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Harzreise 1908

 

Montag, den 8. Juni 1908.

Das hätte ich nicht für möglich gehalten, ein solches Reisefieber. Und ich fahre übermorgen doch nur in den Harz. Über eine Harzreise spottet man schon, und ich habe sie mit verachtet. Dennoch ist es jetzt so weit, daß mir Wälder und Berge vor den Augen aufwachsen, wenn ich auf der Karte die Wege verfolge, die ich machen will. Ich kann nicht einschlafen, und wenn ich eingeschlafen bin, träume ich, was mir unterwegs begegnet. Ich nehme mir vor, recht viel neu zu sehen und nicht nur zu reisen, um zu reisen. Ich will auch fleißig Aufzeichnungen machen, welch Mittel ja alle Sinne erweckt. Ich habe außerdem nicht vergessen, daß es mein Amt ist, Ausdruck zu finden für Sehen, Fühlen, Hören – Leben. Welche Bezirke der einzelne Arbeiter durchschreitet, ist ja gleichgültig, nur soll er gut machen, was er macht. Der größte Kampf ist der gegen die Konvention, die sich überall breitmacht. Hinter jeder Neuerung her ist sie mit ihrem Mottenschwarm. Schon sie erkennen ist viel in der Kunst. Man nimmt im allgemeinen zuviel auf, um dafür immer wach zu sein. Etwas neu ausdrücken wollen, heißt etwas gut ausdrücken wollen. Wer nicht die Fähigkeit hat zu erleben (den Triumph des Eroberns zu feiern), dessen Neu-Ausdruck wird Zeug sein, der ist kein Dichter. Nicht vom Wort hat die Kunst auszugehen, sondern vom Gefühl, vom beseelten Gesicht. Wird das treu ausgedrückt, so wird die Sprache immer neu und reizvoll sein. Freilich muß man, wenn man sich den Worten zuwendet, den Sinn für das Spezifische besitzen.

Bei staubendem Regen fahren wir ab. Der weiße Rauch taumelt gleichsam kopfüber auf die Schienen. Doch hinten verheißungsvolles Rotgelb. An letzten Stadtbahnzügen, deren Maschinen wackeln, überholend vorbei. Rhythmus in den Rädern: Fliege! Fliege! In mir entsprechende Melodie.

Korn: nicht mehr zu unterscheiden, keine Ähren: olivgrüne Tänze. Birken schweben, Kiefern torkeln. Furchen möchten kreiseln. Nun schon heller. Ulmen in Rembrandtzauber goldgrün. Wolken etwas wie Weltenbrand in nordischen Göttersagen. Das dicke dunkle Grün vor Potsdam. Werder, wo wir einen so köstlichen Abend verlebt haben. Obstbaumwipfel, Wasserzungen darin.

Weite Fläche. Nur der Horizont darüber, als der Zug vorüberging. Kornfelder oben weißgrün, unten dunkelgrünes breites Band herum. Durch eine Eichenhalle. Unkörperhaftes. Streifen, als stünde hier grüner, dort blauer Weizen, ziemlich plötzliche Scheidung.

In meinem Coupé lasen zuerst alle Zeitung, nun schlafen sie alle. Bei Brandenburg großer Sumpf. Viele Fahrradfabriken. Öde. Fruchtbarer. Mehr Acker. Laubwald. Ein Haus in Akazienblüten begraben, als stiegen die Blüten von ihm auf. – Einzelbirken zwischen Gestrüpp. Alle schief und trauernd. Birkengruppen. Etwas pompös Geputztes.

Nach anderthalb Stunden Fahrt etwas Ermüdung. Erinnerungen aus der Versenkung. Auch die Freude dem Ziel zu läßt etwas nach. Es ist sicher. Zuerst bleibt auch der Widerstand gegen jede Trennung. Man überhört schon fast den Rhythmus der Räder, selbst bei genauerem Achtgeben ist er undeutlich, nicht charakteristisch. Bei Weichen oder dem klappernden Vorüber an Häusern das weckende Gefühl: ich reise! – Die Leute sitzen krumm, zeitunglesend, armverschränkt, kleidabstäubend, nägelklaubend, langweilig zur Seite sehend. – Aber draußen ein Zug von Arbeitern. Unten Heidefarben, dann nachtviolette Tücher.

Burg. Sympathisch. Türme Essen Gärten. Man sieht nicht viel. Aber innerlich Erwachen. Brennen. Stücke Heimat fühle ich hierherversetzt. Als würde auch das Stück Seele wie ein Rasenstück aus Vergangenheitsgärten ausgegraben und versetzt. Wohlgefühl. Beinah erschreckend, wie unabhängig vom Willen das Innere arbeitet.

Wundervoller Laubwald. Man sieht die Lichtmaserung. Ich denke mir andere auf meinen Platz, wie sie dies ansähen. Liebes Spiel. Magdeburg. Schöne Stadt. Vier Doppeltürme, groß. Sonne. Zwei Bahnhöfe. Hauptbahnhof groß. Angenehm verteilte Türme. Schöne Villen. Man würde es nicht verschmähen, wenn man hier wohnen müßte. Andere Akzente in der Sprache schon. So schnell wechselt Dialekt. – Magdeburg – Buckau viele Fabriken.

Gleichförmige Fruchtbarkeit. Ein Schäfer hinter der Barriere mit phantastischem Gang, hellem Horn, blauem Rock. Ungewohntes Bild. Berge am Horizont, blaßblaue Wolke. Aber die Linie ergreift mehr. Oschersleben, übles Nest. Großes Denkmal Wilhelms des Großen. Brrr! Berge rücken näher, blau mit Wipfeln. Quedlinburg links. Dörflicher Eindruck. Leute suchen Platz. Verspätungen. Näher. Es wächst näher, lieblich. Teufelsmauer. Den Anblick hatte ich noch nicht. So hoher Wald vor mir. Am Ziel. Die Wagen leeren sich. Gelach, Gescherz.

 

Auf dem Wege nach dem Hexentanzplatz. Zum ersten Mal Felswände, wo plötzlich Bäume herauswachsen und sich wie horchend entlangschmiegen. Thale unten in Sonne. Eichen in der Höhe. Wirklich wie behext. Graue und blaue Tannen in breiten aufrechthängenden Bogen. Blaue Schatten. Rote Zeilen der Dächer Thaies. Nur Häuschen aus dem Spielkasten noch.

Hexentanzplatz. Die Sonne sickert in den Felskessel, man glaubt sich mit dem Lichte schwebend, glaubt sich mitten aus der Tiefe. Blaue Schatten, Samtdecke oder wie qualmiger Widerschein eines Feuers. Die Eichen auf den glatten Felsen wie breites Gewürm. Die Bode fast schwarz wie die Steine. Ganz selten ein Vogel. Man denkt sich kleine Phantasiewesen hier verborgen. Hier wohnen und wechseln nur die großen blaugrauen Schatten. Hellgrün gesprenkelt. Hinten dampft grünblau der Brocken. Befreiende Einsamkeit. Man träumt im Sonnennebel oder kriecht mit den Schatten an der grauen Wand. Die Vögel antworten sich ganz, ganz fern. Man weiß nicht, wo sie wohnen, und sucht – die Felsen wachsen und umgeben sich mit noch größerer Einsamkeit. Das Boderauschen hat auch etwas vom Alter her herauf, es hallt und hallt und hallt an jeder Platte, Schritt für Schritt kann man's abhorchen, tausend Schritt in die Höh. Man kann schwindeln, hallt hallt der Kessel hoch. – Verwittertes. Man möchte tausend Jahre groß gewesen sein wie der Fels. Man möchte da wo begraben sein, aber nicht alles müßte tot sein. Das nächste müßte darein, was man hier fühlt: Sonne empfindend, Höhe, Vögel, Rauschen, das Graue, die steinerne Einsamkeit.

