüchtig dabei verloren. Aber weder Ward Valley noch ich oder meine Kompagnons können sehen, daß wir Ihnen etwas schuldig sind.«

Daylight deutete auf den Haufen Quittungen und Talons auf dem Tische.

»Das hier repräsentiert eine Summe von zehn Millionen zwanzigtausendzweiundvierzig Dollar und achtundsechzig Cent in bar. Hat das denn keinen Wert?«

Letton lächelte und zuckte die Achseln.

Daylight betrachtete Dowsett und murmelte:

»Dann hat meine Geschichte doch wohl einen Sinn.«

Er lachte krampfhaft. »Sie haben die Karten gegeben, und Sie haben richtig gegeben. Schön, ich beklage mich nicht. Ich bin wie der Mann im Poker. Sie haben gegeben und konnten es natürlich so tun, wie Sie es für gut befanden. Und das haben Sie getan – und haben mich bis auf den letzten Heller ausgeplündert.« Er starrte verwirrt den Haufen auf dem Tische an. »Und das alles ist nicht mal das Papier wert, worauf es geschrieben ist. Verflucht noch mal, Sie verstehen Karten zu geben, wenn Sie eine Chance haben. O nein, ich beklage mich nicht. Sie waren am Geben, und Sie haben mich reingelegt, aber ich bin nicht der Mann, zu jammern, wenn mir so was passiert. Die Partie ist jetzt ausgespielt, die Karten liegen auf dem Tisch, und es ist kein Wort weiter drüber zu verlieren, aber . . .«

Seine Hand tauchte schnell in die Brusttasche und erschien wieder mit dem großen Coltrevolver.

»Wie gesagt, die Partie ist zu Ende. Aber jetzt gebe ich, und da will ich doch sehen, ob ich nicht die vier Asse kriegen kann – –.«

»Finger weg, du getünchtes Grab!« rief er scharf.

Nathaniel Lettons Hand, die sich sacht nach dem Klingelknopf geschoben hatte, zuckte zurück.

»Plätze wechseln«, kommandierte Daylight. »Nimm den Stuhl drüben, du leberkrankes Stinktier! Rück' auf die andere Seite, Guggenhammer! Und du, Dowsett, setz' dich hierher.«

»Jetzt werde ich die Karten geben. Denkt daran, daß ich nichts über euer Spiel gesagt habe. Ihr habt euer Leck gestopft, gut! Aber jetzt bin ich am Geben, und jetzt will ich mein Leck dichten. Ihr kennt mich; Ich bin Burning Daylight – savvy? Ich fürchte nichts, weder Gott noch Teufel, weder Tod noch Untergang. Das sind meine vier Asse, und die stechen eure sicher aus.«

»Und doch werden wir dich hängen sehen«, sagte Dowsett, der als einziger seine Ruhe bewahrt hatte.

»Damit hat's noch gute Weile. Und wenn's geschieht, so erlebt ihr es sicher nicht. Ihr sterbt hier und in dieser Minute.« Daylight schwieg.

»Ist das Ihr Ernst?« fragte Letton mit seltsam dünner Stimme.

Daylight schüttelte lächelnd den Kopf.

»Nein, es lohnt sich nicht. Ihr seid es nicht wert. Aber ich will meine Chips wiederhaben. Und ich denke, ihr gebt sie mir lieber zurück, als daß ihr geradeswegs von hier in die Leichenhalle wandert.«

Ein langes Schweigen folgte.

»Schön, also ich hab' jetzt gegeben. Ihr seid am Spiel. Aber während ihr noch überlegt, will ich euch noch eine Warnung erteilen: Wenn die Tür aufgeht und einer von euch Banditen sich merken läßt, daß hier was Besonderes los ist, dann knall' ich euch nieder, so wahr ich hier stehe. Nicht eine Seele kommt hier heraus, es sei denn mit den Füßen voran.«

Geschlagene drei Stunden blieben sie sitzen. Der entscheidende Faktor war weniger der große Revolver an sich, als die Gewißheit, daß Daylight Gebrauch von ihm machen würde. Nicht nur die drei Männer, auch er selber war fest davon überzeugt. Er war fest entschlossen, sie zu töten, wenn er sein Geld nicht bekam. Sofort zehn Millionen in bar herbeischaffen, war keine Kleinigkeit. Immer wieder mußten Howison und der erste Buchhalter hereingerufen werden. Dann lag der Revolver unter einer Zeitung auf Daylights Schoß, während er sich eine seiner braunen Zigaretten drehte und anzündete. Aber endlich war alles in Ordnung. Aus dem wartenden Auto wurde eine Segeltuchtasche geholt, und als Daylight das letzte Paket Scheine hineingestopft hatte, schnappte er sie zu. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Noch eines: Wenn ich zu dieser Tür hinaus bin, habt ihr eure Handlungsfreiheit wieder, aber ich will euch ein paar Winke geben. Erstens keinen Haftbefehl – savvy? Dies Geld gehört mir, ich hab's euch nicht gestohlen. Wenn es herauskommt, wie ihr mich reinlegen wolltet, so wird man auf eure Kosten lachen, und das nicht zu knapp. Weiter: Ihr habt mich ausgeplündert, und ich habe mir mein Geld wiedergeholt. Wenn ihr versucht, mich verhaften zu lassen und mich noch einmal auszuplündern, schieße ich euch über den Haufen. Ihr seid gerade die Rechten, Burning Daylight das Fell über die Ohren zu ziehen. Also nehmt euch in acht, daß es hier nicht ein paar Beerdigungen gibt. Wenn ihr mir in die Augen seht, dann wißt ihr, daß ich meine, was ich sage. Die Talons und Quittungen hier gehören euch. Guten Morgen!«

Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sprang Nathaniel Letton ans Telephon, aber Dowsett stellte sich ihm in den Weg.

»Was wollen Sie tun?« fragte Dowsett.

»Die Polizei. Das ist gemeiner Raub. Ich laß mir das nicht gefallen.«

Dowsett lächelte ingrimmig und schob den dürren Finanzier auf seinen Sessel zurück.

»Lassen Sie uns erst mal drüber reden«, sagte er, und Leon Guggenhammer pflichtete ihm eifrig bei.

Es kam nichts dabei heraus. Die drei wahrten ihr Geheimnis. Auch Daylight verriet nichts; als er aber an diesem Nachmittag im Salonwagen in seinen Sitz zurückgelehnt saß, lachte er herzlich und lange.

New York konnte nie aus der Geschichte klug werden oder eine vernünftige Erklärung dafür finden. Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, hätte Burning Daylight fertig sein müssen, und doch wußte man, daß er unmittelbar darauf mit anscheinend unvermindertem Kapital wieder in San Franzisko auftauchte. Das bezeugte die Größe seiner neuen Unternehmungen, wie der Panama-Post, deren Kontrolle er Seftly ausschließlich kraft seines Geldes und seiner Kampftüchtigkeit entriß, und die er zwei Monate später für eine, dem Gerüchte nach, fabelhafte Summe den Harrimans überließ.

