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Jan

Der letzte Ausläufer der Geest, auf der das Dorf liegt, und der das Bruch von dem Moore scheidet, heißt der Heimster und das Holz darauf das Beekholz, weil der Mühlbach daran vorbei läuft.

Vor dem Bache erhebt sich ein Haus, dessen Ziegeldache man es ansieht, daß es noch nicht alt ist. Es gehört dem Arbeiter Jan Ehlerßen.

Der Mann stammt nicht aus der Heide, sondern aus dem Holsteinschen, ist aber schon eine Reihe von Jahren in Ohlenhof ansässig, wo er erst auf dem Dieshofe und dann bei dem Rappenbauern in Dienst stand. Auch heute noch tut er auf dem Rappenhofe Arbeit.

Jan, wie er gemeiniglich genannt wird, ist ein großer, breitschultriger Mann mit ganz hellem Haar und Augen so blau, wie man sie meist nur bei Kindern antrifft, und der ein paar Hände am Leibe hat, die noch größer und breiter als die vom Diesbauern sind, der doch weit und breit deshalb berühmt ist.

Daß Ehlerßen in Ohlenhof hängen blieb, ist eine Geschichte, die zur Hälfte lustig, zur Hälfte traurig ist, je nachdem man sie sich besieht. Das hat sich nämlich also begeben.

Als im neuen Kruge Erntebier war und es hoch herging, denn es war schon meist Glocke elf, tat sich die Tür auf und Jan Ehlerßen kam herein, stellte sich an die Tonbank, vor der ein Haufen Leute stand und einen Rundgang nach dem andern trank, langte eine Flasche aus der Tasche und wollte sie sich voll Schnaps geben lassen. Obgleich man es ihm ansah, daß er schon längere Zeit auf der Walze war, lud ihn der wilde Meyer aus Krusenhagen dennoch zum Mithalten ein. Als Meyer ihn fragte, wo er herkäme, antwortete er: »Aus Fallimholze bei Walzmichzutode,« und alles lachte; denn man verstand gleich, daß er Fallingbostel und Walsrode meinte. Das war nun so ein Fressen für Meyer, der nichts lieber hörte, als einen lustigen Schnack, und er fragte den Stromer weiter: »Feinen Stock, den du hast; von welcher Art Holz ist der denn?« Der Fremde griente und erwiderte: »Vogeltrittholz wird es genannt, wächst in der Welt gleich linkerhand. Vorige Woche, als Mondswillem schien, schnitt ich ihn ab bei Mutter Grün.« So ging das mit Witzen und Reimschnäcken weiter, und der Tippelkunde mußte trinken und trinken, bis er mehr als genug hatte.

Es wäre alles gut gegangen, wenn der Schmied Kordes nicht dazu gekommen wäre, dessen größte Freude es war, wenn er einen Menschen gehörig lang ziehen konnte. Das tat er auch bei dem fremden Wandersmann. Eine Weile ließ der sich das gefallen, aber schließlich merkte er es doch, daß er zum Narren gehalten werden sollte. Da schlug seine Laune plötzlich um, er wurde unangenehm, und als Kordes ausfallend wurde, warf er ihn mit einem einzigen Stoß so zwischen die Stühle, daß der Schmied die Beine über sich schlug. Nun sollte er an die Luft gesetzt werden, aber das war nicht so einfach; denn das junge Volk flog unter seinen Fäusten nur so hin und her.

In diesem Augenblicke kam der Diesbauer aus dem Saale, packte ihn von hinten an die Arme, hielt ihn fest, ein paar andere Leute faßten ihn bei den Beinen, und so brachte man ihn auf Anraten des Diesbauern in die Scheune und schloß ihn ein, damit er weiter keinen Unfug anstellen könne. Er schimpfte und klopfte noch eine Weile, gab sich dann aber zufrieden. Als er am andern Morgen herausgelassen wurde, war er vollkommen nüchtern und ganz umgänglich, nahm mit Dank einen Teller Suppe an, schüttelte, als er vernahm, wie es ihm ergangen war, den Kopf, entschuldigte sich damit, daß er auf nüchternen Magen zu viel Bier und Schnaps habe trinken müssen, und ging nach dem Dieshofe.