Roßtrappe. Noch gewaltiger, weil gegenüber höher. Leider ein wenig zu viel Publikum. Winzenburg Turm. Die Felsen gegenüber rötlich beleuchtet. Der Hintergrund vor dem Brocken tiefviolett. Wegen der Bäume scheinen die Schatten plastisch fortzuragen. An Vorsprüngen hängen gelbliche Sonnenglimmer. – Die Schurre ziemlich beschwerlich, immer überraschende Blicke von der Bode aufwärts. Hier lauter sehr große weite Linien. Der Brocken milchig, weniger wesenhaft als die Wolken. Es wird dunkler. Da man die Bode nicht sieht, woher die Melodie? Singen die Felsen rieselnd? Blaue Nebel bis sehr nahe heran. Dreieckiges Silberstück. Wipfel. Dreieckiges Eichenstück vor mir. Ich bin allein. Eben schießt der Invalide. Der Schall rollt sehr schnell in die Ferne. Auch hier wird mir schwer, Riesensagen anzusiedeln. Ich möchte lieber selbst welche erfinden.

Rast auf der Schurre. Die graurötliche Felswand ragt vor mir in Sonne. Buchen stehen um die Bank. Rötliche Nebel rechts, vorhin lichtblaue. Kessel. Kein Ausgang. Das Rauschen ist schon Musik. Um eine Felsspitze stehen Birken wie Kanzellichter. Geheime Zeichnungen, bald Tiere, Fabelwesen, bald Riesen wie am Stein auf dem Hexentanzplatz. Seltsam, einen Gruß von hier zu senden. Nun wird es stiller, die Felsen sanfter, der Gesang des Flusses bereitet sich, Sommernachtstraum zu werden. Ein Vogel.

Kiefer oben wie der Luftballon einer Butterblume. Fels: der ruhende Löwe, sprungbereit. Mit der Sonne am Kopf. Springt so hoch wie fünfhundert Menschlein übereinander. Beim Dunkeln Felsen schiefrig, aber härter. Kantig vortretend. Die Tannen das Lieblichste, weil sie sich am selbständigsten behaupten.

Bodetal. Bode oft grandios. Felsen wie Söller. Hausgroße Menschengesichtsfratzen mit Elefantennasen. Manchmal kühle und nasse Pfade. An manchen Stellen kriecht man in das bröckelige Gestein fast hinein. Ein Fels rückt als gigantische Kulisse an den anderen. Ein Menschleinpaar auf halber Höhe aus den Bäumen und verschwindet klein gleich den gerippten Steinsplitterchen neben mir. Nur daß es weiß anhat. So bin auch ich, der auf einem Stein hundert Meter über dem Bach sitzt – und wir unterfangen uns, so glücklich zu sein, so weit. Blumen umstehen, fast umkränzen sie meinen Blick. Ein Fels gegenüber wie morscher Pappelstumpf, aber dicker und größer als die größte Tanne mit ihrem Laub. Rauschen. Manchmal wie ferner Donner, manchmal rasselnder Wagen, manchmal wie Wind. Weiße Blumensprenkel ziehen drüben den Fels hinan. Nun sitze ich hier lange und beginne mich fast zu fürchten. Ich denke, ich könnte schwindlig werden und die glatte Wand abstürzen. Motten um mich, so klein vor diesem kühlen Felsen. Fahle Sonne – und mag nicht weiter.

Manchmal im Grünen eine Schütte, eine Streu Steine, als hätte ein Riese sich das Vergnügen gemacht, eine Handvoll auszuschütten. Vielleicht grinst er oben. Die Bäume und Wurzeln so dick wie ich, aber schon halbe Kadaver (memento!), winden sich beinah ächzend unter dem grauen Bruderheer, dem toten Heer der Steine ]. Bode bräunliches Moiréeband mit bläulicher Samtumrandung. Rosasilbern unter Tannen. Steinduftende Kühle. Die Blumen kommen nicht auf. Strudel, die stromaufwärts zu zucken und zappeln scheinen. Fels oben wie klapprige Bauernhütte. Gespensterspiegel gleichsam einer anderen Welt. Höhen mit Schluchten. Buchental. Nicht so große Felshöhen. Schwarze Steine. Die Sonne ist fort. Schluchtartiger Einschnitt, kleine Höhle, vielleicht zehn Meter hoch. Die Bode ganz nahe, Strudel. Da sind freilich Nixenhände. Bis oben bewaldet. Eschen und Buchen vor allem. Hier könnte ein Märchen siedeln, der Muck erzählt welche.

Schwelgen, schwelgen.

Wald ganz ganz nahe. Drüben eine dunkle Laubkuppel, daß eine große Stadt dort Raum drin hätte. Nibelungenstadt Vineta ]. Hier könnte die Bode auch Acheron sein. Sie platscht nur und hat schauernde Wellenbuckel, hohl, leimig. Rutsche für einen Faun oder anderen Herrn Bocksbein.

Schwärze. Felsburg darüber. Nackte Bäume wie Armbrüste und Hellebardiere. Schön geschnittener Abfall. Zwischen schwarzen Felsen die Bode eben, still, nur wie Reigen der Wellen hin- und herüber. Ganz eng das Gequirle. Ein Felsentor hohl, schwarz mit runden Löchern drohend, als wollte es sich herüberstürzen. Dort liegt ein raubvogelköpfiger Riese, Nase unter kurzer Stirn, die Hände über der Brust verschränkt. Die Abendhimmelsborte herum blendet mich.

Gewitterklippen. Nun wirds noch milder. Bäume und Moos fangen zu duften an. Nun reden Bruder und Schwester schon in der Flut. Süßester Gesang. Sieben-Uhr-Friede. Eine Quelle herab. Lauter Silbermolche. F-dur. Mit der Bode im Akkord. Grün ausgeschlagene Dunkelheit – oder Seligkeit. Ein Vogel. Sonst nur Geister des Wassers.

Große Blöcke im Wasser. Fast Kreise. Fragezeichen im Strudel. Grünbemooste Fischotter (Stein) im Laub. Weiße Wassertreppe.

Wieder Seitenquelle, dicker, strahlend, plantschend. Eiszapfensträhne. Geruch mürben Holzes dabei. Etwas Grünliches, Kleineres, wäre nicht die Klippe darüber. Unken. Punken. Dudeln im Fluß, Klatschen.

Das Ufer mit einer Reihe Tannen gesäumt. Die Sonne scheint moosgrau. Lange klebrige schwarze Schnecke. Tannendickicht. Schwarze Spinnenhaare darin. Schwere Steile, steile Stille, schwarze Stille. Der Himmel wie Weihnachtsbaumglaskugelgehänge herein, bläulich poliert, gelb beleuchtete Klippe.

Über Brücke und Bach Viestenbach. Wie das Wasser täuscht! Ich hörte reden und sah auf einem isolierten Fels eine Frau in weißblaßblauem Kleid auf Steintisch gestützt. Erst nach langem Sehen zerfloß es in tausendjährigen Felssteinen. Tannengezackt die eine Seite. Der Mond über dem Lichtgrün der anderen, eine Birke mitten. Ein Kuckuck. Viele Abendvögel.