 

Nach Daylights Rückkehr wuchs sein Ruf schnell. Es war gerade kein beneidenswerter Ruf. Man fürchtete ihn. Er wurde als Raufbold, als Teufel, als Tiger verschrien. Sein Spiel war vernichtend, und keiner wußte, wie und wann sein nächster Schlag fallen würde. Alles kam überraschend. Er schlug unerwartet zu, ließ seinen Geist nicht ausgetretene Bahnen gehen, sondern erfand immer neue Kniffe und Kriegslisten.

Zu ruhiger Kapitalsanlage neigte er nicht, die hätte sein Geld nur gebunden und sein Risiko verringert. Was ihn an den Geschäften reizte, war das Moment der Spannung, und sein Draufgängertum erforderte stets neue Mittel. Er band sich immer nur für kurze Zeit, steckte Geld in eine Sache und zog es wieder heraus, um es anderweitig anzulegen, sobald er seinen Gewinn in Sicherheit hatte. Heute hier, morgen da, war er ein wahrer Seeräuber auf dem Meere des Kapitalismus. Er spielte genau nach den Regeln, aber schonungslos. Die Verbindungen, die er von Zeit zu Zeit einging, waren ausschließlich von Nützlichkeitsgründen diktiert; in seinen Verbündeten sah er Leute, die ihn ihrerseits bei der ersten Gelegenheit übers Ohr hauen würden. Trotzdem war er selbst anständig gegen sie, wenn auch nur so lange, wie sie selbst es waren, und sein Wort galt soviel wie seine Unterschrift.

Der Grund zu seiner Schonungslosigkeit war, daß er seine Mitspieler verachtete. Er hatte jede Illusion bezüglich des Spieles, das unter dem Namen Geschäft ging, verloren und sah es nun in seiner ganzen Nacktheit.

Die moderne Gesellschaft war ein riesiger organisierter, auf Ausbeutung der Schwachen und Minderbegabten berechneter Schwindel. Arbeit, rechtmäßige Arbeit war die Quelle allen Reichtums, nirgends aber sah man die rauhhändigen Söhne der Arbeit sich ihrer Früchte freuen. Fuhren sie in eigenen federnden Automobilen, kleideten sich in feine seidene Stoffe? . . . Tausende, Hunderttausende saßen Nächte hindurch und schmiedeten Ränke, um sich zwischen die Arbeiter und die von diesen geschaffenen Dingen zu drängen. Diese Ränkeschmiede waren die Unternehmer. Ihnen fiel der Gewinn zu, der durch kein Gleichheitsgesetz geregelt, sondern nur durch ihre eigene Stärke und Gemeinheit bestimmt wurde.

Freilich gab es auch unter ihnen Unterschiede. Jene kleinen Geschäftsleute, Ladeninhaber und dergleichen waren in Wirklichkeit nur die Handlanger der Großen, über denen wiederum die ganz Großen saßen. Magnaten, über Heere von Arbeitern gebietend, mehr Spieler als Räuber, die kein direkter Gewinn befriedigte, und deren unersättliche Gier sie zu Großmachtskämpfen untereinander trieb. Das nannte man haute finance.

Noblesse oblige galt bei den Großen des Handels und der Industrie nur in seltenen Ausnahmefällen. Diese modernen Übermenschen waren eine Horde Banditen, die die erfolgreiche Frechheit besaßen, ihren Opfern ein Gesetz über Recht und Unrecht zu predigen, das sie selbst nicht befolgten. Ihnen galt das Wort eines Mannes nur so lange, wie er gezwungen war, es zu halten. Das Wort »Du sollst nicht stehlen« wurde nur auf den ehrlichen Arbeiter angewandt. Sie selbst waren über solche Gebote erhaben. Sie stahlen und wurden von ihren Mitmenschen nach der Größe ihrer Beute geehrt.

Daylight war ein dickschädeliger Praktikus, und nichts lag ihm ferner als Bücherweisheit. Er hatte sein Dasein unter den einfachsten Verhältnissen verbracht und keiner Gelehrsamkeit bedurft, um das Leben zu verstehen, und jetzt, unter den komplizierten Verhältnissen, erschien es ihm ebenso einfach. Er durchschaute Betrug und Lüge und fand das Leben hier ebenso elementar wie am Yukon. Die Männer waren aus demselben Stoff gemacht. Sie hatten dieselben Wünsche und Leidenschaften hier, wie dort! Finanz war nur Poker im großen.

So kam es, daß Daylight ein erfolgreicher Kapitalist wurde, wenn auch kein Sklavenhalter und Blutsauger. Bedrückung der Schwachen erschien ihm verächtlich. Aber im Hinterhalt liegen und dem erfolgreichen Räuber die Beute abjagen, das war ein lustiger, aufregender Sport, wie er ihn liebte.

Das harte Leben am Yukon hatte nicht vermocht, Daylight zu einem harten Manne zu machen. Dieser Erfolg blieb der Zivilisation vorbehalten. In dem wilden, grausamen Spiel, das er jetzt spielte, schwand das Wohlwollen, das ihn bisher gekennzeichnet hatte, ganz unmerklich und auf gleiche Weise wie sein schleppender Dialekt. Und scharf und nervös wie seine Sprechweise wurde auch seine Seele. In dem rasenden Tempo des Spiels fand er immer weniger Zeit, gutmütig zu sein. Die Veränderung zeichnete sogar seine Züge. Die Linien wurden strenger. Seltener erschien das lustige Lächeln auf seinen Lippen und in seinen Augenwinkeln. Die Augen selbst, schwarz und feurig wie die eines Indianers, funkelten zuweilen vor Grausamkeit und brutalem Machtbewußtsein. Die von seiner ganzen Persönlichkeit ausstrahlende, überwältigende Lebenskraft blieb, aber es war jetzt die des Siegers, des schonungslosen Bezwingers. Seine Kämpfe mit der elementaren Natur waren gewissermaßen unpersönlich gewesen; jetzt kämpfte er mit den Männchen seiner Rasse, und diese unerbittlichen Kämpfe zeichneten ihn mehr, als es die Mühen seiner Schlittenreisen und Flußfahrten getan.

 

Da trat Dede Mason in sein Leben. Fast unmerklich. Er hatte sie ganz unpersönlich engagiert, so wie er seine Bureaueinrichtung angeschafft, seinen Laufjungen und Morrison, den einzigen Kontoristen und sein Faktotum, engagiert hatte. In den ersten Monaten wäre er nicht imstande gewesen, die Farbe ihrer Augen oder ihres Haares anzugeben. Ebensowenig hatte er eine Ahnung, wie sie sonst aussah. Für ihn war sie »Fräulein Mason«, und das war alles, wenn er sie auch als gewandte und zuverlässige Sekretärin schätzte.