Der Bauer, der just beim Frühstücken war, machte runde Augen, als er ihn über die Diele kommen sah; denn er meinte, der Fremde wolle ihm zu Leibe. Der aber bot höflich die Tageszeit, streckte dann Dies seine gefährliche Hand hin und sagte, indem er wie ein Kind lachte: »Ich wollte mich auch schön bedanken, tja, denn sonst, wer weiß, ob ich nicht Mallör angestellt hätte, tja. Und dann wollte ich mir auch den Mann ansehen, der mich gebändigt hat. Denn bisher hat das noch kein einer Mensch fertig bringen können, tja.«

Dem Bauern, der sich sonst landfremdes Volk am liebsten sieben Schritte vom Leibe hielt, gefiel der Mann, und so lud er ihn zum Niedersitzen und Mitessen ein. Er tat das nicht bloß aus gutem Herzen, sondern weil er die letzte Woche einen Knecht, der nicht gut tun wollte, entlassen hatte, und weil tags darauf der andere Knecht von einem Pferd geschlagen war und für Wochen keine Arbeit tun konnte. Dem Bauern war das um so ärgerlicher, als er gerade dabei war, den großen Windbruch in seinem Holze aufzuräumen, und ihm nun vier Hände fehlten. Da der Fremde Fäuste hatte, denen man es ansah, daß sie etwas leisten konnten, und da er auf Arbeit ausging, so nahm er ihn an.

Es sollte ihn nicht gereuen; denn Jan Ehlerßen scharwerkte für drei Mann. Da er nicht nur mit Axt und Säge, sondern auch mit Pferden und Pflug, Säelaken und Sense umzugehen verstand, blieb er auf dem Dieshofe, als der Windbruch schon längst aufgearbeitet war, trotzdem der Bauer wußte, was für einen Mann er als Knecht hatte. Es war ihm auffällig, daß Jan zuzeiten dunkle Augen und einen engen Mund hatte, kein Wort herausbringen konnte und sich in aller Ruhe einen antrank, am anderen Tage aber ruhig wieder an die Arbeit ging und ein anderes Gesicht hatte. Der Bauer merkte es ihm an, daß der etwas Schweres hinter sich habe, und da er, wenn er es wollte, jedem Menschen die Zähne aufbrechen konnte, so bekam er es schließlich heraus, was es war.

»Tja, Bauer,« sagte Ehlerßen und sah Dies mit seinen blauen Kinderaugen groß an, »tja, eigentlich wollte ich dir das schon von selbsten verklaren, indem mich das drückt, daß ich eine Heimlichkeit vor dir habe, indem du doch in jeder Weise gut zu mir bist. Tja, das ist nu' so: Ich habe nämlich einen totgeschlagen.« Er sah auf seine schweren braunen Hände und fuhr fort: »Tja, eigentlich wollte ich das nicht; aber ich habe nicht an meine großen Kräfte gedacht, und denn war ich auch zu doll in Zornigkeit. Tja, er hatte nämlich schlecht von meiner Frau gesprochen, als wenn sie, na, so'n Lottchen wär, und mich damit geuzt. Und so kam denn das so, tja. Also dafor mußte ich denn sitzen, tja. Lange gerade nicht, von wegen mildernde Umstände, wie die Herren vom Gericht sagten, und denn auch, weil der Mann keinen guten Ruf hatte, tja. Und denn, denn kam ich frei, und die Frau und das Kind waren tot, an der Cholera; denn das war nämlich da bei Hamburg. Tja, so war das nu'. Und denn, tja, denn wurde es mir kundbar, daß der Mann recht hatte, tja, daß ich ihn rein für umsondt totgeschlagen hatte, tja; denn die Frau war früher so eine gewesen, weißt du, und wenn ich auf Arbeit war, trieb sie ihr Schandwerk weiter, tja. Na, und da hatte ich so recht zu nichts mehr Lusten und bin denn so in Bruch gekommen, tja. Und nun weißt du Bescheid, tja.«