Sehr viele von den großen schwarzen Schnecken mit dem Glotzauge im Panzer. Eidechschen, gelbschwarz. Ich rühre es an, es geht nicht weiter. Hinauf ganz undurchdringlich. Kein Stückchen Himmel. Nur Goldlicht wie Ohrringe, kleine runde Berlocken.

Treseburg. Abendrast und Nacht. In der Kühle ging ich an der Bode spazieren, nach Abendbrot (gut) mit Blick auf die enge Gasse, wo Gäste und Dienstboten promenieren. Von hier habe ich Fernsicht auf die weißen Berge. Die Bode rauscht in mein Schreiben. Sommerzimmer. Der Mond dreiviertelklar am Himmel, schwarz die Tannengipfel, einige Sterne. Strenge Kühle. Kleines dabei. Lauter verwehte Worte: reicher Tag. Schönste Ermattung.

 

Treseburg, den 11. Juni.

»Erwache und lache« steht auf dem Überhandtuch meines Zimmers. Ich habe gut geschlafen. Hahnenkraht hat mich geweckt. Einmal nachts wurde ich wach, und da sang die jetzt fast stille Bode in erhobenem Ton ihr langes Lied den schwarzen Bergen. Wundervoll.

Ehrlich: hier glaube und fühle ich die Sagen, doch sie ausbauen, umbauen und fortbilden könnte ich wohl nicht. Das fruchtbare Sagenland ist das Kinderland. Für meine Heimat wüßte ich Märchenwesen in Fülle, sie stiegen aus dem Boden. Vielleicht ist hier auch noch alles zu neu und überwältigend, so daß mir die Berge außer ihren Gedanken noch keine eigenen lassen.

Nachträumen: abends kleine erhellte Fenster in den kleinen Häusern. Hier an der großen elektrisch erhellten Veranda vorüber Menschenschatten: woher, wohin? Frage. Antwort. Weiter.

Fahrt nach Rübeland durchs Bodetal mit zwei Damen. Mutter und Tochter, die letztere war angenehme Gesellschaft. Das Bodetal bis Treseburg war schöner. Der Himmel bewölkt, doch blaue Insel darin. Bewaldete Höhen, meist Laub, zum Teil angepflanzte Fichtenschonungen. Eine Strecke war mit gefällten Bäumen bedeckt. Die Bode ruhiger. Man erhält die Aussicht stückchenweise, man befindet sich bald in einem wandumgebenen Kreis, bald in einem Oval. Seltener treten die Felsen hervor. Bisweilen noch die Kulissen. Das Wasser rauscht nur noch wenig. Altenbrak, kleines Dorf ohne Reiz.

Aus der Gegend von Hüttenrode der blaue Blick zum Brocken und Umgebung. Tannenwipfel. Die Linien überschneiden sich in der Nähe des Horizontes vielfach, und die spitzen Felder hier mit jedem Blau gefärbt, das umso schöner ist, als es sich vom grünen Roggen abhebt. Der Brocken mit Wolken und Nebel am zartesten. Aquarell, wie etwas Verdunstendes, um so sehnsüchtiger, als man weiß, wie fest er ist. Sonst bis zur Farbe reifer Pflaumen, indigo, violett, schwarzblau, wie das Blau mancher Augen. – Kastanien blühn noch unversehrt auf der Chaussee. Die junggrünen Spitzen an den Fichten wie Insekten, die dort ausgeschwärmt sind, oder helle Käfer, die da kleben. – Wildschweine mit Jungen auf einer Waldwiese. Auf der Höhe, woher man keinen Ausblick hat, erinnert mich die Landschaft an Brandenburg und Westpreußen.

 

Rübeland. Höhlen. Stalaktiten-, Stalagmitensäulen. Allerhand Ähnlichkeiten, die zwar oft sehr charakteristisch sind, mich aber nicht so sehr reizen, weil sie jedem Besucher aufgedrängt werden. Die Hermannshöhle eng. Am meisten reizte mich die Schallhöhle, gelblichweiß mit den vielen Tropfsteingebilden, und die, wo Schroffen, Ecken, Zacken grau, schwarz hängen und man schräg sehr hoch sieht, ebenso die Säule, 3,20 m, die achttausend Jahre brauchte, um zu wachsen, das geheimnisvolle Sickern und die Skelette vorsintflutlicher Tiere, überhaupt alles, was den Hauch der Urzeit trägt, dieses Gefühl der Fremde, des Staunens, Schauerns, der Leere, das mir nicht so sehr von Vergänglichem sagt, sondern auf etwas deutet, das überhaupt durch Bruch oder Kluft von uns getrennt ist. So ist auch der Höhlenbach etwas Heidnisch-Heiliges. – In der Baumannshöhle mit ihren weiten Sälen, flachen und gotischen Bogen war ich allein mit dem glattrasierten Führer, der mir seinen Text vorleierte und an der Klangsäule ein Glockengeläute anhob. Dort nicht soviele Tropfsteine, dennoch gefiel sie mir noch besser.

Auf dem Weg nach Blankenburg. Rübeland – Braunesumpf. Ich sitze und schreibe in einer Buchenhalle. Da liegt auf dem Zinnoberlaub ein Talermärchen, das die Sonne erzählt. Auf der anderen Seite des Waldpfades Fichten. Drahtig. Rostig. Wo Schatten – blaue, wo Licht – rötliche Drahtgespinste. Buchenblätter, Glastellerlein. Zur Kaiserwarte. Die Berge haben rote Schuppen. Meine Reisegesellschaft nach Rübeland fährt eben im Zuge vorbei. Der weiße Schleier der jungen Dame weht. Moosgrüner Weg. Jetzt gehe ich einen Plüschteppich hinan wie ein Fürst. Blick in Buchengründe, die sanft und wie voll Musik sind. Hier möchte ich mit schönem jungen Mädel hausen. Die Sonne, als wollte sie schelmen und überraschen und altfranzösische Rittergeschichten erzählen. Warmes Summen in der Höhe, dessen Quelle ich nicht weiß. Ein Stückchen verlaufen. Die Schuhe versanken im pfadlosen Laub. Ich fand mich auch nicht gleich zurecht. Kloster Michaelstein. Köstliche Sichten in der Höhe, helles Laub. Forellenbach. Zur Warte die Schwarze Höhe hinauf. Weiter stiller Blick in die nebelige Weite. Der Brocken verhüllt. Quedlinburg klar, schon Halberstadt unsichtbar. Aber die Größe des gelb dampfenden Horizontes. Sehnsüchtig der Blick nach dem Hexentanzplatz. Ich träume mich ins Bodetal zurück. Hier auf Regenstein, Teufelsmauer mit Großvater, Schloß, Ziegenkopf. Deutlicher die Stadt von einer Aussichtslaube auf halber Höhe des Eichenberges. Alles in klarem Abend, das schönste vielleicht zwischen den Bergprofilen die zweite Ebene. Dort lernte ich einen Herrn kennen, der hier in einem Nervensanatorium lebt. Er machte mich liebenswürdig mit den Verhältnissen hier in der Stadt bekannt. Ich habe mir die freundlichen Villenstraßen angesehen. Schön sind sie alle. Dennoch, dauernd möchte ich hier nicht wohnen. Wenn es nicht mitten auf einem hohen Felsen sein könnte, einem, der schroff abfällt, da bleibe ich gern weit. Doch muß ich sagen, daß in der Rückschau auf das Gesehene zuerst der Schmerz liegt, daß es schon war. Und dann die Freude. Jetzt sitze ich auf dem Bahnhof recht müde. Ich mag heute zu schnell geklettert sein. Meine Füße sind empfindlich. – Vermehrung des Gefühlslebens. Besonders merke ich, daß in der Phantasie eine neue Schicht wächst. – Die Eindrücke aus den Höhlen können sich jetzt erst ausbreiten. Die begleitenden Menschen und die Führer störten mich. Doch ergriff des alten Bergmanns, der jeden Satz mit »aber« anfing, zum ersten Male gehörtes »Glück auf«. Vielleicht am schönsten wirkten Ziegenkopf, Teufelsmauer und Eichenberg (mit Buchen überall bestanden), vielleicht in der Straße, die ihn parallel zur Bahn führt.