Als er aber eines Morgens einige Briefe unterschrieb, fiel ihm eine grammatikalische Wendung auf, die er, wie er bestimmt wußte, nicht beim Diktieren gebraucht hatte. Er drückte zweimal auf den Klingelknopf, und einen Augenblick später trat Fräulein Mason ein.

»Hab' ich das gesagt, Fräulein Mason?« fragte er, indem er ihr den Brief reichte und ihr die fragliche Stelle zeigte.

Ein verlegener Ausdruck trat in ihre Züge, als wäre sie auf frischer Tat ertappt worden.

»Es ist mein Fehler«, sagte sie. »Es tut mir leid. Aber eigentlich ist es kein Fehler«, fügte sie schnell hinzu.

»Wie meinen Sie das?« fragte Daylight herausfordernd. »Meiner Ansicht nach ist es nicht richtig.«

Sie stand schon in der Tür, drehte sich aber mit dem unglückseligen Briefe in der Hand um.

»Richtig ist es doch«, antwortete sie dreist. »Aber wenn Sie es wünschen, ändere ich es.« Und damit nahm sie den Brief und ging an ihre Schreibmaschine. Am nächsten Morgen trat Daylight auf dem Wege ins Bureau in eine Buchhandlung und kaufte eine englische Grammatik; und eine geschlagene Stunde saß er, mit den Beinen auf dem Schreibtisch, und arbeitete sich durch das Buch hindurch.

»Ich will gehenkt sein, wenn das Mädel recht hat«, murmelte er. Als aber die Stunde um war, wußte er, daß sie recht hatte, und zum ersten Male fand er, daß etwas Besonderes an seiner Sekretärin sei. Bisher hatte er sie nur als ein beliebiges weibliches Wesen, als einen Teil seiner Bureauausstattung angesehen, jetzt aber wurde sie in seinen Augen plötzlich eine Persönlichkeit. Sie wußte offenbar manches, wovon er keine Ahnung hatte, und er begann, Notiz von ihr zu nehmen.

Als sie an diesem Nachmittag das Bureau verließ, bemerkte er zum erstenmal, wie gut sie gewachsen war, und daß sie sich zu kleiden verstand. Er kannte nichts von den Einzelheiten der Frauenkleidung und sah denn auch nichts an ihrer hübschen Bluse und dem gutsitzenden Rock. Er sah nur die Wirkung im allgemeinen. Sie sah aus, wie man aussehen mußte. Aber das kam eben daher, daß nichts Auffallendes an ihr war.

»Netter kleiner Käfer«, war sein Urteil, als die Kontortür sich hinter ihr schloß.

Als er ihr am nächsten Morgen Briefe diktierte, bemerkte er, daß ihr Haar hellbraun mit einem Goldschimmer war. Die blasse Sonne ließ das Gold wie schwelendes Feuer schimmern, was sehr anziehend war. Er wunderte sich, daß er dieses Spiel der Natur noch nicht beachtet hatte.

Mitten im Briefe kam derselbe Satzbau vor, der am vorigen Tage den Zwischenfall veranlaßt hatte. Er erinnerte sich der Grammatik und diktierte den Satz in derselben Weise, wie sie ihn verbessert hatte.

Fräulein Mason blickte schnell auf. Sie tat es ganz unwillkürlich und tatsächlich überrascht. Im nächsten Augenblick senkte sich ihr Blick wieder. Aber in dieser Sekunde hatte Daylight bemerkt, daß ihre Augen grau waren. Später fand er heraus, daß zuzeiten ein goldener Schimmer in ihnen sein konnte; aber fürs erste genügte, was er gesehen, um ihn zu überraschen, denn er wurde sich plötzlich klar, daß er bisher immer geglaubt hatte, eine Brünette müsse auch braune Augen haben.

Als er eines Tages an ihrem Schreibtisch vorbeiging, fand er einen Band Gedichte von Kipling und guckte verblüfft auf die Seiten.

»Sie lesen gern, Fräulein Mason?« fragte er und legte das Buch wieder hin.

»Ja,« lautete die Antwort, »sehr.«

Ein andermal war es ein Buch von Wells »The Weels of Chance«.

»Wovon handelt es?« fragte Daylight.

»Ach, es ist nur ein Roman, eine Liebesgeschichte.«

Sie schwieg; er aber blieb wartend stehen, und sie fühlte, daß sie noch etwas sagen mußte.

»Es handelt von einem kleinen Londoner Kommis, der in den Ferien einen Ausflug macht und sich in ein Mädchen verliebt, das sehr hoch über ihm steht. Ihre Mutter ist eine beliebte Schriftstellerin und so weiter. Die Situation ist sehr eigenartig und traurig, teilweise direkt tragisch. Möchten Sie es lesen?«

»Kriegt er sie?« fragte Daylight.

»Nein, das ist es ja eben. Er war nicht – –«

»Er kriegt sie nicht, und da lesen Sie dreihundert Seiten, bloß um das herauszufinden?« murmelte Daylight erstaunt.

Fräulein Mason ärgerte sich, war aber doch belustigt. »Sie sitzen ja auch stundenlang da und lesen Bergwerks- und Geschäftsberichte«, erwiderte sie.

»Aber davon habe ich was. Das ist Geschäft und ganz was anderes. Ich schlage Geld daraus. Was haben Sie von Ihren Büchern?«

»Neue Gesichtspunkte, neue Ideen, Leben.«

»Das ist alles nicht einen Pfennig wert.«

»Das Leben ist mehr wert als Geld«, meinte sie.

»Mag sein«, sagte er mit einem Unterton männlicher Duldsamkeit. »Solange man Freude daran hat. Das ist meiner Ansicht nach das Wesentliche; aber über den Geschmack läßt sich nicht streiten.«

Trotz seiner Überlegenheit hatte er eine Ahnung, daß sie eine Menge wußte, und zugleich das Gefühl, daß er ein Barbar war, der hier den Zeugnissen einer mächtigen Kultur gegenüberstand. Ihm war Kultur etwas Wertloses, aber er hatte dennoch immer wieder eine unbestimmte Vorstellung, daß sie mehr bedeutete, als er sich denken konnte.

Einige Tage später bemerkte er wieder ein Buch auf ihrem Schreibtisch. Diesmal blieb er nicht stehen, denn er hatte den Einband erkannt. Es war das Buch eines Zeitungskorrespondenten über Klondike, und er wußte, daß von ihm darin die Rede war, und zwar in einem sensationellen Kapitel, das vom Selbstmord einer Frau handelte, an dem er die Schuld tragen sollte.

Seitdem sprach er nicht wieder mit ihr über Bücher. Der Gedanke, daß sie irrige Schlüsse aus dem betreffenden Kapitel gezogen haben mußte, ärgerte ihn um so mehr, je unverdienter es war. Das war denn doch der Gipfel: er – Burning Daylight – ein Herzensbrecher, und eine Frau sollte sich aus Liebe zu ihm das Leben genommen haben! Er kam sich selbst wie der unglücklichste Mensch vor. Es war ja aber auch schreckliches Pech, daß gerade dieses Buch von all den tausenden, die es auf der Welt gab, seiner Sekretärin in die Hände fallen mußte. Einige Tage hatte er jedesmal, wenn er mit Fräulein Mason zusammen war, ein unangenehmes Gefühl von Schuldbewußtsein, und einmal bemerkte er, wie sie ihn merkwürdig forschend betrachtete, als wollte sie ermitteln, was für eine Art von Mann er wäre.