Der Bauer hatte ernsthaft zugehört. Als Jan fertig war, sah er ihm in die Augen, schlug ihn auf die Schulter und sagte: »Kopp hoch, Jan! Schicksal ist Schicksal! Bist ja noch ein junger Kerl. Und nu' woll'n wir wieder an die Arbeit und da nicht weiter an denken!« Von dieser Zeit an zog er den Knecht näher an sich heran, zumal die Kinder an Jan sehr hingen, einmal seiner Ziehharmonika wegen, mit der er gut fertig wurde, und weil er ihnen nach Feierabend oder Sonntags Geschichten erzählte und Spielsachen machte. Als die kleine Lena schwer an der Halsbräune lag, mußte Jan die Arbeit liegen lassen und Tag und Nacht bei ihr sitzen und ihre Hände halten; denn sonst fing sie an zu weinen. »Jans Hände haben mehr geholfen, als meine Rezepte,« sagte Doktor Hilpert zu der Bäuerin hinterher.

Es gingen einige Jahre in das Land. Jan tat seine Arbeit, gab das Trinken auf und hielt sich ganz für sich, ging auch den Frauensleuten aus dem Wege, obgleich mehr als eine hinter dem stattlichen Kerl hersehen mußte. Es war im Dorfe meist schon vergessen, daß er mit einem Rock und einem Stock angekommen war; er galt völlig als Dorfsasse und hätte so leicht keinen Korb bekommen. Aber er ging um die Mädchen herum, ohne deswegen abstoßend zu sein. Denn wenn ihm auch eine gefiel, so mußte er doch immer daran denken, wie er betrogen war, und welche Schuld er darum auf sich geladen hatte.

Schließlich kam es aber doch so, daß er bei einer hängen blieb, nämlich bei Wiebens Durtjen, die auf dem Rappenhofe diente. Er freite sie, und da der Hausmann vom Rappenhofe just gestorben war, trat er dessen Stelle an, obschon der Diesbauer ihn nicht gern ziehen ließ. Er sparte sich allerlei Geld, und da seine Frau auch etwas hinter sich gebracht hatte, so dachte er daran, sich eine eigene Stelle zu kaufen. Das war aber nicht so leicht; denn kein Bauer gab ohne Not Land ab, und wenn er noch so viel öde liegen hatte.

Eines Tages fuhr der Erbe vom Dieshofe mit dem Heuwagen den Anberg in das Bruch hinunter, und da die Bremsen den Tag ganz besonders schlimm waren, machten sie die Pferde so wild, daß sie durchgingen. Wenn Ehlerßen nicht dazugekommen wäre, wäre es mit Dieswillem aus und alle gewesen; denn er war zwischen Deichsel und Schwengel gefallen. Aber Jan fiel dem Sattelpferd in die Zügel und brachte es mit einem Ruck von den Beinen, so daß der Wagen stand. Am selben Abend kann der Diesbauer auf den Rappenhof, gab Jan die Hand und sagte: »Du sollst bedankt sein, Jan! Und nu' hör' zu: Ich habe vernommen, daß du dich auf eine eigene Stelle setzen willst, aber kein Land kriegen kannst. Ich habe nu' das Stück auf dem Heimster dazumalen angekauft, als der Tormannsche Hof aufgeteilt wurde, obgleich ich Land genug hatte. Aber ich wollte nicht, daß der Herr aus Celle, der in der Zeit die Bruchjagd hatte, es kriegte, wo er nicht mit herauskam, wozu er es haben wollte, und es doch sein konnte, daß er hier neue Moden einführte, oder uns sonst unbequem wurde. Der Boden ist nicht schlecht, indem Post da wächst und die Eichen gut fortkommen, und frisches Wasser ist auch da. Also, wenn du Lusten hast, kannst du das Land abhaben, und so, daß dir das Abzahlen nicht schwer wird.«

So ist Jan Ehlerßen, der Stromer, der Totschläger, der Mann ohne Haus und Heim, der mit einem Rock und einem Stock in das Dorf kam, Anbauer in Ohlenhof geworden. Er muß sich tüchtig quälen, um voran zu kommen. Aber da er vor der Arbeit nicht fortläuft und seine Frau ebenso fleißig ist wie er, so kommt er langsam, aber ständig vorwärts, und sein zweiter Erbe wird einmal den Kopf ebenso hoch halten können, wie die Viertelmeier oben im Dorfe.


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