Die Fahrt zurück wundervoll. In Blankenburg waren die meisten Vögel. Die Kastanien dort schon Kugeln wie Schrotkörner. Enggassige Altstadt. Der Abend schwebte mit einem lichten Madonnenmantel darüber. Fast ängstlich das Hinabrasen durch den Bielsteiner Tunnel, für Minuten finster. Der Führer tutet. Die Berge rücken ab und gewinnen so an Gewalt. Hüttenwerke (das einsame Hüttenrode mit seinen Fröschen), Ziegeleien, Kalkbrüche, die Eisenbahn pfeifend, zahnknirschend, steigend, fallend, an den Buchen mit klatschendem Widerhall, in den Felsen tosend, die Eisensparren der Werke, das grelle Licht in den Stockwerken, deren Bestimmung man nicht versteht, von phantastischer Poesie, bis vor die hellblauen Wasser zwischen gesplitterten Wänden in der Nähe des Bismarcktunnels.

 

Rübeland. Elektrisches Licht vereinzelt tief. Die Höhe von weißem Nebel umwogt. Ich mache die Beobachtung, daß ich die Höhen vergesse. Sie reichen aus, um immer von neuem Schauer zu erregen, sie löschen aus, und man denkt sich die Berge kleiner. Ein munterer Schneiderlehrbub begleitet mich gesprächig. Der kleine Mann erzählt mit seiner hohen Harzer Stimme von den Preisen im Ort, daß sein Hauswirt im Freien schlief im Winter, nachdem er einen Liter Schnaps getrunken hatte, und sich vier Wochen darauf in seiner Wohnung erschoß. »Mein Meister rief mich, der ist tot, ich hatte gar nichts gehört.« Ich habe solche Menschenkinder lieb.

Abendbrot auf der Veranda. Freundlicher Kellner und Wirt. Jetzt klein-kleines Zimmerchen, sauber, klein-kleine Fensterchen auf klein-kleine Häuserchen. Nacht und Berge. Winkliger Hof. Ich wohne mitten auf dem Wege zwischen den beiden Höhlen. Wäre nicht die Bode und ihr Tal, könnten sie zusammenhängen. Mich überläuft eine Kälte, denke ich mir die Höhlungen, dunkel, und über mir die wüsten Felsgänge. Die Elf-Uhr-Phantasie belebt schon die Bären und kramt im Bärenkirchhof.

Noch einen Gutenachtblick: Links ist der Himmel mondsilbern über den Tannen. Kälte. Flüsterndes Rauschen. Es gibt Augenblicke, da kann ich glauben, dies alles hätte auch auf mich noch gewartet.

 

Abfahrt von Rübeland. Wir klingeln durch den Sonnenschein. Dreimal hin und her, und solch Örtchen ist einem so bekannt, als stammte man daraus. Fast lauter grüngraue Häuschen, ob aus Holz oder Stein. Auch einmal hohe graubewachsene Berge. Drei Parallellinien, die sich schon in der Höhe überschneiden. Steinbruch. Männer, auf Vorsprungstufen hackend. Weiter den grünen Rücken fast gerade hoch. Einmal hat eine Fabrik eingeschnitten, da zeigt sich rötlicher und graublauer Stein. Bach braun wie Blut.

Elbingerode. In grüner, nur gleichsam bepickelter Fläche. Wir fahren neben einem Bach, der durchsichtig flimmert und unten von bunten Steinen kariert ist. Im Orte Elbingerode noch blühende Fliederhecken. Ducknackige große graue Kirche. Im Tal gescharte Holzhäuschen, ungefärbt, mit spitzen roten Dächern. Kartenhäuschen hier von oben, nur die Dächer zu sehen, die mit den Kanten aneinanderstoßen. Elbingerode-West. Name: Hotel zum blauen Engel.

Nach Drei-Annen-Hohne. Durch Fichten vor mir Blick auf die blaue Brockengegend mit vier plastischen Höhen. Beim Bahnhof auf dem Fußweg wieder allerlei blaues Hoch und Tief. Ganz hohe dunkle Fichten. Das Moos von Nadeln bestreut. Kühlere Größe. Viel frischer als im Laubwald. Bäume weggefällt. Die Wurzeln nach oben, voll Moos, Stein, Sand. Wie Markt von Meerungeheuern. Mitten in Schonung Tannengruppenhaine, ganz verschiedene Geister Verdammter. Totenburg. Weitläufige Schanzenterrasse. Braunblaue Höhen. Beim Abstieg auf der Chaussee Blick auf Tannen hoch. So schöne habe ich noch nie gesehen. Wie braungrüne Mandorlen, deren Rand grün leuchtet, aus samtenem Licht geschnitten. Über den starkrauschenden Wormkebach. Über ihm hängt an einer Seite behaubte Tanne wie steifer Wasserfall. Hinauf zu einer weißblaugelb blühenden Hochwiese. Millionen blauer Stiefmütterchen sitzen hier und blenden in der Sonne fast wie Hohlspiegel. Gefühl, auf blumigem Bergrücken zu wandeln und auch von weitem nur ein blauer Punkt zu sein im blauen Schleier. Wald. Säuerlicher Gewürzduft. Bemooster Steinkegel. Das Hügelchen im Tannicht wie niedergeschlagene, geballte Schatten, Schwaden.

Man bemißt sein Leben gewissermaßen auch räumlich, nach der Größe der Eindrücke. Sie nehmen Raum und Weite ein wie die Berge. Mir ist, als wäre ich nicht zwei Tage, sondern zwei Jahre gewandert. Brockenblick bei Schierke. Vier starre ungeheure Wellen, die letzte der Brocken. Dies wohl die großartigste aller bisherigen Sichten. Weißgraue Wolken wie etwas, was sie aufwühlen. Ich stehe in einem Stein- und Stubbenfeld. Ein Stein, vielleicht zwei Meter lang, leckt und lechzt aus der Erde in die Sonne wie eine Zunge. Weg abwärts nach Schierke. Felsenklippen mit Blaubeerkraut. Steinacker. Erhabenste Durchblicke.