Er erkundigte sich bei Morrison, dem Kontoristen, der erst seiner persönlichen Antipathie gegen Fräulein Mason Luft machen mußte, ehe er das wenige, was er wußte, berichtete.

»Sie stammt aus Siskiyou. Es läßt sich gut mit ihr zusammen arbeiten, gewiß, aber sie ist sehr von sich eingenommen – exklusiv, verstehen Sie.«

»Wie äußert sich das?« fragte Daylight.

»Ja, sie fühlt sich zu gut, um mit ihren Kollegen zu verkehren. Ich hab' sie ein paarmal eingeladen, ins Theater und so. Aber es ist nichts zu machen. Sie sagt, daß sie viel Schlaf braucht und nicht spät aufbleiben kann und einen weiten Weg bis Berkeley – da wohnt sie – hat.«

Dieser Teil des Berichts gefiel Daylight ausnehmend. Sie war etwas Besonderes, daran war nicht zu zweifeln. Aber Morrisons nächste Worte schlugen ihm eine böse Wunde.

»Das ist aber alles Unsinn. Sie läuft immer mit Studenten herum. Ins Theater gehen, das kann sie nicht, weil sie zuviel Schlaf braucht; aber mit denen tanzen, das kann sie immer. Ich finde, das ist ein bißchen zu vornehm für eine Bureaudame. Und dann hält sie sich noch ein Pferd. Sie reitet und treibt sich immer in den Bergen drüben herum. Ich habe sie selbst eines Sonntags gesehen. Oh, sie will hoch hinaus, und ich möchte bloß wissen, wie sie das macht. Mit fünfundsechzig Dollar im Monat kommt man nicht weit. Und dabei hat sie noch einen kranken Bruder.«

»Wohnt sie bei ihrer Familie?« fragte Daylight.

»Nein, sie hat keine. Die Leute sollen übrigens mal wohlhabend gewesen sein, wie ich gehört habe. Sie müssen es gewesen sein, sonst hätte der Bruder nicht die Kalifornien-Universität besuchen können. Ihr Vater hat eine große Viehfarm gehabt, ließ sich aber in dumme Minenspekulationen ein und ging pleite, ehe er starb. Ihre Mutter war schon lange tot. Ihr Bruder muß ein schönes Stück Geld kosten. Er war ein tüchtiger Kerl, spielte Fußball, war ein guter Jäger, kletterte in den Bergen herum und ähnliches. Er kam zu Schaden, als er Pferde zuritt, und dazu bekam er noch Rheumatismus. Das eine Bein ist kürzer als das andere und etwas eingeschrumpft. Er ging an Krücken. Ich hab' sie mal zusammen gesehen – sie wollten mit der Fähre übersetzen. Die Ärzte haben jahrelang an ihm herumgedoktert, und jetzt ist er, glaube ich, im französischen Hospital.«

Alle diese Streiflichter erhöhten Daylights Interesse für Dede Mason. Aber so sehr er es auch wünschte, gelang es ihm doch nicht, näher mit ihr bekannt zu werden. Er dachte daran, sie zum Frühstück einzuladen, besaß aber die angeborene Ritterlichkeit des Hinterwäldlers, und so blieb es bei der Absicht. Er wußte, daß ein Mann von Selbstachtung kaum seine Sekretärin zum Frühstück einladen konnte.

Hinter allen Gründen Daylights aber lag eine gewisse Furcht. Das einzige, was er je gefürchtet hatte, waren Frauen, aber vor denen hatte er auch sein ganzes Leben lang Angst gehabt. Und jetzt, da er den ersten aufglimmenden Drang und das erste Verlangen nach dem Weibe spürte, war diese Furcht auch nicht leicht zu verjagen. Die Angst vor den Schürzenbändern war immer noch da und ließ ihn Entschuldigungen dafür finden, daß er mit Dede Mason nicht weiter kam.

 

Da Daylight keine Gelegenheit fand, Dede Masons nähere Bekanntschaft zu machen, schlief sein Interesse für sie allmählich ein. Das war nur natürlich, denn er steckte tief in Spekulationen.

Ein erbitterter Kampf mit der Coastwise Steam Navigation Company, der Hawaiian, der Nicaraguan und der Pacific-Mexican Steamship Company war in vollem Gange. Die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, drohte ihm über den Kopf zu wachsen, und er erschrak über die weiten Verzweigungen und die vielen einander anscheinend widersprechenden Interessen, die hineingezogen wurden. Alle Zeitungen San Franziskus wandten sich gegen ihn. Anfangs hatte zwar eine oder die andere erkennen lassen, daß sie nicht abgeneigt wäre, Subsidien von ihm anzunehmen, aber Daylight war der Ansicht gewesen, daß die Situation solche Ausgaben nicht erforderte. War die Presse ihm gegenüber bisher scherzhaft tolerant und gutmütig sensationell gewesen, so sollte er jetzt erfahren, welcher giftigen Bosheit und Verleumdung sie fähig war. Jede Episode seines Lebens wurde ausgegraben und entstellt. Daylight amüsierte sich köstlich über die neue Art, wie seine Erfolge und Taten ausgelegt wurden. Aus dem großen Alaskahelden wurde er zum Alaskaschurken, -lügner, -räuber, schlechthin zum »gemeinen Kerl«. Er antwortete nie auf ihre Anwürfe, wenn er auch einmal einem halben Dutzend Reportern die Wahrheit sagte.

»Macht, was ihr wollt«, sagte er zu ihnen. »Burning Daylight ist schon mit anderen Dingen fertig geworden als mit euren dreckigen verlogenen Zeitungen. Und ich tadle euch gar nicht, Jungens – das heißt nicht allzusehr. Ihr habt keine Schuld daran. Ihr müßt ja leben. Es gibt eine Menge Weiber auf der Welt, die ihr Brot auf dieselbe Weise verdienen wie ihr, weil sie nichts Besseres können. Irgendeiner muß ja schließlich die schmutzige Arbeit tun. Ihr werdet dafür bezahlt, und euch fehlt das Rückgrat, reinlichere Arbeit zu verrichten.«

Die sozialistische Presse der Stadt münzte diese Äußerung triumphierend aus und verbreitete sie in Tausenden von Zeitungen über ganz San Franzisko. Und die an ihrer wundesten Stelle getroffenen Journalisten rächten sich mit dem einzigen Mittel, das in ihrer Macht stand – mit Druckerschwärze. Die Angriffe wurden giftiger als je, Haß und Wildheit wuchsen immer mehr. Das arme Mädchen, das sich das Leben genommen hatte, wurde aus seinem Grabe gezerrt und paradierte in Tausenden von Zeitungsspalten als Märtyrerin und Opfer der fürchterlichen Brutalität Daylights. Es erschienen ganz sachliche Artikel, in denen nachgewiesen wurde, daß er die armen Minenarbeiter ihrer Claims beraubt und zuletzt einen verräterischen Treubruch an den Guggenhammers in der Ophir-Geschichte begangen und damit den Grund zu seinem Vermögen gelegt hatte. In Leitartikeln wurde er ein Feind der Gesellschaft mit den Manieren und der Kultur eines Höhlenbewohners genannt, ein Aufwiegler, der den Wohlstand der Stadt vernichtete. –

Mit dem Angriff auf zwei Dampfergesellschaften fing es an, und bald hatte sich eine Küstenlinie daraus entwickelt. Das war, was er wünschte, und er fühlte, wie recht er gehabt hatte, als er Klondike verließ, denn hier ging es um höhere Einsätze, als Yukon ihm je hätte bieten können. Auf seiner Seite focht für ein glänzendes Honorar Rechtsanwalt Larry Hegan, ein junger Irländer, der sich einen Namen machen wollte, und dessen Begabung Daylight entdeckt hatte. Hegan besaß keltische Phantasie und Kühnheit, und zwar in dem Maße, daß Daylights kühler Kopf ihn bisweilen zügeln mußte. Hegan war ein juristischer Napoleon ohne Gleichgewicht, und gerade darin ergänzte ihn Daylight. Er besaß auch nicht mehr menschliches und bürgerliches Gewissen als Napoleon.

Hegan war es, der Daylight durch das Labyrinth der modernen Politik, der Arbeiterorganisation, der bürgerlichen Gesetzgebung führte. Hegan, der durch seine Fähigkeiten und Ideen Daylight die Augen für ungeahnte Möglichkeiten in der Kriegführung des zwanzigsten Jahrhunderts öffnete; und Daylight wiederum, der den Kriegsplan verwarf oder annahm, ausarbeitete und ausführte. Die ganze pazifische Küste von Puget Sound bis Panama war in Aufruhr, San Franzisko wütete gegen ihn, und es mußte scheinen, als ob die beiden großen Schiffahrtsgesellschaften den Sieg davontrügen, als würde Daylight langsam auf die Knie gezwungen. Und da langte er aus – nach den Schiffahrtsgesellschaften, nach San Franzisko, nach der ganzen pazifischen Küste.

Es fing ganz harmlos an. Während einer Versammlung des Christlichen Vereins in San Franzisko machte die Gepäckträgervereinigung Nr. 927 Spektakel über einen kleinen Gepäckhaufen im Fuhrgebäude. Das Ergebnis waren ein paar Löcher in den Köpfen, einige Verhaftungen und Auslieferung des Gepäcks. Keiner hätte erraten, daß hinter diesem Scharmützel der gewandte Irländer und Daylights Gold standen. Es war eine völlig gleichgültige Affäre, oder vielmehr – schien es zu sein. Aber da mischte sich der Fuhrleute-Verband hinein, hinter den sich wieder die ganze Hafenarbeiter-Gewerkschaft stellte. Die Weigerung der Köche und Kellner, die Streikbrecher zu bedienen, zog auch sie mit hinein. Die Schlächter und Arbeiter der Konservenfabriken wollten nicht für die Restaurants arbeiten, die Streikbrecher beschäftigten. Der Arbeitgeberverband entschloß sich zu gemeinsamem Vorgehen und stand den 40 000 organisierten Arbeitern San Franziskus geschlossen gegenüber. Die Bäcker in den Gastwirtschaften und die Brotkutscher streikten, es streikten die Milchkutscher und die Geflügelrupfer. Ganz San Franzisko stand in Aufruhr. Noch war es nur San Franzisko. Aber Hegan intrigierte meisterhaft, und Daylights Feldzug nahm immer größere Dimensionen an. Die mächtige und gefährliche Organisation, die unter dem Namen »Seeleute-Verband der pazifischen Küste« bekannt war, weigerte sich, auf Schiffen zu heuern, die von Streikbrechern gelöscht oder befrachtet wurden. Sie stellte erst ein Ultimatum und erklärte dann den Streik. Darauf hatte Daylight die ganze Zeit gewartet. Sobald ein Küstenfahrzeug einlief, meldeten sich die Vertreter des Verbandes an Bord, und die Mannschaft wurde an Land geschickt. Mit den Seeleuten gingen Heizer, Maschinisten, Köche und Stewards. Täglich stieg die Zahl der aufliegenden Schiffe. Zuletzt lagen alle Häfen voll von Schiffen, und jeder Seeverkehr hörte auf. Tage und Wochen vergingen, es wurde weitergestreikt. Die Coastwise Steam Navigation Company, die Hawaiian, Nicaraguan und die Pacific-Mexican Steamship Company waren vollkommen stillgelegt. Die Bekämpfung des Streiks kostete Unsummen, und die Situation verschlimmerte sich von Tag zu Tag, bis »Frieden um jeden Preis!« die Losung war. Aber es gab erst Frieden, als Daylight und seine Verbündeten die Karten aufdeckten, ihren Gewinn einheimsten und ein gut Teil eines ganzen Kontinents die Arbeit wieder aufnehmen ließen.

Die Rolle, die Daylight gespielt hatte, wurde bald bekannt. Er wurde infolgedessen sehr verhaßt und unpopulär, obgleich er nie gedacht hatte, daß sein Angriff auf die Schiffahrtsgesellschaften so ungeheure Dimensionen annehmen würde. Aber er hatte erreicht, was er wollte. Er hatte ein aufregendes Spiel gespielt und gewonnen, hatte die Schiffahrtsgesellschaften in den Staub getreten und die Aktionäre, ohne die Gesetze zu übertreten, schonungslos ausgeplündert. Gewissenbisse machte er sich nicht. Wenn man mit Halsabschneidern spielte, galt es, die Gelegenheit wahrzunehmen, und die Hauptsache war, daß sein eigener Kopf noch saß. Er hatte gewonnen. Alles war Spiel und Kampf zwischen den Starken. San Franzisko hatte Krieg gewollt, und er hatte ihm den Krieg gegeben. Das war das Spiel. So machten es alle Großen, und sie machten es noch viel schlimmer.

 

Die Zivilisation hatte Daylight nicht zu einem besseren Menschen gemacht. Zwar kleidete er sich gewählter, hatte etwas bessere Manieren und sprach ein reineres Englisch. Er hatte sich auch an eine bessere Lebensweise gewöhnt und hatte seinen Witz in dem heißen Kampfe zwischen wütenden Männchen geschärft, bis er scharf wie ein Rasiermesser war. Aber es war auf Kosten seiner einstigen überströmenden Liebenswürdigkeit geschehen. Von der Verfeinerung der Zivilisation wußte er nichts. Er war zynisch, bitter und brutal geworden.