 

Brocken. Ich sitze hier zwischen grauen und schwarzbemoosten Steinen und genieße einen Ausblick, wie ich ihn in meinem Leben noch nie gehabt habe. Der Wind braust um meine Ohren. Es ist klar. Gegrüßt, alles Schöne. Rauh, unwirtlich oben. Aber groß. Unendlich. Man könnte Herr der Welt sein, wenn man groß genug wäre. Blick unbegrenzt. Recht klar. Ich lag in den Klippen. In der Sonne. Das blausteinerne Meer. So leidenschaftlich und doch Stein. Sturm, der Hut, Glas entführen wollte. Die ersten Kühe mit Glocken, Gespiele. Schon auf dem doch ziemlich langen, wenn auch nicht sehr beschwerlichen Aufgang Ehrfurcht vor den nun dichteren, größeren, oft benadelten und dickbemoosten Blicken. Die Kahle Kappe. Aussichtsturm. In der Sonne liegen und doch nicht die alten Menschengefühle. Größe … Das ist alles. Wie fassen? Trotz allem und allem. Hier entzieht sich das meiste der Beschreibung. Viele Städte und Dörfer und Berge und Berge und Nebel und Nebel und Nichts und Nichts und Sinnlosigkeit und Sinnlosigkeit und Schönheit und Tod und Tod und Leben und Leben. Das Rätselhafteste kommt mir ein – das Beste.

Die Abfahrt nach Wernigerode setzt einen schönen Blick an den anderen. Täler, Berglinien. Klippen. Kühnheiten in Wurzeln und Felsen wie in Biegungen und Parabeln.

Stadt Wernigerode. Eng. Viel Holz. Anheimelnd Sonne. Viele schöne Mädchen. Abend. Enger Markt, schönes Rathaus. Wunderschöner Ratskeller. Schloß. Das Innere. Mir erfüllte Sehnsucht nach Pracht und Vornehmheit – einen Augenblick. Dabei so nahe das Schönste an Natur. Die großen großen Berge. Ein angenehmer Kastellan.

Hier im Ratskeller weise Sprüche. »Die besten Gedanken – Kommen ins Schwanken.«

»Einer acht's, der andre verlacht's, Der dritte betracht's, was macht's?«

Niedrige gotische Bogen. Glasmalereien an den Fenstern. Behaglichkeit. Es ist ziemlich leer. Ein alter Herr erzählt einer jungen Dame von seiner Reise. Ich schreibe Briefe und diese Aufzeichnungen beim Wein. Zwergleinbilder an den Gewölben. Springbrunnen am Markt. Ein grüner Beamter führte am Schloß und wußte nicht viel zu sagen. Ich dachte mir, wenn sich unhöfliche Besucher dagegen empören!

Bei bewölktem Himmel aus Wernigerode. In der Nacht gewitterte es. Schwüle, heißes Bett und in der Karaffe fast heißes Wasser. Schöne Strecke. Für mich der Name Hasenwinkel.

Durch Hasserode. Freundliche Villen. Alles wie auf ewigen Sommer gebaut. Durch Sägewerk, wo ich von Spänen ganz bestaubt wurde. Erweichte Wege. Rings Berge. Buchenhang voll dunkelgrünem Kraut. Neben mir ein Wasser, durch das man auf gelbbraunes Geröll sieht, die Holtemme. Blick auf Beerberg und Piepersberg. Angenäßte Fichten, rotbraunschwarz, die Augen ganz schwarz. Steinbruch, der Zutritt ist Fremden streng verboten. So sehe ich nur an eisernen Masten eiserne Seile wie zu einem Zirkus. Gehämmer, Räderschnurren.

Grüner Berg. Oben schwarzer Wald, die Stämme hell. Steht da wie gestreifter Ofenvorsetzer. Holtemme. Die moosigen Blöcke schlafen im braunen Wasser und lassen sich kühlen. Das weiße Rauschen. Schüler mit Kuhglocken begegnen mir. Wasserfall stumpfweiß, etwa fünf Meter aus rundgemauertem Loch am Restaurant Silberner Mann. Wieder die rotnadeligen, roten Schattenschwaden. Auf Brocken blasig dicht wie abgeworfene Säcke. Unter Fichten, hoch wie eines spitzen Riesenzeltes rotes Plandach. Becken wie eine Stiege. Die weißen Brünnlein strömen scheinbar weglos von allen Seiten zusammen, aber alle kennen sie zusammen ihren weißen einen Gesang. Dazu weit gestreckter Fels wie kauernder Elefant.

Stein. Felslager. Riesen und Zwerge wie hockend. Sie lassen sich vom Wasser nur kitzeln. Die Bäume, mehr grau, steigen wie Gespenster aus dem Wasser und daneben wesenloser. Ihr Dasein vom Rauschen übertönt. Es ist sehr kühl und doch schwitze ich gehörig. Farren über dem Steine wie Fliegenwedel über dickem großen Herrn in einem Theater. Man denkt an verschollene Sagen ] von Entführung und Rast im Walde. Entwurzelte Tannen querüber.

Bräunkerloch-Schanzsee. Trümmerumgebenes Steinfeld. Die Berge verhüllt. Melodisches Klopfen. Möglichst wenig fahren, schon um der Einsamkeit willen. Sonst sieht man wohl gut, aber unwiedergeboren, und man darf zum ganzen Genuß noch nicht einen Tag alt sein. Die Eindrucksfähigkeit verliere ich nicht. Das Aufmerken macht immer aufmerksamer. Was ist das auf den Brocken fahren und herunterfahren? Nichts nichts nichts, trotz aller Herrlichkeit der Welt, weil diese Herrlichkeit einem nicht gehört. Beim Wandern erobert man sie wirklich.

Holzfäller: Klingende Schläge. Viele Käfer und Schnecken auf den Wegen. Allenthalben werden hier Wege gebaut.

Wolfsklippen. Die erste Harzgegend, die mir wild scheint bei diesem grauen Licht. Schon die Farbe des Nebels ist unheimlich und die dunkelgrauen Riesensteine und die steingrau, fast schwarz bemoosten dichtgedrängten Fichten, von denen man das Grüne kaum sieht. Auch haust hier oben plötzlich ein Wind, von dem früher nichts zu fühlen war.

Aussichtspunkt, 722 m. Rings kreisen mich Berge ein. Ich stehe in der Sonne und habe leichte blaue Nebel und die Berge in jeder Art vor mir.

Jetzt fegen dicht über den Brocken graugrüne Wolken und verdunkeln all sein Blau zu Schwarzblau. Stärkerer Sturm. Die ferneren Berge verfließen mit den Wolken in eins. Die Wolken scheinen von allen Seiten über die Berge her nach dem Gipfel herüberzurollen. Gelbgrüne Tannenwipfel bei mir teilen schmale Sehfelder ab, und da nimmt man wahr, wie weit es ist. In der Richtung des Frankenberges stehen die Wolken blau und ungewiß regelmäßig, so daß dahinter alles ins Leere zu versinken scheint.

Großartige Schattenspiele über diesem Grund. Der Rauch eines Weltfeuers wird über den ganzen Schrund ausgeschüttet. Blauer Streupuder.

Ein Herr und eine Dame kamen nacheinander. Gegenseitiges Wegeraten. Nach der Einsamkeit ist ein kleines Gespräch erfrischend.

Von den Wolfsklippen. Treten und Springen von Stein zu Stein. Begegnung mit einer lustigen Töchterschule. Wundervolles unsichtbares Kuhgeläut im Tannental.

Frühstücksrast, zwar etwas spät, auf einer Bank unter dichten, dunklen Buchen zwischen Plessenburg und Ilsefällen. Plötzlich wird es einsam. Man vergißt ein wenig die Umwelt.

Die Ilse. Wenns nur den Wasserlauf gälte, wäre sie der Bode ähnlich, aber das Tal macht sie ganz anders. Breite Tannenhänge, weite Buchten, spitz zulaufend. So weit ausholend für dieses kleine Wässerchen? Unter Tannenfransen und Buchenbaldachin tanzt sie, als wollte eine weiße Hand aus dem Wasser hinauflangen und sich ein Reis pflücken. Rote Buchenteppiche sind die schrägen Ufer hinabgehängt. Steine scheinen ebenfalls nach dem Ufer gewälzt zu sein und Platz zu machen, und sacht verliert sich das Laubgeschlüpf sanft in die Berge.

Bei den Fällen hat die eine Seite mehr Bodecharakter, weil die Berge steil ansteigen. Der Himmel ganz oben in diamantenem Glanz. Es ist zum Vergehen schön. Man möchte selbst nichts weiter als rauschen wie solch ein Fall, in der Sonne rauschen. Zwanzig Millionen Meilen höher das große Licht, hier nichts als die kleine Musik.

Ich habe mir aus einem Quellchen Wasser gefangen und getrunken. War das kalt und eine Labung nach langem Durst! Gelber Sonnennebel spritzt oben zwischen den Bäumen, unten umgibt sich Ilse mit einer Schattenschürze. Große Blöcke am Promenadenwege. Wieder tiefblau durchnebelte Tannenstangen. In den Fällen liegen die Steine allerdings wüst mitten im Fluß.

Dieser Weg war so schön, daß ich ihn gleich zurückmachen muß, was ich bei der Bode leider versäumte.

Beim Anblick des Paternosterberges von unten denke ich Pater noster? und sehe die Tannen als gescharte bärtige Männer, die beten paternoster. Und es liegt im Wind.

Man trifft hier sehr viele wandernde Handwerker.

Vom Paternosterberg sieht man gegenüber einen wohl mehr als fünf Kilometer langen Höhenzug voller Laub, oben grün und die Sonne in den Tannen wie grüne Goldregen.

Wieder der Brocken, jetzt wundervoll klar, in der Sonne webend, auch die Wolfsklippen. Man kreist den Tag über um den Großen wie um einen Gott, und immer neu ist er herrlich.

Vom Waldweg Paternoster aus die gegenüberliegenden Berge werden immer größer. O Welt, wenn man sich jene Kuppe bis in die Talsohle verlängert, aus solcher Tiefe eines Tales selbst hoch und so nah habe ich noch nicht heraufsehen können. Hier steht der Brocken gleichsam frei. Er ist ganz nah an den Klippen. Pater noster?

Dies schreibe ich auf einer der Klippen. Blick in drei Talwindungen und viele viele Berge. Von der Ilse nur einzelne Blitze. Die zwei Klippen stürzen steil ab. Sie haben wundervolle Profile, die eine wie kniender Mönch in Kutte und Kapuze vor Altar, mit dünnen Bäumchen, Birken, Fichten. Auch kauernde weinende Frau vor Altar. So hoch und doch Ameise bin ich auf den sonnigen Steinen, allerdings riesenhafte.

Hexenküche spitz zulaufend. Nach geradeüber schroff, wenn auch baumbewachsen. Wohl so hoch wie Hexentanzplatz. Ilse rauscht sehr laut. Rechts sonniger Ahorn, links in die Felsen geklammert drei Kiefern.

Die Hexentreppe herunter. Nun, zum mindesten ist es nicht ganz leicht, aber wundervoll wie alles. Jetzt trinke ich im Restaurant zum Ilsenstein meinen Kaffee. Ich sitze zwischen grauen Steinen an einem runden Tisch am Wasser. Gang durch Ilsenburg: ein liebes Nest. Gewundene Straßen, die Häuser in Grün, Holzfachwerk. Zwei Greise im Blühenden. Ich sitze jetzt im Lindenhofgarten. Zwei Lebensbäume vor mir, ein blühender Holunder. Ziemlich still, nur ein Kegelklub singt ab und zu seine Reime. Zwischen den Bäumen Aussicht auf die Ilseberge.

Spaziergang zur Ilse. Der Ort fast wie ausgestorben, nur in und vor den Gärten Leute. Kuhgeläute. Kühles Mondlicht. Zur vollen Scheibe fehlt nicht mehr viel.

Von Ilsenburg bei mäßigem Wind. Der Kopf war mir nicht ganz frei. Die Berge bleiben hinter mir, und ich gehe durch Buchenwald. Um Blankenburg war es schöner. Viele hundert Junikäfer krabbeln auf dem Weg. Eckerkrug.

Eckertal. Zuerst vor den Bergen macht die Ecker einen etwas ärmlichen Eindruck. Wenig Wasser, kleine Steine nur ohne große Phantasiespiele am Ufer liegend, immer dieselben witzlosen Strudelchen, aber das Rauschen ist so schön wie das der anderen und stimmt mich andächtig. Zwischen einem Steinbruch und Holzpappenfabrik überschreite ich die Ecker. Das steinige Bett ist breit, und so verschwindet das spärliche Wasser fast. Schönes Bild: Auf einem Stein sitzt wie horchend eine stahlblaue Ente. Weiter hinauf hat das Flüßchen rechts eine steile felsige Wand, so schroff, daß erst auf der Höhe reichlicher Bäume zu wurzeln vermögen. Dann wieder sanft. Das Bett wird wie das der Holtemme. Übrigens gleichförmige Chaussee seit Eckerkrug, abwechselnd Buchen und Fichten.

Stöttertal hinauf. Schonung gekrönt von spitzen schlanken Klippen und diese von hohen dünnen Tannen. Stötter ein flotter Bach, eigentlich ununterbrochener Wasserfall, erscheint durch sein Bett wie eine Wulstraupe, überziehend Gesträuch, Buchen, Erlen, blau wie elektrisches Bogenlicht durch die Sonne.

Die schlanken Klippen waren die Rabenklippen. Aus der Nähe groteskes Zwischending zwischen Pferde- und Schwanenhals. Überall in der Aussicht steigen Felsen aus den grünen Bergen, auf jeder Seite. Durch den starken Wind Kuhglocken. Doppelte Wellenlinie der Berge, der Rücken und die Brust. Ich zähle fünf große Klippen, die nahe viel mächtiger wirken. Eine wie ein ägyptischer Pharao. – Der Brocken überall. Man geht auf sonnigem Bergrücken weit zwischen zwei Tälern. Ganz oben eine Tannengruppe, wieder wie ein Ort der Seligen, rauscht ernst und voll. Das Gras perlgraue Seide in der Sonne. Ein Stückchen weiter entpuppt sich doch wieder eine andere Klippe als Rastpunkt und davor ein Restaurant. Vier Enten im Weg, zwei Zicklein umkrabbeln einen Bierwagen, zwei Hunde usw. So ist es mit dem Ort der Seligen.

Nach dem Burgberg durch abendliche Tannenhänge. Sturm. Lauschen. Laubblätter wirbeln um mich, als wollten die Tannen das wenige Laub nicht zwischen sich dulden. Jetzt fliegen mir auch spitzige Nadeln ins Gesicht. Das Rauschen wird heftiger.

Burgberg. Bismarckdenkmal mit zwei schrecklichen Figuren davor. Nach allen Seiten große Blicke auf Berge, die fast alle hier in ziemlich sanften Schrägungen hinangehen. Am köstlichsten zwischen dem Laub durch. Wehmut, wenn man die Reste der Befestigung sieht. Wohl der schönste Weg am Burggraben entlang.