Er war auch nicht mehr wie einst der Mann mit den Muskeln aus Stahl und Eisen. Es fehlte ihm an Bewegung, er aß mehr, als ihm zuträglich war, und trank allzuviel. Seine Muskeln begannen schlaff zu werden; und sein Schneider machte ihn auf seinen zunehmenden Umfang aufmerksam. Das hagere Indianergesicht veränderte sich. Unter den Augen bildeten sich Säcke, der Halsumfang wurde größer, und die erste an ein Doppelkinn gemahnende Falte zeigte sich. Der frühere asketische Ausdruck, eine Folge des genügsamen, harten Lebens, war verschwunden; die Züge waren breiter und schwerer geworden, gleichsam gezeichnet von dem Leben, das er führte.

Sogar sein Geselligkeitstrieb ließ nach. Er spielte am liebsten allein und verachtete die meisten seiner Mitspielenden. Da er weder Sympathie noch Verständnis für sie hatte und unabhängig von ihnen war, gab er sich nur wenig mit den Männern ab, die er zum Beispiel im Alta-Pacific-Klub traf. Als der Kampf mit den Schiffahrtsgesellschaften am heißesten tobte und seine Angriffe unberechenbaren Schaden in der Hafenwelt anrichteten, wurde er sogar aufgefordert, aus dem Klub auszutreten. Das paßte ihm im Grunde genommen ausgezeichnet, und er schlug sein Quartier jetzt in den Klubs auf, die von den eigentlichen Machthabern der Stadt gegründet waren und unterhalten wurden. Diese Männer gefielen ihm tatsächlich besser. Sie waren ehrliche Seeräuber, die freimütig erklärten, daß sie nur um des Gewinnes willen spielten und sich nicht hinter eleganter Heuchelei versteckten.

Der seit Monaten tobende Sturm der gesamten Presse hatte an Daylights Charakter nicht ein Tüttelchen Gutes gelassen. Es gab keinen Punkt in seiner Geschichte, der nicht zum Verbrechen oder zum Laster verzerrt war. Der Umstand, daß er auf diese Weise öffentlich zu einem schändlichen Ungeheuer gestempelt war, hatte fast die letzte schwache Hoffnung in ihm ertötet, Dede Mason näher kennenzulernen. Er fühlte, daß ein Mann seines Kalibers nicht die geringste Aussicht hatte, mit freundlichen Augen von ihr angesehen zu werden, und nur durch eine Gehaltserhöhung auf fünfundsiebzig Dollar den Monat konnte er sie zwingen, an ihn zu denken. Die Aufbesserung wurde ihr durch Morrison mitgeteilt, sie bedankte sich später bei Daylight, und damit war die Sache erledigt.

Als er sich eines Sonnabends müde und von der Stadt bedrückt fühlte, gehorchte er seiner Eingebung, die eine so große Rolle in seinem Leben zu spielen bestimmt war. Der Wunsch, aus der Stadt zu flüchten, frische Landluft zu atmen und andere Eindrücke zu erhalten, war die Ursache. Aber vor sich selbst entschuldigte er sich damit, daß er nach Glen Ellen wollte, um die Ziegelei, die er einmal Holdsworthy zuliebe gekauft hatte, zu besichtigen.

Er verbrachte die Nacht in einem kleinen ländlichen Gasthof und ritt am Sonntagmorgen aus dem Dorfe. Alles, was irgendwie ans Geschäft erinnerte, hing ihm zum Halse heraus, die bewaldeten Höhen riefen ihn. Er hatte ein Pferd unter sich, ein gutes Pferd; es erinnerte ihn an die Mustangs, die er als Knabe in Oregon zugeritten. Er war früher ein guter Reiter gewesen, und er hatte seine Freude daran, wie das Pferd jetzt auf dem Gebiß kaute, und wie das Sattelzeug knirschte.

Er wollte sich erst das Vergnügen gönnen und hinterher die Ziegelei besichtigen, und ritt aufwärts, indem er nach einem Wege spähte, der ihn auf den Gipfel bringen konnte. Beim ersten Gatter verließ er die Landstraße und galoppierte über eine Wiese, auf der Heu gemäht war. Zu beiden Seiten des Weges stand das Korn hoch, und er atmete entzückt den warmen Wohlgeruch ein. Lerchen flogen vor ihm auf, und von allen Seiten klangen weiche Töne. Nicht ein Gehöft war zu sehen, und nach dem Trubel der Städte genoß er die Stille. Er ritt jetzt durch offene Wälder, über kleine, blumenübersäte Lichtungen, bis er zu einer Quelle kam. Flach auf dem Boden liegend, trank er in tiefen Zügen, und aufblickend durchfuhr es ihn plötzlich, wie schön die Welt war. Es überkam ihn wie eine Entdeckung. Die wichtigsten Geschäfte hatten ihm keine Zeit gelassen, daran zu denken. Während er die Luft, die Schönheit um sich her und den Gesang der Lerche in der Ferne einatmete, kam er sich wie ein Pokerspieler vor, der vom Spieltisch aufsteht, an dem er die ganze Nacht verbracht hat, und der nun aus der stickigen Luft in den frischen Morgen kommt.

Am Fuße der niedrigen Hügel fand er ein verfallenes Holzgatter, vermutlich noch aus der Zeit der ersten Ansiedler, die nach der Goldgräberperiode das Land urbar gemacht hatten. Die Bäume standen hier sehr dicht, aber es gab nur wenig Unterholz, so daß er unbehindert unter dem Gewölbe der Zweige reiten konnte. Er befand sich jetzt in einem mehrere Morgen großen Winkel, wo statt Eichen und Madronjos stattliche Fichten wuchsen. Am Fuße eines steilen Hanges stieß er auf eine prachtvolle Gruppe, die um eine kleine murmelnde Quelle standen.

Er hielt sein Pferd an, denn neben der Quelle sah er eine wilde kalifornische Lilie. Es war eine wundervolle Blume, die in diesem Kirchenschiff von hohen Bäumen wuchs. Wenigstens acht Fuß hoch, erhob sich ihr Stengel, gerade und schlank, grün und nackt, bis zu zwei Drittel seiner Höhe, und dort brach eine Fülle schneeweißer, wachsartiger Glocken hervor. Es waren Hunderte dieser Blüten, alle an einem Stengel, fein abgewogen und ätherisch zart. Daylight hatte nie etwas Ähnliches gesehen. Mit einem unklaren religiösen Gefühl nahm er den Hut ab. In diesem Frieden war kein Raum für Verachtung und schlimme Gedanken.