Bad Harzburg. Ich habe sehr gut getrunken. Wein von wundervollem Bukett, und vortrefflich gegessen. Soll mans nicht? Lauter vornehme Menschen, Geschäfte, Restaurants, Villen. Ich finde mich ein bißchen zu sehr an die Großstadt erinnert, auch in der Umgegend. Es wimmelt. Scheußlich. Das ist kein Naturgenuß! Wie sich die Leute hier kurieren – na, vielleicht den ollen Leichnam, die Seele aber nicht. Wer kann viel genießen, wo der Schwarm um ihn ist. Oder es sei, daß man in Gesellschaft reist und das Ganze auf Salon und Konversation stimmt. Herrlich der Philosophenweg zum Radaufall; dieser selbst aber, als ob man den Berlinern den Kreuzberg vormacht. Nein! – Blauroter Steinbruch, die Leitern hängen an den Wänden wie Streichhölzchen. Meine geliebte Steinwelt!

Der Rückweg schöner, weil etwas Regen und weniger Menschen. Ferne Musik, als ich schon Harzburg durchquert und jenseits wieder auf den Berg gestiegen war. Stimmend. Da setzte der Regen ein, und ich kam nicht im Silberborn unter, der überfüllt und außerdem von einem riesigen Grammophon durchschrien wurde. Also weiter im Regen nach Oker. Das war interessant. Wie leicht die Berge in die Wolken hineinverschwinden! Ich ging durch nasse Wiesen, den Höhenzug zur Linken. Oker war zunächst nur ein Haufen Schornsteine. Rauchstreifen waren schwebende Querbalken im grauen Himmel. Nachher fanden sich im Tal gleichförmige rotgedeckte Häuschen hinzu und schließlich Villen und Gasthäuser, aber nur wenige. Die Oker präsentierte sich hier in ihrer Freiheit gleich breit und voll. Mein Zimmer ist von ihrem Rauschen erfüllt und es soll mir eine gute Nachtmusik sein. Nach allen Seiten wundervolle Bergblicke. Die Höhen steigen sehr kühn gespitzt auf.

Gastzimmer dörflich. Im Ort ist Schufenfest. Es knallt. Buden. Karussells usw. Auch Berliner Gassenhauer: Automobilmarsch.

Der Regen hat aufgehört. Der Himmel ist weiter grau. Ich war nicht verstimmt, sondern packte nur den Mantel vom Rucksack. Ich empfand kein schlechtes Wetter, warum? Im Walde war eine Schwere, über den Wiesen eine neue Kühle, und die Berge waren noch schweigender und bewahrten noch ein paar Geheimnisse mehr.

Hier im Klubzimmer famoses Abendbrot und dann Klavier gespielt, mit dem Fluß um die Wette musiziert. Vor dem Einschlafen sah ich noch immer durch alle drei Fenster auf die Berge und mochte mich nicht trennen. Dann noch immer die Stimmen des Flusses – die Stimmen – hinüber.

Nach dem Regen staubfreie Luft. Kühle Sonne. Die Oker der breiteste der Harzflüsse. Vielfach umwaschene und ausgewaschene Blöcke im Wasser. Viele stahlblaue zuckende Spiegel. Felseninsel, auf der Tannenbäume wachsen. Huschend fällt ein langer Tannenzapfen: ich dachte, ein Eichhörnchen sei gestorben.

Aus langer langer Tannenbahn, die hinten oben in Schwarzem verschwimmt, klettert schlank und geschmeidig ein blanker Bach.

Die stolze Kästeklippe. Hornfels.

Tannen mit verblichenen violetten Haaren wie alte Frauen. Ich habe mich auf einen Baumstumpf gesetzt. Rings Tannenberge, die lichtgrünen Spitzen wie Millionen Lichter. Blauer Himmel, weiße Wolken. Rechts Klippen wie ein Haufen spitzer Kirchtürme, oben aber entnadelte Tannen wie die Kreuze von Golgatha. Wieder durch Baumstammstreichhölzchen einen Berg hinan.

Bäumchen in natürlichen Felszinnen. Fels ein großer Adlerkopf, an dem ein Bär hochklimmt. Großartige Felsblöcke, auf denen man die Oker fast überall überschreiten kann. Bisweilen verschwindet das Wasser darunter. An den Ufern oft hinter Tannen wie hinter Gardinen. Alle paar Schritt lebhafte Seitenquellen. Fast betäubender Duft von Kien und allerhand Kräutern, auch Heuduft. Nasse, rieselnde Erde, nasses Moos, naßglänzende Wurzelstrünke, überall. Oker über Steine wie verkohlendes Glühen. Jetzt quergerissene Streifen, gelb, Stalaktitenfarbe.

Mich überdecken Tannen, unten mit Ästen viermal so lang wie ich. Viele Felsen- und Gerölleilande. An den Ufern blüht immerfort eine geranienhaft rote Nelkenart. Blumen. Am Ufer hoch schwarze Felsenkammern und Höhlen. Die immerfort sickernden, gleichsam blutenden Ufer.

Jetzt gewaltiges Gestrudel, alles weiß, ganz tiefe Stimme, etwa eine Oktave tiefer als vorher.

Kurfürstenplatz. Tanneninsel spitzes Oval. Zu diesem gewaltigen Rauschen in der Luft dunkle Schläge, als fiele etwas, als würde ein Fels über Bretterboden gerollt.

Strudeltopf. Zerfallenes Schloß, Steinchen gesammelt. Vorspringende Bank an der Oker. Ein breiter Ahorn ist Sonnenschirm. Romkerhalle. Wasserfall vierzig Meter, erst zwei fast nicht getrennte Strahlen, dann vier, dann fünf silberne Fransen.

Schulenberg erinnert mich an Westpreußen mit seinen mäßigen Seitenhöhen. Einfaches stilles Dorf. Man trifft niemand auf der Chaussee.

Fußweg nach Clausthal. Kleine Tannen sehr dicht. Großes Schweigen. Ein einziger Vogel singt, er flog vor mir auf. Jetzt fernes jodelndes Singen. Echo, das sehr spät antwortet.

Hier sind diese Spitzen der Fichten wirklich kleegrün, nicht gelblich. Wallartiger Weg mit häufig wechselnden und häufig unterbrochenen Gebirgsformen links.

Leider habe ich mir das rechte Bein beim Knie verstaucht und bekam es nicht in Ordnung. Es ist sehr schmerzhaft und man kommt nicht vorwärts. Der schöne Waldweg recht lang. Bei Voigtslust der erste Teich, den ich im Harz treffe, tannenumgeben, aber ohne jede Aussicht die Berge hinab.

Clausthal, heiteres Städtchen mit vielen Villen. Nur habe ich merkwürdig viel häßliche und brummig aussehende Menschen getroffen.

Abendspaziergang hinauf Clausthal-Zellerfeld. Ein neuer Rundblick, diesmal nicht von Steinen, sondern von Wiesen. Blumen- und Grasduft. Jetzt erschienen mir beide Orte ärmlicher. Sie sind mir etwas ganz Neues. Meist alte Holzhäuser, zum großen Teil mit Schiebefenstern, d. h. die untere Hälfte wird beim Öffnen auf die obere geschoben. Die Wände anderer Häuser sind mit Dachsteinen, einige auch mit Schiefergestein bekleidet. Ziegelbauten habe ich außer der Post und Akademie nicht gesehen. Die Bergakademie hat auf mich keinen sonderlich großen Eindruck gemacht. Gut sieht die finstere Tracht der Studenten aus. Besonders in Zellerfeld an fast jeder Straßenecke, manchmal auch mitten auf einer Straße laufende Brunnen. Brunnenbaum und metallenes Becken. Alle gleichmäßig. Die Eigenart und das zusammengeraffte Auf und Ab, das sogenannte Malerische und die Winkelgemütlichkeit bringen einem aber so schnell die Kleinstadt an den Hals, daß man sich weitersehnt. Brr, nur nicht in einer richtigen Kleinstadt leben! Das Vogelsingen ist das Vornehmste. Trotz aller auch heute wieder genossenen Schönheiten fühle ich mich einsam und habe Heimweh nach Berlin. – Ich sitze an der Zellerfelder Kirche auf einem Platz, der von alten Ahornen überzeltet ist.

Mein Knie schmerzt noch immer. Finden die Sehnen ihre Lage nicht, wie komme ich dann morgen nach Goslar?

Abendbrot. Im Zimmer einige Geschäftsreisende. Kleinstädter, die auf Berlin und die Berliner Touristen schimpfen. Man bekommt wieder einen Schauer, wie erstarrend es sein muß, zwanzig Jahre immer in denselben kleinen Orten hin und her zu hausieren.

Wieder schönes Zimmer mit elektrischem Licht. Unten gehen die jungen Mädchen zu Paaren. Morgens um vier Glockengeläute, erst die helle, dann drei Schläge die dunkle. Die Bergleute fahren ein.

Nachtwächter mit Tutehorn und Gesang gibts hier auch noch.

Bei nichts als Sonne von Clausthal nach Grund zu.

Silberhütte angesehen. Ein weißhaariger bleicher Bergmann führte mich sehr freundlich. Pulverisiertes Erz auf den Böden, das vom Aufbereitungswerk auf Loren gebracht wird. Wie schwarzer Schutt, nur überall von blitzenden Punkten besetzt. Mit Sandsteinmehl gemischt. Geschmolzen unter 800 Grad in trichterförmigen Öfen. Windmaschinen, um das Schmelzen der Öfen zu verhindern. Wasser-Drehrost. Erzablauf, Schlackeabfluß. Diese Feinströme fließen schon zweihundert Jahre unablässig zu Nacht. Kegelförmige Schlacken, denen die Köpfe abgeschlagen werden, um das letzte Bleisilber zu gewinnen. Schwefelverbrennung. Zwischen der letzten Dunst, daß ich husten mußte. Mineralienschrank, auch Scherben, um Probe zu machen, wieviel Metallgehalt darin ist ].

Den Berg hinauf. Eigenartiger Waldweg. Hohes braungrünes Moos mit hellgrünen Sternchen, zahllos. Der erste Tag mit viel Insekten. Tausende von Fliegen mit ihrem Gesumse um mich. Schießende Punkte. Moos von Farbe und Dicke des Rauhreifs an den Fichten, oft Moosknollen wie Spinnen. Lange Strecken so, wunderbarer Kontrast zum Hellgrün.

Grund sehr anmutig gelegen. Ein ganz kleines Häufchen Häuser. Ein winziges Städtchen. Die Häuser wirken fast alle als Villen. Schön besucht immer wieder, dies vorläufig nur auf den Sommer. Vieles wirklich schön Gebaute. Schatten. Heimlichkeiten. Einschmiegen. Auch hübsche Restaurants. Überall Sommerwohnung für Kurgäste zu haben.

Weg nach Bockswiese. Eine halbe Stunde in Sonnenglut die schattenlose Chaussee hinan; das heißt etwas. Der Ort ziemlich vornehm, lauter Kurhäuser. Elegante Damen liegen auf Hängematten im Walde.

Ebenso Hahnenklee. Hoch mit weiten Aussichten, Teiche herum. Es scheint dort viel vornehmes Publikum. Ich glaube, dort kann man wirklich ein paar Wochen rasten (nicht wie in Harzburg!) und sich erholen. Eine Reihe Omnibusse aus Goslar trifft ein. Touristen habe ich auf dem ganzen Weg nicht getroffen, erst ganz in der Nähe von Goslar.

Weg nach Goslar, zuerst Chaussee mit weiten weiten Bergaussichten. Dann Wald. Sonne bestreicht verborgene Äste wie mit Mehl. Dort erscheint die Baumhaut grindig. Steinberg mit Aussicht. Die Stadt. Clausthalpromenade, wunderhübsche Villen. Dann die alte schöne Stadt, die schönste, die ich überhaupt je gesehen habe ]. Man glaubt nicht, daß dies Gegenwart sei. Erker. Vorgebaute Etagen. Spitze Dächer. Bollwerke. Und soviel schöne Mädchen habe ich auf der ganzen Harzreise nicht gesehen wie hier in fünf Minuten. Der Marktplatz sicher an Architektur einer der schönsten, die es auf der Welt gibt.

Kaiserhaus. Das Gefühl, auf altem Boden zu stehen, wo einmal viele lebendige Menschen gesessen, gesprochen, gedacht und gelacht haben. Leider ist der Platz durch zwei massige Reiterstandbilder verunziert und der große Saal durch üble Schmierereien, bei denen einem, unübertrieben gesagt, schlecht wird, geradezu versaut.

Das Rathaus gesehen. Da lebt die alte Zeit ganz. Huldigungssaal. Durch nichts gestört. Farbige Darstellungen aus der Kaiser- und Heiligengeschichte. Goldpokal mit Verherrlichungen des Bergbaus. Urkunden von Kaisern und Päpsten. Brief Luthers. Die schöne kleine Kapelle. Münzen von 1000 etwa durch alle Jahrhunderte. Bürgertafel. Geschnitzter Tisch. Die eherne Elle, die im Rathaus zum Nachprüfen auslag. Gold aus den Goslarer Bergwerken. In der Kapelle wundervoll farbenfrohes Glasbild. Maria mit dem Kinde. Leuchtend, verklärend. Über dem Ganzen doch ein Hauch von Bürgerlichem. Niedrigerem. Tüchtigem. Gründlichem. Arbeitsamem.

Man sieht in der kühlen Kirche ein Altfrauenstift, wo die Gestalten durch fast völliges Dunkel humpeln, sieht dreihundertjährige Linden am Markt, sieht die Gassen sich in Winkel verlieren, schöne breite Tore mit Schnitzereien, Kindskopf lachend, Greisenkopf eingeschnitzt. Spruchbänder allenthalben. Ich glaube, die Goslarer wissen nicht, wie oft sie darin Gott anrufen. Kunstvolle Türgriffe. Der Marktbrunnen. Die Kaufläden, die in der Enge so einladend sind. Die Düfte der Waren und Früchte, Weine und Parfüms stauen sich. Dazu überall Grünes und Blühendes. Als ich im Kaiserwirtshaus frühstückte, zogen Soldaten mit Bumbum und Trara über den Platz, und die Bürgerschaft, groß und klein, stob ihnen nach wie ein Wirbelwind. Schulkinder zogen vorüber, klein mit neugierigen Augen, Knaben und Mädchen, eine lange Reihe wunderhübscher Kindergesichter. Schilder baumeln, Wasser rauschen in den Ecken, Berge blauen und schlafen im Hintergrund. Vögel singen überall. Alte Frauen erzählen sich hinter niedrigen Fenstern im Heimatdialekt. Pralle Schwüle scheint auf den Dächern zu hocken. Altertümliche Straßennamen. Schmied- und Eisenklappern. – Man glaubt, das sei alles nicht mehr wahr ].


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