An dem steilen Hang über der Quelle wuchsen zierliche Farnkräuter; gestürzte, mit Moos bewachsene Baumriesen lagen hier und dort, sanken langsam und wurden eins mit dem Waldboden. Auf einer kleinen Lichtung, etwas weiter fort, schlangen sich wilder Wein und Jelängerjelieber in grünem Überfluß um die alten knorrigen Eichenstämme. Ein graues Eichhörnchen huschte auf einen Zweig und betrachtete ihn. Irgendwoher erklang das Hämmern eines Spechtes. Diese Töne störten nicht die feierliche Ruhe des Ortes, sie gehörten hierher und machten die Einsamkeit erst vollkommen.

»Als wäre es eine andere Welt«, flüsterte Daylight leise.

Er band sein Pferd an einen Baum und wanderte zu Fuß durch die Hügel. Die Höhen waren gekrönt von Jahrhunderte alten Tannen, die Hänge von Eichen, Madronjos und Christdorn bewachsen. Hier gab es keinen Weg für sein Pferd, und er kehrte zu der Lilie am Bach zurück. Zu Fuß, strauchelnd und stolpernd, das Pferd am Zügel führend, erkletterte er die Hügel. Farnkräuter bildeten einen Teppich zu seinen Füßen, der Wald stieg mit ihm und wölbte sich über seinem Haupte, und immer spürte er die reine Freude und Süßigkeit in seinem Herzen.

Auf dem Gipfel kam er durch ein seltsames Gebüsch samtstämmiger Madronjos, und dann tauchte der offene Hang vor ihm auf, der in ein kleines Tal hinabführte. Im ersten Augenblick blendete ihn der helle Sonnenschein, und er blieb stehen, um ein Weilchen auszuruhen, denn er keuchte vor Anstrengung. In alten Tagen hatte er keine Atemnot, keine so leichte Ermüdung der Muskeln gekannt. Ein kleiner Bach floß talabwärts über eine Wiese, auf der kniehohes Gras und blaue und weiße Anemonen wuchsen. Die Hänge des Hügels waren mit Lilien und wilden Hyazinthen bedeckt, die sein Pferd langsam, fast zögernd durchschritt.

Daylight ritt durch den Bach, folgte einem kaum erkennbaren Viehsteig über eine niedrige felsige Anhöhe und durch einen von Wein umrankten Manzanitawald und gelangte schließlich in ein anderes kleines Tal, in das ebenfalls ein Bach hinabrieselte. Ein Kaninchen sprang vor den Hufen seines Pferdes aus dem Gebüsch und verschwand im Grase des gegenüberliegenden Hanges. Daylight sah ihm bewundernd nach und ritt weiter dorthin, wo die Wiese begann. Hier schreckte er einen Bock mit vielzackigem Geweih auf, der scheinbar schwebend über das Gatter setzte und – immer schwebend – drüben in einem schirmenden Gebüsch verschwand.

Daylights Entzücken war grenzenlos. Ihm schien, er sei noch nie so glücklich gewesen. Die Erinnerung an das alte Leben in den Wäldern war wieder erwacht, und alles, was er sah, beschäftigte ihn – das Moos auf Stämmen und Zweigen, die Misteldolden, die von den Eichen herabhingen, das Nest einer Waldratte, die Wasserkresse, die in den schützenden Wirbeln des Bächleins wuchs, die Schmetterlinge, die auf ihrem Fluge Sonnenschein und Schatten spalteten, die blauen Häher, die in bunten Farben funkelnd durch die Seitenschiffe des Waldes huschten, die kleinen, zaunkönigartigen Vögelchen, die im Gebüsch umherhüpften und den Schrei der Wachteln nachahmten, der rotköpfige Specht, der mit dem Klopfen aufhörte und den Kopf auf die Seite legte, um ihn zu betrachten. Er überschritt den Bach und fand die schwache Andeutung eines Waldweges, der augenscheinlich seit Generationen nicht mehr benutzt worden war, seit die Eichen auf der Wiese gefällt waren.

Der alte Waldweg führte auf eine Lichtung, wo auf weinrotem Boden in einer Ausdehnung von einem Dutzend Morgen Weinreben wuchsen. Dann kam ein Viehsteig, wieder Bäume und Gebüsch und schließlich ein Abhang nach Südosten. Hier lag über einem großen Canjon, mit der Aussicht über das Sonoma-Tal, ein kleines Gehöft. Mit seiner Scheune und den Nebengebäuden schmiegte es sich an den Berg, der es gegen alle Winde aus Westen und Norden schützte. Aus dem Hange war ein kleines Fleckchen Erde herausgegraben, das als Küchengarten benutzt wurde. Der Boden war fett und schwarz, und wie Daylight sah, gab es Wasser in Hülle und Fülle, das aus mehreren weit offenen Hähnen strömte.

Vergessen war die Ziegelei. Es war niemand zu Hause, aber Daylight stieg ab, durchstreifte den Küchengarten, aß Erdbeeren und grüne Erbsen, besichtigte die alte Scheune aus ungebrannten Ziegeln, den rostigen Pflug und die Egge, drehte sich Zigaretten und rauchte, während er die possierlichen Bewegungen einiger Hühner und ihrer Küken beobachtete. Ein an der Seite des großen Canjons hinabführender Flußpfad lud ihn ein, und er schickte sich an, ihm zu folgen. Parallel mit dem Wege lief ein Wasserrohr, und er schloß, daß es bis zu dem Creek hinaufführte. Die Wände des Canjons waren mehrere hundert Fuß hoch, und so prachtvoll waren die unberührten Bäume, daß die Stelle dauernd in Schatten getaucht war. Er sah Tannen, die nach dem Augenmaß einen Durchmesser von fünf bis sechs Fuß haben mußten, und Kiefern, die noch größer waren. Der Pfad führte zu einem kleinen Teiche, wo das Wasserrohr zur Bewässerung des Küchengartens abgezweigt war. Hier standen Erlen und Lorbeerbäume, und er schritt durch Farnkräuter, die ihm über den Kopf ragten. Überall war samtartiges Moos, und dazwischen wuchsen Venushaar und goldrückiger Farn. Mit Ausnahme des Teiches war es eine jungfräuliche Wildnis. Keine Axt hatte sie je berührt, und die Bäume starben nur vor Alter oder unter dem Druck der Winterstürme. Die mächtigen Stämme der gestürzten Bäume lagen mit Moos bedeckt da und wurden langsam wieder zu Erde, der sie entstammten. Manche hatten so lange dagelegen, daß sie ganz verschwunden waren, obgleich man immer noch ihre Umrisse auf dem ebenen Boden sah. Andere bildeten Brücken über den Bach, und unter den riesigen Stämmen sah man ein halbes Dutzend junger Bäume, die im Falle mitgerissen waren, aber nun am Boden entlang wuchsen und immer noch lebten und gediehen, während der Bach ihre Wurzeln umspülte und ihre aufstrebenden Zweige das Sonnenlicht auffingen, das durch die im Walddach entstandene Öffnung hereinströmte.

Hinter dem Gehöft stieg Daylight auf und ritt fort von der bebauten Erde in die wilderen Canjons. Nichts als die Besteigung des Sonoma-Berges konnte seine Feiertagsstimmung jetzt befriedigen. Und drei Stunden später erschien er auf dem Gipfel, müde und in Schweiß gebadet, mit zerrissenen Kleidern und zerschrammten Händen, aber mit strahlenden Augen und einem ungewohnten Ausdruck von Zufriedenheit. Er fühlte dieselbe Freude wie ein Schuljunge, der die Schule schwänzt. Der große Spieltisch von San Franzisko erschien ihm jetzt so fern. Aber es war mehr als unerlaubte Freude in seiner Stimmung. Ohne daß er sich darüber klar wurde, was es war, wurde er von einem läuternden, erhebenden Gefühl beseelt. Hätte er erklären sollen, was er fühlte, so hätte er nur sagen können, daß er sich mächtig wohl fühlte, denn er war sich des gewaltigen Zaubers der Natur nicht bewußt, der Leib und Seele erfüllte, die vom Stadtleben angekränkelt waren.

Der Gipfel des Sonoma-Berges war unbewohnt. Er hielt sein Pferd an der südlichen Seite des Gipfels an. Im Süden und Westen sah er wogende Strecken offenen, grasbewachsenen Landes, das von bewaldeten Canjons durchschnitten wurde, Falte auf Falte, Woge auf Woge, bis der Blick auf der Sohle des Petaluma-Tales haftenblieb, die eben wie ein Billard war mit ihren geometrischen Flecken und Vierecken – den Gehöften, die inmitten ihrer fetten Felder dalagen und fast an ein Reißbrett gemahnten. Weiter nach Westen erhob sich Kette auf Kette von Bergen, über deren Tälern dunkelvioletter Nebel brütete, und noch weiter fort, hinter der allerletzten Bergkette, sah er den silbernen Schimmer des Stillen Ozeans. Dann wandte er sein Pferd und blickte nach Westen und Norden, von Santa Rosa bis zum St.-Helena-Berge, und nach Osten über das Sonoma-Tal bis zu der mit Eichen bewaldeten Bergkette, die die Aussicht über das Napa-Tal versperrte. Hier, am östlichen Hang des Sonoma-Tales, in der Flucht einer Linie, die das kleine Dorf Glen Ellen durchschnitt, konnte er etwas sehen, das einer Schramme an der Seite des Berges glich. Sein erster Gedanke war, daß es der Schuttplatz von einem Minentunnel sei, dann aber fiel ihm ein, daß er sich nicht in einem Goldlande befand, gab es auf, sich den Kopf zu zerbrechen, und setzte seinen Rundblick über das Land fort nach Südosten, wo er jenseits der San-Pablo-Bucht scharf und fern die Zwillingszinnen des Mount Diabolo sehen konnte. Im Süden lag der Mount Tamalpais, und fünfzig Meilen weiter, wo die Zugwinde vom Stillen Ozean durch das Goldene Tor hereinwehten, bildete der Rauch von San Franzisko eine niedrige Dunstwolke am Himmel.

»Es ist lange her, daß ich so viel Land auf einmal gesehen habe«, dachte er laut.

Er riß sich ungern los, und erst nach einer Stunde konnte er sich zum Abstieg entschließen. Es machte ihm Freude, daß er einen neuen Weg fand, und es wurde später Nachmittag, ehe er die bewaldeten Hügel wieder erreichte und weiter nach Glen Ellen ritt. Er saß mit losen Knien im Sattel und sang halbvergessene Lieder vor sich hin. Es ging einen unebenen, gewundenen Weg hinab, über eichenbestandene Wiesen, wo es hin und wieder freie Ausblicke gab. Er lauschte begierig dem Ruf der Wachtel und lachte einmal laut auf vor Freude, als er einen kleinen Chipmunk sah, der schimpfend einen Hang hinaufflüchtete, jedoch auf der schlüpfrigen Oberfläche ausglitt, seinem Pferde gerade an der Nase vorbei quer über den Weg lief und schließlich, immer noch schimpfend, in die schirmende Krone einer Eiche schlüpfte.

Daylight brachte es heute nicht über sich, auf belebten Straßen zu reiten, und als er wieder quer über Land in der Richtung von Glen Ellen ritt, versperrte ein Canjon ihm den Weg, so daß er gezwungen war, einem Viehsteige zu folgen, den er glücklicherweise fand. Der führte ihn zu einer kleinen Blockhütte. Türen und Fenster standen offen, und in der Tür saß eine Katze und leckte ihre Jungen, sonst aber schien niemand zu Hause zu sein. Er ritt weiter den Weg hinab, der offenbar den Canjon kreuzte. Ein Stückchen weiter traf er einen alten Mann, der ihm in der Abendsonne entgegenkam. In der Hand trug er einen Eimer mit schäumender Milch; er hatte keinen Hut auf dem Kopfe, und auf seinem von weißem Kopf- und Barthaar eingerahmten Gesicht lag die warme Glut und Zufriedenheit des schwindenden Sommertages.

»Wie alt seid Ihr, Väterchen?« fragte Daylight.

»Vierundachtzig«, lautete die Antwort. »Ja, junger Herr, vierundachtzig, aber munterer als die meisten.«

»Ihr müßt Euch gut gepflegt haben«, meinte Daylight.

»Davon weiß ich nichts. Müßiggang ist nie meine Sache gewesen. Ich zog mit einem Ochsengespann über die Steppe und half einundfünfzig den Indianern, und da war ich schon Familienvater und hatte sieben Jungens. Damals war ich so alt wie Sie jetzt.«

»Fühlt Ihr Euch hier nicht einsam?«

Der Alte nahm den Milcheimer in die andere Hand und dachte nach.

»Das kommt darauf an«, sagte er orakelhaft. »Ich hab' mich nie einsam gefühlt, nur damals, als meine Frau starb. Mancher fühlt sich einsam, wenn er unter Menschen ist, und so einer bin ich auch. Nur in Frisko fühle ich mich einsam. Aber in diesem Leben gehe ich nicht mehr dahin. Ich bin zufrieden mit meinem Leben. Seit vierundfünfzig bin ich hier im Tale ansässig – ich bin einer von den ersten Ansiedlern nach den Spaniern.« Daylight ritt weiter mit den Worten:

»Na, dann gute Nacht, Väterchen! Macht's weiter so. Ihr könnt's noch mit dem Jüngsten aufnehmen, und ich denke, Ihr habt schon eine ganze Menge von ihnen begraben.«

Der Alte kicherte, und Daylight ritt weiter, äußerst zufrieden mit sich und der ganzen Welt. Das alte Glücksgefühl der Schlittenreisen und Lagerplätze am Yukon schien wieder über ihn gekommen zu sein. Er sah immer noch den alten Ansiedler vor sich, wie er ihm in der Abendsonne entgegengekommen war. War der rüstig für seine vierundachtzig Jahre! Der Gedanke, seinem Beispiel zu folgen, tauchte in Daylight auf, aber das große Spiel in San Franzisko legte sein Veto dagegen ein.

 


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